Restauro 08 2013

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Zeitschrift für Restaurierung, Denkmalpflege und Museumstechnik

Wien: Vom Aktenarchiv zum barocken Kleinod Der Heilige Hilarius – Gruselig oder schön? Fremde Kulturen: Bewegte Geschichten aus Indien

Kunstwerkanalyse: Judith und Holofernes – Ein Pentiment wirft fragen auf www.restauro.de

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Dezember 2013


Inhalt 12

Der Heilige Hilarius

Blickpunkt  6  7  8  8

Spendenaktionen für Kölner Archivalien Holztafelkonservierung – Experten tagen Energiewende und Archäologie Viadrina: Dekontamination von Kulturgut

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Dürer und Raffael im Städel Future Talks 013 Restaurierungszentrum in Potsdam Der Heilige Hilarius

Foto/©: Sabine Schwab

Thema: Kunstwerkanalyse

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Silberdraht zu Gold

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Sabine Schneider Silberdraht zu Gold Die qualitätvolle Ausführung französischer und sächsischer Silberdrähte im Barock stellte die Rekonstruktion vor neue Herausforderungen

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Anne Sicken Ist Muschelseide als Luxusmaterial auch nördlich der Alpen verarbeitet worden? Bettina Schwabe Judith und Holofernes: Auf der Spur eines Bilderrätsels Oder: Das Rätsel des verschwundenen Leichnams

Nicole Ebinger-Rist 35 TechnART 2013 in Amsterdam Die Tagung »Analytical Spectroscopy in Art and Archaeology«

Thema: Wien Foto/©: SKD, Carola Finkenwirth

Sylvia Schönolt 36 Ein Aktenarchiv wird zum barocken Kleinod Im Winterpalais ist ein Saal mit Wandmalereien wiederentdeckt worden 43

Durchbohrt, überfasst und vom Verkehr erschüttert Ein Interview mit Gabriela Krist und Birgit Müllauer zu Schönbrunner Porzellanen

46 Der Meister von Schloss Lichtenstein Im Belvedere wird ein mittelalterliches Retabel zusammengeführt 36

Winterpalais

Thema: Fremde Kulturen 48

Susanne Litty und Mira Dallige-Smith Bewegte Geschichten Die kulturhistorische und material­technologische Untersuchung eines gefassten Miniaturaltares

Foto/©: BDA, Sylvia Schönolt

56 NOK. Ein Ursprung afrikanischer Skulpturen. Ausstellung

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Fremde Kulturen bewahren 3 Fragen an Helene Tello

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Boaz Paz Die Büchse der Pandora Ein Weiterbildungskurs zur Biozidproblematik

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Kunstwerkanalyse Anne Sicken

Ist Muschelseide als Luxusmaterial auch nördlich der Alpen verarbeitet worden?

Die Muschelseide, eine der seltensten und kostbarsten Textilfasern, bildet in der langen Geschichte der Textilien nur ein winziges Kapitel. Obwohl die Geschichte dieses besonderen Werkstoffes bis in die Spätantike zurückverfolgt werden kann, wurde dieser bis zum Ende des 20. Jahrhunderts kaum erforscht.

1

Foto/©: Aus: Stiftung Scheibler-Museum Rotes Haus Monschau 1994, S.118.

1 Blatt 45 des Musterbuchs der »Feinen Gewandschaft«

Das änderte sich 1998, als der Amerikaner Daniel McKinley seine Arbeit über die Geschichte der Muschelseide publizierte1. Unabhängig davon startete im gleichen Jahr Felicitas Maeder am Naturhistorischen Museum in Basel das Projekt »Muschelseide« 2. Das Thema wird seitdem vermehrt zur Kenntnis genommen und immer wieder werden »neue« vermeintliche bzw. vermutete Muschelseide-Objekte aufgefunden. Ein bekanntes Beispiel ist der Schleier von Manoppello, ein dünnes, fast durchsichtiges Tuch, das in der italienischen Stadt Manoppello in den Abruzzen als Christusbildnis verehrt wird. Eine eindeutige Zuordnung der Muschelseide, die oft auch als Byssusseide bezeichnet wird, anhand historischer Quellen ist aufgrund der doppelten Bedeutung des Begriffes schwierig. Das Wort »Bys-

sus« leitet sich von dem griechischen Wort βύσσος ab und bedeutet »Feine Faser«. In der Biologie versteht man unter »Byssus« den Faserbart verschiedener Muscheln, im textilen Sprachgebrauch wird dieser Begriff seit der Antike jedoch auch für alte, meist wertvolle und sehr feine Gewebe aus Leinen, Baumwolle oder Seide verwendet3. Daher ist es nicht immer möglich, im Kontext einer Sammlung oder durch historisch-archivalische Studien eine klare Materialaussage zu machen. Umso wichtiger sind die Möglichkeiten zur Identifizierung von Muschelseide mit Hilfe naturwissenschaftlicher Methoden unter Berücksichtigung konservatorischer Gesichtspunkte geworden. In diesem Beitrag werden daher - nach einem kurzen Überblick zur Gewinnung, Verarbeitung, Morphologie und zu den Eigenschaften von Muschelseide -

1

McKinley, Daniel: Pinna and her silken beard. A foray into historical misappropriations, in: Ars Textrina 29 (1998), S. 9-223.

2

Maeder, Felicitas et alii (Hrsg.): Bisso marino. Fili d‘oro dal fondo del mare / Muschelseide. Goldene Fäden vom Meeres-

grund, Mailand 2004. 3

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Sroka, Peter: Kostbare Faserstoffe aus der Antike, in: Restauro 5 (1995), S. 338-342.

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Kunstwerkanalyse

Vorkommen, Gewinnung und Verarbeitung von Muschelseide Die Muschelseide ist ein Produkt der Edlen Steckmuschel (Pinna nobilis L., 1758) aus der Familie der Pinnidae. Diese ist nur im Mittelmeer heimisch und dort mit bis zu 120 cm Länge die größte Muschel (Abb. 2). Die früher sehr verbreitete, seit 1992 in den EU-Staaten unter Naturschutz stehende »Edle Steckmuschel« lebt auf weichen, sandigen oder sandig-schlammigen Böden, sogenannten Seegraswiesen und in Küstennähe. Sie ist ein festsitzendes Tier und verankert sich mit ihren bis zu 20 cm langen, seidenartigen Haftfäden, dem Byssus, an den Wurzeln des Seegrases oder an kleinen Steinen im sandigen Untergrund. Bei allen Muscheln werden die Byssusfäden durch Sekretion aus der, am Ansatz des Fußes sitzenden, Byssusdrüse abgesondert. Das zunächst flüssige Proteinsekret verhärtet sich erst im Kontakt mit dem Wasser zu den feinen, sehr widerstandsfähigen und ausgesprochen reißfesten Fäden. Der Byssus einer ausgewachsenen Steckmuschel wiegt ca. 2 bis 3 Gramm; nach dem Waschen, Trocknen und Kämmen bleibt davon deutlich weniger – ungefähr 20 Prozent – übrig. Vieles, was heute über die Gewinnung und Verarbeitung von Muschelseide bekannt ist, stammt aus den Arbeiten von Basso-Arnoux 1916 und Mastrocinque 1928.4 Ursprünglich wurden die Muscheln von Tauchern geerntet. Später wurden zur Ernte verschiedene Zangen, Gabeln und Schlingen entwickelt, mit Hilfe derer man die Muschel vom Boot aus, mitsamt ihrer Verankerung aus dem schlammigen Untergrund ziehen konnte. Nach dem Ernten der Muscheln erfolgte bereits auf dem Boot eine erste Waschung mit Meerwasser, um anhaftende Muscheltrümmer, Pflanzenreste und andere Rückstände des Meeresgrundes zu entfernen. An Land wurde der Byssus dann mehrfach mit Süßwasser, meist mit Regenwasser, gewaschen und anschließend im Schatten getrocknet. Weich und glänzend wurde das Material allerdings erst durch die aufwändige Handarbeit. Die Fasern mussten mit

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den Fingern weichgerieben und mit einem Stahlkamm glatt gebürstet werden, da die Muschelseide erst durch das Reiben an einer harten und glatten Oberfläche ihren charakteristischen Glanz erhält. Durch mehrstündiges Einlegen in Zitronensaft wird dieser Glanz noch verstärkt. Erst danach konnte der Byssus – nach dem Abschneiden der Wurzel – mit Spindeln und Spinnrocken zu Garn verarbeitet und anschließend auf waagerechten Webstühlen gewoben, bzw. gehäkelt, gestrickt oder gestickt werden. In ungesponnenem, gereinigtem Zustand wurde die Muschelseide zu einem pelzartigen Gewebe weiterverarbeitet. Die aufwändige Gewinnung und Verarbeitung des Rohmaterials mit nur einer geringen Ausbeute und das beschränkte Vorkommen der Edlen Steckmuschel machten Textilien aus Muschelseide in allen Zeiten ihrer Verwendung zu reinen Luxusobjekten, als Zeichen der Vornehmheit oder als eine seltene Sehenswürdigkeit für Fremde. Sie war daher besonders gut als Geschenk für berühmte Persönlichkeiten geeignet. So ist beispielsweise überliefert, dass Monsignore Giuseppe Capecelatro, Erzbischof von Taranto von 1778 bis 1836, König Ferdinand IV. von Bourbon Mützen aus Muschel-

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2 Pinna Nobilis mit Byssus und Ernteinstrument, De Réaumur 1717

Foto/©: Aus: De Réaumur 1717, S. 194.

die Möglichkeiten zur Identifizierung des Materials mit Hilfe von Durchlicht-, Auflicht- und Rasterelektronenmikroskopie am Beispiel eines aktuell aufgefundenen Objektes aufgezeigt. Es handelt sich um ein kleines, wollenes Tuchmuster mit goldfarbenen Einschüssen, das sich in dem Stoffmusterbuch der »Feinen Gewandschaft«, welches um 1813 entstanden ist, im Roten Haus in Monschau befindet (Abb. 1).

Basso-Arnoux, Giuseppe: Sulla pesca ed utilizzazione della »Pinna Nobilis« e del relativo bisso, Roma: Ministero dell‘Industria,

del Commercio e del Lavoro 1916. Mastrocinque, Beniamino: Bisso e porpora - per la rinascita delle due grandi industrie, Consiglio Provinciale dell‘Economia di Taranto: Arti Grafiche Angelo Dragone 1928.

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Kunstwerkanalyse Bettina Schwabe

Judith und Holofernes: Auf der Spur eines Bilderrätsels Oder: Das Rätsel des verschwundenen Leichnams

Das großformatige Gemälde »Judith mit dem Haupt des Holofernes« kam als Leihgabe aus Privatbesitz an die Bayerische Schlösserverwaltung. Es wurde im Restaurierungszentrum in Schloss Nymphenburg untersucht und restauriert.

Foto/©: BSV, Bettina Schwabe

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Kunstwerkanalyse 2

1 Judith und Holofernes, Guido Reni oder sein Umkreis, H. 196 cm, B. 144 cm, Öl auf Leinwand, kleisterdoubliert, Privatbesitz

Foto/©: BSV, Bettina Schwabe

2 Detail des Helms im Streiflicht

Seither ist es auf der Feste Marienberg in Würzburg ausgestellt. Da das Gemälde weder signiert noch datiert ist, lassen sich die Entstehungszeit und der Künstler bislang nur mit Hilfe stilistischer Vergleiche eingrenzen. Es wird dem Umkreis von Guido Reni (1575–1642) zugeschrieben und in das zweite Viertel des 17. Jahrhunderts datiert. Judith als Retterin Die Darstellung zeigt Judith, eine alttestamentarische Gestalt, in der christlichen Ikonographie ein Sinnbild für weiblichen Heldenmut und Tugend. Ihre Geschichte wird im »Buch Judith« geschildert, jenes nach ihr benannte apokryphe, das heißt nicht kanonische Buch des Alten Testaments: Die schöne, junge Witwe rettet die von den Assyrern belagerte Stadt Betulia, indem sie sich Zugang zum Lager des Feldhauptmanns Holofernes verschafft und ihm nach einem Gelage mit seinem eigenen Schwert den Kopf abschlägt. Mit dem in einen Sack gehüllten Haupt kehrt sie mit ihrer Magd nach Betulia zurück und präsentiert es auf den Mauern der Stadt. Die nun führerlosen Assyrer ergreifen die Flucht und werden besiegt, Judith wird als Retterin gefeiert. Das recht düstere Gemälde zeigt Judith nach vollbrachter Tötung. Demonstrativ hält sie das abgeschlagene Haupt in ihrer Linken hoch. Das blutige Schwert liegt links neben ihren Füßen auf dem Boden. Von hinten rechts naht sich ihre alte Magd, um den Kopf mit einem Stück Stoff aufzufangen. Links neben Judith erkennt man auf einem Tisch einen Helm, die Scheide des Schwertes und einen 8/2013

Kerzenleuchter mit einer erloschenen Kerze. Kunsthistorisch interpretiert haben offener Helm und Schwertscheide eindeutig sexuelle Bedeutung, die erloschene Kerze ist ein Symbol für den Tod. Untersuchungen im Zuge der Restaurierung haben ergeben, dass diese zurückgenommene, verschlüsselte Ikonographie des Geschehens erst die letzte, stark veränderte Version einer ursprünglich weitaus drastischeren Schilderung ist. Das Bild unter dem Bild Deformationen der Oberfläche der Malerei, Runzelbildung und Frühschwundrisse, sowie Beobachtungen an Ausbrüchen in der Malschicht ließen vermuten, dass unter der jetzt sichtbaren Darstellung noch weitere Farbschichten liegen. Diese Vermutungen werden durch Querschliffe bestätigt, bei denen man bis zu 10 verschiedene Farbschichten übereinander erkennen kann. Zur weiteren Klärung dieser punktuellen Analysen sollte eine Röntgenuntersuchung des gesamten Gemäldes dienen. Die Röntgenaufnahme zeigt überraschend weitreichende Veränderungen. Mindestens drei Fassungen der Szene sind zu entdecken: In der ersten Anlage der Darstellung ist in der linken Bildhälfte bei genauem Hinsehen der Oberkörper des kopflosen Holofernes als helle Partie erkennbar. Er liegt quer auf einem Bett, deutlich zeichnen sich das Oval des offenen Halsstumpfes, seine Schultern und sein Brustkorb ab. Gut sichtbar reckt sich sein linker Arm in Agonie in die Höhe. Der rechte Arm ist angewinkelt, mit der rechten Hand greift er in das senkrecht stehende 31


Themen Kunstwerkanalyse 3

3 Detail des Arms im Streiflicht

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Wien Sylvia Schönolt

Ein Aktenarchiv wird zum barocken Kleinod Im Winterpalais ist ein Saal mit Wandmalereien wiederentdeckt worden

Wenn man heute durch die Himmelpfortgasse spaziert, richtet man den Blick fast automatisch auf die gerade restaurierte Fassade des ehemaligen Winterpalais des Prinzen Eugen von Savoyen. Von 2007 bis 2012 befand sich hier die größte Baustelle in einem denkmalgeschützten Gebäudekomplex der Wiener Innenstadt.1

1

Foto/©: Belvedere, Wien

2

1 Der Winterpalast Prinz Eugens von Savoyen in der Himmelpfortgasse, Johann Adam Delsenbach (1687– 1765), undatierter und kolorierter Druck, H. 25,5 cm, B. 41,2 cm 2 Letzte Vorbereitung vor der Eröffnung 3 Die Beletage

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Die Baustelle umfasste außer dem Savoy’schen Palais noch die links und rechts anschließenden Häuser Himmelpfortgasse 8b, »Alte Münze« genannt, und Himmelpfortgasse 6, das sogenannte »Baderische Haus«. An der Rückseite des letztgenannten Gebäudes, in der Johannesgasse 5/5a, befindet sich das ehemalige Palais QuestenbergKaunitz, welches ebenfalls Teil des Bauprojekts war. Alle vier Einheiten stehen im Besitz der Republik Österreich und werden vom Bundesministerium für Finanzen genutzt. Das Projekt zur Generalsanierung des Finanzministeriums startete 2001 mit einem zweistufigen EU-weiten Generalplanerwettbewerb. Gerhard Seebach, Bauforscher, analysierte in Abstimmung mit dem Bundesdenkmalamt alle Gebäude hinsichtlich ihrer künstlerischen Ausstattung sowie des anzunehmenden denkmalpflegerischen Aufwands und lotete beim Bundesdenkmalamt die Möglichkeiten für Veränderungen aus. Für die restauratorischen Arbeiten wurden Bauteiluntersuchungen vorgenommen, um genaue Kenntnisse

über den Baubestand zu erhalten und Maßnahmenkonzepte für die zu restaurierenden Bauteile zu erstellen.2 Ergänzend wurden Materialproben aus Stein, Stuck, Putz, Metall und Holz entnommen und im Naturwissenschaftlichen Labor des Bundesdenkmalamtes analysiert. Auf Basis all dieser Untersuchungen wurden die Konservierungsund Restaurierungsziele mit dem Bundesdenkmalamt gemeinsam festgelegt und umgesetzt.

1

Erstveröffentlicht in Husslein-Arco, Agnes (Hrsg.): Das

Winterpalais des Prinzen Eugen von Savoyen, Wien 2013, S. 39-53. 2

Gerhard Seebach, der im Dezember 2008 verstarb, führte

bereits ab 1996 Untersuchungen durch, verstärkt in der Phase 2004 bis 2008. Ergänzend wurden Untersuchungen durch Restauratoren bis ins Jahr 2012 vorgenommen. Sämt­liche Ergebnisse

und

Maßnahmenkonzepte

sind

in

den

Akten des Bundesdenkmalamtes unter der Geschäftszahl 70 archiviert.

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Wien

Fotos/©: Gerhard Seebach für Architekt Strixner, Nachlass Seebach im BDA

4

5

4 Archivräume im Mezzanin vor Beginn der Bauarbeiten, April 2005 5 Archivräume im Erdgeschoß vor Beginn der Bauarbeiten, März 2005

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Die Erdarbeiten in den Höfen und teilweise auch in den Innenräumen, besonders den Kellern, der sogenannten Sala terrena und der heutigen Bibliothek des Finanzministeriums, wurden von Archäologen begleitet und dokumentiert.3 Die Restaurierungsarbeiten aller Räumlichkeiten werden ausführlich in dem gerade erschienenen Katalog über das Winterpalais dargestellt. In diesem Beitrag werden einige Aspekte herausgegriffen, im Besonderen die barocke Sala terrena mit ihren Wandmalereien, die unter Aktenbergen schlummerte und nun wieder in Gänze der Öffentlichkeit zugänglich ist. Das Vestibül Bereits die Untersuchungen für die letzte umfangreiche Restaurierung des Vestibüls in den 1980er Jahren hatten bewiesen, dass die Putz- und Stuckoberflächen in Weiß gefasst waren.4 Zu Beginn der jetzigen Arbeiten gab es gröbere Schäden bei der Puttengruppe im Nordwesteck, die durch einen Wassereintritt wesentliche Substanzverluste erlitten hatte, sowie starke Rissbildungen im Bereich der unter Pacassi Mitte des 18. Jahrhunderts eingezogenen Zwischenwand im ehemaligen Festsaal.5 Nach einer sorgfältigen Freilegung aller Putzflächen, Stuckaturen und Steinelemente folgten Bestandssicherungen und Ergänzungen in Kalktechnik mit einer abschließenden Kalkfärbung in gebrochenem Weiß. Besonderes Augenmerk wurde auf eine lasierende Technik für die vier Reliefs beim Aufgang zur Prunkstiege gelegt, da diese äußerst detailreich modelliert sind. Wendet man sich nach rechts zur Prunkstiege, steht man vor dem schwarz gestrichenen schmiedeeisernen Gitterportal, in dessen Mitte ein ziselierter Schlosskasten aus Messing prangt. Die ­Tore zur Prunkstiege waren vor der Restaurierung von zahlreichen schwarzen Farbschichten bedeckt, so dass erst die Reinigung durch verschie-

dene Strahltechniken interessante Details ans Licht brachte. Auf dem Schlosskasten entdeckte man auf der mittleren Leiste einen Feldherrn, der auf einem Podest unter einem adlerbekrönten Baldachin steht, mit der rechten Hand einen Schlüssel triumphierend in die Höhe hebend. Nach der Restaurierung kommen auch die schönen Schmiedearbeiten wieder zur Geltung, unter anderem die als Wächter gestalteten Türangeln und die zwei oben am Haupttor angebrachten Köpfe, einer an der Außenseite, einer an der Innenseite des Tores. Diese stellen eine absolute Besonderheit dar: Die von einer Art Lorbeerkranz gerahmten Köpfe wurden nach Aussage des Restaurators6 aus massivem Eisen geschmiedet, eine Technik, die aus Italien und Frankreich, nicht aber aus Österreich bekannt ist. Die Gesichter sehen sich sehr ähnlich und stellen ein und dieselbe Person dar, einen Mann in jüngeren und in älteren Jahren. Eine gewisse Ähnlichkeit mit Prinz Eugen kann man den Porträts nicht absprechen … Der Prinzipalhof Hat man das Vestibül durchschritten, gelangt man in den sogenannten Prinzipalhof. Während der Restaurierung im Jahr 2004 fand Gerhard Seebach die Vorzeichnung für ein Fresko oberhalb der Terrasse an der den Prinzipalhof abschließenden Fassade. Diese Vorzeichnung stellt den Architekturprospekt einer antiken Stätte mit Säulen, Arkaden und Stufenanlagen dar.7 Die Architektur ähnelt so mancher Scaenae frons, der Bühne eines antiken Amphitheaters.8 Die Perspektive ist so gewählt, dass man vom gegenüberliegenden ehemaligen Festsaal wohl die beste Aussicht gehabt hätte. Es ist bis dato nicht bekannt, wer die Sinopia zeichnete und warum das Fresko nicht ausgeführt wurde – es wäre sicher lohnend, Forschungen über die infrage kommenden Künstler anzustellen.

3

Größtenteils bereits veröffentlicht in den FÖ-Fundberichte

aus Österreich. Unveröffentlichte Grabungsberichte von Paul Mitchell und Doris Schön sind in den Akten des Bundesdenkmalamtes unter der Geschäftszahl 70 archiviert. 4

Den ausführenden Firmen und Restauratoren sei an dieser

Stelle für ihre Leistungen gedankt. Die Restaurierungsberichte sind unter der Geschäftszahl 70 archiviert. 5

Aus diesem Grund wurde die gemauerte Verfüllung im ers-

ten Stock unter dem Entlastungsbogen abgetragen und gegen eine Leichtbauwand ausgetauscht. 6

Metallrestaurator Stephan Biró.

7

Gerhard Seebach, unpubl. Dokumentation des Architektur-

prospektes 2005, in den Akten des Bundesdenkmalamtes unter der Geschäftszahl 70 archiviert. 8

Für diesen Hinweis sei dem Landeskonservator von Wien,

Friedrich Dahm, herzlich gedankt.

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Wien

Durchbohrt, überfasst und vom Verkehr erschüttert Schönbrunn konserviert das Porzellan der asiatischen Kabinette – Gabriela Krist, Birgit Müllauer und ein österreichisches Forscherteam erarbeiten die Grundlagen. Ein Interview.

sia um 1755/60 eingerichtet wurden, zeigen eine aufwändige Materialkombination: Ostasiatische Lackarbeiten sind in die Raumschale integriert, gerahmte Aquarelle und Grafiken zieren die Wände. Porzellanobjekte stehen auf geschnitzten und gefassten Konsolen und fungieren als zusätzliche Dekoration.

1

Frau Müllauer, was ist aus Restauratorensicht so besonders an den Porzellanen? Birgit Müllauer: Sicher die Komplexität der Materie. Es sind daher auch mehrere Aspekte, die wir untersuchen. Wir befassen uns unter anderem mit der Montage der Porzellane auf den Konsolen und wie wir diese verbessern können. Die ostasiatischen Kabinette von Schloss Schönbrunn liegen zwischen zwei Hauptverkehrsachsen und in den Räumlichkeiten herrscht ein hoher Besucherandrang. Daher werden wir hier in enger Zusammenarbeit mit Elfriede Iby, wissenschaftliche Leitung der Schloß Schönbrunn Kulturund Betriebsges.m.b.H. und Georg Töpfer Vibrationsmessungen durchführen und die Ergebnisse in das Montagesystem integrieren.

2

Gabriela Krist: Ein weiterer Punkt ist die Frage nach der Vollständigkeit und der Zugehörigkeit der Porzellane. Es gibt Objekte, die aus der persönlichen Sammlung Maria Theresias stammen. Andere wiederum wurden von Maria Theresia für die Kabinette erworben. Außerdem haben wir heute weniger Porzellane als Konsolen und müssen uns Gedanken zu einer Neuaufstellung machen. Wir gehen daher gerade der Frage nach, wie die ursprüngliche Aufstellung ausgesehen hat und wie sie sich in den Folgejahren verändert hat.

1 Gabriela Krist 2 Birgit Müllauer

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Wolfgang Kippes, der ehemalige technische Leiter von Schloss Schönbrunn, hat den Forschungsund Handlungsbedarf zum Erhalt der »Chinesischen Kabinette« im Schloss Schönbrunn erkannt und für die kommenden drei Jahre ein vom FWF gefördertes Forschungsprojekt angeregt. Die fernöstlichen Kabinette, die von Maria There-

Was gibt Ihnen darüber Aufschluss? Krist: Ein erster Ansatzpunkt sind die Inventarund Bezeichnungsnummern auf den Objekten. Zudem haben wir Vergleichsobjekte aus anderen Wiener Sammlungen, wie dem Bundesmobiliendepot oder dem Museum für Angewandte Kunst. Die schauen wir uns gerade an. Müllauer: Es sind Aquarelle und Lithografien von 1855/60 vorhanden, allerdings sehr, sehr wenige. Doch sie wurden genau ausgeführt und können 43


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