RESTAURO 3/2020

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Magazin zur Erhaltung des Kulturerbes

NO 3 2020

Weitergabe von Wissen Lehrwerkstatt in Weimar vermittelt jetzt Methoden der Papierstabilisierung für die sogenannten Aschebücher CORONA-KRISE Welche Hilfen gibt es für Selbständige?

NEUINSZENIERUNG Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden wiedereröffnet

KUNSTRAUB Die Gothaer Bilder sind wieder zurück


INHALT

TITELTHEMA: PAPIERRESTAURIERUNG

Einblick in aktuelle Restauraurierungsprojekte an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart

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„Es gibt keine klassische Ausbildung zum Papierhistoriker“ Dr. Georg Dietz ist Spezialist für Kunst auf Papier und unterrichtet angehende Restauratoren an der Fachhochschule in Hildesheim und in Köln

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Der Umschlagdeckel als Visitenkarte Ein Zusammenschluss ehrenamtlicher Mitglieder ist der „Arbeitskreis für die Erfassung, Erschließung und Erhaltung historischer Bucheinbände“

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Zu Gast in Stuttgart Der Studiengang Konservierung und Restaurierung von Kunstwerken auf Papier, Archiv- und Bibliotheksgut der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart gewährte Einblick in aktuelle Restaurierungsprojekte

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Mengenlehre studieren Die erste Akademische Lehrwerkstatt für Papierrestaurierung in Deutschland eröffnete in Weimar. Eine Kooperation zwischen der Anna Amalia Bibliothek und der HAWK Hildesheim

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Die Behandlung der Papiere in der Druckerei und der Buchbinderei im 18. und 19. Jahrhundert Was bedeutet planieren? Buchrestaurator Dag-Ernst Petersen erläutert spezielle Arbeitsschritte der Buchbinderei und berichtet über die Entwicklung der Papierherstellung

SCHÄDLINGSBEKÄMPFUNG 2019 eröffnete in Weimar die erste Akademische Lehrwerkstatt für Papierrestaurierung deutschlandweit

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Papierfischchen – Update 2020 Beobachtungen aus der Praxis zum Thema zunehmende Verbreitung von Papierfischchen in Deutschland und anderen europäischen Ländern

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„Das Papierfischchen ist ein Urinsekt, das vor über 100 Jahren aus seinem natürlichen Habitat in den Norden verschleppt wurde“ Was die Experten der Nürnberger Schädlingsbekämpfungs-Spezialisten APC bei Befall raten

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Rahmen und Bilder der Brücke-Künstler Welchen Wert die Brücke-Künstler auf die kompositorische Einheit von Rahmen und Bild legten, macht die Ausstellung „Unzertrennlich“ deutlich

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Die Gothaer Bilder sind zurück Vierzig Jahre nach dem Diebstahl aus Schloss Friedenstein in Gotha sind die Gemälde jetzt zurückgekehrt – wo sie waren, weiß bis heute niemand

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Gemischte Aufstellung Die Gemäldegalerie Alte Meister am Dresdner Zwinger hat nach siebenjähriger Sanierung mit einem neuen Ausstellungskonzept eröffnet

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„Schloss Wörlitz war zu seiner Zeit das modernste Schlossbauwerk Kontinentaleuropas“ Schloss Wörlitz wurde in den letzten zwanzig Jahren aufwendig restauriert. Warum wurde diese umfangreiche Restaurierung notwendig und was macht das Schloss so einzigartig?

Bei der Schädlingsbekämpfung von Papierfischchen gibt es neue Beobachtungen aus der Praxis

Schloss Wörlitz wurde in den letzten zwanzig Jahren aufwendig restauriert

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Fotos: Martin Miersch; Uta Baier; Stephan BIebl; KSDW

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RUBRIKEN 6

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KUNSTSTÜCK „München. Schau her!“ ist die erste Ausstellung, die die umfangreichen Fotoarchive der Bayerischen Staatsbibliothek in einer breiten Auswahl vorstellt – aktuell virtuell BLICKPUNKT Folgen für Freiberufler: Die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Krise stellen das Wirtschaftssystem vor immense Herausforderungen Finanzieller Schutzschirm: Was können Selbständige jetzt tun, um die Krise möglichst rasch mit Regierungshilfen zu überbrücken? Peter Plan, Initiator der Berner „Cultura Suisse“, zieht über die zweite Ausgabe der Kulturerbe-Messe Bilanz Corona-Krise: Ernst von Siemens Kunststiftung startet Förderlinie für Freiberufler an Museen BERUF: Mehr leichte Filmchen!

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TERMINE Veranstaltungen Impressum Vorschau

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PORTRÄT Heike Birkenmaier M.A., Papierrestauratorin und Kunsthistorikerin, Auktionshaus Karl & Faber, München

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Künstlerprodukt des Jahres

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Cover Die erste Akademische Lehrwerkstatt für Papierrestaurierung in Deutschland eröffnete 2019 in Weimar: Sie ist eine Kooperation zwischen der Anna Amalia Bibliothek und der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim (HAWK). Dort werden feuergeschädigte Buchfragmente bearbeitet. Erfahren Sie mehr ab Seite 22.

5GV \WT *GTUVGNNWPI XQP NHCTDG CWU TGKPGP 2KIOGPVGP Inhalt: Glasplatte und Glasläufer, Leinöl, Walnussöl, Wachsmalmittel, Pigmente, Tuben, Spatel, Pinsel und Rezepte.

Foto: © Uta Baier

Erhältlich unter der Bestellnummer #14306.

www.kremer-pigmente.com

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PAPIERRESTAURIERUNG

Zu Gast in Stuttgart Der Studiengang Konservierung und Restaurierung von Kunstwerken auf Papier, Archiv- und Bibliotheksgut der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart gewährte RESTAURO Einblick in aktuelle Restaurierungsprojekte. Ein Atelierbesuch

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PAPIERRESTAURIERUNG Was hat zum Schaden an meiner Grafik geführt, wie kann man ihn beheben und wie kann ich ihn in Zukunft vermeiden? Wie könnte eine effektive Schadensprävention aussehen? Welches ist die geeignetste Restaurierungsmaßnahme? Mit solchen und ähnlichen Fragen treten etwa Besitzer alter Grafiken und zeitgenössischer Kunst auf Papier, wertvoller Bücher, wichtiger Archivalien oder historischer und moderner Fotografien an einen Papierrestaurator bzw. eine Papierrestauratorin heran. Aber auch in Bezug auf Zeichnungen, Plakate, Spielkarten, Globen, Hutschachteln, Faltfächer und vieles mehr ist ihre Expertise gefragt. So vielfältig wie die historischen Erscheinungsformen dieser Trägermaterialien sind die für das Drucken, Zeichnen und Schreiben verwendeten Farbmittel: Dazu zählen Tuschen, Tinten, Kreiden, und Aquarellfarben. Im Studiengang Konservierung und Restaurierung von Kunstwerken auf Papier, Archiv- und Bibliotheksgut bekommen die Studierenden zunächst Übungsmaterial, damit sie verschiedene Restaurierungstechniken gefahrlos erlernen können. Diese Techniken, etwa das Beschichten von Japanpapier mit Gelatine und das Schließen von Einrissen oder die Behandlung von mit Eisengallustinte beschriftetem Papier mit einer Calciumphytat-Lösung, die dem Abbauprozess des Papiers entgegenwirken soll, werden dann an Originalen angewendet. Der Studiengang gewährte RESTAURO jüngst einen Einblick in aktuelle Restaurierungsprojekte. In Stuttgart versteht man sich auch als Anlaufstelle für sehr komplizierte und zeitaufwendige Fälle, bei denen die Studierenden besonders viel lernen können. Dabei geschieht ihre Arbeit immer im Austausch mit den Besitzern der Werke. Auch ergibt sich dabei die Aufgabe, die Qualität früherer Eingriffe hinsichtlich ihrer historischen Bedeutung zu beurteilen. Momentan sind die Studierenden in verschiedene Forschungsprojekte involviert, die das gesamte Spektrum der in Frage kommenden Objektgattungen abdecken. Den Anfang macht Karen Köhler. Sie kümmert sich um eine detailreiche, aquarellierte Federzeichnung von Johann Heinrich Roos, eine Vorzeichnung für ein Gemälde. Die Zeichnung wurde früher auf Pappe geklebt, und genau da liegt das Problem: der unpassende Klebstoff ist erheblich gealtert, und die Zeichnung liegt durch die Montierung auf Pappe zu flach gepresst. Mithilfe von Infrarot- und UV-Strahlung lassen sich nicht nur fast verblichene Inschriften wieder lesen, sondern auch die zeichnerischen Techniken des Künstlers erforschen. Köhlers zweites Projekt gilt einer indonesischen Schattenspielfigur aus dem frühen 20. 3/2020

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1 Ullam os eui Facipsustio si Dolorpercing Dolortin feu Vullut- rat Dolorpercier lan eummolortion Adigniscipisamincip pis DoloremRionsequam que nossum rempore exeriae

Jahrhundert. Zunächst werden die Farbpartikel auf der bemalten Seite der Figur von ihr mit dem Pinsel gefestigt. In einem zweiten Arbeitsschritt verteilt sie mithilfe eines Aerosolgenerators eine wässrige, niedrigkonzentrierte Gelatinelösung behutsam auf der Oberfläche der Malerei. Die im Privatbesitz befindliche Figur ist aus Pergament gefertigt und reagiert stark auf Feuchtigkeitsschwankungen, wodurch die Abplatzungen in der Malerei hervorgerufen worden sind. Vor Lisa Behrens liegt ein großformatiges Plakat, das ein Gastspiel des Orchesters des saarländischen Rundfunks in Montpellier ankündigt. Es ist noch nicht einmal 50 Jahre alt, aber man erkennt deutlich viele Alterungsspuren. Das liegt unter anderem daran, dass es immer ungerahmt im Wohnzimmer der Besitzer an der Wand hing. Es weist daher Kaffeeflecken, Spuren von Kerzenwachs, Einrisse, Fehlstellen, provisorische Reparaturen durch Selbstklebestreifen und eine erhebliche Verbräunung auf. Da das Plakat für den Besitzer aber einen hohen emotionalen Wert besitzt, soll es nun restauriert und damit in gepflegt konserviertem Zustand präsentierbar werden. Außerdem beschäftigt sich Behrens mit einem restaurierungsbedürftigen Buch aus dem späten 17. Jahrhundert. Anspruchsvoll, aber auch restauratorisch reizvoll ist die Materialkombination von Papier, Leder und Metall. Da sich die Seiten der protestantischen Predigtsammlung in einem guten Zustand befinden und das Papier chemisch stabil ist, kann sie sich auf den defekten Einband konzentrieren. Über den hohlen Rücken konnten gelöste Lagen wieder in Position gebracht werden. Fehlstellen im Leder werden durch

1 Lisa Behrens B. A begutachtet mit der Leiterin des Studiengangs, Prof. Dr. Irene Brückle ein Konzertplakat von 1971, ein Gastspiel des Orchesters des saarländischen Rundfunks in Montpellier 2 Prof. Dr. Irene Brückle spricht mit Karen Köhler über die anstehende Restaurierungsmaßnahmen der Zeichnung von Johann Heinrich Roos

ABSTRACT Visiting Stuttgart The course of studies Conservation and Restoration of works of art on paper, archival- and library holdings of the State Academy of Fine Arts Stuttgart gave RESTAURO an insight into current restoration projects. A visit to the studio.

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PAPIERRESTAURIERUNG

Mengenlehre studieren Die erste Akademische Lehrwerkstatt für Papierrestaurierung in Deutschland eröffnete in Weimar. Sie ist eine Kooperation zwischen der Anna Amalia Bibliothek und der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim

Foto:

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PAPIERRESTAURIERUNG

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Filzlatschen an und losgeschlittert – so einfach ist ein Besuch der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar nicht. Es bedarf vielmehr größerer Vorbereitungen, um den Rokokosaal der Bibliothek zu besichtigen, sind doch die täglich verfügbaren 250 Eintrittskarten über Wochen im Voraus ausgebucht. Der Lohn für langfristige Planung ist der Besuch eines kleinen, aber architektonisch sehr harmonischen Rokoko-Bibliothekssaals mit großer Geschichte – nicht nur weil Goethe einer der Direktoren war. Die auf die Literatur- und Kulturgeschichte von 1750-1850 spezialisierte Sammlung umfasst die Bibliotheken von Franz Liszt, Friedrich Nietzsche, der Familie von Arnim und viele Spezialsammlungen mit Primär- und Sekundärliteratur zu Themen wie dem Nibelungenlied oder zu Märchen, ebenso wie Almanache und Taschenbücher der Aufklärung, Klassik und Romantik, um nur einige zu nennen. Seit 1998 steht die Bibliothek – gemeinsam mit den Bauten des Klassischen Weimar – auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes. Daran hat auch der Brand des Dachstuhls und des dritten Obergeschosses am Abend des 2. September 2004 nichts geändert. Das Interesse am Besuch des Rokokosaals der Bibliothek ist sogar deutlich gestiegen. Besichtigten vor dem Brand jährlich etwa 13.000 Interessierte den Saal, in dem 50.000 von 196.000 ausgestellten Büchern verbrannten und 118.000 beschädigt wurden, sind es seit seiner Restaurierung und Wiedereröffnung 2007 jährlich zwischen 80.000 und 90.000. 2019 waren es sogar 93.785, obwohl in den Regalen große Lücken klaffen und das einheitliche Bild einer historischen Büchersammlung durch moderne, neutral-graue Einbände und Einbandkästen deutlich gestört ist. Aber vielleicht ist es weniger Sensationslust als Bewunderung für die Leistungen der Restauratoren, die die Besucherströme lenkt. Von ihrer Arbeit können sich Besucher auch in der Dauerausstellung „Restaurieren nach dem Brand“ im Eingangsbereich ein Bild machen. Die Ausstellung wurde 2014 gemeinsam mit dem Studiengang Konservierung und Restaurierung der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen (HAWK) entwickelt. War schon das eine seltene Zusammenarbeit zwischen einer Hochschule und einer Kulturstiftung, so ist die seit Sommer 2019 bestehende Akademische Lehrwerkstatt für Studenten der Papierrestaurierung der HAWK einmalig in Deutschland. Die Akademische Lehrwerkstatt ist an die Restaurierungswerkstatt für brandgeschä3/2020

1 Feuergeschädigte Buchfragmente, auch Aschebücher genannt, werden in der seit 2019 bestehenden Akademischen Lehrwerkstatt für Studenten der Papierrestaurierung der HAWK bearbeitet. Eine Studentin führt hier die Qualitätskontrolle nach dem Anfasern und Stabilisieren der Blätter durch

ABSTRACT Study set theory The first Academic Training Workshop for Paper Conservation in Germany opened in Weimar. It is a cooperation between the Anna Amalia Library and the University of Applied Sciences and Arts Hildesheim.

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PAPIERRESTAURIERUNG

Die Behandlung der Papiere in der Druckerei und der Buchbinderei im 18. und 19. Jahrhundert Wer sich eingehender mit der deutschsprachigen Buchbinder-Fachliteratur von ihren Anfängen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts beschäftigt, dem wird bald auffallen, dass die Aufzählung der Arbeitsschritte überwiegend mit dem ‚Planieren‘ beginnt. Der Artikel will erklären, was ‚planieren‘ eigentlich bedeutet, aber darüber hinaus stellt er einen kausalen Zusammenhang her zwischen der Behandlung der Papiere in der Druckerei und später in der Buchbinderei. Weiterhin ist es für das Verständnis der sehr speziellen Arbeitsgänge erforderlich, die am Ende des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts relevanten Entwicklungen in der Papierherstellung mit einzubeziehen

Im Hintergrund werden die geleimten Bögen mit dem Planierkreuz zum Trocknen aufgehängt. Rechts: das 'Schlagen der gefalzten Bögen' mit dem 'Planierhammer'

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Planieren: was heißt das? Spricht man vom ‚planieren‘, denkt man an das Einebnen, oder Glätten einer rauen, unebenen Fläche. Das ist allerdings in der Buchbinder-Sprache nicht damit gemeint, denn das Glätten der Papiere war einer der nachfolgenden Arbeitsgänge, und geschah traditionell durch das ‚Schlagen mit dem Planier-‘ oder ‚Schlaghammer‘ (Abb.). Pierer’s Universal-Lexikon1 beschreibt das Planieren wie folgt: „planiren geschieht bei Büchern von Druckpapier; die einzelnen Bogen werden erst ausgebreitet u. ausgestrichen, dann werden 4 – 5 zugleich durch Leimwasser (‚Planirwasser‘) gezogen, welches aus Hornleim u.

Was sagt die Buchbinder - Fachliteratur zum Planieren? Zeidler3 erläutert gleich zu Anfang seines Fachbuches das ‚Steiffen oder Planiren‘ und gibt gleichzeitig eine sehr drastische Erklärung zu dem Begriff ‚planiren‘ an sich: „Gleichwie das alberne Latein / oder die Bettelsprache sich in alle Künste / die mit Büchern umbgehen / eingeflickt / also hat auch diese Arbeit / davon wir itzo handeln / einen Lateinischen / doch gantz ungeschickten Nahmen bekommen. Planiren heisset so viel als gleich und eben machen / also daß die auswendige Fläche eines dinges an einem ort nicht höher oder tieffer / als am andern sey / oder daß es keine Hügel oder Puckeln habe. Wenn man aber ins gemein vom Planiren sagt / so verstehet man durch dieses Wort die Arbeit / da die gedruckten Bogen durch Leim= und Allaunwasser gezogen / und widerumb getrocknet werden / wodurch das Papier nicht ebener noch gleicher als zuvor wird / indem dadurch keine Puckeln vertrieben / ja noch wohl neue Ungleichheiten gemacht 3/2020

Foto: Untere Hälfte des Titelkupfers aus Christoph Ernst Prediger: Buchbinder und Futteralmacher, 2. Teil. Ansbach, Frankfurt und Leipzig 1751 (79 x 75 mm)

Alaun bereitet ist, die geleimten Bogen lässt man etwas ablaufen, drückt sie dann in einer gewöhnlichen großen Buchbinderpresse (Planierpresse) noch mehr aus und trocknet sie, indem man sie im Sommer auf einem luftigen Boden, im Winter in einer geheizten Stube auf Haarschnüren aufhängt (Abb.). Durch das P. wird das Papier steifer u. glätter u. man kann auch darauf schreiben.“ J. G. Krünitz2 erklärt den Begriff etwas anders: „planieren, ein Zeitwort, welches nur bei den Buchbindern üblich ist. Druckpapier durch ein mit Alaun gesottenes Leimwasser ziehen, um ihm dadurch mehr Festigkeit zu geben. Ein Buch planieren. Woher dieses Wort diese Bedeutung bekommen habe läßt sich nicht bestimmen.“


PAPIERRESTAURIERUNG

werden / sondern es ist alles darumb zu thun / daß das weiche Papier hart und steiff werde. 2. So ist nun Planiren nichts anders / als weiche und durchschlagende Bogen Papier durch Leim= und Allaunwasser ziehen / auspressen / auffhengen und trocknen / daß sie hart und steiff werden / alss daß sie nicht so leichte zerreissen / in der feuchten Lufft auffquellen und sich verwerffen / und die Dinte nicht durchschlage / sondern man drauff schreiben könne.“ Prediger4 nennt ebenfalls in der ihm eigenen weitläufigen Schreibweise das Planieren, „ eine mühsame und verdrießliche Arbeit!“ Außerdem bemerkt er, „dass die lutherischen und reformierten Buchbinder „… vor ihre viele Mühe und Zeit = Verlust, ja so gar vor ihr baar ausgelegtes Geld zum Leim = Leder, Alaun und Holz, keinen Danck bekommen, da im Gegentheil an Catholischen Orten, wann ein Buch soll planirt werden, man es nach Gebühr, wie obgemeldet, auch besonders bezahlen muß: Bleibt es also ganz natürlich darbey, daß ein Buchbinder an Catholischen viel ehender, als an Evangelischen Reformierten Orten / zu etwas kommen kan.“ In der ‚Anweisung zur Buchbinderkunst‘5 wird auch auf die unterschiedliche Bezahlung des Planierens in katholischen und evangelischen Gegenden hingewiesen. In seiner Vorrede erweist der anonyme Verfasser dem ‚Kunsterfahrnen Christoph Ernst Prediger in Anspach‘ seine Referenz, er kannte also Prediger’s Fachbuch, und hat vielleicht einige Informationen von ihm übernommen; ferner richtet sich die Veröffentlichung auch an ‚Hobbybuchbinder‘ – ein Leserkreis, der bei manchen Fachbüchern ausgeschlossen wird: „ mancher Gelehrter wünschet sich zu seinem Vergnügen nur planiren, falzen und etwas heften zu können,…“.6 Nach Prechtl ist dieser Arbeitsschritt weni-

ger im Zusammenhang mit der überwiegenden Konfession der Region zu sehen, in der sich die Buchbinderei befindet, als mit ihrer geographischen Lage (Norden – Süden): „Das Planiren ist die erste Arbeit des Buchbinders. Sie kann jedoch nur bei Büchern auf Druckpapier Statt finden, und besteht darin, daß die Bogen, gleichsam nachträglich, geleimt und in Schreibpapier verwandelt werden. Der Buchbinder verfährt dabei fast eben so wie der Papiermacher, indem er die Bogen durch erwärmtes dünnes, mit Alaun versetztes Leimwasser zieht, und sodann zum Trocknen aufhängt. Geringere Fertigkeit und ein beschränktes Lokal geben meistens einen nicht ganz günstigen Erfolg dieser Arbeit; viele Bogen werden eingerissen und müssen gekleistert werden; der Leim macht das ohnedieß meistens graue Druckpapier dunkler und unansehnlicher. Das Planiren ist daher keineswegs allgemein üblich, z. B. im südlichen Deutschland ziemlich selten, und aus den eben berührten Gründen nicht sehr zu empfehlen.“7 ‚Planieren‘ im Spiegel der Fachliteratur des 18. bis 20. Jahrhunderts: eine Statistik Von den Titeln, die mir zur Verfügung standen und die ich ausgewertet habe, beginnen etwas mehr als die Hälfte (57 %) mit der Beschreibung vom Planieren als ersten Arbeitsgang, die restlichen 43 % erwähnen diesen Arbeitsgang nicht. Um 1900 gibt es eine Zäsur, und ab 1910 entfällt der Arbeitsgang offensichtlich ganz. Es ist auffallend, dass in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die englische und französische Literatur (in deutscher Übersetzung) darauf verweist, dass die dort verwendeten Papiere nicht planiert werden müssen.8 (Vermutlich ist das als ein indirekter Hinweis auf die in Deutschland übliche, davon abweichende Verfahrensweise zu werten.) Thon9 hebt deutlich die nationalen Unterschiede bei den Papierqualitäten hervor:

1

Pierer‘s Universal-Lexikon der Vergangenheit und Gegenwart, Bd. 13 1861, S. 182

2

Johann Georg Krünitz: Oekonomische Encyklopädie, 1773 – 1858

3

Johann Gottfried Zeidler: Buchbinder = Philosophie Halle 1708, S. 21 ff

4

Christoph Ernst Prediger: Buchbinder= und Futteralmacher Anspach 1753, Bd. 4 S. 1 ff

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Anonym: Anweisung zur Buchbinderkunst. Leipzig 1762, S. 11

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Der anonyme Verfasser ist mit Sicherheit kein professioneller Buchbinder; das geht aus seiner Vorrede hervor,

ABSTRACT The treatment of the papers in the printing plant and of bookbinding in the 18th and 19th century Anyone who wants to delve deeper into the German-language bookbinding literature from its beginnings to the end of the 19th century, will soon become apparent that the enumeration of the work steps predominantly begins with 'levelling'. The article wants to explain what 'planing' actually means but beyond that, it establishes a causal link between the treatment of the papers in the printing shop and later in the bookbinding department. Furthermore it is for the understanding of the very specific operations which are required from the end of the 18th to the middle of the 19. century that are relevant developments in paper production.

und gerade das Planieren wäre für einen Amateur extrem schwierig, wenn nicht auf Grund der fehlenden Hilfsmittel völlig unmöglich.

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SCHÄDLINGSBEKÄMPFUNG

„Das Papierfischchen ist ein Urinsekt, das vor über 100 Jahren aus seinem natürlichen Habitat in den Norden verschleppt wurde“ Die Biologen Martin Khaschei und Roy Bernthsen forschen im Auftrag der Nürnberger Schädlingsbekämpfungs-Spezialisten APC an Möglichkeiten, die Ausbreitung der Papierfischchen einzudämmen. Die beiden Experten raten zu einfachen, aber effektiven Maßnahmen. Diese beginnen oft schon beim Transport

ABSTRACT "Paper fish a urine insect that over 100 years ago from its natural habitat to the north was abducted" Paper fish are particularly fond of sitting in boxes. The experts at the pest control specialists APC therefore recommend a very simple but effective measure: dispose of cartons from mail order companies quickly, use plastic boxes for internal transport and quarantine any items on loan that arrive in the carton.

wurden berichtet, das das Fischchen vorzugsweise im Dunklen fristet. Und darin liegt eines der zentralen Probleme, wenn sich Papierfischchen in Lagerstätten von wertvollen Kunstgegenständen eingeschlichen haben. Sie wirken praktisch im Verborgenen, sind – anders als beispielsweise Motten oder Holzwürmer – in keiner Phase ihres Lebenszyklus auffällig sichtbar. Auf einen Befall weisen oftmals nur Reste ihrer abgelegten Häute hin, oder aber die Schäden, die sie verursacht haben. Papierfischchen, eigentlich beheimatet in Laubhäufen des südlichen Afrika, und über Frachtschiffe nach Europa gelangt, ernähren sich von Zellulose – in Form von Laub, aber eben auch von Papier. „Dieses tragen sie im Schabeabfraß Schicht um Schicht ab“, erklärt Bernthsen, „ähnlich wie bei einem Radiergummi, der immer wieder die gleiche Stelle bearbeitet, bis sie irgendwann durchgescheuert ist und ein Loch entsteht.“ Spätestens dann ist an historischen Dokumenten, Graphik, Ölskizzen auf Karton oder Büchern ein irreparabler Schaden entstanden. Bei letzteren lockt die Fischchen auch der Knochenleim der Bindung – er enthält die Proteine, die die Weibchen zur Zeit der Eiablage benötigen, weiß Martin Khaschei. Bill Landsberger, In-

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Foto: APC, Nürnberg

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Martin Khaschei und Roy Bernthsen sind gestandene Biologen. Dabei misst das Tier, für das sich beide ziemlich begeistern können, ausgewachsen gerade einmal 12 bis 18 mm. Beide forschen an Möglichkeiten, die Ausbreitung des Papierfischchens eindämmen zu können, nicht ohne deshalb die Faszination für dieses ca. 300 Millionen Jahre alte Insekt verloren zu haben. „Mich beeindruckt, wie gut dieses Tier Hindernisse überwinden und auch Distanzen zurücklegen kann“, bekennt Bernthsen, der ebenso wie sein Kollege Khaschei im Auftrag des Schädlingsbekämpfungs-Spezialisten APC Archive, Museumsdepots und Bibliotheken in Nord- und Westdeutschland beim Kampf gegen den winzigen Papierfresser unterstützt. Tatsächlich geht das Papierfischchen auf eine Phase der Erdgeschichte zurück, in der Insekten noch keine Flügel hatten. „Es durchläuft auch keine Metamorphose“, erklärt Martin Khaschei, „hat viele Larvenstadien, die vom Erscheinungsbild dem geschlechtsreifen Adulttier gleichen und keine Verpuppung.“ Stattdessen häutet sich das Fischchen im Lauf seines Wachstums an die 14-mal bis zur Geschlechtsreife. Und es kann ein ganz schön langes Leben haben: „bis zu Sieben Jahre“, weiß Khaschei,

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SCHÄDLINGSBEKÄMPFUNG sektenforscher am zu den Staatlichen Museen Berlin gehörenden Rathgen-Forschungslabor, fand überdies heraus, dass Papierfischchen auch ein Faible für rote Farbpigmente haben und diese regelrecht von der Oberfläche alter Miniaturen „wegradieren“. Beizukommen ist Papierfischchen vor allem durch sorgsames Monitoring, mit dem Ziel bereits minimalen Befall frühzeitig aufdecken zu können. Denn anders als bei ihren Verwandten, den Silberfischchen, die vor allem in einem eher feuchten Umfeld auftreten, hilft „Trockenlegen“ nicht ausreichend genug: Papierfischchen können in einem wesentlich trockeneren Raumklima gut bestehen. Eine Luftfeuchtigkeit von etwa 50 Prozent reicht ihnen völlig aus – sie spüren minimale Kondenswassertröpfchen auf oder nehmen das Wasser durch die Luft mit dem Abdomen auf, erklärt Roy Bernthsen (APC). „Uns ist wichtig, die Biologie dieser Tierchen genau zu verstehen. Denn nur so können wir effektiv gegen sie vorgehen.“ Je überschaubarer der Befall, desto besser kann er eingedämmt werden: Beispielsweise in dem, gerade in für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen Bereichen, Ritzen und Mauerkanten mit Diatomeenerde ausgestreut werden, einem Pulver aus fossilen Kieselalgen, das stark austrocknende Wirkung besitzt, und für Papierfischchen als „Naturmittel“ eine biozide Wirkung besitzt. Sind Bestände bereits stärker befallen, schafft das „Tiefgefrieren“ bei minus 20 Grad Celsius oder eine gezielte Fraßgelbehandlung (Insektizid) Abhilfe. Bereits seit 20 Jahren beschäftigt sich das Kompetenzzentrum für Schädlinge und Wildtiere (KAD) im niederländischen Wageningen mit der Erforschung von Papierfischchen, aus einem simplen Grund: In den Niederlanden sind die Schädlinge bereits um einiges verbreiteter als im deutschen Sprachraum, wo 3

sie allerdings längst ebenfalls auf dem Vormarsch sind. Im KAD gibt es sogar ein nachgebautes Wohnzimmer, das illustriert, an welchen Stellen sich die Papier vernichtenden Urinsekten besonders gerne aufhalten. Dieses Wissen ist wertvoll, und lässt sich in vielen Fällen auch auf die Situation in Museen, Bibliotheken und Archiven übertragen. Dort lässt sich mit vorbeugenden Maßnahmen, die genau auf die jeweiligen Abläufe abgestimmt sind, bereits eine Menge bewirken, weiß Martin Khaschei durch Gespräche mit vielen Restauratoren: „Wenn Leihgaben aus anderen Häusern kommen, sind sie gern in Kartons verpackt. Im Karton wird bestelltes Büromaterial geliefert, im Karton wandern Objekte zum Restaurator im Haus. Der packt sie aus, restauriert sie, transportiert sie – wiederum im Karton – zurück. Das Problem ist: In Kartons sitzen Papierfischchen besonders gerne; sind in den internen Abläufen viele Kartons im Spiel, verteilt man die Papierfischchen überall.“ Deshalb raten die APC-Experten unter anderem zu einer sehr einfachen, aber effektiven Maßnahme: Kartons aus dem Versandhandel rasch entsorgen, für interne Transporte eher auf Plastikboxen setzen, und Leihgaben, die im Karton eintreffen, erst einmal eine Quarantäne verordnen, beispielsweise in einer Kühlkammer. Denn sowohl Khaschei wie auch seinem Kollegen Roy Bernthsen geht es nicht unbedingt darum, Papierfischchen restlos auszurotten: „Das ist ein Urinsekt, das vor über 100 Jahren aus seinem natürlichen Habitat in den Norden verschleppt wurde – eigentlich möchten wir, dass es sich in seiner ursprünglichen Heimat wohlfühlt und nicht auf Reisen in unsere Museen und Bibliotheken geht.“

1 Als Urinsekt exisitert das Papierfischchen schon seit über 300 Millionen Jahren und reicht damit bis in die „Steinkohlenzeit“ des Karbon zurück 2 Die Fraßschäden, die diese flügellosen Insekten verursachen, gleichen denen durch zu kräftiges Radieren: Das Material wird Schicht für Schicht abgeschabt, bis schließlich ein Loch entsteht 3 Außerdem sind Papierfischchen echte Überlebenskünstler: Ihnen genügt eine Luftfeuchtigkeit von rund 50 Prozent, weil sie das Wasser aus der Luft mit dem Abdomen aufnehmen können 4 Sie agieren im Verborgenen, zwängen sich durch schmalste Ritzen, legen in Relation zu ihrer Größe immense Distanzen zurück. Diese Fähigkeiten machen das Papierfischchen zu einem erstaunlichen – und für Museen wie Bibliotheken gefährlichen – Tier

Dr. Claudia Teibler 4

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Die Gothaer Bilder sind zurück Vierzig Jahre nach dem Diebstahl aus Schloss Friedenstein in Gotha sind die fünf Gemälde jetzt zurückgekehrt – wo sie waren, weiß bis heute niemand

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Foto:Rathgen-Forschungslabor, Staatliche Museen zu Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz

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Schweigen, verhandeln, hoffen, schweigen. Mit dieser Taktik gelang es dem Oberbürgermeister von Gotha, vier 1979 aus dem Museum Schloss Friedenstein gestohlene Gemälde zurückzubekommen. So jedenfalls hat Knut Kreuch die Zeit seit Juli 2018 erlebt. Damals waren dem Oberbürgermeister von einem Anwalt anonymer Personen Fotos von fünf Bildern gezeigt worden, die Kreuch sofort wiedererkannte. Denn es waren die „Heilige Katharina“ von Hans Holbein d. Ä. aus dem Jahr 1510, die „Landstraße mit Bauernwagen und Kühen“ von 1610 aus der Werkstatt von Jan Brueghel d. Ä., das „Brustbild eines unbekannten Herren mit Hut und Handschuhen“ von Frans Hals, entstanden 1535, die frühe Kopie des van Dyckschen „Selbstbildnis mit Sonnenblume“ (nach 1633) und ein „Bildnis eines alten Mannes“ aus der RembrandtWerkstatt, das nach 1632 entstanden ist. In Gotha gehören diese Bilder zu den bekanntesten und bedeutendsten, obwohl sie vor 40 Jahren, in der Nacht zum 14. Dezember 1979, aus dem Museum gestohlen wurden und seitdem unauffindbar waren. Kreuch bezeichnete den Verlust der Gemälde als „Trauma von Gotha“. Umso größer sei sein Erstaunen gewesen, als er Fotos der Bilder vorgelegt bekommen habe, so Kreuch auf einer Pressekonferenz Mitte Januar, auf der die wiedergewonnenen Bilder erstmals der Öffentlichkeit präsentiert wurden. Zuvor allerdings verging fast ein Jahr, in dem Kreuch im Geheimen weiter verhandelte. Im Laufe dieser Verhandlungen mit einem Anwalt stimmte Bürgermeister Kreuch einem Ankauf des Bilder zu. „Das war leicht, weil wir dafür sowieso kein Geld gehabt hätten“, erzählte Kreuch. Allerdings habe er eine Bedingung gestellt: Er wollte alle Bilder auf einmal bekommen, um ihre Echtheit prüfen zu lassen. Das war hoch gepokert. Zwischenzeitlich zog Kreuch Martin Hoernes, Generalsekretär der Ernst von Siemens Kunststiftung und Anwältin Friederike Gräfin von Brühl ins Vertrauen. Die drei zusammen verhandelten weiter. Und schwiegen weiter. 3/2020

Die erste vereinbarte Übergabe klappte nicht. Die zweite auch nicht. Doch am 30. September 2019 – mehr als ein Jahr nachdem er zum ersten Mal Fotos der Bilder gesehen hatte – fuhr ein Kleinbus auf den Hof des Rathgen-Forschungslabors in Berlin und lud fünf Pakete aus, erzählt Kurt Kreuch. In ihnen war das Diebesgut aus Gotha – „in einem relativ guten Zustand“, wie Stefan Simon, Direktor des Rathgen-Forschungslabors der Staatlichen Museen zu Berlin sagt. In Simons Labors wurden die Gemälde drei Monate auf ihre Echtheit untersucht. Selten wird in Pressekonferenzen zu Kunstthemen von Helden gesprochen. Es gibt Sponsoren und edle Spender, große Künstler und geistreiche Kunsthistoriker. Bürgermeister kommen selten vor, schon gar nicht als Helden. Doch letztendlich war es der Umsicht und dem diplomatischen Geschick des Gothaer Bürgermeisters zu verdanken, dass die Gemälde von einem bis heute unbekannten Ort und von anonym gebliebenen Besitzern nach Gotha zurückkehren können. Und zwar ohne dass Geld bezahlt wurde. Auch kein Finderlohn. Ursprünglich waren mehrere Millionen gefordert worden. „Wir haben eine Abschlussvereinbarung ohne finanzielle Gegenleistung erreicht“, sagte Friederike Gräfin von Brühl. Für die Juristin sei dieser Ausgang anfangs nicht absehbar gewesen. Denn nach dem deutschen Verjährungsrecht war die Position der Stadt Gotha, obwohl sie Eigentümer der gestohlenen Bilder war, „geschwächt“, wie es von Brühl vornehm ausdrückte. Um überhaupt wieder in den Besitz der Bilder zu kommen, mussten sie freiwillig herausgegeben werden. Das habe der Bürgermeister durch seine „diplomatische Meisterleistung“ erreicht. Aus juristischer Sicht habe der Bürgermeister das getan, „was faktisch geboten und rechtlich erlaubt“ sei, sagte von Brühl mit Hinweis auf kritische Stimmen zu diesem Vorgehen. Nach der Abgabe der Werke im RathgenForschungslabor wurden sie dort zwischen Oktober und Dezember 2019 untersucht und mit vorhandenem Material verglichen. Zum

1 Digitalmikroskopische Untersuchung der Gemäldeoberfläche des Frans-Hals-Bildes

ABSTRACT The Gothaer pictures are back Forty years after the theft from Schloss Friedenstein in Gotha, have the five paintings now been returned – where they were, nobody knows until today.

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Gemischte Aufstellung Die Gemäldegalerie Alte Meister am Dresdener Zwinger eröffnet nach siebenjähriger Sanierung mit einem neuen Ausstellungskonzept

Die Zeit der Provisorien und Beschränkungen ist vorbei. Ab 29. Februar sind Raffael und Bellotto, Rubens, Rembrandt, Liotard und viele andere zurück in der Galerie Alte Meister im Semperbau am Dresdener Zwinger. Zwar sind nicht alle Gemälde an ihren alten Platz zurückgekehrt, doch die wichtigsten 700 sind nach siebenjähriger technischer Sanierung nun wieder in Dresden zu sehen. Auch wenn die Modernisierungen beachtlich sind, für die Besucher wird die neue Brandschutz-, Sicherheits- und Klimatechnik sowie ein neues Lichtsystem weitgehend unsichtbar bleiben. Denn es war Gemäldegaleriedirektor Stephan Koja wichtig, dass nichts „technoid“ wirkt. Koja will einen „festlichen Auftritt“ der Galerie inszenieren, will elegante Räume und kluge Gegenüberstellungen von Malerei und Skulptur. Werden doch neben den 700 Gemälden jetzt auch 54

450 Skulpturen aus der Zeit bis 1800 in der Gemäldegalerie gezeigt. Die Osthalle versammelt die Antiken, im Skulpturengang sind Werke der Renaissance und des Barock zu sehen. Ein Großteil der Skulpturen zog jedoch direkt zu den Bildern, denn Stephan Koja will Beziehungen deutlich und Vergleiche möglich machen. Das passiere weder dekorativ noch vorsätzlich assoziativ, sondern kunsthistorisch äußerst planvoll. Deshalb stehe beispielsweise das „Köpfchen eines greinenden Knaben“ des niederländischen Bildhauers und Architekten Hendrick de Keyser neben Rembrandts „Ganymed in den Fängen des Adlers“. Die Ähnlichkeit der beiden Kindergesichter ist groß, für Stephan Koja aber nicht überraschend. Schließlich war es um 1700 üblich, nach Skulpturen zu malen. Außerdem waren de Keyser und Rembrandt befreundet. Der Reichtum der Dresde-

1-3 Blick in die Ausstellung Italienische Malerei 14. bis 17. Jahrhundert und in das Pastell-Kabinett. Direktor Stephan Koja gelingt der Wechsel zwischen dichter und lockerer Aufstellung und Hängung vor starkfarbigen Wänden

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Fotos: © Staatliche Kunstsammlungen Dresden / H.C. Krass (1,2); © SKD / David Pinzer

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ner Sammlung macht auch direkte Beziehungen zwischen Malerei und Skulptur sichtbar. So zeichnete Peter Paul Rubens in der Sammlung Chigi in Rom die antike Skulptur eines trunkenen Selen. Anthonis van Dyck verwendet diese Zeichnung als Vorlage für sein Gemälde des „Trunkenen Selen“. Beide Werke gehören heute zu den Dresdener Sammlungen und werden jetzt gemeinsam gezeigt. Während es in den sanierten Sälen ein Wiedersehen mit den Gemälden geben wird, waren die meisten der 450 Skulpturen in den vergangenen Jahren nicht zu sehen. Ein Teil stand zwar seit der Flut 2002 im provisorischen Schaudepot im Albertinum und war als Skulpturen-Gedränge durchaus reizvoll. Doch eine Einzelwerkbetrachtung ermöglichte diese Not-Aufstellung nicht. Das gilt auch für die überaus beliebten Dresdener Bellottos. Sie sind jetzt in Augenhöhe aufgehängt, so dass die Betrachter Teil des Geschehens vor der Frauenkirche, auf dem Altmarkt und im Zwingerhof werden können. Das neue Ausstellungskonzept erlaubt es, 21 Veduten von Bellotto zu zeigen – so viele wie noch nie in Dresden. Auch wenn sich vieles verändert hat, Raffaels „Sixtinische Madonna“ hängt wie immer 3/2020

an der Ostwand des Ostflügels. Auch das traditionelle Übereinanderhängen von Bildern, das Stephan Koja nicht Petersburger sondern „Dresdener Hängung“ nennen möchte, ist erhalten geblieben. Und Koja inszeniert einen schönen Wechsel dichter und lockerer Aufstellung und Hängung vor nun starkfarbigen Wänden: Rot für die italienischen Gemälde, blau für die Franzosen und Spanier und grün für die Niederländer und Deutschen, die alle wieder ganz traditionell nach Schulen geordnet wurden. Nicht alles ist komplett geglückt, an manchen Stellen bedrängen die Skulpturen die Gemälde, an anderen ist die Hängung allzu dicht, wie etwa bei Jean-Étienne Liotards „Schokoladenmädchen“, das sich zwischen vielen französischen Porträts geradezu behaupten muss. Das kann man von den riesigen, jeweils vier Meter langen Gemälden des Cuccina-Zyklus von Paolo Veronese ganz sicher nicht sagen. Die vier Werke hängen repräsentativ im Ostflügel und gehören mit ihren strahlenden Farben zu den mehr als 20 in den Jahren der Galerie-Schließung restaurierten Werken. Zu denen zählt neben Heiligenfiguren, Mumienporträts und barocken Galerierahmen auch Vermeers „Brieflesendes Mädchen am offe-

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ABSTRACT Mixed installation The Old Masters Picture Gallery at the Dresden Zwinger opens after seven years of renovation with a new exhibition concept.

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