Forum für Restauratoren, Konservatoren und Denkmalpfleger
KOSTÜME PRÄSENTIEREN
IM FOKUS: TEXTILIEN REINIGEN MIT AEROSOL
RISIKO BIOZIDBELASTUNG GROSSFORMATE TRANSPORTIEREN
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März 2012
Editorial
Fuchs Umwelttechnik
Pigmente & Farben Restaurierung Tradition
Materialien
Michael Harding Oil Colours
Ausstellung
Der Stoff der Vergangenheit In die schönsten, kostbarsten und leichtesten Kleider hüllt sich der eitle Monarch in Hans Christian Andersens Märchen »Des Kaisers neue Kleider«. Für viel Geld hatten ihm zwei Betrüger Gewänder angedreht, deren Pracht nur für denjenigen zu erkennen wäre, der nicht dumm sei. So tun Kaiser und Gefolge als würden sie sehen, was da nicht vorhanden ist und loben die herrlichen Muster und Farben über alle Maßen. Erst als ein kleines Kind die Wahrheit ausruft, fliegt der Schwindel auf: »Aber er hat ja gar nichts an!« Nicht nur von Leichtgläubigkeit und unkritischer Akzeptanz weiß Andersens Märchen zu berichten. Es nimmt auch das alte Hofzeremoniell aufs Korn, das nach opulenten Roben verlangte, um die Macht der Aristokraten unmissverständlich zur Schau zu stellen. Nur zu gerne greifen Inszenierungen dieses Märchens auf die Zeit des Barock zurück, in der das Spektakel, sich zu kleiden und selbst in Szene zu setzen, wohl einen unbestrittenen Höhepunkt hatte. So verselbständigten sich die Kleider im Barock und emanzipieren sich vom Körper, der unter körperformenden Teilen wie Korsetts und einer Fülle an Stoffen, Bändern und Schleifen verschwindet. Derart gewandet beeinflusste die Kleidung die Haltung und die Bewegungen ihrer Träger. Körper und Kleid waren eine untrennbare Einheit. Dies aber ist nicht nur dem Barock eigen. Über Jahrhunderte hinweg ließen sich Kunden ihre Kleidung nach eigenen Ideen auf den Körper schneidern. Sie dekorierten und formten ihre Körper, hoben deren Vorzüge hervor und kaschierten als Mangel empfundene Komponenten des Aussehens. Mit Stoffen vermittelten sie eine ästhetische Stimmung, drückten ein Lebensgefühl aus und setzten ein Zeichen. Selbst heute noch, nachdem die konfektionierte Mode den Markt weitgehend erobert hat, und Garderobe nicht mehr derart kostspielig ist, dass sie vererbt wird, ist Kleidung Ausdruck von Status und Charakter. Sie hat nicht nur wärmende und schützende Funktion, sondern dient auch der eigenen Reputation und wird nur so lange getragen, wie sie dem eigenen Prestige nützt. Alte wie neue Kleider können uns somit Geschichten erzählen. Sie sind Barometer für ästhetische und soziale Entwicklungen. Sie berichten von Eigenheiten des Trägers, allgemeinen Kleiderordnungen und Moden, sozialen und wirtschaftlichen Begebenheiten sowie kulturhistorischen und technischen Entwicklungen. All diese Dimensionen gilt es zu entschlüsseln und zu erhalten. All diese Dimensionen machen begreifbar, was Textilrestauratoren an ihrem Beruf fasziniert. Sie haben die wunderbare Gelegenheit, den »Stoff der Vergangenheit« in den Händen zu halten, ihm Geschichten zu entlocken und dafür zu sorgen, dass er für die Nachwelt erhalten und dem Museumsbesucher fachmännisch präsentiert wird. Ich bedanke mich bei den Textilrestautratorinnen, die diese RESTAURO mit so wunderbarem LeseStoff bereichert haben und die in enger Absprache untereinander und mit uns einen schon fast wortwörtlichen roten Faden durch dieses Heft gesponnen haben.
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Inhalt 20
Fertigung von Figurinen
restauro aktuell 3
Editorial
Blickpunkt 6 München, rück den Dürer raus! 6 Zweites Porträt in Schiele-Gemälde gedeutet 7 Digitales Cranach-Archiv online 7 Streichung von EU-Forschungsgeldern noch nicht vom Tisch 7 Unklare Sponsorenverträge gefährden Kolosseum-Restaurierung 7 Preisverleihung für e-Publication 8 Zurück in die Zukunft – eine europäische Forschungskooperation zu Romanzement 9 Tipps und Kniffe: Der Schmutztaschenspachtel 9 Kunstmuseum Bochum vor dem Aus Unterwegs 10 Die »Monumento 2012«. Rückblick auf eine Messepremiere in Salzburg
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Präsentation von Kostümen
restauro Im Fokus: Textilien Bettina Niekamp 12 Großformate ziehen um Der Transport spätantiker, unter Glas montierter Wandbehänge Elke Mürau und Carolin Muschel 20 Die Kunst der Präsentation Figurinen für die Kostüme in den Dauerausstellungen des Schweizerischen Nationalmuseums Beatrice Behlen und Christine Supianek-Chassay 28 Die Frage nach der richtigen Figur Neue Figurinen für die »Galleries of Modern London« Bettina Beisenkötter und Elke Michler 36 Figurinen und Unterkonstruktionen Neue Entwicklungen für Kostüme des 18.–20. Jahrhunderts
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Reinigung mit Aerosolnebel
Anke Grit Weidner, Heino Handelmann und Ines Zimmermann 44 Arsen in Spitzenhäubchen Biozideintrag an historischen Textilien Hilde Neugebauer, Julia Dummer und Britta Schwenck 53 Textilien im Nebel Über die Reinigung von Textilien im Aerosolnebel mit Unterdruck Angelina Klassen, Anne Sicken und Annemarie Stauffer 61 Von der Kaschmirwolle zur Polyurethansohle Projekte und neue Forschung an der Fachhochschule Köln im Studiengang »Textilien und Archäologische Fasern«
restauro rubriken 64 Termine + Ausstellungen 66 Vorschau 66 Stellenanzeigen 66 Impressum 4
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Inhalt 12
Über den Transport von Großformaten
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Zum Umgang mit biozidbelasteten Textilien
Titelbild Vorbereitungen zur Präsentation von Kostümen des 17. Jahrhunderts im Londoner Stadtmuseum. Foto: Museum of London Die in RESTAURO veröffentlichten Ansichten der Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen. Bildnachweis: Soweit nicht anders angegeben, stammen die Abbildungen von den Autoren.
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Forum für Restauratoren, Konservatoren und Denkmalpfleger 118. Jahrgang
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Für die Zukunft gestalten.
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Im Fokus: Textilien Ob schwarze Spitze, golddurchwirktes Kaschmir oder Wollteppiche – Textilien sind mehr als die Summe ihrer Fäden. Sie haben nicht nur den Zweck, Personen oder Flächen zu bekleiden, sondern auch eine kommunikative Funktion. Nicht umsonst sagt man: »Kleider machen Leute«.
Die Ansprüche an die Konservierung, Restaurierung und Präsentation sind folglich komplex. Eindrucksvoll zeigen dies die nachfolgenden Beispiele.
Foto/© Museum of London
Restauratoren sehen bei Textilien nicht nur die Ästhetik der Oberfläche, auch das »darunter« ist für sie wichtig, gerade wenn es um die Präsentation von textilen Objekten geht. Aufwändige Unterkonstruktionen müssen gefertigt und an die Objekte individuell angepasst werden.
Im Fokus: Textilien Bettina Niekamp
Großformate ziehen um Der Transport spätantiker, unter Glas montierter Wandbehänge1
Zwischen 2009 und 2011 wurde der Ausstellungsbereich der Abegg-Stiftung neu gestaltet. In diesem Zusammenhang sollten auch die großformatigen, unter Glas montierten Wandbehänge der Spätantike neu präsentiert werden. So waren vorab der Transport und die Zwischenlagerung der monumentalen, schweren textilen Kunstobjekte zu planen. Über die einzelnen Arbeitsschritte von der Demontage über den Transport bis hin zur Montage berichtet Bettina Niekamp.
1 Der Transport der großformatigen, verglasten Wandbehänge erforderte genaue Planung und präzises Vorgehen. Im Bild: Schrägstellung des Artemisbehangs für den Transport durch die Eingangstür, Arretierung durch einen Leistenaufbau.
Ausgangssituation 1967 erstmals für das Publikum geöffnet, beherbergt das Museum der Abegg-Stiftung neben einer hochrangigen Textilsammlung auch bedeutende Werke der angewandten Kunst, Malerei und Plastik. (Abb. 2–4) Die wachsende Sammlung textiler Kunstobjekte machte in den folgenden Jahrzehnten immer wieder eine Anpassung an die Platzansprüche notwendig. Zu den Höhepunkten der Sammlung gehören die einzigartigen, großformatigen Wandbehänge aus der Spätantike, die in das 4. bis 6. Jahrhundert datiert werden. Diese wurden größtenteils in den 1980er-Jahren angekauft und bestanden bei ihrem Erwerb aus dicht zusammengefalteten Bündeln brüchigen und verschmutzten Stoffs oder aus unzähligen textilen Fragmenten. In minutiöser Arbeit konnte das Textilkonservierungsatelier unter der damaligen Leitung von Mechthild Flury-Lemberg diese Kostbarkeiten rekonstruieren. Annähernd ihrer ursprünglichen Größe entsprechend präsentieren sie sich heute in Dimensionen von im Einzelfall über drei Metern Höhe und bis zu sieben Metern Breite.
Eben jene monumentalen Dimensionen erschwerten es, im Museum einen angemessenen Platz zu finden. Daher erfolgte die Präsentation in weit voneinander entfernten Ausstellungssälen. Die chronologische Abfolge der in der Dauerausstellung gezeigten Werke war deshalb nicht mehr gegeben, und die Einrichtung wurde zunehmend heterogen, auch, weil die abgeschlossenen Räume mit je eigener Farbigkeit oder Materialität ausgestattet waren. Die Konzeption der Ausstellung entsprach darüber hinaus nicht mehr dem heutigen Standard. Hinzu kamen Sachzwänge, wie z. B. veraltete elektrische Installationen oder die fehlende Flexibilität bei der Gestaltung von Ausstellungen. Diese Aspekte führten dazu, dass die Abegg-Stiftung im September 2006 einen offenen, einstufigen Projektwettbewerb zur Neugestaltung des Ausstellungsbereiches für Architekten und Innenarchitekten ausschrieb, einen Entwurf prämierte und diesen in den Jahren 2009 bis 2011 zur Ausführung brachte. Das Ende der Ausstellungssaison im November 2008 bedingte daher nicht nur den üblichen Abbau
Foto/© Abegg-Stiftung, CH-3132 Riggisberg
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Im Fokus: Textilien Elke Mürau und Carolin Muschel
Die Kunst der Präsentation Figurinen für die Kostüme in den Dauerausstellungen des Schweizerischen Nationalmuseums
Bei der Fertigung von Figurinen und der Montage von Kostümen sind zahlreiche Details zu beachten. Je nach Kostümsammlung, Gestaltungswünschen und Gegebenheiten vor Ort können die Arbeiten zeit- und kostenintensiv ausfallen. In jedem Fall bedürfen die Maßnahmen einer guten Vorbereitung. Das zeigen die Erfahrungen des Schweizerischen Nationalmuseums.
1 Aus Schnittteilen zusammenge fügter Nadelfilz, der zusätzlich mit Streifen aus Aluminium-Streckgitter versteift wurde.
Eine neue Dauerausstellung für Zürich Zum Nationalfeiertag am 1. August 2009 eröffnete das Landesmuseum in Zürich in seinem frisch sanierten Ruhmeshallen-Flügel unter dem Titel »Galerie Sammlungen« und »Geschichte Schweiz« zwei große Dauerausstellungen. Die Vorbereitungsphase für die Neupräsentation von rund 2 000 Exponaten war mit etwas mehr als einem Jahr sehr ambitiös. Dabei galt es, den unterschiedlichsten Objekten gerecht zu werden, nicht nur was Material, Form und Größe betraf, sondern vor allem auch bezüglich der konservatorischen Bedingungen und der geeigneten Präsentationsart. Beispielhaft werden nachfolgend die Produktion von Figurinen und die Montage von 30 Kostümen für die Dauerausstellungen aufgezeigt, die zu den zeit- und kostenintensivsten Arbeiten während der Vorbereitung zählten. Die detaillierten Beschreibungen zur Herstellungstechnik liefern wichtige Informationen, worauf es bei der Fertigung von Figurinen zu achten galt.
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Foto/© Textilatelier, Schweizerisches Nationalmuseum
2 Abformungen von verschiedenen Silhouetten aus diversen Materialien; von li. nach re.: Leinengewebe mit Acrylkleber, Baumwolltrikot mit Weizenstärkekleister, Leinengewebe, schwarz mit Weizenstärkekleister, und 2x Leinen gewebe mit Weizenstärkekleister.
Foto/© Textilatelier, Schweizerisches Nationalmuseum
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Im Fokus: Textilien Beatrice Behlen und Christine Supianek-Chassay
Die Frage nach der richtigen Figur Neue Figurinen für die »Galleries of Modern London«
Die Neupräsentation von Kostümen des 17. Jahrhunderts bis heute stellte die Mitarbeiter des Stadtmuseums London vor eine große Herausforderung. Das umfangreiche Textilprojekt erforderte eine genaue Planung, viel Vorstellungsvermögen und eine intensive Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten. Nach zwei Jahren Arbeit sind die Kostüme nun auf Figurinen zu bewundern, die sowohl gestalterischen als auch konservatorischen Ansprüchen genügen.
1 Die Lustgarten Figurinen vor der Installation. Hüte und Masken von Philip Treacy, Kupferperücken von Yasemen Hussein.
Eine neue Ausstellung für London Nach dem mehrjährigen Umbau und der Erweiterung der Ausstellungsfläche öffnete die neu gestaltete Dauerausstellung »Galleries of Modern London« des Londoner Stadtmuseums im Frühjahr 2010 wieder ihre Pforten – mit großem Erfolg. Bunt gemischte Objekte aller Materialgruppen vermitteln hier Londoner Stadtgeschichte der Zeitspanne 1666 bis zur Gegenwart. Die verschiedenen Ausstellungsbereiche sind in zeitliche Abschnitte gegliedert: »Expanding City 1666–1850«, »People’s City 1850–1940«, »World City 1950– Presence« und »The City Gallery«. Präsentiert werden insgesamt 300 textile Objekte, darunter 60 Kostüme, die Schlüsselobjekte der einzelnen Ausstellungsbereiche darstellen.1 Nachfolgend berichten die Autorinnen über die praktische, gestalterische und kunsthistorische Umsetzung der Präsentation dieser Kostüme, bei
der ein Team von Kuratoren, Designern, Restauratoren und Projektmanagern des Museums zusammenarbeitete. Neues Leben für den Lustgarten – das Konzept aus Sicht der Kuratorin Spätestens infolge der Giorgio-Armani-Ausstellung in der Royal Academy of Arts in London 2003–042 verbreitete sich in England die Mode, sogenannte »cut-outs« (ausgeschnittene Figurinen) für die Ausstellung von Kleidung zu verwenden. Diese waren auch für die 60 kompletten Outfits der »Galleries of Modern London« vorgesehen. Ein Ausstellungsbereich, der den Londoner »Pleasure Gardens« gewidmet ist, sollte 16 Kleidungsobjekte aus der Mitte des 18. bis Mitte des 19. Jahrhunderts in zwei gegenüberliegenden Raumvitrinen beherbergen. Dieser museale Lustgarten sollte eine eher emotionale als intellektuel-
Foto/© Museum of London
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Im Fokus: Textilien Anke Grit Weidner, Heino Handelmann und Ines Zimmermann
Arsen in Spitzenhäubchen Biozideintrag an historischen Textilien
Über die Hälfte der textilen Kulturgüter in Deutschland ist offensichtlich mit gesundheitsgefährdenden Bioziden kontaminiert. Dies hat Auswirkungen auf alle Arbeitsbereiche. Museen sind daher in der Pflicht, Schutzmaßnahmen zu ergreifen, Belastungen zu ermitteln und nicht zuletzt auch dekontaminierende Maßnahmen einzuleiten.
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1 Hausfrau in den 1940er-Jahren beim Besprühen einer Uniform mit einem DDT-haltigen Mittel.
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Der Klassiker: Problem erkannt, was tun? Optimisten sagen, es gäbe für alles eine Lösung. Der Filmklassiker Arsen und Spitzenhäubchen empfiehlt: »Ich hole meine Leichen vom Boden runter und Sie holen Ihre Leichen aus dem Keller rauf. Dann stecken wir sie alle in ein Taxi und fahren sie zusammen nach Seelenfrieden raus.«1 Konservatorisches Problemmanagement ist diffiziler. Mit der Vorstellung von Restauratoren, die im heimischen Atelier oder in den Werkstätten großer Sammlungen qualifiziert und in langwieriger Handarbeit den Kunstschätzen des Landes zum »ewigen Leben« verhelfen, sind wir vertraut. Im Schein einer mehr oder minder teuren Arbeitslampe sind sie dabei mit der Nase ganz nah dran – an der materialisierten Geschichte und an ihren Ewigkeitshelfern. Eine Reihe von Substanzen werden zum
Teil bereits von Alters her benutzt, um Schädlingen das Leben auszuhauchen oder Fäulnis- und Schimmelbefall einzudämmen. Die vielfach aus organischen Grundmaterialien bestehenden historischen Textilien bilden da keine Ausnahme. In der Spanne vom Küchentisch bis zum musealen Arbeitsplatz bedeutet der Einsatz von Bioziden in früherer Zeit für die heutige Generation: Arbeiten in kontaminierten Bereichen nach den Regelwerken BGR 1282 und TRGS 5243. Wie gehen wir mit dem Arsen in unseren Spitzenhäubchen um? Viele der im Kulturgüterschutz Tätigen sehen sich neuen Herausforderungen gegenüber: Kontaminierte Objekte sind quasi alte Bekannte, aber das Thema wird erst heute in neuer Dimension wahrgenommen. Langjährige eigene Erfahrungen bei der Betreuung von Sammlungen mit unterschiedlichstem textilem Kulturgut (z. B. Paramente, Wand- und Bodenteppiche, europäische und außereuropäische Kleidung sowie Accessoires, Uniformen und Militaria mit textilen und ledernen Anteilen, Gewebesammlungen, Gebrauchstextilien u. a.) untermauern wissenschaftliche Schätzungen: Zwischen 50 % und 70 % des Bestandes wurden in der Vergangenheit mit bioziden Wirkstoffen behandelt. Die hochtoxischen Biozide, die noch heute als Altlast im Abstand mehrerer Jahrzehnte in Kulturgütern nachgewiesen werden, gehörten bis in die 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts in Museen und in der Denkmalpflege – wie in vielen anderen Lebensbereichen auch – zu den Standards bei der Schädlingsbekämpfung. Eine Werbeaufnahme für DDT-haltige Produkte aus den 1940er-Jahren zeigt die damals zeitgemäße Biozidanwendung im Haushalt mittels Sprühverfahren. (Abb. 1) Bei einer Anfang des 21. Jahrhunderts durchgeführten Umfrage an 122 deutschen Museen mit einer Rücklaufquote von 86 Museen wurde hochgerechnet, dass in Deutschland ca. 282 000 textile Objekte mit Bioziden verseucht sind. Allein am Germanischen Nationalmuseum Nürnberg sind schätzungsweise 13 000 historische Textilien betroffen. Dies entspricht ca. 50 % dieses Sammlungsbereiches.4 Der Bestand an kontaminierten Objekten am Ethnologischen Museum Berlin wur2/2012
Im Fokus: Textilien Hilde Neugebauer, Julia Dummer und Britta Schwenck
Textilien im Nebel Über die Reinigung von Textilien im Aerosolnebel mit Unterdruck
Die Nassreinigung von historischen Textilien kann zu sehr guten Ergebnissen führen, jedoch birgt sie auch Risiken. Wenn fragile Textilien beim Waschen oder Trocknen bewegt werden müssen, kann es zu gravierenden Schäden kommen. Eine im Schloss Schönbrunn in Wien installierte Aerosolanlage vermeidet diese mechanischen Belastungen. Hier sorgt der Einsatz von Aerosolnebel und Unterdruck für eine schonende Reinigung großformatiger Textilobjekte.
Foto/© Hilde Neugebauer
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Generelle Schwierigkeiten bei Nassreinigungen Im Vorfeld einer Nassreinigung von großformatigen, historischen Textilien stellt sich die Frage, ob das Textil den Risiken einer solchen Maßnahme unter Einsatz des Lösungsmittels Wasser ausgesetzt werden kann. Bisher wurden großformatige Textilien bei einer Nassreinigung meist in großen Becken, dabei teils auf Rahmen gelegt, gewaschen. Eine solche Nassreinigung kann zu einem sehr guten Reinigungsergebnis führen – jedoch kann sie für die meist stark durch Alterung und Gebrauch geprägten Textilien auch große Gefahren bergen. Gerade großformatige Textilien sind aufgrund ihrer Maße schwierig zu handhaben. Jedes Bewegen führt während des Reinigungs- und Trocknungsprozesses partiell zu einer starken Zugbelastung. An den im nassen Zustand besonders fragilen Geweben kann eine solche Zugbelastung zu gravierenden Schäden führen, im Extremfall können Risse entstehen. Darüber hinaus kann es verstärkt durch eine Quellung der Fasern zu einem Ausbluten der Farbstoffe und einer Hydrolyse der Fasern kommen. Insbesondere das Ausbluten von 2/2012
Farbstoffen ist während des oft langwierigen Trocknungsprozesses ein ernst zu nehmendes Problem. Eine Alternative – die Aerosolanlage mit großer Unterdruckfläche Eine Alternative zur konventionellen Nassreinigung stellt die Behandlung in einer Aerosolanlage mit einer großen Unterdruckfläche dar. Eine solche Anlage gibt es seit 2007 erstmals in Österreich in Wien Schönbrunn. (Abb. 1) Flach auslegbare großformatige Textilien wie z. B. Tapisserien, Teppiche oder auch Fensterbehänge werden hier schonend gereinigt. Während der gesamten Nassreinigung und Trocknung liegen die Textilien flach auf einem engmaschigen Edelstahlsieb und müssen nicht bewegt werden. Auf dem Edelstahlsieb ist eine Zusatzschicht eines pH-neutralen Ethafoam1 aufgelegt, um für einen über die Fläche möglichst gleichmäßig verteilten Unterdruck zu erreichen. Die nicht belegten Bereiche der Unterdruckfläche werden hermetisch mit Folie abgedeckt, um ausreichend Unterdruck zu erzeugen. In einer Kammer unterhalb des Siebes wird – ent-
1 Gesamtansicht der Aerosolanlage in Schloss Schönnbrunn, Wien. Hier lassen sich vor allem flach auslegbare Textilien reinigen.
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Im Fokus: Textilien Angelina Klassen, Anne Sicken und Annemarie Stauffer
Von der Kaschmirwolle zur Polyurethansohle Projekte und neue Forschung an der Fachhochschule Köln im Studiengang »Textilien und Archäologische Fasern«
Vor 15 Jahren wurde der Studiengang Restaurierung/Konservierung von Textilien durch den Schwerpunkt »Archäologische Fasern« erweitert und gleichzeitig das »Zentrum zur Erforschung antiker und mittelalterlicher Textilien« ins Leben gerufen. Hierdurch ergab sich in Köln die Möglich keit, auch archäologische Textilien systematisch zu identifizieren und zu erforschen, Datenbanken aufzubauen und Methoden zu ihrer Konservierung zu entwickeln und zu überprüfen. Seither konn ten zahlreiche bedeutende archäologische Funde bearbeitet werden.
Foto/© FH-Köln, Studienrichtung TAF.
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1 Seit einigen Jahren ergänzen digi tale Hilfsmittel wie beispielsweise das digitale Auflichtmikroskop oder Digitalkameras, die direkt an die Durchlichtmikroskope angeschlos sen werden können, die schon län ger erfolgreich eingesetzte Raster elektronenmikroskopie. So ist heute eine viel präzisere Erfassung von z. B. Strukturen, Bindungen und Schadensbildern möglich. Im Bild: Studierende und Lehrende werten gemeinsam Untersuchungsergeb nisse aus. 2 Aktuelle Untersuchungen an der FH Köln ergaben auch ungewöhn liche Materialien, wie diese Gold wirkerei aus einem römischen Sarkophag (Grabung in Weilers wist/Klein-Vernich). 2
Foto/© Annemarie Stauffer, Köln
Studienprojekte Seit einigen Jahren rücken auch Textilien, moderne Faser- und Werkstoffe und Bekleidung des 20. und 21. Jahrhunderts immer stärker ins Blickfeld von Textilrestauratoren. Objekte aus Kunststoff und andere Materialien der Moderne haben nicht nur in der Mode, sondern in vielen Bereichen der industriellen Produktion und nicht zuletzt in der Kunst Einzug gehalten. Mit den archäologischen Funden verbindet sie oft der stark fortgeschrittene Zerfallsprozess und der dadurch akute Handlungsbedarf. Mit diesem breiten Materialspektrum – von der Antike bis in die Gegenwart – befasst sich der Kölner Studiengang »Textilien und Archäologische Fasern«. Dabei untersuchen die Studierenden die Materialien, analysieren die Schadensbilder und entwickeln Maßnahmenkonzepte. (Abb. 1) Identifizierung antiker Fasermaterialien Eine Anzahl sehr bedeutender archäologischer Zeugnisse hat in den letzten Jahren ihren Weg nach Köln gefunden. Dazu zählen Goldstoffe und 2/2012
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