Magazin zur Erhaltung des Kulturerbes
NO 5 2020
Ein neues Pantheon für Paris Tadao Ando übernahm die museumsgerechte Transformation BILDERRAHMEN Bilder und Rahmen der Brücke-Künstler
PAPIERRESTAURIERUNG RENAISSANCEMALEREI Erkenntnisse zum Thema Kupferfraß Zum 500. Todestag des an Kulturgut aus Papier meisterhaften Malers Raffael
INHALT
Das neue Depot des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg reicht tief in die Erde hinein
MVRDV gewann den Wettbewerb für das neue Depot des Rotterdamer Museums Boijmans van Beuningen
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Tiefdepot mit Technikzentrale Oliver Mack, Leiter des Instituts für Kunsttechnik und Konservierung (IKK) über das neue Tiefdepot des Germanischen Nationalmuseums (Nürnberg)
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Renaissance für die Moderne Nach umfassenden Restaurierungen eröffnete die Albertina modern im Wiener Künstlerhaus
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Hasso Plattners neuester Coup Die Stiftung des SAP-Aufsichtsrats saniert das Terrassenrestaurant „Minsk“ und baut es zu einem Museum für Kunst aus Ostdeutschland um
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Ein Depot als kommerzielle Einnahmequelle? Das Rotterdamer Museum Boijmans Van Beuningen baut ein multifunktionales Kunstdepot – konzipiert als Verlängerung der bestehenden Ausstellungsflächen
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Ein Haus für die Gegenwartskunst Nach fast 50 Jahren wird nun das Ausstellungshaus des Verleger Gerhard Steidl gebaut: Wie das Kunsthaus Göttingen entstand
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Bauvorhaben in Planung Museumsneu- und Umbauten sind Corona-bedingt international verschoben – ein Überblick über laufende Projekte
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Crowd Control Hilfestellung für Museen in Zeiten der Pandemie: Das innovative und elegante Personenleitsystem der Berliner Firma Molitor
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Historische Stoffe raffiniert beleuchtet Die Abegg-Stiftung in Riggisberg bei Bern präsentiert lichtempfindliche historische Stoffe in ungewöhnlicher Helligkeit: „Arabische Weber – Christliche Könige: Mittelalterliche Textilien aus Spanien“
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Ein neues Pantheon für Paris Die Eröffnung der Fondation Pinault verschiebt sich Corona-bedingt auf 2021. Die museumsgerechete Transformation stammt von Tadao Ando
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Rückkehr in den Alltag Welche Schutzmaßnahmen traf das Deutsche Museum in München für die Wiedereröffnung nach Corona?
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Das Jahrhundertprojekt Über die Sanierung des Deutschen Museums in München
PAPIERRESTAURIERUNG
Ein KEK-Modellprojekt lieferte interessante Erkenntnisse zum Thema Kupferfraß an Kulturgut aus Papier
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Kupferfraß an Papier Interessante Erkenntnisse zum Thema Kupferfraß an Kulturgut aus Papier lieferte ein KEK-Modellprojekt der Sächsischen Landesbibliothek – Staatsund Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) in Kooperation mit dem ZFB – Zentrum für Bucherhaltung Leipzig
DIGITALISIERUNG
Ungewöhnliche Helligkeit für lichtempfindliche historische Stoffe in der Abegg-Stiftung in Riggisberg
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Museen in Quarantäne Wie gingen Museen in der Zeit der COVID-19-bedingten Schließzeit mit Sammlungen und Publikum um?
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20 Prozent Technik und 80 Prozent Mensch Wie modern arbeiten deutsche Museen?
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Fotos: GNM /Florian Kutzer; MVRDV; © SLUB Dresden; Abbegg Stiftung
TITELTHEMA: MUSEUMSNEU- UND UMBAU
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Ein Quantensprung in der Wahrnehmung von Bild und Rahmen Seit über 30 Jahren beschäftigt sich Werner Murrer mit der Kunst des richtigen Rahmens. Seine neueste Publikation „Unzertrennlich. Rahmen und Bilder der Brücke-Künstler« gilt schon jetzt als unbestrittenes Standardwerk
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KUNSTSTÜCK Der Böttgersaal im Dresdener Zwinger ist neu gestaltet BLICKPUNKT Lehre in Zeiten der Krise: Das Institut für Konservierung und Restaurierung an der Angewandten in Wien im alternate.mode Zwischenstand: Die Ergebnisse der Umfrage des Verbands der Restauratoren (VDR) zur Situation der Restauratoren in der Corona-Krise BERUF: Ohne Kulturerhalt keine Kultur! Buchbesprechung: Raffael. Glaube. Liebe. Ruhm. TERMINE Veranstaltungen Impressum Vorschau
Kremer Aquarellkasten Blau
PORTRÄT Ina Birkenbeul, Dipl.-Rest. (FH), Leiterin der Restaurierungswerkstatt für gefasste Holzobjekte und Gemälde an der Hochschule für angewandte Kunst in Hildesheim/Göttingen/Holzminden
Foto: © Maxime Tétard / Courtesy Bourse de Commerce – Pinault Collection © Tadao Ando Architect & Associates, NeM / Niney & Marca Architectes, Agence Pierre-Antoine Gatier, Setec Bâtiment
Cover Die Eröffnung der Fondation Pinault in der Pariser Bourse de Commerce verschiebt sich Corona-bedingt auf das Frühjahr 2021. Ein RestauratorInnen-Team arbeitete mehrere Monate an dem Panoramafresko der Innenwand. Bei der museumsgerechten Transformation setzt Kunstsammler Pinault erneut auf den japanischen Star-Architekten Tadao Ando. Lesen Sie mehr dazu ab Seite 28.
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Tiefdepot mit Technikzentrale
Foto: GNM /Florian Kutzer
Das neue Tiefdepot im Großen Klosterhof des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg umfasst beachtliche 28.469 m³ Bruttorauminhalt und reicht über zwanzig Meter in die Erde hinein. Der spektakuläre Neubau wurde fünf Etagen tief in den Innenhof des Museums gebaut. Bis 2021 wird das Projekt fertig sein. RESTAURO sprach mit Oliver Mack M. A., Leiter des Instituts für Kunsttechnik und Konservierung (IKK)
Es ist das bisher größte Bauprojekt des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg in diesem Jahrhundert: der Neubau des Tiefdepots mit Technikzentrale im ehemaligen Hof des Kartäuserklosters. Dringend wurde es benötigt, denn seit Gründung des Museums im Jahr 1852, initiiert von Hans Freiherr von und zu Aufseß, ist der Sammlungsbestand mittlerweile auf mehr als 1,3 Millionen Objekte angewachsen. Damit ist das Germanische Nationalmuseum – es zählt zu den acht Forschungsmuseen der Leibniz-Forschungsgemeinschaft – nicht nur das größte kulturhistorische Museum des deutschen Sprachraums und zeigt großartige Sonder- und Dauerausstellungen, sondern auch eine Institution für kunstwissenschaftliche Forschungen. Baumaßnahmen gibt es am Germanischen Nationalmuseum eigentlich immer, weiß Oliver Mack M. A., Leiter des Instituts für Kunsttechnik und Konservierung (IKK), der mit seinem Team schon einige Projekte begleitet hat: „Unser Museum ist ein komplexes Konstrukt aus 27 verbundenen Bauteilen.“ Seit Ende 2017 wird nun das unterirdische Tiefdepot gebaut. Dieses ist Voraussetzung für die anstehenden weiteren Sanierungen am Gebäudebestand des Germanischen Nationalmuseums: Vor allem der Südwestbau bedarf einer Maßnahme. Doch kann damit erst begonnen werden, wenn zusätzliche Lagerflächen für die Objekte vorhanden sind. Wie es zum Bau des unterirdischen Tiefdepots und zu dieser besonderen Lage des Baugrundstücks kam, führt Oliver Mack aus: „2007 wurden im Rahmen einer Machbarkeitsstudie unterschiedliche Varianten geprüft. Damals entschied man, dass es – unter Abwägung aller Argumente – insgesamt sinnvoll und wirtschaftlich ist auf dem Museumsareal zu bauen. Dafür bot sich die Fläche unter dem Großen Klosterhof an. Das fünfstöckige Gebäude befindet sich unter der Erde. Weil man hier relativ nahe an der bestehenden Bebauung arbeitet, ergeben sich Herausforderungen, gerade was Set5/2020
zungen angeht.“ Deshalb wurde die ungewöhnliche sogenannte Deckelbauweise mit einer überschnittenen Bohrpfahlwand gewählt, bei der das Gebäude zunächst von oben nach unten entsteht. Der Entwurf dazu stammt von dem Münchner Architekturbüro Schmidt-Schicketanz und Partner. Rund vierzig Millionen Euro kostet das Tiefdepot. Insgesamt rund 3500 Quadratmeter Depotfläche wird es bereitstellen. Oberirdisch tritt es kaum in Erscheinung. Im ersten Untergeschoss liegt die Technikzentrale zur Versorgung des Depots, vor allem aber der umliegenden Gebäude. Die vier weiteren Untergeschosse sind für die Lagerung der Objekte und einige Arbeitsräume vorgesehen. An die Bestandsgebäude wird das Tiefdepot vor allem über Flure im ersten Untergeschoss des angrenzenden Ostbaus angeschlossen. Der Bau selbst reicht rund zwanzig Meter tief in den Boden und liegt elf Meter tief im Grundwasser. Schon lange vor Baubeginn, im Jahr 2012, gab es am Germanischen Nationalmuseum eine museumsinterne Arbeitsgruppe mit dem Baubeauftragten, Personal vom Technischen Büro und Restauratoren vom Institut für Kunsttechnik und Konservierung (IKK), die für das Depot einen Anforderungskatalog erarbeiteten. „Denn es genügt aus unserer Sicht bei Weitem nicht, nur isolierte Angaben zu einzelnen konservatorischen Bedingungen oder zur Nutzbarkeit der deponierten Bestände zu machen“, betont Oliver Mack. „Uns ging es ganz wesentlich darum, ein Gebäude zu bauen, das seinen Zweck über lange Zeit möglichst gut erfüllt. Und der ist natürlich in erster Linie das effiziente und nachhaltige Bewahren von Kulturgütern. Das Konzept wurde in der zweiten Schriftform als Raumbuch weitergeführt: Für die einzelnen Räume haben wir zwar detaillierte Angaben gemacht, gleichzeitig aber auch versucht übergreifende Betrachtungen und konservatorisches Denken einzubringen, um die physikalischen Eigenheiten des doch sehr speziellen Bauwerks, Überlegungen zum IPM, zu Schadstoffen und ähnlichem situati-
1 Blick auf die Baustelle im ehemaligen Klosterhof. Links ist die alte Klosterkirche, oben und rechts die Bögen des ehemaligen Kreuzgangs 2 Zustand Tiefdepot im Februar 2019
ABSTRACT Deep depot with technical centre The The new deep depot in the Great Monastery Courtyard of the Germanic National Museum in Nuremberg covers a remarkable 3700 square metres and extends over 20 metres into the ground. The spectacular new building was built five floors deep into the inner courtyard of the museum. The project will be completed by 2021. RESTAURO spoke to this topic with Oliver Mack M. A., Head of the Institute for Art Technology and Conservation (IKK).
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Renaissance für die Moderne
ABSTRACT Renaissance for the modern age At the end of May, the Albertina modern opened at the Vienna Künstlerhaus under pandemic conditions. To this end, the building was not only brought up to the latest state of the art in museum technology by 57 million euros, but also extensively restored. However, the approximation to the original stock is a matter of opinion.
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„Kleinmütigkeit im Sinne eines missverstandenen Denkmalschutzes verhindert neue kraftvolle Entwicklungen und fördert die Mumifizierung einer an sich impulslosen Stadt wie Wien.“ Der Satz steht links neben einem Entwurf von Architekt Karl Schwanzer in dem 1973 erschienenen Band „Architektur aus Leidenschaft“, aufbewahrt im Schwanzer-Archiv des Wien Museum. Zu sehen ist die IBM-Zentrale. Das moderne Bürogebäude hätte 1966 an Stelle des Wiener Künstlerhauses errichtet werden sollen, da wo am 27. Mai die Albertina modern ihre Türen öffnete.
Moderne ist eben eine vielschichtige Angelegenheit, je nach Epoche anders verhandelt. Im Künstlerhaus trifft sie jetzt auf einen historistischen Bau aus dem Jahr 1868, von Architekt August Weber einer italienischen Renaissancevilla nachempfunden. Mit dem denkmalgeschützten Gebäude bekommt die Sammlung der Albertina modern mit über 60.000 Werke von rund 5.000 KünstlerInnen Ausstellungsräumlichkeiten am neuesten Stand der Museumstechnik. Sie umfasst neben österreichischen MalerInnen von Lassnig, West, Helnwein bis Nitsch und Wurm 5/2020
Foto: Albertina modern / Rupert Steiner
Ende Mai 2020 eröffnete die Albertina modern im Wiener Künstlerhaus unter Pandemie-Bedingungen. Das Gebäude wurde dafür um 57 Millionen Euro nicht nur auf den neuesten Stand der Museumstechnik gebracht, sondern auch umfassend restauriert. Wie sieht es mit der Annäherung an den Originalbestand aus?
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Werke internationaler Herkunft, von Baselitz bis Warhol, von Richter bis Nam June Paik. Die Eröffnungsausstellung „The Beginning“ ist der Kunst in Österreich 1945 bis 1980 gewidmet.
Foto: Albertina modern
Bindeglied zum Künstlerhaus Zu dieser umfangreichen Kunstsammlung gehören auch die Werke aus der Sammlung Essl. Sie ist das Bindeglied zum Künstlerhaus. Großteils von Hans Peter Haselsteiners Privatstiftung 2014 von Karlheinz Essl übernommen, wurde die Sammlung drei Jahre später der Albertina, ein Bundesmuseum, unter Leitung von Klaus Albrecht Schröder als Dauerleihgabe anvertraut. Den Rest schenkte die Familie Essl 2018 der Republik Österreich, die Werke gingen an die Albertina. Haselsteiner, österreichischer Industrieller, wollte nicht nur die Sammlung von der Randlage in Klosterneuburg, wo diese noch bis 2016 ausgestellt war, nach Wien bringen, sondern auch das Gebäude des Künstlerhaus wiederbeleben. So entstand die 5/2020
Idee der Albertina modern, dort im Künstlerhaus deren Werke zu präsentieren. „Nach den aktuellen ICOM-Richtlinien wäre eine Ausstellung im Künstlerhaus ohne Renovierung nicht machbar gewesen, Ausleihen hätten keine Erlaubnis bekommen“, schildert Christian Benedik, einer der leitenden Albertina-Kuratoren und Koordinator des Umbaus, drastisch die bauliche Situation des Künstlerhauses, bevor es zu dem bemerkenswerten Engagement von Hans Peter Haselsteiner kam. Die Privatstiftung des Mäzens nahm 57 Millionen Euro in die Hand, um das in seinem Kern von 1865 bis 1868 errichtete Gebäude von Grund auf zu einem modernen Museumsbau State-of-the-art zu machen. Dort wo Altes ist, solle das Alte hergestellt werden, so wie es früher war. Infolge der zahlreichen Umbauten kein leicht zu erfüllender Wunsch Haselsteiners. Holz-, Metallelemente, Terrazzo und Wandmalereien sollten, so das Ziel, originalgetreu hergestellt und Fehlstellen verbessert. Aber was war Original?
1 Das Albertina modern eröffnete als zweiter Standort der Wiener Albertina im Künstlerhaus Wien – einem historischen Bau des Architekten August Weber aus dem Jahr 1868 2 Restaurator Thomas Mahr hat sich beim Stucco lustro der Prunkstiege mit ihren gemalten Arkaden an Fotos aus dem 19. Jahrhundert orientiert
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Ein Haus für die Gegenwartskunst
Foto: Kunsthaus Göttingen / ST
Vor beinahe 50 Jahren hatte der damals noch sehr junge Verleger Gerhard Steidl die Idee, ein Ausstellungshaus für zeitgenössische Kunst in Göttingen, seiner Geburtsstadt, zu bauen. Jetzt wird es realisiert
Bei Gerhard Steidl entsteht Buchkunst auf höchstem Niveau. Sein Anspruch ist es – ob Mode, Kunst oder Literatur – die Ideen von Künstlern und Autoren umzusetzen. Der Verlag des gebürtigen Göttingers hat drei Nobelpreisträger in seinem Programm: bei Steidl erscheint das Gesamtwerk von Günter Grass, die Romane und Erzählungen von Halldór Laxness, und Fotografiebände von Orhan Pamuk; Künstler wie Ed Ruscha, William Eggleston, Andreas Gurski, Robert Frank, Robert Adams, Roni Horn lassen ihre Bücher dort gestalten und drucken. Über 25 Jahre hat Steidl Bücher mit Modeschöpfer Karl Lagerfeld entwickelt. Ende der 1960er Jahre hatte der Autodidakt Steidl (geb. 1950) eine Siebdruckwerkstatt in Göttingen aufgebaut, in der er Plakate und Druckgrafik herstellte. Zu seinen Kunden zählte damals schon recht bald Joseph Beuys. Künstlergrößen wie Marcel Broodthaers und Nam June Paik folgten. 1972 erschien dann das erste Steidl-Buch „Befragung der documenta“, herausgegeben von Klaus Staeck. Im Laufe der Jahrzehnte etablierte sich Steidls Druckerei in der Düsteren Strasse 4 zu einer der besten Adressen der internationalen Verlagswelt. Unverkennbares Qualitätsmerkmal der Bücher von Steidl ist die große Individualität in handwerklicher Gestaltung und Ausstattung. Jedes Buch trägt seine Handschrift: Steidl selbst wählt Papier und Leinen aus und überprüft persönlich sämtliche Arbeitsschritte vom Layout bis zum Druck. Neben der Produktion hochwertiger Buchobjekte konzipiert und kuratiert Steidl Ausstellungen. Seit Jahrzehnten initiiert er weltweit Pop up-Spaces. Die Idee für ein Kunsthaus in Göttingen, das jetzt, nach fast 50 Jahren realisiert wird, entstand bereits 1970. „Eine Gruppe von jungen Leuten, ich war damals zwanzig Jahre alt, hatte überlegt, dass wir in Göttingen ein Haus für zeitgenössische Kunst brauchen“, erinnert sich Steidl. „Die privaten Galerien in Göttingen sind nicht groß genug; wenn man Kunst zeigen will, muss man ins Alte Rathaus gehen. Dort sind die Bedingungen nicht ideal: die Raumhöhe zum Beispiel ist sehr niedrig. Um den Göttingern damals unsere Idee schmackhaft zu machen, haben Kulturdezernent Konrad Schilling, eine Gruppe Kunstbesessener und 5/2020
ich im Jahr 1970 den Göttinger Kunstmarkt initiiert, mit dem Anspruch, Kunst für alle zugänglich zu machen. Die Veranstaltung dauerte drei Tage und fand in Zelten vor der Stadthalle statt. Künstler und Galeristen zeigten dort ihre Arbeiten. Der Eintritt war frei, und zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in Göttingen die Möglichkeit, zeitgenössische Kunst kennenzulernen. Der Göttinger Kunstmarkt entstand parallel zum Kölner. Ein Jahr später haben wir dann regelmäßig einen Kunstkongress unter dem Titel ,Die Kunst, eine Stadt zu bauen’ veranstaltet. Wir waren sehr vernetzt mit der Politik, mit Architekten, Städteplanern, Künstlern und Kreativen und haben Akteure in diesem gestalterischen Bereich aus der ganzen Bundesrepublik eingeladen, um zu diskutieren, wie man in einer Stadt wie Göttingen Kunst in der Innenstadt installieren kann.“ Vor gut zehn Jahren wurde die Idee für ein Kunsthaus dann schließlich tatsächlich umgesetzt – nach 50 Jahren wechselnder Mehrheiten im Stadtrat. „Wir haben ein Konzept zur Entwicklung eines Teils der südlichen Innenstadt von Göttingen erdacht, das sogenannte Kunstquartier“, erzählt Steidl weiter. Es liegt zwischen Düsterer Straße, Nikolaikirchhof, Nikolaistraße und Turmstraße im historischen Kern der Stadt.“ Für das Projekt hat die Stadt Fördermittel in Höhe von 4,5 Millionen Euro aus dem Bundesprogramm „Nationale Projekte des Städtebaus“ erhalten. Der Duderstädter Unternehmer Hans Georg Näder, Chef des Medizintechnik-Konzerns Ottobock, unterstützt den Bau des Kunsthauses außerdem mit einer beträchtlichen Summe. Der internationale Bio-Medizin- und Labortechnik-Konzern Sartorius, dessen Zentrale in Göttingen ist, ist der Hauptsponsor des Kunsthauses und schießt in den ersten fünf Jahren bei den laufenden Betriebskosten und der Bildungsarbeit einen hohen Jahresbetrag zu: Der Eintritt ist dadurch in den ersten Jahren frei. „Man darf nur nicht aufgeben“, betont Steidl. „Letzten Endes gab es eine großartige Unterstützung von der Stadt Göttingen, von der Stadtverwaltung, auch von den Fraktionen und vor allen Dingen von der Bevölkerung. Die Göttinger lieben das Projekt und können es kaum erwarten, dass eröffnet wird.“
1 Visualisierung des Kunsthauses Göttingen in der Düsteren Straße 2 Visualisierung der Fassade des Kunsthauses
ABSTRACT A house for contemporary art Almost 50 years ago, the then still very young publisher Gerhard Steidl had the idea of building an exhibition house for contemporary art in Göttingen, his birthplace. Now it is being realized.
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Museum Neu- und Umbau MUSEUM NEU- UND UMBAU
Historische Stoffe raffiniert beleuchtet
ABSTRACT Historical fabrics cleverly illuminated Who was present at the exhibition "Arab Weavers - Christian Kings: Medieval Textiles from Spain" in the Riggisberg Abegg Foundation (until 8 November), will not only be amazed by the careful restoration and the splendour of the exhibits, but also by the unusual brightness of the rooms, which is unusual for the presentation of light-sensitive historical fabrics.
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Fast 800 Jahre, von 711 bis 1492, herrschten in großen Teilen Spaniens die Araber. Ein Zeitalter, das nicht nur von kriegerischen Auseinandersetzungen geprägt war, sondern auch von einem einzigartigen kulturellen Austausch und einem zumeist toleranten Miteinander von Christentum, Judentum und Islam. Einen ungewöhnlichen, aber umso intensiveren Einblick in diese Zeit bietet die Ausstellung „Arabische Weber – Christliche Könige: Mittelalterliche Textilien aus Spanien“, die bis 8. November in der AbeggStiftung in Riggisberg bei Bern zu sehen ist. Gezeigt werden original erhaltene Stoffe und Fragmente, die großenteils in muslimischen Seidenwebereien angefertigt und im christlichen Nordspanien für liturgische und repräsentative Zwecke eingesetzt wurden, aber auch kunstvolle Stickereien aus Burgos oder
Barcelona mit christlichen Motiven. Die überaus eindrucksvollen Exponate stammen aus der umfassenden Sammlung des Schweizer Industriellen-Ehepaars Margaret (1901– 1999) und Werner Abegg (1903–1984) und wurden großenteils während der Vorbereitungen für den Bestandskatalog um 1990 so aufwändig und sorgfältig restauriert, dass im Zuge der jetzigen Ausstellung keine erneuten Arbeiten erforderlich wurden. Einzelne Stücke aber wurden aktuell zum ersten Mal untersucht und konserviert. Prunkvollstes, aber auch zeitaufwendigstes Beispiel darunter ist ein Chormantel aus grünem Samtstoff mit Goldfadenstickerei. Bereits in sein Grundmaterial, einen zwischen 1430 und 1450 in Italien entstandenen Samt, ist ein Rankenmuster eingewebt, das sich durch ausgesparte Linien im Flor zeigt. Im Spanien des 5/2020
Foto: Abbegg Stiftung
Wer anlässlich der Ausstellung „Arabische Weber – Christliche Könige: Mittelalterliche Textilien aus Spanien“ in der Riggisberger Abegg-Stiftung (bis 8. November) das erste Mal das Textilmuseum besichtigt, wird nicht nur über die sorgfältige Restaurierung und den Prunk der Exponate staunen, sondern auch über die für die Präsentation lichtempfindlicher historischer Stoffe ungewöhnliche Helligkeit der Räume
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ausgehenden Mittelalters war es beliebt, diese Linien nachträglich mit Goldstickerei zu verzieren, was dem Material den Eindruck eines kostbaren, goldbroschierten Samtes verleiht. Blüten und Blattmotive zwischen den Linien wurden über dem Samtflor ebenfalls in Goldstickerei ausgeführt. Diese Kostbarkeit war jedoch in sehr schlechtem Zustand: Im Nacken- und Schulterbereich des Mantels war der Samtflor großflächig abgerieben, die Metallfäden der Stickerei waren an einigen Stellen ausgefallen, lose oder gerissen. Auch das Gewebe selbst war brüchig und vielerorts gerissen. Teilweise bestand es nur noch aus flottierenden Schussfäden, weil die Kettfäden gebrochen waren. Zudem gab es Fehlstellen, die im Lauf der Jahrhunderte immer wieder repariert worden waren – zerschlissene Bereiche waren mit nicht weniger als fünf verschiedenen Stoffen hinterlegt und mit zehn verschiedenen, teils groben Fäden gestopft worden. Bevor der Chormantel in der Ausstellung präsentiert werden konnte, mussten zunächst diese Flicken und Stopfungen entfernt werden. Anschließend wurden die fragilen Bereiche mit einem neuen, materiell und farblich passenden Stoff unterlegt und die Schwachstellen im Samtgewebe durch Anbringen von Spannstichen mit dem Unterlagsgewebe verbunden und stabilisiert. Gerade letztere Arbeit entpuppte sich zum Teil als äußerst diffizil, mussten doch die flottierenden Schussfäden in ihre ursprüngliche Position gebracht und dort gesichert werden. Auch die Metallfäden der Stickerei wurden wieder an ihrer einstigen Stelle platziert, ausgerichtet und gesichert . Wer anlässlich dieser Ausstellung das erste Mal das Textilmuseum in den Berner Voralpen besichtigt, wird aber nicht nur über die sorgfältige Restaurierung und den Prunk der Exponate staunen, sondern auch über die für die Präsentation lichtempfindlicher historischer Stoffe ungewöhnliche Helligkeit der Räume. Diese ist, wie Catherine Depierraz vom wissenschaftlichen Sekretariat der Stiftung erörtert, im Wesentlichen Resultat einer grundlegenden Erneuerung des Beleuchtungssystems im Rahmen eines Gesamtumbaus in den Jahren 2009 bis 2011. Seitdem werden die Ausstellungsräume von einer durchgehenden Mattglasdecke überspannt, die von tausenden LED5/2020
Lämpchen hinterleuchtet ist. Sie geben keine Infrarot- und UV-Strahlen ab, die altes Gewebe schädigen könnten und wurden so eingestellt, dass auf der Höhe der Objekte nur eine Lichtintensität von 35 Lux vorliegt. Diese Grundhelligkeit wird von den hellen Wänden und dem weiß pigmentierten Holzboden reflektiert, so dass die Säle freundlich wirken, ohne dass deshalb zu viel Licht auf die Exponate käme. Allerdings: Die schattenlose, homogene und indirekte Grundbeleuchtung allein ließe die Exponate eher flach und farblos wirken. Deshalb wurden an der Lichtdecke LED-Einzelspots befestigt, durch die weitere 15 Lux hinzu kommen. „Diese Spots sind mit Schablonen ausgestattet, die den Lichtstrahl so formen, dass er genau den Dimensionen des betreffenden Kunstwerks entspricht“, erklärt Catherine Depierraz. Störende Lichtkegel würden auf diese Weise vermieden, die Exponate aber dennoch individuell ausgeleuchtet und aus ihrer Umgebung hervorgehoben. Ein System, resümiert die Kunsthistorikerin, das sich in den vergangenen neun Jahren gut bewährt habe, auch wenn für jede Ausstellung und jedes Exponat neue Schablonen definiert, bestellt und in die Spots eingebaut werden müssten. „Wie bei den Akzentleuchten wird auch bei der Lichtdecke die Beleuchtungsintensität regelmäßig überprüft“, so Depierraz. „Sie hat im Lauf der Zeit eher ein bisschen abgenommen, kann aber jederzeit angepasst und nötigenfalls intensiviert werden, da bisher nur etwa 20 Prozent der Leistung gebraucht werden. So wird man auch weiterhin eine Balance zwischen den konservatorischen Anforderungen und den Bedürfnissen der Besucher gewährleisten können.“ Dank dieses raffinierten Beleuchtungssystems erstrahlen in der gegenwärtigen Ausstellung ein 900 Jahre alter Seidenstoff mit eingewebtem Adler, ein 700 Jahre altes Fragment vom Grabmantel König Fernandos III. oder ein prunkvolles Seidengewebe mit Blumen, Vögeln und Wappen aus dem 15. Jahrhundert in all ihrer Pracht, ohne dass die kostbaren Stoffen Schaden nähmen oder die Augen des Besuchers durch ständige Wechsel von dunklen Räumen und hellen Vitrinen zu sehr belastet würden.
1 Eine grundlegende Erneuerung des Beleuchtungssystems erlaubt die Präsentation lichtempfindlicher historischer Stoffe in ungewöhnlicher Helligkeit
Dr. Claudia Teibler 31
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Ein neues Pantheon für Paris Eigentlich hätte die Fondation Pinault in der ehemaligen Bourse de Commerce Mitte Juni 2020 öffnen sollen. Wegen des Corona-Shutdowns verschiebt sich die Eröffnung des Pariser Privatmuseums nun auf das Frühjahr 2021. Für die Sanierung zeichnet der japanische Architekt Tadao Ando verantwortlich
Das Großprojekt des milliardenschweren Geschäftsmanns und Kunstsammlers François Pinault vereint neoklassizistische Architektur, zeitgenössische Kunst und ein spektakuläres Baudenkmal aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, das zunächst als Getreide-Markthalle diente und anschließend als Warenbörse genutzt wurde. Gelegen zwischen Louvre und dem Centre Pompidou, 32
verbirgt sich hinter dem monumentalen Bestandsgebäude eine Hommage an das Pantheon in Rom und zugleich der neuerliche Wille, mehrere Epochen miteinander harmonieren zu lassen, ohne den äußeren Charakter des Gebäudes zu verändern. Während der im Viertel Les Halles liegende Rundbau inzwischen fertiggestellt ist, sind die Arbeiten an der Innenausstattung noch 5/2020
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Foto: © Patrick Tourneboeu / Courtesy Bourse de Commerce – Pinault Collection © Tadao Ando Architect & Associates, NeM / Niney & Marca Architectes, Agence Pierre-Antoine Gatier, Setec Bâtiment
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nicht abgeschlossen. Bei der Realisierung und museumsgerechten Transformation setzt Pinault erneut auf den Star-Architekten Tadao Ando, der bereits die Renovierung seiner venezianischen Museen – des Palazzo Grassi, der Punta della Dogana und des Teatrino – übernommen hatte. Unterstützt wird er von dem Architekturbüro NeM / Niney & Marca Architects, der Agentur Pierre-Antoine Gatier und Setec Bâtiment. „Ich habe zu Ehren der Geschichte der Stadt, die in der Bausubstanz der Bourse de la Commerce verewigt ist, einen neuen Raum geschaffen, der sich perfekt in den bestehenden einfügt, um dem gesamten Volumen, welches der zeitgenössischen Kunst gewidmet sein wird, neues Leben einzuhauchen. Architektur als Brücke zwischen Vergangenheit, Gegenwart 5/2020
und Zukunft“, so Ando über sein Konzept. Der Umbau der Bourse de Commerce hätte nach der Schlüsselübergabe im Januar 2017 schneller nicht durchgeführt werden können. Als Erstes wurde die Fassade von allen Seiten gereinigt, inklusive des Portals an der Westseite mit den vier kannelierten Säulen und korinthischen Kapitellen. Ando hat dann im Inneren einen neun Meter hohen begehbaren Zylinder entworfen, dessen Wände auf einer Gesamtfläche von 3.000 m² reichlich Platz für Kunstwerke jeder Größe bieten. Auf den Einzelflächen von 100 bis 600 m² sollen thematische Hängungen sowie monografische Ausstellungen, neue Produktionen und In-situ-Projekte stattfinden. Der dreidimensionale, ineinander verschachtelte Beton-Körper ist dabei eines der weni-
1 Kunstsammler François Pinault setzt bei seinem neuen Privatmuseum in Paris erneut auf den Star-Architekten Tadao Ando
ABSTRACT A new pantheon for Paris In fact, the Fondation Pinault in the former Bourse de Commerce should have opened in mid-June 2020. Due to the corona shutdown, the opening of the private museum in Paris has been postponed until spring 2021. Japanese architect Tadao Ando is responsible for the renovation.
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Kupferfraß an Papier Ein KEK-Modellprojekt – durchgeführt im Jahr 2019 von der Sächsischen Landesbibliothek – Staatsund Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) in Kooperation mit dem ZFB – Zentrum für Bucherhaltung GmbH Leipzig (ZFB), lieferte unter anderem interessante Erkenntnisse zum Thema Kupferfraß an Kulturgut aus Papier
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Fotos: © SLUB Dresden
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Ziel des Projekts war, ein differenziertes Bild der Problematik zu erhalten. Eine umfassende Recherche und Evaluation der Fachliteratur wurden durch die Sichtung und Untersuchung historischer Objekte ergänzt. Das lieferte den konkreten Kontext für die theoretischen Nachforschungen. Anhand verschiedener Abstufungen von Papierverbräunungen wurden vier Schadensklassen definiert, die bei Verdacht auf kupferhaltige Farbmittel dabei helfen können, den Handlungsbedarf bei Einzelobjekten oder Sammlungen einzuschätzen. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass Kupferfraß und dessen Vorstufen anders als Tintenfraß nicht primär durch eine Säurereaktion hervorgerufen werden, sondern überwiegend oder sogar ausschließlich durch einen katalytischen Oxidationsprozess der Cellulose. Entscheidend ist die katalytische Wirkung der Kupferionen. Die Aktivität und Wirkung der Kupferionen steigt mit dem pHWert. Das hat große Bedeutung für mögliche Behandlungsansätze.
Einleitung In Anlehnung an das bekannte Phänomen des Tintenfraßes wird ein chemischer Abbauprozess bei Kulturgut aus Papier in Zusammenhang mit kupferhaltigen Farbmitteln und Metallauflagen gemeinhin als „Kupferfraß“ bezeichnet. Ziel eines aktuellen KEK-Modellprojekts der Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) und des ZFB – Zentrum für Bucherhaltung GmbH Leipzig (ZFB) war eine fundierte Problemanalyse des Phänomens „Farbfraß an Kulturgut aus Papier“1. Aus Platzgründen konzentriert sich dieser Artikel auf die Ergebnisse zum Thema Kupferfraß.
Evaluation der Fachliteratur Die Evaluation der Fachliteratur zum Thema lieferte eine fundierte Übersicht über den aktuellen Forschungsstand. Es fiel auf, dass sich aktuellere Forschungsberichte2 fast ausschließlich mit Behandlungsansätzen von Kupferfraß beschäftigen, nicht mit den chemischen Prozessen, die hinter dem Phänomen stecken. Die ausführlichste Beschreibung der Chemie des Kupferfraßes stammt von BANIK et al.3 von Anfang der 1980er Jahre. Auf diese Quelle beziehen sich spätere und auch aktuelle Veröffentlichungen. Ein Grund für diese Lücke ist sicherlich der, dass 5/2020
die Chemie des Kupferfraßes sehr komplex und schwierig zu erforschen ist. Zudem sind die Einflussfaktoren vielfältig und großteils unbekannt. Zusätzlich zur themenspezifischen Fachliteratur umfasste die Literaturrecherche auch Quellen zu historischen Farbmitteln. Da alle im weiteren Verlauf untersuchten Objekte aus der Zeit zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert stammen, konzentrierte sich die Recherche auf Farbmittel, die zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit für Kolorierungen und Malereien auf Papier verwendet wurden4.
1 Detail einer kolorierten Landkarte von Afrika aus dem 16. Jahrhundert. Das Medaillon ist mit einem Kupfergrünpigment umrandet 2 Detail der Landkarte auf der Versoseite: Die Papierverbräunung durch das grüne Farbmittel und die Brüchigkeit des Papiers sind eindeutige Zeichen von Kupferfraß
Ursachen, Einflussfaktoren und Chemie des Kupferfraßes In den meisten Fällen tritt Kupferfraß in Verbindung mit kupferhaltigen Pigmenten auf, wenn sie auf Papier vermalt wurden. Gebräuchliche kupferhaltige Farbmittel bis zum 18. Jahrhundert sind die beiden basischen Kupfercarbonat-Mineralien Azurit (blau) und Malachit (grün)5 sowie das synthetisch hergestellte Kalkblau (Calcium-Kupferhydroxid)6 und einige synthetische Kupfergrünpigmente. Letztere waren sehr weit verbreitet und es gibt viele verschiedene Rezepte. Ausgangsstoffe waren Kupfer und Säure. Das Resultat der verschiedenen Rezepte ist eine Mischung aus Kupfersalzen, der Hauptbestandteil ist Grünspan (neutrales Kupferacetat Cu(CH3COOH)2 · H2O). Zusätze (Alaun, Ätzkalk, Kochsalz, Weinstein etc.) waren üblich und führen zu weiteren Salzen: CalciumKupferacetat, Kupfercarbonate, Kupferchloride, Kupfertartrate und andere.7 Weitere grüne Farbmittel sind Grüne Erde (ein nicht-kupferhaltiges Verwitterungsprodukt von Silikatmineralien)8 sowie grüne Pflanzenfarbstoffe9. Grün in Kolorierungen und Buchmalereien wurde auch gerne als Mischung aus Gelb und Blau angelegt10. Ob und in welchem Maß ein kupferhaltiges Pigment eine schädigende Wirkung auf das Papier entfaltet, scheint von vielen Faktoren abhängig zu sein. Eine wichtige Rolle spielt die Wasserlöslichkeit des Kupfersalzes – je wasserlöslicher, desto höher ist das Schädigungspotenzial. Folglich begünstigen Feuchtigkeit und insbesondere flüssiges Wasser die Entstehung und das Voranschreiten von Kupferfraß: Die Kupfersalze gehen durch Feuchtigkeit in Lösung und liegen als Ionen vor. Die freigewordenen Kupferionen werden durch die Feuchtigkeit mobil und können
ABSTRACT Copper corrosion on paper A KEK model project - carried out in 2019 by the Saxon State Library - Dresden State and University Library (SLUB) in cooperation with the ZFB Zentrum für Bucherhaltung GmbH Leipzig (ZFB), provided interesting findings on the topic of copper corrosion of cultural assets made of paper.
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DITIGALISIERUNG
Museen in Quarantäne Die Kunst- und Sammlungswissenschaften der Donau-Universität Krems rief am 7. Mai 2020 zur Online-Konferenz. Thematisiert wurde, wie Museen in der Zeit der COVID-19-bedingten Schließzeit mit Sammlungen und Publikum umgingen. Im Vorsprung waren hier jene Häuser und Sammlungen, die bereits vor der Krise auf digitale Wege der Vermittlung und Partizipation setzten
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5/2020
Foto: Screenshot Donau-Universität Krems
DITIGALISIERUNG
Im März 2020 brachten die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus das kulturelle Leben in seinen gewohnten Formen zum Erliegen. Museen, Archive und Bibliotheken waren massiv betroffen. Die Museumsarbeit wurde auf Home Office und auf Kurzarbeit umgestellt – von Berlin bis Rom, Europa bis nach Südamerika. Umso größer der Bedarf nach gegenseitigem Austausch über den Umgang mit der Schließung und der zentralen Frage: Wie das Interesse der Besucher halten, wie Kunst über das Internet vermitteln? Anja Grebe, Universitätsprofessorin für Kulturgeschichte und Museale Sammlungswissenschaften an der Donau-Universität Krems kanalisierte den Bedarf mit einer Online-Konferenz via Zoom und traf ins Schwarze: Über 370 Kunstvermittler, Kuratoren, wissenschaftliche Mitarbeiter und andere Interessierte im Kulturbereich Tätige sahen und hörten die neun Kurzvorträge am 7. Mai 2020 zu Wegen, mit der Krise umzugehen. Einer Studie des Netzwerks Europäischer Museumsorganisationen (NEMO) zufolge erhöhten die meisten Museen in ausgewählten europäischen Ländern ihre digitale Präsenz um 60 Prozent im Corona-Lockdown. Die Landessammlungen Niederösterreich zogen gar das Go-Live ihrer Online-Datenbank von Oktober auf April vor und brachten sie in wenigen Wochen ins Internet. Kuratierte Online-Ausstellungen sollen folgen, bereits umgesetzt wurden die Videopodcasts „CollectCast“ zur Vorstellung ausgewählter Objekte. Insgesamt zeigt sich: Jene Häuser und Sammlungen, die bereits vor der Krise in digitale Wege der Vermittlung und Partizipation setzten, konnten den Vorsprung nutzen und von hohem Niveau aus Aktivitäten verdichten und Besucher digital ansprechen. Dabei weisen auch kleine Museen spektakulären Zuspruch im Internet auf: Marion Ruisinger vom Deutschen Medizinhistorischen Museum Ingolstadt führte konsequent ihre bereits vor zehn Jahren begonnenen Objektgeschichten im Internet fort. Jeden Tag ein neues Objekt, alle mit Bezug zu historischen Seuchen und Epidemien, vom Spucknapf bis zur Illustration einer „Lepraparty“ im Mittelalter. Der Austausch mit dem Publikum erfolgte über einen Aufruf im Verbund mit anderen Museen, Schutzmasken zu sammeln. „Wir hatten dreimal mehr Besucher auf der Website, 5/2020
die Wahrnehmung durch Medien war groß, Besucher freuten sich auf den „historischen Adventskalender“, freute sich Marion Ruisinger. Aufbauen konnte die Direktorin auf einer bereits seit Langem gepflegten Plattform samt Mailingliste, dafür stand im Home Office fast nur die Website am Programm. Kurz vor der Schließung startete die Kunsthalle Mannheim die #Kumachallenge, eine Online-Vorstellung von Werken durch Mitarbeitende vom Vermittler bis zum Kuratierenden und Nominierte. Dies erwies sich neben anderen Aktivitäten als Renner und brachte viel Publikums- und Medienzuspruch. Sebastian Baden, Kurator für Skulptur und Neue Medien, erklärte dazu: „Es war für die KuMa von Vorteil, über eine virtuelle Sammlung zu verfügen. So konnten wir Besucher versorgen und halten und eine Spannungskurve erzeugen.“ Großen Zuspruch erhielt auch #OntheQuiet, das Online-Format der Studioausstellung: Künstler gestalten dabei den Inhalt eines von Museum zu Museum reisenden Pakets – auf Mannheim folgt Santiago de Chile. Extra dafür initiierte Instagram- und Twitter-Kanäle ermöglichten Stories und Videos, die Bande zu Followern, so Baden, konnte gestärkt werden. Erforderlich seien aber mehrere Mitarbeiter für die digitale Strategie und eine Mischung aus analogen und digitalen Formaten. Den Bedarf zur abteilungsübergreifenden Zusammenarbeit sieht auch Christoph Hatschek vom Heeresgeschichtlichen Museum Wien (HGM). Die anfängliche Angst, Besucherzahlen durch digitale Angebote abzugraben, wich bald der Überzeugung, internetbasierte Angebote seien wichtiger Bestandteil. Erfolgreich war das HGM vor allem auf Youtube, ein Video zu einem Panzer übertraf alle Erwartungen, aber, so Hatschek: Auch wenn NEMO einen signifikanten Anstieg der Online.Besuche in Museen ausweist, im HGM in Wien fiel nach einem raschen Peak die Kurve auch schnell wieder ab. Der Gewinn sei überschaubar, jedoch scheine die Aura des realen Stückes digital umsetzbar. Sein Umfeld einzubinden erweist sich als relevant, wie das Beispiel des Freundeskreis Augustinermuseum in Freiburg zeigt. Dessen Junge Kulturfreunde organisierten auf Facebook die Aktion #Lieblingsstück. Aus den Postings entstanden Memes und
1 Das Online-Symposium „Museen in Quarantäne“ stellte konkrete Projekte vor, wie aktuelle Herausforderungen gemeistert werden können
ABSTRACT Museums in quarantine The Art and Collection Sciences of the Danube University Krems called for an online conference on 7 May. The topic was how museums dealt with collections and the public during the COVID-19 closure period. Those institutions and collections that had already used digital means of communication and participation before the crisis were ahead of the game.
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