ZEITSCHRIFT FÜR KONSERVIERUNG UND RESTAURIERUNG
NO 6 2018
Neue Perspektive Virtuell durch Pergamon dank 3D
MUSEEN IM UMBRUCH
MACHER Vier Kulturerbe-Messen kooperieren künftig
MALER Botticelli wieder nah am ursprünglichen Erscheinungsbild
MASTERPIECE Restauratoren entlarvten Monet als Fälschung
INHALT
TITELTHEMA: DIGITALISIERUNG
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Uta Baier Eine Einladung zum Spaziergang durch Pergamon Ein 3D-Modell und ein Film machen die Stadterkundung möglich
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Alexandra Wach M.A. Monitor, öffne dich! Die Mannheimer Kunsthalle begeistert mit ihrem digitalen Angebot
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Dr. Claudia Teibler Unterwasserexpedition im Trockenen Mit Virtual Reality ein antikes Schiffswracks unter Wasser erkunden
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Kristina Presser M.A. Ein fabelhafter Ausdruck Über die Restaurierung der Großen Pagode in London mit 3D-Druck
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Susanne Lux M.A. 3D-Modelle bedeutender Kulturgüter gelten als schützenswert Die dauerhafte Archivierung von 3D-Daten des Bamberger Kaisergrabs
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Björn Schreier, Matthias Wehry Karten ins Netz gegangen Rund 4.000 Altkarten werden aktuell in Hannover digitalisiert
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Dipl.-Rest. Boris Frohberg Optische Vermessung von Bauteilen Der Borwinbrunnen in Güstrow wird mittels 3D-Technik restauriert
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Priv.-Doz. Mag. Dr. Martina Griesser-Stermscheg Geteilter Wissenszugang Uneingeschränkte Recherche in den Datenbanken eines Wiener Museums
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Dr. Ute Strimmer Die digitalisierte Heimat Ein Südtiroler Ausstellungsprojekt mit virtueller Tour
Die Große Pagode in Londons Kew Gardens
GEMÄLDE
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Botticellis „Beweinung Christi“ (ca. 1490–95)
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Dipl.-Rest. Ulrike Fischer, Dipl.-Rest. Eva Ortner M.A., Dipl.-Rest. Jan Schmidt, Dr. Dipl.-Rest. Wibke -Neugebauer Die Restaurierung von Sandro Botticellis „Beweinung Christi“ aus der Alten Pinakothek in München Ergebnisse der kunsttechnologischen Untersuchung am Doerner Institut
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Alexandra Wach M.A. Die rotesten Lippen des Barock glänzen wieder Peter Paul Rubens Selbstporträt (1629) wurde in Antwerpen restauriert
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Alexandra Wach M.A. Zu gelb um wahr zu sein Entlarvung einer Monet-Fälschung im Wallraf-Richartz-Museum in Köln 6/2018
Fotos (v. o. n. u.): Richard Lea-Hair / Historic Royal Palaces; Fotoabteilung der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen
Kommentar von Dennis Willkommen Nachhaltigkeit digitaler Lösungen
RUBRIKEN 6
KUNSTSTÜCK
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BLICKPUNKT Eine Studentin der TH Köln restaurierte das KZ-Häftlingskleid einer Holocaust-Überlebenden Die barocke italienische Basilika San Giovanni Battista in Morbegno ist restauriert – ein Symposium informiert Vier Kulturerben-Messen gründen eine neue, länderübergreifende Plattform
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BERUF: Restauratoren dürfen stolz sein
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QUALITÄTSSCHMIEDE: Clemens Heddier
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FIRMEN & PRODUKTE
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TERMINE Veranstaltungen Impressum Vorschau
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PORTRÄT: Dr. Sabine Haag, Generaldirektorin des KHM-Museumsverbandes, seit Februar 2018 neue Präsidentin der österreichischen UNESCOKommission
Titelmotiv Lustwandeln in Pergamon um 200 nach Christus. Wissenschaftler der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus und der Abteilung Istanbul des Deutschen Archäologischen Instituts erstellten gemeinsam ein 3D-Modell der antiken Stadt. Ein Ausschnitt der 3D-Rekonstruktion ist das Titelbild dieser Ausgabe: das Trajaneum – ein Tempel für den römischen Kaiser Trajan und Zeus Philios (S. 12).
Berliner BLAU
Foto: Lehrstuhl Darstellungslehre, Prof. Dominik Lengyel, BTU Cottbus
Um 1704 entdeckte der Berliner Farbkünstler Diesbach, wie man aus Eisensalzen und Rinderblutabfällen eine schöne blaue Farbe herstellen kann. Seitdem kommt Berliner Blau unter den verschiedensten Namen vor, wie etwa Pariserblau, Miloriblau oder Preußischblau. Das Pigment PB 27 eignet sich für alle Anwendungen in nicht-alkalischen Bindemitteln. Erhältlich unter der Bestellnummer #45202 in 100 g, 1 kg und 20 kg Gebinden.
www.kremer-pigmente.com
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DIGITALISIERUNG
Eine Einladung zum Spaziergang durch Pergamon Wie vor 1818 Jahren: Ein 3D-Modell und ein Film machen die Stadterkundung möglich
1 Die Stadtbergsilhouette von Pergamon mit (von oben links) Trajaneum, Athenaheiligtum und Zeusaltar (dem im Pergamon Museum Berlin wieder aufgebauten, sogenannten Pergamonaltar) und darunter Theater mit Theaterterrasse und Dionysos-Tempel am linken Ende
Neben der Baustelle am Berliner Pergamonmuseum steht neuerdings eine Rotunde. Sie zeigt „Pergamon“, das Panorama des Künstlers und Architekten Yadegar Asisi. Asisis Panoramen sind inszenierte, fotografierte, gezeichnete Kunstwerke, die die Besucher direkt in historische Zeiten und Räume versetzen. Die Kunstwerke faszinieren, weil sie die dreidimensionale Illusion eines Besuchs an einem historischen Ort erzeugen. Die Filmindustrie hat dreidimensionale
Rekonstruktionen längst für sich entdeckt und zu überzeugender Perfektion entwickelt. Allerdings mit viel Fantasie und Farbe. Beides ist für die Wissenschaft jedoch „nicht förderlich und für die dreidimensionale Illusion auch nicht notwendig“, so die Erfahrung von Dominik Lengyel. Der Architekt und Professor für Darstellungslehre an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus hat in den vergangenen zehn Jahren zusammen mit der Abteilung Istanbul des
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KOMM
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mmen Willko is n n e D Deutschen Archäologischen Instituts ein wissenschaftliches 3D-Modell der Stadt Pergamon im Jahr 200 nach Christus entstehen lassen, das archäologische Inhalte mit architektonischer Raumwirkung vereint. Es wurde in der Ausstellung „Pergamon wiederbelebt!“ des Antikenmuseums der Universität Leipzig neben originalen Grabungsfunden und historischen Visualisierungen wie Grabungstagebüchern, Zeichnungen, Plänen, gebauten Architekturmodellen und einem verkleinerten
Geschäftsführer von DroidSolutions und Fachdozent für App-Entwicklung und Mobile Marketing
Nachhaltigkeit digitaler Lösungen Ob im Sammlungsmanagement, in der Öffentlichkeitsarbeit, der Verwaltung oder bei der Vermittlung, Digitalisierung und digitale Formate sind aus keinem Bereich des sogenannten GLAM-Sektors mehr wegzudenken. Oft bekommt man zu hören, dass diese Digitalisierung sich noch in den Kinderschuhen befinde. Zum einen ist dies korrekt, wenn man den Stand des nötigen Grundlagenwissens betrachtet, bspw. welche Möglichkeiten und Potenziale es gibt und wie diese mittels ausgereifter Konzepte zum Einsatz kommen. Auf der anderen Seite verändert sich der digitale Bereich ohne Unterlass. Dementsprechend bleiben damit verbundene Potenziale und Konzepte hochdynamisch und unterliegen kontinuierlichen Veränderungen. Allzu oft wird der Fehler begangen, diese Dynamik zu vernachlässigen. Lösungsansätze entstehen vielmehr auf Basis statischer Konzepte, die wenig Raum für Flexibilität und Weiterentwicklung lassen. Das wiederum hat zur Folge, dass nach kurzer Zeit Lösungen schnell überholt sind und Anwender unzufrieden werden lassen. In Zukunft sollte dieser Dynamik, da systemimmanent, bei der Entwicklung und Umsetzung digitaler Konzepte mehr Rechnung getragen werden. Digitale Strategien und Lösungen dürfen nicht statisch gedacht werden, sondern müssen von Beginn an flexibel, skalierbar und nachhaltig entworfen werden. Damit einhergehend kommt ein nachhaltiger Ansatz zum Tragen, der langfristige Lösungen schafft und alle Beteiligten zufriedenstellt, ohne zukünftige Anpassungen a priori auszuschließen.
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DIGITALISIERUNG
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Unterwasserexpedition im Trockenen Ein antikes Schiffswrack auf dem Meeresgrund kann man aktuell mit einer Virtual-Reality-Anwendung im Museum für Antike Schiffahrt des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz (RGZM) begehen. In dem neueingerichteten Technologiebereich Mixed Reality Open Lab erleben die Besucher, wie die Rekonstruktion vor ihren Augen entsteht
ABSTRACT Dry Underwater Expeditions You can explore an ancient wreck on the bottom of the sea using a virtual reality application at the Museum of Ancient Seafaring, a branch of the Romano-Germanic Central Museum in Mainz (RGZM). In its new Mixed Reality Open Lab, visitors can experience the reconstruction right before their eyes.
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Zwanzig Meter unter der Meeresoberfläche ist es ziemlich dunkel. Nur ganz entfernt flirren noch ab und an Lichtstrahlen durch das Wasser. Unten, auf dem sandigen Grund, liegen zwischen Algen blauschwarze Planken – Reste eines Schiffsrumpfs. Rundum verstreut liegen unzählige grüngolden schimmernde Amphoren – die zweitausend Jahre alte Fracht eines römischen Handelsschiffs, das um 60 vor Christus Wein von Italien nach Südfrankreich brachte, in einem Sturm leck schlug und vor La Madrague de Giens bei Toulon sank. Vor fünfzig Jahren wurde das Wrack – es gilt als einer der größten antiken Schiffsfunde überhaupt – von französischen Marinetauchern entdeckt und in den folgenden
fünfzehn Jahren von Unterwasserarchäologen erforscht. Geborgen wurde es jedoch nie; bis heute liegt es vor der Halbinsel Giens am Meeresgrund. Wir selbst befinden uns allerdings weder in Südfrankreich, noch tragen wir Taucheranzug, Sauerstoffflaschen und Atemgerät. Stattdessen stehen wir im Museum für Antike Schiffahrt, einer Außenstelle des Römisch-Germanischen Zentralmuseums in Mainz, und können diese kleine Unterwasserexpedition ganz komfortabel im Trockenen unternehmen: per Datenbrille in einem speziell zur Erprobung neuer Museumstechnologien eingerichteten Bereich, dem Mixed Reality Open Lab. 6/2018
DIGITALISIERUNG
Fotos: (1) Screenshot: F.Lotz/RGZM; (2) RGZM
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Wie der Name sprechend nahelegt, sollen hier in einem Miteinander verschiedener Realitätsebenen und klassischer wie auch digitaler Vermittlungsmethoden die Besucher durch eigene Aktivitäten fast spielerisch Inhalte entdecken. Dabei können sie sogar den Entdeckungs- und Erkenntnisprozess eines Wissenschaftlers nachvollziehen. Das bedeutet in diesem Fall: Sie werden selbst zum Unterwasserarchäologen und erkunden das Wrack auf ganz ähnliche Weise wie die submarinen Altertumsforscher in den Siebziger und Achtziger Jahren. „Der Besucher taucht mithilfe der Datenbrille vollkommen in die realistisch dargestellte Wracksituation am Meeresgrund ein“, erörtert Projektleiter 6/2018
Dominik Kimmel. „Gleichzeitig haben wir aber eine zweite virtuelle Situation geschaffen: die des rekonstruierten Schiffes. Um beide Situationen klar zu differenzieren, ist diese Rekonstruktion lediglich skizzenhaft, mit leuchtenden blauen Linien wie in einer Zeichnung angedeutet, nicht aber hyperrealistisch dargestellt“, erklärt Dominik Kimmel. „Was wir realistisch dargestellt haben, entspricht der Realität, die wir
1 Screenshot der digitalen Rekonstruktion des Wracks in der Tiefe 2 Die MROL-Station im Museum für Antike Schiffahrt des RGZM. Während des Museumsbetriebes wird offen experimentiert
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GEMÄLDE
Die Restaurierung von Sandro Botticellis „Beweinung Christi“ aus der Alten Pinakothek in München Die Entscheidung zur Restaurierung von Botticellis „Beweinung Christi“ wurde auf der Basis einer umfangreichen kunsttechnologischen Untersuchung am Doerner Institut getroffen. Sie hatte gezeigt, dass bis dato nicht erkannte großflächige Übermalungen sowie mehrere spätere, mittlerweile stark verfärbte Firnisschichten die Lesbarkeit und Farbigkeit von Botticellis Malerei stark beeinträchtigten 1
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Sandro Botticellis großformatige „Beweinung Christi“ (ca. 1490–95) ist für die Besucher der Alten Pinakothek seit über 200 Jahren ein wichtiger Anziehungspunkt (Abb. 1). Während der Arbeit am Bestandskatalog zur Florentiner Malerei bot sich in den letzten Jahren die einmalige Gelegenheit, das Werk erstmals umfassend wissenschaftlich zu bearbeiten: Von kunsthistorischer Seite haben Andreas Schumacher und Alexander Röstel neue Erkenntnisse zur Provenienz, der ursprünglichen Aufstellung des Gemäldes in der Florentiner Kirche S. Paolino und zur ikonografischen und stilistischen Einordnung vorgelegt (Röstel 2015, Schumacher und Fischer 2017). Kunsttechnologische Forschungen des Doerner Instituts zeigten außerdem, dass Botticelli hier mit der Wahl von Pappelholz als Bildträger, seinen Malmaterialien sowie seinem Bildaufbau der Tradition der Florentiner Malerei eng verhaftet blieb. Darüber hinaus offenbarten diese Untersuchungen aber auch einen komplexen und vielschichtigen Entstehungsprozess des Gemäldes, der das Ringen des Künstlers mit der Entwicklung der Komposition eindrücklich dokumentiert (Schumacher und Fischer 2017). Diese neuen Erkenntnisse bildeten die Basis für die im Folgenden vorgestellte Restaurierung des Gemäldes, deren Ziel es war, die ursprüngliche Malerei Botticellis in ihrer Komplexität wieder besser ablesbar und so für den Museumsbesucher in Zukunft unmittelbarer erfahrbar zu machen. Durchgeführt wurden die Maßnahmen von Wibke Neugebauer, freiberufliche Diplom-Restauratorin, unter der fachlichen Begleitung des Doerner Instituts. Die Restaurierung sowie ein neuer Zierrahmen wurden im Rahmen des Förderprogramms „Kunst auf Lager“ durch die Rudolf-August Oetker-Stiftung gefördert. Quellen zur Restaurierungsgeschichte Die Restaurierungsgeschichte lässt sich anhand von Quellen bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts nach Florenz zurückverfolgen. Ein historischer Brief gibt außergewöhnlich detailliert Auskunft über die Restaurierung der Tafel vor ihrem Ankauf durch den bayerischen Kronprinzen Ludwig: Dessen Ankaufsagent in Florenz, Johannes Metzger, berichtet im Jahr 1814, dass das Gemälde lange Zeit über einem Kamin in der Klosterapotheke von S. Paolino in Florenz gehangen habe und seine 6/2018
1 Sandro Botticellis „Beweinung Christi“ nach der Restaurierung (Bayerische Staatsgemäldesammlungen München, Alte Pinakothek, Inv. Nr. 1075, ca. 140 x 209 cm)
ABSTRACT The restoration of Sandro Botticelli's "Lamentation of Christ" from the Alte Pinakothek in Munich The decision to restore Botticelli's "Lamentation of Christ" was made on the basis of an extensive arttechnological study at the Doerner Institut. It became clear, that so far unrecognized large-area overpaintings and several younger, meanwhile strongly discolored varnish layers severely impaired the legibility and coloration of Botticelli's painting.
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