C at h e r i n e Va d o n
Mythos Orchideen von leidenschaftlichen S a m m l e r n, f e r n e n Ländern und besonderen S o rt e n
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Inhalt
11 Eine ungeheure Vielfalt 17
SAGENHAFTE PFLANZEN 19 Auf der Suche nach den epiphytischen Orchideen der Tropen 33 Die ersten Versuche in Kultur 51 DIE 53 71 75
» JAGD « NACH ORCHIDEEN Furchtlose Pflanzenjäger Der lange Weg der Orchideen nach Europa Abenteurer und Sammler
149 DIE GROSSEN IMPORTEURE UND SAMMLUNGEN IM 19. JAHRHUNDERT 151 Die großen Importeuere 161 Botaniker, Amateure, Gärtner: eine interaktive Gesellschaft 165 Sammlungen als Symbol von Reichtum und Prestige 177 Orchideen werden zur Modeerscheinung 185 SAMMLUNGEN DER GEGENWART 187 Die weite Welt der Orchideen 221 ANHANG
SAGENHAFTE PFLANZEN
Erste Reise des James Cook in die südliche Hemisphäre (1768–71): Boote in der Matavai-Bucht (Tahiti), Radierung aus dem auf dem Logbuch des Joseph Banks basierenden Reisebericht von John Hawkesworth, 1773
epiphytischer Orchideen nach Frankreich. Antoine Laurent de Jussieu vom Pariser Naturkundemuseum war von der Vielfalt und dem guten Zustand dieser Sendung schier überwältigt; sie war so reichhaltig, dass er dafür ein neues Warmhaus errichten ließ, das »Gewächshaus Boudin«. Captain James Cook von der Royal Navy leitete in den Jahren 1768–71 eine erste Weltumseglung der Endeavour; an Bord waren die Botaniker Joseph Banks und Daniel Solander. Cook war von der Pflanzenwelt auf Tahiti ausgesprochen fasziniert und stellte fest: »Die Inseln bringen Brotfrucht hervor, Kokosnüsse, Bananen und auch eine Salep-Wurzel [Orchideenknolle], die die Eingeborenen piha nennen.« Als er an der Ostküste Australiens an Land ging, war die Pflanzenausbeute der Botaniker so außerordentlich, dass Cook die Bucht auf Botany Bay taufte. Banks und Solander sammelten hier über eintausend neue Pflanzenarten, darunter zahlreiche Orchideen. Baron Alexander von Humboldt und der Naturforscher Aimé Bonpland unternahmen von 1799–1804 eine umfangreiche Südamerika-Expedition. Von Venezuela aus befuhren sie mit einer auf den Wellen tanzenden Piroge den gewaltigen Orinoko, in dem sich Kaimane und
GROSSE FORSCHUNGSUND SAMMELREISEN IM ZEITALTER DER AUFKLÄRUNG
Selbstporträt des Naturforschers Alexander von Humboldt, 1814. München, Privatsammlung Rechte Seite Cymbidium canaliculatum, Bildtafel von Walter Fitch (1817–92), in: Curtis’s Botanical Magazine Folgende Doppelseite Friedrich Georg Weitsch, Alexander von Humboldt und Aimé Bonpland am Fuße des Chimborazo in Ecuador, Öl auf Leinwand, 1806. Stiftung Preussische Schlösser und Gärten BerlinBrandenburg
Im 18. Jahrhundert entwickelte sich die Suche nach neuen Pflanzen zum festen Bestandteil der französischen Kolonialpolitik, und es begannen intensive Erkundungen, gefördert vor allem durch Comte de Buffon, den Direktor des Pariser Jardin du Roi (heute Teil des Pariser Muséum national d‘histoire naturelle) und Schatzmeister der Akademie der Wissenschaften. Fortschritte im Schiffbau und bei den Navigationsins trumenten, die Weiterentwicklung der Kartografie sowie die wachsende französische und englische See- und Handelsmacht verliehen den Überseeunternehmungen mächtigen Auftrieb. Naturkundler, die mit an Bord gingen, brachten Aufzeichnungen und Forschungsbelege aus fernen Ländern mit, darunter auch Orchideen. Besonders erwähnenswert sind die Expeditionen von Louis Antoine de Bougainville und später von Jean François de La Pérouse. Mit der gewaltigen Pflanzensammlung, die Kapitän Nicolas Baudin (1754–1803) in den Jahren 1797–98 auf den Antillen zusammentrug, gelangte erstmals eine bedeutende Anzahl lebender 24
DES PLANTES MYTHIQUES
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CYMBIDIUM CANALICULATUM
die großen importeure »Wer nie einen Kasten mit tropischen Orchideen erhielt, kennt nicht die Spannung im Moment, da man den Deckel lüftet.« (James Bateman, The Orchidaceae of Mexico and Guatemala, 1837–42)
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die Insekten aus den Kisten einzusammeln. Auf diese Weise wurde die Insektensammlung des Museums um über zweihundert neue Arten reicher. Sämtliche toten Pflanzenpartien, vergilbte Pseudobulben und angeschimmelte Wurzeln wurden entfernt. Es blieb nur das erhalten, was völlig gesund und in der Lage war, wieder aufzuleben. Bisweilen handelte es sich dabei um nichts als eine Bulbe mit einer einzelnen Triebknospe. Die Orchideen wurden nun gewaschen, nach Gattungen beziehungsweise Arten geordnet und schließlich noch nach Stärke sortiert. Odontoglossum wurden mehrere Tage in einem abgedunkelten Raum auf Kokosfaser ausgelegt, um sie allmählich an Licht zu gewöhnen; danach kamen sie in einem auf 10 °C temperierten Gewächshaus in Frühbeete, deren Fensterscheiben mit einer Mischung aus Kohlen- und Terrakottastaub eingerieben waren. Drei Wochen später wurden die Pflanzen in einem anderen Gewächshaus auf eine gut wasserdurchlässige Schicht Erde gebettet. Hier begannen sie, Wurzeln zu treiben, und nun begann die eigentliche Kultur. Damit sich die Pflanzen etablieren konnten, bekamen sie als Substrat eine Mischung aus Tonscherben und Sphagnum. Darauf wurde die Pflanze mit feinem Kupferdraht befestigt
onatelang waren die kostbaren Orchideen unterwegs, bevor sie endlich beim Importeur eintrafen. Nun galt es, die wertvolle Fracht höchst sorgfältig aufzubereiten, bevor der weitere Transfer in die hocheleganten Londoner oder Brüsseler Gewächshäuser erfolgen konnte. Bei Frederick Sander begann dies damit, dass ein Bediensteter eilends zum Londoner Bahnhof geschickt wurde, sobald das Eintreffen der Versandkisten telegrafisch angekündigt war. Die persönliche Inempfangnahme der Ware war im Hause Sander in Saint Albans eine unumstößliche Regel. Vorsichtig wurden die Kisten geöffnet und die Orchideen Lage für Lage entnommen. Dabei galt es, sämtliche blinden Passagiere einzufangen: Skorpione, Tausendfüßler, Feuerameisen, Spinnen und Schlangen. Die »CattleyaFliege« war besonders berüchtigt. Dieses Insekt legt seine Eier in die weichen Triebe der Orchideen; die Larven befallen die Pseudobulben, wodurch diese anschwellen und sich schwarz verfärben. Die Gärtnerei Linden benachrichtigte bei jeder neuen Lieferung umgehend das Brüsseler Naturkundemuseum. Sogleich kamen zwei Präparatoren, um 151
Vorhergehende Doppelseite Das Orchideenhaus des Weißen Hauses, 1900–10. Washington, Library of Congress Linke Seite Annoncen verschiedener Importeure aus diversen Zeitschriften, dazu ein 1924 in The Orchid Review erschienenes Foto eines gerade eingetroffenen Orchideenkastens Oben Annonce des britischen TontopfProduzenten Sankey aus dem Jahr 1900. Sankey stellte unter anderem spezielle Orchideentöpfe her
»Mr. Paxton kann bei der Pflege seiner Orchideen bemerkenswerte Erfolge verzeichnen; die Atmosphäre, der sie hier ausgesetzt sind, ist weder so heiß noch so feucht und ungesund wie die eines indischen Dschungels, sondern sanft und angenehm wie das Klima auf Madeira.« (John Lindley, Botanical Register, 1838)
Oben links Das von Joseph Paxton und Decimus Burton 1836–41 errichtete große Gewächshaus von Chatsworth (Länge × Breite × Höhe: 84,50 × 37,50 × 18,50 m) Oben Batemannia wallisii major, Bildtafel in The Orchid Album, herausgegeben von Robert Warner und Benjamin Samuel Williams, London, 1885 Links aussen Sir Trevor Lawrence (1831–1913) Links Baron Sir John Henry Schröder (1825–1910), passionierter Orchideensammler im viktorianischen England
SAMMLUNGEN ALS SYMBOL VON REICHTUM UND PRESTIGE
Der von Joseph Paxton für die Londoner Industrieausstellung von 1851 errichtete Crystal Palace. Königin Victoria erhob Paxton als Anerkennung in den Adelsstand
DER ERFOLGREICHE JOSEPH PAXTON Der Duke of Devonshire ließ Joseph Paxton und Decimus Burton ein gewaltiges Gewächshaus für seine Orchideen und andere Tropengewächse errichten. Bei einer Grundfläche von dreitausend Quadratmetern maß die Konstruktion aus Holz, Gusseisen, Schmiedeeisen und Glas fünfundachzig Meter in der Länge und nahezu zwanzig Meter in der Höhe. Das Gewächshaus lockte zahlreiche Besucher an, die das »Wunder« bestaunten: Es erinnere »an ein gläsernes Meer, wenn die Wogen nach einem Sturm sich zu glätten beginnen« – ein Ausruf, der einem William Adam zugeschrieben wird. Gibsons Kulturhinweise und die finanziellen Mittel des Herzogs ermöglichten es Paxton, eine einsichtsvollere Weise der Orchideenkultur zu entwickeln. Ihrer Herkunft entsprechend verteilte er sie auf unterschiedliche Gewächshäuser, in die er Sonnenlicht und frische Luft ließ; mit einem gut abgestimmten Gießregime sorgte er für hohe Luftfeuchte, und er verwandte viel Aufmerksamkeit auf durchlässigen Boden und die Förderung des Wurzelwachstums. John Lindley, der große Orchideenexperte, besuchte 1838 Chatsworth und tat im Anschluss im Botanical Register seine Begeisterung kund: »Mr. Paxton kann bei der Pflege seiner Orchideen bemerkenswerte Erfolge verzeichnen; die Atmosphäre, denen sie hier ausgesetzt sind, ist weder so heiß noch so feucht und ungesund wie die eines indischen Dschungels, sondern sanft und angenehm wie das Klima auf Madeira.« Dennoch dauerte es noch etliche Jahre, bis Paxtons Kulturmethoden sich allgemein bei den Liebhabern durchsetzen konnten. Die um 1833 begonnene Orchideensammlung von Chatsworth zählte schon nach drei Jahren mehr als dreihundert Arten; innerhalb von zehn Jahren avancierte sie zu der schönsten Privatsammlung in
England. Mit dem berühmten Crystal Palace, der für die Weltausstellung des Jahres 1851 im Londoner Hyde Park errichtet wurde, erlebte Paxtons Können seinen Höhepunkt. Dieser Palast war ein einziges Symbol der Macht des viktorianischen Weltreichs, konstruiert aus einem gewaltigen, fünfhundertsechzig Meter langen Eisengerippe mit dreihunderttausend mundgeblasenen Glasscheiben. Mit der Errichtung dieses Glaspalasts nahm die Mode der Tropenhäuser ihren Anfang. GROSSE ENGLISCHE SAMMLUNGEN Der Oxfordabsolvent James Bateman (1811–97) machte sein Vermögen im Bankensektor und in der Eisenindustrie. 1833 schickte er einen Sammler nach Demerara (BritischGuayana), der ihm rund sechzig Orchideenarten lebend mitbrachte; von diesen war ein Drittel neu in England. Außerdem erhielt er von George Ure Skinner, einem Händler in Guatemala, Orchideensendungen, die er auf seinem Anwesen Knypersley Hall (Staffordshire) im Gewächshaus hielt. Auf diese Weise trug Bateman innerhalb eines einzigen Jahrzehnts eine der schönsten Orchideen163
James Bateman (1811–97), Mitglied der Londoner Linnaeus-Gesellschaft, der Royal Society sowie der Royal Horticultural Society, verfasste zahlreiche Orchideenwerke
die weite welt der orchideen Z
eine besondere Bedeutung, die von Regierungen und internationalen Akteuren immer stärker anerkannt wird. Es gibt Einrichtungen mit bedeutenden Sammlungen, die zum Teil bereits seit über zweihundert Jahren bestehen. Die meisten sind dank Computersteuerung in ihren Gewächshäusern in der Lage, die Entwicklung der wertvollen Pflanzen bestimmenden Parameter wie Temperatur und Luftfeuchte einschließlich automatischer Benebelung perfekt zu kontrollieren. Im Folgenden stellen wir eine Auswahl der schönsten Sammlungen der Welt vor.
war klang das schlimmste Orchideenfieber während der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts allmählich ab, doch bis heute verstehen es diese Pflanzen, den Betrachter zu faszinieren. Im Laufe des vergangenen Jahrhunderts hat sich die Zahl der herrlichen Hybriden mit hinreißenden Blütenformen und leuchtenden Farben vervielfacht. Die letzten Jahrzehnte aber haben die grundlegendste Veränderung all dessen gebracht, was die Orchideen betrifft. Züchter und Wissenschaftler haben mit der Gewebekultur ein Verfahren entwickelt, durch das sich diese Pflanzen in gewaltiger Zahl vermehren lassen. Dabei wird aus der Wurzelspitze Meristemgewebe entnommen; dieses enthält alle Zellanlagen für alle Organe der Pflanze. Bei der in-vitroKultur bildet sich aus diesen wenigen Zellen eine vollständige neue Pflanze, sodass es möglich ist, von einer einzigen Mutterpflanze eine quasi unbegrenzte Zahl geklonter Abkömmlinge zu ziehen. Die kommerzielle Pflanzenproduktion hat von dieser Technik ungemein profitiert, weshalb man heute eine herrliche Orchidee für nur wenige Euro sein Eigen nennen kann. Doch trotz dieser »Demokratisierung« ist die Orchidee weiterhin als exquisite Blume hochbegehrt. Gärten, botanische Konservatorien und Museen leisten dieser Tage Bemerkenswertes in der Pflege ihrer reichen Orchideensammlungen. Mit deren Ausbau wird ein dreifaches Ziel verfolgt: Bewahrung der Biodiversität, Vermittlung von Umweltbewusstsein und wissenschaftliche Forschung. Angesichts des weltweiten Rückgangs des Artenreichtums gewinnt diese Zielsetzung
FRANKREICH UND DIE ANTILLEN Eine der berühmtesten französischen Orchideensammlungen findet sich im Jardin du Luxembourg. Diese 1838 begonnene Sammlung gehörte zunächst dem botanischen Garten der Medizinischen Fakultät von Paris, der sich damals auf dem Gelände der alten Baumschule Chartreux südlich des heutigen Jardin du Luxembourg befand. Als 1860 der Präfekt Haussmann die Fakultät enteignete, um den Boulevard Saint-Michel ziehen zu können, wurde ein Teil der Fläche per kaiserlichem Dekret dem Jardin du Lu xembourg zugeschlagen. Der Senat erklärte sich einverstanden, die Orchideensammlung zu beherbergen, und ließ für sie ein Gewächshaus errichten. Die ersten Pflanzen hatte einst der Leibarzt des Kaisers von Brasilien der Fakultät zum Geschenk gemacht. Heute umfasst die Sammlung über zehntausend Exemplare aus hunderfünfzig Gattungen, verteilt auf über eintausenddreihundertfünzig Varietäten, Hybriden und Spezies tropischer Orchideen; zu den bemerkenswertesten zählen Lycaste 187
Vorhergehende Doppelseite Orchideenabteilung im Botanischen Garten Singapur, 2008 Linke Seite Paphiopedilum ‘Johanna Burckhardt’ in einem Gewächshaus des Pariser Jardin du Luxembourg Folgende Doppelseite Lycaste spec. in einem Gewächshaus des Pariser Jardin du Luxembourg Seite 190 Cattleya aurantiaca Seite 191 Vanda-Hybride
Catherine Vadon
Mythos Orchideen Von leidenschaftlichen Sammlern, fernen Ländern und besonderen Sorten 224 Seiten, ca. 220 Farbfotos 24 x 31 cm, gebunden mit Schutzumschlag € [D] 49,95 / € [A] 51,40 Auslieferung: September 2015 ISBN: 978-3-7667-2172-3
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rchideen üben seit jeher eine ungebrochene Faszination auf die Menschheit aus. Aus fernen Tropenländern wurde diese mythische Pflanze nach Europa gebracht und zählt heute zu den beliebtesten Gewächsen unseres Kulturkreises. Dieses Callwey Buch erzählt ihre fesselnde Geschichte: von ihrer Entdeckung und den ersten Versuchen der Inkulturnahme über die abenteuerliche Jagd nach neuen Sorten bis hin zu den bedeutendsten Orchideensammlungen der Welt. Ausgewählte historische Abbildungen ermöglichen zusammen mit atemberaubend schönen aktuellen Fotografien einen kurzweiligen und umfassenden Überblick über die Geschichte der Orchideen. Wichtige Naturforscher, passionierte Orchideenjäger und die weltweit wichtigsten Sammlungen werden in diesem Werk zusammengetragen und bilden einen wertvollen Beitrag zur Orchideenkunde – ein Muss für jeden Orchideenliebhaber! – Die faszinierende Geschichte der Orchideen-Jäger des 19. Jahrhunderts – Zahlreiche historische Abbildungen ermöglichen einen einzigartigen Blick auf die Geschichte der Orchideen – Mit den weltweit wichtigsten Orchideensammlungen DIE AUTORIN Catherine Vadon ist Dozentin am Muséum d’Histoire naturelle de Paris und Autorin zahlreicher botanischer Titel. Sie hält Vorträge im In- und Ausland und ist Mitglied der Académie des Arts et Sciences de la Mer.