ZEITSCHRIFT FÜR KONSERVIERUNG UND RESTAURIERUNG
NO 1 Wunderkammern Der Reichtum der Welt neu geordnet
PREMIERE Älteste GalerieholländerWindmühle geehrt
REFLEXION Muñoz Viñaz‘ Restaurierungsethik anders betrachtet
2017
SENSATION Kirchner-Gemälde wiederentdeckt
INHALT
Kommentar von Ben Kaden Wunderkammern heute
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Korallenkrippe aus Trapani
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Moritz Paysan Wenn der Glanz verschwindet Zum Umgang mit Silberkorrosion auf vergoldetem Silber
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Eve Begov, Rainer Richter, Ulrike Weinhold et alii Dresden liefert neue Ansätze in der Silberforschung Untersuchung von Goldschmiedeobjekten und deren Teilpolychromie
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Sabine Schwab Schillernde Schönheit Restaurierung eines seltenen Muschelpokals mit Deckel
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Ute Strimmer Das Wiener Neustädter Zisterzienserpriorat öffnet seine Kunstkammer
RESTAURIERUNGSTHEORIE UND -ETHIK 30
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Ist der Ikonoklasmus erhaltenswert?
Ursula Schädler-Saub Wie bewahren Restauratoren Authentizität? Anmerkungen zur Restaurierungsethik heute – erster Teil Sigrid Brandt Wolken über Syrien Positionen und Initativen von Icomos Deutschland gegen die Zerstörung kultureller Stätten Ute Strimmer Gespräch mit Michael Petzet, dem Herausgeber der Neuerscheinung „The Giant Buddhas of Bamiyan II“ (Icomos-Serie „Monuments and Sites“), über die Bemühungen um die Rettung der Fragmente Ute Strimmer Max Doerners Kampf um die Kunst – eine Buchrezension
HOLZ UND METALL IN KOMBINATION
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Helge Bartsch Umbauarbeiten brachten Spätrenaissance-Malereien ans Licht Die Freilegung mehrerer mittelalterlicher Deckenanlagen und einer Trennwand Hella Huber Torschloss und Schlosstor Restauratorische Instandsetzung eines renaissancezeitlichen Holztors Irmela Breidenstein Phönix aus der Asche Restaurierung einer brandgeschädigten Uhr in polychromer Boulle-Technik
Restauriertes Torschloss in Neuburg
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Fotos (v. o. n. u.) Magdalena Treml, Institut für Konservierung und Restaurierung, Universität für angewandte Kunst Wien, Stift Neukloster, Wiener Neustadt; Ursula Schädler-Saub, Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen; Hella Huber
TITELTHEMA: KUNSTKAMMEROBJEKTE NEU GEORDNET
KUNSTKAMMEROBJEKTE NEU GEORDNET
Moritz Paysan
Wenn der Glanz schwindet Zum Umgang mit Silberkorrosion auf vergoldetem Silber
Eine besondere Herausforderung bei der Restaurierung bildeten die zahlreichen vergoldeten Silberobjekte, die mit empfindlichen Naturmaterialien kombiniert sind
Die früheste Erwähnung der Württembergischen Kunstkammer im Jahr 1596 fällt in die Regierungszeit Herzog Friedrichs I. Unter ihm und seinem Nachfolger galt der Stuttgarter Hof als einer der glänzendsten in Deutschland. Seit Mai 2016 sind wieder zahlreiche Objekte der Kunstkammer im Landesmuseum Württemberg zu sehen. Für viele Objekte war im Vorfeld eine elektrochemische Reinigung notwendig. Hierfür kam ein besonderer Elektrolytstift zum Einsatz.
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ABSTRACT Gilded silver objects An electrolytic pencil has been developed for the removal of silver corrosion on gildet silver objects from the Kunstkammer of the Landesmuseum Württemberg. It features reference and counter electrodes and a tip of fine pored polyvinyl foam which administers the electrolyte. Its slim design allows for tips of diameters between three and 30 millimeters. Like its predecessor, the Pleco, it can be built and modified by the user.
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In Kunstkammern wetteifern fantasievoll ersonnene kunsthandwerkliche Arbeiten höchster Virtuosität, gleichsam Wunder aus Menschenhand, mit Wundern der Natur, etwa seltenen Schnecken, Nautilusgehäusen oder Schmucksteinen. Diese Prachtentfaltung wird in der Neuaufstellung in einer historisch anmutenden Ausstellungseinrichtung inszeniert. Die technische Ausstattung entspricht modernen konservatorischen Anforderungen. Aber auch die Objekte sollen den Besuchern die Idee damaliger Pracht vermitteln, was bei den Restaurierungsmaßnahmen zu berücksichtigen war.
Materialvielfalt als Herausforderung So wurden allein aus dem Bestand der Kunstkammer etwa 900 Objekte gereinigt und wenn nötig restauriert.1 Zu Beginn war ihr Reinigungszustand inhomogen. Einige Goldoberflächen waren unkorrodiert, andere waren von fleckiger Silberkorrosion überzogen, sodass ein starkes Gefälle zwischen den kaum gealterten Schmucksteinen und der Metallfassung bestand. Damit entstand der Wunsch, die Pflegezustände anzugleichen und die Goldoberflächen wieder sichtbar zu machen. Eine besondere Herausforderung bildeten die zahlreichen Kombinationsobjekte, die aus vergolde1/2017
KOMM
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Foto: Landesmuseum Württemberg/Hendrik Zwietasch
aden Ben K
tem Silber und empfindlichen Materialien wie Perlmutt oder Verre églomisé zusammengesetzt sind. Speziell die Kombination mit hygroskopischen Materialien wie Elfenbein schränkt die Auswahl der häufig mit wässrigen Medien durchgeführten Methoden deutlich ein. Für die Reinigung von Silber und Vergoldungen stehen mehrere Möglichkeiten zur Verfügung (Freitag 2016), deren Vor- und Nachteile je nach Objekt abzuwägen sind. • Tauchbäder auf Basis von Thioharnstoff vermeiden zwar die mechanische Beschädigung der Oberfläche, hinterlassen jedoch trotz anschließender Wässerung chemische Rückstände im Objekt, die zum rascheren Wiederanlaufen des Silbers führen als andere Methoden. Sie werden im Landesmuseum Württemberg nicht mehr angewendet. Aufgrund der entfallenden Rückstände wären Plasmareduktion und Laserstrahlen (Hoffmann 2016) als Silberreinigungsmethode attraktiv, kollidieren jedoch mit den Vergoldungen: • Bei der Plasmareduktion verbleibt der zu Metall reduzierte Anteil der Korrosion an Ort und Stelle, Goldoberflächen blieben allerdings weiterhin fleckig abgedeckt. • Die Anwendung von Laser hingegen kann Goldoberflächen angreifen. • Das Abreiben mit weichen Ethanol-befeuchteten Tüchern (ohne chemisch aktive Zusätze) oder das Abbürsten mit Seifenwurzelsud und weicher Ziegenhaarbürste eignen sich zum schonenden Entfernen von Staub und dünnen Anlaufschichten (AgCl oder Ag2S), sofern keine kombinierten Materialien dadurch Schaden nehmen. • Die Anwendung feinkörniger inerter Polierpulver ermöglicht auch den Abtrag deckender Schichten. Bei gleicher Korngröße tragen harte Poliermittel schneller ab und erzeugen einen höheren Glanz als weiche Körner. Das langsam und nahezu ohne Glanzänderung abtragende Titandioxid hinterlässt bei einer mittleren Korngröße von 0,27 Mikrometer ähnlich feine Reflexionen im Schliffbild wie härteres Aluminiumoxid der Korngröße 0,05 Mikrometer. Nur 1
Unterstützt wurden die Restaurierungsvorhaben von der
Wüstenrot Stiftung und dem Studiengang Objekt-Restaurierung an der SABK Stuttgart. Seit 2014 waren 22 Restauratoren an der Bearbeitung von Kunstkammerobjekten beteiligt. Besonderer Dank gilt Dipl.-Rest. Elisabeth Hustedt-Martens.
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Ben Kaden, Bibliothekswissenschaftler und Soziologe, ist Mitherausgeber der Zeitschrift „Libreas“ und lebt in Berlin.
Wunderkammern heute Sind Wunderkammern Orte der Informationsvisualisierung? Nun – sie lassen sich schon als solche lesen. Aber die Lesart ist ganz auf Seiten des Rezipienten. In ihrer ursprünglichen Intention sollten sie dagegen weniger auf etwas tatsächlich Gegebenes verweisen als auf eine einzige Information: die der Schöpfung. Diese drückte sich sowohl in den natürlichen wie auch den teilweise ergreifend detailliert ausgeführten handwerklichen Exponaten aus. Um die Aura ging es, um Staunen und Verzücktsein. Heute stellt sich die Frage bestenfalls ausnahmsweise. Und zwar nicht nur, da man selten die Gelegenheit hat, in eine Wunderkammer zu treten. Sondern auch, weil sich fast keine der erhaltenen den Anspruch stellt, das Konzept für die Gegenwart zu aktualisieren. Aufklärung und Staunen galten lange Zeit als unvereinbare Phänomene. Was von der Kultur des Staunens übrig blieb, wurde zur Wissensvermittlung per Museum. Mittlerweile steuern wir jedoch in ein nachsystematisches Zeitalter, in dem das Neben- und Miteinander scheinbar nur schwer kombinierbarer Elemente zum Leitprogramm gehört. Auch die wachsende Eventausrichtung musealer Sammlung trägt der Entwicklung Rechnung. Viele Menschen möchten die Welt als Faszinosum und nicht als Schulbank erleben. Bei der Berliner Sammlung Olbricht kommt allerdings das, was man für eine zeitgenössische Interpretation des Wunderkammerkonzepts benötigt, zusammen. Und so findet sich im „me Collectors room“ eine solche Kammer, die mit Objekten aufwartet, welche man vermutlich auch in Barock und Renaissance so in solchen Räumen zur Schau gestellt hätte: vom Korallen-Kruzifix bis zum Narwalzahn, von der Kreuzuhr über den gefüllten Kleinodien-Schrank bis zum Schrumpfkopf findet sich eine Sammlung an Kuriosa quer durch den Garten der Vorsystematik und Prätypologie. Hineingemischt fällt in dieser Vanitas-Sammlung eine Arbeit von Mathew Weir aus dem Jahr 2009 gar nicht weiter auf. Und so entsteht eine ungewöhnliche Fassung der im frühen 21. Jahrhundert typischen Remix-Kultur. 13
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Ausblick Es ist denkbar, den Stift mit seiner von Reinigungsflüssigkeit durchströmten Schwammspitze auch ohne elektrochemische Ausstattung in der Restaurierung einzusetzen. Vorstellbar wäre die wässrige Reinigung von Federn oder bei Verwendung lösemittelbeständiger Materialien für Stift und Schläuche auch in der Gemälderestaurierung. Ein ausführlicher Bericht zur Anwendung des Stifts mit Teileliste und Anleitung zum Nachbau ist in Vorbereitung.
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Literatur Degrigny et alii 2014–2016 Degrigny et alii: Maurice Rapport, 2014–2016, www.fablab-neuch.ch/pleco (Stichwörter: „Downloads“ ,„Maurice Rapport“). Degrigny et alii 1996 Degrigny, Christian et alii: Altération et nettoyage de pièces en argent doré, in: Studies in Conservation 41 (1996), S. 170–178. Freitag 2016 Freitag, Jörg: Let’s putz Silber?, Eine Nachlese zur Tagung im Landesmuseum Württemberg, Stuttgart (22.–24. Mai 2014), in: VWR Beiträge zur Erhaltung von Kunst und Kulturgut 1 (2016), S. 36–44. Hoffmann 2016 Hoffmann, Sophie: Möglichkeiten der schonenden Abnahme von Silbersulfid auf fragilen Silberobjekten. Erprobung von Restaurierungsmethoden für den Merkel’schen Tafelaufsatz von 1549 aus dem Rijksmuseum Amsterdam, in: VWR Beiträge zur Erhaltung von Kunst und Kulturgut 1 (2016), S. 45–54.
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Die nächsten Termine Ausgabe 02/2017
Stemann-Petersen/Taarnskov 2006 Stemann-Petersen, Karen und Bodil Taarnskov: Electrolytic cleaning of silver and gilt-silver threads in silk textiles: possibilities and limitations, in: Zeitschrift für Kunsttechnologie und Konservierung: ZKK, 20, 2 (2006), S. 278–289.
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erscheint am 13.03.2017 Anzeigenschluss ist am 13.02.2017
Ausgabe 03/2017 erscheint am 12.04.2017 Anzeigenschluss ist am 14.03.2017
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RESTAURIERUNGSTHEORIE UND -ETHIK
Ursula Schädler-Saub
Wie bewahren Restauratoren Authentizität? Anmerkungen zur Restaurierungsethik heute – erster Teil
Die „Contemporary Theory of Conservation“ von Salvador Muñoz Viñaz von 2005 wurde im deutschsprachigen Raum bislang zu wenig zur Kenntnis genommen. Im Folgenden werden einige zentrale Aussagen dieser Publikation vorgestellt, unter Bezug auf die von Muñoz Viñaz manchmal einseitig interpretierten „klassischen“ Theorien der Restaurierung und Denkmalpflege. Mit dem Fokus auf die ausgewählten Fragestellungen möchte der Beitrag dazu anregen, die vielfältigen Facetten des komplexen Themas weiter zu vertiefen. Veranschaulicht werden einige Aspekte am Beispiel des Heiligen Bergs von Serralunga di Crea, Italien, mit seiner Erhaltungs- und Restaurierungsgeschichte.
1 Kreuzwegstationen, Kapelle XV, Innenraum, Dornenkrönung: Nach verschiedenen Überarbeitungen und Verlusten vom 17. bis zum frühen 19. Jahrhundert, komplette Erneuerung von Figuren und Ausmalung 1886–1887. Auf die provisorische Sicherung der Figurengruppe bei der letzten Instandsetzung der Kapelle 1970–1979 folgte bis heute keine Konservierung
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2 Kreuzwegstationen, Kapelle VIII, Ansicht des instandgesetzten Außenbaus; im Inneren szenische Darstellung der Verkündigung an Maria
ABSTRACT Theoretical considerations on conservation science Like any other applied science, the relatively young field of conservation science needs binding theoretical principles and clear-cut terminology to coherently communicate its goals and aims. In today's globalized world, this is achieved on regional and international level, respecting different cultural traditions of conserving cultural monuments.
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RESTAURIERUNGSTHEORIE UND -ETHIK 2
Begriffe und ihre Bedeutung Jede Wissenschaft geht von einer klar definierten und in der Fachwelt allgemein akzeptierten Terminologie aus: Nur auf der Grundlage begrifflicher Abbildbarkeit von Gegenständen, Ideen und Konzepten ist Kommunikation möglich. Die Begriffsbildung in der noch jungen Restaurierungswissenschaft ist geisteswissenschaftlich und empirisch geprägt, letzteres durch praktische Erfahrung und zunehmend auch durch die angewandten Naturwissenschaften. Die Gefahr eines babylonischen Begriffsgewirrs entsteht dadurch, dass tradierte Begriffe oft ohne Berücksichtigung ihrer historischen Entwicklung und ihrer heutigen gewandelten Bedeutung genutzt werden. Im internationalen Austausch kommen Übersetzungsschwierigkeiten hinzu, weil die Bedeutung von Begriffen zum Beispiel im Englischen oder Italienischen mit jeweils unterschiedlichen Kulturen der Restaurierung zusammenhängt, die mit dem Begriff erläutert werden müssen. Restaurierungsethik – Restaurierungstheorie Salvador Muñoz Viñaz wählt bewusst den Begriff Theorie1 für seine Contemporary Theory of Conservation (Muñoz Viñaz 2005): Er knüpft damit an die philosophische Theorie der Restaurierung von Cesare Brandi an (Brandi 1963), lehnt aber deren historisch-ästhetische Prägung ab zugunsten einer gesellschaftlichen Ausrichtung, unter dem Motto „von den Objekten zu den Subjekten“. Im angelsächsischen und deutschsprachigen Raum hat sich dagegen in den letzten Jahrzehnten der Begriff Restaurierungsethik durchgesetzt: Als angewandte Ethik kann sie uns – vielleicht praxisbezogener als eine komplexe Theorie – bei der Suche nach einer Antwort auf die Frage „Wie sollen wir handeln?“ helfen. Mit kritisch-praktischer Urteilskraft soll ein ethisch richtiges Situationsverständnis erlangt werden, um allgemein anerkannte Normen und Werte in Beziehung zu einer bestehenden Einzelsituation zu setzen. Katrin Janis hat hierfür einen hilfreichen Fragenkatalog als „Decision Making Model“ zur Einhaltung restaurierungsethischer Standards vorgelegt (Janis 2005, Kap. 4.3.6). Wo findet die Restaurierungsethik ihre Grenzen? Auch angewandte Ethik ist an den Theoriediskurs der normativen Ethik gebunden. In einer globalisierten Gesellschaft, im Spannungsfeld von Universalismus und Kulturrelativismus2, wird aber zunehmend hinterfragt, ob Ethik überhaupt noch universale Gültigkeit beanspruchen kann. Für die Re-
1
Der Heilige Berg von Serralunga di Crea Der Heilige Berg von Serralunga di Crea (Piemont, Italien) mit seiner spätgotischen, mehrfach umgestalteten Wallfahrtskirche und den Kapellen der Kreuzwegstationen (erbaut ab 1589) erfuhr im Laufe des 18.–20. Jahrhunderts zahlreiche Veränderungen und Wiederherstellungen. Er ist ein eindrucksvolles Geschichtsdenkmal und Teil der transnationalen Unesco Welterbestätte der Heiligen Berge. Bis heute ist der Berg ein lebendiger Wallfahrtsort, dazu ein beliebtes Touristenziel. Trotz der Bemühungen um eine sachgerechte Bestandserhaltung gibt es konservatorische Probleme, vor allem bei den weniger wertgeschätzten Ausstattungsteilen des 19.–20. Jahrhunderts, die aber integraler Bestandteil der Stätte sind.
staurierungsethik wird dies eine schwierige Gratwanderung: Sie will die normativen Leitvorstellungen der Restaurierungswissenschaft begründen und gleichzeitig Traditionen verschiedener Kulturkreise bei der Pflege sowie Erhaltung ihrer kulturellen Zeugnisse respektieren und in den ethischen Diskurs mit einbeziehen. Die Gegenstände der Restaurierung und ihre Eigenschaften Die Vielfalt der Gegenstände, mit denen sich Restauratoren heute befassen, hat dazu geführt, dass international zunehmend von „Objekten“
Unter Theorie versteht man ein System wissenschaftlich begründeter Aussagen zur Erklärung bestimmter Tatsachen und
der ihnen zugrunde liegenden Gesetzlichkeiten. 2
Der Kulturrelativismus möchte eine Kultur bzw. Gesellschaft aus sich selbst heraus verstanden wissen, was zu einer Kritik
allgemeingültiger Normen führt. Damit wird die eigene Logik, die jeder Kultur innewohnt, akzeptiert, was aber nicht zwangsläufig bedeutet, dass auch alle ethischen Fragen (kultur-)relativistisch zu beantworten sind (Petersen 2010).
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HOLZ UND METALL IN KOMBINATION
Irmela Breidenstein
Phönix aus der Asche Die Restaurierung einer brandgeschädigten Uhr in polychromer Boulle-Technik
Das Metallfurnier einer Straßburger Pendule in polychromer Boulle-Marketerie war es, welches das Objekt mitsamt seines Holzkorpus vor einem Desaster schützte. Zunächst schien die Uhr in so desolatem Zustand, dass lediglich die kleine Bacchusputte der Bekrönung geborgen werden sollte. Eine genauere Untersuchung zeigte jedoch, dass unter Ruß- und Ascheschichten noch etwa 80 Prozent der Originalsubstanz erhalten geblieben war.
1 Der Endzustand der Pendule nach der Restaurierung
1
2 Die durch aufgeblähten, degenerierten Leim abgesprengten Bauteile des Holzkorpus
ABSTRACT Restoration of fire-damaged polychrome Boulle pendulum clock A prominent pendulum clock with console by Straubhaar in Strasbourg, manufactured ca. 1750 using polychrome Boulle technique, had been damaged by fire and was subsequently classified as total loss. Extensive analysis showed that only about 15 to 20 per cent of the original material had to be replaced. 80 per cent of the object could be cleaned, consolidated, and repaired.
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HOLZ UND METALL IN KOMBINATION
Die repräsentative, verhältnismäßig große Pendule mit Konsole (110 x 43 x 20 cm) befindet sich im Privatbesitz. Sie wurde um 1750 in Straßburg angefertigt. Ihre Unterkonstruktion besteht aus Eichenholz, und der Dekor ist aus einem Fond aus poliertem Messingblech, in den ein polychromer Dekor aus Blüten und Blattwerk mit farbig unterlegtem Horn, Knochen, Perlmutt sowie Schildpatt eingelegt wurde. Die Uhr ist reichhaltig bestückt mit repräsentativen Appliken und mit der kleinen Skulptur eines mit Weinlaub bekränzten Bacchusknaben abgeschlossen. Sie besitzt ein Vollplatinenwerk aus Messing mit 14 Tagen Gangdauer und Ein-Stundenschlagwerk auf einer Glocke aus Silberbronze sowie ein Glockenspiel mit Stiftwalze und acht Glocken. Auf dem gegossenen und fein ziselierten Zifferblatt werden die Stunden in römischen, die fünf Minuten in arabischen Zahlen auf Emaillekartuschen indiziert. Signiert ist die Uhr mit „Straubhar à Strasbourg“ (Abb. 3). Der Uhrmacher Jean Jacques Straubhaar Der Horloger (dt. „Großuhrenmacher") Jean Jacques Straubhaar legte 1719 seine Meisterprüfung als Uhrmacher in Straßburg ab. Archivalisch gut belegt ist seine Petition an die ,Quinze‘, den Rat der Stadt, in der er sowohl um die vorzeitige Zulassung zur Meisterprüfung bittet als auch darum kämpft, sein Meisterstück „auff die Art der Parißer Uhren“ in Messing und nicht wie von der Zunft vorgeschrieben in Eisen und Stahl ausführen zu dürfen. Denn ein Uhrwerk aus Messing sei haltbarer und vor allem komme das Meisterstück „sehr hoch und theur zu stehen, Welches deßwegen auff die neue Manier und so verfertiget werden, müße, damit man es wieder an dem Mann bringen Könne, wiedrigen falls dem Stückmeister Großer Schaden zu wachße.“ Beiden Ersuchen stimmte die ,Quinze‘ nach einigem Hin und Her schließlich zu, denn die Stadt benötigte dringend einen qualifizierten Großuhrenmacher. Gut dokumentiert ist, dass Jean Jacques Straubhaar 1732 den ehrenvollen Auftrag zur Restaurierung der Astronomischen Uhr des Straßburger Münsters bekam. Er selbst hat hierzu einen Bericht in französischer und deutscher Sprache verfasst (Straubhar 1732). 1748 schließlich, kurz vor seinem Todesjahr 1/2017
Pendulen von Jean Jacques Straubhaar Soweit der Autorin bekannt, finden sich Pendulen von Straubhaar aktuell in den Sammlungen des Mainfränkischen Museums in Würzburg und des Augustinermuseums in Freiburg (Fowler 1999, Kat.Nr.75 S. 226f). Eine außerordentlich hochwertige und monumentale, 84,45 Zentimeter hohe Uhr in Boulle-Marketerie wird derzeit im Londoner Kunsthandel angeboten (Mackinnon, Ref. AD.15). Die Signatur von Straubhaar sowie sein zitierter Name findet sich in der Literatur und auf den Uhren stets in abweichender Schreibweise. So gilt einerseits die Bezeichnung „Straubhar" als Signatur und Zitat als auch „Straubhaar" für die Beschreibung seiner Person.
2
1749, schlägt Straubhaar dem Rat der Stadt vor, eine Zunft der Großuhrmacher, die bisher den Schlossern zugeordnet wurden, zu begründen. Dem wird stattgegeben (Wendling 2016). Aus Straubhaars Ehe gehen acht Kinder hervor, von denen das fünfte und siebte ebenfalls als Großuhrenmacher bezeichnet werden: Frantz Joseph und Frantz Jacob (Wendling 2016). Unter der Marke „Straubhar à Strasbourg“ fungierte also offensichtlich ein Familienbetrieb. Die Entstehungszeit unserer Uhr liegt nahe an Johann Jacobs Todesjahr. Daher lässt sich nicht bestim55