Forum für Restauratoren, Konservatoren und Denkmalpfleger
UNTERSUCHUNG VON ÖLFARBENOBERFLÄCHEN FINDIGE ERHALTUNGSKONZEPTE FASSADENREPARATURKONZEPT FÜR DEN ADMIRALITÄTSPALAST EIN JAHR DANACH – DIE KÖLNER KATASTROPHE RESTAURIERUNG EINES STREICHINSTRUMENTS FORSCHUNGSPROJEKT ZU FARBIGEN FASSUNGEN NEUE ERKENNTNISSE ZU EINEM ABENDMAHLSKELCH PIGMENTE AUF PÄPSTLICHEN BLEIBULLEN MECHANIK EINER REKLAMEMASCHINE
www.restauro.de
2 März 2010
INHALT Deutsch-polnisches Projekt
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Findige Erhaltungskonzepte
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Neue Erkenntnisse zu einem Abendmahlskelch
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Der Admiralitätspalast in Berlin
Foto/©: Deutsche Stiftung Denkmalschutz
Foto: Wolfgang Hofmann
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RESTAURO AKTUELL 71 74 76 80/86 82
Editorial Werkstätten und Institute Blickpunkt Aspekte Forschung
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Internet Nachgefragt Rezension Lesezeichen Firmen + Produkte
RESTAURO THEMEN 84
Pigmente auf Bleibullen?
Foto/©: Petra Goebel, Steiermärkisches Landesarchiv
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Köln: Ein Jahr danach
Paul-Bernhard Eipper Untersuchung unbehandelter und wässrig behandelter Ölfarbenoberflächen Messungen von Oberflächenveränderungen mit dem 3D-Streifenprojektionsverfahren Burkhard Kunkel und Wolfgang Hofmann Werkforschung Neue Untersuchungen zu Material, Technik und Geschichte des romanischen Kelches von Bergen auf Rügen
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Karl Hiller, York Rieffel, Christina Süß Der Admiralspalast in Berlin Entwicklung und Umsetzung eines Fassadenreparaturkonzeptes
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Alexis Schilbach und Tilman Gruenewald Pergamentbelege in der Restaurierung von Streichinstrumenten Neue Wege in der Rissreparatur
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Gesa Witt Die verborgene Mechanik Einblicke in die Reklamemaschine »Magnet«
Foto: A. Wendenburg
RESTAURO RUBRIKEN 130 130 131 134 134
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Abstracts Autoren Termine Stellenanzeigen Impressum
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INHALT Rissreparaturen an Streichinstrumenten
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Mechanik einer Reklamemaschine
Foto: Alexis Schilbach
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Titelbild Kelch, Bergen/Rügen, Nodus mit Filigranrankwerk und Schmucksteinen, Foto: Wolfgang Hofmann
Die in RESTAURO veröffentlichten Ansichten der Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen. Bildnachweis: Soweit nicht anders angegeben, stammen die Abbildungen von den Autoren.
Forum für Restauratoren, Konservatoren und Denkmalpfleger 116. Jahrgang
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Für die Zukunft gestalten.
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FORSCHUNG Pigmente auf päpstlichen Bleibullen
Eine päpstliche Bleibulle an der Pergamenturkunde vom 03. Juli 1382, Rom. (StLA, AUR 3431b)
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Das Steiermärkische Landesarchiv in Graz führt bereits seit einigen Jahren Digitalisierungen historisch besonders wertvoller wie auch häufig benutzter Bestände durch. Im Zuge dieser Arbeiten wurden etwa 9100 mittelalterliche Originalurkunden des rund 58 000 Urkunden und Urkundenabschriften umfassenden Bestandes »Allgemeine Urkundenreihe« gescannt. Der hauseigenen Werkstätte für Restaurierung oblag es in diesem Zusammenhang, an den vermehrt geschädigten Objekten aus Pergament eine rezente Konservierung und Restaurierung durchzuführen. In diesem Rahmen wurden auch ca. 200 Papsturkunden, insbesondere deren zweiseitigen Bleisiegel, sogenannte Bullen, einer näheren Untersuchung unterzogen. Die Bulle, welche in der Regel aus einem Bleischrötling gefertigt wurde, ist meistens durch Hanf- oder Seidenfäden mit der Urkunde fest verbunden. Ikonografisch betrachtet behielten die Bleibullen der römischen Päpste seit Paschalis II. (1099–1118) im Kompositionsschema das formale Erscheinungsbild unverändert bis in unsere Tage bei. In ihrer charakteristischen Erstarrtheit der Darstellung bringen selbst die durch den künstlerischen Zeitgeschmack bedingten Variationen die Absicht klar zum Ausdruck, mit dem unveränderlichen Bild eine über Jahrhunderte währende Beständigkeit der Kirche auszudrücken. Eine Seite der Bulle zeigt die Köpfe der Apostel Petrus und Paulus mit der Schrift S[anctus] PE[trus]/S[anctus]PA[aulus] und die andere Seite den Namen des regierenden Papstes, den Titel (das Wort PAPA) und die Ordinalzahl. Die modellierten Gesichter der Apostel zeigen beim Hl. Paulus gestrichelte Haare und Bart, beim Hl. Petrus sind Haare und Bart punktiert. Nach dem Tode eines jeden Papstes wurde die Matrize mit seinem Namen vernichtet, während jene mit den beiden Apostelgesichtern vom Nachfolger wieder verwendet und nur im Falle einer Beschädigung ersetzt wurde. Bei der Erstuntersuchung der Bullen konnte eine weißliche, sich in unterschiedlichen Ausbreitungsstadien befindende Korrosionsschicht der vorwiegenden aus Blei bestehenden Bullen festgestellt werden. Allgemein ist festzuhalten, dass Blei meistens zu Bleicarbonat oder Bleisulfid korrodiert. Mithilfe hoch auflösender Digitalbilder und mittels Lichtmikroskops wurde nicht nur das jeweilige Stadium der Bleikorrosion deutlich, sondern es konnten zudem an beiden Seiten der Bulle verschiedenfarbige Partikel festgestellt werden. Um den Fall einer einmaligen bzw. zufälligen
Foto/©: Petra Goebel, Steiermärkisches Landesarchiv
– schon immer vorhanden oder doch nur Zufall?
Kontaktübertragung ausschließen zu können, wurde der gesamte Bestand an päpstlichen Bullen nach Farbpartikeln untersucht. Zum allgemeinen Erstaunen konnten an einer überwiegenden Mehrzahl der Bleisiegel unterschiedliche Farben festgestellt werden. Vor allem wurden rote Partikel sichtbar, aber auch blaue, schwarze und solche in einem Ockeroder Gelbton bildeten keine Ausnahme. Wiederholt stellte sich bei genauer Betrachtung einiger Bullen der Eindruck ein, dass plastische Details gezielt mit unterschiedlichen Farben stilistisch betont wurden. So konnte an einer Bulle ein blaues Fragment im Bereich einer Pupille des Petrus festgestellt werden, im Bereich seiner Gesichtsfläche hingegen ein Ockerton. Im gesamten Randbereich der Bulle sind einheitlich rote Fragmente zu erkennen, ebenso in den Bartrillen des Hl. Paulus. Leider sind diese Fragmente, welche sich in den Vertiefungen der Bleioberfläche erhalten konnten, für eine Probeentnahme jedoch zu gering. Aus diesem Grund erfolgte an einigen wenigen Bullen eine SEM-EDX-Untersuchung. Die SEM-EDX-Analyse wurde ohne Bedampfung der Objekte im Low-Vakuum-Modus des Elektronenmikroskops (FEI XL30 ESEM mit Link ISIS 300 EDX-System) an der Universität für angewandte Kunst Wien durchgeführt. Ein Ergebnis dieser Untersuchungen ist, dass die Bulle an der Urkunde vom 24. Februar 1248, Lyon – einige Verunreinigungen ausgenommen – zu 100 Prozent aus Blei besteht und ihre roten Farbfragmente eindeutig als Zinnoberrot identifiziert werden konnten. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass – wie beispielsweise bei der Urkunde vom 13. Juni 1265, Perugia – die Bullen ebenso aus einer Legierung bestehen können. Die Untersuchung ergab in diesem Fall eine BleiAntimon-Legierung. Mit diesen doch überraschenden Erkenntnissen trat die Werkstätte für Restaurierung an Mediä-
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FORSCHUNG visten, universitäre Mittelalter- bzw. hilfswissenschaftliche Institute mit der (grundsätzlichen) Frage heran, ob päpstliche Bleibullen unter Umständen farblich akzentuiert waren bzw. darüber Fachliteratur existiert. Die Antworten fielen bedauerlicherweise durchwegs negativ aus. Es bleiben daher viele Fragen offen. Der Versuch, sie beantworten zu können, wird weiterhin einen Schwerpunkt der Forschungsarbeit am Steiermärkischen Landesarchiv bilden. Vor allem wird zu klären sein, ob die an einer Vielzahl von Bullen festgestellten Farbpartikel Fassungsfragmente sind und wie man die Bleikorrosion behandeln kann, ohne diese zu gefährden.
Auch wenn eine spezifische Literaturrecherche keinen Hinweis dazu ergab bzw. Experten eine Bemalung für unwahrscheinlich halten, bleibt zum einen doch auf die Tatsache hinzuweisen, dass das Mittelalter farbliche Gestaltungen bevorzugte, zum anderen lehrt uns die Forschung, dass (legale) Entfernungen von Fassungen ein – mitunter – sehr verzerrtes Bild von Objekten vermitteln können. Mit anderen Worten ausgedrückt: Erscheint die Vorstellung so abwegig, dass ein unedles Metall wie Blei durch Farben gleichsam »erhöht« wurde? Petra Goebel petra.goebel@stmk.gv.at
Wirbelstrommessungen am Schrein der Heiligen Drei Könige im Kölner Dom
Kupfer von Kupferlegierungen und Messing von niedrig legiertem Rotguss gut unterscheiden. Die Bestimmung einer elektrischen Leitfähigkeit funktioniert stark vereinfacht gesprochen über die Messung eines Stromflusses innerhalb einer bestimmten Probenlänge. Ein elektrischer Stromfluss ist zu verstehen als der Transport von elektrischen Ladungsträgern (in Metallen die Elektronen). Diejenigen Elemente, die im metallischen Gitterverband mehr freie Elektronen zur Verfügung stellen, wie z. B. Silber und Kupfer, sind die besseren elektrischen Leiter. Für die Leitfähigkeitsmessungen an kunsthistorischen Objekten mit dem Wirbelstromprüfverfahren wird ein kleiner Tastkopf (Abb. 2) auf das zu untersuchende Bauteil aufgesetzt. Der Tastkopf enthält im Wesentlichen eine elektrische Spule, deren Aufgabe es ist, ein magnetisches Wechselfeld zu erzeugen und zu messen. Das von der Spule erzeugte Magnetfeld dringt in das zu prüfende Metall ein und erzeugt durch Induktion einen Stromfluss in Form von Kreisbahnen – sogenannte Wirbelströme. Ein Berühren oder gar ein galvanischer Kontakt zwischen Tastkopf und Prüfteil ist hierzu prinzipiell nicht notwendig. Die im Prüfteil fließenden Wirbelströme verursachen ihrerseits wieder ein kleines Magnetfeld, welches über das Induktions-
Am Kölner Schrein konnten Messungen der elektrischen Leitfähigkeit wichtige Hinweise liefern. Mithilfe von Prüfgeräten auf der Basis des Wirbelstromprinzips waren selbst an vergoldeten Probestücken sehr treffende Messungen und Zuweisungen verschiedener Grundmetalle möglich (Abb. 1). Die elektrische Leitfähigkeit (Einheit: Siemens pro Meter, S/m) ist eine wichtige Eigenschaft von metallischen Werkstoffen, die Auskunft über die Quantität gibt, in der ein elektrischer Strom durch das Metall fließen kann. Für Elemente in ihrer reinen Form ist die elektrische Leitfähigkeit ein charakteristischer und fester Wert. Daher lassen sich reine Elemente allein durch eine Messung der elektrischen Leitfähigkeit voneinander unterschieden. Aber auch für Kunstwerke, die praktisch nie aus reinen Elementen, sondern aus zusammengesetzten Werkstoffen (Legierungen) und etwaigen Verunreinigungen bestehen, gibt es die Möglichkeit der Unterscheidung. Anhand von definierten Legierungszusammensetzungen als Referenzwerte lassen sich beispielsweise
1 Mit dem Wirbelstrommessgerät der BAM erfolgte die Untersuchung der gesamten Metalloberfläche des Schreins (B:1,10 m, H: 1,50 m, L: 2,20 m), dem größten in Goldschmiedearbeit angefertigten Reliquiar des Mittelalters in Europa. Im Bild: Für die Referenzmessungen verwendetes Blechfragment der Sockelverzierung (25 mm x 80 mm)
Foto/©: BAM
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THEMEN Burkhard Kunkel und Wolfgang Hofmann
Werkforschung Neue Untersuchungen zu Material, Technik und Geschichte des romanischen Kelches von Bergen auf Rügen
Zum Kostbarsten, was die St. Marienkirche zu Bergen auf Rügen besitzt, gehört ein reich verzierter, mit Schmucksteinen besetzter Abendmahlskelch. Vielfach für seine hohe Qualität gelobt, herrschte bis heute Einigkeit darüber, hierin ein seltenes und zugleich eines der herausragendsten Exemplare romanischer Goldschmiedekunst zu sehen. Eine eingehende Betrachtung und Untersuchung von Material, Fertigungstechnik und Konstruktion brachte überraschende Ergebnisse zu Tage. Datierung und Zuschreibung müssen nun korrigiert werden.
1 Kelch, St. Marien, Bergen/Rügen
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Der Kunsthistoriker und Restaurator Dr. Burkhard Kunkel ist Mitglied im Mittelalterzentrum der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald.
Er ist Mitarbeiter am Kulturhistorischen Museum der Hansestadt Stralsund und lehrt am Caspar-David-Friedrich-Institut der Universität Greifswald mit dem Schwerpunkt Bildkunst des Mittelalters und der frühen Neuzeit; Theorie und Praxis der Werkforschung; Werkgeschichte: Methoden, Verfahren, Ziele. Der Restaurator Dipl.-Ing. (FH) Wolfgang Hofmann ist Mitglied der Fachgruppe Restauratoren im Handwerk e. V. am europäischen Zentrum für Denkmalpflege und arbeitet am Historisch-Technischen Museum Peenemünde. Sein jüngstes Projekt, die Restaurierung der Grablege der Pommerschen Herzöge in Wolgast, wurde für den Europa nostra Preis für Denkmalpflege nominiert.
Foto: Dr. Burkhard Kunkel
Kaum gelang es, die Leitung des Stadtmuseums in Bergen auf Rügen von ihrem Vorhaben abzubringen, den Abendmahlskelch der Bergener St. Marienkirche auf möglichst preiswerte Weise für ihre Schausammlung plastisch abformen zu lassen sowie andererseits die Kirchenverantwortlichen als Besitzer vor möglichen Folgen und Missgriffen eines solchen Verfahrens zu warnen, ging die Diskussion um Formen des weiteren Umgangs mit diesem bislang wohl gehüteten Stück weiter. Die Frage war, ob dieser Kelch für den Gebrauch im Heiligen Abendmahl nicht zu kostbar und Schäden oder Verlust zu erwarten wären, sollte darüber hinaus über eine mögliche museale Präsentation des Originals in der Kirche – natürlich nicht ohne verstärktes Vitrinenglas und ohne Absperrung – nachgedacht werden: Gründe genug, um dieses Stück aus konservatorischer wie kunsthistorischer Perspektive einmal genauer zu betrachten. Der erste Blick auf das Original löst Faszination aus (Abb. 1). Sein Äußeres in ausgewogenen Proportionen von Kuppa, Nodus und Fuß harmoniert im Wechsel von glänzendem und scheinbar überfließend filigran ornamentiertem Gold mit seinen wohl gesetzten farbigen Schmucksteinen in geradezu vollendeter Virtuosität. Die handwerklich hoch stehende Qualität und das bisher bekannte Wissen um Alter und Herkommen verleihen dem Kelch eine geradezu auratische Anziehungskraft und es wundert nicht, ihn in Wort und Bild in den meisten einschlägigen Touristen- und Kirchenführern, Inventar- und Bildbänden anzutreffen. Wurde dieser »kost-
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THEMEN 2
Stand der Forschung Wer nun den Zugang zu diesem Stück über die Literatur sucht, wird auf den ersten Blick allerdings zur Kenntnis nehmen, dass bereits in der Frage nach seiner Entstehungszeit bis heute große Unsicherheit herrscht. Während Herbert Ewe den Angaben im Dehio zufolge um 1200 datiert, grenzt Norbert Buske die Fertigung des Kelches auf die Dekade genau um 1270/80 ein – eine flüchtige Verwechslung, so mag es scheinen. Die Bearbeiter des neuen Dehio, die dem Bergener Kelch eine Vollendung am Anfang des 13. Jahrhunderts zugestehen, versehen den vergleichbaren und nach ihrer Ansicht in derselben Werkstatt geschaffenen Kelch aus Preetz in Schleswig-Holstein (Abb. 2) dagegen mit eben demselben Datum: 1270/803. Einige Autoren scheinen sich auf einen Mittelweg von 1250 geeinigt zu haben, wieder andere neigen einer noch früheren Datierung zu, mit der Behauptung, diesen Kelch habe Waldemar I. von Dänemark (1131–1182) gestiftet.4 Einigkeit scheint in der Provenienzfrage zumindest umrisshaft erkennbar, die von einer norddeutschen, einer »hochleistungsfähigen niedersächsischen Werkstatt« oder einer Lübecker Werkstatt5 ausgeht. Angesichts dieser Situation kommt erschwerend hinzu, dass es auch in den Beschreibungen zu Material, Technik und Ausführung zu unterschiedlichen Aussagen kommt: »[Der] Kelch [bestehend aus] Gold und Silber, vergoldet mit Perlen und Halbedelsteinen[...]. Fuß, Schaft, Knauf und die mit flachen Frauenköpfen besetzte Kuppa [ist] rund und mit gegossenen Stegen sowie filigranem Rankendekor aus gekörntem Golddraht in symmetrischen Mustern belegt, dazwischen sitzen die gefassten Perlen und Halbedelsteine«6. Bei Katharina Flügel ist zu lesen, dass sich verschiedene Steine und Perlen in die wirbelnden Filigranranken in Kastenfassungen einordnen, dass im Rankwerk gegossene Blättchen, Blattleisten und Blattranken aufgelegt und schließlich die Zarge als ausgesägtes Rundbogenmotiv ausgeführt sei, wie sie sich ebenfalls am Kelch in Rathenow finde.7 Walter Ohle und Gerd Baier meinen, dass die Muster des Filigrans aus granulierten Goldblechstreifen bestünden, die Jochem Wolters als Einzel-, Linien- und Streugranulation als Filigranbesatz erkannte.8 So unverständlich und unzureichend die technischen Beschreibungen erscheinen, so verschieden fallen die Angaben zur Funktion und Herkunft des Bergener Kelches aus. Jochem Wolters bezeichnet das Stück als Messkelch, was Katharina Flügel im
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Foto: Dr. Ulrich Schneider
bare romanische Kelch« zu den schönsten Kelchen des 12. und 13. Jahrhunderts überhaupt gerühmt,1 konnte er in dem unlängst erschienenen Bildband »Spuren der Ewigkeit. Schätze der Pommerschen Evangelischen Kirche« nicht trefflicher, noch dazu mit einer brillianten Fotografie, präsentiert werden.2
Bezug auf die symbolisch gedeuteten Blattranken in ihrem sinnhaften Bezug zum Abendmahl bestätigt sieht.9 Norbert Buske trifft zu einer liturgischen Funktion keine direkte Aussage. Nach seiner Auffassung sei die Kuppa zu groß, um überhaupt eine ursprüngliche liturgische Funktion als Messkelch anzunehmen.10 Vielmehr könne es sich nach seiner Ansicht um einen Hostienkelch handeln, dessen Deckel möglicherweise verloren gegangen sei.11 Eine unbestimmte sakrale Funktion befürworten Ohle und Baier. Sie stellen zwar einen Zusammenhang mit der Bergener Kahlandsbruderschaft in den Raum, äußern wiederum jedoch Zweifel, da es die Kahlandsbruderschaft zu dieser angenommenen Vollendungszeit des Kelchs um 1270/80 schlicht noch nicht gegeben habe.12 Eine weitere Spekulation führt Buske schließlich mit der Annahme einer früheren profanen Funktion ins Feld: Er erwägt die Herkunft aus fürstlichem Nachlass. Ein Nachlass, der womöglich im Zusammenhang zweier Äbtissinnen des Bergener Klosters aus pommerschem Fürstenhause stehen könne.13 Soweit der Forschungsstand. Bei aller Bewunderung bleiben Fragen; Geheimnisse, die dem Bergener Kelch mit etwas Poesie vielleicht tatsächlich »zusätzlichen Glanz verleihen«14, angesichts seiner Prominenz und mittlerweile erreichten öffentlichen Präsenz aber nicht befriedigen. Wohl niemand würde nun dem Eindruck nachgeben, als sei von der Kunstgeschichtsforschung kein neuer Ansatz zu diesem Problem zu erwarten, als stünde zur Klärung der immerhin genuin kunsthistorischen Fragen nach Datierung und Werkstatt, nach Funktion und Geschichte eines Werkes keine geeignete Methode zur Verfügung. An die aktuelle Entwicklung der Nutzung naturwissenschaftlichtechnologischer Befunduntersuchungen nicht allein für die Restaurierungspraxis, sondern mit zunehmen-
2 Kelch, Kloster Preetz, Proportion, Filigranrankwerk des Kuppakorbes, gefasste Schmucksteine
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Foto/©: Christina Süß für Steinhof Restaurierung
Foto/©: Christina Süß für Steinhof Restaurierung
THEMEN
10 a+b Karyatide 14 im Vorzustand und nach der Restaurierung
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11 Fassadenausschnitt nach fertig gestellter Restaurierung
benden Bauteilen zu erreichen. Zur Ergänzung der Farbigkeit wurden zunächst nur einzelne abgewitterte Partien ohne erhaltene Farbfassung retuschiert, wobei sich die Retusche am umgebenden Lokalkolorit orientiert hat. Die Refixierung und Retusche der Bestandsfassung erfolgte gemäß der nachgewiesenen bauzeitlichen Farbtechnologie für die gesamte Fassade in KEIM’scher Mineralfarbenmalerei (Abb. 11). Analog dazu erfolgte die Fassung und der Anstrich der Putzrücklagen und des Bauschmucks nach Befund. Die Farbgebung orientierte sich grundsätzlich am gealterten bauzeitlich vorhandenen Farbton. Um die angestrebte ästhetische und gestalterische Qualität der Gesamtfassade bzw. die Vermittlung von Alt- und Neuputzflächen zu erreichen, wurde ein stufenweises Vorgehen erforderlich. Die Behandlung der Neuputzflächen erfolgte durch mehrfachen Auftrag einer Lasur zur Angleichung der Neuputze an die Altputzbereiche wiederum mit Silikatfarben und entsprechend der Bestandsfarbgebung. Fazit Die Instandsetzung der Fassade der Planckstraße gemäß des Reparaturkonzeptes hat die bautechnische Funktionalität wieder hergestellt, ohne die Fassade ihres im Lauf der Zeit hinzugewonnenen Alterscharmes und ihrer historischen Vielschichtigkeit zu berauben. Die Organisation und Struktur des Projektes ermöglichte einen termingerechten und vor allem reibungslosen Ablauf der Gesamtmaßnahme. Die Restaurierungsplanung basierte auf einer denkmalpflegerisch-ethischen Auseinandersetzung mit dem Thema und einer umfangreichen naturwissenschaftlichen Materialanalytik, die auf eine Minimierung der Eingriffe in die historische Substanz abzielte. Im Rahmen einer Musterrestaurierung wurden Verfahrensvarianten und ästhetische Wirkungen erprobt. Während der Instandsetzungsphase wurde die Ausführung gemäß des Reparaturkonzeptes durch Restauratoren und Handwerker durch das Landesdenkmalamt Berlin, Architekten und restauratorische Fachbauleitung intensiv kommuniziert und betreut. Das Projekt wurde ermöglicht durch die Unterstützung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, des Landesdenkmalamtes Berlin und des Bundesprogrammes städtebaulicher Denkmalschutz. Anmerkung 1
Christina Süß: Die Fassade des Admiralspalastes in der
Planckstraße 21–23 in Berlin, Erarbeitung eines Reparaturkonzeptes, Berlin 2006 (Unveröffentlichte Diplomarbeit); Foto/©: Karl Hiller
Karl Hiller: Der Admiralspalast, Geistes- und naturwissen-
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schaftliche Untersuchungsmethoden in denkmalpflegerischen Entscheidungsprozessen, das Beispiel der Rückfassade des Admiralspalastes und seiner Steingusskaryatiden, Berlin 2005 (Unveröffentlichte Masterarbeit)
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THEMEN Alexis Schilbach und Tilman Gruenewald
Pergamentbelege in der Restaurierung von Streichinstrumenten Neue Wege in der Rissreparatur
Rissreparaturen im Streichinstrumentensektor müssen nicht nur so schonend wie möglich durchgeführt werden, sondern sie müssen auch den hohen Belastungen, denen ein gespieltes Musikinstrument ausgesetzt ist, zuverlässig standhalten. Zugleich reagiert ein komplexes System, wie wir es z. B. in der Geige finden, auf kleinste Veränderungen. Anhand der Restaurierung eines italienischen Cellos aus dem 18. Jahrhundert zeigt der Autor Alexis Schilbach eine Möglichkeit auf, Rissleimungen
Der Autor Alexis Schilbach ist Geigenbaumeister und Restaurator für Musikinstrumente in der Schweiz. Sein Co-Autor Tilman Gruenewald ist Student im sechsten Semester des Bachelorstudiengangs Holztechnologie und Holzbau an der Fachhochschule Salzburg.
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Foto: Benjamin Schilbach
Rissbelegung: eine Technik, die in der Streichinstrumentenreparatur seit langer Zeit üblich ist Wertvolle Geigen und Celli aus der klassischen italienischen Periode (16.–18. Jahrhundert) zeigen in der Innenansicht oftmals eine große Zahl von Holzplättchen unterschiedlicher Größe, Stärke und Holzart, die im Rahmen von Reparaturmaßnahmen aufgeleimt wurden. Nach dem vorsichtigen Abnehmen der Instrumentendecke zeigten sich diese sogenannten Holzbelege auch bei dem hier gezeigten Cello, das dem Autor zu Restaurierung anvertraut wurde (Abb. 3 + 6). Die Holzbelege sind von der Innenseite auf geleimte Risse oder auch gekittete Fraßgänge von Holzschädlingen aufgeleimt. An den verschiedenen Holzfärbungen ist zu erkennen, dass diese Reparaturen zum Teil weit zurückliegen (im 19. Jahrhundert), es finden sich aber auch Belege mit einer hellen Holzfarbe, die darauf hinweist, dass die Belege nur ein paar Jahre alt sind. Tatsächlich weiß der Autor aus dem Erfahrungsaustausch mit Kollegen, dass diese Art, reparierte Risse zu belegen, auch aktuell in vielen Geigenbauwerkstätten praktiziert wird.
zu sichern und zugleich den Einfluss auf das Schwingungsverhalten des Instrumentes zu minimieren.1
1 Der Autor schabt das Pergament mit der Ziehklinge auf eine Stärke um 0,1 mm. 2 Ausstanzen der Pergamentbelege mit einem Locheisen 2
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Foto: Benjamin Schilbach
Gibt es eine Notwendigkeit für diese Rissbelege? Was sind die Nachteile? Rissbelege können sinnvoll sein, wenn sie die Verlässlichkeit des geleimten Risses erhöhen, was in diesem Artikel untersucht werden soll. Rissbelege sind insbesondere an Rissenden unerlässlich, an denen einzelne Holzfasern beschädigt sind, an denen der Riss aber nicht ausreichend geöffnet ist, sodass Leim in ganzer Tiefe eindringen kann. Der Autor konnte an zurückliegenden Rissreparaturen beobachten, dass sich an diesen Stellen Haarrisse bilden können, die sich, wenn sie Schmutz und Staub aufnehmen, als neue Risse öffnen können.
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