Restauro 01 2014

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Zeitschrift für Restaurierung, Denkmalpflege und Museumstechnik

Restitution: Kunsthändler und ihre Ware Ungewöhnlicher Expressionismus in Schmirma Skulptur im öffentlichen Raum: Replik als Rettung?

Holztafeln: Neue Ideen zur Konservierung www.restauro.de

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Januar 2014


Inhalt

Inhalt

12 Schmirma

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Blickpunkt  6  7  8

Zugang gestalten – Tagung in Berlin 50 Jahre Europa Nostra Sanierung der Deichtorhallen in Hamburg

Max Bill »bildsäulen-dreiergruppe«

9 Fund am Geburtsort Buddhas 10 Rosia Montanta gerettet 12 Expressionismus in Schmirma

TitelThema: Holztafelkonservierung

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David Tils Falzbetten für gerahmte Holztafelgemälde – Eine Alternative!

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Stefanie Jahn und Antje-Fee Köllermann Der Meister von Lichtenstein Drei Bildfolgen konnten einem Retabel zugeordnet werden

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Axel Börner Dialog an den Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden für die Erhaltung von Holztafeln

Antoine M. Wilmering und Cynthia Querio Die »Panel Painting Initiative« der Getty Foundation

Falzbetten

Thema: Restitution Milan Ilic´ SUMUM IUS SUMUM INIURIA Wien: Erben fordern Rückgabe des »Beethovenfrieses« von Gustav Klimt

rubriken

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Beethovenfries

Fotos (v. o. n. u.): Uta Matauschek; CICS Köln, David Tils; Archiv der Secession, Belvedere / Secession Archive, Belvedere

43 Ist Wiedergutmachung möglich? Ein Interview mit Volker Adolphs vom Kunstmuseum Bonn Ina Ewers-Schultz Auf den Spuren eines beinahe vergessenen Avantgardegaleristen und Künstlers Otto Feldmann 1881–1942

Thema: Kunst im öffentlichen raum Sabine Hofmeister, Patrick Decker und Anne Bührer 50 Restaurierung in luftiger Höhe »bildsäulen-dreiergruppe« – Eine 32 Meter hohe Außenskulptur von Max Bill 58 Kathrin Sündermann und Ulrich Lang Replik als Rettung? Konservatorische Anforderungen an einen Publikumsmagneten 66 Kunst im öffentlichen Raum 3 Fragen an Werner Schaub, Vorsitzender des Bundesverbandes der Bildenden Künstler in Deutschland sowie an Dr. Barbara Neubauer, Präsidentin des Bundesdenkmalamtes in Österreich

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68 Firmen und Produkte 70 Termine 73 Vorschau 73 Stellenanzeigen 76 Impressum

Foto: Anne Bührer und Sabine Hofmeister

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Zeitschrift für Restaurierung, Denkmalpflege und Museumstechnik 119. Jahrgang

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Für die Zukunft gestalten.

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TitelThema: holztafelkonservierung

holztafelkonservierung

David Tils

Falzbetten für gerahmte Holztafelgemälde Eine Alternative! Deformationen hölzerner Bildträger sind häufig vorzufindende Phänomene. Verwölbungen haben oft zur Folge, dass zwischen Bildtafel und (Zier-)Rahmen Lücken entstehen. Dieser Umstand führt zu einem konservatorisch problematischen und nicht zuletzt ästhetisch unbefriedigenden Zustand. Der bislang vielfach praktizierte Umgang mit dieser Problematik besteht im Einsatz von Falzbetten aus Holzleisten, die in ihrer Form und Größe den Freiräumen zwischen Tafelrändern und Rahmenfalzen angepasst werden. Diese füllenden Elemente wirken der konservatorisch problematischen Situation entgegen und ermög­ lichen zugleich – aufgrund der farblichen Angleichung des Falzbettes – einen optisch beruhigenden Gesamteindruck.

Fotos: (1) WRM Köln; (2) CICS Köln, David Tils

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Wasservass’scher Kalvarienberg, Meister des Wasservass’schen Kalvarienbergs, ölhaltige Malerei auf Eichenholz, Köln um 1420/30, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln, Inv. Nr. WRM65

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Der Einsatz von Falzbetten aus Holz ist eine Methode, die allerdings deutliche Nachteile aufweist. Im Rahmen der Bachelorthesis und in Zusammenarbeit mit dem Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud in Köln wurde eine neue Methode zur Herstellung von Falzbetten am Beispiel des Holztafelgemäldes »Wasservass’scher Kalvarienberg« entwickelt. Diese Methode sollte an Objekten mit ähnlicher Problemstellung anwendbar sein.1 Beim Gemälde »Wasservass’scher Kalvarienberg« (Abb. 1) handelt es sich um ein großformatiges Holztafelgemälde, das in der Höhe max. 131 cm und in der Breite max. 176 cm misst. Es wird zwischen 1420 und 1430 datiert und einem zu dieser Zeit in Köln tätigen, aber namentlich unbekannten Maler zugeordnet.2 Das Tafelgemälde wird von einem Zierrahmen umschlossen, dessen Zugehörigkeit als ursprünglich betrachtet wird. An den seitlichen Rahmenschenkeln weisen jüngst entdeckte Scharnierspuren darauf hin, dass es sich bei diesem Gemälde um die Mitteltafel eines wandelbaren Triptychons handelt. Der Bildträger besteht aus acht vertikal ausgerichteten und jeweils ca. 20 mm starken Eichenholzbrettern. Die radialen Bretter sind stumpf miteinander verleimt und mit jeweils drei Dübeln zusätzlich gesichert. Der Zierrahmen ist ebenfalls aus Eichenholz gefertigt und weist in seiner heutigen Erscheinung einen Falz auf, in dem die Bildtafel aufgenommen wird. Das Tafelgemälde zeigt eine zur Malschicht gerichtete, konvexe Wölbung sowie einen quer zum Faserverlauf entstandenen Dimensionsverlust auf. Die Wölbung bewirkt, dass sich die seitlichen Bereiche der Tafel leicht zurückgezogen präsentieren. Dies wieder hat zur Folge, dass keine durchgehenden Kontaktflächen zwischen den Tafelrandbereichen und den Falzwandungen der Rahmenschenkel vorliegen (Abb. 2). Die daraus resultierenden Lücken zwischen Rahmen und Tafel belaufen sich an der unteren und oberen Tafelkante auf max. 7 mm und an den seitlichen Tafelrändern auf max. 8 mm. Bei ca. 50 Prozent der Fläche der unteren und oberen Rahmenschenkel besteht weiterhin der direkte Kontakt zu den Bildtafelrändern. Den seitlichen

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Rahmenschenkeln fehlen hingegen jegliche Berührungspunkte zu den Tafelrandbereichen. Durch den Dimensionsverlust des hölzernen Trägers ist die Tafel in der Breite bis zu 2,7 cm geschwunden. Aus der Wölbung und dem Schwund der Tafel und der damit verbundenen Lückenbildung zwischen Bildrändern und Rahmen resultiert eine konservatorisch problematische Situation. Da die Tafel im unteren und oberen Rahmenfalz nur partiell aufliegt, am linken und rechten Rand keinerlei Kontakt mehr zum Falz besitzt, ist die Stützfunktion des Rahmens nur noch bedingt gewährleistet. Der Verbund zwischen Tafel und Rahmen wird vielfach nur punktuell durch rückseitige und am Rahmen mittels Schrauben angebrachten Metall-Bilderklammern gesichert. Der davon ausgehende Druck führt aufgrund der mangelnden Auflage der Tafel im Rahmenfalz zu Spannungen und damit einhergehenden Schäden im Gefüge des hölzernen Bild-

Detail des Vorzustandes, Lücken zwischen Bildtafel und Rahmen

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Tils, David: Gestaltung eines Falzbettes an einer gerahmten, großformatigen Gemäldetafel. Entwicklung einer systemati-

schen Herangehensweise, [masch.-schriftl.] Bachelorarbeit, Fachhochschule Köln, Köln 2013. 2

Baum, Katja van et alii: Die Sprache des Materials. Technologie der Kölner Tafelmalerei vom »Meister der heiligen Veronika«

bis Stefan Lochner, München 2013, S. 262–265.

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holztafelkonservierung

holztafelkonservierung Antoine M. Wilmering, Cynthia Querio

Die Getty Initiative zur Erhaltung von Tafelmalereien (»Panel Paintings Initiative«)

Seit Jahren kämpfen Restauratoren und Museumsdirektoren mit den Herausforderungen der einzigartigen und strukturbedingten Problematik der Konservierung von Tafelgemälden sowie des komplexen Alterungsverhaltens von Holz und Farbe. 2009 wurde deshalb die »Panel Paintings Initiative« ins Leben gerufen.

George Bisacca bei der Restaurierung des Tafelgemäldes »Adam und Eva« von Albrecht Dürer (1507)

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Geschichte Vor beinahe zwei Jahrzehnten erkannte das Getty Institute in Los Angeles ein zukünftiges Fehlen von speziellem Fachwissen und Fertigkeiten bezüglich des Erhalts von Tafelmalereien und kam 2008 zu der Ansicht, dass die Kunstwerke gefährdet seien, wenn nicht bald etwas unternommen würde: Es gab nur noch wenige Restauratoren, die die notwendige Erfahrung besaßen, um den immer komplexer werdenden Konservierungs- und Restaurierungsproblemen dieser geschichtsträchtigen Kunstwerke entgegen wirken zu können. Von den wenigen Experten, die noch über die notwendigen Fachkenntnisse verfügten, standen die meisten bereits kurz vor dem Ruhestand, so dass etwa fünf bis zehn Jahre später unersetzbares Wissen verschwinden würde. Die nächste Generation, die sie hätte ersetzen müssen, fehlte zu dem damaligen Zeitpunkt. In Anbetracht dessen vereinten die Getty Foundation, das Getty Conservation Institute und das J. Paul Getty Museum ihre Kräfte und erarbeiteten eine mehrjährige Initiative (»Panel Paintings Initiative«) mit der Absicht, Weiterbildungsmaßnahmen für Restauratoren der Tafelmalerei wie auch die Konservierung von Kunstwerken in Sammlungen aus der ganzen Welt zu fördern. Ferner hatte die Initiative das Ziel, Holz- und Gemälderestauratoren, Museumsdirektoren und andere Museumsmitarbeiter auf diese und ähnliche Probleme aufmerksam zu machen. Mit der Hilfe und dem Engagement eines internationalen Expertenteams, begann die Initiative im Februar 2008 mit zwei Hauptzielen: Erstens sollte sichergestellt werden, dass eine ausreichende Anzahl an weitergebildeten Restauratoren vorhanden sein würde, wenn die damaligen Spezialisten in den Ruhestand gingen. Zweitens sollte das Fachwissen über Nord-Amerika und Westeuropa hinaus nach Zentraland Osteuropa verbreitet werden.

Fotos: (3) Bayerische Staatsgemäldesammlungen (4) Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Einzeichnungen Belvedere, Wien

Fotos: (1) Belvedere, Wien (2) NTK 2011 Univ. Prof. DI Dr. Manfred Schreiner

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Einschätzung der Herausforderungen Wie kam es zu dieser Verknappung an Experten? Zuerst mussten die Ursachen dieses Schwundes an Restauratoren für Tafelmalereien verstanden werden, um eine machbare und langfristige Lösung zu finden. Es gab viele, einzelne Faktoren für diesen 1/2014

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Restitution

Restitution

Ist Wiedergutmachung möglich? Volker Adolphs, Kurator am Kunstmuseum Bonn, erläutert den Umgang mit einem Kunstwerk, das in jüdischem Besitz war und 1949 von der Sammlung erworben wurde. Ein Interview.

Volker Adolphs

Dr. Volker Adolphs Nach dem Studium der Kunstgeschichte, Kunst, Germanistik, Philosophie und Pädagogik ­arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Städtischen Museum Abteiberg, Mönchengladbach, und dem Kunstmu­ seum Düsseldorf. Heute ist er Ausstellungsleiter und Kurator des Kunstmuseums Bonn; zahlreiche Ausstellungen, Publikationen und Vorträge zur Kunst des 18. bis 21. Jahrhunderts, Schwerpunkte in der Klassischen Moderne und der Kunst der Gegenwart. Kontakt: volker.adolphs@bonn.de

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Das Gemälde »Leuchtturm mit rotierenden Strahlen« von Paul Adolf Seehaus (1891–1913) hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. 1914 war es im Besitz des jüdischen Kunsthändlers Alfred Flechtheim (1878–1937). Alfred Flechtheim wurde als Jude und als Verfechter der »entarteten Kunst« verfolgt und 1933 zur Ausreise aus Deutschland gezwungen. Seinen Besitz konnte er nur zum Teil retten: Das Gemälde »Leuchtturm mit rotierenden Strahlen« verblieb in Deutschland bei Alex Vömel, dem Geschäftsführer der Galerie Flechtheim in Düsseldorf. 1949 wurde es vom Kunstmuseum Bonn gekauft und 2012 eine Einigung mit den Erben Flechtheims erreicht. Dr. Volker Adolphs, der Kurator der Abteilung, hat diese Einigung maßgeblich begleitet. Herr Adolphs, die Einigung, die das Kunstmuseum Bonn mit den Erben Flechtheims bezüglich des Bildes »Leuchtturm mit rotierenden Strahlen« erreichte, wird als vorbildhaft bezeichnet. Können Sie uns die Umstände erläutern, wie es zu dieser Einigung kam? Volker Adolphs: Bei Recherchen zur Geschichte des Bildes stießen wir in unseren Unterlagen auf den Hinweis, dass das Bild 1919 im Städtischen Museum Villa Obernier, dem Vorläufer des heutigen Kunstmuseums Bonn, als Leihgabe aus der Sammlung Flechtheim ausgestellt wurde. Alfred Flechtheim war eine wichtige Figur in der Kunstszene der Weimarer Republik, führte eine Galerie mit Niederlassungen in Düsseldorf, Berlin und anderen Städte und setzte sich für die Avantgarde

ein. Als bedeutender jüdischer Kunsthändler wurde er schon vor 1933 von den Nationalsozialisten besonders attackiert und verfolgt. Bei dem Versuch, weitere Informationen zur Provenienz des Bildes zusammenzutragen, erhielten wir Kontakt mit dem Anwalt von Michael R. Hulton und Penny R. Hulton, den Erben Alfred Flechtheims. Er teilte mit, dass das Bild auf einer Liste fraglicher Werke stände, deren Rückgabe die Erben möglicherweise fordern würden. Im September 2009 erreichte uns dann ein Restitutionsersuchen für das Gemälde mit der Begründung, dass es unrechtmäßig im Besitz von Alex Vömel, des ehemaligen Mitarbeiters von Flechtheim, gewesen sei, es hätte deshalb auch nicht über ihn an das Kunstmuseum Bonn verkauft werden dürfen. In der gängigen Formulierung heißt das: Das Bild sei »verfolgungsbedingt entzogen«, denn Flechtheim konnte nach 1933 nicht mehr frei über sein Eigentum verfügen. Das war die Ausgangssituation. Wie kam es überhaupt zu dem Kauf durch das Kunstmuseum Bonn? Seit 1947 begann die Stadt Bonn eine Sammlung mit Werken von August Macke und den Rheinischen Expressionisten aufzubauen, soweit das finanziell noch möglich war. Macke hat den größten Teil seines Lebens in Bonn verbracht, das Sammlungsziel lag also nahe. Eine der ersten Erwerbungen war das Gemälde »Leuchtturm mit rotierenden Strahlen« des jung verstorbenen Paul Adolf Seehaus, der der einzige Schüler Mackes war. 1949 kam das Werk zur Versteigerung ins Stuttgarter Kunstkabinett Ketterer. Der Galerist Alex Vömel wies den damaligen Direktor des Kunstmuseums Bonn, Walter Holzhausen, auf das Gemälde hin und bot an, bei der Auktion die Interessen des Museums wahrzunehmen. Gab es schon zu dieser Zeit Hinweise auf mögliche, ungeklärte Besitzverhältnisse? Wie wir herausfanden, wurde bei der Auktion als Einlieferer »Suermondt« genannt. Alex Vömel war seit 1926 mit Martha Suermondt, der Witwe des Kunstsammlers Edwin Suermondt, verheiratet. Bei der Heirat von Martha Suermondt und Alex Vömel ist der jeweilige Besitz an Kunstwerken sicherlich als eine Sammlung zusammengeführt worden, darunter auch das Seehaus-Bild. In einem Brief an Holzhausen vom 29.3.1949 betonte Vömel, dass das Bild nicht ihm gehöre. Damit und mit der Nennung »Suermondt« verschleierte er seinen Besitz 1/2014

des Bildes, möglicherweise, weil er ihn als unrechtmäßig empfand. Wahrscheinlicher scheint mir, dass er gegenüber dem Kunstmuseum Bonn nicht zugleich als Eigentümer, Vermittler und Erwerber auftreten wollte.

brochen.« Vor allem auch die Schicksale von Betti Flechtheim, Klara und Rosi Hulisch, Ehefrau, Schwägerin und Nichte Flechtheims, die sich kurz vor der Deportation in Berlin das Leben nahmen, bedrückten ihn.

Und wie kam das Gemälde in den Besitz von Alex Vömel? 1913 wurde es von Seehaus gemalt und relativ rasch danach vom Künstler verkauft. Es spricht einiges dafür, dass Alfred Flechtheim der erste Käufer war. Bereits 1914 wurde das Bild in der Ausstellung »Paul Baum, Walter Ophey, Rhein. Expressionismus« von Flechtheim in seiner Düsseldorfer Galerie gezeigt. Darüber hinaus gibt es noch andere Hinweise, dass sich das Bild in der Privatsammlung Flechtheims befand. Ein Schreiben der Galerie Flechtheim vom 15.09.1921 belegt, dass das Seehaus-Bild in der Berliner Privatwohnung von Flechtheim hing. Es gibt dazu sogar einen handschriftlichen Hinweis an die Spediteure, dass das Bild aus der Wohnung Flechtheims für eine Ausstellung in der Nationalgalerie nach Berlin abzuholen sei. Nachdem das Bild eine Zeitlang als »unverkäuflich« deklariert wurde, bot es die Düsseldorfer Galerie Flechtheim mit Unterschrift ihres Geschäftsführers Alex Vömel 1928 der Nationalgalerie Berlin ohne Erfolg zum Kauf an. Den letzten Hinweis auf das Bild als Eigentum Flechtheims gibt ein Brief vom 12.03.1932. Die Nationalgalerie Berlin schreibt, dass das Bild als Leihgabe »von Ihnen« – und meint damit Alfred Flechtheim – in den Ausstellungsräumen der Nationalgalerie präsentiert werde. 1933 gründete Vömel unter seinem Namen eine neue Galerie. Im nächsten Dokument zum Seehaus-Bild, datiert auf 05.03.1934, bietet Vömel dem Städtischen Kunstmuseum Düsseldorf das Seehaus-Bild und ein Bild von Erich Heckel gegen ein Bild von Oskar Kokoschka zum Tausch an. Das Werk von Seehaus befand sich also weiter und offenbar bis zum Erwerb durch das Kunstmuseum Bonn in seinem Besitz.

Wie war das Verhältnis von Vömel und Flechtheim zu dieser Zeit? Auch nach 1933 hatten Vömel und Flechtheim noch Kontakt, zum Beispiel lieferte Vömel Flechtheim Bilder nach London. Hinweise, dass sich Flechtheim von Vömel betrogen fühlte, gibt es nicht. Es fehlen, wie gesagt, Unterlagen, die nicht nur die persönlichen Beziehungen der beiden beschreiben, sondern vor allem ihre Geschäftsbeziehungen genauer dokumentieren.

Was ist zwischen 1932 und 1934 passiert? Das ist die große Frage. Gab es eine Übergabevereinbarung zwischen Vömel und Flechtheim zu den zurückbleibenden Bildern? Überließ Flechtheim sie Vömel zur Verfügung, damit er sie zum Beispiel zur Schuldentilgung der ehemaligen Galerie Flechtheim einsetzte, die schon vor 1933 in finanzielle Schwierigkeiten geraten war? Oder konnte Flechtheim das Seehaus-Bild durch seine erzwungene Emigration nicht mitnehmen und Vömel betrachtete und behandelte es danach unrechtmäßig als sein Eigentum? Zweifellos waren Flechtheim und seine Angehörigen Opfer des nationalsozialistischen Regimes, 1933 musste Flechtheim nach London fliehen, wo er 1937 starb. Vömel schrieb in dieser Zeit selbst: »Flechtheim ist regelrecht zusammenge1/2014

Muss hier zwischen Privateigentum und Galeriebesitz unterschieden werden? Ja, diese Trennung ist sicher notwendig, wenn auch bei Flechtheim oft kaum eindeutig zu klären. Manche Werke gingen nur als Kommissionsware durch die Hände Flechtheims, andere gehörten in den Besitz der Galerie und waren für den Verkauf bestimmt, wieder andere waren Teil der Privatsammlung Flechtheims. Wechsel sind, wie unser Bild zeigt, möglich. Kann es sein, dass irgendwann doch noch Dokumente gefunden werden? Die Hoffnungen, zum Beispiel Listen mit Bildern zu finden, über die Vömel und Flechtheim eine Vereinbarung trafen, haben sich nicht erfüllt. Nach Auskunft von Alex Vömel sind alle Geschäftspapiere 1943 bei der Zerstörung der Galerie und der Wohnung verbrannt. Das hat sein Sohn Edwin Vömel, der die Galerie bis heute weiterführt, nochmals bekräftigt. In der Provenienzforschung muss man sich leider oft genug eingestehen, dass alle Spuren verfolgt wurden und Lücken nicht mehr zu schließen sind. Was für ein Mensch war Alex Vömel? Manche haben Vömel, der 1937 in die NSDAP eintrat, als skrupellosen »Ariseur« gesehen, der die Situation Flechtheims für sich ausnutzte. Andere hoben hervor, dass die Nationalsozialisten auch Vömel als Nachfolger Flechtheims angriffen und seine Bestände zeitweise beschlagnahmten. In Nachkriegsdeutschland war er ein anerkannter und geschätzter Galerist. Und wie kam es zum dem Entschluss, hier eine Wiedergutmachung zu leisten? Zwei von uns mit Mitteln der Arbeitsstelle für Provenienzforschung in Auftrag gegebene Gutachten haben keine Klärung herbeiführen können. Zwar konnten die Erben nicht belegen, dass es sich bei dem Seehaus-Bild um einen verfolgungsbedingten 45


thema: Kunst im öffentlichen Raum

Kunst im öffentlichen Raum Vier Restauratoren, 160 Quadratmeter Farbflächen, 196 laufende Meter Schmutzkrusten, 400 Skalpellklingen – das ist die stark vereinfachte Bilanz der mehrwöchigen Restaurierungsarbeiten an der modernen Skulptur »bildsäulen-dreiergruppe« aus Stuttgart. Die Skulptur des Schweizer Künstlers Max Bill gehört zum Besitz der Daimler Kunst Sammlung und steht vor dem Mercedes-Benz Museum in Stuttgart Untertürkheim (Abb. 1). Von ihrem ursprünglichen Standort vor der ehemaligen Konzernzentrale in Stuttgart Möhringen ist sie 2006 in einer spektakulären Aktion umgezogen. Die dreiteilige Skulptur wurde 1989 von Max Bill als Auftragsarbeit für Mercedes-Benz geschaffen und nimmt in ihrem Grundriss Bezug auf den Mercedesstern. Die Farben setzen sich aus dem klassischen neunteiligen Farbkreis (Gelb, Rot und Blau mit je zwei benachbarten Zwischentönen) zusammen. Da jede Säule mit einer anderen Farbe beginnt, ergibt sich eine spiralförmige Farbabfolge. Die dazwischengesetzten, silbern glänzenden Edelstahlmanschetten sorgen für eine Trennung und verhindern eine optische Überlagerung der Farben.

Sabine Hofmeister, Patrick Decker, Anne Bührer

Restaurierung in luftiger Höhe »bildsäulen-dreiergruppe« Eine 32 Meter hohe Außenskulptur von Max Bill

Die Skulptur »bildsäulen-dreiergruppe« von Max Bill (1908–1994) aus dem Jahr 1989 vor dem MercedesBenz Museum Stuttgart wurde 2013 umfassend restauriert. Schwerpunkt dabei waren die Reinigung der stark verschmutzten Emaille- und Edelstahloberflächen sowie die Schließung korrodierter Bereiche. Eine wasserabweisende Wachspolitur vervollständigte die Restaurierung, an der vier Restauratoren von Mai bis Juli 2013 unter schwierigen klimatischen Bedingungen arbeiteten.

Fotos: (1) Uwe Seyl für Daimler Chrysler AG; Sonstige Fotos: Anne Bührer und Sabine Hofmeister

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Technischer Aufbau Die Skulptur besteht aus drei senkrechten Säulen von jeweils 32 Meter Länge. Oben und unten werden sie von polierten Stahlzylindern begrenzt, die an der Spitze durch Metallstege miteinander verschraubt sind. Jede Säule besteht aus 27 emaillierten Blechen von unterschiedlicher Farbigkeit und 26 Edelstahlmanschetten. Im Inneren der Skulptur befindet sich ein Stützsystem aus Metallzylindern. Über dieses sind die emaillierten Bleche mit den Zwischenringen aus Edelstahl aufgeschoben. Die Farbflächen bestehen aus dünnen, gebogenen Stahlblechzylindern, die an den Stoßkanten miteinander verschweißt sind. Diese wurden anschließend verschiedenfarbig emailliert. Die Emailleflächen sind herstellungsbedingt uneben und zeigen an einzelnen Stellen fehlerhafte Bereiche wie helle Flecken oder Lufteinschlüsse. Die Edelstahlmanschetten sind massiv gearbeitet und weisen in der Oberfläche sowie auf der Auflagefläche und der Unterkante ganz schwach eine parallel laufende Rillenstruktur auf, die auf den Herstellungsprozess zurückzuführen ist. Zwischen Emaillehülsen und Edelstahlmanschetten bestehen Fugen mit einer Breite von bis zu fünf Millimetern. Die eingefügten Gummidichtungen liegen etwas niedriger als die Fugen tief sind. Sie waren vermutlich nicht als Dichtungen im eigentlichen Sinne gedacht, sondern dienten als schützender Puffer bei Bewegungen zwischen der druckempfindlichen Emaille und dem Edelstahl. Leider konnte auch nach intensiver Recherche keine detaillierte Aussage zum genauen Aufbau und den verwende1/2014

Informationen zu Max Bill Max Bill, geboren 1908 in Winterthur, gestorben 1994 in Berlin, war ein Schweizer Architekt, Künstler sowie Designer und Vertreter der Zürcher Schule der Konkreten. Bildsäulen tauchen in Max Bills Werk in unterschiedlicher Form wiederholt auf. Zwei ähnlich konstruierte, jedoch nur zwölf Meter hohe Säulen wurden z. B. 1979 vor dem BauhausArchiv in Berlin installiert. Weitere Hinweise zur Thematik der Bildsäule im Werk von Max Bill finden sich in der Dissertation von Büttner, Carsten A.: Max Bill. Homo Universalis, [masch-schriftl.] Univ. Diss. Heidelberg 2007. Weitere Publikationen zur Skulptur siehe zum Beispiel Wiehager, Renate: Zeitgenössische Kunst für die Mercedes-Benz Welt Stuttgart, Stuttgart 2006 sowie dies.: BLITZEN BENZ BANG. Daimler Art Collection. Mixed media, Sculptures, Commissioned Works, Stuttgart 2009.

ten Materialien gemacht werden, da die originalen Konstruktionspläne nicht mehr vorliegen. Folgende Firmen waren bei der Herstellung beteiligt und wurden, soweit erreichbar, telefonisch zur Herstellung befragt. Die Firma »Weisske und Partner« in Stuttgart war für die Statik und die Fundamentkonstruktion, die Firma »Maurer und Söhne« in München für die Schornsteintechnik verantwortlich. Die Firma »Duro Emaille« führte die Emaillierungen aus, existiert aber nicht mehr, so dass eine Kontaktaufnahme nicht möglich war. Schadensbilder 24 Jahre Freibewitterung haben deutliche Spuren an der Skulptur hinterlassen. Durch die Einwirkung von Regen, Hitze und Wind haben sich auf der Oberfläche deutlich sichtbare Verschmutzungen und Bewitterungsspuren ausgebildet. Vor allem der heutige Standort zwischen zwei Bundes-

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1 bildsäulen-dreiergruppe vor dem Mercedes-Benz Museum in Stuttgart 2 Ausgelaugte Regenwasserspuren in der Emailleoberfläche

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