ZEITSCHRIFT FÜR KONSERVIERUNG UND RESTAURIERUNG
NO 3 Beleuchtet Der Einfluss von Restauratoren bei Neu- und Umbauten
Rot Die Liste gefährdeter Kulturgüter jetzt auf Deutsch
Orange Die Niederlande zelebrieren Jheronimus Bosch
2016
Blau Ins Franz-Marc-Jahr mit neuen Erkenntnissen zur Reiter-Gruppe
INHALT
TITELTHEMA: NEUBAU VON MUSEUM UND DEPOT Kommentar von Martin Reichert Architekt und Restaurator – Hand in Hand?!
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Umbau des Musée Unterlinden in Colmar
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Karin Leydecker Elsässer Gesamtkunstwerk Das Musée Unterlinden in Colmar wurde von den Basler Architekten Herzog & de Meuron umgebaut und städtebaulich erweitert Heike Schlasse Aufbruch in der Berliner Museumslandschaft Zu den Neu- und Umbauvorhaben bedeutender Einrichtungen der Moderne in der Bundeshauptstadt Christine Kowalski und Julia Gleiss „Zumauern und künstlich beleuchten!“ Interview mit Johannes Baur, Restaurator und Fachplaner
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Jheronimus Boschs 500. Todestag
Jutta Keddies Von den Niederlanden nach Bremen Über die Restaurierung der niederländischen Zeichnungen im Kupferstichkabinett der Kunsthalle Bremen Christine Kowalski „Keep calm and love Bosch“ Manfred Koller Holzfarbe mit Benzoeöl Erste restaurierte Teilfassung eines Schnitzretabels aus den alten Niederlanden
BLAUER REITER
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Franz Marcs „Weidende Pferde IV“
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Andrea von Hedenström Fragen über Farben Maltechnische und materialspezifische Untersuchungen eines Meisterwerks von Franz Marc: „Weidende Pferde IV“ Simone Bretz und Gisela Geiger Hinterglasmalerei im 20. Jahrhundert Hinterglasbilder des „Blauen Reiter“ und die Ausbreitung der Technik von 1905 bis 1955 Friederike Ebeling Ein Blick, der durchdringt Zur Restaurierung von Jawlenskys „Sacharoff“
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Fotos (v. o. n. u.): Ruedi Walti; Jutta Keddies; Rik Klein Gotink and image processing Robert G. Erdmann for the Bosch Research and Conservation Project
NIEDERLÄNDISCHE KUNST
RUBRIKEN 6
KUNSTSTÜCK
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BLICKPUNKT Restauratoren ohne Grenzen Das Bode-Museum geht online Rettung für Italiens Kulturgüter Hildesheimer Tag der Restaurierung Wiedereinrichtung Schloss Bruchsal Aktualisiert: Die „Rote Liste“ aus dem Irak
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GEFÖRDERT VON
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FIRMEN & PRODUKTE
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TERMINE Ausstellung Veranstaltungen Impressum Vorschau
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PORTRÄT
Titelmotiv
Foto: Ruedi Walti
Neubauten von Museen sowie Depots sind Chance und Herausforderung zugleich. Welchen Einfluss Restauratoren bei solchen Projekten haben, zeigen wir in dieser Ausgabe. In Colmar beim Umbau des Musée Unterlinden beispielsweise war der französische Chefkonservator beteiligt. Drei Jahre lang hatte das Museum geschlossen, bevor es im Dezember 2015 wiedereröffnete. Das Basler Architekturbüro Herzog & de Meuron konzipierte das Museum mit dem bekannten Isenheimer Altar von Matthias Grünewald neu – ein unterirdischer Galerieraum verbindet jetzt Museumsräume miteinander.
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NEUBAU VON MUSEUM UND DEPOT
Karin Leydecker
Elsässer Gesamtkunstwerk Das Musée Unterlinden in Colmar wurde von den Basler Architekten Herzog & de Meuron umgebaut und städtebaulich erweitert
Drei Jahre war es geschlossen. Nun hat das Musée Unterlinden in Colmar seit dem 12. Dezember 2015 wieder seine Tore geöffnet. Das so genannte Schatzkästlein mit dem berühmten Isenheimer Altar wurde vom renommierten Basler Architektenduo Herzog & de Meuron umgebaut, durch Neubauten erweitert und präsentiert sich nun in einem neuen städtebaulichen Kontext als faszinierendes Museumsquartier.
Die Ausstellungsebenen werden über zwei imposante Wendeltreppen erschlossen.
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ABSTRACT Museum Unterlinden in Colmar Ever since 1853, the Museum Unterlinden in Colmar, Alsace has been known as the ultimate treasure chamber for old German artworks. It houses, for example, the famous 16th century Isenheim Altarpiece by Matthias Grünewald. The museum, which is located in a former convent designed in Gothic style, has recently received numerous Modern Art donations and thus experienced a space problem. As a consequence, the museum was reconstructed in 2012 according to the plans of Swiss star architects Herzog & de Meuron. The reopening was held in December 2015. New constructions that were harmoniously blended into existing ones as well as the integration of historic Jugendstil elements have expanded the exhibition space of the Museums’ Quarter to now covering 8,000 square metres.
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NEUBAU VON MUSEUM UND DEPOT Colmar im Elsass. Diese von Touristen aus aller Welt geliebte Kleinstadt mit pittoreskem Mittelalter-Ambiente und prächtigen Kunstschätzen des Oberrheins wagt den großen Sprung mit Herzog & de Meuron. Beim internationalen Wettbewerb im Jahr 2009 zur Erweiterung des berühmten Musée Unterlinden überzeugten die Schweizer Architekten mit einem städtebaulich, architektonisch und museologisch gleichermaßen kühnen Gesamtkonzept: Es schenkt der Stadt ein neues Herz und gleichzeitig ein faszinierendes Museumsquartier. Die Erweiterung des Hauses, das seit 1853 altdeutsche Meisterwerke beherbergt, war notwendig geworden, weil die Sammlung durch etliche Schenkungen moderner Kunst und Fotografie nach mehr Raum verlangte. Diese Aufgabe erforderte großes Fingerspitzengefühl, denn schließlich ging es nicht um irgendeinen Neubau, sondern um geschickte Integration von Alt und Neu sowie den Umbau alter Gebäudesubstanz auf einem heiklen Bauplatz im historischen Zentrum von Colmar an der Place Unterlinden. Das Museum als Stadt Dies gelang durch den genialen Kunstgriff „Stadt in der Stadt“: In Maßarbeit implementierten Herzog & de Meuron gewissermaßen eine Museumsstadt in den urbanen Kontext, die als zentrales Element die Signifikanz des Platzes unterstreicht. „Wir wollten einen Ort schaffen, der für Colmar wichtig ist und zu dem jeder gerne hingeht, auch wenn er nicht das Musée Unterlinden besuchen will“, beschreiben die Architekten die Herausforderung. Dazu wurde das Museumsgebäude – ein gotisches Kloster aus dem 13. Jahrhundert – umgebaut und mit einem dreigeschossigen Neubau, dem so genannten Ackerhof, erweitert (Abb. 2). Eine unterirdische Galerie verbindet die beiden Baukörper gleich einem Gelenk. Das neue Ausstellungshaus trägt eine von schmalen, gotisch inspirierten Lichtschlitzen sparsam geöffnete Schuppenhaut aus handgebrochenem, schwarzrot gebranntem Backstein und Kupfer. Die Metaphernsprache der Farben und Materialien korrespondiert hier sinnfällig mit den vielfach überformten Klosterfassaden aus Bruchstein und Putz. Der imposante Körper schmiegt sich sanft an die Rückfront der umgebauten historischen Schwimmhalle aus dem Jahr 1906 an. Dieses prachtvolle Jugendstilbad ist ebenfalls in das Ensemble integriert und wird künftig für die Präsentation von Installationen und zu Veranstaltungen genutzt. Konservierung der Bausubstanz Dank des behutsamen Rückbaus und der intensiven denkmalpflegerischen Zusammenarbeit mit dem französischen Chefkonservator Richard Duplat präsentiert sich das Kloster inwendig im 3/2016
KOMM Martin
ENTAR
Reich
ert
ist geschäftsführender Gesellschafter bei David Chipperfield Architects.
Architekt und Restaurator – Hand in Hand?! Aus meiner Erfahrung arbeiten bei einem Museumsoder Depot-Neubau Architekten und Restauratoren nicht direkt zusammen. Im Rahmen einer professionellen Projektstruktur wird der Bauherr von seinen eigenen Restauratoren oder externen Experten beraten und lässt deren Expertise in seine „qualitativen Bedarfsanforderungen“ einfließen. Der Restaurator ist dabei jedoch in der Regel nur eine Stimme unter vielen. Insbesondere die Anforderungen an das Raumklima, Sicherheit, Tages- und Kunstlicht etc. werden heute zunehmend durch die Vorgaben des internationalen Leihverkehrs oder von international gängigen Standards bestimmt. Die koordinierten und autorisierten Bedarfsanforderungen bilden dann die Grundlagen unserer Planung. Für den Fall, dass Zielkonflikte auftreten, sind diese zusammen mit dem Bauherrn oder Nutzer abzuwägen und in der Regel im Sinne des höherwertigen Ziels aufzulösen. Im Einzelfall passiert es gelegentlich, dass in solchen Abwägungsprozessen ein Restaurator hinzugezogen wird. Als aktive Zusammenarbeit kann man das jedoch kaum bezeichnen. Gänzlich anders ist die Situation bei der Planung eines Restaurierungsprojekts. In diesem Fall ist der Gegenstand der Planung das Gebäude selbst, und Restauratoren sind unmittelbare Planungsbeteiligte. Bei der Grundinstandsetzung der Neuen Nationalgalerie etwa sind dies Pro Denkmal Berlin/Bamberg und viele andere Experten, die wir für restauratorische Spezialfragen hinzuziehen. 15
NIEDERLÄNDISCHE KUNST
Jutta Keddies
Von den Niederlanden nach Bremen Über die Restaurierung der niederländischen Zeichnungen im Kupferstichkabinett der Kunsthalle Bremen
Das von der Hermann Reemtsma Stiftung unterstützte Projekt in der Kunsthalle Bremen befasst sich mit der umfassenden restauratorischen Betreuung und Bearbeitung sowie der materialtechnischen und wissenschaftlichen Untersuchung des Bestands der niederländischen Zeichnungen von 1450–1800. Zeichenmaterialien, Papiere, Wasserzeichen und Sammlerstempel werden unter die Lupe genommen. Die niederländischen Zeichnungen vom 15. bis zum 18. Jahrhundert stellen mit rund 900 Blättern einen besonders umfangreichen Bestand im Kupferstichkabinett der Kunsthalle Bremen dar. Dieser bildet neben den deutschen Altmeisterzeichnungen eiAnbetung der Könige, Goes-Nachfolge, Niederländischer Meister, um 1500/10, Feder und Pinsel in Braun, weiß gehöht, auf bräunlich gestrichenem Papier, auf braunem Papier kaschiert, H. 24,7 cm, B. 19,8 cm (die Ecken abgeschrägt), Kupferstichkabinett Kunsthalle Bremen, Inv. Nr. 1855/991
nen der Schwerpunkte des Kupferstichkabinetts, hat allerdings – im Gegensatz zu den Zeichnungen Dürers und seiner Zeitgenossen, die 2012 in einer großen Ausstellung eine angemessene Würdigung und Bearbeitung erfahren haben – in den letzten
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ABSTRACT On the conservation of Dutch drawings in the Collection of Prints and Drawings of the Kunsthalle Bremen Sponsored by the Hermann Reemtsma foundation, the conservation project at Kunsthalle Bremen focuses on an in-depth analysis, followed by practical treatment of the Dutch drawings of the 15th to the 18th century. Drawing materials, papers, watermarks and collectors’ stamps will be thoroughly investigated. The results of the conservation project will be presented in a comprehensive publication and a dedicated exhibition, which is expected to be held in 2018.
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NIEDERLÄNDISCHE KUNST
Das Kupferstichkabinett der Kunsthalle Bremen Das Kupferstichkabinett der Kunsthalle Bremen gehört mit seinen über 220.000 Werken zu den großen und bedeutendsten grafischen Sammlungen in Deutschland. Das Kabinett bildet den Ursprung und das Herzstück der Sammlung des 1823 gegründeten Kunstvereins in Bremen. Die anfangs nur wenigen Mitglieder trafen sich regelmäßig zu wöchentlichen
Jahren kaum Aufmerksamkeit erhalten. Davon ausgenommen sind die Zeichnungen Rembrandts und seines Kreises, die 2000/01 in einer Ausstellung gezeigt werden konnten und seitdem wieder im Depot bei ihren Zeitgenossen ruhen. Im Bestand der Kunsthalle Bremen befinden sich nur wenige ganz frühe Zeichnungen, etwa ein Blatt mit der „Anbetung der Könige“ aus der Nachfolge des Hugo van der Goes (um 1500/10) und einige faszinierende anonyme Blätter (Abb. 1). Die seltenen Zeichnungen dieser Epoche sind fast immer als vorbereitende Kompositions- und Detailstudien angelegt worden, etwa für Gemälde, Glasfenster oder Teppiche. Neben beliebten Genreszenen kam der Landschaftszeichnung des 17. und 18. Jahrhunderts eine große Bedeutung zu, ist sie es doch, die das Entstehen einer völlig neuen Gattung ankündigt – viel früher als in der Malerei. Die Kunsthalle in Bremen besitzt ein Konvolut dieser frühen Zeugnisse der Landschaftskunst, darunter eine zart aquarellierte Weltlandschaft des Tobias Verhaecht, eines Nachfolgers Pieter Brueghels sowie skizzenhafte und durchgestaltete Zeichnungen des Jan van Goyen, um nur einige zu nennen. Natürlich sind aber auch die großen Künstler des „Goldenen Zeitalters“ der niederländischen Kunst, Peter Paul Rubens, Anthonis van Dyck, Jacob Jordaens und Rembrandt mit ihren Werken im Kupferstichkabinett vertreten. Besonders hervorzuheben sind außerdem noch drei umfangreiche Konvolute des Leonard Bramer mit Darstellungen von Till Eulenspiegel, zum Neuen Testament und zum Leben Christi, die zusammen über 200 Blatt umfassen und eine separate Bearbeitung verlangen. Ziele des Projekts Die vorherige Konservierung und Restaurierung des Bestands der niederländischen Zeichnungen ist essenziell für die grundsätzliche Zugänglichkeit, die wissenschaftliche Forschung, aber auch die Publikation und die Ausstellung der Werke. Diese Arbeit und die dazu parallel laufende materialtech3/2016
Kunstbetrachtungen, bei denen druckgrafische Blätter besprochen wurden. Aufgaben des Kunstvereins bestanden laut Satzung unter anderem darin, den „Sinn für das Schöne zu verbreiten“, Kunst zu sammeln und Ausstellungen zu veranstalten. Die Kunsthalle Bremen besitzt insgesamt rund 7.000 Zeichnungen, die der Öffentlichkeit – mit Ausnahme einiger herausragender Meisterwerke – zum großen Teil nicht bekannt sind.
nische und kunstwissenschaftliche Untersuchung wurde im März 2014 begonnen. Ein umfangreicher Bestandskatalog, eine speziell konzipierte Ausstellung und der virtuelle Zugang zu den Werken über die Internet-Datenbank des Museums, vor allen Dingen aber die systematische Bestandserhaltung und Pflege dieser einzigartigen Sammlung werden Ergebnisse dieses Projekts sein. Die für 2018 geplante Ausstellung wird dieses Konvolut der interessierten und wissenschaftlichen Öffentlichkeit erstmals umfassend und systematisch vorstellen. Die wissenschaftliche Bearbeitung und eine umfassende konservatorische Betreuung werden es ermöglichen, die fragilen Blätter für eine begrenzte Zeitspanne zu zeigen und für kommende Generationen weiterhin zu bewahren. Das Projekt wird durch die Unterstützung der Hermann Reemstma Stiftung ermöglicht. Ausgangssituation Zu Beginn des Projekts befanden sich die Zeichnungen in schweren, zum Teil verklebten und überfüllten Kästen. Bis auf wenige Ausnahmen
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2 Blick in die Depotschränke mit den Kassetten der niederländischen Zeichnungen
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BLAUER REITER
Andrea von Hedenström
Fragen über Farben Maltechnische und materialspezifische Untersuchung eines Meisterwerks von Franz Marc: „Weidende Pferde IV“
Kunsthistorisch unumstritten markiert das Gemälde „Weidende Pferde IV“, besser bekannt als „Die Roten Pferde“, einen wichtigen stilistischen Wendepunkt in Marcs Œuvre: den endgültigen Schritt zur Animalisierung seiner Kunst. Die Farbgebung wird als autonomes Bildmittel von der Wirklichkeit gelöst und dient fortan laut Klaus Lankheit der „Steigerung der Wesenheit des Dargestellten“ (Lankheit 1976, S. 72). Dass dieser stilistische Durchbruch nicht nur „mit“, sondern „in“ diesem Werk selbst stattfindet, konnte nun eine genaue Untersuchung des Gemäldes aufzeigen.
„Weidende Pferde IV“ (Abb. 1) steht oft nicht nur stellvertretend für das Werk Franz Marcs, sondern auch für den Expressionismus im Allgemeinen und ist besonders in den Vereinigten Staaten eines der beliebtesten deutschen Gemälde (von Hedenström/Roth 2016). Entstanden 1911 in Sindelsdorf, gehört es heute zu der Sammlung des Busch-Reisinger Museums in Cambridge Massachusetts und wird derzeit für die Reise zur Jubiläums-Ausstellung in Kochel vorbereitet sowie erstmalig umfassend naturwissenschaftlich untersucht.1 Der
Fokus liegt dabei in der Betrachtung der Maltechnik, der verwendeten Materialien sowie der bisher vernachlässigten Rückseite des Werks.2 Die Materie zum Leben erweckt Weidende Pferde IV entstand in einem der produktivsten Jahre des Künstlers. Kurz zuvor hatte er August Macke, Wassily Kandinsky und Gabriele Münter kennengelernt. Der Austausch mit diesen Künstlern inspirierte Marc stark und verhalf ihm zum Durchbruch in seiner eigenen Farbgebung (Adolphs/
Foto: President and Fellows of Harvard College
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BLAUER REITER
Foto: Straus Center for Conservation/President and Fellows of Harvard College
Hoberg 2014). Seine Briefe zeugen von tiefgehenden Überlegungen zur Farbe als Ausdrucksmittel, die sich in der Entstehungszeit der Weidenden Pferde IV wie folgt zusammenfassen lassen: Rot steht für die irdische Materie: „brutal und schwer“, Blau für die Maskulinität: „herb und geistig“ und Gelb für die Weiblichkeit: „sanft, heiter und sinnlich“. Blau und Gelb zu Grün gemischt erweckt das Rot: „die Materie zum Leben“ (von Holst 2000). Wichtig war ihm dabei, alle Beliebigkeit von der Bildfläche zu bannen. So schreibt er: „Niemals werde ich um dekorativer Wirkung willen einen Busch blau machen, sondern nur um das Pferd, das sich von ihm abhebt, in seiner ganzen Wesenheit zu steigern.“ (Marc 1910) Dieses Bestreben zeigt sich auch in der umfangreichen Vorbereitung: Mehrere Leinwände, Skizzen sowie zwei Temperastudien stehen in direktem Bezug zum endgültigen Werk (von Hedenström/Roth 2016). In Marcs Aufzeichnungen lässt sich noch im Januar 1911 die Unzufriedenheit über sein Schaffen erkennen, bevor er einige Wochen später einen Brief an seine zukünftige Frau Maria Franck sendet, der den Durchbruch zu seinem eigenen Stil wie folgt beschreibt: „[…] Ich habe noch ein sehr großes Bild mit 3 Pferden in der Landschaft, ganz farbig von einer Ecke zur anderen, angefangen, die Pferde im Dreieck aufgestellt. Die Farben sind schwer zu beschreiben. Im Terrain reiner Zinnober, neben reinem Cadmium u. Cobaltblau, tiefem Grün und Carminrot, die Pferde gelbbraun bis violett. Sehr starkes, modelliertes Terrain; ganze Partien (z. B. ein Busch), in reinstem Blau! Kannst Du Dir das denken? Die Formen alle ungeheuer stark und klar, damit sie die Farben aushalten […].“ (Marc 1911). Die Farbpalette der Weidenden Pferde IV Dieser Brief ist Ausgangspunkt der Untersuchung des Gemäldes selbst. Die analytischen Ergebnisse decken sich in der Tat weitestgehend mit den genannten Farbmitteln und definieren zudem weitere Pigmente seiner Palette: Die beiden äußeren Pferde sind hauptsächlich mit synthetischem Zinnober gemalt, der mit Cadmiumgelb und/oder Cadmiumorange ausgemischt wurde. Interessant ist dabei, dass Marc offensichtlich bewusst Zinnober verwendet, obwohl Cadmiumrot ganz neu auf dem Markt ist. Die Blessen der Pferde sind mit Bleiweiß ausgeführt, die Mähnen primär mit Cobaltviolett. Einzelne Bereiche der Pferde sowie die roséfarbenen Zonen
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in der Landschaft wurden mit Krapplack akzentuiert und weisen eine charakteristische, leuchtend orangefarbene Fluoreszenz auf (Abb. 2). Die hier analysierte Zusammensetzung von Pseudopurpurin und Purpurin lässt auf einen Krapplack schließen, der mit dem Koppschen Verfahren hergestellt wurde (Kirby/ Spring/Higgitt 2007). Im Terrain wurde Zinnober für das Rot verwendet, das in Cadmiumorange übergeht. Im rechten blauen Bereich wurde Cobaltblau vermutlich als Cobalt-Aluminium-Spinell verwendet, das Marc in den hellen Zonen mit Zinkweiß ausmischte. Der blaue Busch weist unter anderem Ultramarin auf. Die Grüntöne setzen sich primär aus Chromoxidgrün und Cadmiumgelb zusammen. Nahe des linken Pferds wurde Strontiumgelb ermittelt, während der Himmel mit Cadmiumgelb, Cadmiumorange und Bleiweiß ausgeführt wurde. In der gesamten Komposition scheint Marc auf reine schwarze Farbe verzichtet zu haben. Materialbefund, Charakteristika, Manipulation Wie bei vielen Werken Marcs handelt es sich auch bei diesem Bildträger um eine industriell hergestellte Leinwand, die in Panamabindung mit 12 x 2 vertikalen Kett- über 9 x 2 horizontalen Schussfäden pro Quadratzentimeter gewebt ist. Diese Bindung mit identischer Fadenzahl sowie vereinzelten Webfehlern entspricht dem Bildträger der „Kleinen Blauen Pferde“, ebenso 1911 geschaffen (Hofmeister 1990). Die sehr dünne, augenscheinlich industriell
Das Busch-Reisinger Museum befindet sich mit dem Fogg Museum und dem Arthur M. Sackler Museum in den von Renzo
Piano umfangreich renovierten und erweiterten, 2014 neu eröffneten Harvard Art Museums. Auch das Straus Center for Conservation and Technical Studies ist in den Harvard Art Museums untergebracht und widmet sich der Pflege und Erforschung der Sammlung des Museums sowie weiterer universitärer Einrichtungen. 2
Nicht alle Ergebnisse können im Rahmen dieses Textes genannt werden. Einige der Untersuchungen und Maßnahmen sind
derzeit (März 2016) noch nicht abgeschlossen und werden nach der Rückkehr des Gemäldes von der Ausstellung „Franz Marc
1 Weidende Pferde IV (Die Roten Pferde), Franz Marc, 1911, Öl auf Leinwand, H. 121 cm, B. 183 cm, Harvard Art Museums/Busch-Reisinger Museum, Inv. Nr. 2014.301 2 Weidende Pferde IV unter UVFluoreszenzanregung, Detail
ABSTRACT Questions of colour From an art historical perspective, it is generally undisputed that the painting „Grazing Horses IV“, better known as „The Red Horses“, marks an important, stylistic turning point in Marc’s oeuvre: the final step to the „animalization“ of his art. Used as an independent visual means, the colour no longer refers to reality and serves – according to Klaus Lankheit – as an „intensification of the essence of the depiction“. This breakthrough to Marc's specific colourful style occurs not only in his preparation for this work but, in fact, during the painting process itself, which has been shown by an in-depth examination of the painting.
– Zwischen Utopie und Apokalypse“ weitergeführt. Nachfolgende Publikationen sind vorgesehen.
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