Zeitschrift f端r Naturstein
Verlegen Technik Baustelle
Vorteile des Dickbetts Treppen rationell fertigen Wasserspeier f端r Freyburg
Alles Fassade
Februar 2012
Gut zu wissen
Fassade
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Vor Ort Bildungswoche der Steinmetzmeister
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Alles Fassade Stein als Fassadenmaterial der zeitgemäßen Architektur
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Vor Ort Seminar auf Sizilien
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Upper EastSide Berlin Travertin für ein Gebäudeensemble in Berlin
Wir lieben Wasser!
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Mobil Steinernes Mysterium Tikal
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Lernen von Otto Wagner Fassadenklassiker: die Postsparkasse in Wien
Weil wir es in die richtigen Bahnen lenken.
Inhalt
Die Fassade ist die Schnittstelle zwischen innen und außen, soll technisch einwandfrei funktionieren, für ein angenehmes Raumklima sorgen, beim Energiesparen helfen und gleichzeitig das Stadtbild prägen – ein Fall für Naturstein.
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Die traditionelle Verlegemethode für Naturwerkstein ist noch lange nicht von gestern: gerade heutzutage spricht vieles für das Verlegen im Dickbett.
12 Chefsache Empfehlungsmarketing
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14 Steinmensch Eine Kunststudentin liebt Stein 16
Sehen lernen Klassizismus im Landschaftspark Wörlitz
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Vor Ort Renaissance der Findlinge
22 Angesprochen Visualisierung
Verlegen Verlegen im Dickbett Wann verlegen im Dickbett sinnvoll ist.
Treppen fertigen
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Treppenbeläge mit Gewinn produzieren Wie Steinmetzen von Treppensoftware profitieren.
49 Seitenblicke Lass Frühling werden!
Baustelle
Bei Treppen lässt mancher Steinmetz schnell Geld liegen. Die Normen sind streng und bei kleinen Abweichungen droht der Kunde rasch mit dem Gutachter. Damit trotz kurzer Lieferzeiten genug Zeit zum sorgfältigen Verlegen bleibt, setzen zwei bayerische Steinmetzbetriebe auf Treppen-Software und flotte Drehkopf-Brückensägen.
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Die Wasserspeier der Marienkirche zu Freyburg hatten eine bewegte Geschichte. Originale sowie Erneuerungen des Steinmetzmeisters Bruno Eckert sind kaum erhalten geblieben. Nun hat das Team der Bauhütte Naumburg eine neue Genera tion von Wasserspeiern geschaffen.
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Von Dämonenhasen und Saufteufeln Neue Wasserspeier für die Marienkirche zu Freyburg.
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Rose aus Marmor Ein kleiner Steinmetzbetrieb fertigt einen Rosenbrunnen für Marburg.
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Auf den Spuren alter Meister Werkrisse geben spannende Einblicke in die Organisation mittelalterlicher Baustellen.
Unternehmen & Produkte
62 Naturstein, Maschinen, Werkzeuge und mehr 3 Betreff 19 Recht 24 Medien 82 Vorschau/Impressum/ Fotonachweis
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Fassade
Fassade
mathematisch-naturwissenschaftlichen und der humanwissenschaftlichen Fakultät. Für die Einordnung des Medienzentrums in den städtebaulichen Kontext sind die beiden Erschließungsseiten ausschlaggebend. Eine zentrale Grünachse führt vom Bahnhofsvorplatz ins Zentrum des Uni-Standortes und ordnet den gesamten Campus.
Alles Fassade Die Fassade ist die Schnittstelle zwi schen innen und außen, soll technisch einwandfrei funktionieren, für ein angenehmes Raumklima sorgen, beim Energiesparen helfen und gleichzeitig das Stadtbild prägen. All das leisten Natursteinfassaden bereits seit Jahrhunderten und liegen damit auch heute noch im Trend.
Glas und Granit
Von Katharina Baus
Medienwürfel Dass sich Glas und Naturstein als Fassadenmaterial nicht immer ausschließen, sondern auch perfekt ergänzen können, zeigt das neue Informations-, Kommunikations- und Medienzentrum (IKMZ) Golm der Universität Potsdam. Die Architektur des Gebäudes entwickelten die Planer des Berliner Architekturbüros Staab Architekten auf der Grundlage der Differenzierung zwischen den – aus klimatischen Gründen – nur schwach tagesbelichteten Buchstellflächen und den hellen Lesebereichen. Dabei entstand
Die dunkle Fassade täuscht: Das neue Medienzen trum der Universität Potsdam besticht im Inneren durch helle Räumlichkeiten mit viel Freiraum.
Großzügige Glasflächen sorgen in den Lesebereichen für ausreichend Tageslicht und ermöglichen den Ausblick über den Campus Golm.
ein kubischer Solitär, dessen äußeres Erscheinungsbild einerseits durch einen geschlossenen massiven Baukörper mit schmalen, vertikalen Öffnungen und andererseits durch großzügige Glasflächen geprägt ist. So war es möglich, statt eines einzigen großen Lesesaals verschiedene Lesebereiche mit unterschiedlichen atmosphärischen Qualitäten zu schaffen, die sich als räumliches Kontinuum durch das gesamte Gebäude hindurchziehen. Räume mit Ausblick über den Campus wechseln sich mit innenliegenden introvertierten Lese-
plätzen ab, die lediglich über ein Oberlicht belichtet werden. Zwei über alle Geschosse eingeschnittene Innenhöfe versorgen die Erschließungsbereiche mit Tageslicht und unterstützen die Orientierung im Haus. Insgesamt umfasst das viergeschossige Medienzentrum eine Nutzfläche von 6800 Quadratmetern und bietet Platz für rund eine Million Bücher und andere Medien. Mit seinen mehr als 400 Lese-, den 80 Monitorarbeitsplätzen für die Recherchen in Datenbanken und Internet, zwei Gruppenarbeitsräumen, einem Multimediaraum und zehn weiteren Lese- und Arbeitskabinen ist das IKMZ die derzeit größte Bibliothek in Potsdam. Der zentrale Bereich mit Buchausleihe, Auskunft und Rechercheplätzen befindet sich im Erdgeschoss. Über eine rote und eine orangefarbene Treppe gelangen die Besucher in die offenen Lesezonen der Obergeschosse. Vom ersten bis dritten Obergeschoss sind neben den Leseplätzen auch die Freihandbereiche der Bibliothek angesiedelt, während die großen Magazinbereiche im Untergeschoss untergebracht sind. Eine Caféteria sowie ein Schulungs- und ein Vortragsraum ergänzen das Raumkonzept. Der Medienbestand umfasst im Wesentlichen die Fachbereiche der
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»Uns war es wichtig, eine Fassade zu schaffen, die aufgrund der unterschiedlichen Oberflächeneigenschaften der verwendeten Materialien eine Strukturierung erhält, gleichzeitig aber ein harmonisches und einheitliches Erscheinungsbild bewahrt. Deshalb haben wir uns für Glas und Naturstein entschieden«, erläutert der verantwortliche Projektleiter bei Staab Architekten Per Pedersen die Materialwahl. Das Ziel war, einen massiven Baukörper mit präzise gesetzten, großen erkennbaren Öffnungen im Bereich der Lesesäle zu schaffen, während alle weiteren, kleinen Fensteröffnungen erst auf der zweiten Ebene sichtbar werden. Als Fassadenmaterial entschieden sich die Planer zunächst für das semitransparente, grau durchgefärbte Glas Parsol grau. »Als Ergänzung zu den Glasflächen haben wir uns aufgrund der unterschiedlichen Materialität für Naturstein entschieden und waren auf der Suche nach einem dunklen Stein, der zu dem ausgewählten Glas passt«, sagt Per Pedersen. Die Entscheidung fiel auf den afrikanischen Granit Black Angola Moonlight. Um neben der unterschiedlichen Materialität eine weitere Differenzierung innerhalb der Fassade zu erreichen, wurden sowohl das Glas als auch der Naturstein in zwei unterschiedlichen Oberflächenvarianten eingesetzt. Dabei entspricht die geflammte und gebürstete Steinoberfläche dem satinierten Glas, während die polierten Steinplatten mit der glänzenden Glasoberfläche korrespondieren. Gleichzeitig wurde auf beiden Gläsern mittels Siebdruckverfahren ein Abbild des Steins gedruckt, sodass bei einem bestimmten Lichteinfall
Links: Die Fassade wurde teilweise mit drehbaren Lamellen aus gestattet.
Rechts: Zwei un terschiedliche Fas sadenmaterialien, Glas und Granit, in je zwei Ober flächenvarianten und verschiedene Plattenformate geben der Fassade eine lebhafte Strukturierung.
nicht immer genau unterschieden werden kann, ob es sich bei der jeweiligen Fläche um Glas oder Stein handelt. Die so entstandenen unterschiedlichen Fassadenflächen wurden in rhythmischer Abfolge jedoch ohne erkennbares Muster eingesetzt, sodass ein lebendiges Fassadenbild entstanden ist. »Bei der Konstruktion der Fassade bestand die besondere Herausforderung darin, ein System zu finden, das für beide Materialien und ihre verschiedenen Materialstärken geeignet ist«, erklärt Per Pedersen. Die Planer entschieden sich für die Systemlösung Airtec Stone von Lithodecor. Dabei werden die aufgrund des Fassadenrasters unterschiedlich gro ßen acht bis zehn Millimeter starken Natursteintafeln – in einer Breite zwischen 40 bis 70 Zentimetern und einer Höhe zwischen 150 und 270 Zentimetern – auf eine 19 Millimeter dicke Leichtbetonträgerplatte verklebt. Die se Platten wurden mittels Aluminiumagraffen auf einer Aluminiumunterkonstruktion befestigt, in der auch die Glaselemente eingesetzt werden konnten.
Bautafel Naturstein Granit Black Angola Moonlight Architekten Staab Architekten, Berlin Natursteinunternehmen Lithodecor, Netzschkau
Architektur und Musik Dass Musik und Architektur eng miteinander verwoben sind, ist bereits seit der Antike bekannt. Bei beiden Kunstformen steht die Suche nach Harmonie und mathematischen Gesetzmäßigkeiten im Vordergrund. Genau diese Suche spielt auch bei der Erweiterung des Bachhauses in Eisenach durch den Kasseler Architekten Berthold Penkhues eine entscheidende Rolle. Aufgabe war es, in einem historischen Ensemble einen Neubau zu gestalten, der sich einerseits in das vorhandene Gefüge einpasst, ohne es zu zerstören, andererseits aber auch über eine eigenständige Charakteristik verfügt. Einem abstrakten Klangkörper gleich entstand somit in direkter Nachbarschaft zu dem 1907 gegründeten Bachhauses ein modernes skulpturales Gebäude, das sich in seiner Formensprache zwar deutlich von dem ursprünglichen Museumsbau abhebt, dessen Proportionen jedoch aufnimmt und sich damit nahtlos in den Bestand einfügt. Dicht an das historische Bachhaus herangerückt trennt lediglich eine Glasfuge den Alt- vom Neubau. Über eine Treppe in dieser Glasfuge sowie über einen Durchgang in der Küche des historischen Bachhauses gelangt man in den Neubau. Der Ausstellungsraum im Neubau behandelt drei unterschiedliche Themenkomplexe, die sich um eine zentrale Raumskulptur, »das begehbare Musikstück«, anordnen.
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Treppe
Treppe
Der erste Schritt: Aufbänken der Jura-Platte auf dem Kipptisch.
Die vier Voraussetzungen für Treppen: Sauberes Kalkulieren und Fertigen mit CNC sind ebenso unverzichtbar wie Erfahrung beim Aufmaß und Konstruieren.
Treppenbeläge mit Gewinn produzieren Bei Treppen lässt mancher Steinmetz schnell Geld liegen. Die Normen sind streng und bei kleinen Abweichungen droht der Kunde rasch mit dem Gutachter. Damit trotz kurzer Lieferzeiten genug Zeit zum sorgfältigen Verlegen bleibt, sparen zwei bayerische Steinmetzbetriebe mit TreppenSoftware und flotten Drehkopf-Brückensägen Geld und Nerven beim Konstruieren und Zuschneiden.
Routiniert: Andreas Vieweger zeichnet jede Treppe im AutoCAD. Für eine Treppe einschließlich gleichmäßigem Ausrichten der Auftritte benötigt höchstens 30 Minuten.
Die Donatoni-Säge mit der Kamera zur Platten erfassung über dem Werktisch. Der Software hersteller Heglmeier verwendet dafür eine digitale Spiegelreflexkamera.
Andreas Vieweger ruft die Sägedatei aus dem Netzwerk auf und startet das Programm. Am Display zeigt ihm die Säge, welche Schnitte abgearbeitet werden.
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ausende Treppenstufen hat er schon versetzt. Der nächste Stapel an bemaßten Handskizzen liegt bereits vor ihm. Andreas Vieweger ist Steinmetzmeister in Lechbruck am See. Seit einem Jahr arbeitet er mit einer Donatoni-Drehkopf-Brückensäge und der ASS-Sägesteuerung von Heglmeier. Vieweger zeichnet die Treppen im AutoCAD und wandelt die Zeichnung dann in ASS in eine Schnittdatei um. Während ein Mitarbeiter in der Werkstatt mit Abbänken und der Kantenbearbeitung beschäftigt ist, hat Vieweger jeweils eine Stunde Luft für Kunden oder Telefonate. Alles eine Sache der Einteilung, sagt Vieweger. Die gesamte Arbeitsvorbereitung findet am Bildschirm im Büro statt, nachdem die Rohplatte mit einer über dem Werktisch montierten Kamera erfasst wurde. Einen Nullpunkt benötigt man nicht mehr; liegt die Platte schräg auf dem Tisch, richtet sie Vieweger nicht ein, sondern dreht das Werkstück in der Software zurecht. Auf einer Jura-Rohtafel hat er einen Stich farbig markiert. Das Erfassungssystem arbeitet auf den Millimeter genau, daher kann er die Schnitte am Bild-
Die Steuerung erkennt Kollisionen der Schnitte mit anderen Werkstücken. Die Säge fährt dann in Parkposition, bis das betreffende Werkstück abgebänkt ist.
Von Richard Watzke
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Baustelle
Baustelle
Von Dämonenhasen und Saufteufeln Die Wasserspeier der Marienkirche zu Freyburg hatten eine bewegte Geschichte. Originale sowie Erneuerungen des Steinmetzmeisters Bruno Eckert sind kaum erhalten geblieben. Nun hat das Team der Bauhütte Naumburg eine neue, ausdrucksstarke Generation von Wasserspeiern geschaffen. Von Boris Frohberg
D
ie Marienkirche zu Freyburg wurde 1224 von Landgraf Ludwig IV. erbaut. Der hochgotische Chor ist um 1410 im Rahmen des Umbaus der Kirche angefügt worden. In dieser Bauphase entstanden auch die ersten Wasserspeier. Das Baumaterial war Freyburger Muschelkalk, sogenannter Schaumkalk, ein Material, das schon für den Westlettner des Domes in Naumburg verwendet wurde. Dieses Gestein lässt sich bildhauerisch gut bearbeiten, aber es besitzt eine geringe Widerstandskraft gegenüber Verwitterungserscheinungen. Das ist auch der Grund für die Schädigung der Wasserspeier. Auf dem hellem Gestein sind verschwärzte Gips- und Kalkkrusten entstanden. Sie führen zur optischen, aber auch zur physischen Beeinträch-
Oben: Oliver Matz bei der Bearbeitung des Widders Rechts: Ansicht der 1:1-Modelle in der Werkstatt der Bauhütte Naumburg
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tigung des Erscheinungsbildes, da sie schädigende Salze einbinden, die das Gestein einem langsamen Auflösungsprozess unterziehen. Das führt oft zum Zerfall des Gefüges. Dieses Phänomen wurde auch den Wasserspeiern des gotischen Chores zum Verhängnis. Nach über 500 Jahren sind die Fialtürmchen einschließlich der Wasserspeier 1938 bis 1939 von Steinmetzmeister Bruno Eckert aus Freyburg komplett erneuert worden. Er schuf hier expressionistische Neuschöpfungen, ohne die Funktion der Wasserableitung. Die Wasserspeier waren leider zur reinen, dafür aber sehr ausdrucksstarken Dekoration degradiert worden. Bereits Mitte der 1970er-Jahre waren diese Skulpturen stark geschädigt, es kam vermehrt zu Abbrüchen,
St. Marien zu Freyburg, Ansicht der Südostseite des Chores mit den verschiedenen Wasserspeiern
sodass diese »zur Abstellung der Gefahrenquellen«, wie es lapidar im Amtsdeutsch hieß, abgeschlagen wurden. Weiter heißt es: »Trotz aller Vorsicht führte dieser Einsatz natürlich zu erheblichen Substanzverlusten, da kaum einer der Wasserspeier erhalten werden konnte, was damals allgemeines Bedauern auslöste.« Die Wasserableitung wurde mit Plasterohren, wie der Kunststoff damals hieß, ge-
währleistet. Plaste statt Plastik könnte man diese glücklicherweise kurze Etappe in der Geschichte der Kirche betiteln. Im Zusammenhang mit der Dachsanierung in den 1990er-Jahren wurde der Bleigang im Traufbereich wieder angelegt, die unansehnlichen Kunststoffrohre blieben erneuert bestehen. Es wurde aber erneut die Frage nach einer funktionsgerechten Neuinterpretation der Wasserspeier gestellt. Im Jahr 2003 konnte in Abstimmung mit dem Landesamt für Denkmalpflege Sachsen-Anhalt der Steinbildhauer Harald Eckert, der Sohn von Steinmetzmeister Bruno Eckert, beauftragt werden, sechs Wasserspeier neu zu schaffen und einzubauen. Zum Glück sind Skulpturen aus Stein und nicht aus Plaste oder Plastik entstanden. Bei der Lösung dieser Aufgabe orientierte er sich weniger an den Gestaltungen seines Vaters, sondern suchte nach einer eigenen zeitgemäßen Formensprache, die den dämonischen Charakter
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Baustelle
Baustelle
Auf den Spuren der Baumeister im Mittelalter Architektur setzt Planung voraus – erst recht, wenn es sich um baustatisch so hochkomplexe Gebilde wie eine gotische Kathedrale handelt. Spuren am Stein gewähren spannende Einblicke in das Vorgehen der Werkmeister im Mittelalter. Von Günter Donath
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chon im Mittelalter hat der hohe technische und organisatorische Aufwand einer Kathedralbaustelle die Menschen fasziniert. Aus dieser Zeit sind zwar zahlreiche bildliche Darstellungen und Beschreibungen, jedoch bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts keine gezeichneten Baupläne überliefert, mit denen eine einmal vorhandene Vorstellung eines Werkes verbindlich festgelegt, Entwürfe übermittelt und Detailplanungen auf der Baustelle vorgegeben wurden. Im Rahmen der Bauforschungsaufgaben am Dom zu Meißen, am Westchor des Naumburger Doms sowie im Chor der Klosterkirche St. Marien zur Pforte wurden zahlreiche Spuren gefunden, die Rückschlüsse auf das methodische Vorgehen der Werkmeister bei der Bauplanung und der Gestal-
Abb. 1 Maßstabslose Ritzzeichnung auf Steinquadern eines Pfeilers mit der Darstellung des Chorgrundrisses der Kathedrale in Cuenca
tung der Bauprozesse im Mittelalter gestatten. Bauplanungen erfolgten im Mittelalter stets Schritt für Schritt. Vermutlich gab es zunächst schematische Skizzen für Grund- und Aufrisse in verkleinertem Maßstab, anhand derer sich der Bauherr mit dem von ihm beauftragten Werkmeister über das System und die beabsichtigte Größe des zu errichtenden Kirchenbaus verständigen konnte. Der Stand der technischen Möglichkeiten der Vermessung ließ nur einfache Maßverhältnisse und -zahlen zu, die aber trotzdem höchst anspruchsvollen Über legungen entsprachen, indem die verwendeten geraden Maßzahlen harmonischen, musikalischen Akkorden adäquate Teilungsverhältnisse bildeten. Mit dem großen Bodenzirkel
Abb. 3 Ritzzeichnung mit dem Entwurf einer nicht ausgeführten Fensterrose am Pfeiler des Chorachsfensters in der Klosterkirche Pforte
wurden diese im Gelände bzw. im Baugrund abgetragen. Der große Bodenzirkel und der Winkel waren damals die »Hoheitszeichen« der Architekten, mit denen sie auf zeitgenössischen Abbildungen und sogar auf ihren Grabplatten charakterisiert wurden. Die von ihnen angefertigten Skizzen dienten der Bauabsteckung des Grundrisses, wie wir aus dem Skizzenbuch des um 1230 in Frankreich wirkenden Architekten Villard de Honnecourt wissen. Gerade Villards Zeichnungen von der Kathedrale in Reims zeugen von einem großen Interesse am formalen Aufbau der Kirche; andererseits sind auch die Abweichungen vom Gebauten offenkundig. Die Blätter weisen keinen Maßstab auf; sie waren lediglich zur Veranschaulichung von Architektursystemen gedacht und nicht als Vorlagen zum konkreten Nachbau. Ein sehr schönes Beispiel für die Grundrissplanung des Chores konnte erst kürzlich an der gotischen Kathedrale in Cuenca (Kastilien – La Mancha; ESP) entdeckt werden (Abb.1). Für die Baudurchführung reichten diese Skizzen also nicht aus. Dennoch mussten dem Baufortgang entsprechend immer wieder neue Detailzeichnungen angefertigt werden, die vor allem Arbeitsvorgaben für die von den Steinmetzen herzustellenden Werkstücke darstellten. Als die Restauratoren das im Laufe der Jahrhunderte entstandene dicke »Paket« der Farbschichten, die über dem Steinwerk der Chorwände im Meißener Dom lagen, abnahmen,
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kam an der originalen Oberfläche der zwischen 1250 und 1266 verbauten Sandsteinquader neben einer Vielzahl von Steinmetzzeichen auch ein rätselhaftes, grafisches »Gebilde« zum Vorschein. Aber nicht nur dort, – auch auf den fein geglätteten Oberflächen der Steinquader der Brüstungsmauern der Chöre in Naumburg und Pforte findet man innen und auch außen diese feinen Ritzlinien. Es handelt sich dabei um Entwürfe und »Spielereien« mit dem Zirkel auf der Oberfläche noch nicht verbauter Steinquader (a), Detailplanungen in orthogonaler Parallelprojektion, unverkürzt und winkelgetreu im Maßstab 1 : 1 wiedergegeben – den sogenannten »Werkrissen«, die zur Anfertigung von Schablonen bzw. zur Herstellung einzelner Werkstücke benötigt wurden (b), sowie Konstruktionshilfslinien und Vorzeichnungen für Architekturfassungen im Innenraum (c). Solche Gebilde waren nie Freihandzeichnungen, sondern geometrisch konstruiert. Sie stellen ein einzigartiges gotisches Zeichnungskonvolut dar – nicht auf Pergament oder Papier, sondern eingeritzt in die Sockelwände des entstehenden Bauwerks. Die mittelalterlichen Bauhütten nutzten offensichtlich die noch unfertigen Chöre als »Planungsbüro« und Werkstatt. Die Steinmetzen benötigten diese Zeichnungen für die Anfertigung von Schablonen für die Herstellung der Werksteine, die anschließend auf das Gerüst gebracht und versetzt werden konnten. Die Werkrisse sind oft nur dünn eingeritzt. Ein wichtiges Merkmal sind die oft noch zu erkennenden Einstichlöcher des Zirkels, mit dem Kreisbögen und Strecken abgetragen wurden. Der gotische Werkmeister nutzte dazu Metallgriffel, Richtscheit und Zirkel, um diese Werkrisse geometrisch genau zu konstruieren. Mitunter wurde die Steinoberfläche dabei eingefärbt, um die Ritzungen besser hervorzuheben.
Abb. 2 Maßstabslose Ritzzeichnungen auf verschiedenen Werksteinen der nördlichen Chorwand oberhalb der Baldachine im Naumburger Westchor
Entwürfe (a) Entwürfe und spielerischer Umgang mit dem Zirkel auf der Oberfläche noch nicht verbauter Steinquader: Zum Zeitpunkt des Entstehens dieser Ritzzeichnungen – um 1240 – müssen die bereits fertig gestellten Steinquader auf dem Abbundplatz der Baustelle gelegen haben, sodass sich ihre glatte und saubere Oberfläche als »Reißboden« für die verschiedensten Zirkelkonstruktionen anbot. So finden sich an der Chor-Nordwand (N4) in Naumburg die später verbauten Steine mit vielen Zirkelschlägen, dem Versuch für die Konstruktion eines Pentagramms und Hilfskonstruktionen für einen Sechsstern innerhalb eines Kreises oder verschiedene Blütensterne sowie die Konstruktion von Tangenten am Kreis (Abb. 2). Ähnliche Gebilde – allerdings viel qualitätsvoller – tauchen auch im Kloster Pforte (1251 bis 1268) auf. An der zum Chorachsfenster (O) weisenden Flanke des südöstlichen Polygonpfeilers zeigt ein Werkstein vermutlich den Entwurf für eine Fenster-
rose (Abb.3). Auf der Außenseite der Brüstungsmauer des Chorachsfensters findet man neben vermuteten Werkrissen noch mehrere durch Zirkelschläge entwickelte Darstellungen wie Sonne, Mond und Pentagramm.
Im Detail (b) Detailplanungen 1:1 in orthogonaler Parallelprojektion (Werkrisse): Zunächst fällt auf, dass sich die wohl wesentlichsten Detailplanungen in Naumburg und Meißen an der gleichen Stelle in Augenhöhe befinden, wenn man den Chor im ersten freien Wandfeld nach dem Dorsale rechts betritt. In Meißen findet man dort – an der Wand S4 – einen oberhalb der Fensterbank geführten Horizontalschnitt durch einen der Polygonpfeiler, in Naumburg den Aufriss des rechten oberen Teils der Ostseite des Lettnergiebels an der Wand N3 (Abb. 4). Die Werkrisse erstrecken sich fast über die gesamte zum Zeitpunkt des Planungsprozesses verfügbare Wandfläche. Beide Darstellungen verblüffen nicht nur durch ihre hohe Maßstab-
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