Restauro 01 2013

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Zeitschrift f체r Restaurierung, Denkmalpflege und Museumstechnik

Seltene Verzierungstechnik Braunfirnis Graffiti: Zwischen Kunst und Vandalismus Jahrtausende alte Fachwerkbauten

Im Fokus: N체tzlinge zur Sch채dlingsbek채mpfung www.restauro.de

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Januar/Februar 2013


Editorial

Gute Aussichten Willkommen im neuen Jahr 2013! Auf dass es Ihnen viel Glück und Erfolg bringen möge! Ganz unabhängig davon, ob Sie die 13 in der Jahreszahl als Glückszahl oder Unglückszahl ansehen oder ob Ihnen die 13 schlichtweg egal ist: 2013 wird sicher ein gutes Jahr, und es beginnt mit einer tollen Nachricht. Nicht nur, dass wir den vermeintlichen Maya-Weltuntergang schon einen ganzen Monat hinter uns gelassen haben. Es gibt auch für die Kulturguterhaltung wirklich gute Neuigkeiten: Der Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie des Europäischen Parlaments stimmte dafür, das kulturelle Erbe in das 8. EU-Forschungsrahmenprogramm »Horizon 2020« aufzunehmen. Dies gibt Anlass zum Optimismus, denn damit werden auch nach Ende des aktuell laufenden 7. Forschungs­ rahmenprogramms, also für den Zeitraum von 2014 bis 2020, Gelder für die Erforschung und Erhaltung unseres kulturellen Erbes bereit stehen (S. 6). RESTAURO beginnt das Jahr 2013 mit einigen Rückblicken auf die letzten Ereignisse in 2012 (S. 10), aber RESTAURO blickt auch nach vorne, insbesondere auf Neuigkeiten aus den Hochschulen (S. 7), die immer wieder Projekte aus der Taufe heben und umsetzen. In dieser ersten Ausgabe des Jahres haben wir erneut einen Heftschwerpunkt gestaltet. Dieser widmet sich kleinen Tieren mit großer Wirkung: den Schlupfwespen, die seit ­einigen Jahren erfolgreich zur Schädlingsbekämpfung im Museum eingesetzt werden. Drei Autorenteams fassen ab Seite 38 ihre Erfahrungen zu dieser Bekämpfungsmethode zusammen, die gegen Schädlinge wie z. B. Brotkäfer oder Motten hilft. Dass Motten Kunst nicht nur schädigen, sondern selbst an der Produktion von Kunst beteiligt sein können, lernen wir ebenfalls in diesem Heft. Die Diplom-Restauratorin Manuela Wiesend gewährt uns einen Einblick in eine seltene, in Vergessenheit geratene Technik: die Malerei auf dem Gewebe der Gespinstmotte (S. 12). Insofern hat die Motte in diesem Heft nicht nur einen zerstörerischen Charakter, sondern auch einen schöpferischen. Ähnlich verhält es sich übrigens auch mit Graffiti auf historischen Gebäuden oder Monumenten. Graffiti müssen nicht zwangsläufig nur Beschädigung und Zerstörung bedeuten, sie können auch als Kunst wahrgenommen werden. Denkanstöße hierzu geben uns die Restauratoren Stefan Belishki und Vera De la Cruz Baltazar (S. 16). Neues Altes wie die mittelalterliche Braunfirnistechnik (S. 24) oder altes Neues wie die Rahmenrekonstruktion zu einem Gemälde von Franz von Stuck (S. 20) runden diese erste Ausgabe in 2013 ab.

„ . . . wir f Gold und Silber .uber . mich . . . „ Seit Carl Deffner seinen Großhandel 1880 gründete, sind Materialien und Werkzeuge für Vergolder ein Bestandteil des Warenangebotes. Damals wie heute finden Sie bei uns eine große Auswahl hochwertiger edler und unedler Blattmetalle, Achate sowie Pinsel. Zudem traditionelle Materialien für Kreidegrund- oder Polimentvergoldung, das Kölner System wie auch Lacke und Farben für metallische Anstriche. Profitieren Sie von unserem Know-how. Seit 1880. www.deffner-johann.de

Wir freuen uns nun auf ein Jahr voller spannender Entdeckungen und interessanter Jubiläen, wie z. B. den 75. Jahrestag der Erfindung von Superman, des ersten Superhelden der ­Comicgeschichte, oder den 150. Geburtstag von Edvard Munch am 12. Dezember. Und um abschließend noch einmal auf die zuvor erwähnte Zahl 13 und die Maya zurückzukommen: In deren klassischer Periode gab es 13 Himmel. Wenn das nicht gute Aussichten für das neue Jahr sind! Alles Gute für Sie, Ihre

p.brozio@restauro.de

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Mühläckerstraße 13 D-97520 Röthlein Tel: +49 9723 9350-0

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Inhalt 20 Besuch in der Rahmenwerkstatt

restauro aktuell  3

Editorial

Blickpunkt  6 Horizon 2020 + Tipps und Kniffe + Neue Werkstätten in Berlin  7 Neues aus den Hochschulen Wien, Hildesheim und Frankfurt/Oder

Foto/© Werkstatt Werner Murrer

Unterwegs 10 Rückblick auf die Messe denkmal, auf die ÖRV-Tagung »Kunst unterwegs« und auf die Tagung »Hazardous Substances in Collections« Einblicke 12 Malerei auf »Spinnweben« Nachgefragt 16 Graffiti – Kunst oder Vandalismus?

restauro im Fokus

24 Historische Braunfirnistechnik

Stephan Biebl 39 Nützlinge gegen Kleidermotten Praktische Erfahrungen im Deutschen Museum München Pascal Querner, Eva Götz, Tanja Kimmel und Michaela Morelli 42 Nützlingseinsatz im Museum Zum Einsatz von Lagererzwespen im Rahmen eines Integrierten Schädlingsmanagements (IPM) im Kunsthistorischen Museum Wien

Foto/© Ines Frontzek

Julia Dummer und Sabine Prozell 46 Zwergwespen auf Schlittenfahrt Materialschutz mit Nützlingen

restauro Themen

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Kopien im Neuen Palais

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Patricia Brozio und Maria Siegmantel »Das Verlorene Paradies« und sein verlorener Rahmen Die Rekonstruktion eines Schmuckrahmes von Franz von Stuck

Ines Frontzek und Rolf-Dieter Blumer 24 Historische Oberflächenveredelung im neuen Licht Braunfirnis am Hertwig-Radleuchter der Comburg A. Lange & Söhne und Redaktion Restauro 30 Die Restaurierung einer besonderen Taschenuhr Die Grand Complication Nr. 42500 von A. Lange & Söhne

Foto/© Nadja Kuschel SPSG 2010

Thomas Kühn, Nadja Kuschel und Elke Wichmann 50 Verändert – Verloren – Ausrangiert Kopien und Rekonstruktionen schließen Lücken in der Rokoko-Raumgestaltung des Neuen Palais in Potsdam Daniela Geyer und Christian Weiß 58 Monumentaler Fachwerkbau in Afrika Die Sicherung der Lehmbruchsteinwände am Grat Be´al Gebri in Yeha, Nordäthiopien 4

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Inhalt Im Fokus: Nützlinge zur Schädlingsbekämpfung

Foto/© Binker Materialschutz GmbH 2012.

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restauro rubriken 62 Lesezeichen 63 Stellenanzeigen 64 Termine 65 Vorschau 66 Impressum

Zeitschrift für Restaurierung, Denkmalpflege und Museumstechnik

Seltene VeRZieRungStechnik BRaunFiRniS gRaFFiti: ZwiSchen kunSt unD VanDaliSMuS JahRtauSenDe alte FachweRkBauten

Titelbild Spathius exarator mit angestochener Anobium puncatum Larve. Foto/© Binker Materialschutz GmbH 2012.

Im Fokus: NützlINge zur schädlINgsbekämpFuNg www.restauro.de

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Januar/Februar 2013

Die in RESTAURO veröffentlichten Ansichten der Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen. Bildnachweis: Soweit nicht anders angegeben, stammen die Abbildungen von den Autoren.

Zeitschrift für Restaurierung,

Borax*, Borsäure, Kampfer, Thymol *unterliegt seit 2010 der Chemikalienverbotsverordnung

Alles für den Restaurator: Kremer Pigmente www.kremer-pigmente.de

Denkmalpflege und Museumstechnik 119. Jahrgang

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Für die Zukunft gestalten.

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Nachgefragt 1

Kunst oder Vandalismus? Interview über den Umgang mit Graffiti im öffentlichen Raum Sie sind fester Bestandteil des Stadtbildes. Sie ziehen sich über Häuserfassaden, aber auch über so manches Kunstwerk im Freien: Graffiti. Oft sind es nur Kritzeleien, von denen kein Mensch weiß, was sie bedeuten. Manchmal handelt es sich aber auch um gelungene Malereien oder um kulturell relevante Aussagen. Grund also, einmal einen genaueren Blick auf diese Art der Kunst zu werfen. Auf dem letzten IIC-Kongress im September 2012 in Wien warfen gleich zwei Poster die Frage auf, ob Graffiti als Kunst erhaltenswert sind. Stefan Belishki stellte die Bemalung des Sowjetischen Kriegsdenkmales in Sofia vor. (Abb. 1 und 2) Vera de la Cruz Baltazar befasste sich in ihrer Heimatstadt Oaxaca mit Graffiti im historischen Stadtzentrum. Sie rief dort eine Studie ins Leben, in der sie Graffiti erfasst und auswertet. Beide haben mit uns über diese Form der Straßenkunst gesprochen.

Zu den Gesprächspartnern Dr. Stefan Belishki studierte Restaurierung an der National ­ Academy of Art in Sofia. Seit 1994 gibt er dort auch als Assistenz-Professor Kurse und hält Vorlesungen. Er ist Vorsitzender der Association of ConservatorRestorers in Bulgarien und vertritt diese auch in der E.C.C.O. Daneben ist er Präsident der ICOMOS Bulgarien. Dr. Vera De La Cruz Baltazar ist Konservierungswissenschaftlerin an der School of Architecture »5 de mayo« der Universidad Benito Juárez in Oaxaca. Sie betreut dort das Doktorandenprogramm im Fachbereich Architekturkonservierung. Ihr Interesse gilt, neben Graffiti, dem Einsatz von traditionellen Materialien für die Konservierung.

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Ob ein Graffiti Kunst oder eine Schmiererei ist, hängt vom Motiv ab, aber auch vom Standpunkt des Betrachters. Wann fängt für Sie persönlich Kunst an? Stefan Belishki: Wenn eine solche Aktion, wie z. B. die in Sofia, auf einer kreativen künstlerischen Idee beruht – selbst im weitesten Sinne – und wenn sie eine wichtige Nachricht enthält, dann ist das bereits eine wichtige Voraussetzung, um Ausdrücke wie diese als Kunst in Erwägung zu ziehen. Generell gilt, dass Straßenkunst in ihren ­verschiedenen Formen und Äußerungen, inklusive Graffiti, recht provokant ist. Ob Kunst und Vandalismus – es ist wichtig, sich die Aktionen von verschiedenen Gesichtspunkten, aus der Sicht von verschiedenen Interessengruppen wie den Menschen vor Ort, Künstlern, Kunsthistorikern und nicht zuletzt den Restauratoren aus anzusehen. Vera De La Cruz Baltazar: Der Titel meines Posters, das ich in Wien gezeigt habe, war mit Absicht provokant und sollte nicht unbedingt die

­ rage beantworten, wann Graffiti als Kunst angeF sehen werden kann – da müssten wir einen Schritt zurück zur Frage gehen, was Kunst eigentlich ist. Wenn wir Kunst als eine Aktivität mit ästhetischem Inhalt ansehen, die eine spezielle ­Fähigkeit erfordert und die eine Botschaft hat, dann könnten selbst Tags, die einfachste Form von Graffiti, auf ihren künstlerischen Wert hin ­untersucht werden. Viele Menschen verstehen sie nicht und halten sie für bedrohlich. Oft aber sind sie das Ergebnis einer Suche nach einem »Logo«, das den Graffiti-Writer repräsentiert, und sie können eine moderne Form der Kalligraphie sein. Wir müssen mehr als nur fragen, ob Graffiti Kunst oder Vandalismus ist. Wir müssen sie als eine komplexe Aussage ansehen, die mit sozialem, politischem, historischem und auch künstlerischem Inhalt aufgeladen ist. Herr Belishki, Sie haben auf dem IIC-Kongress in Wien ein sehr prägnantes Beispiel vorgestellt. In der Bulgarischen Hauptstadt Sofia ­besprühte eine Gruppe Aktivisten das sowjeti1/2013


Themen Patricia Brozio und Maria Siegmantel

»Das verlorene Paradies« und sein verlorener Rahmen Die Rekonstruktion eines Schmuckrahmens von Franz von Stuck

Rahmen wechsel dich. Das Gemälde »Das verlorene Paradies« aus den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden erhielt vor zweieinhalb Jahren seinen Rahmen zurück. Die Rekonstruktion war ein gelungenes Zusammenspiel eines großen interdisziplinären Teams. Die Ausführung übernahm ­einer der besten Rahmenmacher Deutschlands. Wir waren zu Besuch in der Werkstatt.

Foto/© Rahmenwerkstätte Werner Murrer, München

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1 »Das verlorene Paradies« von Franz von Stuck, 1897, aus dem Bestand der Galerie Neue Meister Dresden, erhielt 2010 einen neuen Rahmen. Hierfür arbeiteten die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden mit verschiedenen Wissenschaftlern und der Rahmenwerkstatt Murrer Hand in Hand. Im Bild: Das Gemälde wird in die Rahmenrekonstruktion eingepasst. Letzte Oberflächenbehandlungen am Rahmen fehlen noch.

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Nicht nur Beiwerk und Umrahmung Alles begann in Finnland, als ein Bild Franz von Stucks aus dem Dresdner Albertinum, »Centaur und Nymphe« im Jahr 2009 zu Gast in Helsinkis City Art Museum war. Dort hing es neben anderen Werken des Fin de Siècle. Was man zuvor schon wusste, wurde hier offensichtlich: Neben Gemälden mit originaler Rahmung zeigte sich, dass dem Bild der richtige Rahmen fehlte. Es wirkte weit weniger spektakulär. Ihm fehlte die »Bühne«. Denn Franz von Stucks Bilder waren fast durchgängig von opulenten Rahmen eingefasst, die der Malerei zusätzlich räumliche Tiefe verliehen und es in den Ausstellungsraum hinein wirken ließen. So verhielt es sich auch mit einem zweiten StuckGemälde im Besitz der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, »Das verlorene Paradies« von 1897.

Der verlorene Rahmen Eine Idee wurde geboren und der Wunsch, diesem monumentalen Ölgemälde seinen ursprünglichen Rahmen zurückzugeben, wach. Jedoch war der Rahmen zu »Das verlorene Paradies« nicht mehr erhalten. »Er ist offenbar nach der Zwischen­ lagerung auf Schloss Pillnitz in der Nachkriegszeit verloren gegangen. 1962 erhielt es eine neue Einfassung aus einfachen Profilleisten, die es fast 50 Jahre behalten sollte«, berichten Prof. Marlies Giebe und Dr. Andreas Dehmer von den Staatlichen Kunststammlungen Dresden. Das Team aus Dresden entschloss sich, Recherchen anzustellen und ein fachliches Gutachten ­erstellen zu lassen, das die Stuck- und Rahmen­ expertin Dr. Eva Mendgen übernahm.

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Themen Ines Frontzek und Rolf-Dieter Blumer

Historische Oberflächenveredelung im neuen Licht Braunfirnis am Hertwig-Radleuchter der Comburg

Der Comburger Hertwig-Radleuchter zählt zu den insgesamt vier noch erhaltenen romanischen Radleuchtern in Deutschland. Er gilt als eines der herausragenden Objekte romanischen Kunsthandwerks. Verschiedene zeitgenössische Handwerktechniken kamen zum Einsatz – neben der Feuervergoldung auch der sog. Braunfirnis. Auf diese heute vergessene Art der Metallverzierung lohnt es sich, einen genaueren Blick zu werfen.

Foto/© Ines Frontzek

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1 Detail aus der Maiestas-Platte am Hertwig-Radleuchter. Auf goldenem Grund ist die Christusdarstellung in Braunfirnis zusehen.

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Der Hertwig-Leuchter Der Comburger Radleuchter, auch Hertwig-Leuchter genannt, gehört zusammen mit dem Antependium zur frühromanischen Ausstattung der St. Nikolauskirche auf der Comburg bei Schwäbisch Hall/ Steinbach. Drei weitere, nahezu zeitgleich entstan­ dene Radleuchter sind bekannt: der BarbarossaLeuchter im Dom zu Aachen sowie die Azelin- und Hezilo-Leuchter im Dom zu Hildesheim. Diese vier Leuchter zählen zu den herausragenden Goldbzw. Silberschmiedearbeiten des frühen 12. Jahrhunderts nördlich der Alpen. Die Diplomarbeit der Autorin im Studiengang ­Restaurierung archäologischer, ethnologischer und kunsthandwerklicher Objekte an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart bot die Gelegenheit, den Hertwig-Leuchter ausführlich zu untersu-

chen und zu dokumentieren. Dabei erbrachte vor allem die Kartierung neue Hinweise zur Restaurierungsgeschichte, zu den Herstellungstechniken und zu den Reparaturphasen des Leuchters. Der Hertwig-Leuchter besteht zum größten Teil aus feuervergoldeten bzw. gefärbten Kupferblechen. Neben Kupfer wurde teilweise auch Silber verarbeitet. Die Stützkonstruktion, die Trägerreifen und das Hängegerüst bestehen aus Eisen. Der Leuchter setzt sich aus verschiedenen Teilen zusammen, die ineinander gesteckt, vernietet und mit­ einander verdrahtet sind. Die zahlreich vorhandenen Lötungen sind weniger historischen, sondern vielmehr jüngeren Reparaturen zuzuweisen. Als besondere Art der Verzierung sind neben gravierten und ziselierten Bereichen die mit Braunfirnis versehenen Applikationen und Schriftbänder zu nennen. Es handelt sich dabei um eine Technik, bei der durch Braunfärbung des Kupfers im Wechsel mit Feuervergoldungen farblich sehr fein abgefasste Zierelemente entstehen. (Abb. 1) Der Leuchter (Abb. 2) hat einen Durchmesser von fünf Metern, sein Umfang beträgt ca. 16 Meter. Er besteht aus zwei geschmiedeten Eisenreifen, auf die die Kupferplatten mit Rödeldraht montiert sind. Die als Ornamentplatten ausgebildeten Mittel- bzw. Zwischenstücke sind 50 cm hoch und ­haben eine Länge von 100 cm. Auf diesen Platten sind die Kerzenhalter angebracht: Der Radleuchter wird mit 48 Kerzen bestückt, die anteilig auf die zwölf Ornamentplatten verteilt sind. Mittig auf jeder Platte befinden sich Medaillons mit jeweils einer Apostelfigur als Halbrelief. Auf der Außenseite verläuft auf zwei übereinander liegenden Bändern je ein Inschriftenband. Auch diese Bänder sind in Braunfirnistechnik ausgeführt. (Abb. 3) Zwischen den Ornamentplatten befinden sich kleine Modelle der Türme des himmlischen Jerusalems. Die Türme weisen eine Höhe von 90 bzw. 100 cm auf. Die Türme sind alternierend rund, viereckig bzw. rund und viereckig kombiniert ausgebildet. Auf und in den Nischen der Türme stehen aus Blech getriebene Figuren. Diese sind in der Technik und Gestaltung mit den Apostelfiguren auf den Medaillons der Rosetten vergleichbar. 1/2013


Themen A. Lange & Söhne und Redaktion Restauro

Die Restaurierung einer ganz besonderen Taschenuhr Die Grande Complication Nr. 42500 von A. Lange & Söhne

Im Jahre 2001 kehrte eine besondere Taschenuhr zur Restaurierung ins »Atelier« von A. Lange & Söhne in Glashütte zurück. 1902 gefertigt, vereinigte das Werk fast alles in sich, was zu jener Zeit technisch möglich war. Beklagenswert war allerdings der Zustand. Die Restaurierung sollte mehr als fünf Jahre in Anspruch nehmen.

Die Ausgangssituation Im September 2001 wurde im »Atelier für Histo­ rische Uhren« der Firma Lange eine Taschenuhr abgegeben. Von außen betrachtet schien die his­ torische Uhr in akzeptablem Zustand zu sein. Doch im Inneren offenbarte sich ein kapitaler Schaden, denn das Werk selbst war in einem kläglichen ­Zustand: Dort, wo sich normalerweise ein kompli­ ziertes und feines Geflecht aus Brücken, Federn und Rädern befindet, war nur noch eine grau-brau­ ne amorphe Masse zu sehen. Sie bestand aus Staub, verharztem Öl und aufgeblühtem Rost, ver­ backen zu einem unansehnlichen Klumpen. Nur die größeren Werkteile ließen sich noch identifi­ zieren. In erster Linie waren das die Brücken und Platinen des Werks. Auf einer stand der Schriftzug »A. Lange & Söhne Dresden« und die gravierte Nummer 42500. Mit der Werknummer, die jedes Werk eindeutig identifiziert, lässt sich heute noch fast jede Uhr mit Hilfe der so genannten »Werk­ bücher« recherchieren. So lassen sich die Serien­ nummer, die Ausstattung, der Preis und das Datum der Auslieferung an den Käufer nachvollziehen. Reinhard Reichel, Leiter des »Deutschen Uhren­ museums Glashütte«, in dem diese Bücher lagern,

1 Das komplizierte Uhrwerk befindet sich in einem aufwendig verziertes Gehäuse aus 18-Karat-Rotgold in der Form Louis XV. Oben die Krone des Gehäuses, weiter unten die Werkverglasung und außen liegende, fünfteilige Prunkscharniere. Der Deckel auf der Zifferblattseite zeigt den Kopf der römischen ­Göttin Minerva, um den sich verschiedene Girlanden aus Blättern, Blumen, Füllhörnern und Vögeln ranken. Auch der Deckel auf der Werkseite trägt dieses Muster, nur anstelle der Minerva ist ein ReliefMonogramm mit den Initialen »G« und »S« aufgeschraubt.

erklärte, diese Uhr sei die komplizierteste Taschen­ uhr, die das Haus A. Lange & Söhne jemals verlas­ sen hat. Sie hat einen »Ewigen Kalender«, einen Chronographen mit blitzender Sekunde, ein selbst­ schlagendes Schlagwerk mit großem und kleinem Geläut und eine Minutenrepetition. Kein zweites Exemplar wurde in dieser Ausstat­ tung gefertigt. Bekannt ist, dass die 42500 im Jahr 1902 an Heinrich Schäfer in Wien für 5 600 Gold­ mark verkauft wurde. Nach dem zweiten Welt­ krieg lagerte die Uhr mehr als ein halbes Jahrhun­ dert in einem Keller, bis sie wieder in die Werkstät­ ten von A. Lange & Söhne gelangte. Nun befand sie sich in einem katastrophalen Zustand. Prinzipi­ ell lässt sich in einer alten mechanischen Uhr jeder Fehler beheben und jedes Ersatzteil reproduzie­ ren, auch wenn eine Restaurierung und Instand­ setzung manchmal rein wirtschaftlich betrachtet nicht mehr sinnvoll ist. Die Taschenuhr 42500 aber sollte jeden Aufwand rechtfertigen. Die Bestandaufnahme: Der Zustand von außen Das Werk befindet sich in einem Gehäuse aus Rotgold. (Abb. 1) Unter dem vorderen Deckel ver­ barg sich ein Emaille-Zifferblatt. Es hatte einige

Foto/© A. Lange & Söhne

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Foto/© Bill Landsberger, Rathgen-Forschungslabor, Staatliche Museen zu Berlin.

Beim Befall von Kunst und Kulturgütern durch z. B. Kleidermotten (im Bild) kann der Einsatz von Nützlingen helfen.

Im Fokus: Nützlinge zur Schädlingsbekämpfung Sie sind nur einen halben Millimeter klein und mit bloßem Auge kaum sichtbar: Schlupfwespen sind die natürlichen Gegenspieler einiger Schadinsekten wie der Kleidermotte oder des Brotkäfers. Als Nützlinge kommen die Schlupfwespen seit einigen Jahren in im musealen Bereich zur Schädlingsbekämpfung zum Einsatz. Der Nützlingseinsatz ergänzt dabei herkömmliche Methoden wie beispielsweise die Begasung. Nicht jeder Schädlingsbefall lässt sich dadurch eindämmen, doch können Nützlinge dabei ­helfen, den Befall schnell und ohne Schadstoffe unter Kontrolle zu bringen. Wie, wann und wo, das zeigen die nachfolgenden Beispiele. 38

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Im Fokus Stephan Biebl

Nützlinge gegen Kleidermotten Praktische Erfahrungen im Deutschen Museum München

Der Einsatz von Schlupfwespen gegen Schadinsekten, der ursprünglich im Bereich Pflanzenschutz entwickelt wurde, gehört bereits zum Alltag in der Integrierten Schädlingsbekämpfung einiger Museen oder Sammlungen. Dies zeigt der permanente Einsatz von Nützlingen im Verkehrszentrum des Deutschen Museums München, mit dem sich der Kleidermottenbefall in den Ausstellungsräumen regulieren ließ.

180 000 Schlupfwespen alle vier Wochen Etwa 70–80 Kärtchen á 3 000 Stück Trichogramma evanescens (Schlupfwespen) bringt der Schädlingsfachmann während eines Kontrolltermins alle vier Wochen aus und legt sie die in den betroffenen Oldtimern, Kutschen oder sonstigen Fahrzeugen aus. (Abb. 2) Die eifrigen Schlupfwespen machen sich dann auf den Weg, die teilweise gut versteckten Motteneier zu parasitieren, bevor sie selbst an »Erschöpfung« eines natürlichen T ­ odes sterben. Die adulten Schlupfwespen leben in der Regel bei circa 20 °C nur zehn Tage und können in dieser Zeit viele Motteneier »unschädlich« machen. Damit dies in regelmäßigen Intervallen geschieht, schlüpfen die spezialisierten Wespen zeitversetzt über einen Zeitraum von vier Wochen. Eine zuständige Museumskraft sperrt die teilweise verschlossenen Fahrzeuge auf. Während des Rundgangs müssen alte Pheromonklebefallen 1/2013

Foto/© Stephan Biebl

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1 Das Verkehrszentrum des Deutschen Museums München beherbergt zahlreiche Verkehrsfahrzeuge, wie Oldtimer oder Motorräder. ­Deren textile Austattung, etwa ­Polstermaterialien oder Fußmatten usw., sind anfällig für Schädlinge.

ausgewertet und Nützlingskärtchen entsorgt werden. Überwiegend Fahrzeuge mit Fußmatten aus Wolle, Sitzen mit Rosshaarfüllung oder Filzbespannung erhalten frische Nützlingskärtchen und Pheromonklebefallen. Denn vor allem dort ist mit Befall zu rechnen. Einige männliche Mottenfalter wurden anfangs auch mit der »Paarungsstörungs-Methode«1 außerhalb der Fahrzeuge, z.B. auf den Reifen, mit-

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Foto/© Stephan Biebl

Einleitung Freitagvormittags 10 Uhr im »Verkehrszentrum an der Theresienwiese«, einer Außenstelle des Deutschen Museums in München. Hier stehen in drei historischen Messehallen über 140 geschichtliche Verkehrsfahrzeuge: von historischen Postkutschen, unterschiedlichen Oldtimern, Motor- und Fahrrädern über Münchner Straßenbahnen bis hin zum modernen ICE-Triebwägen. (Abb. 1) Wie immer meldet sich der Fachberater Stephan Biebl beim zuständigen M ­ useumsmitarbeiter, um die biologischen Gegenspieler der Kleidermotte zu ihren Einsatzorten zu bringen: Über 70 Fahrzeuge mit gefährdeter Textilausstattung sollen dauerhaft gegen einen Mottenbefall geschützt werden und so bringt Stephan Biebl hier jeden Monat Nützlinge aus. Dieser Nützlingseinsatz ist zusammen mit der Dokumentation zur Überwachung von Kleidermotten ist ein Teil des Integrierten Schädlingsbekämpfungskonzeptes des Deutschen Museums. Wie die langjährige Erfahrung in diesem Museum zeigt, kann der regelmäßige und langfristige Einsatz von Nützlingen (Antagonisten) zur deutlichen Reduzierung eines Mottenbefalls in einer Ausstellung führen.

2 Nützlinge werden in sog. »Nützlingskarten« (grün) ausgebracht – hier auf dem Fußboden eines Oldtimers.

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Themen Daniela Geyer und Christian Weiß

Monumentaler Fachwerkbau in Afrika Die Sicherung der Lehmbruchsteinwände am Grat Be´al Gebri in Yeha, Nordäthiopien

Noch nie befasste sich ein Projekt mit der Restaurierung von äthio-sabäischen Fachwerkwänden. Doch seit einigen Jahren führt das Deutsche Archäologische Institut im nordäthiopischen Yeha Grabungen durch. Die Konservierung der fragmentarisch erhaltenen Wände, die hauptsächlich aus Lehm-Bruchstein bestehen, stellte die Restauratoren vor einige Herausforderungen.

Foto/© Wagner/DAI

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1 Im Norden Äthiopiens stehen teils Jahrtausende alte Gebäude wie der Große Tempel von Yeha.

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Reiches Kulturerbe Yeha Im Norden Äthiopiens, im westlichen Hochland der äthiopischen Provinz Tigray, liegt das Dorf Yeha. Der Ort ist bekannt durch seine antiken Bauten, die zu den ältesten in Afrika südlich der Sahara gehören. Noch ist Yeha touristisch nicht erschlossen und auch in wissenschaftlicher Hinsicht gibt es viel zu erforschen. Mit diesen Aufgaben beschäftigt sich seit 2009 das Deutsche Archäologische Institut in einem deutsch-äthiopischen Gemeinschaftsprojekt. Hierbei erkundet ein wissenschaftliches Team bestehend aus Archäologen, Architekten, Naturwissenschaftlern und Restauratoren die kulturellen Beziehungen zwischen Südarabien und dem Horn von Afrika, die auf das frühe 1. Jt. v. Chr. zurückgehen. Ein wesentlicher Teil der Untersuchungen sind archäologische Grabungen, die das Team an verschiedenen Orten und Bauwerken in Yeha durchführt. Der Große Tempel von Yeha ist eines der bedeutendsten Gebäude. Er besteht aus Natursteinen, ist ca. 2 800 Jahre alt und zugleich der größte erhaltene Sakralbau der sabäischen Kultur (Diˤamat) in Afrika. (Abb. 1) Aber auch andere Gebäude haben das besondere Interesse der Forscher geweckt. So erschlossen die Archäologen im Zuge ihrer Grabungen ein weiteres Monumentalbauwerk, das der Datierung zufolge um 800 v. Chr., also zeitgleich zum Bau des

Tempels, errichtet worden ist. (Abb. 2) Auf dieses möchten wir im Weiteren einen genaueren Blick werfen. Das Grat Be´al Gebri genannte Gebäude weist eine Grundfläche von 46 x 46 m auf. Dabei handelt es sich um einen Fachwerkbau, dessen »Gefache« mit Lehm und Bruchstein vermauert wurden. Der Eingangsbereich bestand aus einer vorderen Toranlage, einem sog. Propylon mit sechs monolithischen Sandsteinpfeilern und einem steinernen Türgewand, von dem heute noch die Pfeilerbasen, einzelne Pfeilerbruchstücke und die Türpfosten erhalten sind. Das Besondere an diesem Fachwerkbau ist, dass es innerhalb des Mauerwerks ausschließlich aus einer horizontalen Balkenkonstruktion besteht, bei der die Balken rechtwinklig im Wechsel übereinander verblattet wurden. Für die Oberflächengestaltung wurden die Wände mit Lehmmörtel verputzt und farblich gefasst. Erhaltene Fragmente der einstigen Farbfassungen weisen darauf hin, dass der Bau einst mit polychromen Wanddekorationen ausgeschmückt war. Grabung und Restaurierung am Grat Be´al Gebri Während der seit 2010 laufenden archäologischen Grabungen werden am Grat Be´al Gebri Erhaltungsmaßnahmen durchgeführt. Ein Teilaspekt ist dabei die Stabilisierung und Konservierung von verputzten Lehmoberflächen und Fugenmörteln. Denn diese weisen, bedingt durch die Geschichte des Bauwerkes, ein komplexes Schadensbild auf. (Abb. 3) So brannte das Gebäude in antiker Zeit aus unbekannten Gründen vollständig aus und war über Jahrhunderte einer intensiven anthropogenen Belastung, wie einer Überbauung und landwirtschaftlicher Nutzung, ausgesetzt. Dabei wurde die Holzkonstruktion des Fachwerkbaus derart zerstört, dass das Gebäude in sich zusammen stürzte. Die starke und langanhaltende Hitzeentwicklung während des Brandes führte teilweise auch zu einer Verziegelung des verbauten Lehms, die zusätzlich die Stabilität einschränkt. Der Totalverlust der Holzkonstruktion und der damit verbundene Versturz führte in der Folge zu einem hohen Festigkeitsverlust an den fragmentarisch erhaltenen Fachwerkwänden. Der verziegelte Fugenmörtel und Lehmputz sind allein schon durch den Brand 1/2013


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