Stein 01 2010

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Zeitschrift für Naturstein 01/2010

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Zeitschrift für Naturstein

Gestalten

Margot Käßmann über den Friedhof

Angesprochen

Planen mit Naturstein

Natursteinplatten extradünn

www.s-stein.com

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www.s-stein.com

Bildhauer

Baustelle

Januar 2010

Bildhauer


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Nachrichten 6

Das Berliner Schloss wird gebaut Eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf macht den Weg frei.

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Die Bauwirtschaft 2010 Was die Wirtschaftsweisen für die Baukonjunktur prognostizieren

Gut zu wissen 10

Angesprochen Planen mit Naturstein

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Chefsache Naturstein als Marke

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Lehrjahre Im ersten Lehrjahr

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Mobil Unterwegs in Soest

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Vor Ort Prags steinernes Erbe

Gestalten 22

Neues Recht – was nun? Wie sich die EU-Dienstleistungsrichtlinie auf den Friedhof auswirkt.

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Friedhof? Ja bitte! STEIN im Gespräch mit Landesbischöfin Margot Käßmann

Baustelle 58

Acht sind genug Acht Millimeter starke Natursteinplatten in einem Badezimmer in Greven

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Kubus mit Struktur Fassaden aus Neubrunner Sandstein: Stadtvillen in Braunschweig

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Inhalt

Bildhauer 28

Skulptur heute: Formen im Raum Eine Standortbestimmung des Plastischen in der zeitgenössischen Kunst

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Netzwerk für Künstler Ein Webportal für Künstler, Sammler und Galeristen

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Stress für kreative Köpfe Wie der Kunstschaffende zum Unternehmer wird.

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Im Bilde Bildhauer über Ihre Werke, Inspirationen und Möglichkeiten

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Seelenbasalte Ein moderner Schamane und seine Kunst für die Seele

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Mikrokosmos im Makroformat Molekül oder Meeresgetier? Organische Skulpturen aus Marmor

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Zeitsysteme Ein Künstler hält Zeitabläufe in Stein fest.

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Die Fläche spannen Das Gestaltungsprinzip Fläche eröffnet neue Blickwinkel.

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Der Roboter als Steinmetz Erste Anwendungen zeigen das Potenzial der Automaten.

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Seitenblicke Bildhauer und bildhauern

Unternehmen & Produkte 64

3 17 86 90

Neues und Bewährtes aus den Bereichen Naturstein, Maschinen, Werkzeuge und mehr Betreff Medien Leute Vorschau/Impressum/ Fotonachweis

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Wie arbeiten Bildhauer, wie finden sie ihre Ideen? Gibt es für Künstler neben der klassischen Bildhauerei neue Quellen für den Broterwerb? STEIN sprach mit Bildhauern über ihre Werke, Inspiration und Möglichkeiten.

Für die Künstlerin Sybille Pasche steht die Arbeit an der Form im Fokus. Aus Steinrohlingen schafft sie organische Rundformen, die Assoziationen an die Welt des Meeres hervorrufen oder wie Moleküle anmuten.

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Steine haben eine Seele, wenn sie ihnen der Mensch einhaucht. Von der Urzeit bis in die moderne Kunst ist dies vielfach praktiziert, aber selten verstanden worden. Der Bildhauer Matthias Jackisch erschafft Kunst für die Seele.

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Eine anspruchvolle Bauherrin, ein komplizierter Untergrund und ein perfektes Ergebnis. Acht Millimeter starke Natursteinplatten in einem Badezimmer in Greven.

www.s-stein.com Meisterstücke aktuell Auf der STEIN-Homepage finden Sie die aktuellen Meisterstücke 2009 der diversen Meisterschulen. Viel Spaß beim Schmökern! www.s-stein.com -> Bildergalerie

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Angesprochen

Vom Minimalismus geprägt Stein als Bindeglied zwischen gedanklicher Konstruktion und gewachsener Natur. Der Mensch ist in der Lage, die gebaute Umwelt nach seinem Willen zu gestalten. Ingenieurtechnische Meisterleistungen lassen die Grenzen dessen, was heute machbar ist, in immer weitere Fernen rücken. Stein als Baumaterial verbindet das Streben nach Minimalismus mit dem Streben nach Natürlichkeit. Von Detlev Hill

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mmer höher, immer tiefer, immer weiter. Die architektonischen Formen, derer man sich dabei bedient, reichen von hochkomplexen, organisch anmutenden Geometrien bis hin zu rein geometrischen Konstrukten, die allenfalls mit der menschlichen Ergonomie noch die Proportion gemeinsam haben. Minimalismus ist das Credo vieler Architekten. Hier können Sie zeigen, dass sie sich den Kanon der Flächen und Proportionen verinnerlicht haben und die notwendigen Sachverhalte auf ein Minimum abstrahieren können. Der Raum wird vergeistigt und in bewussten Kontrast zur Formenvielfalt der Natur gestellt. Er wird sozusagen zur Quintessenz dessen, was der Mensch von seinem natürlichen Umfeld benötigt.

Das war bisher S02 S03 S04 S05 S06 S07 S08 S09 S11 S12 S01

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Die Mengen schwinden Werbung und Naturstein Persönliche Kontakte Nicht kleckern, sondern klotzen Wenn die entscheidende Position fehlt Wie Arbeitsstrukturen die Gesellschaft verändern Der Kontakt zum Architekten Die Kraft der handwerklichen Leistungen Die Wunderwelt der Informationen Abheben von Billiganbietern Planen mit Naturstein

Rational durchdacht und von jedem Ballast befreit. Ein gläserner Kubus, der ihn vor der rauen Witterung schützt und ihm durch Hinzufügen massiver Elemente ein Refugium für die Privatsphäre bietet. Allem Dekor wird der Kampf angesagt, und dies nicht nur im Bereich des Gebäudes an sich, sondern auch im Bereich der gesamten Inneneinrichtung. Wenn funktionale Elemente erforderlich sind, dann bitte nur in geometrischen Grundkörpern. Komplexität stört die Harmonie des Durchdachten. In Verbindung mit der Natur können derartige Gestaltungen sehr reizvoll wirken. Vor allem dann, wenn Licht und Schatten ins Spiel kommen. Richard Neutra hat dies in seinen Bauten und architektonischen Abhandlungen eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Trotz statischer Geometrien vollzieht sich bei natürlicher Beleuchtung ein ständiger Wandel des Baukörpers. Seien es die harten Schlagschatten im mediterranen Raum, die sämtlichen Kuben, Wandflächen und -nischen Ausdruckskraft verleihen, oder seien es in unseren Breitengraden wechselnde Belichtungsverhältnisse zwischen Sonnenschein und Bewölkung, die vor allem homogene Flächen dynamisieren.

Minimalismus und Natur Minimalistische Architektur bietet eine Projektionsfläche, die mit ihrer natürlichen Umgebung kommuniziert. Der Kontrast des minimalistisch Gebauten zur üppigen Vielfalt der Natur bedingt, dass die Wahl der Baustoffe sehr dezent erfolgen muss. Ein Sammelsurium an Werkstoffen stört die Harmonie. In einer derart vergeistigten Architektur braucht das Auge Ruhe. »Less is more« (weniger ist mehr). Die Kunst der Gestaltung liegt in der Reduktion. Wer sich als Baustoff an diesem Ensemble beteiligen möchte, muss von sich aus Ruhe ausstrahlen. Dominanz zerstört die Harmonie des Ganzen. Stein ist ein idealer Werkstoff für derartige Gestaltun-

gen. Er ist das Bindeglied zwischen den gedanklichen Konstrukten der Erbauer und der mächtigen Allgegenwart der Natur. Der Planer sollte sich dabei bewusst sein, dass er die Natur nur bis zu einem gewissen Grad beeinflussen kann. Er kann den Werkstoff nicht modifizieren, sondern lediglich selektieren. Wer mit der Natur baut, muss mit ihr ringen, um ihr das abzuverlangen, was seinen Vorstellungen am ehesten entspricht. Dies setzt entsprechende Sachkenntnis und Einfühlungsvermögen voraus. Die Arbeit mit Naturstein stellt für den Planer eine große Herausforderung dar, doch zur Belohnung wird die Kraft, die er investiert hat, in der fertigen Arbeit spürbar.

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Angesprochen

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Autor

Autor Detlev Hill ist Inhaber des Informationsdienstes Naturstein und im Bereich der Produktentwicklung und Verkaufsförderung tätig. In STEIN beantwortet er unterschiedliche Fragen des Naturstein-Marketings. Neben seiner Tätigkeit als Berater ist Hill Fachautor und Referent zahlreicher Natursteinseminare. www.steininfo.de

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Bildhauer

Im Bilde

Wie arbeiten Bildhauer, wie finden sie ihre Ideen? Gibt es für Künstler neben der klassischen Bildhauerei neue Quellen für den Broterwerb? STEIN sprach mit Bildhauern über ihre Werke, Inspirationen und Möglichkeiten. Von Beate Ullrich

Heike und Jiri Mayr –

Das Wesentliche finden »Viele Teile, die zu einem Ganzen zusammengefügt werden, sind nicht nur ein additives Anhäufen von Material«, erläutert die Bildhauerin Heike Mayr Aspekte ihrer Kunst. »Es geht um die Einstellung dahinter, die Energie«, ergänzt ihr Mann Jiri Mayr, ebenfalls Bildhauer. Die beiden Künstler leben in Burtenbach in der Nähe von Augsburg in einem ehemaligen Bau-

ernhaus. Sie arbeiten dort gemeinsam in einem zum Atelier umgebauten Stall, der direkt an das Wohnhaus grenzt. Ein großer Garten wird als Skulpturenpark genutzt. Die Exponate

des Künstlerehepaars benötigen den großen Raum, um sich zum einen voll zu entfalten, zum anderen auch, um vom Betrachter in ihrem ganzen Wesen und ihrer Gestalt wahrgenommen

Der Stein hat in » seiner Blockhaftigkeit eine

«

gewisse Stärke.

zu werden: Es sind Blöcke, Blöcke aus Stein. Sie sind in verschiedenartigen Kompositionen angeordnet, mal in sich geschlossen, mal nebeneinander stehend oder übereinandergeschichtet. Behauen von Hand mit unterschiedlichen Oberflächenbearbeitungen. »Das hängt ganz vom Stein ab. Mal werden die Oberflächen scharriert, mal gespitzt, jedoch nie poliert oder nur mit Maschinen bearbeitet«, so die Bildhauerin Mayr. Die handwerkliche Bearbeitung steht im Vordergrund. Nie werden zwei unterschiedliche Bearbeitungsweisen für ein Werk angewandt, nie mehrere Steinsorten. Das Ehepaar Mayr arbeitet hauptsächlich mit Steinen aus europäischen oder heimischen Regio-

Gesamtgestaltung der Emmauskirche, Neusäß, 2000

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Bildhauer

Ohne Titel, Muschelkalk, achtteilig, h 49 cm, Modell 1:7, 1993

Ohne Titel, Russischer Granit, vierteilig, h 171 cm, 1996

nen: unterschiedliche Granitsorten wie Hauzenberger oder schwarzer schwedischer Granit, Diabas, Muschelkalk, Basalt. Das überaus hohe technische Niveau der handwerklichen Bearbeitung kann als das wich-

Ohne Titel, schwarzer schwedischer Granit, achtteilig, h 97 cm, 1994

worden sind, eint sie doch eine gemeinsame Formensprache. Zwar arbeiten sie auch getrennt an einzelnen Objekten, doch ist gerade die gemeinsame Arbeit an Projekten wie der künstlerischen Gesamtgestaltung der

Mal werden die Oberflächen » scharriert, mal gespitzt, jedoch nie poliert.« tigste Qualitätsmerkmal der Arbeiten von Heike und Jiri Mayr angesehen werden. Obwohl die beiden Künstler bei unterschiedlichen Professoren an der Düsseldorfer Akademie ausgebildet

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Emmauskirche in Neusäß bei Augsburg von hoher gestalterischer Qualität. Ein wichtiges, wiederkehrendes Symbol in Heike und Jiri Mayrs Kunst ist das Tor. Oft werden Blöcke in tor-

ähnlichen Kompositionen angeordnet. Diese Werke verdeutlichen sehr stark die menschlichen Aspekte in der Kunst der beiden Bildhauer: Sie sind Sinnbild für Vergangenheit und Zukunft, Leben und Tod, vorher und nachher. Tore trennen und vereinen gleichzeitig. Sie trennen Zeit und Raum, bieten aber auch die Möglichkeit für den Betrachter, sie zu durchschreiten. Das ist das verbindende Element. Die Arbeitsweise hat sich gerade bei Heike Mayr im Laufe der Jahre geändert. So fand die Künstlerin am Anfang ihrer bildhauerischen Laufbahn durch Anordnen behauener Blöcke ihre Kompositionen. Heute arbeitet Heike Mayr mit Plastelin. Sie fertigt maßstabsgetreue Modelle der künftigen Skulpturen an. »Auf diese Weise

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Bildhauer

Seelenbasalte Steine haben eine Seele, wenn sie ihnen der Mensch einhaucht. Von der Urzeit bis in die moderne Kunst ist dies vielfach praktiziert, aber selten verstanden worden. Der Bildhauer Matthias Jackisch, eine Art moderner Schamane, erschafft Kunst für die Seele. STEIN hat ihn besucht. Von Andreas Fels

D

er Stamm eines abgestorbenen Baumes gibt zwei Toren halt. Rechts eine große Einfahrt, links eine kleine Pforte. Dahinter breitet sich das Reich eines Menschen aus, dessen Denken und Fühlen so ganz und gar nicht konventionell ist. Matthias Jackisch reicht mir die Hand und lädt mich zum Tee ein. Es ist grüner Tee aus Korea. Getrunken wird nicht aus Tassen, sondern aus Schalen. Wir reden über Vergangenes und über den Umgang mit der Kunst. Die Vita meines Gegenübers begann völlig normal. In Oschatz bei Leipzig wurde er 1958 geboren. In Neukirch, einem kleinen Dorf in der Lausitz, wuchs er auf. Die Neigung zum Stein war schon früh vorhanden und die Lehre zum Steinmetz daher folgerichtig. Doch die Arbeit am Stein, immer nach vorgegebenen Zeichnungen, reichte ihm nicht. Jackisch wollte mehr, selber entwerfen, den Stein nach seinen Vorstellungen formen. So studierte er an der Dresdener Hochschule für Bildende Künste und kann sich ein Urteil erlauben. Die Kunst der DDR war zweifellos ideologisch behaftet. Aber das heutige Kunstverständnis als frei anzusehen, weigert sich Jackisch. Es ärgert ihn, dass es immer noch zwei deutsche »Künste« gibt. Eine davon bezeichnet er als »Eingeborenenkunst«: »Die Auseinandersetzung mit der Moderne gibt es in allen Ländern, nur hier in Deutschland wird sie zugespitzt. Neues liegt wahrscheinlich nicht jenseits des Alten«, sagt er im Hinblick auf das, was heute gelehrt wird. Gerade weil er Dinge schafft, die vielen so fremd erscheinen, betont er das Wichtige im

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Vergangenen. Mit großer Achtung spricht Jackisch von den Leistungen früherer Zeiten und meint: »Grundlagen müssen gelehrt werden, zeichnen ist unheimlich wichtig. Schau doch mal, wie die Alten zeichnen konnten. Und dabei wurden sie nicht alle große Bildhauer, jeder einfache Baumeister konnte gut zeichnen.«

Jackischs Welt Jackisch ist Kosmopolit, der seine Erfahrungen in vielen Ländern der Erde gesammelt hat. In Europa war er in Bulgarien, Rumänien, Ungarn, Italien, Schweden, Finnland, Polen, Frankreich, Russland, England und Spanien. Durch Amerika ist er von Ka-

Der Dresdner Bildhauer Matthias Jackisch bläst eine Wassermusik auf einer selbst hergestellten Flöte aus Basalt.

nada bis Mexiko, Honduras und Guatemala gezogen. Japan, Südkorea und Thailand waren seine Ziele in Asien. Wie in »Sofies Welt«, dem viel gelesenen Roman des Norwegers Jostein Gaarder, hat sich auch Jackisch’s Welt Stück für Stück zu einer Lebensphilosophie gefügt. Hierbei hat sich aber nicht nur seine Mentalität verändert. Jackisch glaubt, eine Erklärung für die so unterschiedliche skulpturale Genese in den Künsten Europas, Amerikas und Asiens gefunden zu haben. »Europa leitet alles vom Grundriss her, ohne Grundriss keine Skulptur. Das ist von den Griechen in ihrer klaren geometrischen Struktur entwickelt worden und so geblieben. Im Grunde sind wir europäischen Bildhauer auch

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Bildhauer

heute noch Griechen«, sagt Jackisch. Für die alten Mayas und Atzteken in Amerika hat er eine andere Erklärung und meint: »Bei denen ist alles aus einer Wand mit einem Riss entstanden, verstehst du? Die haben mit ihren Obsidianklingen die steinerne Oberfläche bearbeitet, wie man Alabaster schnitzt. Nach und nach ist so eine Figur entstanden.« Er hat es in Mexiko monatelang probiert, der Erfolg war spärlich. Am Ende zog es den Griechen Jackisch nach Hause zurück, nach Europa. Eine besondere Faszination geht für ihn von Asien aus: »Dort ist die Grundidee die Linie. In tausenden Varianten bietet sie immer neue Möglichkeiten der skulpturellen Entwicklung. Eine Erklärung der Entstehung ist nicht wichtig, weil nur das Ergebnis zählt.« Er sagt es mit Gedanken versunkenem Blick und weiß, dass das weder der Künstler noch der Journalist in Worte fassen können. So etwas kann man nur fühlen. Dazu braucht man sie, die Seelenbasalte oder zumindest auch Steine für die Augen. Unter dem Motto »Augenstein« hat Jackisch sein bisher größtes Projekt umgesetzt. Für das Jakob-Kaiser-Haus des Deutschen Bundestages in Berlin hat er einen zehn Tonnen schweren, granitenen Monolith aus Schweden geholt und in acht Teile zersägt. Sechs davon wurden entlang ihrer Längsachse durchbohrt und in den freien Räumen des Jakob-Kaiser-Hauses zu beiden Seiten der Dorotheenstraße an der Decke hängend angebracht. So erinnern sie an die Wildnis Schwedens und an die urgewaltigen Kräfte der Eiszeit, welche die Natur hervorgebracht hat.

Meeresrauschen im Ohr »Die Natur ist ein großer Meister. Wir schauen nur viel zu wenig hin«, sagt Jackisch. »Wenn du dich in sie einfühlst, gibt sie dir die besten Ideen gleich mit.« Als Beispiel nennt er seinen »Mann mit dem Meeresrauschen im Ohr«. Das Erste, was er sah, war eine fossile Muschelbank im Sandstein. Da brauchte also nur der Kopf entstehen und schon war die etwas skurrile Figur fertig. Aber man muss eben

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sehen können, sonst wird es nichts. Überhaupt ist es so ein Problem mit dem dreidimensionalen Sehen. »Durch unsere Computer- und Fernsehwelt sind wir nämlich überwiegend zweidimensional sehend«, meint Jackisch und bemerkt meine etwas hilflose Reaktion auf diese Aussage. Da er viel liest, ist er von Fachbüchern, Gedichten, Romanen bis hin zu philosophischen Abhandlungen umgeben. Das mikrokosmische Chaos im Zimmer ist aber nur scheinbar. Gezielt greift Jackisch das Buch »Kleines Mädchen mit komischen Haaren« von David Foster Wallace heraus. »Hier, lies mal, vielleicht weißt du dann, was ich meine« sagt er und tippt auf eine markierte Stelle im Buch: »Um einen ähnlichen Erkenntnisschub zu erzielen wie vor hundert Jahren, müsste realistische Literatur eigentlich im Bekannten das Fremde aufdecken, müsste paradoxer-

imaginäre Figur im Raum gereicht. Jakkisch merkte aber bald, dass dieses Denken auch Gefahren in sich birgt. Die Negation allen Seins führt zum Nihilismus. Das Denken in völlig leeren Räumen förderte die Gleichgültigkeit, machte ihn auch im Arbeiten viel langsamer als sonst. Doch auch hier hat er etwas völlig Neues, für ihn wohltuendes gefunden. Um seiner Seele die Möglichkeit einer umfassenden Kommunikation zu geben, nutzt er die Ausdrucksformen von Tönen und Musik. Die Instrumente sind steinern, von ihm selbst hergestellt und mit einer Seele versehen.

Steinflöten Es war einmal vor langer, langer Zeit, da besaßen die Figuren eines Märchens steinerne Flöten. Durch das Spiel auf diesen Flöten gerieten sie in Den Querschnitt der »Seelenbasalte« hat die Natur bereits freigelegt. Aus den verwitterten Grundrissflächen ist eine zoomorphe Figur entstanden.

weise das, was wir für real halten, das heißt die zweidimensionalen Medienbilder, in die dreidimensionale Welt zurückführen, also aus den flachen Images des Fernsehens die verloren gegangene Wirklichkeit rekonstruieren.« Genau das ist es, was er auch in der Bildhauerei vermisst. Deshalb ist es nämlich heute so schwer. Und da wären wir auch schon bei dem Verhältnis von Figur und Raum. In mehreren Performances hat er darüber nachgedacht. Es ist auch gleich, ob er performative Skulpturen macht oder eher doch skulpturale Performance. Die Raumaufteilung ist für ihn immer wieder ein Erlebnis. Einmal ging dies sogar so weit, dass er gar keine Skulptur machen wollte, weil sie den Raum belasten könnte. Da hätte also schon eine

Der »Mann mit dem Meeresrauschen im Ohr« ist zur Hälfte Vorgabe der Natur und zur Hälfte das Werk des Bildhauers. Ohne einander wären beide nichts.

die Lage, sich selbst oder auch andere Dinge zu verwandeln. Wie das Märchen hieß, weiß Jackisch nicht mehr, aber die Sache mit den steinernen Flöten fasziniert ihn bis heute. 1997 war es so weit. Er hatte sich seine erste eigene Flöte aus einem schwedischen

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Bildhauer

Mikrokosmos im Makroformat Für die Künstlerin Sybille Pasche steht die Arbeit an der Form im Fokus. Aus Steinrohlingen schafft sie organische Rundformen, die Assoziationen an die Welt des Meeres hervorrufen oder wie Moleküle anmuten.

Von Kathrin Frauenfelder

NYC, Mischtechnik auf Papier, 2008

S

ybille Pasche wusste schon früh, dass sie Künstlerin werden wollte, und es stand für sie fest, dass sie ein Handwerk lernen wollte, mit dem sie Raum und Volumen, mit dem sie die dritte Dimension bearbeiten konnte. Als sie Umschau nach einer Ausbildungsstätte hielt, zog es sie nach Italien. Sie schrieb sich 1996 an der Accademia di Belle Arti di Carrara ein und besuchte die Klasse für Bildhauerei. Sie interessierte sich für die klassischen Bildhauertechniken wie Steinbearbeitung und die Techniken des Bronzegusses. Bald hatte sie auch einen Werkplatz im Atelier der Statuaria Marmi und später im Studio d’Arte (bei) Corsanini. Das Bildhauerstudium hat sie im Jahr 2000 abgeschlossen. Doch Carrara ist sie treu geblieben und ihren Werkplatz in der unmittelbaren Nähe des Steinbruchs hat sie behalten. Regelmäßig reist sie in die Toskana, um dort die großen Skulpturen anzufertigen. Kleinere Objekte meißelt sie in ihrem Atelier in Meilen. Seit sie auch in den USA ausstellt, arbeitet sie zeitweise in Miami und New York.

Faszination Marmor Selbstverständlich hat Sibylle Pasche zu Beginn ihrer künstlerischen Tätigkeit als Bildhauerin Figuren hergestellt. Und sie hat mit verschiedenen

Floating, Marmor Bianco Carrara, 2007

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Materialien experimentiert. In ihrem Showroom stehen Skulpturen, gefertigt aus Terrakotta, Bronze, Eisen, Gips und Glas. Gips benützt sie auch heute gelegentlich, um die Wirkung von neuen Formen zu studieren. Doch ihre Vorliebe gilt unvoreingenommen dem weißen Carraramarmor, dessen Kristalle so einzigartig im Sonnenlicht glitzern. Gerne arbeitet sie auch mit dem grauen Carraramarmor. Oder sie kauft sich, da in Carrara mit Steinen Handel getrieben wird, gelegentlich einen schwarzen Marmor aus Belgien, einen porösen Travertin aus einem römischen Steinbruch oder einen Travertino Noce (Nusstravertin) aus Siena. Die Figur ist längst aus dem Repertoire der Bildhauerin verschwunden. Es ist die abstrakte Plastik, der heute ihre ganze Aufmerksamkeit gilt. Die Faszination für den Marmor hat die Künstlerin zu einer Serie von Werken angeregt, in der sie das Eigenleben des Materials erkundete, um die inhärente Schönheit des Werkstoffs zur Darstellung zu bringen. So zum Beispiel schliff sie Steine in einer Weise, dass auf der matt polierten Oberfläche der Schwung einer Ader als Zeichnung sichtbar wurde. Oder sie sprengte die geschliffenen Steine entlang einer Ader auf und zeigte die malerische Kraft der Färbung im Inneren des Gesteins. Andere Steine umwickelte sie mit dünnem Silberdraht. Doch bald stand die Arbeit an der Form im Fokus. Sibylle Pasche schaffte aus den Rohlingen organische Rundformen, die Assoziationen an die Welt von Meeresgetier hervorrufen: an Muscheln zum Beispiel oder an Schnecken, an Quallen oder an einen geschmeidigen Fischleib. Andere Formen erinnern an natürliche Verände-

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Azzurro Infinitodella Terra, 2006 (vorne) Perso in Mezzo al Mare, 2007 (hinten), Marmor Bardiglio

rungsprozesse, an Vorgänge in der Mikrowelt wie an das Brodeln von Flüssigkeiten im Chemielabor oder an das Verschmelzen von Atomen zu Molekülen. Hingegen meint man in den flach gedrückten Ovaloiden die Gestalt von Ufos zu erkennen. Stets sind es bis aufs Maximum reduzierte Formen, die von der Gestalt her oft eiförmig oder elliptisch sind und die in irgendeiner Weise an Modelle oder an Urformen erinnern.

Daydream, Marmor Ordinario, 2006

Upside down, Marmor Statuario, 2009

Schönheit und Zeitlosigkeit Variantenreich schleift Sibylle Pasche Spalten, Mulden und Löcher in den unterschiedlichsten Anordnungen in die Oberflächen. Manchmal ist es nur ein einziges Loch, das Spannung erzeugt. Manchmal wird die ganze Oberfläche mit einem System von Löchern oder von netzartigen Strukturen überzogen und manchmal dringt sie in die Tiefe des Gesteins vor, sodass die Eingriffe in ein lebendiges Inneres blicken lassen, wo je nach Lichteinfall ein wechselvolles Spiel von

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Licht und Schatten zu sehen ist. Die Interventionen folgen nicht allein dem gestalterischen Willen der Künstlerin. Denn, so meint Sibylle Pasche: »Der Stein hat ein Eigenleben, er hat eigene Reaktionen. Man kann ihm nicht immer nur seinen eigenen Willen aufdrängen; man muss mit ihm arbeiten, nicht gegen ihn.« Bei den jüngeren Skulpturen, die die Bildhauerin seit ca. 2007 herstellt, wird Material abgetragen, sodass runde oder spitze Ausstülpungen auf

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