Zeitschrift für Restaurierung, Denkmalpflege und Museumstechnik
Romanzement – Rückkehr eines Baustoffs Wie konserviert man BewegTE KulturGüter? instandsetzung von Molassesandstein
Die Kultur und das schnelle Geld www.restauro.de
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Juni 2013
Editorial 119 Jahre und davon sieben. Das ist die Anzahl der Jahre, die ich an der »Geschichte« der Zeitschrift RESTAURO mitgewirkt habe. Für mich waren es spannende sieben Jahre, die mit einem Redaktionsvolontariat begannen und mit der Verantwortung für das Heft endeten. In der Redaktion konnte ich verbinden, was mir schon immer die größte Freude bereitet hat: die Arbeit an Texten und die intensive Beschäftigung mit der Erhaltung von Kulturgut in all ihren Facetten. Über die Jahre gab es viele interessante Dinge zu lesen. Stets stapelten sich die Manuskripte auf dem Redaktionsschreibtisch und kaum war der erste Schwung Fachwissen in ein Heft gewandert, folgte schon der nächste. In diesem Zusammenhang möchte ich den Literaturkritiker Wolfgang Menzel zitieren. Dieser brachte einst folgende Zeilen zu Papier: »Die Deutschen tun nicht viel, aber sie schreiben desto mehr. […] das sinnige deutsche Volk liebt es zu denken und zu dichten, und zum Schreiben hat es immer Zeit.« Auch wenn Menzels Zeilen auf das Jahr 1828 zurückgehen und weit zurückliegen, darf man dennoch behaupten, dass die Autoren dieser Zeitschrift ganz diesem Vorbild folgen. Sie bringen sich seit Jahren und Jahrzehnten unermüdlich in RESTAURO ein, und das, obwohl sie in aller Regel nicht hauptberuflich schreiben. Ihnen gilt an dieser Stelle mein besonderer Dank. Denn sie haben mit ihrem großen Einsatz RESTAURO zu dem gemacht, was es ist: zu einem ganz wunderbaren und wichtigen Fachmedium. Und sie haben mir persönlich immer wieder spannende und erhellende Einblicke in neue Fachgebiete ermöglicht.
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Um eine weitere große Persönlichkeit aus der Literatur zu zitieren. Friedrich von Schiller schrieb einst: »Der Abschied von einer langen und wichtigen Arbeit ist immer mehr traurig als erfreulich«. Sie haben es nach den vorherigen Zeilen sicherlich schon geahnt: In der Tat ist es nun an der Zeit für mich, von RESTAURO Abschied zu nehmen. Dies fällt sicherlich nicht leicht, ist mir doch die Zeitschrift, die Zusammenarbeit mit den Autoren und Kollegen, aber auch der rege Austausch mit Ihnen, den Lesern, sehr ans Herz gewachsen. Sie alle haben mich um einen Erfahrungsschatz bereichert, den ich nicht missen möchte. Vielen Dank für Ihr aufrichtiges Lob und Ihre ehrliche Kritik, an denen ich wachsen konnte, und auch für Ihre Ideen und Anregungen, die das Heft und auch das Restauratoren Handbuch sehr bereichert haben. Da einem Abschied in aller Regel auch ein Neuanfang folgt, möchte ich mit den bekannten Worten Hermann Hesses aus seinem Gedicht »Stufen« schließen: »Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben.« Dieser neue Anfang gilt auch für mich – und ich bin mir sicher, dass wir uns an anderer Stelle wieder lesen, sehen und hören werden. Ein aufrichtiges Auf Wiedersehen! Ihre
p.brozio@restauro.de
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Mühläckerstraße 13 D-97520 Röthlein Tel: +49 9723 9350-0
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Inhalt 24
»Alter neuer« Romanzement
restauro aktuell 3
Editorial
Werkstätten und Institute 6 Holz- und Metallrestaurierung an der London Metropolitan University
Foto/© C. Gurtner
Blickpunkt 7 Protest gegen Kürzungen in NRW 8 Glossar für Fachbegriffe 8 Neuer usbekisch-deutscher Masterstudiengang 9 Neuer Vorstand für den IIC Österreich 10 Wie gut ist welche Winterschutzeinhausung? 10 Zerstörungsfreies Aufspüren winziger Oberflächenrisse 11 Tipps und Kniffe Nachgefragt 12 Die »Richtkräfte« von Beuys unter dem Mikroskop 55 Licht, in Streifen geschnitten. Neue Technik für das Lenbachhaus in München 14 Tapeten in Kaub am Rhein
Unterwegs 14 Wieder salonfähig. Ein Kolloquium zu Leinwand- und Papiertapeten des 18. Jahrhunderts 15 Wie konserviert man Bewegung? Rückblick auf die VDR-Tagung »Bewegung konservieren« Einblicke 18 Die »Alte Post«in Pirmasens. Rekonstruktion eines Mosaikfrieses
Foto/© Gruppe Köln & Claudia Gerner-Beuerle
Altes Handwerk heute 20 Vom Anfänger zum Aufschneider. Die Herstellung von mundgeblasenen Glasscheiben 58 Lesezeichen 60 Firmen und Produkte Kommentar 66 Boris Frohberg über Originale und Kopien in Ausstellungen
restauro Themen 42 Retusche mit Silikatkreiden
Christian Gurtner und Johannes Weber 24 Romanzement Das wiederentdeckte Bindeglied zwischen hydraulischem Kalk und Portlandzement Albert Kieferle 34 Konservierung von Molassesandstein an Münster und Kloster Salem Eine Durchsicht nach zehn Jahren Boris Frohberg 42 Silikatkreiden Stabile Retuschen auf Naturstein
Foto/© Boris Frohberg
Hiltrud Schinzel 47 Die Kultur und das schnelle Geld Wie die heutigen Verwaltungsstrukturen Kunst und Kulturgut bedrohen Matthias Farke 52 Jacob van Ruisdael und moderne Technik Eine Vitrine als Kunstobjekt 4
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Inhalt Altes Glasbläserhandwerk heute
Foto/© P. Brozio, RESTAURO
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restauro rubriken 62 Termine 65 Vorschau 63 Stellenanzeigen 66 Impressum
Zeitschrift für Restaurierung, Denkmalpflege und Museumstechnik
RoManZeMent – RückkehR eines Baustoffs Wie konseRvieRt Man BeWegte kultuRgüteR? instanDsetZung von MolassesanDstein
Titelbild Konservierung und Restaurierung des Genter Altars. Foto/© KIK-IRPA, Brüssel.
Die Kultur unD Das schnelle GelD www.restauro.de
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Juni 2013
Die in RESTAURO veröffentlichten Ansichten der Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen. Bildnachweis: Soweit nicht anders angegeben, stammen die Abbildungen von den Autoren.
Alles für den Restaurator: Kremer Pigmente
Zeitschrift für Restaurierung,
www.kremer-pigmente.de
Denkmalpflege und Museumstechnik 119. Jahrgang
4/2013
Für die Zukunft gestalten.
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Unterwegs Interview
Kulturgut auf der Straße Im Oktober 2012 verabschiedete die Fédération Internationale des Véhicules Anciens (FIVA) die Charta von Turin, die sich mit der die Restaurierung von Oldtimern befasst. RESTAURO sprach mit Ruth Keller von der HTW Berlin über die Grundsätze dieser Charta und die Rolle des technischen Kulturguts in der Restaurierung. RESTAURO: Frau Prof. Keller, am 29. Januar trat die Charta von Turin zur Erhaltung historischer Fahrzeuge in Kraft. Warum war diese Charta notwendig? Ruth Keller: In eigentlich allen Industrieländern gibt es einen recht großen Personenkreis, der durch den Erhalt von historischen Automobilen Kulturpflege betreibt, meistens Privatleute. Doch lange Zeit wurden diese Autos »renoviert«, d. h. beschädigte, fehlende oder später veränderte Bauteile wurden ersetzt, ohne Rücksichtnahme auf die authentische, zum Fahrzeug gehörende Substanz. Erst in den letzten 15 bis 20 Jahren hat hier ein Wandel eingesetzt, aus dem letztendlich die Charta von Turin entstanden ist. Man wollte ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Autos ein wichtiger Teil unseres kulturellen Erbes, der Alltagskultur vergangener Zeiten, sind. Wie möchte die Charta dies tun? Keller: Sie gibt Vorschläge, wie man mit dem Kulturgut Automobil umgehen kann – aber sie schreibt nicht vor: »Du musst es bis zum letzten Detail authentisch erhalten!«. Denn die meisten Besitzer wollen natürlich mit ihrem Oldtimer fahren, und nicht alle sind schwerreiche Leute. Mit dieser Charta schafft sich eine große gesellschaftliche Schicht ein B ewusstsein für die Bedeutung der authentischen Erhaltung von Kulturgut. Ähnlich wie die Charta von Venedig. Keller: Richtig. Diese wurde ja seinerzeit von Architekten und Restauratoren aus der Denkmalpflege entwickelt. Bei automobilem Kultur-
Zur Gesprächspartnerin Ruth Keller, M.A. leitet den Fachbereich Moderne Materialien und Technisches Kulturgut im Studiengang Konservierung und Restaurierung/Grabungstechnik an der HTW Berlin. Ihr Fokus liegt dabei auf der Erhaltung von Objekten der Moderne im Kontext von Herkunft und Bedeutung und der Erforschung und Erhaltung natürlicher organischer Materialien.
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gut hat die FIVA diese Rolle inne. Diese beschäftigt sich schon sehr lange mit dem Erhalt alter Fahrzeuge. Denn in allen Mitgliedsländern setzen sich weit über eine Million Mitglieder dieser Organisation dafür ein, dass ihre Fahrzeuge den technischen Vorschriften für den Straßenverkehr nicht ganz entsprechen, auch wenn es Sonderregelungen gibt. Und hier gab es mit Sicherheit ein großes Interesse daran, dass das Automobil als Kulturgut – auch fahrend, auf der Straße – anerkannt wird. Was für eine kulturelle Bedeutung kommt dem Auto denn zu? Keller: Das Auto ist doch das, was unser Leben im 20. Jahrhundert am meisten verändert und bestimmt hat. Es ist das Phänomen des 20. Jahrhunderts schlechthin. Sehnsüchte, Wünsche und Selbstdarstellung, aber auch so profane Dinge wie der Familienausflug – alles ist in diesem Jahrhundert mit der Geschichte des Automobils verknüpft. Man sieht das auch daran, welche Bedeutung bei uns z. B. die Autobahn allgemein und ein Tempolimit darauf haben. Die Geisteswissenschaft hat sich auf diesem Gebiet aber noch recht wenig umgesehen. Keller: Das stimmt. Hier gibt es eine Schieflage in der Kulturpolitik. Die Oldtimer-Vereine sammeln zwar durchaus Wissen zu ihren Fahrzeugen. Für viele Eigentümer sind die Autos ja nicht nur Hobby, sondern auch Identifikationsmerkmal. Doch sie tun dies weitgehend ohne kulturhistorischen »Input« aus der reichen, geisteswissenschaftlichen Forschung. Betrachtet man die hoch qualifizierte Geisteswissenschaft, die sich mit unserem Erbe auseinander setzt, hat man oft den Eindruck, dieser Bereich wäre gar nicht existent. Das finde ich in einer demokratischen Kultur nicht richtig. Diese die Kultur reflektierende Wissenschaften sollten sich unbedingt mit den Inhalten befassen, die Menschen aller Bevölkerungsschichten betreffen und zusammenführen. Zurück zur Charta von Turin: Eine Charta allein bringt ja noch keinen Wandel im Umgang mit historischen Fahrzeugen. Was können wir als Restauratoren dafür tun?
Auch Oldtimer wie dieser sind Kulturgut.
Keller: Als einzelner Restaurator hat man nur begrenzte Möglichkeiten. Die Bearbeitung alter Autos liegt ja meist in den Händen großer Werkstätten, die Oldtimer »renovieren« oder die Besitzer legen als Hobby selbst Hand an. Die Fahrzeuge sind dann zwar wieder fahrtüchtig, doch was an Wissen um die jeweilige historischen Leistungen einer Gesellschaft vorhanden ist, kann dabei leicht für immer verloren gehen – in welchem Stand die Metall- oder Kunststoffforschung war, der Motorenbau, oder wie man mit der Frage der Abgase umging. Andererseits muss man die Leistung dieser Werkstätten anerkennen, viel an handwerklichem und technischem Können Die Fédération Internazu bewahren und tionale des Véhicules Anciens (FIVA) ist der Weltverband der Oldtiweiter zu geben. merclubs. Rund 1,5 Millionen Mitglieder aus 62 Ländern sind hier organiWas schlagen Sie siert. Auf ihrer Website www.fiva.org also vor? steht die Charta von Turin kostenKeller: Man sollte los zum Download zur Ver sich hier an der fügung. Denkmalpflege orientieren. Genauso wie es historische Gebäude gibt, die heute noch bewohnt werden, sollte es auch für die Eigentümer möglich sein, ihre historischen Autos zu be nutzen. Für das »Bewahren« von Automobilen sind die Museen zuständig. Dort sollte man historische Fahrzeuge auch wirklich so erhalten, dass man in 50 oder 100 Jahren Antworten auf die Fragen findet: Wann ist welches Material eingebaut worden? Wann sind welche Veränderungen vorgenommen worden, auch technische, beispielsweise weil sich die Abgasordnung oder die Straßenverkehrsordnung geändert hat? Diese vielfältigen Zeitschichten sind ein wertvoller Bestandteil dieser Fahrzeuge und sie dürfen, trotz aller Zugeständnisse an anderer Stelle, in Museen, nicht verloren gehen. Interview: Maria Siegmantel
Themen Christian Gurtner und Johannes Weber
Romanzement Das wiederentdeckte Bindeglied zwischen hydraulischem Kalk und Portlandzement
Beinahe überall dort, wo es Bausubstanz des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu erhalten gilt, trifft man auf einen besonderen Baustoff, der lange Zeit in Vergessenheit geraten war: Roman zement bot nicht nur früher zahlreiche Einsatzmöglichkeiten. Auch heute findet er wieder Eingang in die Restaurierung.
1 Musterwand mit verschiedenen Anwendungen des Romanzements in unterschiedlichen Mörtelrezep turen: Setzmörtel für Ziegelmauer, Grobputz, Gusselemente (Zahn schnitt, Pilasterkapitell), Feinputz, gezogene Profile und Schlämm überzug.
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Romanzement – damals und heute »Roman-Cemente (Cement-Kalke) sind Erzeugnisse, welche aus thonreichen Kalkmergeln durch Brennen unterhalb der Sinterzone gewonnen werden und bei Benetzung mit Wasser sich nicht löschen, und daher erst durch mechanische Zerkleinerung in Mehlform gebracht werden müssen.«1 So oder ähnlich definierte man im ausgehenden 19. Jahrhundert einen Romanzement, den manche Autoren den hochhydraulischen Kalken, ande-
re den Zementen zuordneten. Aufgrund dieser unklaren Positionierung waren Romanzemente der Gefahr ausgesetzt, in den sich im 20. Jahrhundert entwickelnden Kalk- und Zementnormen keinen dauerhaften Platz zu finden. Dieser Umstand, der auch zum Titel dieses Beitrags inspirierte, mag mit dazu beigetragen haben, dass Romanzemente ab dem Ersten Weltkrieg etwa so rasch vom Markt verschwanden, wie sie um die Mitte des 18. Jahrhunderts aufgetaucht waren. In diese verhältnismäßig kurze Zeitspanne fällt allerdings eine Ära, die in Hinblick auf die Bautätigkeit in Europa kaum ihresgleichen hat, weswegen man sich mit diesem Baustoff heute – beinahe überall – dort auseinandersetzen muss, wo es um die Restaurierung, Konservierung oder Sanierung von Bausubstanz des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts geht. Fußend auf den zwei EU-Projekten ROCARE und ROCEM, die sich in jüngster Zeit dem Thema Romanzement im europaweiten Kontext widmeten2, stehen heute wieder ausreichend viele Detailinformationen zur historischen Produktion und Verwendung dieser Mörteltechnologie zur Verfügung, die einen fachgerechten Umgang mit dem betreffenden Architekturerbe ermöglichen. Zugleich wurde mit der »Wiederentdeckung« von Romanzement ein Bindemittel gefunden, dessen Eigenschaften es für den künftigen Einsatz in einer Reihe von Anwendungs- und Verarbeitungsfällen interessant machen. Der vorliegende Beitrag soll dazu beitragen, das Interesse am Romanzement in Fachkreisen wieder zu wecken, die Möglichkeiten im Umgang mit diesem Baumaterial zu skizzieren. Gleichzeitig möchte er auch anregen, neue Wege in der denkmalpflegerischen Erhaltung von Fassaden in ihrem authentischen Erscheinungsbild zu beschreiten.
Foto/© C. Gurtner
Was ist Romanzement? Wenn man über Romanzement als ein hydraulisches Mörtelbindemittel des 19. und frühen 20. Jahrhunderts spricht, dann sollte man sich zunächst die Variationsbreite dieser Baustoffe vor Augen halten. Aus Naturstein bei niedrigen Temperaturen in Öfen unterschiedlicher Bauart erbrannt3, ist es nur allzu verständlich, dass es quer 24
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Themen Albert Kieferle
Konservierung von Molassesandstein an Münster und Kloster Salem Eine Durchsicht nach zehn Jahren
Von 1997 bis 2002 erfolgte die Konservierung und Restaurierung des Münsters Salem. Dabei kamen ausschließlich konservierende Arbeitsweisen am wegen seiner Quellfähigkeit sehr proble matischen Molassesandstein zum Einsatz. Zehn Jahre nach Abschluss dieser Arbeiten ergab sich die Gelegenheit, den Erfolg der Arbeiten zu begutachten.
Foto/© Fb78/Wikimedia.org
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1 Die Geschichte des Klosters Salem reicht bis in das 12. Jahrhundert zurück. Die wechselhaften Jahre hinterließen jedoch auch ihre Spuren an den Gebäuden. Ver heerend waren beispielsweise ein schwerer Brand 1697, hier dargestellt auf einer Supraporte im Kloster von Andreas Brugger.
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Salem: Eine bewegte Geschichte Die mit ihren barocken Klosterbauten und dem gotischen Münster beeindruckende Klosteranlage Salem liegt im Linzgau, nur wenige Kilometer nördlich des Bodensees. Das Kloster Salem wurde zwischen 1134 und 1138 als Filiation der Abtei Lützel gegründet und sollte schon bald zu einem der bedeutendsten Klöster im deutschsprachigen Raum werden. Denn bereits 1142 wurde das Kloster reichsunmittelbar und 1178 direkt dem Papst unterstellt. Im späten 12. Jahrhundert errichtete man bereits ein erstes Münster. Den lokalen Rivalitäten entzogen konnte sich die Abtei wirtschaftlich gut entwickeln. So war es bald möglich, ein neues gotisches Münster zwischen 1285 und 1425 zu errichten, das mit seinen kunstvoll gestalteten Maßwerkfenstern noch heute ein sichtbares Zeugnis dieser schaffenskräftigen Periode ist. 1697 überraschte ein verheerender Brand das Kloster. (Abb. 1) Dieser zerstörte die Klostergebäude südlich des Münsters. Am Münster selbst jedoch entstanden nur kleine Schäden. In der
Folge wurden die zerstörten Gebäude im frühen 18. Jahrhundert in barocken Formen neu errichtet, wobei teilweise Material der Vorgängerbauten wiederverwendet wurde. Die Ausstattung der Repräsentationsräume erfolgte in mehreren Schritten in den Folgejahren. Ab 1750 erfolgte die Umgestaltung des Münsters, wobei die Außenwände und Dächer weitgehend unberührt blieben. Der Chor wurde neugestaltet, indem die Michaelskapelle abgetragen und ein großer Turm auf der Vierung errichtet wurde. Im Kircheninneren übernahmen zuerst der Bildhauer und Stuckateur Franz Joseph Feuchtmayer und nur wenige Jahre später sein früherer Werkstattmitinhaber Johann Georg Dirr und dessen Nachfolger Johann Georg Wieland die Neugestaltung, wobei die einzigartigen Alabasteraltäre entstanden. Altäre und Innenausstattung sind seit dieser Zeit fast unberührt überliefert. Im Zuge dieser Arbeiten wuchs Salem zu einem künstlerischen Zentrum heran. 1804 wurde die Abtei in Folge des Reichsdeputationshauptschlusses an den Markgraf von Baden übertragen und das Kloster aufgelöst. 4/2013
Themen Boris Frohberg
Silikatkreiden Stabile Retuschen auf Naturstein
Retuschen müssen nicht nur alterungs- und lichtbeständig sein und sich chemisch mit der vorhandenen Substanz »vertragen«. Sie sollten sich auch leicht verarbeiten lassen und, beispielsweise bei der Restaurierung von Stein, der Witterung standhalten. Seit einigen Jahren finden hierfür Silikatkreiden Anwendung.
Eine anspruchsvolle Tätigkeit Die Retusche ist die bekannteste aller Restaurierungsmaßnahmen – aber auch eine der schwierigsten. Je nach Art und Weise des Schadens und der Konservierungs- beziehungsweise Restaurierungsmaßnahme sind feuchte oder trockene Retuschen in unterschiedlichem Umfang ge wünscht und auch notwendig. Meist geht es dabei um die Integration von störend in Erscheinung tretenden Verfärbungen, Verunreinigungen und Ergänzungen. Auch auf Natursteinoberflächen kommen Retuschen zum Einsatz, um etwa Farbgestaltungen zu vervollständigen. Denn die farbliche Gestaltung von Oberflächen aus Natursteinen ist in allen Zeit- und Stilepochen nachgewiesen. Doch die Wahl des Retuschiermittels ist mit Bedacht zu treffen. Zunächst muss sich das ausgewählte Medium mit dem vorhandenen Material »vertragen«. Für die Dauerhaftigkeit ist zudem zu
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1 Mit Silikatkreiden lassen sich pastell- oder aquarellähnliche Retuschen auf Putz, Stein oder anderen anorganischen Untergründen aufbringen. Die rein anorganischen Pigmente sind lichtecht, die Retusche nach der Fixierung witterungsbeständig. Im Bild: Johannes Mädebach bei Retuschearbeiten an Sandsteinkapitellen in der Schlosskirche zu Schwerin im Jahr 2012.
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beachten, dass auch Retuschen Alterungsprozessen unterliegen, sich verfärben oder sich vom Untergrund lösen. Stein, Putz und andere Architekturoberflächen sind dabei im Gegensatz zu anderen Kulturgütern wie Gemälden oft auch der Witterung ausgesetzt. Dies erfodert besonders stabile Retuschen. Die gängigen Farb- und Bindemittelsysteme zeigen aber oft unerwünschte Alterungsverhalten. Kalkfarben, auch die dispergierten, werden durch Bewitterung gedünnt. Kalkkaseinfarben verspröden und Öl-, Harz-, Wachs- sowie Emulsionsfarben bilden Kraquelierungen aus. Sie lösen sich schollenförmig vom oder auch mit dem Untergrund ab. Leimfarben bauen sich allmählich durch Abwanderung des Bindemittels ab. Silikatfarben können bei dickem Schichtauftrag zum Abkreiden und bei hoher Bindemittelkonzentration oder bei einer Überfestigung zu Abscherungen neigen. Dispersionsfarben zeigen schollenförmige Abhebungen und Deformierungen und sind aufgrund ihrer diffusionshemmenden und materialtypischen Eigenschaften grundsätzlich als Retuschiermittel nur in Sonderfällen einzusetzen. Silikonharzfarben neigen bei entsprechend feuchter Witterung im feuchten Zustand zu Farbveränderungen und Rückwitterungen und bei hoher Bindemittelkonzentration zu Abscherungen. Allgemein ist folglich kein Farbsystem problemlos anzuwenden. Fast alle Systeme sind zudem nicht reversibel, was ja eine zentrale Forderung in der Restaurierung ist. Insofern ist die Materialwahl ä ußerst wichtig. Aber auch die Art und Weise des Farbauftrages ist entscheidend. Silikatkreiden für die Retusche Seit einigen Jahren haben sich auch Silikatkreiden für trockene Retuschen etabliert. Der Begriff ist etwas irreführend, denn es handelt sich lediglich um Kreidegipsriegel, die erst nach ihrer Anwendung durch eine Fixierung meistens silikatisch gebunden werden. Die Kreiden ermöglichen einfache trockene Retuschen auf Stein oder Putz. Bisher kamen hier Pastellkreiden für kleinteilige Retuschen und Pigment-, bzw. Pigment-Zuschlagstoffmischungen für größere Flächen zum Einsatz. 4/2013
Themen Hiltrud Schinzel
Die Kultur und das schnelle Geld Sägen wir am Baum, auf dessen Ast wir sitzen? Wie die heutigen Verwaltungsstrukturen Kunst und Kulturgut bedrohen
Die Verantwortung für die Pflege von Kunst und Kulturgut liegt hierzulande vor allem in den Händen der Museen und Ausstellungshäuser. Doch die Strukturen in Deutschlands Kulturbetrieb haben an entscheidenden Stellen Mängel. Und Schuld daran sind nicht nur knappe Finanzen.
Foto/© KIK-IRPA, Brüssel
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Ein hart umkämpfter Markt Die Nachteile des im Restauratorenberuf geläufigen gegenseitigen Unterbietens und Konkurrierens sind in RESTAURO schon oft beklagt worden. Hier möchte ich auf damit zusammenhängende strukturelle Mängel in der gesamten heutigen deutschen Kulturpolitik aufmerksam machen. Diese haben u. a. zur Folge, dass das jetzt bei R estauratoren verbreitete Arbeiten unter Wert nicht nur für den einzelnen und/oder den Berufsstand schädlich ist. Es schadet auch der Kultur generell und führt zwangsläufig dazu, dass langfristig der verantwortungsvolle Umgang mit ihr und damit das Kulturbewusstsein nachlässt und letztendlich das öffentliche Kulturgut selbst vernachlässigt wird. 4/2013
Ungenutzte Chancen für Museen Obgleich in großen Museen eine fruchtbare Kooperation zwischen Restaurierung, Natur- und Kunstwissenschaft inzwischen möglich ist, ist die Kunde von der rasanten Entwicklung der Restaurierungswissenschaften in der Regel noch nicht zu den für kleinere Museen Zuständigen vor gedrungen. Und das, obwohl man angesichts der städtischen Verschuldungen immer mehr auf den Sammlungsbestand zurückgreift und versucht, diesen der heutigen Zeit angemessen, d. h. attraktiv für gegenwärtige Publikumsinteressen zu präsentieren. Dabei können die Restaurierungswissenschaften neue Wege eröffnen, die besonders passend
1 Der Genter Altar, ein spätmittelalterliches Meisterwerk des flämischen Malers Jan van Eyck, war von April 2010 bis Juni 2011 Gegenstand zahlreicher Untersuchungen von Restauratoren und Forscher anderer Disziplinen. Sie führten nicht nur die dringend notwendigen Konservierungsmaßnahmen durch, sondern analysierten und dokumentierten auch die verwendeten Materialien, Techniken und die Herstellungsweise des Altars. Im Bild: die Arbeiten des Royal Institute for Cultural Heritage der Niederlande.
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Themen Matthias Farke
Jacob van Ruisdael und moderne Technik Eine Vitrine als Kunstprojekt
In der Burg Bentheim hat seit rund einem Jahr eine neue Kunstinstallation ihren Platz gefunden. Das besondere daran: Sie hat auch eine konservatorische Komponente.
Foto/© Burg Bentheim
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1 Der Innenhof mit Kronenburg und Marstall der Burg Bentheim.
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Historische Stätte und neue Präsentation Im Dreiländereck Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und den Niederlanden liegt die Grafschaft Bentheim mit der gleichnamigen Burg. Die frühmittelalterliche Befestigung ist nicht nur das Wahrzeichen der Stadt Bad Bentheim, sie gilt auch als bedeutendste Höhenburg Nordwestdeutschlands. Seit fast einem Jahr ist diese historische Stätte die museale Heimat für die besondere Kunstinstallation ›Residual‹ des niederländischen Konzeptkünstler Willem de Rooij im Rahmen des sich kontinuierlich seit 1987 entwickelnden Kunstprojektes Raumsichten/kunstwegen, ein Gemeinschaftsprojekt zwischen den Niederlanden und Deutschland. Nach umfangreichen Restaurierungsarbeiten im Südflügel der Burg, dem ehemaligen Marstall, wurden neue Kabinetträume für zukünftige Ausstellungen eingerichtet. Ein Raum ist dauerhaft dem um 1655 entstandenen Gemälde von Jacob
van Ruisdael »Ansicht der Burg Bentheim von Nordwesten« gewidmet. Der Umzug des Ölgemäldes auf Leinwand war notwendig geworden, weil der bisherige Platz im Kloster Frenswegen (Nordhorn) aus baulichen Gründen aufgegeben werden musste. Seit 1988 war das Gemälde in einer Nische des klösterlichen Kreuzganges ausgestellt. Diese Nische war ursprünglich ein historisch belegter Durchgang zwischen Klosterportal und Kreuzgang und wurde im Zuge von Rückbaumaßnahmen wieder geöffnet. Die jetzige, dauerhafte Präsentation am neuen Ort war durch eine vorbildliche Kooperation der Kulturverantwortlichen von Stadt und Land, der fürstlichen Familie sowie öffentlicher und privater Förderer möglich. Das grenzüber schreitende Projekt Raumsichten/kunstwegen wird getragen durch die »Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung« EWIV, als Gemeinschaftsprojekt zwischen den Niederlanden, Pro4/2013
Nachgefragt
Der Anbau der Architekten Forster + Partners lässt dem Denkmalkomplex aus Atelierbau, Künstlervilla und Ausstellungsflügel stadträumlich den Vortritt. Der Komplex hat sich nun deutlich in Richtung Luisenstraße und Königsplatz geöffnet.
Licht, in Stücke geschnitten Nach vier Jahren der Um- und Neugestaltung öffnete das Lenbachhaus im Mai wieder seine Pforten für die Besucher. Nun profitiert es auch von einer individuellen Lichtlösung. Wie diese funktioniert, das erläutert Michael Reithmeier, Projektleiter Lenbachhaus beim Hersteller Osram.
RESTAURO: Herr Reithmeier, warum ist Ihre Lösung gut? Michael Reithmeier: Der Künstler Wassily Kandinsky hat einmal gesagt: Wenn er ein Kunstwerk morgens male, müsse er es sich mittags noch einmal anschauen, um zu sehen, wie die Farben im mittäglichen Licht wirkten. Dies haben wir zusammen mit dem Lichtkünstler Dietmar Tanterl im Lenbachhaus technologisch über eine Kombination fünf verschiedener LED umgesetzt. Deren Licht wird – ähnlich der Zutaten einer Speise – miteinander »vermengt«.
Wie funktioniert das konkret? Reithmeier: Aufbauend auf Tanterls Idee kann flexibel zwischen Morgenrot-ähnlichem Warmweiß (3 000 Kelvin) und Tageslicht-ähnlichem Kaltweiß (6 000 Kelvin) justiert werden – und das voll dimmbar. Für fast 100 Nuancen wurde dabei die Mischung so programmiert, dass sie einen Farbwiedergabeindex von mehr als 95 erreicht. Zum Vergleich: Eine gebräuchliche Leuchtstofflampe für Büroanwendungen erreicht etwa 80, Halogenlampen 100 – allerdings sind beide nicht frei in der Farbtemperatur veränderbar.
Eine neue Idee? Reithmeier: Das Prinzip an sich ist nicht neu. Allerdings hebt die Lösung im Lenbachhaus diese Idee auf eine vollkommen neue Ebene, denn es wird nicht nur eine »statische« Mischung mit konstanter Lichtfarbe erzeugt.
Welche Leuchtentypen setzen Sie ein? Reithmeier: Abhängig vom jeweiligen Raum im Museum setzen wir auf drei Typen: Eine Voutenleuchte, ein Spotlight und eine so genannte ShedLeuchte. Letztere ergänzt in den Obergeschossen das Tageslicht aus den Oberlichtern (englisch
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Foto/© Städtische Galerie im Lenbachhaus München
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