RESTAURO 7/2017

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ZEITSCHRIFT FÜR KONSERVIERUNG UND RESTAURIERUNG

NO 7 2017

Kreatives Art Handling Insektenschaukästen als Inspiration für die Depotverpackung GIOTTO Die Cappella degli Scrovegni in Padua ist jetzt neu illuminiert

REFORMATION Martin Luthers Stube offenbart erstaunliche Hinterlassenschaften

BETONBAUTEN Welche Restaurierungsmaßnahmen gibt es für diese nachwachsenden Denkmäler?


INHALT

TITELTHEMA: ART HANDLING Kommentar von Dr.-Ing. Kerstin Kracht Vibrationen und Stöße handeln

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Maike Grün Art Handling im Überflug Dokumentation, Verpackung und Wiederaufbau von Roman Ondáks „Passage“

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Hanno Alsen Jetzt besser bewahrt und dokumentiert Von der Neukonzeption eines Fahnenmagazins

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Dr. Kerstin Kracht Diese Kiste rettet vierzig Bäumen das Leben Über Gemäldetransport mit Nachhaltigkeit

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Hayo Ross Scheuklappen ablegen Von der Auslagerung zur Dekontaminierung von Kunstwerken

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Lisanne Kreie Medien und Technik im Dialog Die Highlights der diesjährigen Exponatec in Köln

Abbau von Kunstgut zur Reinigung

REFORMATION 38

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Ein Blick in die Lutherstube in Wittenberg

Uta Baier „Eine der spannendsten Restaurierungen meiner Laufbahn“ Magdalene Gärtner Mahner an die Vergänglichkeit Original und Rekonstruktion einer Skulptur aus dem Bayerischen Nationalmuseum in München

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Die Kirche St. Ansgar in Berlin

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Konstanze von zur Mühlen Ein Blick auf den Denkmalwert Konservatorische Brisanz von Betonbauten des 20. Jahrhunderts

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Dr. Andreas Hasenstab Auf der Suche nach dem „gläsernen“ Beton Zerstörungsfreie Bauwerksprüfung

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Elke Hamacher Zwischen Schutz und Verlust Anstriche und Beschichtungen auf Betonoberflächen

Fotos (v. o. n. u.): RSP; Uwe Rähmer; AM-Restore, 2016 / Sebastian Rosenberg

BETON

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RUBRIKEN 6 8 8 10 11 12

KUNSTSTÜCK

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BLICKPUNKT Giottos Fresken kommen nun noch besser zur Geltung Von sanftem Sandstrahlen Bauhaus-Stätten sind nun Weltkulturerbe Mit dem Minor-System kann man sich jetzt weiterspezialisieren Konservierung und Restaurierung in Hildesheim studieren Kranke Instrumente retten

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BERUF

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QUALITÄTSSCHMIEDE

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BUCHBESPRECHUNG

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TERMINE Ausstellung Veranstaltungen Impressum Vorschau

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PORTRÄT

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Titelmotiv Die in der Münchener Pinakothek ausgestellte Installation „Passage“ des slowakischen Künstlers Roman Ondák setzt sich aus 386 Miniaturfiguren zusammen. Um die druckempfindlichen Plastiken aus hauchdünner Aluminiumfolie vor Deformierung in der Depotverpackung zu bewahren, entwickelten Restauratoren eine spezielle Technik, die sich an der Fixierungsart in Insektenschaukästen orientiert. Hier ein Blick in eine Verpackungsbox.

Foto: Maike Grün, Bayerische Staatsgemäldesammlungen , © Roman Ondák

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ART HANDLING

Maike Grün

Art Handling im Überflug Dokumentation, Verpackung und Wiederaufbau von Roman Ondáks „Passage“

Arbeitssituation während des Wiederaufbaus

Roman Ondáks Installation „Passage“, seit 2016 wieder in der Münchener Pinakothek der Moderne zu betrachten, stellt bezüglich des Handlings hohe Anforderungen: Dokumentation, geodätische Vermessung sowie Auf- und Abbau haben schwebend zu erfolgen. Besonders ist außerdem das ungewöhnliche Material der Miniaturplastiken aus hauchdünner Aluminiumfolie. Eine eigens entwickelte Methode schützt jetzt die druckempfindlichen Figürchen vor Deformierung in der Depotverpackung.

ABSTRACT Flyover Art Handling Roman Ondák's installation “Passage”, which can be seen at the Pinakothek der Moderne in Munich since 2016, poses particular challenges in terms of handling: documentation, geodetic measurements, assembly, and dismantling have to be done levitating. The material of the silver paper miniature sculptures is special, too. A specially designed method now protects the pressuresensitive objects while being stored.

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Die installative Arbeit „Passage“ von Roman Ondák stellt bezüglich des Handlings einen Sonderfall in der Pinakothek der Moderne (Sammlung Moderne Kunst, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München) dar. Sie besteht aus einem übergroßen Tisch mit 386 darauf ausgelegten Miniaturfiguren (Abb. 1 und 2). Da der Tisch nicht begehbar ist, haben alle Aktionen über ihm „fliegend“ zu erfolgen. Als weitere Herausforderung gilt das ungewöhnliche Material, aus dem die Figürchen hergestellt sind: „Silberpapier“, eine hauchdünne Aluminiumfolie, wie sie zum Einwickeln von Schokolade verwendet wird. Die daraus resultierende Zartheit der Miniaturplastiken stellt hohe Anforderungen an die Depotverpackung.

Der Künstler und sein Kunstwerk Der slowakische Bildhauer, Installations- und Konzeptkünstler Roman Ondák, geboren 1966, integriert oftmals Arbeiten anderer in seine Werke; fallweise delegiert er einen kurzen Moment vor Fertigstellung des Werkes dessen Umsetzung und belässt seine Rolle bei Konzeption und Präsentation.1 Ondáks im Jahre 2004 entstandene „Passage“ zeugt davon in besonders eindrücklicher Form. Auf einem Tisch mit weiß lackierter Platte – seine Maße liegen bei 90 x 600 x 480 Zentimetern – arrangierte Roman Ondák 386 Miniaturplastiken anonymer Meister: „Bei diesen Figuren handelt es sich um das Ergebnis einer Handlungsanweisung. In einem japanischen 7/2017

Foto: Maike Grün, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, © Roman Ondák

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ENTAR KOMM stin Kracht

. Ker Dr.-Ing

Stahlwerk hatte der Künstler Schokoladenriegel an die Arbeiter verteilen lassen und sie gebeten, nach dem Verzehr der Schokolade aus dem Einwickelpapier eine Skulptur zu formen. Eine alltägliche Handlung – das gedankenverlorene Zerknüllen der Alufolie – rückt plötzlich ins Zentrum der Aufmerksamkeit und verwandelt sich in eine kollektive Aktion. Sie belegt die individuelle Begabung des einzelnen Menschen und definiert den Künstler als Kommunikator und Katalysator schöpferischen Handelns“ (Schwenk 2007). „Passage“ wurde bereits mehrmals und an verschiedenen Orten ausgestellt.2 Während Ondák bei den ersten Aufbauten noch mit Variationen bezüglich der Tischgröße und Positionierung der Figuren arbeitete – diese reichten unter anderem bis an die Tischkante heran – hat das Werk seit dem Ankauf für die Sammlung Moderne Kunst im Jahr 2007 eine annähernd einheitliche Form erhalten. Beide Münchner Aufbauten aus Roman Ondáks Hand zeigen entlang der Tischkante einen umlaufend freien Rand von etwa 30 cm, in dem sich keine Figuren befinden. Innerhalb des Figurenfelds positionierte er die kleineren Figuren vornehmlich außen und die größeren innen, sodass die Gesamthöhe zur Tischmitte anwächst. Nach jeder Präsentation wird der Tisch zerlegt und deponiert, für den Wiederaufbau eine weiße Lackschicht perfekt und fugenlos neu aufgetragen. Ondáks eigenhändige Reinstallation von „Passage“ in der Pinakothek der Moderne im Februar 2012 bildet den Ausgangspunkt für die im Folgenden dargestellten konservatorischen Schritte. Die Dokumentation Vorab sei erwähnt, dass das Problem der unbegehbaren Tischplatte mithilfe eines Gabelstaplers gelöst ist: Die jeweilige Person, die sich mit den Arbeitsschritten Auf- und Abbau, Vermessung oder Dokumentation befasst, liegt auf einer

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www.martinjanda.at/de/ausstellungen/2005/6/3/roman-

ondak/, zugegriffen am 30. April 2017. 2

Dezember 2004–Febuar 2005: Center for Contemporary

Art, Kitakyushu, Japan; Juni–Juli 2005: Galerie Martin Janda, Wien; November 2007–Februar 2008 und Februar–Oktober 2012 sowie seit Mai 2016: Pinakothek der Moderne,

Kerstin Kracht ist als selbstständige Ingenieurin tätig und hält an verschiedenen Hochschulen Vorlesungen zur Technischen Mechanik und Schwingungs(mess)technik

Vibrationen und Stöße handeln Eine Transportverpackung für Kunst- und Kulturgüter muss verschiedenste Anforderungen erfüllen: Sie muss vor allem mechanisch stabil und einfach handhabbar sein, sowie das Klima im Inneren konstant halten. Diese Anforderungen erfüllen viele auf dem Markt erhältlichen Transportverpackungen mehr oder weniger gut. Doch lassen Sie uns einmal über den Schutz von Kunst- und Kulturgütern vor Vibrationen und Stößen reden. Fürwahr, es ist nicht einfach, die Vibrationen und Stöße, die während des Transports entstehen, auf dem Weg durch die Verpackung so zu reduzieren, dass am Objekt nicht mehr viel der anfänglichen mechanischen Energie ankommt. Zudem hat sich in den vergangenen 60 Jahren viel getan: gut ausgebildetes Personal, luftgefederte Lkws und eine mehr oder minder elastische Lagerung des Objekts waren damals nicht der Standard. Vielleicht denken Sie nun: „Kann man diesbzgl. überhaupt noch mehr tun? Und wenn ja, muss und will man das überhaupt?“ Die Erfahrungen der Restauratoren zeigen, dass man muss. Immer wieder werden bei Objekten nach einem oder mehreren Transporten Veränderungen im Materialgefüge bis hin zu Brüchen und abgeplatzten Farbschollen festgestellt. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass Akutereignisse nicht zwingend hierfür die Ursache sind. Vibrationen, kleinen Erschütterungen – millionenfach, werden durch eine ungeeignete elastische Lagerung in der Verpackung in für die Objekte ungünstigen Frequenzbereichen verstärkt. Das System ist verstimmt. Wenn Sie nun die Frage stellen: „Was kann man dagegen tun und wer?“, dann antworte ich mit der Gegenfrage: „Wie und von wem würden Sie Ihr Klavier stimmen lassen?“

München.

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REFORMATION

„Eine der spannendsten Restaurierungen meiner Laufbahn“ Diplom-Restaurator Uwe Rähmer hat die Lutherstube in Wittenberg restauriert und fand dabei erstaunliche Hinterlassenschaften: Etwa 350 identifizierbare Inschriften von Besuchern. Die älteste bislang Dokumentierte stammt aus dem Jahr 1655.

1 Blick in die restaurierte Lutherstube in Wittenberg, die bereits im Jahr 1655 als „Museum Lutheri“ bezeichnet wurde 2 Die konservatorischen Maßnahmen umfassten unter anderem die Malschichtfestigung der reich verzierten Wandvertäfelung 3 Aufwendig bemalt ist die Holzvertäfelung in der Südost-Ecke der Lutherstube

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Uwe Rähmer beendete Ende Februar dieses Jahres eine der spannendsten Restaurierungen seiner Laufbahn und hat doch nicht viel mehr machen müssen als abgelöste Farbschollen zu befestigen, Holzpaneele nebelfeucht zu reinigen und einige Retuschen anzubringen. „Es war schon wahrnehmbar, dass die letzte große Restaurierung 1967 stattgefunden hatte. Aber letztendlich waren die jetzt notwendigen Arbeiten nichts Besonderes“, sagt Rähmer. Da sein Arbeitsort jedoch die Lutherstube war, jenes Zimmer, das als einziger lokal gesicherter und erhaltener Wohnraum Martin Luthers in Wittenberg gilt, wurde die Aufgabe für den freien Restaurator aus dem sächsischen

Großröhrsdorf immer interessanter. Denn die Verehrung Martin Luthers und der Besuch seiner Wirkungsstätten setzte schnell nach seinem Tod 1546 ein. Zwar gingen die Wittenberger Familien-Wohnräume ins Eigentum der Universität über und wurden von ihr umgebaut und genutzt. Doch das holzgetäfelte Zimmer, in dem Luther wohl seine berühmten Tischreden hielt, wurde zur Pilgerstätte. Deshalb blieb dieser Raum erhalten – wenn auch nicht unverändert. Denn die Besucher wollten nicht nur Luther nahe sein, sie wollten ihm auch etwas hinterlassen. Und so schrieben sie bevorzugt mit Kreide die Jahreszahl ihres Besuchs und ihre Initialen auf die Wände und in die Schubkästen 7/2017

Fotos: (1–3, 5–8) Uwe Rähmer; (4) Uta Baier

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REFORMATION

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des Tisches, ritzten sie in die vielen kreisrunden Scheiben der Fensterverglasung. Offenbar um die eigene Inschrift vor einem schnellen Wegwischen zu sichern, kletterten manche Besucher sogar auf den Ofen und verewigten sich an der Deckenverkleidung. Sieht man genau hin, kann man überall Reste dieser jahrhundertealten Inschriften entdecken. Die älteste jetzt dokumentierte stammt von 1655. „Der Raum war sofort nach Luthers Tod ein Memorialraum“, sagt Uwe Rähmer. Als Karl Friedrich Schinkel Anfang des 19. Jahrhunderts für die Stube als preußischer Landesbaudirektor verantwortlich war, soll sie noch ganz mit Kreide vollgeschrieben gewesen sein – mehrschichtig. Schinkel erhielt die Besucher-Aufschriften, Friedrich August Stüler, sein Nachfolger, ließ sie später entfernen, bis auf die von Zar Peter I., dessen Initialen noch heute auf dem Türblatt unter Glas zu sehen sind. Die Abnahme der Kreideinschriften durch Stüler war allerdings eher oberflächlich. Auch die letzte Restaurierung 1967, also vor genau 50 Jahren, ließ die Reste der Inschriften unangetastet. Uwe Rähmer hat die noch vorhandenen mit Firniss gefestigt. Neben Reinigung und Restaurierung hat Rähmer die gesamte Stube kartiert und alle Inschriften fotografiert. Insgesamt 800 Fotos sind entstanden. Rähmer nimmt an, dass bei der Auswertung der Fotos 300 bis 350 Inschriften identifiziert werden können. Karin Lubitzsch, Restauratorin der Stiftung Luthergedenkstätten Sachsen-Anhalt, will demnächst ein Projekt zur Erforschung der früheren Besucher initiieren. Denn bis zur Gründung des Luther-Museums 1883 wurden Besucherbücher ausgelegt, die erhalten sind und zusammen mit den Inschriften ausgewertet werden sollen. Warum viele Besucher weiße Kreide benutzten, weiß heute niemand mehr. Vielleicht war sie einfach in der Universität gut verfügbar. Vielleicht wurde sie extra ausgegeben, damit es nicht zu größeren Schäden kam. Bisher wurde keine historische Quelle gefunden, die darüber nähere Auskunft geben würde. Doch Schmierer und Devotionalienjäger gab es schon immer. Der Tisch in der Lutherstube war beispielsweise einst mit Furnier überzogen. Heute ist seine Oberfläche ziemlich zerklüftet und vom Furnier ist nichts mehr zu sehen. Offenbar haben sich Besucher mit Messern Späne abgeschnitzt, ebenso wie aus den Fussbodendielen. 7/2017

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BETON

Konstanze von zur Mühlen

Ein Blick auf den Denkmalwert Konservatorische Brisanz von Betonbauten des 20. Jahrhunderts

Die Gebäude der Anfangszeit des monolithischen Betonbaus kommen in die Jahre, und wir sind mehr und mehr damit konfrontiert, wie man mit diesen Zeitzeugen umgeht. Dabei stellt sich die Frage, wie akzeptiert ist historischer Beton in der heutigen Gesellschaft?

1 Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche: Kapelle nach der Instandsetzung und Restaurierung

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2 Die Kirche St. Ansgar in Berlin nach Fertigstellung der Instandsetzungsund Restaurierungsarbeiten

ABSTRACT Concrete constructions of the 20th century The buildings from the early days of monolithic concrete construction are getting on in years and pose the questions of how to treat these contemporary witnesses and how well accepted historical concrete is in today's society.

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Seit Beginn des 20. Jahrhunderts spielt Beton eine maßgebliche Rolle in der Architektur und dem Ingenieurbau. Mit dem von Le Corbusier in den 1950er-Jahren begründeten Brutalismus gewann Beton als Baumaterial an Bedeutung und wurde mit seiner Ungeschliffenheit und Schalungsrauheit

bewusst gestalterisch eingesetzt. Mittlerweile kommen die Gebäude der Anfangszeit des monolithischen Betonbaus in die Jahre, und wir sind damit konfrontiert, wie man mit diesen Zeitzeugen umgeht. Dabei stellt sich die Frage, wie akzeptiert ist historischer Beton in der heutigen Gesellschaft? 7/2017

Fotos: (1) Wüstenrot Stiftung, 2017; (2) AM-Restore, 2016 / Sebastian Rosenberg

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BETON

Historischer Beton in der Denkmalpflege Immer mehr Bauten der Nachkriegszeit werden aufgrund ihrer künstlerischen, technischen, wissenschaftlichen, intellektuellen oder historischen Werte als erhaltenswerte Zeugen der Architektur des 20. Jahrhunderts in die Denkmallisten aufgenommen. Die Denkmaleigenschaft eines Bauwerks oder Objekts wird im Allgemeinen der Substanz, also dem Material zugeschrieben, welches es zu erhalten gilt. Im Fall der sogenannten „neuzeitlich-historischen Gebäude“ ist es der Beton, der den kulturhistorischen Wert besitzt. Bestrebungen, die zum Schutz eines Denkmals führen, können von unterschiedlichen Gruppen der Gesellschaft ausgehen. Das können sowohl staatliche als auch private Initiativen sein, die von Faktoren wie Zeitgeist, Wirtschaft und Mode beeinflusst sind. Die gesellschaftliche Akzeptanz von historischen Betonbauten ist daher essenziell für deren Erhalt. Beton in der Gesellschaft Beton hat ein schlechtes Image, was vor allem auf den massenhaften und ästhetisch anspruchslosen Einsatz im Wohnungsbau von der Wiederaufbauzeit bis in die 1970er-Jahre zurückzuführen ist. In dieser Zeit entstanden zahlreiche Bausünden, die von der damaligen Gesellschaft als brachial, fast schon menschenfeindlich empfunden wurden. Der Begriff „Brutalismus“, der den Baustil der Nachkriegszeit definiert, stammt aus den 1950er-Jahren und hat seinen Ursprung im französischen „beton brut“. „Brut“ bedeutet „roh“ und verweist auf ein wesentliches Definitionsmerkmal des Stils: die rohe, unverputzte Materialsichtigkeit. Die extremen Kontraste und harten Linien waren zur damaligen Zeit so neu und wurden als so abweisend empfunden, dass dem Beton, auch aufgrund der häufigen Verwendung im Wohnungsbau während späterer Jahre, immer noch ein negativer Ruf anhaftet. Seit einigen Jahren lässt sich eine Veränderung der Akzeptanz von Betonbauten in der Gesellschaft beobachten. Die Bewertung von Schönheit unterliegt dem jeweiligen Zeitgeschmack, aber auch sozioökonomischen Umständen, die sich ständig wandeln. Seit Jahren ist eine Retrobewegung in der Kultur zu verzeichnen, sodass auch die als brutal verschrienen Gebäude mittlerweile als schick gelten. Alte Betonklötze werden zu gefragten Eventlocations. Internationale Organisationen lenken vermehrt ihre Aufmerksamkeit auf die Kunst- und Kulturwerke der Nachkriegszeit. In sozialen Netzwerken wird brutalistische 7/2017

Architektur gefeiert. ICOMOS hat bereits vor 20 Jahren das Projekt „20th Century Heritage“ ins Leben gerufen, das sich mit dem Erhalt von neuzeitlicheren Kulturgütern beschäftigt. Mit dem relativ jungen Projekt „SOSBrutalism“ entsteht akutell eine Datenbank, die besondere Architekturbeispiele des Brutalismus aufnimmt und klassifiziert. In Berlin wird dem Hansaviertel viel Aufmerksamkeit geschenkt, und die wichtigsten Bauten der „Interbau 57“ werden nach und nach instand gesetzt. Ähnliches geschieht mit Sakralbauten. So wird zum Beispiel für die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin seit Jahren eine umfassende Instandsetzung geplant und ausgeführt. Fachveranstaltungen zum Thema Betoninstandsetzung sowie Ausstellungen zur Architektur des Brutalismus lassen auf größeres gesellschaftliches Interesse schließen. Auch der Restaurierungsbedarf der Betonbauten trägt dazu bei, dass die Architektur der Nachkriegszeit mehr in den Fokus rückt. Bei der Planung und Ausführung erforderlicher Arbeiten an Betonbauten zeigt sich immer wieder die Widersprüchlichkeit zwischen den technischen Anforderungen einer Instandsetzung und den Ansprüchen der Denkmalpflege, vor allem im Hinblick auf den Erhalt der Oberfläche und deren ästhetische Anmutung. Oft verlangen die Regelwerke eine vollflächige Überspachtelung, um eine nachhaltige Sanierung zu gewährleisten. Das geschieht dann auf Kosten des eigentlich Schützenswerten, der Betonoberfläche. Weiterführende Studien und Erhebungen zum Status quo der Akzeptanz von historischen Betonbauten in der Gesellschaft, im Hinblick auf den Denkmalwert, wären ein wünschenswerter Beitrag, um den Weg für klarere Lösungen bei der Sanierung beziehungsweise Restaurierung von Betonbauten zu ebnen.

Zur Autorin Dipl.-Rest. Konstanze von zur Mühlen hat einen Master of Science in Heritage Management. Sie ist seit 1996 im Bereich der praktischen Restaurierung und Denkmalpflege, der archäologischen Restaurierung und im Projektmanagement in internationalen Organisationen tätig. Unter anderem hat sie zehn Jahre an den Tempelanlagen in Angkor Wat, Kambodscha, in internationalen Projekten gearbeitet. Seit 2012 hat sich Konstanze von zur Mühlen auf die Restaurierung von Beton, die restauratorische Befunduntersuchung, Konzeptionierung und Restaurierungsplanung spezialisiert. Sie ist Mitbegründerin der Firma Antony und von zur Mühlen GbR (AM-Restore), deren Hauptgebiete die restauratorische Instandsetzung von Objekten und Bauwerken aus Beton und die Behandlung von Sichtbetonoberflächen moderner Architektur sind. Kontakt: vzmuehlen@am-restore.eu

Literatur Zimmermann 2008 Zimmermann, Florian: Was macht den Beton denkmalwürdig? Argumente für die Konservierung des Verborgenen und des Sichtbaren, in: Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): Denk-mal an Beton! – Berichte zur Forschung und Praxis der Denkmalpflege in Deutschland, Band 16, Petersberg 2008, S.143–157.

æ Weitere Informationen zu den im Text genannten Projekten finden Sie hier: www.icomos.org/20th_heritage/ montreal_plan.htm www.sosbrutalism.org 49


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