RESTAURO 7/2020

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ZEITSCHRIFT FÜR KONSERVIERUNG UND RESTAURIERUNG

NO 7 2020

Originalsubstanz schützen Kulturelles Erbe erforschen und erhalten

LEIPZIG Was bringt die Fachmesse Denkmal 2020?

WIEN Diplom-Restauratorin Susanne Beseler im Porträt

LONDON Die Wallace Collection erforscht Möbel von Jean Henri Riesener


INHALT

DENKMALPFLEGE UND KULTURERBE 10

Begutachtung von allen Seiten Drohnen als Werkzeuge für die Erfassung und Dokumentation bestehender Bauwerke oder Objekte in der Denkmalpflege

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Zeugnisse für das Vergangene Beim Berliner Schloss-Nachbau gibt es nicht nur originalgetreu rekonstruierte, sondern auch tatsächliche Originalbauteile. Eine Spurensuche

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Forschung, Tradition und Handwerk Die brandenburgische Tischlerei Spatzier ist als Spezialist für die Erhaltung von Baukultur vorrangig im Denkmalschutz tätig. RESTAURO sprach mit Juniorchef Jörg Spatzier

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Im Spätherbst führen alle Wege nach Leipzig Die „denkmal“ – Europäische Leitmesse für Denkmalpflege, Restaurierung und Altbausanierung findet vom 5. bis 7. November 2020 in Leipzig statt

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Moderne Systeme kosten Geld Ein Gespräch mit Barbara Schock-Werner, der ersten Dombaumeisterin in der Geschichte des Kölner Doms über die Notwendigkeit von besseren Maßnahmen zur Brandsicherung in Kirchen

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Refresh für Beethoven Das denkmalgeschützte Beethoven-Haus in Bonn erhielt pünktlich zum 250. Geburtstag des Komponisten eine neu konzipierte Dauerausstellung

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Aus der Praxis entstanden An der Fachhochschule Potsdam wurde ein Dosier- und Injektionsgerät für die Holzkonservierung entwickelt, basierend auf einem Kartuschensystem

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Geschichte weitererzählen Ein Porträt der Diplom-Restauratorin Susanne Beseler aus Wien

Save the date: Alle zwei Jahre trifft sich die Fachwelt in Leipzig auf der Fachmesse „denkmal“

Ein Porträt über die Diplom-Restauratorin Susanne Beseler aus Wien

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Endlich ein Partner Mit „digitus.art“ entwickelt Steinrestaurator Ilja Streit digitale Konzepte für Kunst und Kulturgüter sowie berührungslose Erfassung von Objekten

PAPIERRESTAURIERUNG Ein fachübergreifendes Projekt zur Erhaltung historischer Sammlungsetiketten

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Zuwachs an Kostbarkeiten Die Bayerische Staatsbibliothek in München hat drei wertvolle Handschriften bayerischer Provenienz aus dem Spätmittelalter und der Renaissance erworben: Jetzt wurden sie digitalisiert

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Leise rieselt der Informationsträger Sammlungsbetreuerin und PapierrestauratorInnen sorgten gemeinsam für den Erhalt der vom Verlust bedrohten Originalbeschriftung der Feuchtpräparatesammlung der Leipziger Universitätsfrauenklinik

„digitus.art“ arbeitet im Bereich der High-end-3D-Digitalisierung und crossmedialen Präsentation von Kulturgut

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Fotos (v. o. n. u.): Leipziger Messe GmbH / Tom Schulze, privat, UBL/Friedrun Thomschke, Candy Welz

DIGITALISIERUNG


RUBRIKEN

PORTRÄT Papiermachermeister Marco Castellini („Toscolano 1381“) aus Brescia

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TERMINE Veranstaltungen Impressum Vorschau

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BLICKPUNKT Die Londoner Wallace Collection erforscht Möbel von Jean Henri Riesener BERUF: Tagungen für alle!

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KUNSTSTÜCK Santa Giulia, die UNESCO-Stätte der Langobarden von Brescia

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Brescia ist nach Mailand die zweitgrößte Stadt in der Lombardei und eine Stadt voller kultureller Schätze: Seit 2011 zählt das römische Forum und der Klosterkomplex San Salvatore-Santa Giulia zum UNESCO-Weltkulturerbe. Besonders beeindruckend ist das Tonnengewölbe, das in ihrer monumentalen Großform das Raumganze betont: Die Kassettierung „all‘antica“ ist nur aufgemalt. Über zehn Jahre dauerte die Phase der Restaurierung. Lesen Sie weiter auf Seite 7.

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DENKMALPFLEGE UND KULTURERBE

Begutachtung von allen Seiten Aktuelle und verlässliche Bestandsdaten sind die wichtigste Grundlage einer umsichtigen Planung. Drohnen sind dabei ein interessantes Werkzeug für die Erfassung und Dokumentation bestehender Bauwerke oder Objekte – und ein Baustein der Digitalisierung in der Denkmalpflege. Die unbemannten Luftfahrzeuge ermöglichen Inspektionen, Aufmaße und Dokumentationen

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DENKMALPFLEGE UND KULTURERBE

Unbemannte Fluggeräte, englisch Unmanned Aircraft Systems oder Unmanned Area Vehicles (UAS, UAV), populär meist „Drohnen“ oder „Multicopterd“ genannt, werden inzwischen in zahlreichen Bereichen des Bauens, Sanierens und Erhaltens von Baubestand eingesetzt. Mit einer visuellen Digital- oder Wärmebildkamera oder einem 3-DLaserscanner ausgestattet, können ferngesteuerte Drohnen Steinbrüche, Fassaden oder Dachflächen inspizieren oder geometrisch erfassen, Schäden lokalisieren und dokumentieren, Energieverluste aufdecken und vieles mehr. Sollen Bau-, Sanierungs- oder Umbaumaßnahmen erfolgreich sein, müssen sie sorgfältig vorbereitet und geplant werden. Aktuelle und verlässliche Bestandsdaten sind die wichtigste Grundlage einer umsichtigen Planung. Terrestrische Aufmaßverfahren wie die Tachymetrie, das Laserscanning oder die Fotogrammetrie erfassen nur jene Bereiche, die vom Boden oder von der umgebenden Bebauung aus zugänglich und sichtbar sind. Dachflächen und andere unzugängliche Bereiche der Gebäudefassade lassen sich geometrisch und fotografisch nicht oder nur unzureichend erfassen. Drohnen können über die luftbildgestützte Fotogrammetrie oder 3-D-Laserscanner Bauwerke und andere Objekte lückenlos geometrisch vermessen und werden deshalb manchmal auch parallel eingesetzt: Aus perspektivisch entzerrten Luftbildern lassen sich zentimetergenaue und maßstabsgerechte Dachaufsichten oder Fassadenansichten erstellen. Werden die Luftbilder fotogrammetrisch ausgewertet, lassen sich daraus 2-D-Pläne oder dreidimensionale Modelle der Gebäudehülle erstellen. Diese können als Grundlage für Planungen, Kostenberechnungen, Ausschreibungen oder Visualisierungen verwendet werden. Mit speziellen 3-D-Laserscannern ausgestattete Drohnen, können das Umfeld rasterförmig in Sekundenschnelle abtasten und dabei Millionen von 3-D-Messpunkten, sogenannte „Punktwolken“ erzeugen. Dabei speichern sie die Geometriedaten aller 7/2020

1 Drohnen können über die luftbildgestützte Fotogrammetrie oder 3-D-Laserscanner Bauwerke und andere Objekte lückenlos geometrisch vermessen

ABSTRACT Appraisal from all sides Up-to-date and reliable inventory data are the most important basis for prudent planning. Drones are an interesting tool for recording and documenting existing buildings or objects - and a building block of digitisation in the preservation of historical monuments. The unmanned aircraft enable inspections, surveys and documentation.

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DENKMALPFLEGE

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DENKMALPFLEGE UND KULTURERBE

Zeugnisse für das Vergangene Es ist nicht so, dass es sich beim Berliner Schloss-Nachbau um eine reine Rekonstruktion handelt. Es gibt nicht nur originalgetreu rekonstruierte, sondern auch tatsächliche Originalbauteile. Wir haben uns auf Spurensuche begeben und festgestellt: Den Rekonstrukteuren des Berliner Schlosses sind die originalen Spolien lieb und teuer

Geschichtsklitterung, Kunstfälschung, Sehnsucht nach heimeliger Idylle werden den Protagonisten gern vorgehalten, die das Rekonstruieren längst verschwundener historischer Bauwerke betreiben. Oft fühlen sie sich in eine moralisch unterlegene Position gedrängt und sehen sich genötigt, ihr Tun zu legitimieren. So ist es leicht nachvollziehbar, dass sie erhaltene originale Relikte gewissermaßen mit Gold aufwiegen. Fundstücke, sogenannte Spolien, möglicherweise noch in situ vorhandene Originalbauteile, werden mit großem Aufwand in den Neubau integriert – als Zeugnisse für das Vergangene. Mal sind es nennenswerte Reste wie bei der Frauenkirche in Dresden, deren alt-neu gesprenkelte Fassaden beredt vom Schicksal des Baus erzählen. Mal sind es nur vereinzelte, zufällig erhaltene Stücke, deren Erscheinung an einer nagelneuen Barockfassade doch ein wenig der Erklärung bedarf. Als die Ruine der Hohenzollernresidenz 1950 aus politischen Gründen weggesprengt wurde, konnten nur wenige skulpturale Bauteile vor den Barbaren gerettet werden. Skulpturen von Schlüters Hand zum Beispiel. Lediglich einer der Risalite, das „Portal IV“, fand Gnade, weil auf dessen Balkon Karl Liebknecht am 9. November 1918 die sozialistische Republik ausgerufen hatte. Kurioserweise war dieses Portal IV schon eine Replik, denn Eosander von Göthe hatte es um 1708 bei seiner Schlosserweiterung als Kopie des wenige Jahre zuvor von Andreas Schlüter geschaffenen Portals V gestaltet. Der Risalit wurde 1963 unter Verwendung von Originalteilen rekonstruiert und dient als Haupteingang des Staatsratsgebäudes. Und das auch heute noch, denn diese Originalteile wurden nicht wieder am Schloss eingebaut, wohl aber eine Reihe von Formteilen, Figuren, Bauzierstücke, die irgendwo auf Lagerplätzen, im Bauschutt oder, wie ein zum Blumentrog umfunktionierter Abakus vor dem Märkischen Museum, überlebt hatten und nun wie Preziosen behütet werden. Die künstlerisch wertvollsten Stücke, etwa die SchlüterPlastiken, sind im „Skulpturensaal“ zu bewundern und werden am Außenbau als Replik 7/2020

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montiert. Neben dem Grundstein des Neubaus findet sich heute ein alter Eckstein, bei der Bergung 1950 noch mit roter Ölfarbe nummeriert. Oben am Portal V (Westseite, unter der Kuppel) stemmen Hermen schweres Gebälk. Doch ihnen fehlen wesentliche Teile. „Können Hermen ohne Arme schwere Kragplatten tragen?“, fragen die Architekten. Derweil hatten Ingenieure mit den Spolien viel zu tun. Sie können nicht einfach wie normale Steine in den Verbund eingebaut werden, denn niemand kann für die Stabilität und Tragfähigkeit der alten Steine garantieren. Den Vorschriften gemäß werden die Lasten in der Wand umgeleitet – kein billiges Unterfangen. Wenn es gilt, den Genius Loci des Bauwerks „glaubhaft zu machen“, verweisen die Schlossbauherren gern auf die Ausgrabungen der Fundamente und Kellerwände in der Südwestecke, die mit erheblichem Aufwand im „Schlosskeller“ zugänglich gemacht werden. Dazu wurden die Ausgrabungen mit einer tragfähigen Sand- und Schotterschicht wieder verfüllt, um darauf mit schwerem Gerät Bohrpfähle zu setzen und so durchzustanzen, dass keine historischen Befunde zerstört wurden. Auf den Pfählen und der Tragschicht wurde die Kellerdecke

1-2 Da die Architektur und fast der gesamte Bildhauerschmuck der Serliana zerstört waren, musste nach historischen Fotos und Dokumenten rekonstruiert werden. Lediglich die originalen Köpfe der beiden Figuren, Genius und Fama, sind nach Krieg und Sprengung erhalten geblieben

ABSTRACT Testimonies for the past It is not the case that the Berlin Palace reconstruction is a mere reconstruction. There are not only reconstructed true to the original, but also actual original building parts. RESTAURO went on a search for clues and found them: The reconstructors of the Berlin Palace are fond of original spolia.

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KULTURERBE UND DENKMALPFLEGE

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Forschung, Tradition und Handwerk Auf Restaurierung und Rekonstruktion alter Holzelemente liegt der Schwerpunkt der brandenburgischen Tischlerei Spatzier. Als Spezialist für die Erhaltung von Baukultur ist das Familienunternehmen vorrangig im Denkmalschutz tätig. RESTAURO sprach mit Juniorchef Jörg Spatzier. Der Tischlermeister und Restaurator machte 2019 noch seinen Master an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder

1 Kurt Spatzier (Mitte) leitet gemeinsam mit seinen beiden Söhnen Jörg (links) und Dirk (rechts) Spatzier die Tischlerei 2 Dirk und Jörg Spatzier (v.l.n.r.) bei der Begutachtung der neuen Eingangstür für das Schloss Oranienbaum

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Dieses Jahr feiert der Familienbetrieb 125-jähriges Jubiläum. Gegründet wurde die Tischlerei 1895 vom Urgroßvater des Geschäftsführers Kurt Spatzier. Gemeinsam mit seinen beiden Söhnen Dirk und Jörg Spatzier leitet Kurt Spatzier die Tischlerei. Und auch die nächste Generation steht bereits in den Startlöchern: Stolz verkündet Jörg Spatzier im Gespräch mit RESTAURO, dass sein Sohn im August die Lehre zum Tischlergesellen im Familienbetrieb begonnen hat. RESTAURO: Was sind die Schwerpunkte Ihres Unternehmens?

Das Unternehmen legt seinen Schwerpunkt auf die Restaurierung und Rekonstruktion alter Holzelemente. Hauptsächlich sind wir im Denkmalschutz tätig. Unser Anspruch ist es, die Baukultur zu erhalten. Deshalb arbeiten wir sehr eng mit Planern, Bauherren und Denkmalämtern zusammen. Außerdem ist die Tischlerei Spatzier als Problemlöser bekannt. Unsere Lösungsansätze sowie die Umsetzungen werden von unseren Auftraggebern geschätzt. Unser Arbeitsfeld erstreckt sich von hochwertiger Restaurierung im Bausektor bis hin zu high-tech Produkten im Türen- und Fensterbereich nach histori7/2020


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schem Erscheinungsbild. Fenster und Türen, Wandpaneele und Heizkörperverkleidungen sind Schwerpunkte unserer Projekte. Das Thema Fußböden versuchen wir auszuklammern, da es ein sehr spezielles Thema ist. In diesem Bereich arbeiten wir mit Partnern zusammen. Viele unserer Aufträge sind derzeit mit technischen Produkten verbunden, da der Denkmalschutz immer viel mit Personenoder Sachgutschutz zu tun hat. Das beinhaltet Einbruchmeldetechniken sowie Brand-, Rauch-, Schallschutztüren oder Fenster. Dank unserer jahrelangen Erfahrung im denkmalpflegerischen Bereich können wir diese technischen Komponenten in historische Bauteile oder Nachbauteile integrieren. An welchen Projekten arbeiten Sie derzeit? Wir sind viel in der Kulturstiftung Dessau Wörlitz unterwegs und arbeiten sehr viel im Schlossbau, aktuell im Schloss Oranienbaum in Oranienbaum. Hier habe ich mir ein eigenes Projekt an Land gezogen, für mich ganz persönlich als Jörg Spatzier. Ich baue dort gerade zwei Eingangstüren. Für diese Türen habe ich mir die Zeit genommen und die Fläche mit einem Hobel geputzt. Das ist für mich eine Frage der Authentizität – technisch und handwerklich auf hohem Niveau. Diese Türen enthalten sehr komplexe, vollintegrierte Schlosssysteme mit einer Reihe elektronischer Komponenten, um Einbruchsversuche zu melden und um sicherzustellen, dass die Elemente verschlossen sind. Die Schlosssysteme werden an vorhandene, vorab von uns restaurierte Blockzargen mit neu hergestellten und geschmiedeten Bändern angeschlagen. Zusätzlich haben wir um die 45 Fenster des Schlosses restauriert und zum Teil neu hergestellt. Als Verglasung kamen mundgeblasenes Tafelglas von der Glashütte Lamberts im Erdgeschoss und im Obergeschoss sowie Bleinetze im Keller zum Einsatz. Hierfür mussten Beschläge von einem Gelbgießer neu hergestellt werden. Auch hier sind Einbruchmeldekontakte verbaut. Leinölfarbe bildet die Oberfläche. Darüber hinaus haben wir viel in Potsdam zu tun. Wir arbeiten derzeit in einigen Kirchen, in der Villa Kellermann und dem Karl-Foerster Haus in Potsdam. Mit unseren Projekten sind wir hauptsächlich im Land Brandenburg und Sachsen-Anhalt unterwegs. Für Ihre Projekte bekommen Sie regelmäßig Preise, unter anderem den „Bundespreis für Handwerk in der Denkmalpflege“. Ich behaupte jetzt einfach mal, dass noch 7/2020

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DENKMALPFLEGE

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Refresh für Beethoven

ABSTRACT Refresh for Beethoven The listed Beethoven House in Bonn received a newly designed permanent exhibition in time for the 250th birthday of the composer. The exhibition focuses more on the building itself: Renewed mineral plasters and paints in the interior play their part.

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Das Bonner Beethoven-Haus ist ein Magnet für Touristen aus aller Welt: Etwa 100.000 von ihnen kommen jährlich, um den Ort zu sehen an dem 1770 Ludwig van Beethoven geboren wurde. Pünktlich zum 250. Geburtstag des Komponisten erhielt das Haus jetzt eine neu konzipierte Ausstellung, bei der das Gebäude an sich mehr in den Mittelpunkt rückt. Erneuerte mineralische Putze und Farbanstriche im Innenbereich tragen ihren Teil dazu bei und setzen die Exponate angemessen in Szene. Das denkmalgeschützte Gebäude beherbergt die umfassendste Beethoven-Sammlung der Welt mit bedeutenden Gegenständen aus dem Leben des Komponisten. Die Familie Beethoven bewohnte den Gartenflügel des Hauses von 1767 bis 1774. Im 19. Jahrhundert diente es als Wirtschaft sowie als Wohn- und Geschäftshaus bis sich 1889 der Verein Beethoven-Haus gründete mit dem Ziel, das Haus zu erwerben und als Gedenkstätte zu erhalten. Nach Instandsetzungen in den 1930er und 1960er Jahren, in die auch das benachbarte Haus „Zum Mohren“ mit dem Beethovenarchiv einbezogen worden war, folgte 1994 bis 1996 die dritte grundlegende Restaurierung des Hauses. „Das Haus Bonngasse 20 genießt den höchsten Denkmalschutzrang, da es das Geburtshaus von Beethoven ist. Auch das Haus nebenan, die Nummer 18,

ist denkmalgeschützt“, erklärt Dr. Nicole Kämpken, Museumsleiterin des BeethovenHauses. Die Gebäude befanden sich 2019 insgesamt in einem guten Zustand. Hauptziel war es daher, die Ausstellung zu aktualisieren. „Eine der aufwendigsten Maßnahmen, die wir 2019 durchgeführt haben, war die Neuverlegung der Elektrik in den kleinen, kabinettartigen Räumen, um ein adäquates Beleuchtungssystem installieren zu können. Dafür mussten wir die Wände öffnen und die Holzdielen vom Boden aufnehmen. Auch wenn ich mich zwischendurch aufgrund der vielen aufgestemmten Schlitze erschrocken habe, wurde der Putz nur dort entfernt, wo Kabel verlegt wurden – der Rest blieb unversehrt“, erläutert Kämpken die Maßnahmen. „Die Arbeit hat sich gelohnt, denn früher hatten wir nur eine Ambientebeleuchtung mit zwei Lampen in jedem Zimmer, und jetzt haben wir viel mehr Licht mit modernen LED-Leuchten und beleuchteten Vitrinen.“ Nach den Elektroarbeiten verputzten die Handwerker die Wände wieder mit einem Kalkputz und strichen sie neu. „Bereits 1994 wurde Kalkputz auf Grundlage von Rezepturen aus der Zeit des 18. Jahrhunderts verwendet – unter der Voraussetzung, so wenig wie möglich von der Originalsubstanz anzutasten. Vorher wurden damals mehrere Dispersionsanstri7/2020

Fotos: KEIM Farben

Das denkmalgeschützte Beethoven-Haus in Bonn erhielt pünktlich zum 250. Geburtstag des Komponisten eine neu konzipierte Dauerausstellung. Diese stellt das Gebäude selbst mehr in den Mittelpunkt: Erneuerte mineralische Putze und Farbanstriche im Innenraum tragen ihren Teil dazu bei


DENKMALPFLEGE

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che an den Wänden entfernt“, berichtet Kämpken. Die Verantwortlichen entschieden sich bei der Renovierung des Hauses für die Produkte der in Diedorf bei Augsburg ansässigen Firma Keimfarben GmbH. Aufgrund ihrer Diffusionsoffenheit für denkmalgeschützte Gebäude schienen diese Farben ihnen für den Zweck prädestiniert zu sein. „Mit Keim Universal Putz grob haben wir die Kabelschlitze in allen Räumen geschlossen, um dann mit dem feinen Putz eine ebene Fläche zu schaffen“, erklärt der ausführende Maler- und Lackierermeister Lucas Lüpschen (Heinrich Schmid). „Es folgte der Auftrag der Sol-Silikatfarbe Keim Innostar in einer Nass-in-Nass-Technik. Das heißt, wir haben in zwei Schritten gearbeitet: vorgerollt und kurz danach nachgerollt.“ Die sogenannten Kölner Decken – Balkenkonstruktionen mit Stuck – bekamen mit mineralischer Farbe ebenfalls einen Neuanstrich, allerdings wurde die Farbe gespritzt. Sie bilden einen dezenten Kontrast zu den pastellig gestalteten Wänden. Aus dem Restaurierungsbericht der Arbeiten aus den 1990er Jahren ging hervor, dass sich die ursprüngliche Farbigkeit im Innern des Beethoven-Hauses anhand von Befunden nur teilweise rekonstruieren ließ. Denn durch die vorangegangenen Renovierungen des Gebäudes kam es besonders an den Wänden zu erheblichen Verlusten an Originalsubstanz. Damals entschieden sich die Verantwortlichen, die bisherige Farbigkeit (unter anderem in Rosa-, Resedagrün- und Grautönen) mangels Befunde zu übernehmen, allerdings um Nuancen verstärkt. Dieser Restaurierungsbericht diente den Verantwortlichen bei der gerade abgeschlossenen Renovierung als Basis, sodass bei den jüngsten Arbeiten keine Res7/2020

tauratoren involviert waren. „Also haben wir uns bei der Renovierung auf die Farbtöne gestützt, die auch vorher Verwendung fanden. Die Farbgrundlage ist gleichgeblieben, dies wurde vom Denkmalamt bei der Restaurierung so festgelegt. Jedoch waren die Pastellfarben an den Wänden sehr vergraut, sodass sie eine Auffrischungskur dringend nötig hatten.“ Auch die Ausstellungsmöbel sind mit der Wandfarbe des jeweiligen Raums abgestimmt und farblich entsprechend monochrom gestaltet. „Die Außenfarbe der Vitrine haben wir den Wänden angepasst,“ erklärt Nicole Kämpken. „Die Einlegeflächen in den Vitrinen heben sich farblich deutlich davon ab. Dabei haben wir auch die präsentierten Themen berücksichtigt und zum Beispiel Rot für das Thema Liebe und Grün für das Thema Natur gewählt.“ Das Ziel ist klar: Der Besucher soll das Haus als Wohnhaus wahrnehmen. Aber wird dieses Ziel durch jähe Kontrast von alt und modern wirklich erreicht? Können futuristisch anmutende Vitrinen mit biedermeierlicher Behaglichkeit zu einer Einheit verschmelzen? Technoide Skulpturensockel und Vitrinen treffen hier auf enge, verwinkelte Räume des 18. Jahrhunderts. Der Sicherheit der Objekte wird nun mehr Bedeutung zugemessen. Vor allem das berühmte Stieler-Porträt des Komponisten wird spektakulär in Szene gesetzt. Die Arbeiten dauerten sechs Monate, von März bis August 2019 und im Dezember 2019 wurde das Haus nach der kompletten Umstrukturierung der Dauerausstellung und Erweiterung offiziell wiedereröffnet.

1 Das Beethoven-Haus in Bonn: Hier im Hinterhaus des heutigen Museums wurde 1770 Ludwig van Beethoven geboren 2 Die kabinettartigen Räume erfuhren eine Farbauffrischung mit mineralischen Produkten, um die Exponate, wie hier etwa die Bilder vor hellgrauer Wand rund um das Beethoven-Porträt von Joseph Karl Stieler 3 Die sogenannten Kölner Decken – Balkenkonstruktionen mit Stuck – bekamen mit mineralischer Farbe ebenfalls einen Neuanstrich, allerdings wurde die Farbe gespritzt. Sie bilden einen dezenten Kontrast zu den pastellig gestalteten Wänden

Dr. Martin Miersch 35


DENKMALPFLEGE UND KULTURERBE

Geschichte weitererzählen Stein und Terrakotta faszinieren sie. Ihre wahre Leidenschaft aber gehört dem Eintauchen in die Geschichte von Kulturgütern – und einem Motorrad. Ein Porträt der Diplom-Restauratorin Susanne Beseler aus Wien

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DENKMALPFLEGE UND KULTURERBE

Gute Augen. Susanne Beseler überlegt kurz, ist sich aber dann ganz sicher: Ja, es sind die Augen. Dieses Vor-und-ZurückZoomen, kein Detail übersehen und trotzdem das Große und Ganze nicht aus den Augen verlieren, das ist für die selbständige Restauratorin die wichtige Eigenschaft in ihrem Beruf. Diese Eigenschaft hat die in der DDR geborene und aufgewachsene Restauratorin schon oft einsetzen müssen. Ihre Projekte sind fordernd, anspruchsvoll und meist sehr groß. Das forderndste unter ihnen: Die „Große Kaskade“ von Schloss Hof in Niederösterreich. Das barocke Schloss, durch Prinz Eugen von Savoyen 1725 erworben und großzügig ausgebaut, zeichnet sich durch seine aufwändige Parkgestaltung mit zahlreichen Terrassen und Wasserspielen aus. Die Rekonstruktion der „Große Kaskade“ stand 2016 an: ein barockes Spektakel mit insgesamt 650 Quadratmeter Wasseroberfläche verteilt auf zwei Becken und ein vierstufiger Wasserfall über fast fünf Höhenmeter. Gemeinsam mit Georg Töpfer gewann Susanne Beseler den Wettbewerb für das komplexe Vorhaben. Die Beauftragung einer Arbeitsgemeinschaft aus Architekt und Restauratorin als Generalplaner war ein Novum in Österreich, erzählt Beseler und stürzte sich mit viel Elan in die Arbeit. „Es gab keine verbindlichen Quellen zur ursprünglichen Gestaltung der bereits im 19. Jh. zerstörten Brunnenanlage. Die einzige bildliche Darstellung in dem die „Große Kaskade“ ein winziger Ausschnitt ist, bot ein Gemälde von Bernardo Belotto“. Nach der planlichen und digitalen Rekonstruktion galt es geborgene Natursteinfragmente zuzuordnen, Ausschreibungen für die bauliche Umsetzung zu erstellen, zahlreiche Gewerke zu koordinieren, Teams zu führen und die fachgerechte Ausführung zu kontrollieren , ehe 2018 dann das Werk unter viel Applaus der Community vollendet war. „Es war echtes Gänsehautfeeling, als wir den Knopf für den Wasserprobebetrieb gedrückt haben und sich der Wasservorhang schloss, der nur vom Belotto-Gemälde bekannt war“. 7/2020

Vita Susanne Beseler (geb. 1967) 1983–85 Ausbildung zur Töpfergesellin und Zierkeramikerin 1986–94 Arbeit in verschiedenen Keramikwerkstätten und Praktika in der Denkmalpflege 1995–99 Studium der Konservierung-Restaurierung an der Fachhochschule Potsdam, Fachrichtung Stein 1999–2002 Restauratorin bei „Restaurierung am Oberbaum", Berlin 2002–2007 Universitätsassistentin am Institut für Konservierung und Restaurierung, Universität für angewandte Kunst Wien, u.a. Aufbau und Leitung der Steinwerkstatt seit 2008 Selbstständig mit Planungsbüro PlanB mit Schwerpunkt auf Untersuchung, Konzepterstellung und Baubegleitung für Restauriervorhaben (Stein, Terrakotta, Architekturoberfläche); u.a. tätig für namhafte Auftraggeber wie z.B. die Schloß Schönbrunn Kultur- und Betriebsgesellschaft oder Großprojekte wie z.B. die Generalsanierung der Fassaden des Wiener Rathauses oder des barocken Stifts Klosterneuburg (NÖ) Universitätslektorin an der Akademie der bildenden Künste Wien und Vorstandsmitglied im ÖRV

Romantische Vorstellung Befunden, recherchieren, planen, abstimmen, aushandeln, beraten: Tätigkeiten der Restaurierung heute, für die der Computer und das Smartphone mitunter wichtiger sind, als Skalpell oder Freilegehammer. Und doch war es eine romantische Vorstellung des Restaurierens, die Susanne Beseler zum Beruf brachte. Das Bild vom Restaurator im weißen Kittel am Gemälde im Atelier, entstand in Gedanken bereits in den späten 1970er Jahren in der DDR. Tatsächlich dauerte es aber bis die 1967 geborene und in Mecklenburg aufgewachsene 28 war, erst dann begann Beseler nach beruflichen Umwegen und Mauerfall als erster Jahrgang an der damals neuen Fachhochschule Potsdam das Studium der Konservierung-Restaurierung. „Es war eine Pionierphase, wir haben zu Beginn erst die Werkstatt eingerichtet“. Davor schnupperte die gelernte Töpferin und Zierkeramikerin bereits in die Denkmalpflege, merkte aber bald, dass Restaurieren ohne profunde Ausbildung schnell an fachliche Grenzen stoßen lässt. Im

1 Diplom-Restauratorin Susanne Beseler aus Wien

ABSTRACT How to tell history Stone and terracotta fascinate her. But her true passion is immersing herself in the history of cultural assets – and a motorbike. A portrait of the graduate restorer and conservator Susanne Beseler, based in Vienna.

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PAPIERRESTAURIERUNG

Zuwachs an Kostbarkeiten Die Bayerische Staatsbibliothek in München hat drei wertvolle Handschriften bayerischer Provenienz aus dem Spätmittelalter und der Renaissance erworben: Jetzt wurden sie digitalisiert. RESTAURO sprach mit dem dortigen Institut für Bestandserhaltung und Restaurierung

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PAPIERRESTAURIERUNG 1 Gebetbuch für Wolfgang und Helena Hofmann, 1513/15, Blatt 19v: Ecce homo, Blatt 20r: Historisierte Intiale O und Randbordüre mit Putto, Miniaturen / Buchmalerei: Nikolaus Glockendon. Signatur: BSB: Cgm 9601

Das Metier der Restaurierung und Konservierung ist eines, bei dem Geduld eine entscheidende Tugend ist. Dass bei konservatorischen und restauratorischen Maßnahmen irgendetwas schnell vollzogen wird, ist eher unüblich, wenn nicht gar mit Skepsis versehen. Und doch: Im Falle der jüngsten Neuerwerbungen der Bayerischen Staatsbibliothek und ihrer eingehenden Überprüfung kann man durchaus behaupten, dass hier vieles tatsächlich sehr schnell ging. Was aber auch damit zu tun hat, dass die besagten Neuerwerbungen in einem sehr guten Zustand waren. Im August 2020 hat die Bayerische Staatsbibliothek in München, die mit ihren rund 34 Millionen Medieneinheiten die größte Universalbibliothek Deutschlands ist, den Ankauf dreier hochrangiger deutschsprachiger Handschriften bayerischer Herkunft verkündet. Ein „niedriger siebenstelliger Betrag“ sei für die Exemplare im Antiquariatshandel ausgegeben worden, hieß es in der Pressemitteilung. Die Rede ist von „Spitzenstücken“ der Buchmalerei zwischen Mittelalter und Neuzeit. Kaum war der Kauf vollzogen, befanden sich die Werke bereits in der Digitalisierung – und nach kurzer Zeit vollständig abrufbar in der Online-Sammlung. Konservatorische und restauratorische Maßnahmen waren kaum notwendig, nur einen kleinen Riss habe es zu schließen gegeben, sagt Irmhild Ceynowa, Leiterin des Instituts für Bestandserhaltung und Restaurierung. Offensichtlich spricht hier der exzellente Zustand der Werke für die exzellente handwerkliche Qualität, mit der sie entstanden sind.

ABSTRACT Increase in treasures The Bayerische Staatsbibliothek in Munich has three valuable manuscripts of Bavarian Provenance from the late Middle Ages and the Renaissance: Now they have been digitised. RESTAURO spoke with the local Institute for Conservation and Restoration.

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