Restauro 03 2012

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Forum für Restauratoren, Konservatoren und Denkmalpfleger

Höfisches Mobiliar Unter der Lupe Historische Quecksilberspiegel Schadstoffen auf der Spur Stuck – erforscht und Restauriert

www.restauro.de

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April/Mai 2012


Editorial

Fuchs Umwelttechnik

Pigmente & Farben Restaurierung Tradition

Materialien

Michael Harding Oil Colours

Ausstellung

Mehr als andere Fächer muss die Restaurierung einen Spagat vollziehen. Sie muss sich in alle Richtungen strecken und die eigenen technologischen und handwerklichen Kenntnisse mit naturwissenschaftlicher Analytik, (kunst-)historischer Methodik und den Gegebenheiten des Artefakts in Einklang bringen. Als jüngste Disziplin nimmt die Restaurierung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften somit eine Sonderstellung ein. Sie agiert zwischen den Berufen und leistet einen wesentlichen Beitrag dazu, Historie, Material und Technologie von Kunst- und Kulturgütern zu entschlüsseln. Deshalb wird (vor allem in Ausbildung und Forschung) immer wieder die Bedeutung des interdisziplinären Arbeitens betont. Befragt man allerdings Restauratoren, so bleibt die Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen (besonders in der freiberuflichen Praxis) oft ein Desideratum. Warum aber gelingt der Spagat zwischen den Berufen nicht? Vielleicht lässt sich diese Frage damit beantworten, dass Restauratoren sich selbst anders wahrnehmen als es die Außenwelt in der Regel tut. In der Psychologie nennt man das »kognitive Dissonanz«: Innen- und Außenwahrnehmung stimmen nicht überein. Der Restaurator sieht sich als Wissenschaftler mit handwerklichem Anteil, der Außenstehende jedoch verkennt ihn häufig als rein ausführenden Handwerker (was nebenbei bemerkt sein soziales Ansehen und auch sein Portemonnaie schmälert). Das ist ein zentrales Problem. Der Restaurator ist gezwungen, sich wieder und wieder zu erklären, was ihm ein überdurchschnittliches Maß an Optimismus und Idealismus abverlangt – und vielleicht auch dazu führt, dass Restauratoren in vielen Fällen lieber unter sich und in der Expertennische bleiben.

CalXnova Temart Hochschule Konservierung Gregomatic Leuchten seit 1880 Lascaux Forschung

Arbeitsschutz

Archivierung

Atelier Depot Transport Innovation

Fachliteratur

Werkzeuge

Ottosson Leinölfarben

Denkmalpflege

Geräte

Willard

Fachgroßhandel

Kulturgüter

Vergoldung Klima

Pinsel & Bürsten Kunst braucht Schutz

Sich zu vernetzen, ist jedoch entscheidend. Nur so kann der Restaurator die Außenwahrnehmung ändern. Dabei darf und muss er sogar ganz selbstbewusst die eigenen Stärken betonen. Niemand sonst kann schließlich Artefakte so lesen wie er. Wie ein Forensiker oder sogenannte »Gestenleser« des FBI weiß der Restaurator kleinste Details zu deuten, die anderen verborgen bleiben. Über Jahre hinweg hat er sich einen Instinkt antrainiert, der es ihm erlaubt, die richtigen Fragen zu stellen und so dem Artefakt die vielleicht letzten Geheimnisse zu entlocken. Und er hat noch eine weitere Gabe: »Der Restaurator hat anderen Wissenschaftlern das Handwerk voraus.« (S. 56) Er verbindet somit geistige und körperliche Fähigkeiten miteinander – und das ist einzigartig. Liebe Leserinnen und Leser, es lohnt sich den Spagat zu wagen und interdisziplinär zu ­arbeiten. Im vorliegenden Heft finden Sie hierzu einige Anregungen. Lassen Sie sich inspirieren! Ihre

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Inhalt 51

Inhalt

Stuckrestaurierung im Wandel

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restauro aktuell  3

Interview in der Restaurierungswerkstatt

Editorial

Blickpunkt  6 Die zweite Mona Lisa  6 Kurz und Bündig. Meldungen auf einen Blick  7 Diskussion um höhere Mehrwertsteuer auf Kunst  7 Neues Klima für die Kunsthalle Mannheim

Foto/© Roger Kossann

Foto/© BDA Mauerbacht

Nachgefragt  8 »Früher wurde das Möbelstück abgeholt, restauriert, ausgeliefert und bezahlt. Heute ist es komplizierter.« Interview mit Roger Kossann Leserbrief 11 Nachkriegs-Sgraffiti gesucht 12 Handwerk oder Wissenschaft?

restauro Themen 12

Carola Klinzmann und Brigitte Hartmann Mit fremden Federn Technologie, Schäden und Restaurierung an der Pfauenfederkommode

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Anne Denk Untersuchungen zu Holzausstattungen in der Residenz Ansbach Ein restauratorischer Beitrag zur kunsthistorischen Provenienzforschung

Manfred Torge, Sonja Krug, Michael Bücker, Ines Feldmann, Holger Scharf, Heike Witthuhn und Christoph Sander Flüchtiges Quecksilber Emission von Quecksilber aus historischen Zinnamalgamspiegeln

Foto/© Michael Wihart

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Foto/© A. Hensmanns, mhk

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Geschmückt mit fremden Federn

Katharina Wiegner, Matthias Farke, Wolfgang Horn, Oliver Jann und Oliver Hahn 38 Den Schadstoffen auf der Spur Die Bewertung von Emissionen aus Materialien für Museumsausstattungen mithilfe des neuen BEMMA-Schemas

Foto/© Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg/ Fotograf: Heike Witthuhn, BAM

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Der Blick hinter den Spiegel

Ute Klatt 45 Eine Datenbank für den Museumsalltag Neuerungen im Römisch-Germanischen Zentralmuseum Mainz 50

Titelbild Detail der reich verzierten Pfauenfederkommode aus Schloss Wilhelmsthal bei Kassel. Foto/© Carola Klinzmann

Astrid M. Huber Stuckrestaurierung in Österreich Das Beispiel der Kartause Mauerbach

Hiltrud Schinzel 56 »Schweigendes Wissen« und Kommunikation Teil 1: Gedanken über ein Fachgebiet im Wandel

Die in RESTAURO veröffentlichten Ansichten der Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen. Bildnachweis: Soweit nicht anders angegeben, stammen die Abbildungen von den Autoren.

restauro rubriken

Besondere Pigmente für Besondere KunstwerKe www.kremer- pigmente.de

Forum für Restauratoren, Konservatoren und

64 Termine + Ausstellungen 66 Vorschau

66 Stellenanzeigen 66 Impressum

Denkmalpfleger 118. Jahrgang

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3/2012

Für die Zukunft gestalten.

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Blickpunkt

Blickpunkt Diskussion um höhere Mehrwertsteuer auf Kunst

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Ende Februar forderte die EU-Kommission von Deutschland, den Mehrwertsteuersatz auf Kunst- und Sammlungsgegenstände entsprechend der EU-Vorgaben von 7 auf 19 % zu erhöhen. Galerien, Händler und Käufer hätten damit die Wahl zwischen höheren Preisen oder sinkendem Umsatz. Da gerade Galerien die Künstler meist am Umsatz beteiligen, würde sich auch deren Einnahmesituation verschlechtern. Folgt Deutschland dieser Forderung nicht binnen zwei Monaten, droht die Kommission mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Die Bundesregierung ist an einer Erhöhung des Steuersatzes allerdings nicht interessiert und arbeitet mit der EU-Kommission an einer entsprechenden Lösung.

Fotos/© Madrid, Museo Nacional del Prado

statt 7 ?

Schweinsleder

pflanzlich gegerbt, naturfarbig zum Einfärben, oder gefärbt in mehreren Tönen, alaun-gegerbt weiß.

Rindleder

pflanzlich gegerbt, naturfarbig, auf Wunsch mit Aluminium-Nachgerbung.

ms

Schafleder

pflanzlich gegerbt, naturfarbig zum Einfärben oder anilin-gefärbt bzw. marmoriert in großer Farbauswahl.

Kalbpergament

a­ ndere Gemälde der Leonardo-Werkstatt nachgewiesen. Die Summe der erlangten Erkenntnisse lässt den Schluss zu, dass die Kopie in der Werkstatt Leonardos selbst ausgeführt worden sein muss. Wer genau die Kopie fertigte, ist bislang unklar. Die ersten Spuren führen in das Mailänder Umfeld um Salai (1480–1524) oder zu Francesco Melzi (1493–1572/73) – zwei Schüler, die Leonardo nahe standen. Nach der zwischen Juni 2011 und Februar 2012 ausgeführten Restaurierung, bei der das Gemälde gereinigt und die schwarze Übermalung mit organischen Lösemitteln abgenommen wurde, ist die ausgesprochen gut erhaltene Landschaftsmalerei wieder zum Vorschein ­gekommen. Wenngleich die Kopie nicht an die künstlerische Qualität Leonardos heranreicht (die Pinselführung ist kompakter und eher linear), sind die Gestaltung des Kleides, die Position des Stuhls und die Details der Landschaftsmalerei viel deutlicher zu erkennen als im Original. In diesem Detailreichtum liegt auch die besondere Bedeutung dieser »zweiten Mona Lisa«. Sie liefert wertvolle Informationen zur Arbeitsweise der Da Vinci-Werkstatt. pb

Kurz und Bündig +++ Ab dem 1. April schafft die KfW mit dem »Effizienzhaus Denkmal« ein eigenes Fördersegment für die energetische Sanierung von historischen Gebäuden. +++ Am 1. September beginnt das Freiwillige Jahr in der Denkmalpflege in den Jugendbauhütten der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. (www. denkmalschutz.de) +++ Am 20. Mai ist der internationale Museumstag 2012. (www.museumstag.de) +++ Eigentümer von historischen Bauten können ihre Denkmale ab sofort zum Tag des offenen Denkmals am 9. September anmelden. +++ In einer großen Unterschriftenkampagne fordern Handwerker, Kleinunternehmer und Mittelständler Sonderkredite beim Bund ein. (www.foerderung-fuer-leistung.de) +++ Für junge innovative Unternehmer bietet sich die Gelegenheit, Fördermittel für einen Messeauftritt auf der denkmal 2012 zu erhalten. Bewerbungen sind bis zum ­ 26. September unter www.denkmal-leipzig.de möglich. +++

In voller Länge auf www.restauro.de

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Kalbleder

pflanzlich gegerbt, naturfarbig zum Einfärben oder anilin-gefärbt in großer Farbauswahl. Auf Wunsch mit Aluminium-Nachgerbung. Alaun-gegerbt weiß.

Ziegenleder

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Neues Klima für die Kunsthalle Mannheim Nach der Generalsanierung des Billing-Baus der Kunsthalle Mannheim gilt dort nun ein neues Klimakonzept. Die bisherigen Klimastandards ließen, wie allgemein üblich, nur einen engen Klimakorridor zu, der das gesamte Jahr über gleich blieb. Dabei ist es kaum möglich, aufgrund der Materialvielfalt der Objekte ein »perfektes« Museumsklima zu definieren. Das neue Konzept schafft nun ein saisonal gleitendes Klima. Die Innentemperatur wird, je nach Jahreszeit, zwischen 20 und 24 °C betragen. Dafür sind die Kurzzeitschwankungen der Luftfeuchtigkeit und der Temperatur über den Tag hinweg auf ein Minimum reduziert. Diese kurzfristigen Schwankungen bergen ein höheres Schadenspotential, selbst wenn kritische Grenzwerte dabei nicht überschritten werden. Die neue Klimatisierung in Mannheim wird so weit wie möglich durch die Gebäudehülle abgewickelt, also durch eine effektive Dämmung oder Verglasung. So vermeidet man auch den Einbau großer Klimaanlagen, was die Substanz des denkmalgeschützten Gebäudes schont. Gleichzeitig ist der verringerte Energieaufwand ökologisch sinnvoll und reduziert die Kosten der Klimatisierung. ms

Foto/© Cem Yücetas/ Kunsthalle Mannheim

Die Erforschung einer Kopie der Mona Lisa im Prado Madrid erbrachte eine Sensation: Das Gemälde ist nicht nur eine von vielen Kopien. Ein Schüler oder Anhänger Leonardo Da Vincis muss es in etwa zeitgleich mit dem Original gemalt haben. Als »Nachahmung flämischer Schule« hing das Gemälde jahrelang in den Ausstellungsräumen des Prado – ohne viel Aufsehen zu ­erregen. Erst als es anlässlich der aktuell laufenden Da-Vinci-Ausstellung untersucht wurde, erwies sich die Zuordnung als falsch. Die Infrarotreflektografie und Betrachtung der Gemäldeoberfläche im Streiflicht zeigten, dass der Frauenkopf ursprünglich nicht schwarz umrahmt war, sondern der Bildhintergrund die deckungsgleiche Komposition aufweist wie die echte Mona Lisa aus dem Pariser Louvre. Erst nach 1750, so die chemischen Analysen, wurde der schwarze Hintergrund aufgetragen. Damit noch nicht genug: Der Vergleich der Infrarotaufnahmen von Kopie und Original beweist auch, dass die Vorzeichnungen dieselben Korrekturen und Veränderungen von Aus-

schnitt, Schleier, Fingerhaltung und anderen Details aufweisen. Dies legt nahe, dass hier ein Schüler von seinem Meister lernte. Denn üblicherweise hätte ein Kopist das Werk so wiedergegeben, wie er es vollendet aufgefunden hätte. Dieser Kopist aber hat parallel ­verbessert. Er muss während des laufenden Malprozesses unmittelbaren Zugang zum Werk gehabt haben. Weiterführende Untersuchungen stützen diese Vermutung. So konnte das Untersuchungsteam um Ana González Mozo den hölzernen Bildträger auf Anfang des 16. Jahrhunderts datieren. Richtungweisend war die Erkenntnis, dass das Gemälde nicht, wie zuvor angenommen, auf eine Eichenholztafel, sondern auf dünnes Walnussholz gemalt worden ist, welches Leonardo und seine Werkstatt auch für andere kleinformatige Werke verwendeten, wie z. B. für die »Dame mit Hermelin« und »Johannes den Täufer«. Zudem wurde die Holztafel des Gemäldes aus dem Prado nicht mit einem klassischen Kreidegrund auf den Malprozess vorbereitet, sondern mit einer doppelten Schicht aus Bleiweiß und Leinöl. Diese eher ungewöhnliche Art der Grundierung ist auch für zahlreiche

Leder und Pergamente für die Restaurierung

pflanzlich gegerbt, naturfarbig zum Einfärben, alaun-gegerbt weiß. Für normale Buchbinder-Arbeiten: Oasenziegen, Maroquins, Madras-Ziegen, Saffiane.

Hinter der schwarzen Übermalung der »La Gioconda« aus dem Prado Madrid verbarg sich ein Geheimnis, das unlängst gelüftet werden konnte. (V. li. n.re.: Vor, während und nach der Restaurierung)

Die zweite Mona Lisa

D-70174 Stuttgart · Theodor-Heuss-Straße 34a Tel. 0711/297883 · Fax 0711/2261875 www.anton-glaser.de · e-mail:anton-glaser@t-online.de

weiß, antik, geadert oder transparent, dünn und geschmeidig, Rückseite geschliffen (für die Handschriften-Restaurierung auch beidseitig geschliffen).

Ziegenpergament

weiß, natur oder antik, dünn und geschmeidig, rückseitig oder beidseitig geschliffen.

Lammpergament

rein weiß, sehr dünn zugerichtet, speziell als Schreibpergament geeignet.

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Die Spiegelrasterverglasung der neuen Dachkonstruktion lässt diffuses Licht hindurch, direkte Sonneneinstrahlung hingegen reflektiert sie. So heizt sich der darunter liegende Raum nicht auf.

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Herco Anreicherungssystem für die Buchrestauration

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Themen

Themen Carola Klinzmann und Brigitte Hartmann

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Schürze. Auf den geschweiften Flächen sind vergoldete Beschläge in Form von Laubranken und Blüten angebracht. Die profilierte Platte ist aus einem leicht geaderten grau-blauen Marmor. Frühere Untersuchungen und Maßnahmen Durch die Zusammenlegung der Schlösser in Kassel mit den Staatlichen Museen zur Museumslandschaft Hessen Kassel (mhk) gelangte das Projekt 2006 in die Zuständigkeit der Möbelrestaurierung der mhk. Bereits 1982 begann die Verwaltung der Schlösser und Gärten Hessen in Bad Homburg mit den ersten Untersuchungen dieser einzigartigen Technik der Möbelverzierung. Es erfolgte eine Schadensanalyse und die Zustandskar-

Foto/© mkk/A. Hensmanns

Basisdaten zur Pfauenfederkommode

1 Gesamtansicht der sog. Pfauen­ federkommode vor der Restaurie­ rung. Der Zustand war desolat: Es zeigten sich großflächige Ab­ lösungen der Applikationen sowie mehrfache Überarbeitungen. (Auf der Abbildung sind die Be­ schläge und die Deckplatte in Vor­ bereitung auf die Maßnahmen bereits demontiert.)

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Einführung Zwischen 1747 und 1761 ließ Landgraf Wilhelm VIII. von Hessen-Kassel Schloss Wilhelmsthal in Calden bei Kassel als Dreiflügelanlage nach Entwürfen des Münchner Hofarchitekten François de Cuvilliés errichten. Die Innengestaltung des Rokoko­ schlosses übernahm der Bildhauer Johann August Nahl, der zuvor auch für das Potsdamer Schloss Sanssouci tätig war. Bis heute sind zahlreiche dieser Ausstattungsstücke erhalten geblieben, darunter auch eine Kommode, die ihren Namen ihrem prachtvollen Dekor verdankt: die sogenannte Pfauenfederkommode. Die Kommode (Abb. 1 und 16) mit zwei Schubladen steht auf vier geschweiften, schlanken Beinen, die direkt in den gebauchten Korpus übergehen. Die Vorderzarge der drei mit Silber und Perlmutt geschmückten Schauseiten zeigt mittig eine

§§ Maße: Korpus (ohne Marmorplatte) Höhe 87,3 cm, Breite: 94 cm, Tiefe: ca. 50 cm §§ Verwendete Materialien: Korpus: Erle, Buche, Ulme, Nussbaum, Eiche, Nadelholz Dekor: Perlmutt (Stärke 0,13–0,25 mm), glatter Wuchs, wahrscheinlich von einer Muschel ohne Farbeinlagerung, teilweise transparentKlebemittel: Mehrere Schichten verschiedener Mischungen aus Grünspan in verschiedenen Sorten und Korngrößen, Bleiweiß, (Lein-)ÖlHarz-Firnis auf Kolophonium-Basis, in Terpentinöl gelöst Silberfolien: (ca. 0,085–0,135 mm Stärke), 93 % Silber, 4–6 % Blei und 1 % Kupfer1 Klebemittel: Bleiweiß, Gemisch künstlich erzeugter Kupferpigmente verschiedener Korngröße und -farbe, (Lein-)Öl mit Anteilen von Terpenharzen in 3 Lagen §§ Beschläge: Messing: Kupferanteil ~72 %, Zink bis zu 23 %,2 feuervergoldet, Reste eines roten Überzuges Schlösser, Schrauben: Eisen, nicht analysiert §§ Marmorplatte, grau-blau: Stärke: 3 cm, Carrara (Bardiglio bleu fleuris3)

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2 Innenansicht des Möbels: Zu sehen sind die Laufleisten, bei denen die Baumrinde mitverarbeitet wurde, sowie dunkle Lagerungsspuren an der hölzernen Rückwandinnenseite. 2

Foto/© mhk, A. Hensmanns

Nach 30 Jahren wird die sogenannte Pfauenfederkommode aus dem 18. Jahrhundert wieder an ihrem ursprünglichen Platz im Schloss Wilhelmsthal bei Kassel zu sehen sein. Eine ungewöhn­liche Technik ziert die Oberfläche des prachtvollen Möbels: Ein Rapport von in Pfauenfederform gepräg­ ten Silberfolienpaaren umrahmen grün unterlegtes Perlmutt.

Konstruktion und Aufbau Die Kommode besteht aus einer einfachen Kons­ truktion. Sechs Holzarten4 kamen zum Einsatz: ­Erle, Buche, Ulme, Nussbaum, Eiche und Nadelholz. Die Beine bestehen aus Erlenholz, die Innenböden aus Nadelholz. Das für die Seiten der Schubladen verwendete Eichenholz stammt aus Westdeutschland und wurde der denrochronologischen Untersuchung zufolge 1713 gefällt.5 Die Rückwand und der obere Boden bestehen aus e ­ iner Rahmen- und Füllungskonstruktion, welche teilweise auch nur als Blendwerk gearbeitet ist. Die Seiten sind stumpf verleimt, die Beine sind eingenutet.

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3 Auf der Korpusfassung der Vorder­ seite sind Abdrücke eines Gewebes zu erkennen, deren Zweck unklar ist.

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Foto/© C. Klinzmann

Technologie, Schäden und Restaurierung an der Pfauenfederkommode

technik auf den Grund gehen. Im Folgenden werden die neuen Erkenntnisse zur Entstehung und Überarbeitung des Möbels dargelegt.

tierung. Klebeversuche mit diversen Bindemitteln wie Harzen, Glutinleimen und Kunstharzen erbrachten damals keine zufriedenstellende Lösung. Die Beschläge wurden abgenommen und 53 Fehlstellen mit Perlmutt ergänzt. Die wissenschaftliche Volontärin Kerstin Zaschke erarbeitete 1992 eine unveröffentlichte Abhandlung zu dem Möbel. 2004 kam die Kommode im Rahmen einer ­Diplomarbeit an die TU nach München. Marlies Dörhöfer untersuchte die Technik und die verwendeten Materialien. Das von ihr erarbeitete Restaurierungskonzept wurde von der Museumslandschaft Hessen Kassel nicht übernommen. Unter der Leitung der für die mhk zuständigen Diplom-Restauratorin für Möbel und Holzobjekte, Carola Klinzmann, wurde die Konservierung und Restaurierung unter Hinzuziehung der freiberuflichen Diplom-Restauratorin Brigitte Hartmann in die Wege geleitet. Durch ihre umfangreichen Erfahrungen mit ungewöhnlicheren Materialkombinationen wurde die externe Restauratorin mit den Maßnahmen zur Bearbeitung der Oberfläche betraut, während die mhk-Restauratorin auch die Konservierung des Holzkerns und der Beschläge vornahm. Die Zustandserfassung, die Erforschung der Technologie und Herstellungsmethode sowie die Durchführung der Konservierungs- und Restaurierungsmaßnahmen sind seit Anfang 2011 abgeschlossen. Auf Basis der bereits erfolgten Untersuchungen war es möglich, die bisherigen Erkenntnisse zur Auflagentechnik zu vertiefen und eine Neubewertung durch abweichende Ergebnisse vorzunehmen. Auswertungen zahlreicher älterer Fotos und Probeplatten sowie weitere Analysen konnten die meisten Fragen beantworten und der Herstellungs­

Foto/©: M. Dörhöfer

Mit fremden Federn

4 Zur Platzierung des Perlmutts dien­ te eine Punktierung, die mithilfe ei­ ner Lochpause aufgetragen wurde. Diese Punktierung ist stellenweise noch zu erkennen, wie z.B. hier an einer Fehlstelle des Klebekitts.

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Themen

Themen Astrid M. Huber

Ob als zartes Relief oder ausladende Plastik – Stuck prägte über Jahrhunderte hinweg die Ausstattung historischer Gebäude. Neben den teils aufwendigen Formen finden jedoch die originalen Stuckoberflächen mit polychromen Fassungen, gemalten Schattierungen oder Metallauflagen bis heute zu wenig Beachtung. Nur ein sensibler Umgang mit dem Bestand und eine präzise Restaurierung sichern die Erhaltung dieser wertvollen Details.

1 Die Schichttreppe im Vorraum der Bibliothek der Kartause Mauerbach erlaubt einen Blick auf die polychrom gefasste Stuckdecke mit Übertünchungen.

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Form und Fassung Stuck als wichtiger Träger künstlerischer Gestaltung wurde von der Kunstgeschichte in den letzten Jahren in Österreich verstärkt wahrgenommen. Die entsprechend fachgemäße restauratorische Behandlung, die auch die originale Oberfläche mit ihren Fassungen berücksichtigt, bleibt in vielen Fällen jedoch bis heute ein Desideratum. Auch restauratorische Fachfirmen sind oft nicht in der Lage, die Freilegung bzw. Erhaltung der ursprünglichen Oberfläche und deren Fassung zu gewährleisten. Die akademische Ausbildung an den Hochschulen in Wien (Universität für angewandte Kunst, Institut für Konservierung und Restaurierung bzw. Akademie der bildenden Künste, Institut für Konservierung und Restaurierung) befasst sich bis dato erst in Ansätzen im Rahmen einzelner Diplomarbeiten mit dieser Thematik. Umso wichtiger erscheint es daher, Restauratoren und spezialisierte Handwerker mit langjähriger ­Erfahrung im Bereich der Stuckrestaurierung zu sensibilisieren und kontinuierlich weiterzubilden. Aktuelle Restaurierungen befassen sich meist mit bereits überarbeiteten Stuckdecken. Unberührte oder nur übermalte Stuckdecken stellen

­ ine absolute Rarität dar und sollten daher mit bee sonderer Sorgfalt behandelt werden. Die originale Farbgebung der Stuckdekorationen und die differenzierten Oberflächenbehandlungen – bewusst eingesetzte Werkzeug- bzw. Fingerspuren, Kanten und Grate, den Ranken folgende Vertiefungen und Ritzungen oder gestupfte Nullflächen – tragen wesentlich zum Erscheinungsbild und zur künstlerischen Aussage bei. Viele der heute monochrom, meist weiß gefassten Stuckdecken waren ursprünglich polychrom; das Farbkonzept der Entstehungszeit wurde nur in den wenigsten Fällen tradiert. Vor jeder Restaurierung ist daher eine genaue Untersuchung und ungefähre zeitliche Einordnung der einzelnen Fassungsschichten durchzuführen, da für die Festlegung des Restaurierungsziels nicht ausschließlich die Erstfassung von Bedeutung ist. (Abb. 1) Befundungen der letzten Jahrzehnte in Österreich ergaben ein vielschichtiges Bild barocker Fassungen in Fresco- oder Secco-Techniken, mit Metallauflagen, gemalten Schatten oder durchgefärbten Mörteln. In der Gestaltung der Oberflächen waren der barocken Phantasie keine Grenzen gesetzt, insbesondere bei der Dekoration einer Grotte oder Sala Terrena. Die Farbfassung des Stucks hängt sowohl von der Dekorationsaufgabe als auch von personalen, zeitlichen und regionalen Komponenten ab und trägt wesentlich zum Raumeindruck bei.

Foto/© BDA Mauerbach

Freilegung historischer Stuckfassungen Die Lesbarkeit einer durch mehrere Übermalungen in ihrer Präzision verunklärten Stuckdecke lässt sich nur durch Freilegung wiedergewinnen. Diese ist jedoch so durchzuführen, dass nicht nur die Form des Stucks, sondern auch die Oberfläche mit all ihren Feinheiten und ihrer Fassung respektiert wird. Eine Freilegung auf die Erstfassung kann heute nur dann befürwortet werden, wenn gewährleistet ist, dass diese ohne Substanzverlust und mit entsprechender Sorgfalt durchgeführt wird. Folglich muss der Stuck dann genauso aufwändig wie eine Wandmalerei restauriert werden, was meist auch mit entsprechend hohen Kosten verbunden ist. Eine bei weitem wirtschaftlichere 50

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Forschung und Weiterbildung an der Kartause Mauerbach Seit mittlerweile fast 30 Jahren widmen sich die Restaurierwerkstätten Baudenkmalpflege des Österreichischen Bundesdenkmalamtes (BDA) diesen Themen der Stuckrestaurierung. Neben der Erarbeitung von Richtlinien und der Erforschung der verwendeten traditionellen Materialien und Techniken finden in regelmäßigen Abständen Seminare und Praktika für Restauratoren, Handwerker und Kunsthistoriker an historischen Architekturoberflächen statt. Die Kartause Mauerbach, ein ehemaliges Kartäuserkloster des 17. Jahrhunderts nahe Wien, dient dem BDA dabei als Forschungs- und Fortbildungsgelände. Hier haben sich über 40 Stuckdecken aus der Barockzeit von etwa 1640 bis 1730 erhalten, die schrittweise im Rahmen von Weiterbildungsseminaren untersucht, dokumentiert und restauriert werden. Stuckrestaurierungen in der Kartause Mauerbach Die überlieferte Bausubstanz der im Jahr 1314 gegründeten Kartause Mauerbach geht größtenteils auf die Neukonzeption der Anlage ab 1616 zurück. Die barocke Bauphase dürfte in Etappen bis 1675 abgeschlossen gewesen sein. Nach der Aufhebung der Kartause 1782 durch Joseph II. wurde das Kloster als Armen- und Siechenhaus genutzt. 3/2012

Foto/© BDA Mauerbach

Das Beispiel der Kartause Mauerbach

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und trotzdem substanzschonende Möglichkeit des Umgangs mit historischen Stuckdecken, insbesondere bei plastisch ausladendem Formenvokabular der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, ist die Freilegung auf die zweite oder dritte Übermalung, die einerseits die Lesbarkeit der Formen noch gewährt, andererseits Originalsubstanz, Oberfläche und Erstfassung bewahrt und schützt. Um den historischen Raumeindruck mit seiner Farbwirkung wiederzugewinnen, kann die Decke nach Befundung des originalen Farbsystems anschließend neu gefasst werden. Das vielleicht größere Problem stellen die bereits mehrfach »restaurierten« bzw. überarbeiteten Stuckdecken dar, deren Oberflächen durch unsachgemäße Freilegung stark gestört wurden. In vielen Fällen besteht die Möglichkeit, durch eine Nachfreilegung originale Vertiefungen und Ritzungen wieder zu zeigen, die durch spätere Übertünchungen geschlossen wurden. Die ursprüngliche Differenzierung der Stuckoberfläche ist in manchen Fällen durch Ergänzen der Grate und Kanten, Schließen der Krater in der Fläche und Ersetzung von in Material und Technik unpassenden groben Ergänzungen zu erreichen. Voraussetzung für jede Form der Ergänzung muss eine genaue Untersuchung des ursprünglichen Materials und der Ausführungstechnik (Werkzeugspuren) sein.

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Foto/© BDA Mauerbach

Stuckrestaurierung in Österreich

Nach dem Zweiten Weltkrieg diente es bis 1961 als Obdachlosenheim für Familien. Danach stand die Kartause über zwanzig Jahre leer und war dem Verfall preisgegeben. Erst in den frühen 1980erJahren überlegte man eine neue Funktion für das Objekt, übergab es dem Bundesdenkmalamt zur Nutzung und sicherte damit die Erhaltung dieses Denkmals. Die Kartause Mauerbach eignet sich mit ihren über vierzig, teilweise unrestaurierten Stuckdecken unterschiedlicher Stilphasen des 17. und 18. Jahrhunderts hervorragend als Demonstrations-, Forschungs- und Weiterbildungsobjekt. Die barocken Stuckdekorationen der Kartause wurden in Kalkmörtel ausgeführt. Gipsstuck findet sich im Osten Österreichs vermehrt erst im 19. Jahrhundert. Anhand der seit den späten 1960er-Jahren umgesetzten Restaurierungsbeispiele in der Kartause Mauerbach lässt sich die Entwicklung der Stuckrestaurierung in Österreich von der »Formfreilegung zur Fassungsfreilegung« beispielhaft nachvollziehen.

2 Die Musterrestaurierung der Erstfassung im sog. Davidzimmer ­vermittelt eine Vorstellung der ­ursprünglichen Polychromie der Stuckoberflächen. 3 Eine Probefreilegung zeigt die ­Reste der ockerfarbenen Erstfassung im Vorraum des Refektoriums der Kartause Mauerbach.

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