Restauro 02 2011

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Forum für Restauratoren, Konservatoren und Denkmalpfleger

RADAR UND ULTRASCHALL IN DER DENKMALPFLEGE ERFORSCHUNG ANTIKER POLYCHROMIE AUSSERGEWÖHNLICHER FUND IN DER MONGOLEI NEUES ZUR KULTURGUTERHALTUNG IN ITALIEN SAKRALE GEWÄNDER DES 11. JAHRHUNDERTS DER WEG IN DIE SELBSTSTÄNDIGKEIT STUCKMARMOR UND SEINE KONSERVIERUNG

www.restauro.de

2 März 2011


INHALT

Seltene Grabfunde erforscht

Foto: Regina Klee, Universität Bonn

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RESTAURO AKTUELL

Mit Ultraschall untersuchen

Foto: Gabriele Patitz

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Editorial

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Blickpunkt Zum Berufstitelschutz für Restauratoren: Neues Gesetz in Sachsen-Anhalt Afghanistan: Kulturerbe in Gefahr Kirchenbrand in Aachen Fortschritt bei Massenspektrometrie Net-Heritage Hornemann-Institut baut E-Learning weiter aus Betondruck entwickelt Mikrofilm: Zurück zu digitalen Wurzeln Leserbriefe Neues aus Italien – Lo Stato dell’Arte

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Berufsfragen Existenzgründung – Wie Sie Ihr eigener Chef werden

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Forschung Polychromie – Farben auf mesopotamischen Statuen

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Rezension V. Brinkmann, A. Scholl (Hg.): Bunte Götter. Die Farbigkeit antiker Skulptur

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Lesezeichen

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Firmen und Produkte

RESTAURO THEMEN

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Foto: Melanie Axt, Heide Czysch

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Gabriele Patitz Untersuchungen mit Ultraschall und Radar an Säulen und Skulpturen Die Verfahren und Praxisbeispiele Jan Bemmann, Holger Becker und Regina Klee Beigaben aus dem Felsgrab im Berg Nukhen Khad im mongolischen Altai Ein Zwischenbericht zu Untersuchungsergebnissen, Zustand und KonservierungRestaurierung

Stuckmarmor konserviert

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Anja Bayer Die Grabgewänder des Abtes Berno von Reichenau-Mittelzell Untersuchung, Konservierung und Transport von hochmittelalterlichen Textilien

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Melanie Axt und Heide Czysch Das Caldarium der Römischen Bäder im Park Sanssouci Zur Herstellung und Konservierung von Stuckmarmor

RESTAURO RUBRIKEN 64 64 66 66

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Autoren Termine Stellenanzeigen Impressum

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INHALT Untersuchungen zur Polychromie

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Existenzgründung: Erste Hilfestellungen

Foto: Rupert Gebhard

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Titelbild Fragment einer goldenen Borte von den Grabgewändern des Abtes Berno Foto: Anja Bayer

Die in RESTAURO veröffentlichten Ansichten der Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen. Bildnachweis: Soweit nicht anders angegeben, stammen die Abbildungen von den Autoren.

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Forum für Restauratoren, Konservatoren und Denkmalpfleger 117. Jahrgang

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Für die Zukunft gestalten.

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BERUFSFRAGEN Wie Sie Ihr eigener Chef werden Immer mehr Menschen wagen den Schritt in die berufliche Selbstständigkeit. Doch dies will gut überlegt sein. Zu Beginn erhält man oftmals nur wenige Aufträge und hat hohe Kosten. Vielleicht hadert man gar mit sich und seiner Entscheidung und kämpft mit aufkeimender Frustration. Läuft das Unternehmen, gibt es Monate, in denen man sich vor Aufträgen kaum retten kann, und jene Monate, in denen es so gar nicht vorangehen will. Nicht nur Kapitalgeber, auch die Familie stellen Forderungen. Geht man dieses Wagnis dennoch ein, wird man von einer Fülle an Informationen überrannt. Der vorliegende Beitrag soll einen ersten Überblick zum Thema geben.

Foto/©: Isabella Haag

Vorab sollten Sie prüfen, ob Sie selbstständiger Freiberufler sind oder dem (handwerklichen) Gewerbe zugeordnet werden. Diese Unterscheidung hat Auswirkungen auf Ihren Businessplan, Ihre Versicherungen und vor allem auf Ihre steuerliche Einordnung. Dabei gilt: nicht jeder gelernte Tischler mit restauratorischen Kenntnissen betreibt automatisch ein Gewerbe, nicht jeder akademische Restaurator ist automatisch Freiberufler. Viele berufliche Tätigkeiten weisen sowohl Merkmale der freien als auch der gewerblichen Berufe auf. Ganz allgemein lässt sich sagen: Steht die geistige, schöpferische Arbeit im Vordergrund, dann ist der Tätige den freien Berufen zuzuordnen. Lassen Sie sich jedoch von Rechtsanwälten, Steuerberatern oder dem Institut für Freie Berufe (IFB) beraten, das erspart Ihnen möglicherweise eine Menge Ärger. Bevor Sie eine Existenz gründen, sollten Sie sich bewusst werden, was das für Sie bedeutet und was auf Sie zukommt. Selbstständig sein bedeutet: sich selbst zu motivieren, den Markt ständig im Blick zu haben, auf Unvorhergesehenes zu reagieren, eigenständig Entscheidungen zu treffen und die Finanzen zu regulieren. Wenn Sie sich nicht sicher sind, ob Sie wirklich selbstständig sein wollen, machen Sie doch einen Gründertest im Internet und lassen Sie sich beraten. Einige zentrale Aspekte sollten Sie stets im Blick behalten. Dazu gehören die durchdachte Geschäftsidee und die Klärung Ihres Finanzierungsbedarfs. Beides sind zentrale Punkte, die

Sie in Ihrem Businessplan berücksichtigen sollten. Auch an Ihre persönliche und betriebliche Absicherung sollten Sie denken. Unerlässlich: Die Erstellung des Businessplans Wenn Sie finanzielle Unterstützung eines Kreditgebers in Anspruch nehmen, wird meist die Erstellung eines Businessplans von Ihnen gefordert. Dieser beantwortet die Frage, wie Sie Ihre Geschäftsidee in die Tat umsetzen möchten. Er beschreibt, was Sie vorhaben und was Sie tun müssen, damit Ihr Gründungsvorhaben gelingt. Ihre Geschäftsidee, die Gründungsform, für die Sie sich entscheiden, sowie eine sichere Finanzierung sind zentrale Aspekte, die Sie in Ihrem Businessplan deutlich herausarbeiten sollten. Nur ein klarer und verständlicher Businessplan ist ein guter Businessplan. Gliedern Sie also deutlich und bereiten Sie Ihr Konzept optisch überschaubar auf. Verzichten Sie auf allgemeine Ausführungen sowie unnötige Fachbegriffe und technische Details. Drücken Sie sich stattdessen verständlich aus und stellen Sie Ihr unternehmerisches Know-how in den Vordergrund. Vor allem gewerblich Tätige sollten ihre kaufmännische Qualifikation betonen. Zahlreiche hilfreichen Informationen und Tipps zur Erstellung des Businessplans finden Sie auf einer Homepage des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie unter www.existenzgruender.de. Eine gute Basis: Ihre Geschäftsidee Ein Restaurator muss nicht zwangsläufig restaurieren. Er kann auch nur beraten, Gutachten oder Konzepte erstellen oder alles zusammen. Sie brauchen also eine grobe Vorstellung davon, was Sie anbieten möchten und wie Sie sich von der Konkurrenz abgrenzen wollen. Vielleicht können Sie auch ein bestehendes Unternehmen übernehmen. Eine gute Geschäftsidee muss nicht unbedingt neu und innovativ sein. Vielleicht lässt sie sich gar aus einer anderen Branche adaptieren und an Ihr Tätigkeitsfeld anpassen. Vor allem ist sie nicht in Stein gemeißelt, Sie können sie jederzeit z. B. an veränderte Umstände anpassen. Insbesondere sollten Sie sich darüber klar werden, wer Ihre zukünftigen Kunden sind und wer Ihre Wettbewerber. Gute Branchenkenntnisse sind daher unerlässlich. Erarbeiten Sie sich Ihre Geschäftsidee gezielt: recherchieren Sie, beobachten Sie den Markt, besuchen Sie Gründer- und Fachmessen. AG, KG, GmbH, GbR – die Rechtsform Bereits vorab entscheiden Sie sich auch für eine Rechtsform. Dabei können Sie zwischen Einzelunternehmen, Personen- oder Kapitalgesellschaft

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BERUFSFRAGEN

Die Frage der Finanzierung Jede Finanzierung orientiert sich am Bedarf des Gründers und seines Vorhabens. Vorab muss also die Art des Gründungsvorhabens geklärt sein: Klein- oder Nebenerwerbsgründung? Freiberuflich oder handwerklich-gewerblich? Oder kann die Nachfolge eines bereits bestehenden Unternehmens angetreten werden? Teil Ihres Businesskonzepts ist ein Finanzplan, in dem Sie aufzeigen, wie hoch Ihr Fremdkapitalbedarf ist und wie Sie diesen decken möchten. Dafür benötigen Sie unter anderem einen Kapitalsbedarfsplan, einen Finanzplan, einen Liquiditätsplan sowie eine Ertrags- oder Rentabilitätsvorschau. Auch Preise und Leitungen des Unternehmens sollten Sie benennen. Verlieren Sie niemals Ihre Finanzen aus dem Blick und berücksichtigen Sie bei Ihrem Finanzplan auch Rücklagen für Nachzahlungen an Versicherungen oder das Finanzamt. Sie müssen Ihre Anlaufphase überbrücken können und es kann einige Monate dauern, bis monatliche Lebenshaltungs- und laufende Kosten von Ihren Einnahmen gedeckt werden. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie empfiehlt einen Eigenkapitalanteil von 15 bis 20 Prozent. Dadurch signalisieren Sie Geldgebern auch die Ernsthaftigkeit Ihres Vorhabens. Legen Sie sich außerdem Wachstumsziele fest und überdenken Sie, ob Ihre eingeplante Ausstattung zu Unternehmensbeginn tatsächlich in diesem Umfang nötig ist. Sie sollten sich darüber klar werden, über welchen Zeitraum die Finanzierung laufen soll und welche Sicherheiten Sie anbieten können. Ihre eigene Wohnung ebenso wie Lebensversicherungen zur Altersvorsorge sollten Sie nicht voreilig als Darlehenssicherheit anbieten. Neben öffentlichen Kapitalgebern wie Bund und Länder bieten auch Banken und Sparkassen Kredite für Existenzgründer an. Die Kammern, die

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Foto/©: pressmaster – Fotolia.com

wählen. Die Gründung eines Einzelunternehmens erfolgt informell, Gründungskapital benötigen Sie nicht. Dafür haften Sie aber mit Ihrem Privatvermögen für betriebliche Schulden. Bei einer Personengesellschaft, wie der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), der Partnerschaftsgesellschaft (PartG) oder der Kommanditgesellschaft (KG) haften Sie sowohl mit dem Privat- als auch dem Betriebsvermögen. Bei einer Kapitalgesellschaft wie der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) oder der Aktiengesellschaft (AG) haften Sie nur in Höhe Ihrer jeweiligen Einlage, allerdings benötigen Sie hier ein gewisses Mindestkapital und müssen strenge formale Pflichten erfüllen. Kapitalgesellschaften werden auch grundsätzlich dem Gewerbe zugeordnet. KfW-Mittelstandsbank und Ihre Hausbank beraten Sie. Zwei Möglichkeiten, den Fremdkapitalbedarf zu decken, sind das KfW-StartGeld für alle Gründer, deren Gesamtfremdfinanzierungsbedarf 50 000 Euro nicht übersteigt, sowie der Gründungszuschuss der Bundesagentur für Arbeit für gründungsinteressierte Arbeitslose, die Arbeitslosengeld I beziehen. Egal für welchen Kapitalgeber Sie sich entscheiden, einige Punkte sollten Sie beachten: Treten Sie als Geschäftspartner auf, nicht als Bittsteller. Vergleichen Sie die Angebote mehrerer Kapitalgeber. Lehnt ein Kapitalgeber Sie ab, versuchen Sie die Gründe zu erfahren und lernen Sie daraus. Steuerliche Rechte und Pflichten Vielen bleibt das deutsche Steuer- und Fiskalsystem unverständlich. Trifft dies schon bei der privaten Einkommenssteuererklärung auf Sie zu, sollten Sie sich unbedingt fachmännische Hilfe vom Steuerberater holen. Schätzen Sie Ihren voraussichtlichen Umsatz und Gewinn realistisch ein. Gewerbetreibende erstellen für die Umsatzsteuer eine Bilanz, Freiberufler tun dies nach der Einnahme-ÜberschussRechnung: Betriebliche Einnahmen minus betriebliche Ausgaben = Gewinn (oder Verlust). Freiberufler führen die Umsatzsteuer erst nach Rechnungsbegleichung ab, Gewerbetreibende bereits zum Zeitpunkt der Rechnungserstellung und Kleinunternehmer müssen keine Umsatzsteuer abführen. Für Freiberufler besteht keine Gewerbesteuerpflicht und sie unterliegen dem normalen Einkommenssteuertarif. Kalkulieren Sie nicht zu knapp, um größere Steuernachzahlungen im Folgejahr zu vermeiden. Bilden Sie also Rücklagen für Nach- und Vorauszahlungen ans Finanzamt, um nicht in Zahlungsschwierigkeiten zu kommen. Ändern sich Ihre Planungen nach Aufnahme Ihrer Tätigkeit, sollten Sie dies auch Ihrem Finanzamt mitteilen.

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THEMEN 11

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11–14 Abhängig von den zu untersuchenden Objekten ist die Verwendung unterschiedlicher Radarantennen notwendig. (11) 900 MHz, (12) 500 MHz, (13) 2 GHz, (14) 1,5 GHz. 15

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15 1,5-GHz-Antenne bei der Suche nach Steinklammern. 16 2-GHz-Antenne bei der Suche nach Dollen.

Der Umfang der erforderlichen Sanierungsarbeiten konnte also auf die wenigen besonders stark geschädigten Bereiche reduziert werden. Somit mussten nur an einigen Säulen wenige Bereiche der Säulenschäfte verpresst werden. Besonders stark geschädigte Stellen oberhalb der Basen wurden mit CFK-Lamellen ummantelt und restauratorisch bearbeitet (Abb. 10). Umfangreichere Arbeiten waren lediglich bei den Basen erforderlich. Aufgrund des Bau- und Nutzungsfortschrittes waren ein Austausch der Basen und das Einbringen einer horizontalen Sperre gegen Feuchtigkeit nicht mehr möglich. Diese Bereiche wurden deshalb möglichst vollflächig verpresst. An den Kapitellen erfolgten lokale Verpressarbeiten. [3]

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Das Radarverfahren Georadar ist ein Verfahren, das zur Bestimmung von Strukturen oder zur Objektdetektion im Untergrund und am Bauwerk eingesetzt wird. Es basiert auf der Ausbreitung elektromagnetischer Wellen in einem Medium. Die aktive Aussendung der elektromagnetischen Wellen erfolgt meist in der Form von Impulsen mit Dominanzfrequenzen im Bereich von ca. 20 MHz bis 2 GHz über eine auf der Oberfläche platzierte Sende- und Empfangseinheit. Diese Sende-Empfangseinheiten (Radarantennen) werden am Bauwerk manuell geführt. Die Zugänglichkeit wird i. d. R. über ein Gerüst, Leitern oder einen Hubsteiger gewährleistet.

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THEMEN

Anwendungsbeispiele: Suche nach metallischen Einbauteilen und Bestimmung von Steinabmessungen An Metallen kommt es zur Totalreflektion der elektromagnetischen Wellen. Diese zeichnen sich durch deren besonders hohe Signalstärke sehr deutlich in den Radargrammen ab. Werden metallische Einbauteile senkrecht zu ihrer Position im Bauteil überfahren, verursachen diese starke und typische Diffraktionen in den Radardaten. Anhand der Wellengeschwindigkeit des untersuchten Baustoffs kann die Tiefenlage berechnet und der Verlauf dieser Einbauteile bestimmt werden. Ebenso verursachen offene Stoßfugen hinter Steinen oder Hohlräume oder der Materialwechsel von einer gemauerten Außenschale zu einer inhomogenen Innenfüllung typische starke Reflektionen. Dadurch lassen sich mit einer geeigneten Antenne die Dicke der einbindenden Steine oder Wandschalen bestimmen. Es können somit Untersuchun-

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Foto: GGU Gesellschaft für Geophysikalische Untersuchungen mbH Karlsruhe

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17 Im Radargramm A–A’ sind typische Diffraktionen bei (a) zu erkennen, die auf eine Steinklammer oder einen Ringanker hinweisen. Der Reflektor (d) ist die an dieser Stelle die Wandrückseite.

Foto: GGU Gesellschaft für Geophysikalische Untersuchungen mbH Karlsruhe

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18 links Stein 17 mit einer Rückverankerung, Steintiefe ca. 45 cm, dann Fuge, dann Stein 16 mit Rückverankerung und schräg verlaufender Steintiefe von 38 bis 35 cm Tiefe. 19

Foto: GGU Gesellschaft für Geophysikalische Untersuchungen mbH Karlsruhe

Die Auswahl der Radargeräte erfolgt in Abhängigkeit des Untersuchungszieles, der gewünschten Eindringtiefe, Auflösung und der Zugänglichkeit. Dafür stehen inzwischen ausreichend Radarantennen zur Verfügung. In den Abbildungen 11 bis 14 sind einige Radarantennen dargestellt. Der sich ergänzende Einsatz von Antennen mit unterschiedlicher Leistungsfähigkeit kann die Aussagegenauigkeit deutlich verbessern. Die in das Bauteil eingebrachten elektromagnetischen Wellen durchlaufen die mineralischen Baustoffe des Untersuchungsfeldes mit einer stoffspezifischen Ausbreitungsgeschwindigkeit. Beim Fortschreiten im Baustoff und Bauteil werden die elektromagnetischen Wellen nach den Gesetzen der Optik durch Divergenz, Brechung, Reflektion, Streuung und Absorption geschwächt. Beim Übergang von einem Material in ein anderes mit abweichenden elektrischen Eigenschaften wird ein Teil der einfallenden Wellen gebrochen, während der verbleibende Anteil an der Grenzfläche reflektiert wird. Der Kontrast der Dielektrizitätszahlen sowie der Leitfähigkeit benachbarter Materialien bestimmt im Wesentlichen das Reflektionsvermögen der Trennflächen. An metallischen Stoffen kommt es zur Totalreflektion. An der Bauteiloberfläche werden die zurückgelangenden Reflektionen von einer Empfangsantenne aufgenommen, registriert und später interpretiert. Die Radardaten liegen in Form von Radargrammen vor. In diesen zeichnen sich aufgrund typischer Reflektionen und Diffraktionen die gesuchten Objekte wie Bauteilgrenzen, Metalle oder Hohlräume ab. Aufgrund dessen, dass bei der Datenaufnahme am Objekt immer ein Koordinatensystem verwendet wird, können die Tiefenlagen und die Ausdehnung der gefundenen Phänomene ausreichen genau angegeben werden.

19 Untersuchungen an einem verkleideten Obelisken zur Erfassung der Konstruktion.

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THEMEN 4

schen Stola gedeutet werden, die einst gegen 250 cm lang gewesen sein dürfte.8 Das kleine Goldbörtchen kann dabei als horizontale Abschlussborte an den Enden der Stola interpretiert werden. Die Stola ist eine Insignie, die, je nach Tragweise, den christlichen Weihegrad eines Klerikers anzeigt. Um den Nacken gelegt und zu beiden Seiten über die Brust herabhängend, wie im Grab Bernos vorgefunden, wird sie von einem geweihten Priester getragen.

Foto: Anja Bayer, 2008

Schwarze Gewebe, Besatzfragmente und Stickerei – Teile einer Albe? Auf beiden Rahmen sind zahlreiche schwarze Gewebereste zu sehen (Abb. 2 und 3). Sie sind durch Abbauprozesse im Boden verschwärzt und heute hauchdünn. Meist liegen sie mehrlagig vor und weisen scheinbar unterschiedliche Strukturen

Zeichnung: Anja Bayer, 2008.

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4 Augenfällig sind die Bortenfragmente auf Rahmen A. Hier das Fragment links unten, mit einem Goldbortenfragment. 5 Musterrekonstruktion der Köperborte.

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ehesten im Streiflicht zu erkennen. Ein unmittelbares Vergleichsbeispiel für diese Borte ist bislang nicht bekannt, sowohl technisch als auch von der Musterkomposition her steht sie vorläufig isoliert (Abb. 5). Die Borte zeigt im Wechsel ein pflanzliches Motiv – ein spiegelsymmetrisches Bäumchen, aus dem nach oben zu beiden Seiten eine Ranke herauswächst, die sich wiederum nach innen wendet und in einer Lilienblüte endet – und einen Vogel, der in stark verdrehter Haltung, mit den Füßen an der oberen Musterrandkante, im Bildstreifen hängt. Auf beiden laut Etikettierung der Kniegegend zuzuordnenden Fragmenten der Borte liegt je ein Fragment einer schmalen, sehr glänzenden Goldborte (Abb. 6, 7). Es handelt sich um ein Brettchengewebe mit einem in Gold gehaltenen Flechtmustermotiv. Technisch und motivisch vergleichbare Borten waren im Mittelalter weit verbreitet. Sie wurden beispielsweise in den Gräbern von Birka, im 9. und 10. Jahrhundert eine Handelsmetropole in der Nähe vom heutigen Stockholm, Schweden, als Verzierung von Kleidungsstücken gefunden.6 Andere Vergleichsbeispiele stammen aus jüngerer Zeit, z. B. zwei breitere Brettchenborten des 12. Jahrhunderts mit Flechtbandmotiv aus Grab 90 (»Bischof V«) aus dem Dom zu Speyer.7 Die beiden Reichenauer Borten können auf Grund ihrer Lage im Grab nur als Überreste einer liturgi-

auf, die aber auf Grund des unterschiedlich stark fortgeschrittenen Verfalls kaum fassbar und nicht mehr eindeutig verschiedenen Gewebequalitäten zuzuordnen sind. Sie könnten zu einem Gewand gehört haben, welches aus mehr als einem Gewebe genäht worden wäre, aber auch von Futter oder Untergewändern stammen. Manche Bereiche sind mit dicken roten Seidenfäden durchzogen, andere kleine Fragmente mit einer Bordüre aus Schlingstichen (»umfassende Verschlingstiche«)9 verziert, gestickt mit einem dünneren, rötlichen Seidenfaden. Die gleiche Schlingstichbordüre befindet sich auch an drei erhaltenen Seidengewebefragmenten in Samitbindung und sie liegt ohne Gewebezusammenhang in einzelnen längeren Streifen vor (Abb. 8). Mit Berücksichtigung des Grabungsberichtes lässt sich aus diesen Bestandteilen zumindest ein Gewandtyp rekonstruieren, und zwar, Sulzbergers Eindruck bestätigend, am ehesten eine Albe. Dieses Gewand wird traditionell aus weißem Leinen10 hergestellt, welches nur noch in Form der heute schwarzen, stark vergangenen Gewebereste nachweisbar ist. Die rote Schlingstichbordüre diente als zierende Nahtabdeckung, wie an einem Fragment schwarzen Gewebes auf Rahmen A gut erkennbar ist (Abb. 9), und sie rahmte einen Besatz aus einem kostbaren Samitgewebe (Abb. 10). Samite sind meist gemusterte Seidengewebe mit einem komplexen, zeit- und materialaufwendigen Herstel-

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THEMEN

Foto: Anja Bayer, 2008

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Zeichnung: Anja Bayer, 2008.

Wollgewebe mit Rautenmuster Auf Rahmen A und B sind mindestens fünf Fragmente eines rotbraunen Wollrautenköpers erhalten (Abb. 12 und 13). Die Wolle ist in ihrer Substanz zum Teil recht gut erhalten. Da sich allerdings sehr viele Insektenhüllen auf den meisten Geweberesten befinden, ist anzunehmen, dass große Teile des

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Zeichnung: Anja Bayer, 2008.

lungsprozess. Auch an den drei kleinen Fragmenten aus dem Grab Abt Bernos ist eine Musterung erkennbar – sie muss mindestens drei Farben aufgewiesen haben, ist aber mangels Größe der Fragmente leider nicht einmal mehr ansatzweise zu rekonstruieren. Der Besatz aus Samit wird unterhalb der Halsöffnung angebracht gewesen sein, zum Beispiel als Einfassung eines über die Brust herabreichenden Schlitzes. Die oben erwähnten Bereiche mit den dicken roten Seidenfäden wurden als Stickerei identifiziert. Es sind flächig nebeneinandergereihte, durch Konturfäden begrenzte Stichlinien erkennbar, die zusammen eine köperartige Oberflächenstruktur ergeben. Durch Konturfäden ist ein streifenförmiger Musterentwurf auszumachen, zirka 7,5 cm breit, mit Reihen von kreisförmigen Medaillons von etwa 4,5 bis 5,5 cm Durchmesser (Abb. 11). Etwaige Motive innerhalb der Medaillons sind heute nicht mehr erkennbar. Falls sie vorhanden waren, dürften sie in einem anderen, heute vergangenen Material gestickt worden sein. Diese streifenförmig angelegte Stickerei wurde an den Ärmelenden gefunden und diente am ehesten als Manschettenbesatz der Albe.11 Dass Abt Berno noch weitere Gewänder oder Gewandteile aus pflanzlicher Faser trug, wie z. B. ein Amikt oder auch Unterbekleidung, ist zu vermuten, aber leider an dem Erhaltenen in keiner Weise mehr zu rekonstruieren.

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6 Goldbortenfragment auf Kniehöhe der Köperdamastborte. 7 Musterrekonstruktion der goldenen Brettchenborte.

Foto: Anja Bayer, 2008

8 Schemazeichnung der Schlingstichbordüre. 9 Rahmen A, die Schlingstichbordüre verdeckte Gewandnähte …

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