Restauro 05 2012

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Forum für Restauratoren, Konservatoren und Denkmalpfleger

3D – Ein Verfahren mit Perspektive Ein Kunstdepot zieht um Der IIC-Kongress kommt nach Wien

Im Fokus: ERgänzen und Rekonstruieren www.restauro.de

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Juli/August 2012


Editorial Der Umgang mit der Lücke Es ist nchit witihcg, in wlecehr Rneflogheie scih die Bstachuebn in eneim Wrot befdinen, das ezniige was wcthiig ist, ist, dass der estre und der leztte Bstabchue an der ritihcegn Pstoiion snid. Der Rset knan ein ttoaelr Bsinöldn sien, tedztorm knan man ihn onhe Pemoblre lseen. Das ist so, wiel wir nciht jeedn Bstachuebn enzelin leesn, snderon das Wrot als gseatems.

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Materialien

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Dass man diesen Buchstabensalat entziffern kann, ist faszinierend. Vielleicht kennen Sie den Text bereits. Er machte in den letzten Jahren in unterschiedlichen Variationen die Runde. Nur der Anfangs- und Endbuchstabe müssen jeweils stimmen, damit das menschliche Gehirn die Sinneszusammenhänge erschließen kann. Voraussetzung ist, dass der Leser geübt ist und die Wörter als Ganzes erfasst. Das Gehirn kann also in zufällig Angeordnetem Vertrautes erkennen, auch wenn es in Wirklichkeit gar nicht vorhanden ist. Auf die gleiche Weise kann es auch fehlende Details nach Bedarf ergänzen. Dabei schöpfen wir aus unserem Erfahrungsschatz und Wissensfundus. Bekommen wir z. B. etwas erzählt, muss nicht jedes einzelne Detail in einem Handlungsablauf erwähnt werden. Wir können das Erzählte auch ohne diese Informationen in einen sinnvollen Gesamtkontext einordnen. Diese Fähigkeit und das Bestreben des menschlichen Gehirns, Sinneszusammenhänge herzustellen, kommt auch zum Tragen, wenn wir fragmentarisch erhaltene Kunstwerke betrachten. Fehlt beispielsweise einem Engel ein Flügel oder einer Skulptur ein Bein, sind wir in der Lage, die Lücke im Geiste zu schließen. Für den Restaurator bedeutet dies, dass er Fehlendes bis zu einem gewissen Grad nicht zwingend ergänzen oder rekonstruieren muss. Er kann in vielen Fällen dem restauratorischen Grundsatz folgen, so wenig wie möglich ins Kunstwerk einzugreifen. Anders verhält es sich, wenn die Darstellung komplexer ist, die Fehlstellen größer sind oder wenn, beispielsweise in der Wandmalerei, verschiedene Fragmente neben- oder übereinander liegen. Dann fällt es dem Betrachter zunehmend schwer Zusammenhänge zu erschließen. Dasselbe gibt übrigens auch für den obigen Buchstabensalat. Fehlen typische Satzstrukturen, Satzzeichen und die Grammatik und sind die Wörter zu lang, kann der Betrachter den Sinn schwerlich erraten. Setnigreäznunmssagsen sind z.B. kaum mehr als Steinergänzungsmassen zu entziffern. Nun benötigt der Betrachter eines Kunstwerks eine Lesehilfe. In diesem Fall wird der ­Restaurator zunächst ergründen, was dargestellt ist und ob es möglich ist, das Fehlende anhand von Vorlagen zu rekonstruieren. Er wird sich damit beschäftigen, ob es genügt, ­außerhalb des Kunstwerks Erklärendes beizufügen, oder ob er ins Kunstwerk selbst eingreift, z. B. in Form einer Ergänzung oder Rekonstruktion. Und er wird sich für jeden Einzelfall erneut fragen, wie er diese Maßnahmen umsetzen kann.

Ausstellung

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Arbeitsschutz

Archivierung

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Fachliteratur

Werkzeuge

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Denkmalpflege

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Kulturgüter

Vergoldung Klima

Pinsel & Bürsten Kunst braucht Schutz

Liebe Leserinnen und Leser, Sie werden es vermutlich erraten haben. Dieses Heft legt den Fokus auf das Thema Ergänzen und Rekonstruieren. Abseits der viel diskutierten Frage, wann und ob überhaupt ergänzt und rekonstruiert werden soll, setzen sich unsere Autoren ab Seite 12 damit auseinander, wie und womit man Lücken schließen kann. Wir wnchsüen Inhen veil Vgerngüen bei der Lketrüe und hffoen, dass für Sie eniige Arnegnugen für die eginee pkratihsce Abriet dbaei snid. Mühläckerstraße 13 D-97520 Röthlein Tel: +49 9723 9350-0

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Inhalt 42

Fehlstellen schließen

restauro aktuell  3

Editorial

Blickpunkt  6 Neue Erkenntnisse zur Restaurierung von Gewebeeinbänden  7 Tipps und Kniffe: Eine Fotowand selbst bauen  8 Hilfestellung zu Massenfunden in achäologischen Sammlungen  8 Kommt 2013 eine verpflichtende Rentenversicherung?  9 Netzwerk Kulturgut als Verein neu gegründet 11 Leserbrief Nachgefragt 10 Der IIC-Kongress kommt nach Wien. Interview mit Prof. Dr. Gabriela Krist

restauro IM FOKUS: ERGÄNZEN UND REKONSTRUIEREN

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3-D bietet Perspektiven

Joerg Maxzin 13 3-D-Perspektiven Die Evangelisten der Münchner Theatinerkirche im virtuellen Raum 18

Felix Horn und Markus Monreal Der Kopf des Tonkriegers mit »Grünem Gesicht« Vom 3-D-Scan zur Ausgabe mit Rapid Prototying

Martin Schaich 26 Mit digitalen Fotoserien zum 3-D-Modell Anwendungsmöglichkeiten einer Software Anne-Kathrin Segler, Denise Handte und Wolfgang Eschke 31 Textilien und ihre Rekonstruktion Über die Wiederherstellung eines authentischen Raumeindruckes Birgit Müllauer 35 Rekonstruktion in Glas Fallbeispiele aus den Sammlungen der Fürsten Eyterházy

53 Ergänzen mit Siebdruckverfahren

Markus Kleine 40 Doublierungen in der Restaurierung von Glasmalerei Eine Möglichkeit zur Retusche von Fehlstellen Silvia Gering 45 Alabaster Ermittlung von Eigenschaften und Kennwerten des Natursteins sowie Bewertung von verschiedenen Steinersatz- und Steinergänzungsmassen Roland Damm und Alexandra Scheld 53 Fehlstellenergänzungen an einem Holzschnitt des 15. Jahrhunderts Die Restaurierung des Venedigplans von Jacopo de’ Barbari

restauro Themen 56

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Christina Schaaf-Fundneider und Tanja Kimmel Das kostenoptimierte Kunstdepot unter Einhaltung zeitgemäßer Standards Das Beispiel des neuen Zentraldepots KHM Wien, Teil 2: »Die Übersiedelung, Planung und Umsetzung« 5/2012


Inhalt 56

Das Wiener Depot: 1,5 Mio Kunstwerke ziehen um

restauro rubriken 64 Termine und Ausstellungen 66 Vorschau 66 Stellenanzeigen 66 Impressum

Forum für Restauratoren, Konservatoren und Denkmalpfleger

RESTAURO 5/2012

3D – Ein VERFAhREn miT PERSPEKTiVE Ein KUnSTDEPOT ziEhT Um DER iiC-KOngRESS KOmmT nACh WiEn

Titelbild Die erhaltenen Fragmente des Lukas aus der Theatinerkirche in München. Foto: Joerg Maxzin

Im Fokus: ERgänzEn und REkonstRuIEREn www.restauro.de

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Die in RESTAURO veröffentlichten Ansichten der Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen. Bildnachweis: Soweit nicht anders angegeben, stammen die Abbildungen von den Autoren.

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Forum für Restauratoren, Konservatoren und Denkmalpfleger 118. Jahrgang

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Für die Zukunft gestalten.

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Foto: Vordergrund: F. Horn, TU München. Hintergrund: Redaktion Restauro.

Im Fokus: Ergänzen und Rekonstruieren Ob virtuell am Computer oder ganz nach traditioneller Handwerkstechnik – heutzutage bieten sich viele Möglichkeiten, Fehlendes zu ergänzen und zu rekonstruieren. Traditionelle Techniken gehen hierbei oft Hand in Hand mit modernster Technik. 3-D-Verfahren z. B. eröffnen dem Restaurator spannende Perspektiven. Mit ihnen lassen sich nicht nur virtuelle Modelle am Computer erzeugen. Sie bilden auch die Basis für Ergänzungen am Objekt und reale Konstruktionen in verschiedensten Materialien. Mittlerweile kommen sogar dreidimensionale Gipsmodelle aus dem Drucker. Dieses weite Bestätigungsfeld steht dieses Mal in unserem Fokus.


Im Fokus Joerg Maxzin

3-D-Perspektiven Die Evangelisten der Münchner Theatinerkirche im virtuellen Raum

Im Zweiten Weltkrieg wurden sie stark geschädigt und teils zerstört: die frühbarocken Evangelisten­ figuren aus der Münchener Theatinerkirche. Nun widmet sich ein Forschungsprojekt der Ergänzung und Rekonstruktion dieser kunsthistorisch bedeutenden Werke. Dafür erprobt ein Team der Hochschule Deggendorf seit 2008 verschiedene 3-D-Verfahren – mit ersten Erfolgen.

Foto: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege

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Foto: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege

Die Zerstörung der Evangelistenfiguren Die Theatinerkirche, in vielerlei Hinsicht die vielleicht bedeutendste Kirche Münchens, wurde im Zweiten Weltkrieg schwer getroffen. Brandbomben zerstörten das Dach und große Teile der historischen Ausstattung gingen in Flammen auf. Dabei wurden unter anderem die vier in Holz geschnitzten Evangelistenfiguren der Chorschranke getroffen. (Abb. 1) Markus und Johannes, die vor dem südlichen Portal gestanden hatten, kamen zum Glück mit geringen Schäden davon. Lediglich an den Rückseiten dieser beiden Figuren finden sich leichte Brandspuren. Die eingesteckten Hände waren zwar heruntergefallen, sind aber erhalten geblieben. Der Aufsatzengel, der auf dem südlichen Portal gestanden hatte, ist ebenso erhalten. Lediglich seine Flügel sind verbrannt. Vom Lukas allerdings, der vor dem nördlichen Portal gestanden hatte, blieben nur noch Fragmente. (Abb. 2 und 3) Die traditionell von hinten ausgehölte Figur brannte im Innern völlig aus und brach dann auf Höhe des Gürtels auseinander. Der Kopf, der rechte Arm und Teile der Brust stürzten auf den Boden. Diese Fragmente und der Rumpf der Figur blieben erhalten, wenn auch mit teils verkohlter Oberfläche. Die linke Seite des Lukas ging ver­loren. Am schlimmsten traf es aber die ­Figur des Matthäus. Auch auf der Nordseite s­ tehend, verbrannte sie völlig. Ironischerweise ist von die-

ser Figur ein einziger Finger erhalten, der ihrem Attributengel zugeordnet werden kann. Offen­ sichtlich war dieser Finger bereits vor dem Brand abgebrochen und überlebte den Krieg vermutlich fernab in einer Kiste mit Bruchstücken. Wie der Matthäus, wurde auch der Aufsatzengel des nördlichen Portals ein Raub der Flammen. Die steinerne Architektur der Chorschranke mit ihren beiden Portalen war so stark beschädigt, dass sie nach 1945 abgebrochen wurde.

1 Das 3-D-Labor der Hochschule ­Deggendorf lässt im aktuell laufenden »Theatiner Projekt« die ver­ lorenen Formen der kriegszerstörten Holzskulpturen der Theatiner­ kirche d ­ erzeit wieder »auferstehen«. Zu sehen ist die Chorschranke um 1930 – Die weiß belassenen Figuren sind erhalten, die gelb markierten im Krieg verbrannt. Die blauen ­Bereiche wurden nach dem Krieg abgebrochen. 2 Nördliches Portal um 1930 – Die monumentalen Holzfiguren von Balthasar Ableitner markieren einen kunstgeschichtlich bedeutenden Abschnitt sakraler Skulptur in Deutschland.

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Im Fokus Felix Horn und Markus Monreal

Der Kopf des Tonkriegers mit »Grünem Gesicht« Vom 3-D-Scan zur farbigen Ausgabe mit Rapid Prototyping

1 Der kniende Armbrustschütze mit »Grünem Gesicht«ist eine der beeindruckensten Figuren der Terrakottaarmee. Besonders gut erhalten ist seine Farbfassung. Das farbige physische Modell des Kriegerkopfes wurde im 3-D-Druckverfahren hergestellt. 2 Vor dem Druck erstellt die Software ein Volumenmodell. Dabei unterteilt sie den Kopf in horizontale Schichten.

Im traditionellen Modellbau entstehen Modelle aus Holz, Pappe oder Ton in Handarbeit und mit maschineller Hilfe. Eine vergleichsweise junge Technik ist das Rapid Prototyping, das Modelle und Prototypen in Schichtbauweise erzeugt. Eines dieser Verfahren, der 3-D-Druck, wurde am Tonkrieger mit »Grünem Gesicht« getestet.

Rapid Prototyping Rapid Prototyping (RP) bezeichnet allgemein ein Fertigungsverfahren, bei dem Modelle in Schichtbauweise hergestellt werden. Ein Computermodell wird auf direktem Weg in ein körperhaftes Modell überführt, indem beispielsweise ein Pulver (z. B. Gips) Schicht für Schicht mit einem Bindemittel verfestigt wird.

Zur Anwendung kommen solche Modelle im Allgemeinen bei der Produktentwicklung und der ­Visualisierung dreidimensionaler Datensätze. Hierbei veranschaulichen sie Aussehen und Funktion und helfen bei der Einschätzung der bis dahin oft nur als virtueller Datensatz vorliegenden Modelle. Die Restaurierung nutzt generative Fertigungsverfahren zur Herstellung von Repliken, Rekonstruktionsmodellen oder zur Visualisierung von Forschungsergebnissen. Die Mehrzahl der so gefertigten Modelle ist allerdings einfarbig. Für die ­realistische Nachbildung von Kunstwerken sind ­jedoch Modelle mit einer zum Original gleichwertigen Farbigkeit notwendig. Eine Technik, die sich zur Ausgabe farbiger Modelle eignet, ist der dreidimensionale Druck, im Englischen als Three-­ Dimensional Printing (3DP) bezeichnet. Dabei wird das Material des Modells, Gips, bereits während des Herstellungsprozesses eingefärbt. Doch welche Qualität haben diese farbigen Modelle, wie ­realistisch wirken sie und wie nahe kommen sie dem Original? Dies konnte am Kopf des knienden

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Foto©F. Horn, TU München

Foto©F. Horn, TU München

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Im Fokus Birgit Müllauer

Rekonstruktion in Glas Fallbeispiele aus den Sammlungen der Fürsten Esterházy

Rekonstruktion – ja oder nein, im originalen oder in einem anderen Material? Diese Fragen sind immer für den Einzelfall zu beantworten. Bei drei Objekten aus den Sammlungen der Fürsten Esterházy entschied man sich dafür, fehlende Elemente in Glas zu rekonstruieren, aus unterschied­ lichen Beweggründen.

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Entscheidungsfindung Die Entscheidung, an historischen Objekten moderne Rekonstruktionen anzubringen, fällt häufig nicht leicht. Sehr oft bedient man sich ihrer nur, wenn statische Gründe einen derart gewichtigen Eingriff rechtfertigen. Wenn, dann wird die Rekonstruktion meist in einem anderen als dem historischen Material ausgeführt, wie z. B. in unterschiedlichen Kunststoffen (gängig sind Acrylate, Epoxide und Polyester). Jedoch gibt es auch Fälle, in denen eine Rekonstruktion in Glas zielführend sein kann, wie bei den nachfolgenden Beispielen. Die Entscheidung zugunsten einer Maßnahme dieser Tragweite ist immer abhängig von den jeweiligen Rahmenbedingungen. Bestimmend sind vor allem das Objekt selbst (v. a. Erhaltungszustand, Materialkombination, Technologie), seine Geschichte und die Sammlung, der es angehört, bzw. dessen Sammlungshintergrund. Auch die Wahl der Methodik und Technologie wird von den konkreten Gegebenheiten vorgegeben und kann keinesfalls verallgemeinert werden, wie die nachfolgenden Beispiele zeigen. Vorgestellt werden drei Konservierungs- und Restaurierungsprojekte, in deren Rahmen fehlende oder verloren gegangene Glasteile in Glas rekonstruiert wurden. Bei allen hier diskutierten Projekten handelt es sich um Objekte aus den Sammlungen der Fürsten Esterházy/Esterházy Privatstiftung. Fallbeispiel 1: Ein Deckelkrug Als erstes Beispiel für eine Rekonstruktion in Glas sei hier ein Deckelkrug (Abb. 1a) aus dem 17. Jahrhundert vorgestellt. Von diesem waren nur mehr die metallenen Fassungsteile aus vergoldetem Silber erhalten. Krugkörper wie auch -deckel aus Glas waren vermutlich im Laufe der Objektgeschichte zu Bruch gegangen und so waren bereits zu Beginn der konservatorischen Befundung und Bearbeitung alle gläsernen Teile zur Gänze verloren. Die Metallteile ließen sich durch Scharnierund Schraubverbindungen miteinander verbinden. Scharnier und Deckelfassung waren jedoch leicht deformiert, was ein gänzliches Schließen des ­Deckels verhinderte. Zweifellos aber barg der fragmentarische Erhaltungszustand die Gefahr, dass 5/2012

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weitere Teile des Kruges verloren gehen. Um dies zu verhindern und darüber hinaus die fragilen Bestandteile der Metallfassung vor einer weiteren Deformierung zu schützen, war es notwendig, stabilisierende Maßnahmen umzusetzen. Angedacht war zunächst eine Stützkonstruktion aus Plexiglas, was sich jedoch als ästhetisch unbefriedigend herausstellte, denn Plexiglas unter-

1a Eingangszustand des Glaskruges – oder vielmehr der Metallfassungen des verloren gegangenen Glas­ kruges mit Deckel. 1b Der Glaskrug nach der Restaurie­ rung: Körper und Deckel sind ­rekonstruiert. Neben Schutz vor ­Deformierung erleichtert die Rekon­ struktion auch die Handhabung des Kruges in Ausstellungswesen und Leihverkehr.

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Im Fokus Markus Kleine

Doublierungen in der Restaurierung von Glasmalerei Eine Möglichkeit zur Retusche von Fehlstellen

Manchmal führen Umwege ans Ziel: Die Glasdoublierung begann vor 70 Jahren als flächige Hinterklebung von gesprungenen Scheiben. Heute ist sie eine ausgefeilte Methode zur reversiblen Retusche von Glasmalereien. Eine bemerkenswerte Entwicklung.

Foto/© Kleine

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Foto/© Kleine

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1 Köln, Maria im Kapital: In den 1940er-Jahren wurde dieses Gesicht im »Jakobiverfahren« nach dem Chemiker Dr. Richard Jakobi gesichert, also auf Stoß mittels ­Epoxidharz verklebt. Das Epoxidharz zeichnet sich heute als breite, gelb verfärbte Linie ab. 2 Altenberg, ehemalige Klosterkirche St. Maria (Altenberger Dom): ­Gesprungene und gesplitterte ­Stücke dieses Fensters sind in den 1970er- und 80er-Jahren mit ­Epoxidharz vollflächig auf eine ­Trägerscheibe geklebt worden. ­Heute ist auch dieser Klebstoff ­flächig vergilbt.

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Glasdoublierungen im Verlauf der Geschichte Doublierungen, also das Hinterlegen einer Glasscheibe mit einer weiteren Glasscheibe, werden seit über 100 Jahren in der Glasmalerei eingesetzt. Solche doppelten Glasscheiben erfüllten im Laufe der Zeit verschiedene Aufgaben. Im 19. Jahrhundert wurden Überfanggläser mit partiellen Ätzungen trocken hinter bemalte Wappenscheiben gesetzt, um Farbakzente zu setzen.1 Auch im 20. Jahrhundert diente die doppelte Glasscheibe lange Zeit der Neugestaltung von Glasmalereien. War ein Glaston nicht lieferbar oder waren Effektanläufe erwünscht, kamen Doppelscheiben zum Einsatz. Die Restaurierung nutzte Doublierungen erstmals in den 1940er-Jahren. Beispielsweise doublierte der Chemiker Dr. Richard Jakobi aus dem Rheinischen gesprungene Gläser, um diese zu stabilisieren. So verklebte Jakobi z. B. in der Kölner Kirche Maria im Kapitol (Abb. 1) die Sprungstellen Stoß auf Stoß mit einem Epoxidharzkleber. Da er sich der Festigkeit des Epoxidharzes nicht sicher war, laminierte er das Originalglas zusätzlich zwischen zwei thermisch angepassten, dünnen Klar-

glasscheiben. Deckgläser und Original waren so – vergleichbar mit der modernen Verbundsicherheitsglasverarbeitung – im Sandwichverfahren mit einem Polyacrylat verklebt. Diese Laminierung blieb über Jahre unverändert, die Sprungklebung selbst vergilbte. Das Polyacrylat der Laminierung ist in Ethylacetat lösbar, jedoch müsste man für eine solche Entdoublierung das Stück mehrere Tage in ein entsprechendes Lösemittelbad legen. Das ist nicht nur problematisch für die Malschichten, sondern führt auch zu einer verstärkten Austrocknung der Gelschicht des Glases. Auch ein anderes Beispiel zeigt, dass durch die Doublierung von Gläsern oft langfristige Probleme drohen: Ebenfalls zu Restaurierungszwecken nahm die Glasmalerei Oidtmann in den 1970er- und 80er-Jahren Doublierungen vor. Unter Anleitung von Dr. Gottfried Frenzel verklebte die Werkstatt mehrfach gesprungene mittelalterliche Scheiben flächig mit einem Epoxidharz (Araldite). Dieses ist heute vollflächig vergilbt (Abb. 2) und kaum mehr löslich. Die Verklebung lässt sich nur mit massivem Lösemittel- und Wärmeeinsatz erweichen und ist selbst dann nur mechanisch lös5/2012


Im Fokus Roland Damm und Alexandra Scheld

Fehlstellenergänzungen an einem Holzschnitt des 15. Jahrhunderts Restaurierung des Venedigplans von Jacopo de‘ Barbari

Während der letzten Monate beschäftigte das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg die ­Restaurierung eines großformatigen Holzschnitts. Unter anderem galt es, große Fehlstellen im Druckbild zu schließen. Dafür ließen sich die Restauratoren etwas besonderes einfallen: einen Druck auf der I­nnenseite der Verglasung.

Foto/© Jule Jansen

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Ein riesiger Holzschnitt Der um 1500 entstandene Riesenholzschnitt aus der Graphischen Sammlung des Germanischen Na­ tionalmuseums Nürnberg zeigt eine dreidimensio­ nale Ansicht Venedigs aus der Vogelperspektive. Er gilt als Werk des aus Oberitalien stammenden Malers und Kupferstechers Jacopo de’ Barbari. Die Produktion und Vermarktung des Riesenholz­ schnitts übernahm der Nürnberger Unternehmer, Buchdrucker und Verleger Anton Kolb, ein Zeitge­ nosse Albrecht Dürers. In dreijähriger Produktions­ zeit entstand so der aus sechs Bögen zusammen­ gesetzte Druck, der insgesamt ca. 1,35 x 2,82 m misst. Die aufwändigen Restaurierungsmaßnah­ men wurden am Institut für Kunsttechnik und Kon­ servierung des Museums von der freiberuflich ar­ beitenden Restauratorin Jule Janssen ausgeführt und durch die STAEDTLER Stiftung finanziell un­ terstützt. Der Holzschnitt hatte durch aus heutiger Sicht unsachgemäße Lagerung und Nutzung stark gelitten. Gealterte Reparaturen und Ergänzungen stellten besondere Anforderungen an die Restaurierung. Eine unflexible, mehrschichtige Kaschierung aus 5/2012

Leinwand und Karton führte zu starken Spannun­ gen und Verwerfungen im Papier. Zwei der sechs Einzelblätter waren durch Verfärbungen, Risse, ­Faserabspaltungen und großflächige Fehlstellen besonders stark beschädigt. Die Fehlstellen waren durch Papierintarsien ergänzt und vergleichsweise grob mit grauer Leimfarbe übermalt worden.

1 Der riesige Holzschnitt aus dem Jahr 1500 wies große Fehlstellen auf. Dies veranschaulichen die roten Bereiche in der Schadenskartierung.

Die Restaurierung Vordringliche Ziele der anstehenden Restaurierung waren zum einen die Entfernung sämtlicher Ka­ schierungen und Klebstoffschichten, um das weit­ gehend intakte und flexible Hadernpapier freizulegen. Zum anderen galt es, verlorengegangene und ausge­ dünnte Partien des Holzschnitts auf eine technisch und ästhetisch zufriedenstellende Weise zu ergän­ zen und zu stabilisieren. Die Entscheidung, die Fehl­ stellen durch individuell angefaserte Papier­ ergänzungen zu schließen, war schnell getroffen. Dagegen blieb zunächst offen, ob die fehlende Darstellung durch eine weitere Retusche ergänzt werden sollte. Die Anfaserungen wurden in Materialstärke und Farbton an das originale Blattfragment angepasst. 53


Themen Christina Schaaf-Fundneider und Tanja Kimmel

Das kostenoptimierte Kunstdepot unter Einhaltung zeitgemäßer Standards Das Beispiel des neuen Zentraldepots KHM Wien, 2. Teil: »Die Übersiedelung, Planung und Umsetzung« Wenn Kunstwerke umziehen, sind gründliche Vorbereitungen zu treffen. Das Kunsthistorische ­Museum Wien weiß hiervon zu berichten. Rund 1,5 Millionen Objekte werden derzeit in ein neu gebautes Zentraldepot umgesiedelt.

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Foto/© Matthias Müller

und Vorbereitungsphase blieben folglich insgesamt 16 Monate Zeit, für die teils zeitgleich verlaufende Übersiedelungsphase 14 Monate. Diese straffe Zeitvorgabe mit der fristgerechten Auflösung der alten, angemieteten Depots war vor allem aus Gründen der Kosteneinsparung einzuhalten. Zwischen Ende 2009 und Anfang 2010 erfolgten die ersten grundlegenden Vorbereitungen. In diesem Zeitraum führten alle Sammlungen Bestandserhebungen durch, die zusammen mit der Mengengerüsterfassung durch den externen Museumsberater Dr. Joachim Huber (Firma PrevART GmbH) die Anforderungen an das neue Zentraldepot darstellten. Parallel dazu erfolgten die Grundstückssuche und die EU-weite Architektenausschreibung. Die Geschäftsführung des Kunsthistorischen Museums gab vor, dass die Übersiedelung der Depotbestände unter Einhaltung des maximalen Budgets (Gebäude, Einrichtung Übersiedelung) von 14 Mio. Euro parallel zum »Alltagsgeschäft« umgesetzt werden muss.

1 Kunstwerke aus neun verschiedenen Depots und Archiven werden in einem zeitgemäßen Zentraldepot eine neue Heimat finden. Im Bild: Transportrahmen für die Übersiedelung von fragilen Gemälden.

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Das Projekt Zentraldepot Im September 2009 entschloss sich das Kunsthistorische Museum mit seinen angegliederten Institutionen dazu, seine Depotbestände aus zwölf Sammlungen und Archiven an einem zentralen Standort zu vereinen. Bis zu diesem Zeitpunkt lagerten diese Bestände an neun verschiedenen Standorten in Wien und der angrenzenden Umgebung. (Abb. 2) Die Räumlichkeiten waren zumeist veraltet und sanierungsbedürftig, die technische Infrastruktur war überholt und auch die schlechten klimatischen Voraussetzungen und hohen Mietkosten sprachen für einen Depotneubau und eine Umsiedlung der Bestände. Konservatorische, betriebliche und betriebswirtschaftliche Gründe ­ boten also einen dringenden Handlungsbedarf. Nach Vorgabe der Geschäftsführung sollten die »extern« gelagerten Bestände bereits bis Ende 2011 im neuen Zentraldepot untergebracht werden, gefolgt von Sammlungsbeständen aus hausinternen Depots in den Jahren 2012 und 2013. Rund 1,5 Millionen Kunstwerke sollen somit spätestens mit Abschluss des 1. Quartals 2013 an ihrem neuen zeitgemäßen und zentralisierten Aufbewahrungsplatz eingelagert sein. Für die Planungs-

Zwei Projektteams Um die Mitarbeiter aller Sammlungen und Abteilungen zu entlasten, stellte die Geschäftsführung zwei Projektteams für die Hauptaufgaben »Bau« und »Übersiedelung« zusammen. Diese Teams beschäftigen sich seitdem schwerpunktmäßig mit der Abwicklung des Projektes. So konnte Anfang 2010 die aufwendige und intensive Planung und Vorbereitung für das neue Zentraldepot forciert werden. Das Bauteam besteht aus fünf Mitgliedern, die jeweils unterschiedliche Fachbereiche vertreten: Die Projektleitung obliegt dem Hochbautechniker Stefan Fleck. Dr. Alfred Bernhard-Walcher vertritt die Kuratoren, Christina Schaaf-Fundneider die ­Restauratoren. Als Museumsberater kommt Dr. Joachim Huber (Firma PrevArt GmbH) hinzu und als Architekt ist Karl Reuter vom gleichnamigen Architekturbüro mit im Team. Das Übersiedelungsteam besteht aus sechs stetigen Mitgliedern: Die Projektleitung obliegt Dr. Alfred Bernhard-Walcher. Als Restauratorinnen sind Christina Schaaf-Fundneider und Tanja Kimmel vertreten. Für das Gebäudemanagement ist Stefan 5/2012


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