ZEITSCHRIFT FÜR KONSERVIERUNG UND RESTAURIERUNG
NO 3 2019
Echtheit, Alter, Herkunft Mit naturwissenschaftlichen Methoden lässt sich vieles aus Kunstwerken herauslesen FORSCHUNG „Zink C“ in Stuttgart entschlüsselt
VERMITTLUNG Über das Labor des Berliner Bode-Museums
PROVENIENZ Restauratorische Expertise unerlässlich
TECHNOLOGIE & KUNSTSCHÄTZE
„Der Wahrheit verpflichtet“
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1 Porträt von Nina Kandinsky, der zweiten Frau des Künstlers. Wassily Kandinsky hat hier eine verworfene Bildkombination übermalt
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Nicholas Eastaugh ist wissenschaftlicher Leiter der internationalen Firma Art Analysis & Research (AA&R), die Labors in New York und London unterhält. Bei einer Farbanalyse des auf 1915 datierten Gemäldes „Landschaft mit Pferden“ von Heinrich Campendonk, für das der Käufer einen Rekordpreis von 2,8 Millionen Euro gezahlt hatte, entdeckte der private Kunstforscher das Pigment Titandioxid Weiß. Einen Farbstoff, den Künstler erst Jahrzehnte später verwendeten. Dieser Befund entlarvte Beltracchi letztlich als Fälscher. Bis dahin schleusten er und seine Frau vor allem Fälschungen von Meistern der Moderne in den Kunstmarkt ein, etwa Max Pechstein, Max Ernst oder eben Heinrich Campendonk. Seitdem bitten viele Sammler, Galerien, Händler, Berater, Restauratoren, Museen, Auktionshäuser, Galerien und Kunstversicherungen Eastaugh um
Unterstützung. Übrigens nicht nur, um sich gegen Fälschungen abzusichern. Oft geht es auch darum, mehr über die Materialbeschaffenheit von Kunstwerken zu erfahren, damit auch anspruchsvollste Restaurierungen gelingen. Wo kunstgeschichtliche Einordnung und gängige restauratorische Untersuchungen an ihre Grenzen stoßen, finden die Spezialisten oft noch eine Antwort. „Wir gewährleisten das gewisse Extra an Expertise, das eine wissenschaftliche Untersuchung in eine aufregende neue Entdeckung verwandelt“, erklärt Jilleen Nadolny, neben Rieppi eine von zwei Hauptermittlerinnen. Und das Team reist dorthin, wo es gebraucht wird: Mit einem mobilen Bildgebungssystem ausgerüstet, reisen die Londoner und New Yorker Teams an, wohin man sie ruft: Sie untersuchen die Kunstwerke vor Ort – von Kalifornien bis Kairo. Dazu steht ihr und ihren Kollegen ein ganzes Arsenal hochmoderner Instrumente zu Verfügung, von der Raman-Mikroskopie über digitale Bildgebung bis hin zu modernen Verfahren wie der Radiokarbon-Datierung (Bomb Curve Datierung). Eine Vorreiterrolle spielt die Firma auch in Sachen Pigmentbestimmung: So besitzt ihr Labor eine etwa 3000 Phiolen umfassende Pigmentsammlung mit Farbstoffen aus allen Epochen und aller Welt – vom alten chinesischen Han Blue bis hin zu einem speziellen Weiß aus Pompeij. Zudem arbeitet das Unternehmen kontinuierlich an einer Chronologie historischer Materialien, derer Künstler sich in früheren Epochen bedienten. Dieses Referenzsystem erleichtert die zeitliche Zuordnung von Kunstwerken erheblich. Das Team ist interdisziplinär aufgestellt: Neben vier ausgebildeten Konservatoren – Jilleen Nadolny, Nicholas Eastaugh und Joanna Russell in London sowie Nica Gutman Rieppi im New Yorker Büro – komplettiert der forensische Chemiker Bhavini Vaghji das Fachteam. Fast alle Mitarbeiter von AA&R besitzen mehrere Universitätsabschlüsse, etwa zusätzlich zum Restauratorenstudium eine Promotion in Kunstgeschichte oder Materialanalyse. Nicholas Eastaugh, der über historische Pigmente promovierte, ist von Haus aus Physiker. Jilleen Nadolny wiederum studierte Kunstgeschichte und Restaurierung an der New York University und promovierte am Londoner Courtauld Institute in Technical Art History. 3/2019
Foto: Courtesy Petr Aven, private collection / AA&R 2019
Ein Vierteljahrhundert lang blieb Wolfgang Beltracchi unentdeckt. Er sei für die Experten zu gut, prahlte der Kunstfälscher – bis er an Nicholas Eastaugh geriet, der ihn 2008 in bester Sherlock-Holmes-Manier überführte. Mit diesem Fall erregte der Londoner Kunstforscher internationales Aufsehen. Mit neuesten Technologien sowie einer umfassenden material- und kunstwissenschaftlichen Expertise haben Eastaugh und das Art Analysis & Research-Team bereits vielen Kunstwerken ihr Geheimnis entlockt
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„Unsere Fachgebiete und Interessen überschneiden sich auf verschiedene Weise“, betont die Amerikanerin. „Du erwirbst die Kenntnisse, die du beherrschen musst, um deine Arbeit gut zu machen, und respektierst dabei die eigenen Grenzen.“ Wichtig sei es, das Potenzial des Machbaren zu erkennen und neben dem eigenen Können auf die Fachkompetenz des Kollegen zu vertrauen. „Den unschätzbar tiefgehenden Einblick, den historische Studien, kombiniert mit wissenschaftlichen Methoden, gewähren, macht die Arbeit im interdisziplinären Team so wertvoll.“ Und effizient zudem: Jährlich unterzieht die Firma Hunderte von Kunstwerken einer genauen Analyse. In letzter Zeit hat sie beispielsweise die Authentizität neu entdeckter Gemälde nachgewiesen. Jilleen Nadolnys Aufzählung mutet an wie das Who‘s who der wertvollsten Meister, quer durch alle Epochen: Caravaggio, Dali, Max Ernst, Kandinsky, Modigliani, Rembrandt, Rubens, Tizian, Warhol …. „Rekordhalterin“ im AA&R-Team ist Nica Gutman Rieppi. Sie untersuchte Leonardo da Vincis Jesus-Darstellung „Salvator Mundi“, das teuerste Gemälde der Welt, das sich im Besitz des Louvre Abu Dhabi befindet. Nadolny selber war 2018 im Auftrag der Organisation „The Russian Avantgarde Research-Project“ in der Kölner Sammlung Ludwig zu Gast, um 14 Arbeiten der russischen Künstler Natalia Goncharova und Mikhail Larionov aus den Jahren 1905 bis 1916 zu überprüfen. Weil die Werke das Museum nicht verlassen durften, arbeitete Nadolny gemeinsam mit den Kölner Restauratorinnen Petra Mandt vom Museum Ludwig und der Projektrestauratorin Verena Franken vor Ort. Dabei kamen interessante Erkenntnisse über die Grundierung, die Pigmente und Bindemittel zum Vorschein, von denen sich Nadolny eine gute Grundlage für künftige Restaurierungsarbeiten erhofft.
Mehr noch: Da das Künstlerpaar, nicht zuletzt durch das Manifest „Rayonists and Futurists“ von 1913, großen Einfluss auf die russische Avantgarde hatte, lassen sich aus den analysierten Materialien und Techniken auch Rückschlüsse auf die Arbeitsweise vieler Zeitgenossen herleiten. Nicholas Eastaugh vergleicht die Vorgehensweise hierbei mit der Recherche in den sozialen Medien: „Obwohl es damals noch kein Facebook gab, können wir durch archivierte Briefe, Verträge und anderes zurückverfolgen, wer mit wem in Kontakt stand.“ Da die Künstler in der Regel Techniken und Rezepte untereinander austauschten und sich bei Werkstattbesuchen neue Methoden und Materialien aneigneten, ist die Rekonstruktion des Beziehungsgeflechts nach Eastaughs Überzeugung demnach von großem Erkenntniswert: „Obwohl es vor dem digitalen Zeitalter weniger ‚Selfies‘ gab, können wir durch das Studium der Archive – das ‘Facebook’ der Vergangenheit – soziale Netzwerke besser verstehen und daher die Verbreitung der Ideen zurückverfolgen.“ Besonders viel Freude machte Nadolny der Auftrag einer Stiftung, die Zweifel an der Authentizität eines erst kürzlich entdeckten Werks angemeldet hatte. Bei dem Gemälde handelt es sich um das Porträt von Nina Kandinsky, der zweiten Frau des Künstlers. Kandinsky hatte eine verworfene Bildkombination übermalt: Diese zeigt ein spazierendes Paar, das vermutlich Wassily und Nina darstellt, am Moskauer Hafen, es entstand in dem Jahr, in dem Kandinsky Nina kennenlernte. Die Untersuchung des Porträts ergab, dass Leinwand, Präparation und Pigmente komplett mit Kandinskys damaliger Arbeitsmethode übereinstimmen: „Es gab nichts, das auch nur ansatzweise suspekt anmutete, weder einen Versuch, das unterliegende Werk zu entfernen, noch einen großen Zeitabstand zwischen beiden Malpro-
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ABSTRACT "Committed to the truth" For a quarter of a century, Wolfgang Beltracchi remained undiscovered. He was too good for the experts, the art counterfeiter boasted until he got hold of Nicholas Eastaugh, who transferred him in the best Sherlock Holmes manner in 2008. With this case, the London art researcher caused an international sensation. Eastaugh and the Art Analysis & Research team have already unlocked the secrets of many works of art with the latest technologies and comprehensive expertise in materials science and art.
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2 Kandinskys verworfene Bildkombination zeigt ein spazierendes Paar, das vermutlich Wassily und Nina darstellt, am Moskauer Hafen. Die Untersuchung des Porträts ergab, dass Leinwand, Präparation und Pigmente komplett mit Kandinskys damaliger Arbeitsmethode übereinstimmen
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3/4 Den überzeugendsten Beweis brachte die technische Untersuchung mittels Indium-Gallium-Arsenid Infrarot-, Röntgen- sowie Durchlichtverfahren
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æ Lesen Sie außerdem online ein Interview mit der AA&RExpertin Dr. Jilleen Nadolny auf www.restauro.de/nadolny 30
grammen.“ Den überzeugendsten Beweis brachte die technische Untersuchung mittels Indiumgalliumarsenid-Infrarot-, Röntgen- sowie Durchlichtverfahren. „Mit diesen verschiedenen Techniken war es uns möglich, das Bild unter dem Porträt weitgehend zu rekonstruieren – das mit einer Zeichnung in einem authentisierten Skizzenbuch des Künstlers übereinstimmte.“ Der Stiftungsrat war überzeugt und das Gemälde fand Einzug in den Anhang von Kandinskys Catalogue raisonné. Kurze Zeit nach Abgabe des Abschlussberichts erhielt AA&R noch eine weitere Bestätigung: Im Archiv fand sich ein Brief, in dem Nina einem Freund schreibt, dass ihr Mann ein wenig vorteilhaftes Porträt von ihr gemalt habe. Das ungeliebte Bild blieb in Moskau zurück, als das Paar nach Deutschland zog. „Und so schloss sich der Kreis: Das im Brief erwähnte Porträt war gefunden“, freut sich Nadolny über diese Fügung. Auf die Frage hin, welches Kunstwerk sie gerne einmal untersuchen würde, muss Nadolny überlegen. „Es ist immer befriedigend, dazu beizutragen, dass eine gute Arbeit erkannt wird, und zu sehen, wie plötzlich alles zusammenkommt.“ Einen besonderen Wunsch äußert sie dennoch: Gerne würde sie einmal einen echten van Gogh authentifizieren. Die Arbeit mit den vermeintlichen Van GoghBildern – „und es gibt derer viele, denn jeder möchte einen van Gogh haben“ – werde erleichtert durch das Van Gogh Museum, das ausgiebiges Vergleichsmaterial biete. Nach der Prüfung der Grundierung und der Pigmentpalette würde das Team die Bindemittel prüfen. Darauf folge eine Röntgen- und manchmal auch Infrarotuntersuchung. „So können wir sehen, ob der Pinselstrich dem van Goghs entspricht und ob er vielleicht eine alte Arbeit übermalt hat.“ Doch oft ist die technische Untersuchung obsolet, denn die meisten Gemälde erwiesen sich schon bei der Pigmentuntersuchung als Fälschungen: „Wir sind immer wieder ernsthaft frappiert, wie viele davon in Umlauf sind.“ Andererseits tue es ihr aber auch leid, Kunden einen negativen Bescheid übermitteln zu müssen, wenn sich ein Bild dann tatsächlich als Fälschung erweist: „Es ist schon traurig, die Hoffnungen der Menschen zu zerstören, die davon ausgehen, ein wertvolles Werk zu besitzen oder entdeckt zu haben.“ Doch das Bekenntnis zur Wahrheit sei der unverrückbare Eckstein ihres Geschäfts und ihrer Profession: „Das schulden wir unserer gemeinsam geteilten Kulturgeschichte und der Nachwelt.“ Dr. Inge Pett 3/2019
Fotos: Courtesy Petr Aven, private collection / AA&R 2019
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