ZEITSCHRIFT FÜR KONSERVIERUNG UND RESTAURIERUNG
NO 3 2019
Echtheit, Alter, Herkunft Mit naturwissenschaftlichen Methoden lässt sich vieles aus Kunstwerken herauslesen FORSCHUNG „Zink C“ in Stuttgart entschlüsselt
VERMITTLUNG Über das Labor des Berliner Bode-Museums
PROVENIENZ Restauratorische Expertise unerlässlich
INHALT
TITELTHEMA: TECHNOLOGIE & KUNSTSCHÄTZE 12
Hoffnung in die Wissenschaft Gunnar Heydenreich, Professor vom Cologne Institute of Conservation Sciences, erforscht mit seinen Kollegen systematisch Kunsttechniken, Werkstoffe und Farbmittel an der Technischen Hochschule Köln
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Den Fälschern auf der Spur Dr. Harald Müller, Begründer und wissenschaftlicher Leiter des IMS Wiesbaden, prüft mit Mikroskop und Röntgenstrahlen, ob Kulturgüter echt sind
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Was einst Millionen kosten sollte, ist nun Anschauungsmaterial für Kriminalisten Interview mit René Allonge, Leiter des Dezernats für Kunstdelikte bei der Berliner Polizei
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Von echten Fälschungen und falschen Erwartungen Blick in die Ausstellung „Irrtümer und Fälschungen der Archäologie“ im Roemer- und Pelizaeus-Museum (Hildesheim)
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„Der Wahrheit verpflichtet“ Wie das Londoner Art Analysis & Research-Team vielen Kunstwerken ihr Geheimnis entlockt
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Des Diktators Postkarten Experten in Berlin prüfen derzeit Aquarelle von Adolf Hitler
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Forscher fälschen Mithilfe von künstlicher Intelligenz und einem 3D-Drucker haben Wissenschaftler aus Massachusetts Ölgemälde nachgemacht
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Great or Fake? Eine Facebook-Gruppe auf der Suche nach Echtheit von Tribal Art
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Auch in Berlin hängt die Mona Lisa Drei russische Maler in Berlin kopieren die bekanntesten Kunstwerke
Gunnar Heydenreich, Professor vom Cologne Institute of Conservation Sciences
Blick in die Schau „Biografien der Bilder“ im Berliner Museum Berggruen (2018)
Restaurator Klaus Leukers (Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst) im Bode-Museum, Berlin
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Geraubt und verkauft Das Bayerische Nationalmuseum schlägt ein neues Kapitel in der Raubkunst-Forschung auf. Im Projektteam: Diplom-Restaurator Joachim Kreutner
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Dora Maar hängte sich Picasso über den Kamin Die Provenienzen aller Werke aus dem Museum Berggruen in Berlin wurden erforscht. Ein Gespräch mit Restauratorin Hanna Streicher
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Gemeinsam Provenienzen erforschen lernen An der Hochschule der Künste in Bern sind Werkzuschreibung und Provenienzrecherche jetzt interdisziplinär
VERMITTLUNG 48
Wie Metallrestauratoren mit einem Chemiekurs reagieren Das Labor des Berliner Bode-Museums („lab.Bode“) entwickelt erstmals ein Schulprojekt mit naturwissenschaftlicher Ausrichtung
PORTRÄT 52 Besuch bei Dr. Bernd Pappe, Spezialist für die Restaurierung von Bildnisminiaturen
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Die Welt der Miniaturmalerei Besuch bei Dr. Bernd Pappe, Spezialist für die Restaurierung von Bildnisminiaturen 3/2019
Fotos (v. o. n. u.): TH Köln; © Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv; © SMB/Ute Klein 2018 (1); privat
PROVENIENZ
MATERIALIEN 58
Höchste Handwerkskunst aus edlen Metallen und kostbaren Stoffen Die Sammlung Barbier-Mueller ist derzeit in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung in München zu sehen
RUBRIKEN 6
KUNSTSTÜCK In Hamburg wurde diskutiert, ob alle Dia-Kunstwerke digitalisiert werden müssen
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BLICKPUNKT Gratulation: Deffner & Johann (Röthlein bei Schweinfurt) mit dem „Exportpreis Bayern“ ausgezeichnet 15 Wissenschaftler forschten zur Erhaltung zeitgenössischer Kunst. Ihre Ergebnisse stellten sie in Köln vor Stuttgart: „Zink C“ ist entschlüsselt
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BERUF Über aktives Werben von Berufen
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TERMINE Veranstaltungen Impressum Vorschau
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PORTRÄT Professorin Dr. Sandra Richter (Deutsches Literaturarchiv Marbach)
KRÄFTIG, DECKENDE UND LICHTECHTE AQUARELLFARBEN
Titelmotiv
Foto: Courtesy Petr Aven, private collection / AA&R 2019
Wassily Kandinskys verworfene Bildkombination zeigt ein spazierendes Paar, das vermutlich Wassily und Nina am Moskauer Hafen darstellt. Die Untersuchung des Bildes ergab, dass Leinwand, Präparation und Pigmente komplett mit Kandinskys damaliger Arbeitsmethode übereinstimmen. Den überzeugendsten Beweis brachte die technische Untersuchung mittels Indiumgalliumarsenid-Infrarot-, Röntgen- sowie Durchlichtverfahren. Lesen Sie mehr auf Seite 28.
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TECHNOLOGIE & KUNSTSCHÄTZE
Hoffnung in die Wissenschaft Weil der Kunstmarkt viel Lehrgeld zahlen musste und dem Augenschein bei der Entlarvung zweifelhafter Werke nicht mehr trauen mag, ist er sensibler geworden und setzt verstärkt auf Restauratoren und Naturwissenschaftler. RESTAURO sprach darüber mit Gunnar Heydenreich. Der Professor vom Cologne Institute of Conservation Sciences erforscht mit seinen Kollegen systematisch Kunsttechniken, Werkstoffe und Farbmittel an der Technischen Hochschule Köln
Einige Kunsthistoriker schauten nicht so genau, weil die Begeisterung, diese Werke wiederzuentdecken zu groß war, und auch weil in einigen Fällen entsprechende Summen für Expertisen gezahlt wurden. Zu oft wurde nicht weiter hinterfragt, ob es tatsächlich das verschollene Werk oder eine Nachschöpfung ist. Bis dann offenbar doch mehr und mehr Zweifel auftauchten... Genau. Es gab verschiedene Auffälligkeiten an seinen Werken, wie die Aufkleber auf der Rückseite, die eine fiktive Sammlung Flechtheim dokumentieren sollten. Dazu kamen materialanalytische Untersuchungen an verschiedenen Orten, die am Ende die Authentizität widerlegen konnten. Bekanntlich wurde in dem Werk „Rotes Bild mit Pferden“, ein angeblich 1914 entstandenes Bild von Heinrich Campendonk, Titanweiß nachgewiesen, ein Pigment, das damals noch nicht auf dem Markt war. 1
ABSTRACT Hope in science Because the art market had to pay a lot of dear money and can no longer trust the sight of dubious works, it has become more sensitive and relies increasingly on conservators and natural scientists. RESTAURO spoke about this with Gunnar Heydenreich. The professor from the Cologen Institute of Conservatoin Sciences is systematically researching art techniques, materials and pigments at the TH Cologne with his fellows.
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RESTAURO: Jahrelang hat Wolfgang Beltracchi Bilder berühmter Maler gefälscht und damit den größten Kunstfälschungsskandal in der deutschen Nachkriegsgeschichte ausgelöst. Wie hat er das geschafft? Professor Gunnar Heydenreich: Er ging bekanntlich recht raffiniert vor, indem er Werke nachgestaltet hat, die in alten Verzeichnissen dokumentiert waren, von denen aber zum Teil keine Abbildungen existierten oder die im Krieg verloren gingen. Er hat diese Lücke wieder gefüllt und legte seine Nachschöpfungen namhaften Experten vor. Einige freuten sich über die Wiederentdeckungen. War ein Experte nicht überzeugt, nahmen Mittelsmänner diese Stücke zurück und Beltracchi startete mit einem anderen Werk einen neuerlichen Versuch. Clever. Aber warum kam man dem Meisterfälscher erst so spät auf die Schliche? Vieles hätte man ja schon mit bloßem Auge erkennen können: angebliche Holzwurmlöcher, die mit dem Bohrer gebohrt waren, künstliche Patina, nicht grundierte Spannränder, während „richtige“ Maler wie in diesem Fall Heinrich Campendonk im Ganzen vorgrundiertes Leinen aufspannte? Diese Frage stellt sich in der Tat aus heutiger Sicht. Es gab da sicherlich auch Nachlässigkeiten.
Weil der Kunstmarkt also so viel Lehrgeld zahlen musste und dem Augenschein nicht mehr trauen mag bei der Entlarvung zweifelhafter Werke, ist er sensibler geworden und setzt verstärkt auf Restauratoren und Naturwissenschaftler. Was machen sie anders? Restauratoren oder Kunsttechnologen untersuchen den Werkprozess und Zustandsveränderungen. Entspricht das der Praxis des Künstlers? Welche Alterungsspuren liegen vor und sind die tatsächlich zeittypisch? Darüber hinaus identifizieren Naturwissenschaftler die Materialien. Nicht alle waren zu jeder Zeit verfügbar oder wurden von den Künstlern verwendet. Ich möchte aber betonen, dass für uns die Zusammenarbeit mit Kunsthistorikern und Provenienzforschern essentiell ist, um unsere Fragen eingrenzen zu können. Nur gemeinsam können wir das Problem der Fälschungen angehen. Ihr Institut trägt nun mit dazu bei, systematisch Kunsttechniken, Werkstoffe und Farbmittel zu untersuchen. Wie sieht das konkret aus? Wir schauen uns diese Werke erst einmal genauer an, im sichtbaren Licht, mit dem Mikroskop, unter UV-Strahlung, und untersuchen den Bildaufbau: Wie sind die Materialien verarbeitet, wie ist das Gewebe auf dem Spannrahmen fixiert? Wie sind Grundierung und Malschichten aufgetragen 3/2019
Foto: TH Köln
1 Professor Dr. Gunnar Heydenreich vom Cologne Institute of Conservation Sciences der Technischen Hochschule Köln untersucht ein Bild am Stereomikroskop
TECHNOLOGIE & KUNSTSCHÄTZE
und wie sind sie gealtert? Hat sich der Schmutz natürlich abgelagert oder wurde er künstlich aufgetragen? So fand sich etwa auf einer Reihe von Werken, die den russischen Avantgardekünstler Kasimir Malewitsch nachahmten, eine künstliche Patinierung, die natürliche Alterung vortäuschen sollte. Durch den systematischen Einsatz von strahlendiagnostischen Verfahren, wie zum Beispiel der Infrarot-Reflektografie, können wir unter die sichtbare Malschicht blicken und in vielen Fällen eine Unterzeichnung sichtbar machen. Dieser erste Kompositionsentwurf, den der Maler mit einem Stift oder Pinsel ausführte und der nachfolgend mit Farbe abgedeckt wurde, repräsentiert oft direkter die Handschrift des Künstlers. Im Vergleich mit gesicherten Werken können wir dann Übereinstimmungen oder Unterschiede erkennen. Beltracchi wusste nicht, wie Campendonk seine Werke unterzeichnete. Da gibt es erhebliche Unterschiede. In den zurückliegenden Jahren konnten wir auch über 1000 Gemälde von Lucas Cranach mittels der IR-Reflektografie untersuchen und diese Ergebnisse im Cranach Digital Archive frei zugänglich veröffentlichen. Mit weiteren Verfahren, wie etwa der Röntgenuntersuchung, können wir noch tiefer in das Bild hineinschauen und Veränderungen im Werkprozess oder im Zustand visualisieren. Können Sie dafür ein Beispiel nennen? Gerade untersuchten wir ein frühitalienisches Gemälde, das auf den ersten Blick überzeugend erschien. In der Röntgenaufnahme zeigten sich jedoch Fraßgänge von Schädlingen in der Holztafel, die mit der Grundiermasse aufgefüllt wurden, ohne dass es in diesen Bereichen Hinweise für eine spätere Überarbeitung gab. Das heißt, diese Holztafel war bereits von Schadinsekten befallen bevor sie grundiert, geschliffen und bemalt wurde. Die Verwendung von geschädigtem Holz ist für einen Künstler des 15. Jahrhunderts absolut untypisch. Das ist richtige Detektivarbeit. Haben Fälscher wie Beltracchi davon nichts mitbekommen? Doch, er reflektiert dies auch in seinen Büchern. Er schreibt, dass er Farben vor der Verarbeitung analysieren ließ. Häufig verwendete er alte Leinwände und beizte Farbschichten ab. Nicht immer gelang das vollständig und gelegentlich wurden diese Reste in die Komposition des neuen Bildes einbezogen. 3/2019
Beltracchi beschreibt, dass er mit der Entdeckung dieser Farbe bei einer Röntgenuntersuchung rechnete und damit, dass dies als Pentiment interpretiert wird, also einer Korrektur, die vom Künstler selbst vorgenommen wurde. Auch erzeugte er bewusst Alterungsspuren, indem er die frisch gemalte Oberfläche hineinhackte und die Schadstellen wieder notdürftig retuschierte. Nun folgt bei Zweifeln nach dieser Indiziensammlung mit kunsttechnologischen Verfahren noch der zweite Schritt, nämlich der Einsatz verschiedener naturwissenschaftlicher Analyseverfahren, um die Materialien zu charakterisieren, wie das Pigment Titanweiß, über das Beltracchi schließlich stolperte. Hier setzen wir ganz verschiedene Verfahren ein. Wir beginnen meist mit der zerstörungsfreien Analyse der Pigmente mittels der Röntgenfluoreszensanalyse. Mit diesem mobilen Gerät können wir über einen feinen Röntgenstrahl Elemente in Farbschichten analysieren und zusammen mit ihrer optischen Erscheinung die in den Farben verwendeten anorganischen Pigmente bestimmen. Wenn wir zum Beispiel in einer roten Farbschicht Kadmium und kein Quecksilber nachweisen, dann ist das ein Hinweis darauf, dass es sich um Kadmiumrot handelt und nicht um Zinnober. In einem frühitalienischen Tafelbild darf aber kein Kadmiumrot vorkommen, es sei denn in einer Retusche. Ist dieses Gerät, die sogenannte RFA-Pistole, eine Wunderallzweckwaffe, um Fälschungen zu bestimmen? Nein. Sie kann uns nicht in jedem Fall eine Antwort auf unsere Fragen liefern. Mit der Röntgenfluoreszensanalyse können wir keine organischen Farbmaterialien oder Bindemittel bestimmen. Wenn Sie an ein Gemälde aus dem 20. und 21. Jahrhundert denken, dann sind in der Regel einige synthetisch organische Pigmente verarbeitet. In diesem Fall nutzen wir die ebenfalls zerstörungsfreie Raman-Spektroskopie, die uns erlaubt, mittels Laserstrahlung diese organischen Materialien zu charakterisieren. Und wenn Sie dann noch weitere Fragen oder Zweifel haben? Dann entnehmen wir den Bildern kleinste Proben und greifen auf ein größeres Spektrum an
Vita Prof. Dr. Gunnar Heydenreich ist Restaurator, Kunsthistoriker und Professor am Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaften an der TH Köln. Als ausgewiesener Cranach-Experte leitet er auch das Cranach Digital Archive (CDA) am Museum Kunstpalast Düsseldorf, in Kooperation mit über 300 Museen, Forschungseinrichtungen und Kirchgemeinden in 31 Ländern, um kunsttechnologische Forschungen zu bündeln – es ist auch für Laien eine Fundgrube: www.lucascranach.org
æ Tipp: Vortrag „Auf der Suche nach Kunstfälschungen: Zerstörungsfreie Analyse von Kunstwerken – eine forensische Herausforderung“. Referent: Prof. Dr. Robert Fuchs (bis 2017 Leiter der Studienrichtung Restaurierung und Konservierung von Schriftgut, Grafik, Foto und Buchmalerei der TH Köln), Hornemann Institut, Hildesheim, 15. Mai 2019, 18:30 Uhr 13
TECHNOLOGIE & KUNSTSCHÄTZE
„Der Wahrheit verpflichtet“
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1 Porträt von Nina Kandinsky, der zweiten Frau des Künstlers. Wassily Kandinsky hat hier eine verworfene Bildkombination übermalt
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Nicholas Eastaugh ist wissenschaftlicher Leiter der internationalen Firma Art Analysis & Research (AA&R), die Labors in New York und London unterhält. Bei einer Farbanalyse des auf 1915 datierten Gemäldes „Landschaft mit Pferden“ von Heinrich Campendonk, für das der Käufer einen Rekordpreis von 2,8 Millionen Euro gezahlt hatte, entdeckte der private Kunstforscher das Pigment Titandioxid Weiß. Einen Farbstoff, den Künstler erst Jahrzehnte später verwendeten. Dieser Befund entlarvte Beltracchi letztlich als Fälscher. Bis dahin schleusten er und seine Frau vor allem Fälschungen von Meistern der Moderne in den Kunstmarkt ein, etwa Max Pechstein, Max Ernst oder eben Heinrich Campendonk. Seitdem bitten viele Sammler, Galerien, Händler, Berater, Restauratoren, Museen, Auktionshäuser, Galerien und Kunstversicherungen Eastaugh um
Unterstützung. Übrigens nicht nur, um sich gegen Fälschungen abzusichern. Oft geht es auch darum, mehr über die Materialbeschaffenheit von Kunstwerken zu erfahren, damit auch anspruchsvollste Restaurierungen gelingen. Wo kunstgeschichtliche Einordnung und gängige restauratorische Untersuchungen an ihre Grenzen stoßen, finden die Spezialisten oft noch eine Antwort. „Wir gewährleisten das gewisse Extra an Expertise, das eine wissenschaftliche Untersuchung in eine aufregende neue Entdeckung verwandelt“, erklärt Jilleen Nadolny, neben Rieppi eine von zwei Hauptermittlerinnen. Und das Team reist dorthin, wo es gebraucht wird: Mit einem mobilen Bildgebungssystem ausgerüstet, reisen die Londoner und New Yorker Teams an, wohin man sie ruft: Sie untersuchen die Kunstwerke vor Ort – von Kalifornien bis Kairo. Dazu steht ihr und ihren Kollegen ein ganzes Arsenal hochmoderner Instrumente zu Verfügung, von der Raman-Mikroskopie über digitale Bildgebung bis hin zu modernen Verfahren wie der Radiokarbon-Datierung (Bomb Curve Datierung). Eine Vorreiterrolle spielt die Firma auch in Sachen Pigmentbestimmung: So besitzt ihr Labor eine etwa 3000 Phiolen umfassende Pigmentsammlung mit Farbstoffen aus allen Epochen und aller Welt – vom alten chinesischen Han Blue bis hin zu einem speziellen Weiß aus Pompeij. Zudem arbeitet das Unternehmen kontinuierlich an einer Chronologie historischer Materialien, derer Künstler sich in früheren Epochen bedienten. Dieses Referenzsystem erleichtert die zeitliche Zuordnung von Kunstwerken erheblich. Das Team ist interdisziplinär aufgestellt: Neben vier ausgebildeten Konservatoren – Jilleen Nadolny, Nicholas Eastaugh und Joanna Russell in London sowie Nica Gutman Rieppi im New Yorker Büro – komplettiert der forensische Chemiker Bhavini Vaghji das Fachteam. Fast alle Mitarbeiter von AA&R besitzen mehrere Universitätsabschlüsse, etwa zusätzlich zum Restauratorenstudium eine Promotion in Kunstgeschichte oder Materialanalyse. Nicholas Eastaugh, der über historische Pigmente promovierte, ist von Haus aus Physiker. Jilleen Nadolny wiederum studierte Kunstgeschichte und Restaurierung an der New York University und promovierte am Londoner Courtauld Institute in Technical Art History. 3/2019
Foto: Courtesy Petr Aven, private collection / AA&R 2019
Ein Vierteljahrhundert lang blieb Wolfgang Beltracchi unentdeckt. Er sei für die Experten zu gut, prahlte der Kunstfälscher – bis er an Nicholas Eastaugh geriet, der ihn 2008 in bester Sherlock-Holmes-Manier überführte. Mit diesem Fall erregte der Londoner Kunstforscher internationales Aufsehen. Mit neuesten Technologien sowie einer umfassenden material- und kunstwissenschaftlichen Expertise haben Eastaugh und das Art Analysis & Research-Team bereits vielen Kunstwerken ihr Geheimnis entlockt
TECHNOLOGIE & KUNSTSCHÄTZE
„Unsere Fachgebiete und Interessen überschneiden sich auf verschiedene Weise“, betont die Amerikanerin. „Du erwirbst die Kenntnisse, die du beherrschen musst, um deine Arbeit gut zu machen, und respektierst dabei die eigenen Grenzen.“ Wichtig sei es, das Potenzial des Machbaren zu erkennen und neben dem eigenen Können auf die Fachkompetenz des Kollegen zu vertrauen. „Den unschätzbar tiefgehenden Einblick, den historische Studien, kombiniert mit wissenschaftlichen Methoden, gewähren, macht die Arbeit im interdisziplinären Team so wertvoll.“ Und effizient zudem: Jährlich unterzieht die Firma Hunderte von Kunstwerken einer genauen Analyse. In letzter Zeit hat sie beispielsweise die Authentizität neu entdeckter Gemälde nachgewiesen. Jilleen Nadolnys Aufzählung mutet an wie das Who‘s who der wertvollsten Meister, quer durch alle Epochen: Caravaggio, Dali, Max Ernst, Kandinsky, Modigliani, Rembrandt, Rubens, Tizian, Warhol …. „Rekordhalterin“ im AA&R-Team ist Nica Gutman Rieppi. Sie untersuchte Leonardo da Vincis Jesus-Darstellung „Salvator Mundi“, das teuerste Gemälde der Welt, das sich im Besitz des Louvre Abu Dhabi befindet. Nadolny selber war 2018 im Auftrag der Organisation „The Russian Avantgarde Research-Project“ in der Kölner Sammlung Ludwig zu Gast, um 14 Arbeiten der russischen Künstler Natalia Goncharova und Mikhail Larionov aus den Jahren 1905 bis 1916 zu überprüfen. Weil die Werke das Museum nicht verlassen durften, arbeitete Nadolny gemeinsam mit den Kölner Restauratorinnen Petra Mandt vom Museum Ludwig und der Projektrestauratorin Verena Franken vor Ort. Dabei kamen interessante Erkenntnisse über die Grundierung, die Pigmente und Bindemittel zum Vorschein, von denen sich Nadolny eine gute Grundlage für künftige Restaurierungsarbeiten erhofft.
Mehr noch: Da das Künstlerpaar, nicht zuletzt durch das Manifest „Rayonists and Futurists“ von 1913, großen Einfluss auf die russische Avantgarde hatte, lassen sich aus den analysierten Materialien und Techniken auch Rückschlüsse auf die Arbeitsweise vieler Zeitgenossen herleiten. Nicholas Eastaugh vergleicht die Vorgehensweise hierbei mit der Recherche in den sozialen Medien: „Obwohl es damals noch kein Facebook gab, können wir durch archivierte Briefe, Verträge und anderes zurückverfolgen, wer mit wem in Kontakt stand.“ Da die Künstler in der Regel Techniken und Rezepte untereinander austauschten und sich bei Werkstattbesuchen neue Methoden und Materialien aneigneten, ist die Rekonstruktion des Beziehungsgeflechts nach Eastaughs Überzeugung demnach von großem Erkenntniswert: „Obwohl es vor dem digitalen Zeitalter weniger ‚Selfies‘ gab, können wir durch das Studium der Archive – das ‘Facebook’ der Vergangenheit – soziale Netzwerke besser verstehen und daher die Verbreitung der Ideen zurückverfolgen.“ Besonders viel Freude machte Nadolny der Auftrag einer Stiftung, die Zweifel an der Authentizität eines erst kürzlich entdeckten Werks angemeldet hatte. Bei dem Gemälde handelt es sich um das Porträt von Nina Kandinsky, der zweiten Frau des Künstlers. Kandinsky hatte eine verworfene Bildkombination übermalt: Diese zeigt ein spazierendes Paar, das vermutlich Wassily und Nina darstellt, am Moskauer Hafen, es entstand in dem Jahr, in dem Kandinsky Nina kennenlernte. Die Untersuchung des Porträts ergab, dass Leinwand, Präparation und Pigmente komplett mit Kandinskys damaliger Arbeitsmethode übereinstimmen: „Es gab nichts, das auch nur ansatzweise suspekt anmutete, weder einen Versuch, das unterliegende Werk zu entfernen, noch einen großen Zeitabstand zwischen beiden Malpro-
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ABSTRACT "Committed to the truth" For a quarter of a century, Wolfgang Beltracchi remained undiscovered. He was too good for the experts, the art counterfeiter boasted until he got hold of Nicholas Eastaugh, who transferred him in the best Sherlock Holmes manner in 2008. With this case, the London art researcher caused an international sensation. Eastaugh and the Art Analysis & Research team have already unlocked the secrets of many works of art with the latest technologies and comprehensive expertise in materials science and art.
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TECHNOLOGIE & KUNSTSCHÄTZE
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Forscher fälschen Mithilfe von künstlicher Intelligenz und einem 3D-Drucker haben Wissenschaftler aus dem Computer- und KI-Labor des Massachusetts Institute of Technology (MIT) Ölgemälde nachgemacht. Kann sich jeder Kunst bald ausdrucken?
ABSTRACT Forging researchers Using artificial intelligence and a 3D printer, scientists from the computer and AI lab at the Massachusetts Institute of Technology (MIT) have imitated oil paintings. Can anybody print art soon?
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Einst brauchte man hierfür viel künstlerisches Können: Kunstwerke berühmter Künstler zu imitieren – anders gesagt sie zu fälschen. Nun benötigt man „nur“ die richtige Software. Denn Wissenschaftler aus dem Computer- und KI-Labor des Massachusetts Institute of Technology (MIT) haben im Rahmen des Projekts Repaint eine Software entwickelt, die mithilfe künstlicher Intelligenz Ölgemälde fälschen kann. Die Ergebnisse sollen auch unter verschiedensten Lichtverhältnissen dem Original gleichen. Ganz täuschend echt wirken die Gemälde aus dem 3DDrucker aber dennoch nicht, weil die Details nicht genau dargestellt werden können. Plan der Forscher ist es aber, dass sie irgendwann so echt erscheinen, dass sie auch von Museen ausgestellt werden können. Das wäre besonders für Häuser interessant, die Kunstwerke besitzen,
welche beispielsweise aus Gründen der Erhaltung nur im Depot aufbewahrt werden dürfen und nicht in den zugänglichen Räumen hängen dürfen. Auch wenn ein Werk gestohlen wurde oder verschollen ist, ist es denkbar, es so dennoch zu präsentieren. Natürlich immer unter dem besonderen Hinweis, dass es sich um eine Art Kopie handelt. Ziel der Forscher ist es außerdem, dass die Bilder irgendwann so kostengünstig ausgedruckt werden können, dass auch private Kunstfreunde die täuschend echten Drucke der Altmeister oder Gemälde der Moderne erwerben und sich ins Wohnzimmer hängen können. Bis das Team des Massachusetts Institute of Technology (MIT) so weit ist, kann es aber noch etwas dauern, denn bisher überschreiten die Maße der ausgedruckten Werke nicht die Größe von Visitenkarten. Der 3/2019
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Vorgang des Drucks benötige momentan noch sehr viel Zeit. Hierbei sei auch eine Weiterentwicklung in der Technik von Druckern gefragt, denn nur so könnte man später bessere Ausdrucke schaffen. Zudem sollen auch die Farben noch feiner verändert werden können, um auch Glanzeffekte zu erzeugen. Bisher arbeitet der 3D-Drucker mit zehn verschiedenen Patronen, die eine ganz bestimmte Tinte enthalten. Neben den Mischfarben Cyan, Magenta, Gelb und Schwarz (CMYK) weist diese Tinte die Farben Weiß, Grün, Blau, Orange, Rot und Violett auf. Beim Druck griffen das Forscher-Team auf die Technik der Halbton-Bilder zurück. Viele kleine schwarze Punkte erscheinen dabei als grau, größere schwarze Punkte lassen die Farbe Schwarz erkennen. Sie brachten das mit der selbst entwickelten Color-Contoning-Methode zusammen, die Farbschichten aus einem 3D-Drucker auf eine Leinwand bannt. Die Farben lassen das Licht unterschiedlich stark passieren. Es existieren etwa eine Milliarde Arten, die Schichten übereinanderzulegen, das wiederum steuert ein neuronales Netzwerk. Das Licht bricht sich in den Farbschichten unterschiedlich. So können laut dem MIT viermal genauer als mit anderen Techniken die Farben der Kunstwerke erfasst und nachgeahmt werden. Nun bleibt nur zu hoffen, dass Fälscher die Technik von Repaint nicht für ihre Machenschaften benutzen. Die Wissenschaftler sind überzeugt, dass die Entdeckung vor allem Kunstliebhabern nützt. Sie wollen ihnen damit auch die Möglichkeit geben, Werke, die für die Öffentlichkeit verschlossen bleiben müssen, zu sehen zu bekommen. Wenn auch das Massachusetts Institute of Technology (MIT) im Bereich der Ölgemälde ein neues Terrain betritt, so ist Kunst aus dem 3DDrucker nichts Unbekanntes. Im Skulpturen- und Keramik-Bereich arbeitet auch hierzulande die Wissenschaft an neuen Möglichkeiten: Die Julius Fröbus GmbH in Köln scannte beispielsweise mit einem 3D-Gerät acht Skulpturen von Rathauspropheten aus dem Hansasaal im historischen Rathaus von Köln und druckte diese dann mit einem 3D-Drucker aus. Die neuen Skulpturen sollen nun an den Bestimmungsort der Originale ins Rathaus kommen. Die Original-Skulpturen aus dem 15. Jahrhundert in Eichenholz wurden dagegen vor sechs Jahren ins Museum Schnütgen in der Cäcilienkirche gebracht, weil 3/2019
hier eine konstantere Temperatur und Luftfeuchtigkeit herrscht. Momentan sind sie noch bis zum 30. Juni in der Sonderausstellung „Unter der Lupe“ zu sehen. Und auch Kunstgießereien wie die Kunstgießerei Strassacker aus Süßen bei Stuttgart arbeiten mit 3D-Druck: Sie erstellt mithilfe von dem 3DDrucker des bayerischen Unternehmens Voxeljet Gussmodelle. Künstler können mit ihren Plänen auf die Gießerei zugehen, die diese dann im 3DDrucker umsetzt, wie Timm Ulrichs. Der Konzeptkünstler ließ seine „Wachsenden Steine“ hier fertigen: Ein Stein wurde dafür mit dem 3DScanner digitalisiert und von einem 3D-Drucker in mehreren Teilen gedruckt. Größere Teile wurden dann manuell bearbeitet und die Rohlinge wie Wachs-Rohlinge gegossen und ziseliert, die fertigen Modelle bemalt. Im Keramik-Bereich hat die Hochschule Karlsruhe in Zusammenarbeit mit der Majolika Manufaktur Karlsruhe aktuell automatisierte und optimierte 3D-Keramik-Drucker entwickelt. Sie ermöglichen die Fertigung von keramischen Kunstobjekten im Dauerbetrieb. Die Majolika Manufaktur erwarb einen Keramik-3D-Drucker mit dem Ziel, künstlerische Keramik in additiver Fertigung herzustellen. Auf der Designmesse Eunique im Juni 2018 zeigte Professor Jürgen Walter von der Hochschule Karlsruhe mit Studierenden der Hochschule erstmals 3D-gedruckte Keramikobjekte.
1 und 2 Kunst aus dem 3D-Drucker: Ganz täuschend echt wirken die impressionistischen Gemälde aber dennoch nicht, weil die Details nicht genau dargestellt werden können (Vergleich oben/unten bzw. unten/ oben: 3-Druck versus Original)
Susanne Lux
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PROVENIENZ
Geraubt und verkauft Das Bayerische Nationalmuseum in München schlägt mit der Ausstellung „Silber für das Reich“ ein neues Kapitel in der Raubkunst-Forschung auf. Mit im Projektteam: Diplom-Restaurator Joachim Kreutner
1 Silberobjekte des 17. bis 19. Jahrhunderts aus jüdischem Eigentum (›Leihhausaktion‹ 1939/40); Bayerisches Nationalmuseum, München
ABSTRACT Stolen and sold The Bavarian National Museum in Munich strikes with the exhibition "Silver for the Reich" a new chapter in looted art research. Joachim Kreutner, a graduate conservator, was also a member of the project team.
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Vor rund 80 Jahren, im Februar 1939, wurden Juden mit deutscher Staatsangehörigkeit aufgrund einer reichsweit erlassenen Verordnung gezwungen, alle Edelmetallgegenstände, Edelsteine und Perlen gegen eine geringe Entschädigung abzugeben. Und so lieferten auch jüdische Münchner unzählige Silberleuchter, -kellen und -löffel, Salzdöschen, Silberbecher und Tabletts beim Leihamt der Stadt ab. Ingesamt drei bis vier Tonnen Silber kamen 1939 in München von den jüdischen Münchnern durch die sogenannte Leihhausaktion zusammen, vieles davon wurde eingeschmolzen. Künstlerisch hochwertige Goldschmiede-Arbeiten gelangten in den Kunsthandel oder wurden auch von Museen zur Ergänzung ihrer hauseigenen Sammlung erworben. Das Bayerische Nationalmuseum kaufte damals aus diesen Beständen 322 Objekte an. Die meisten davon, insgesamt 207, wurden bereits seit 1951 restituiert, also an die ursprünglichen Eigentümer oder ihre Erben zurückgegeben.
112 Stücke, für die die Anspruchsberechtigten bisher nicht nachgewiesen werden konnten bzw. keine Ansprüche geltend gemacht wurden, befinden sich heute noch im Museum. Diese stehen nun im Fokus der Ausstellung „Silber für das Reich“ (bis 10. November 2019) und erzählen das Schicksal jüdischer Familien. Denn im Rahmen eines Forschungsprojekts konnten auf der Grundlage von Archivrecherchen die Namen der Personen ermittelt werden, die diese Silberobjekte in den Jahren 1939/40 abgegeben haben. Sie wurden Familien zugeordnet, nach deren Erben auch online gesucht wird, zum Teil mit Erfolg. Ansprüche aus Deutschland, Kanada und den USA werden bereits geprüft. Ein laufender Prozess. „Das ganze ist Work in Progress. Ständig kommen neue Informationen dazu“, erläutert Provenienzforscher Dr. Alfred Grimm. Der Leiter des Forschungsprojekts erhofft sich auch von den Ausstellungsbesuchern Hinweise. Die Schau ist keine Kunstausstellung, 3/2019
Foto: © Bayerisches Nationalmuseum, München / Walter Haberland (1)
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Fotos: © Bayerisches Nationalmuseum, München / Walter Haberland (2,3); privat
PROVENIENZ
sagt der Experte. „Zwar sind es wunderbare Silberojekte, aber sie orientieren sich an den Verfolgungsbiografien der Opfer und das in alphabetischer Reihenfolge, von Ackermann bis Wetzlar.“ Dank Unterstützung des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst sowie weiterer Sponsoren konnten alle Stücke befundet werden sowie die gesamten Silbermarken und Beschauzeichen bestimmt werden. Mit im Projektteam war auch Diplom-Restaurator Joachim Kreutner, der Leiter der Metallrestaurierung. Er leistete mit seinen Mitarbeitern einen wesentlichen Beitrag zur Provenienzforschung und war für die umfangreiche Dokumentation der Objekte zuständig. „Wir haben die Objekte vermessen und gewogen“, erklärt der Restaurator. „Naturgemäß ist bei Objekten aus Edelmetall das Gewicht eine ganz wesentliche Eigenschaft und wurde deshalb oft dokumentiert. In alten Urkunden oder Rechnungen ist es immer aufgeführt. Noch heute ist es so, dass neben der Gestaltung des Objektes, das Gewicht eine große Rolle spielt.“ Die ausgestellten Stücke wurden gereinigt. „Die während der siebzigjährigen Deponierung entstandenen Anlaufschichten haben wir aber bewusst nicht entfernt, um den Objekten diesen Teil ihrer Geschichte nicht zu nehmen“, erläutert Kreutner. „Sämtliche Silbermarken sind nun nicht nur fotografisch dokumentiert. Von jenen der Augsburger Objekte wurden zusätzlich auch Silikonabdrücke genommen. Diese werden im Archiv zur Augsburger Goldschmiedekunst kunsthistorisch ausgewertet und dafür auch eingescannt.“ Alle Exponate sind ausführlich im Katalog, auf der Webseite des Bayerischen Nationalmuseums beschrieben (Herkunft, Verkaufsdaten, Besitzer) sowie auf der Online-Datenbank www.lostart.de eingestellt. Ein bewegendes Familienschicksal, das sich bis zu den heutigen Erben verfolgen lässt, erzählt die Schau in einer eigenen Vitrine: Dina Marx hatte 1939 einen Augsburger Pokal und ein silbernes Gewürzgefäß aus dem frühen 19. Jahrhundert an das städtische Leihamt abgegeben. Ihr Mann Leo war damals schon im Konzentrationslager. 1939 konnte er nach Shanghai emigrieren. Seine Frau Dina und die zwei Söhne blieben zurück, sie wurden 1941 nach Litauen deportiert und ermordet. Leo Marx kehrte 1948 nach Deutschland zurück, heiratete erneut und bekam einen Sohn, Michael. Dieser lebt heute in Saarbrücken und war mit seinem Sohn bei der Vernissage anwesend. Dr. Ute Strimmer 3/2019
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2 Vergoldeter Silberpokal, aus dem Eigentum der Familie Marx, Monogrammist IR, 1624/1628; Bayerisches Nationalmuseum, München 3 Silbernes Gewürzgefäß, Johann Balthasar Stenglin/Johann Alois Seethaler, 1815/1816; Bayerisches Nationalmuseum, München 4 Ausweis von Leo Marx; Bayerisches Nationalmuseum, München
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PROVENIENZ
Dora Maar hängte sich Picasso über den Kamin Die Provenienzen aller Werke aus dem Museum Berggruen in Berlin wurden in einem dreijährigen Projekt erforscht. Eine Ausstellung und ein umfassender Katalog zeigen jetzt „Die Biografien der Bilder“. Restauratorin Hana Streicher war für die gesamte konservatorische Betreuung der Ausstellung und der Kunstwerke verantwortlich und unterstützte die Forschungen
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1 Die Rückseite von Paul Klees „Lebkuchenbild“ mit Provenienzhinweisen 2 Paul Klee, Lebkuchenbild, 1925
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Das Museum Berggruen in Berlin ist ein stiller Ort der Kunstbegegnung. In kleinen Kabinetten hängt die private Sammlung des 1914 in Berlin geborenen Heinz Berggruen. Bis 2007 konnten Besucher manchmal einem freundlichen, kleinen Mann begegnen, der durch die Ausstellung ging und seine Bilder besuchte. Denn Heinz Berggruen hatte im Haus seines Museums eine Wohnung, die er nutzte, wenn er in Berlin war. 2007, als Berggruen 93jährig starb, zerbrach diese exklusive Wohngemeinschaft. Die Sammlung, die er im Jahr 2000 seiner Heimatstadt Berlin für
253 Millionen Mark überließ, zeugt weiterhin von der Arbeit des einstigen Galeristen Berggruen, von seinen Künstlerfreundschaften und von seinem sehr persönlichen Blick auf die Kunst der klassischen Moderne. Dass auch die Berggruen-Bilder problematische Provenienzen haben könnten, liegt aufgrund des Sammelgebiets nahe. Zwar war Berggruen während der Zeit der Naziherrschaft in Amerika und bis 1980 vor allem Galerist in Paris und legte bis dahin nur „nebenbei“ eine Sammlung an. Zwar konzentrierte er sich erst ab 1980 immer mehr auf das 3/2019
PROVENIENZ
Fotos: © Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie/Andres Kilger (1, 2)
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private Sammeln. Doch 135 der in Berlin aufbewahrten Kunstwerke (Gemälde, Papierarbeiten und Skulpturen) entstanden vor 1945, sodass problematische Provenienzen bei diesen Werken von Pablo Picasso, Paul Klee, Georges Braque, Henri Matisse und Henri Laurens nicht auszuschließen waren. Deshalb erforschten die Staatlichen Museen zu Berlin zwischen 2015 und 2018 die Sammlung Berggruen und zeigen ihre Ergebnisse jetzt in der Ausstellung „Die Biografien der Bilder“. Im Zuge der Forschungen wurde die Sammlung in vier Kategorien eingeteilt: Werke mit Hinweisen 3/2019
auf jüdische Vorbesitzer zählten zur ersten Kategorie „A“. Werke mit unklarer Provenienz zur zweiten Gruppe „B“. Dabei ging es oft um Zeichnungen, die nicht gut dokumentiert waren und bei denen Hinweise auf Vorbesitzer fehlten. Zur dritten Gruppe „C“ kam Kunst mit einer unbedenklichen Herkunftsgeschichte, weil ihre Provenienz bekannt, sie vom Künstler an den Sammler geschenkt worden waren, aus seinem oder des ersten Besitzers Nachlass stammten. Wie beispielsweise das Gemälde „Dora Maar mit grünen Fingernägeln“, das bei Dora Maar über dem Kamin
ABSTRACT Dora Maar hung Picasso over the fireplace The provenances of all the works from the Museum Berggruen in Berlin were examined in a three-year project. An exhibition and a comprehensive catalogue now show "The Biographies of Images". Conservator Hana Streicher was responsible for the entire conservation of the exhibition and of the works of art and supported the researches.
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