Magazin zur Erhaltung des Kulturerbes
NO 6 2020
Wie wir unser Kulturerbe besser bewahren Ăœber den sachgerechten Umgang mit Kunstobjekten EU-KOMMISSION Die Fortsetzung zum Stickstoffverfahren
LUDWIG II. Konservatorische MaĂ&#x;nahmen an der Votivkapelle am Starnberger See
RESTITUTION Welche Rolle spielen hier die Restauratoren?
INHALT
Naturkatastrophen, Krieg oder Klimawandel – unser kulturelles Erbe ist vielen Bedrohungen ausgesetzt
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Wie können wir unser Kulturerbe künftig besser schützen? Neue Lösungsansätze auf diesem Gebiet entwickelt das Department für Bauen und Umwelt unter der Leitung von Professor Christian Hanus, Dekan der Fakultät für Bildung, Kunst und Architektur an der Donau-Universität Krems, als eines der ersten im universitären Bereich
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Nach der Flut In Venedig richtete das starke Hochwasser vom November 2019 verheerende Schäden an. Der Bologneser Restaurator Piero Livi bewahrte die Lagunenstadt vor dem Verlust unermesslichen Kulturguts auf Papier
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„Poet“ von Schmutz befreit Wie der Bildhauer und Restaurator Adelbert Heil im Mai 2020 die Skulptur „Air-Earth“ des katalanischen Künstlers Jaume Plensa in Bamberg reinigte
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Mietkisten sind die Zukunft RESTAURO sprach mit dem Niederländer Hizkia Van Kralingen, einem wichtigen Player im internationalen Kunsttransportgeschäft. Beeinflusst Corona aktuell sein Geschäft?
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Corona-bedingt wurde zusätzlich gefilmt Für die Sonderschau „Peter Paul Rubens und der Barock im Norden“ im Diözesanmuseum Paderborn haben viele internationale Leihgaben eine lange Reise hinter sich. Außerdem: Die Restaurierung des im Zweiten Weltkrieg zerstörten, barocken Hochaltargemäldes des Paderborner Doms
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Ordnung ist das halbe Leben 350.000 Glasnegative sollten archiviert werden: Wie läßt sich eine derart große Menge hochempfindlicher, historischer Objekte bestmöglichst bewahren?
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Anfassen von speziellen Vitrinenobjekten erlaubt Das Unterlinden-Museum in Colmar hat seine archäologische Abteilung neukonzipiert. Die zeitgemäße Präsentation der archäologischen Artefakte kann anderen, vergleichbaren Häusern als Vorbild dienen
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Wie ein Turbanschneckenpokal vom Schloss Güstrow nach New York reiste Über eine Transportverpackung mit einer objektbezogen, maximalen Schwingungsreduzierung und Schockabsorption
Zeitgemäße Präsentation: „Hands-on-Stationen“ im Unterlinden-Museum in Colmar
RESTITUTION 44
„Das ist ja alles gestohlen“ Ethnologische Museen haben ein Imageproblem – ganz besonders das neue Berliner Stadtschloss, das Humboldt-Forum werden soll und die ethnologischen Sammlungen ausstellen will
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Über die Restitution indigener Kulturgüter und die Rolle der Restauratoren Ein Blick auf die aktuelle Restitutionsdebatte: Welche neuen Herausforderungen gibt es für die Restaurierungs-Abteilungen in den Museen?
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Angemessen oder viel zu wenig? Seit 2008 fordern die Erben jüdischer Kunsthändler den sogenannten Welfenschatz von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zurück
Vorarbeiten für die Schau „Peter Paul Rubens und der Barock im Norden“ im Diözesanmuseum Paderborn
DENKMALPFLEGE 52 Vier Jahre lang ließ der Wittelsbacher Ausgleichsfonds (WAF) die Votivkapelle am Starnberger See restaurieren
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Andenken bewahren Die Votivkapelle zum Gedenken an König Ludwig II. in Berg am Starnberger See wurde dank des Wittelsbachers Ausgleichsfonds (WAF) aufwändig restauriert 6/2020
Fotos: (v. o. n. u.): AFP, Unterlinden-Museum/Christian Kempf, Diözesanmuseum Paderborn; Wittelsbacher Ausgleichsfonds /Quirin Leppert
ART HANDLING
RUBRIKEN
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TERMINE Veranstaltungen Impressum Vorschau
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PORTRÄT Dr. Diplom-Restaurator Wanja Wedekind
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BLICKPUNKT Fortsetzung zum Stickstoffverfahren: Interview mit Carsten Bloch, Mitarbeiter der Bundesstelle für Chemikalien bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin Die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten BerlinBrandenburg besitzt friderizianische Schildpattmöbel aus dem 18. Jahrhundert. Während eines Monitorings fielen Fraßschäden auf Neue Forschungen über die Ursachen der UltramarinKrankheit eines interdisziplinären Forscherteams aus Amsterdam
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KUNSTSTÜCK Die Sonderschau „Schimmernde Krüge von Erz“ der Staatlichen Antikensammlungen und Glyptothek München zeigt im Aschaffenburger Pompejanum antike Gefäße aus Bronze und Silber. Einzelobjekte wurden im Vorfeld für die Ausstellung restauriert
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Art Handling ist ein wesentlicher Bereich der Präventiven Konservierung und beinhaltet neben Transport und Verpackung, den Umgang, den Auf- und Abbau von Kunstwerken sowie Dokumentation und vieles mehr. Der Niederländer Hizkia Van Kralingen ist ein wichtiger Player im internationalen Kunsttransportgeschäft. RESTAURO sprach mit dem Unternehmer und Verpackungsprofi, der einst die wiederverwendbare und klimasichere Transportkiste aus Polyesterharzen erfand. Das Foto entstand im Mauritshuis in Den Haag: Eines der berühmtesten, dort ausgestellten Gemälde ist „Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge“ von Jan Vermeer (im Hintergrund). Lesen Sie weiter auf S. 22.
Eine große Auswahl an Farbstoffen & Pflanzenfarben Foto: Hizkia Van Kralingen/Sanne de Wilde
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Wie können wir unser Kulturerbe künftig besser schützen? Naturkatastrophen, Krieg oder Klimawandel – unser kulturelles Erbe ist vielen Bedrohungen ausgesetzt. Mit diesem Thema beschäftigen sich aktuell mehrere Initiativen. RESTAURO sprach Professor Christian Hanus, Dekan der Fakultät für Bildung, Kunst und Architektur an der Donau-Universität Krems. Sein Department für Bauen und Umwelt ist eines der ersten, das sich in diesem Bereich auf universitärem Gebiet neuen Lösungsansätzen verschrieben hat
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größten Probleme hatten allerdings die lokalen Museen: Viele hatten seit dem Erdbeben im März ihre Kunstwerke im Keller gesichert. Nach dem Starkregen mussten diese dann wieder vor dem Hochwasser gerettet werden. Das betraf vor allem das Archäologische Museum. RESTAURO hatte darüber online berichtet und auf den International Trust for Croatian Monuments aufmerksam gemacht. Jener sorgt sich um die Restaurierungen der durch die Naturkatastrophen beschädigten Objekte. Christian Dressen vom Museum Angewandte Kunst in Frankfurt – der Diplom-Restaurator (FH) ist dort unter anderem für Kata-
Fotos: Wikimedia Commons / Dcoetzee (1); AFP (2)
Ende Juli 2020 hatte ein schweres Unwetter die kroatische Hauptstadt Zagreb komplett unter Wasser gesetzt. Die Wassermassen sorgten für einen Zusammenbruch des Verkehrs. In einigen Straßen bildeten sich sogar reißende Flüsse. Die Region ist derzeit stark gebeutelt: Vor gut vier Monaten, mitten im Lockdown, erschütterte Zagreb ein schweres Erdbeben – das stärkste Beben in Kroatien seit 1996. Zahlreiche Gebäude und Institutionen wurden schwer beschädigt, darunter das Wahrzeichen der Stadt: die Kathedrale im Zentrum. Eine der beiden Turmspitzen fiel aus mehr als 100 Metern Höhe zu Boden. Die
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strophenmanagement zuständig – reagierte auf unsere Meldung sogleich: Noch am selben Abend gelang ein Kontakt zu Sanjin Mihelic, ´ Direktor des Archäologischen Museums, sowie zur Feuerwehr der Stadt Zagreb. Christian Dressen meldete Entwarnung (vielen Dank dafür!). Für uns in der Redaktion blieb das Thema im Rahmen unseres Titelthemas „Art Handling“ dennoch virulent: Wie können wir unser Kulturerbe künftig besser schützen? Denn weltweit ist es durch verschiedene Faktoren wie Naturkatastrophen, Krieg und Klimawandel bedroht. Wichtig ist hier Prävention: Wie sind museale Objekte gesichert? Gibt es überhaupt Evakuierungsorte? Was ist im Moment der Krise und in der Phase danach eigentlich zu tun? Was lässt sich konservieren, restaurieren oder sogar wieder aufbauen? Dass dieses Thema an den Universitäten ein noch junges Arbeitsund Forschungsgebiet ist, erklärt Professor Christian Hanus, seit 2013 Dekan der Fakul6/2020
tät für Bildung, Kunst und Architektur an der Donau-Universität in Krems. Sein Department für Bauen und Umwelt ist eines der ersten, die sich auf dem Gebiet Kulturgüterschutz neuen Lösungsansätzen verschrieben hat. Forschung und Lehre in Krems fokussieren sich auf aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen: Aktiv beteiligt sich Christian Hanus seit zehn Jahren am Wiederaufbau erdbebenzerstörter Städte in Zentralitalien. So wurde die Donau-Universität nach den schweren Erschütterungen 2016 in Accumoli (Latium) eingeladen, am Wiederaufbau mitzuarbeiten. Trotz heftiger Schneefälle und erneuter Beben in der Region entwickelte eine Arbeitsgruppe dann bereits Mitte Januar 2017 unter der Leitung von Christian Hanus und dem Architekten Professor Roberto Pirzio Biroli eine erste Strategie für den Wiederaufbau. „In Kooperation mit den dortigen und auch ausländischen Universitäten wollen wir dort über die nächsten 15 bis zwanzig
1 Eine antike Katastrophe in der Rezeption des 19. Jahrhunderts: „Der letzte Tag von Pompeji“ von Karl Pawlowitsch Brjullow, 1830/1833
2 In Amatrice südöstlich von Norcia waren die Schäden nach dem Erdbeben in Mittelitalien 2016 verheerend
ABSTRACT How could we better protect our cultural heritage in the future? Natural disasters, war or climate change – our cultural heritage is exposed to many threats. Several initiatives are currently addressing this topic. RESTAURO spoke to Professor Christian Hanus, Dean of the Faculty of Education, Art and Architecture, from the Danube University Krems. His Department for Building and Environment is one of the first to commit itself to new approaches to solutions in this field at universities.
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Corona-bedingt wurde zusätzlich gefilmt Für die aktuelle Sonderschau „Peter Paul Rubens und der Barock im Norden“ im Diözesanmuseum Paderborn haben viele internationale Leihgaben eine lange Reise hinter sich. Einen Höhepunkt bildet darüber hinaus das im Zweiten Weltkrieg zerstörte, barocke Hochaltargemälde des Paderborner Doms. 75 Jahre nach Kriegsende ist es erstmals wieder zu sehen. Diplom-Restauratorin Gisela Tilly leitete die konservatorischen Maßnahmen
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1 Ein Gestaltungsentwurf für die RubensAusstellung 2020 im Diözesanmuseum Paderborn
Peter Paul Rubens ist einer der führenden Meister des flämischen Barocks. Bereits zu Lebzeiten war er der Star seiner Zunft und beeinflusste die gesamte Kunstszene. In sechs Ausstellungseinheiten präsentiert das Diözesanmuseum Paderborn bis zum 25. Oktober 2020 die große kunst- und kulturhistorische Sonderausstellung „Peter Paul Rubens und der Barock im Norden“. Ausgehend von einer umfangreichen Neuausstattung des Paderborner Doms mit Altargemälden und Skulpturen durch Antwerpener Künstler aus dem direkten Umfeld von Rubens zeigt die Schau bedeutende Innovationen in Malerei, Architektur und Kirchenausstattungen des flämisch geprägten Barocks. Zu sehen sind rund 120 Leihgaben aus internationalen Sammlungen. Darunter unter anderem Werke aus dem Rijksmuseum Amsterdam, Victoria and Albert Museum in London, Museum Plantin-Moretus in Antwerpen, Statens Museum for Kunst Kopenhagen, die Gemäldegalerie der Akademie der Bildenden Künste Wien sowie aus dem San Francisco Museum of Modern Art. Viele der kostbaren Gemälde, Skulpturen und Zeichnungen haben eine lange Reise hinter sich. Begleitet wurden sie auf ihrem Weg von wissenschaftlichen Mitarbeitern. Nach der Ankunft im Diözesanmuseum kontrollierten und dokumentierten Restauratoren jeden Zentimeter der angelieferten Objekte. Konnte corona-bedingt kein Kurier mitreisen, so wurde zusätzlich gefilmt und intensiver fotografiert. Ein spezialisiertes Team kümmerte sich danach um die Platzierung der Objekte
ABSTRACT Corona caused additional filming For the current special exhibition "Peter Paul Rubens and the Baroque in the North" in the Diözesanmuseum Paderborn, many international loans have gone on a long journey. A further highlight is the baroque high altar painting of Paderborn Cathedral, which was destroyed in the Second World War. 75 years after the end of the war to see it again for the first time. Graduate conservator Gisela Tilly led the conservation measures.
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Ordnung ist das halbe Leben Eine sachgemäße Archivierung von Glasnegativen ist zur größten Herausfordung für die Archivare und Restauratoren des Archivio Fratelli Alinari in Florenz geworden. 350.000 Glasnegative bilden den Kern der Sammlung. Wie lässt sich eine derart große Menge hochempfindlicher historischer Objekte bewahren?
Wie sieht die optimale Archivierung einer großen Anzahl historischer Fotografien aus und welche Parameter sind dabei zu beachten? Wie können vor allem hochempfindliche Glasnegative sicher gelagert werden? Vor diesen Fragen stand jüngst das Archivio Storico Fratelli Alinari in Florenz. Kern des Archivs ist die Sammlung von 350.000 Glasnegativen der Gebrüder 32
Alinari aus der Zeit von 1852 bis 1890. Die sachgemäße Langzeitaufbewahrung dieser Sammlung ist zur größten Herausforderung für die Archivare und Restauratoren geworden. Die besondere Anforderung: Die Herstellung speziell maßgefertigter Archivboxen. Nach Abstimmungen, Erstellen diverser Skizzen und Anfertigung mehrerer Proto6/2020
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Fotos: © Fratelli Alinari, Fondazione per la storia della Fotografia
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typen konnten schließlich die Erwartungen der Florentiner Sammlungsbesitzer erfüllt werden, und die Produktion der unterschiedlichen Archivschachteln begann. Mehrere tausend gefaltete Boxen für Negative mit den Abmessungen 21 x 27 Zentimetern und solche, deren Abmessungen 50 x 60 Zentimetern überschritten haben, wurden schließlich hergestellt. Die Wände der Boxen bestehen aus 1,3 Millimeter festem Castello-Karton (ISO 16245 A PAT). In diese maßgefertigten Schachteln kamen nun die 350.000 Glasnegative. Laut Claudio di Polo, dem Präsidenten von Fratelli Alinari, war dies überhaupt der größte Transfer von Fotografiebeständen weltweit. Doch wer waren überhaupt die Ge6/2020
brüder Alinari? In Deutschland sind sie weitestgehend unbekannt. Die Gebrüder Alinari – drei Stück an der Zahl – dokumentierten seit 1852 systematisch die Landschaften und Städte Italiens und fotografierten die Großen ihrer Zeit von Giuseppe Garibaldi bis König Vittorio Emanuele II. Im Jahr 1854 begründeten sie das Unternehmen Fratelli Alinari in Florenz. Heute ist dieses auf die zeitgenössische, professionelle Fototechnik mit einer Bildatenbank spezialisiert und betreibt zudem Museum, Archiv und Verlag. Das Alinari-Archiv besitzt inzwischen mehr als 5,5 Millionen Fotografien weltweit, sowohl in historischen (Daguerreotypien, Albumindrucke, Vintage Prints, Fotoplat-
1 Das Umpacken und Dokumentieren beginnt
2 Die Buontalenti-Tribüne, Uffizien-Galerie, Florenz, Fotograf Alinari Fratelli, um 1890
ABSTRACT Order is half of life Proper archiving of glass negatives has become the greatest challenge for the archivists and restorers of the Archivio Fratelli Alinari in Florence. 350,000 glass negatives form the core of the collection. How can such a large number of highly sensitive historical objects be best preserved?
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Anfassen von speziellen Vitrinenobjekten erlaubt Das Unterlinden-Museum in Colmar hat seine archäologische Abteilung neukonzipiert. Nach dem Abschluss des Umbaus ist eine zeitgemäße Präsentation der archäologischen Artefakte gelungen, die auch anderen, vergleichbaren Häusern als Vorbild dienen kann. Ein derart dichter Einsatz von sogenannten Hands-on-Stationen mit zahlreichen Nachbildungen ist in deutschen Museen bislang noch unbekannt
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ABSTRACT Touching of special showcase objects allowed The Unterlinden Museum in Colmar has redesigned its archaeological department. After the completion of the reconstruction, a contemporary presentation of the archaeological artefacts has been achieved, which can also serve as a model for other, comparable houses. Such a dense use of so-called hands-on stations with numerous replicas is as yet unknown in German museums.
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Die Vermittlung von Zeugnissen früher Epochen der Menschheitsgeschichte ist eine heikle Aufgabe. In vielen Museen wird diese Abteilung von den Besuchern nur allzu oft als rasch zu durchlaufende Durchgangszone zu späteren Epochen angesehen, insbesondere dann, wenn keine spektakulären Highlights wie Goldschätze, Moorleichen oder Fürstengräber zu erwarten sind. Im Unterlinden-Museum in Colmar hat man nun einen Versuch unternommen, die Grabungsfunde zeitgemäß didaktisch aufzubereiten und somit zum „Sprechen“ zu bringen. Die archäologische Sammlung, die Funde von der Jungsteinzeit bis zur Eisenzeit und damit einen Zeitraum von ca. 5500 bis 50 v. Chr. umfasst, befindet sich auf einer Fläche von 250 Quadratmetern im historischen Keller eines ehemaligen Dominikanerklosters. Sie war seit 2011 geschlossen und ist inzwischen grundlegend umgestaltet worden. Das Museumsteam des Unterlinden-Museums in Colmar hat einen dreisprachigen chronologischen Rundgang entworfen, der dem Besucher erlaubt, verschiedene Aspekte der Geschichte des Elsass wie Wohnen, Landwirtschaft, Handwerk, Haushalt und Bestattungsriten zu erkunden. Einen Überblick vermittelt ein Zeitstrahl, der die elsässischen Funde in den europäischen Kontext stellt. Danach konzentriert sich die neue Präsentation auf die wichtigen Grabungsorte aus Colmar und Umgebung. Zu Beginn wird die neolithische Besiedlung des Elsass dokumentiert. Die Region befand sich im Frühneolithikum an der Grenze zwischen zwei Kulturgruppen aus dem Donauraum, den sogenannten „Bandkeramikern“, benannt nach den bänderförmigen Verzierungen auf ihrer Keramik. Große bandkeramische Gefäße
stehen im Mittelpunkt der ersten Vitrine. Einige weisen Ösen für Henkel auf, an denen die Gefäße außerhalb der Reichweite von Nagetieren aufgehängt werden konnten. Das präzise perforierte Sieb aus der Eisenzeit, Teil eines Metallgeschirrs aus einem Tumulus-Grab bei Appenwihr, und ein in der Bronzezeit aus Oberitalien importiertes Rasiermesser sind weitere Highlights der Sammlung. Die Bernsteinperlen einer Kette aus einer Urne der späten Bronzezeit, gefunden 1867 bei Bennwihr, zeugen dagegen vom Austausch mit der Ostseeküste. Das Arsenkupfer einer Kette (4. Jahrtausend v. Chr.), die bei Grabungen im Vorfeld eines Fabrikbaus bei Colmar 2007 entdeckt worden war, stammt nachweislich aus den österreichischen Alpen. Am Ende der Bronzezeit tritt ein Brauch auf, der schwer 6/2020
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zu deuten ist: manche Gegenstände wurden absichtlich zerbrochen oder verformt, bevor sie mit dem Verstorbenen beigesetzt wurden. Häufig ist dies der Fall bei Armreifpaaren, wovon einer zerstört und einer unversehrt gelassen wurde. Bei anderen Artefakten wiederum ist die Funktion ein Rätsel: Waren sie Alltagswerkzeuge oder bloße Prestigeobjekte? Ein Höhepunkt der Sammlung ist das Prunkgrab von Ensisheim. In einem Hügelgrab wurde dort 1873 neben einer Speerspitze qualitativ hochwertiger Goldschmuck zutage gefördert. Demzufolge handelt es sich um ein „Fürstengrab“, von denen nur etwa zwanzig im gesamten gemäßigten Europa bekannt sind. Diese Gräber, die in den Zeitraum zwischen 550 und 480 v. Chr. datiert werden können, dokumentieren den außerordentlichen Reichtum der 6/2020
damaligen Elite, die sich häufig mit Bronzegeschirr aus dem Mittelmeerraum bestatten ließ, so zum Beispiel die Dame von Vix im Burgund. Ein goldener Halsring symbolisierte die herausragende Stellung eines keltischen Fürsten in der zweiten Hälfte des 6. Jh. v. Chr. Dieser Torques mit getriebenem Dekor aus Ensisheim, der aus einer Legierung von 98 Prozent Gold besteht, ist das Symbol der weltlichen und geistlichen Macht des Fürsten. Ein Hauptproblem bei der Präsentation archäologischer Artefakte ist die oft mangelnde Anschaulichkeit. In Colmar versucht man diese mit aquarellierten Zeichnungen von Jean-Claude Goepp zu erreichen, die als Hintergrundpanoramen die Verwendung der in der Vitrine gezeigten Objekte im Alltag der Menschen veranschaulichen. Im konkreten Sinne greifbar
1 Goldschmuck aus einem Fürstengrab, Frühe Eisenzeit, ca. 500480 v. Chr., Ensisheim (Haut-Rhin) 2 „Hands-on-Stationen“ ermöglichen Besuchern das Anfassen vergleichbar gearbeiteter Vitrinenobjekte
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RESTITUTION UND RESTAURIERUNG
„Das ist ja alles gestohlen“ Ethnologische Museen haben ein Imageproblem – ganz besonders das neue Berliner Stadtschloss, das Humboldt-Forum werden soll und die ethnologischen Sammlungen ausstellen will. In die Debatte klinken sich auch Restauratoren wie Wanja Wedekind aus Berlin ein, Initiator der Gruppe „Restaurierung und Restitution“
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Das Neue Berliner Schloss wird im Äußeren weitestgehend originalgetreu in alter handwerklicher Kunst wiederaufgebaut. Auch sein berühmtester Bestandteil, der Schlüterhof, wird rekonstruiert (Entwurf Franco Stella). Hier die Treppenhalle im Schnitt
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Um keinen Platz ist in Berlin so heftig gestritten worden, wie um den Schlossplatz in Berlin-Mitte. Kein Neubauplan zog so viel nicht verstummende Kritik auf sich, wie die Entscheidung, das Hohenzollernschloss dort wieder zu errichten. Diese Kritik flammt beim kleinsten Anlass mit aller Macht wieder auf. Da braucht es nur so eine kleine Meldung wie die, dass die „Gläserne Blume“ aus dem so genannten Palast der Republik der ehemaligen DDR nicht im neuen Schloss aufgestellt werden kann, schon ist die Diskussion wieder laut. Doch damit nicht
genug: Um den Inhalt und das Programm des rekonstruierten Schlosses wird seit einiger Zeit noch erbitterter gestritten. Eigentlich war die Idee des ehemaligen Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann, äußerst charmant. Denn Lehmann hatte mit seinem Vorschlag, die außereuropäischen Sammlungen vom Berliner Stadtrand in die Mitte zu bringen, eine Möglichkeit aufgezeigt, ein neues Gebäude programmatisch zu füllen. Außerdem würde durch die räumliche Nähe zur Museumsinsel mit ihren Sammlungen Europas und Vorderasiens ein 6/2020
Foto: SHF/Architekt Franco Stella mit FS HUF PG
RESTITUTION UND RESTAURIERUNG
Weltmuseumsareal entstehen, in dem die außereuropäischen Sammlungen einen wichtigen Platz bekämen. Die Idee überzeugte, der Bau begann und sollte 2019 eröffnen. Doch – wie üblich in Berlin – werden Termine nicht eingehalten. Die Eröffnung musste um ein Jahr verschoben werden. Ob es bei diesem Termin bleibt, entscheidet sich erst im Sommer 2020. Fest steht bereits, dass die geplante Eröffnung nur eine Teileröffnung sein wird. Hermann Parzinger, aktueller Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, sieht das nach historischem Vorbild wiederaufgebaute 6/2020
Berliner Stadtschloss als Projektionsfläche für Diskussionen. „Das wiederaufgebaute Schloss ist natürlich ein hochpolitischer Ort. Ich sehe die architektonische Hülle aber als eine Art Rückbindung an die deutsche Geschichte und damit als einen stetigen Ansporn dazu, sich kritisch mit dieser Geschichte auseinanderzusetzen; das würde ich mir jedenfalls wünschen“, sagte er Anfang 2019 in einem Interview, das auf der Internetseite seiner Stiftung veröffentlicht ist. Doch die rückwärtsgewandte Optik ist längst nicht mehr das größte Problem in der Wahrnehmung des Hauses. In der Kritik stehen die Sammlungen selbst. Denn mit dem Umzug der ethnologischen Sammlungen rücken deren Exponate und ihre Erwerbungsgeschichten mit aller Macht in den Fokus, in dem sie beispielsweise in Frankreich längst sind. Denn Anfang 2017 erklärte Emmanuel Macron, Frankreichs Museen würden alle diese Kunstwerke an die ehemaligen Kolonialstaaten zurückgeben. Diskussionen, wie sie sich Parzinger wünscht, scheinen nicht mehr das Mittel zur Konfliktlösung. Das spürt auch Hermann Parzinger, der nun immer öfter zum Thema Stellung und seine Museumsverantwortlichen in Schutz nimmt. „Das ist doch die große Chance des Humboldt-Forums, zu aktuellen Debatten Stellung zu nehmen. Die Sammlungen sind jetzt Anlass für eine kritische Betrachtung, auch Selbstbetrachtung. Im Übrigen waren die Themen Kolonialismus und Sammlungsgeschichte in den meisten Ausstellungsmodulen, etwa zu Kamerun, Nigeria, Tansania, aber auch China, immer Teil des Narrativs, schon bei den ersten Planungen vor zehn Jahren, weil den Kuratoren der koloniale Kontext immer bewusst war“, sagte er Mitte 2019 in einem Interview der Neuen Zürcher Zeitung. Vor zehn Jahren war es vielleicht noch eine Pionierleistung, den kolonialen Kontext mitzudenken. Doch seitdem ist die Studie der Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy und des Wirtschaftswissenschaftlers Felwine Sarr erschienen. Sie entstand nach Emmanuel Macrons radikaler Rückgabe-Ankündigung und in seinem Auftrag. Ihr sehr eindeutiger deutscher Titel
ABSTRACT "This is all stolen" Ethnological museums have an image problem especially the new Berlin City Palace, which is to become the Humboldt Forum and will exhibit the ethnological collections. Restorers such as Wanja Wedekind from Berlin, initiator of the group "Restoration and Restitution", are also getting involved in the debate.
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DENKMALPFLEGE
Andenken bewahren Bleiben wir bei belegbaren Fakten. Zu den mysteriösen Umständen des Tods von König Ludwig II. von Bayern wurde in den vergangenen 134 Jahren so viel geschrieben und gemutmaßt, dass das tragische Ende des Monarchen zu einem der großen modernen Mythen mutierte. Ausnahmsweise passt das Adjektiv modern hier tatsächlich, denn als der zum Märchenkönig stilisierte glücklose Aristokrat am 13. Juni 1886 leblos in den Fluten des Starnberger Sees aufgefunden wurde, stand die Kunst- und Literaturepoche der „Moderne“ gerade kurz vor ihrem eigentlichen Beginn. Es sollte aber auch noch zehn Jahre dauern, bis oberhalb der Leichenfundstelle im Wasser nahe Schloss Berg die Errichtung eines Gedächtnisbaus begann, fertiggestellt pünktlich zur Jahrhundertwende. Kurz vor dem 120. „Geburtstag“ des Kenotaphs Votivkapelle wurde selbiges restauriert – und davon lassen sich spannende Tatsachen berichten
1-2 Zur Erinnerung: Oben eine Postkarte, die anno 1900 zur Einweihung der „Gedächtniskapelle“ aufgelegt wurde, welche landläufig Votivkapelle genannt wird. Rechts das Bauwerk heute
ABSTRACT Preserving remembrance Let's stick to verifiable facts. So much has been written and conjectured about the mysterious circumstances of the death of King Ludwig II of Bavaria over the past 134 years that the tragic end of the monarch has mutated into one of the great modern myths. For once, the adjective modern actually fits here, because when the hapless aristocrat, stylized as the "Fairytale King", was found lifeless in the waters of Lake Starnberg on June 13th, 1886, the art and literature epoch of modernism was just about to begin. But it was to take another ten years before the construction of a memorial building began above the site of the corpse discovery in the waters near Berg Castle, completed punctually at the turn of the century. Shortly before its 120th "birthday" the cenotaph Votive Chapel was restored – and there are some exciting facts to report.
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Sie ist kein Sakralbau, auch wenn sie „Votivkapelle“ genannt wird. Sie verfügt über keine Kirchen- oder Sakristeiglocke, ist kein Gotteshaus, auch wenn alljährlich zum Todestag des Ludwig, zu dessen Gedenken sie errichtet wurde, dort eine Messe zelebriert wird – entweder am Datum selbst oder, falls kein Sonntag, dem darauffolgenden selbigen. Gleichzeitig ist sie einem anderen gewidmet. Das Patronat des Zentralbaus mit seinen drei Apsiden obliegt nicht Ludwig II. von Bayern, dessen Leichnam dort im Wasser gefunden wurde, wo man vom Hauptportal gen Westen schauend nah am Ufer ein Holzkreuz im Starnberger See erblickt – sondern dem Heiligen Ludwig, dem mittelalterlichen Kapetinger Ludwig IX. von Frankreich, als Sinnbild eines idealen Monarchen. Außerdem heißt sie offiziell „Gedächtniskapelle“. Das „Votiv-“ im Namen ist eine Schöpfung des Volksmunds, die schon auf einer Handwerkerrechnung von 1903 belegt ist. Denn man war offenbar der Meinung, dass es bei dem Bauwerk nicht nur um das Andenken an den hier gestorbenen König von Bayern ging, sondern auch um Ablass für die Umstände dessen Verscheidens. Es ist also nicht ganz ohne Fallstricke, dieses Bauwerk richtig einzuordnen, dem der heute verantwortliche Architekt Martin Spaenle, der die jüngsten restauratorischen und konservatorischen Maßnahmen leitete, eine prinzipiell hervorragende Bausubstanz attestiert, und an welchem doch jüngst so viel zu ertüchtigen war. Schwierigkeiten gab es vom Anfang der Geschichte dieses erhabenen Gebäudes an, das aus einer Staatskrise geboren ist, die am Abend des unseligen 13. Juni 1886 entstand, als der frisch entmündigte König und der ihm verordnete Psychiater Dr. Bernhard von Gudden plötzlich tot im See trieben. Nicht nur Probleme damit, den Hergang der beiden abrupten Ableben aufzuklären, auch die Herausforderung, eine passende Form des Andenkens für den bis heute von vielen verehrten
Wittelsbacher am Ort des Geschehens zu etablieren – und schließlich auch mit Tücken in der Konstruktion des Bauwerks im feuchten Mikroklima der Uferzone des damals noch als Würmsee bekannten Gewässers. Bereits ein Jahr nach dem Tod Ludwigs II. ließ die Königinmutter Marie 1887 über der Böschung die steinerne Stele mit Laterne aus dem „Enzenauer Marmor“ genannten Nummulitenkalk errichten, die man heute noch dort sieht. Es handelt sich um einen historisch bedeutsamen Werkstein im bayerischen Voralpengebiet, der auch die Außenhülle der nun östlich oberhalb thronenden Votivkapelle bildet. Zu ihrem Bau entschloss sich Ludwigs Nachfolger auf dem Thron, Prinzregent Luitpold, weitere neun Jahre später, als er einsah, dass große Teile der Bevölkerung Bayerns seinen Neffen ungebrochen stark vermissten und es einer angemessenen Andachtsstätte bedürfe, damit irgendwie Seelenfrieden einkehre. Der österreichische Architekt Julius Hofmann, von dem bereits die von Marie gestiftete gewundene Kalksteinsäule mit dem ewigen Licht stammte und der zu Ludwigs Lebzeiten von diesem zunächst mit der Innenausstattung von Neuschwanstein und Herrenchiemsee sowie ab 1884 mit sämtlichen königlichen Bauten betraut worden war, ersann einen neoromanischen Zentralbau, den nach seinem Tod im August des Auftragsjahres 1896 sein Sohn Rudolf bis 1900 vollendete. Bei allem Historismus wurde das Gebäude prinzipiell auf eine seinerzeit wieder recht moderne Betonbauweise errichtet, wobei bereits Jahrzehnte zuvor die Fundamente von Neuschwanstein auch aus Beton gegossen worden waren. Allerdings trat bei dem sehr speziellen, unbeheizten Baukörper der Kapelle mit dem Skelett aus unbewehrtem Beton auf Betonfundament schon bald die eine oder andere Unbill auf, wenngleich es selbst sehr stabil ist. Zwischen der tragenden Struktur setzen sich die doppelschaligen Seitenwände 6/2020
Fotos: Wittelsbacher Ausgleichsfonds / Quirin Leppert (rechts), privat (links)
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DENKMALPFLEGE
1 BU. Nur die 1. Zahl mit Raster, Xxxxxxxx xxxxx xxxxxxx xxxxxx 2 Für eine Sammel-BU nur die erste Zahl wird an Grundlinienraster ausgerichtet sein.
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