Wie die H e l ene zur b i r ne kam 50
RezeptklassikeR und ihRe Geschichte
James Winter Dies ist eine Leseprobe
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wie die helene zur birne kam
SALAT OLIVIER
STEAK DIANE
SEEZUNGE VÉRONIQUE
OMELETT ARNOLD BENNETT
PAWLOWA
6 Vorwort
112 Pizza Margherita
8 Einleitung
116 Tortellini
12 Caesar Salat
120 Pasta alla Norma
16 Waldorfsalat
124 Pawlowa
20 Salat Olivier
128 Apfel-Charlotte
24 Melba-Toast
132 Bananas Foster
28 Eggs Benedict
136 baked alaska
32 Reuben Sandwich
140 Crêpes Suzette
36 Rindercarpaccio
144 Pfirsich Melba
40 Tournedos Rossini
148 Tarte Tatin
44 BŒuf Stroganoff
152 Birne Helene
48 Beef Wellington
156 Opern-Torte
52 Steak Diane
160 Madeleines
56 Prince-Orloff-Kalbsbraten
164 Lamingtons
60 Balti-Lamm
168 Garibaldi Biscuits
64 Krönungshühnchen
172 Bellini
68 Huhn Marengo
174 Cosmopolitan
72 Kung-Pao-Huhn
176 SIDECAR
76 chicken Kiev
178 NEGRONI
80 Seezunge Véronique
179 Mint Julep
84 Sauce Choron
181 Piña Colada
88 Kabeljau Mornay
182 MARTINI
92 Austern Rockefeller
183 MARGARITA
96 Hummer Thermidor
185 Tom Collins
100 Omelett Arnold Bennett
186 Ramos Gin Fizz
104 Woolton pie
188 Index
108 Pommes Anna
192 Danksagung, Bild- und Textnachweis
MARTINI
INHALT
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wie die helene zur birne kam
bŒuf Stroganoff Nur wenige Gerichte bereiten so große Gaumenfreuden wie zarte Streifen Rinderfilet und Champignons mit pikanter Sahnesoße und milden Zwiebeln. Kein Wunder, dass die Reichen und Mächtigen im Russland des 19. Jahrhunderts verrückt danach waren, denn es riecht förmlich nach Geld und Macht. Allein die Tatsache, dass die klassische Zubereitung das teuerste Fleischstück verlangt, ist ein klarer Hinweis auf seine Herkunft.
Der Großfürst Stroganoff im Alter von sechs Jahren. Damals hatte er noch viele Jahre vor sich, in denen er sich dem Rindfleisch widmen konnte.
In den 1890er Jahren war das Russische Reich sehr mächtig. Im Westen nahm es den Großteil Osteuropas ein, sein Einfluss reichte bis nach Nordchina, und es hatte eine Bevölkerung von bescheidenen 127 Millionen Menschen unter seiner Kontrolle. Wie in jedem Reich gab es unter den Einwohnern ein großes wirtschaftliches Gefälle – während viele hungerten, lebten einige wenige in Saus und Braus. Einer der Reichsten war Großfürst Pavel Stroganoff, ein Diplomat und Feinschmecker, der seine Freunde häufig zu extravaganten Gelagen einlud. Sein Chefkoch Charles Briere genoss bereits einen gewissen Bekanntheitsgrad, als eines Tages unter den gehobenen Familien in Sankt Petersburg ein lustiger Wettbewerb ausgerufen wurde. Es ging darum festzustellen, wessen Chefkoch das beste Essen zubereiten würde. Briere wurde für seinen Beitrag, das Bœuf Stroganoff, zum Sieger gekürt, und die Nachricht über seinen Erfolg in dem angesehenen Magazin L’Art Culinaire veröffentlicht. Es ist kaum zu glauben, aber 1891 war diese Zeitschrift tatsächlich die einzige, die es weltweit für Profi-Köche gab, und alles, was hier erschien, bekam im Nu internationale Anerkennung. Der Großteil dieser Geschichte ist glaubwürdig – hundertprozentige Sicherheit, dass Briere dieses Gericht wirklich erfunden hat, gibt es jedoch nicht. In den 1930er Jahren wurde es unter seinem Namen im Larousse Gastronomique abgedruckt und ist dort seither so verzeichnet. Es gibt jedoch Stimmen, die das Rezept für wesentlich älter halten. Demnach soll es für einen früheren Großfürsten Stroganoff namens Gregor erfunden worden sein. Gregor war schon etwas betagter und verlor seine Zähne, weshalb er nur das weichste und zarteste Rindfleisch kauen konnte. Vielleicht erfand also sein namentlich nicht genannter und auch weiter nicht erwähnter Chefkoch für seine Bedürfnisse dieses einfache Gericht. Gregor starb 1857, daher könnte seine Variante den Weg in die Ausgabe 1861 des Bandes Ein Geschenk für junge Hausfrauen von Elena Molokhovets gefunden haben. Dieses Buch, das nicht nur Rezepte, sondern auch allgemeine Kochtipps und Kochvorschriften enthielt, gehörte zur Grundausstattung jeder ambitionierten
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bœuf stroganoff
Bœuf Stroganoff wurde im Zweiten Weltkrieg ein Lieblingsgericht der russischen Soldaten.
russischen Hausfrau und kam zwischen 1861 und 1917 jährlich in einer Neuauflage auf den Markt. Molokhovets Rezept des Stroganoff war rustikaler als die heute bekannte Version – es beinhaltete weder Tomate noch Schalotten, sondern bestand im Wesentlichen aus einer gewürzten Sauerrahmsoße mit Rindfleisch, das in Stücke, nicht in Streifen geschnitten wurde. Die Ähnlichkeiten sind jedoch eindeutig, sodass es mit ziemlicher Sicherheit Briere zu seiner Kreation inspirierte. Übrigens wurde das Gericht 1912 erstmals mit Tomate verzeichnet, zusammen mit dem Vorschlag, es mit dünnen Pommes frites zu servieren. Dank seiner Aufnahme in diese einflussreichen Publikationen verbreitete sich der Ruhm von Bœuf Stroganoff, bei vielen Chefköchen wurde das Gericht zum Dauerbrenner auf der Speisekarte. Die russische Vorliebe, Dinge nach vornehmen Stammkunden zu benennen, führte dazu, dass Charles Brieres Name im Laufe der Geschichte zunehmend verblasste, während sein Gericht hingegen populär blieb. In der amerikanischen Fachpresse feierte es 1934 sein Debüt in John MacPhersons Mystery Chef ’s Own Cook Book. Fünf Jahre später wurde es in Diana Ashleys Where to Dine in ’39 als beliebtes Essen in zwei inzwischen längst verschwun denen russischen Lokalen in New York erwähnt. Bevor es jedoch zu weltweiter Anerkennung gelangte, mussten erst noch die beiden Weltkriege ins Land ziehen. Soldaten, die in China und Russland stationiert waren, lernten Bœuf Stroganoff kennen und lieben. Bei ihrer Heimkehr machten sie die Zutaten ausfindig, was dazu führte, dass das Gericht beinahe gleichzeitig in Amerika, Großbritannien und Frankreich bekannt wurde. Amerikanische Köche drückten ihm ihren eigenen Stempel auf, indem sie die beliebteste Beilage des Landes dazu servierten, Pommes frites. Während der 1950er und 1960er Jahre wurde Bœuf Stroganoff zum Lieblingsgericht anspruchsvoller Amerikaner, und genau wie der Prince-Orloff-Kalbsbraten (S. 56) verdankt es seinen Erfolg zu großen Teilen dem Einsatz von Julia Child. Ursprünglich wurde das Stroganoff ohne Beilagengemüse serviert. Dank des chinesischen Einflusses kommt es heute in der Regel mit Reis oder Nudeln auf den Tisch. Je nach Land wurde es den jeweiligen Gepflogenheiten angepasst. Es gibt alle möglichen Versionen, im Brasilianischen wird zum Beispiel Ketchup anstelle von Tomatenmark verwendet, im Schwedischen werden die Filets durch dicke Rindfleischwürste ersetzt und im Japanischen ein Touch Soja beigefügt. Letztlich ist es ziemlich egal, solange der wesentliche Charakter erhalten bleibt. Das Geheimnis dieses Gerichts liegt in der Kombination von zartem Rindfleisch mit dem erdigen Aroma der Champignons und cremiger Soße – gewürzt mit Paprika, Senf oder beidem –, was zum steilen Aufstieg der beliebten Soldatenspeise zum Gourmetklassiker führte.
Amerikanische Soldaten ent deckten das Bœuf Stroganoff bei ihren Einsätzen in Ost europa und Asien.
Wie diese Amerikaner brachten auch englische und französische Soldaten das Rezept Bœuf Stroganoff nach dem Krieg mit nach Hause.
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bŒuf Stroganoff Dieses Rezept ist die Vollversion – ein Geschenk von Lawrence Keogh, Küchenchef des Londoner Kultrestaurants The Wolseley. Es ist ein echtes Kraftpaket. In nur wenigen Minuten ist das Gericht fertig, sorgen Sie also dafür, alle Zutaten in Reichweite zu haben. Nach dem Kochen stellen Sie die Pfanne einfach in die Spüle und greifen mit Appetit zu. Ich kaufe gerne ein ganzes Rinderfilet, schneide die Spitze ab, friere sie ein und verwende den Rest für ein Beef Wellington. So bin ich jederzeit bestens für ein Stroganoff gewappnet.
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450 g Filetspitzen, in Streifen geschnitten Salz und schwarzer Pfeffer, frisch gemahlen 1 TL scharfes Paprikapulver 2 TL edelsüsses Paprikapulver Pflanzenöl zum Braten 30 g Butter 2 Schalotten, fein gehackt 115 g Champignons, in feine Scheiben geschnitten 1 TL Tomatenmark 50 ml Weissweinessig 75 ml Weisswein 200 ml Crème double 115 g Gewürzgurke, in feine Streifen geschnitten 125 ml saure Sahne 1 EL glatte Petersilie, fein gehackt 1 Prise edelsüsses Paprikapulver 165 g Basmatireis, nach Packungsanleitung gekocht 4
Das Rindfleisch salzen, pfeffern und in beiden Paprikagewürzen wälzen. Eine Bratpfanne erhitzen und ein wenig Pflanzenöl hineingeben. Die Rindfleischstreifen kurz (etwa 2–3 Minuten) anbraten, sie sollten auf jeden Fall noch blutig sein. Aus der Pfanne nehmen, den Saft durch ein Sieb abgießen und in einer Schüssel auffangen. Beiseite stellen. Butter und Schalotten in die Pfanne geben, in der das Fleisch gebraten wurde. Anschließend die Pilze zugeben und eine weitere Minute braten. Das Tomatenmark hinzufügen und ein paar Minuten kochen lassen. Gut umrühren, den Weißweinessig zugeben und die Mischung köcheln, bis die Flüssigkeit verdampft ist. Den Weißwein zugeben und die Flüssigkeit auf die Hälfte reduzieren lassen. Die Sahne einrühren und aufkochen. Salzen und pfeffern. Das Fleisch und den Bratensaft zugeben und durchwärmen, aber nicht kochen – das Fleisch braucht keine weitere Garzeit. Mit Gewürzgurkenstreifen, Sauerrahm, etwas Paprikapulver und Petersilie garnieren und mit Reis servieren.
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Beef Wellington Was eignet sich für einen besonderen Anlass besser als ein perfekt rosa gebratenes Stück Rinderfilet mit einer Füllung aus Pilzen und Schinken in einem Mantel aus Crêpes und Blätterteig? Beef Wellington ist eines der fantastischsten Gerichte, die die britische Küche zu bieten hat, aber auch besonders schwer, richtig hinzubekommen. In Sachen Timing und Planung ist Genauigkeit gefragt, und wenn man sich nicht mit militärischer Präzision ans Werk macht, droht schnell ein kulinarisches Waterloo. Insofern passt es sehr gut, dass die Entstehung dieses Gerichts im Wesentlichen mit einem der größten militärischen Strategen der Geschichte verknüpft ist. Der Herzog von Wellington war Großbritanniens bester General.
Die Schlacht bei Waterloo, 18. Juni 1815.
In Großbritannien entwickelt sich erst in jüngster Zeit ein Selbstbewusstsein in kulinarischen Dingen, daher gibt es auch keine schriftlichen Aufzeichnungen über die Entstehungsgeschichte des Beef Wellington. Der Name bezieht sich vermutlich auf den Mann, der Napoleon in der Schlacht bei Waterloo vernichtete. Einige Lebensmittelhistoriker sind anderer Ansicht und behaupten, der Name des Gerichts beruhe auf der Ähnlichkeit mit dem Wellington-Gummistiefel. Zumindest steht fest, dass der Herzog von Wellington dieses Rindfleisch sehr schätzte – Dokumente verweisen darauf, dass seine Armee im kampfesmüden Monat November 1813 pro Tag 300 Ochsen verzehrte – zu dem ersten Beef Wellington jedoch gibt es keine eindeutigen Unterlagen. Aus kulinarischer Sicht hätte Arthur Wellesley, Erster Herzog von Wellington, kaum unterschiedlicher sein können als sein großer Gegner. Wie wir später beim Huhn Marengo (S. 68) erfahren werden, war Napoleon ein Feinschmecker, der gigantische Festessen ausrichtete, wenn er einen Sieg feierte. Wellington hingegen war ein Pragmatiker, der sich für Essen kaum begeistern konnte. Nach seinem berühmten Sieg im Juni 1815 hatte er Pläne für Befestigungsanlagen und eine friedliche Neuordnung im Kopf; dass damals ein Festessen stattfand, ist daher sehr unwahrscheinlich. Trotzdem kehrte Wellington triumphierend nach England zurück, er wurde mit Medaillen und Titeln ausgezeichnet und 1828 sogar Premierminister. Dass ein erfinderischer Chefkoch auf die Idee gekommen sein sollte, ihm zu Ehren ein herrliches Gericht zu kreieren, wäre nicht sonderlich überraschend. Das Schmoren von Fleisch im Teigmantel hat in der britischen Kochgeschichte eine lange TradiDer Herzog von Wellington tion und reicht ins 15. Jahrhundert zurück. auf seinem Pferd Copenhagen Aufzeichnungen aus dieser Zeit in der Schlacht bei Waterloo.
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beef wellington
überliefern uns frühe Rezepte der Tudors, in denen ein Grundteig aus Mehl und Wasser als Hülle verwendet wurde, um darin Wild- oder Rindfleisch zu garen. Vor allem die Palastküchen Heinrichs VIII. haben uns solche Pie-Rezepte vermacht; bei Banketten schnitt man die krustigen Teigdeckel kreisrund ab und verwendete sie als Servierplatte für gedünstetes Fleisch. Rindfleisch zählte zu den Lebensmitteln, die nur an besonderen Tagen auf den Tisch kamen – wenn überhaupt, ernährte sich der Großteil der Bevölkerung von Schweinefleisch. Trotz der historischen Konflikte zwischen England und Frankreich übernahm man in größeren Küchen vielfach die französischen Kochtechniken. In den 1830er Jahren dürfte es demnach ein gutes Mittel gewesen sein, Eindruck zu schinden, wenn man das beste Stück Rindfleisch in gerade den Teig wickelte, dessen Zubereitung am anspruchsvollsten war. Eine gewisse Zeit blieb Beef Wellington weitgehend ein britisches Rezept. Obwohl es in Frankreich ein sehr ähnliches Gericht gab, filet de bœuf en croûte, das vermutlich älter ist und den uns unbekannten britischen Koch inspiriert hatte, wurde es damals nicht übernommen. In der französischen Version wird für das Bestreichen des Rindfleischs anstelle der Pilz-Duxelles eher Foie gras verwendet. In Amerika bedurfte es eines sonderbaren Helden, der dem Gericht ins Kochbuchrepertoire verhalf: 1970 erklärte US-Präsident Richard Nixon Beef Wellington zu seinem Lieblingsessen, das er während eines Staatsbesuchs im Vereinigten Königreich kennengelernt hatte. Die Rückkehr in die britischen Privathaushalte fand etwa zur selben Zeit statt. Häusliche Unterhaltung stand mittlerweile hoch im Kurs, und der allgemein höhere Lebensstandard erlaubte es, aus Spaß an der Freude zu kochen und nicht aus reiner Notwendigkeit. Kochbücher und Fernsehköche erlebten einen Boom. Bestens für Fernsehshows eignete sich die Zubereitung eines Beef Wellington, was dazu führte, dass die Zuschauer ein großes Selbstvertrauen in ihre Fähigkeiten setzten und den enthusiastischen Plan fassten, es schon bei der nächsten Einladung nachzukochen. Chefköche und Kochbuchautoren gaben bald Kurzversionen heraus, die auch mit den Zutaten lockerer umgingen. So war es nun erlaubt, die Pilze wegzulassen oder anstelle von Blätterteig Mürbteig zu verwenden. Bald wurde jegliches Fleisch in einem Teigmantel „ein Wellington“, wobei in den Rezepten vom Hühnchen bis zur Wildente alles vorkam. Die Kreation eines Gerichts wie Beef Wellington ist natürlich Grund für einen Freudensprung, auch wenn so manches aus seiner Geschichte reine Vermutung bleibt. Der Romantiker in mir möchte gerne glauben, dass dieses Rezept eher uns entdeckt hat als umgekehrt.
Dieser Stich zeigt die Schlacht bei Waterloo.
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Beef Wellington Dieses Rezept basiert auf der klassischen Zubereitung, enthält aber auch ein paar Kniffe, die uns Zeit ersparen und das Ganze vereinfachen. Falls Sie wie in Frankreich üblich Foie gras verwenden möchten, schalten Sie einfach einen Gang dazwischen und streichen Sie diese vor der Pilzpaste auf das Rindfleisch.
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FÜR DIE PFANNKUCHEN 3 Freilandeier 6 EL Mehl 150 ml Milch 1 Stückchen Butter FÜR DAS BEEF WELLINGTON 500 g Rinderfilet, Mittelstück Schwarzer Pfeffer, frisch gemahlen 375 g backfertiger Blätterteig 4 Scheiben roher Schinken 75 g streichfähige Pilzpaste 1 Freilandei, zusätzlich 1 Eigelb 6
Den Backofen auf 200°C/Gas Stufe 6 vorheizen. Für die Pfannkuchen Eier und Mehl in eine Schüssel geben und verrühren. Nach und nach unter ständigem Rühren die Milch zufügen, bis ein glatter Teig entsteht. Eine Bratpfanne stark erhitzen. Die Butter in die Pfanne geben und schmelzen. Eine Kelle voll Teig in die Pfanne geben und in alle Richtungen schwenken, bis der gesamte Pfannenboden mit Teig bedeckt ist. Wenn die Unterseite goldgelb gebacken ist, den Pfannkuchen wenden und auf der anderen Seite backen. Den fertigen Pfannkuchen auf eine mit Backpapier ausgelegte Platte gleiten lassen. Anschließend einen zweiten Pfannkuchen backen und ebenfalls auf Backpapier legen. Das Rinderfilet pfeffern und in eine stark erhitzte Bratpfanne legen. Rundherum anbraten. Sobald es auf allen Seiten gebräunt ist, herausnehmen und warm halten. Den Blätterteig 5 mm dünn ausrollen. Die Pfannkuchen in die Mitte des Teiges legen. Den Schinken gleichmäßig auf den Pfannkuchen verteilen. Eine Seite des Rindfleischs mit der Pilzpaste bestreichen und das Fleisch mit der bestrichenen Seite nach unten auf den Schinken legen. Ei und Eigelb in einer Schüssel verschlagen. Die freien Seiten der Pfannkuchen und des Blätterteigs mit dem verschla genen Ei bestreichen und das Fleisch in den Teig einschlagen. Das Wellington mit der Nahtseite nach unten auf ein Backblech legen und mit Ei bestreichen. 30 Minuten in den Kühlschrank stellen. Das Wellington aus dem Kühlschrank nehmen und erneut mit verschlagenem Ei bestreichen. Etwa 25 Minuten im Backofen backen, bis der Teig goldgelb ist. Aus dem Ofen nehmen und 10 Minuten auf einer Servierplatte ruhen lassen (oder länger, falls Sie das Rindfleisch nicht blutig mögen).
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Das tranchierte Beef Wellington mit Bratensaft und gegartem Saisongem端se servieren.
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tarte Tatin Es gibt Rezepte, die unvergänglich sind, und Desserts, die einen immer zum Lächeln bringen werden. Wenn zwei Worte auf einer Menükarte stehen, die Ihnen bedeuten, dass Sie Ihre Mahlzeit sorgfältig planen müssen, um am Ende im Magen noch Platz zu haben, kann wohl nur die Tarte Tatin gemeint sein. Sie hat diese klebrig süße Bräune, die einem das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt, diesen knusprigen Teig, der den Magen zum Jubeln bringt, wenn Sie hineinbeißen, und diesen Duft nach Karamell, der einen postwendend zurückversetzt auf sämtliche Rummelplätze, die man je besucht hat. Beim Kochen bleibt die Vollkommenheit letztlich immer unerreichbar, wenn Sie sie jedoch beschreiben sollten, wären Sie mit der Tarte Tatin auf einem guten Weg. Die Geschichte der Tarte Tatin ist in kulinarischen Kreisen bestens bekannt, die meisten Menschen kennen sie ganz oder teilweise. Sie Das Hotel Tatin handelt von einem Schwesternpaar, Stéphanie und Caroline Tatin, die ist noch heute ein Ziel um 1880 ein kleines Hotel in Lamotte-Beuvron führten, einer Kleinfür Feinschmecker. stadt in der Gegend von Sologne in Zentralfrankreich. Ende des 19. Jahrhunderts spiegelte die Küche dieser Gegend die Region wider. Es gab reichlich Wild, Wildschwein, Wildkräuter, häufig kombiniert mit Obst aus neu bepflanzten Plantagen. Während der Saison mieteten sich die Jäger im Hotel Tatin ein, schossen mit großen Waffen auf winzige Vögel und aßen deftige Speisen. Caroline, eine recht ausgeglichene Frau, kümmerte sich um den Service, während die hitzigere Stéphanie in der Küche schaltete und waltete. Ernährungswissenschaftler sind sich darüber uneins, warum Stéphanie den traditionellen Apple Pie verkehrt herum zubereitete; einige halten es für einen großen Irrtum, andere meinen, es sei eine Rettungsaktion für einen danebengegangenen Pie-Belag gewesen. Jeder Koch kann diesen Moment der Panik nachempfinden, wenn einem klar wird, dass der sorgfältig erarbeitete Zeitplan nicht eingehalten wird. Insofern kann man sich lebhaft vorstellen, wie Stéphanie bemerkte, dass sie in Verzug war, wie sie den Herd voll aufdrehte, die Äpfel in ihre übliche Butterund Zuckermischung warf und dann völlig vergaß. Wovon sie abgelenkt war, werden wir nie erfahren, der verbrannte Geruch ließ sie dann sicher aufmerksam werden. Die Äpfel waren für den geplanten Pie nicht mehr zu gebrauchen, in einer schnellen Überlegung schnappte sie sich ihren Teig, rollte ihn aus und legte ihn in einem Versuch, noch irgendetwas zu retten, über die Äpfel. In Sologne gab es eine
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tarte tatin
Der großartige Chefkoch Marie-Antoine Carême hatte bereits lange vor den TatinSchwestern mit gestürzten Desserts experimentiert.
lange Tradition gestürzter Desserts, und der großartige Marie-Antoine Carême hatte bereits beinahe 100 Jahre zuvor beschrieben, was er als „gâteaux renversés“ (gestürzte Kuchen) mit einem Apfelbelag bezeichnete. Daher scheint es plausibel, dass Stéphanies Improvisation durch die Überzeugung gestützt wurde, es würde schon etwas Genießbares daraus entstehen. Sie mag geahnt haben, dass sie eine Katastrophe verhinderte, konnte jedoch unmöglich die Reaktion auf ihre neue Speise voraussagen, die warm aus dem Ofen serviert wurde. Die Gäste liebten sie. Sie wurde die neue Hotelspezialität. Aber wie kann sich ein Apple-Pie aus einem abgelegenen Hotel einer Stadt in einem französischen Waldgebiet zu einem der bekanntesten Desserts der Welt mausern? Nun ja, wie bei vielen anderen Rezepten in diesem Buch, zog auch Stéphanies gestürzte Tarte viele Nachahmer an. Die Geschichte jedoch, wie die Tarte nach Paris gekommen sein soll, ist höchstwahrscheinlich falsch. In den 1930er Jahren war das Maxim’s ein sehr bekanntes Restaurant in der Hauptstadt. Sein künftiger Eigentümer, Louis Vaudable, erzählte später die Geschichte, er sei in der Gegend um Lamotte-Beuvron auf der Jagd gewesen, habe die Tarte entdeckt, sei von ihr begeistert gewesen und habe das Rezept gestohlen, als er dort „undercover“ als Gärtner arbeitete – oder er habe einen als Gärtner getarnten Spion entsandt. Bei den Ausführungen dürfte es sich leider um künstlerische Freiheit handeln: Louis war gerade einmal vier Jahre alt, als die Schwestern 1906 in den Ruhestand gingen, und sein Vater Octave übernahm das Maxim’s erst 1932. Jedoch wurde das Gericht irgendwann in den 1930er Jahren auf die Speisekarte gesetzt und blieb dort. Maxim’s benannte das Gericht nach den Demoiselles Tatin – die Schwestern selbst hatten ihren Kuchen nach ihrer Heimatregion als „Tarte solognote“ bezeichnet –, und so war der Name Tarte Tatin geboren. Maxim’s Unterstützung reichte aus, um ihm seinen Platz in der Geschichte der Gastronomie zu sichern (auch wenn in Amerika wieder einmal Julia Child ihren Teil dazu beitrug). Bald entwickelte es sich weiter: Heute bekommen Sie unter diesem Namen ebenso gut eine schmackhafte Tarte mit Tomaten und Oliven oder eine mit Kirschen. Auch die Verwendung unterschiedlicher Teigsorten ist üblich. Das Original verwendet einen einfachen Mürbeteig, es gibt aber auch Leute, die sich für Blätterteig ins Zeug legen. Ich persönlich bevorzuge Blätterteig. Was die Apfelwahl betrifft, hatten die Damen Tatin das Glück, die Sorte Reinette verwenden zu können; sie sind bei meinem örtlichen Obst- und Gemüsehändler allerdings schwer zu bekommen. Ich nehme Cox oder Granny Smith – man braucht Konsistenz und Biss. Ansonsten hat sich in all den Jahren, seit das erste Stückchen Himmel gestürzt wurde, wenig geändert.
Das Restaurant Maxim’s in Paris setzte die Tarte Tatin auf seine Speisekarte und damit auf die Landkarte der Kochkultur.
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Am besten essen Sie die Tarte z端gig auf.
tarte Tatin Hier ist es, das wahrscheinlich bekannteste Gericht in diesem Buch. Der Zucker ist schnell verbrannt, lassen Sie ihn daher – bevor Sie die Äpfel zugeben – nicht zu braun werden. Sie brauchen das viele Karamell, um den ganzen Kuchen zusammenzuhalten, verbrannter Zucker gibt der fertigen Tarte jedoch einen unerwünscht bitteren Beigeschmack.
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6 mittelgrosse Cox- oder Granny-Smith-Äpfel 100 g Butter 100 g feinkörniger Rohrzucker 375 g backfertiger Butter-Blätterteig 6
Den Backofen auf 220 °C/Gas Stufe 7 vorheizen. Die Äpfel schälen, halbieren und das Kerngehäuse entfernen. Das können Sie bereits am Vortag erledigen und die Äpfel im Kühlschrank aufheben. Die trockene Luft im Kühlschrank trägt dazu bei, dass die Äpfel knusprig werden. Dass sie sich braun verfärben, ist bei diesem Rezept egal. Die Butter in einer Tarte-Tatin-Form (20 cm Durchmesser) oder einer ofenfesten Bratpfanne schmelzen. Den Zucker zufügen und langsam einrühren, damit er sich in der Butter auflöst. Gut beobachten, sobald er braun zu werden beginnt, die Äpfel mit der ausgehöhlten Seite nach oben in die Form legen – Sie wissen ja, Sie backen einen gestürzten Kuchen. Darauf achten, dass sie mit Karamell bedeckt sind. Etwa 10 Minuten garen, bis sie anfangen, weich zu werden. Die Form von der Herdplatte nehmen. Den Teig sorgfältig ausrollen und mit einer Gabel mehrfach einstechen. Ein paar Zentimeter größer als die Backform zuschneiden und über die Äpfel legen. Den überstehenden Rand rasch seitlich in den Innenrand der Form drücken und die Tarte auf der mittleren Schiene in den Backofen stellen. 25 Minuten backen, in den letzten fünf Minuten öfter nachsehen, damit der Teig nicht zu braun wird. Die Form aus dem Ofen nehmen und eine Minute setzen lassen. Den Teig mit einem Messer vom Rand lösen und die Servierplatte mit der Oberseite nach unten über die Form legen. Beides zusammen fassen und die Form rasch umstürzen, sodass die Tarte auf den Teller gleitet. Wenn Sie Vertrauen haben, klappt es auch. In Stücke schneiden und noch warm mit einer Kugel Eis servieren. Am besten essen Sie die Tarte zügig auf, damit der Teig nicht weich werden kann.
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birne Helene La Belle Hélène, in Form der Opernsängerin Mademoiselle Cocyte, 1900 von ToulouseLautrec dargestellt.
„Birne Helene ist eine gekochte Birne mit Vanilleeis mit heißer Schokolade“, weiß Loriot alias Heinrich Lohse im Film Papa ante portas ganz genau und weigert sich, ein Dessert solchen Namens in einer abgewandelten Variante mit Äpfeln oder gar Vanillesauce zu verspeisen. Es liegt auf der Hand, dass dieser Klassiker filmreif wurde, schließlich begann auch seine Erfolgsgeschichte schon auf der Bühne – wenn auch in einem Pariser Theater. Wieder ein Gericht, das nach einer Frau benannt ist: Birne Helene, im französischen Original „Poires Belle Hélène“. Die Namensgeberin ist in diesem Fall keine geheimnisvolle Unbekannte, sondern die Titelheldin von Jacques Offenbachs Operette La Belle Hélène (Die schöne Helena). Das Stück um die bezaubernde Helena entspann sich um den spektakulären Stoff der griechischen Sagenwelt. Paris, der Götterprinz, wählte in einem Wettstreit der Göttinnen Venus aus, die ihm als Dank die schönste aller Frauen versprach. Diese war Helena, die Ehefrau des Königs Menelaos. Paris entführte sie und entfachte damit den Trojanischen Krieg. Offenbach hatte ein Faible für die komische Oper und ließ eine Schar mitleiderregender Götter und Helden auftreten, die das Publikum mitrissen und zum Lachen brachten. Dieses Dessert soll für die Premiere im Dezember 1864 in Paris kreiert worden sein, und zwar von dem berühmten Küchenchef Auguste Escoffier, der sich mit Pfirsich Melba und anderen in diesem Buch beschriebenen Rezepten verdient gemacht hat. Manche munkeln, die Birnen mit Schokosauce seien eine Hommage an Hortense Schneider gewesen, die in Offenbachs Stück die weibliche Hauptrolle sang und diverse prominente Verehrer hatte. Als Tochter eines in Bordeaux ansässigen Schneiders, nahm sie bereits als Kind Gesangsunterricht und tourte später mit einer Theatertruppe durch die Region. 1855 wurde sie auf Vermittlung ihres
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birne helene
Kollegen Jean Berthelier dem Komponisten Jacques Offenbach vorgestellt, der sie für sein neues Théâtre des Bouffes-Parisiens vom Fleck weg engagierte und in vielen Hauptrollen auftreten ließ. La Belle Hélène war der erste seiner insgesamt vier großen Erfolge, Hortense Schneider avancierte zum Star, trat im Ausland auf und genoss am französischen Königshof großes Ansehen. 100 Jahre später wäre ihr die ständige Präsenz in den Klatschblättern sicher gewesen, aber die gab es zu ihrer Zeit noch nicht. Doch wie so oft vermischen sich auch hier Dichtung und Wahrheit. Es war damals in vornehmen Pariser Restaurants gerade Mode, neue Gerichte nach Bühnenwerken zu nennen, vor allem wenn sie Frauennamen im Titel trugen. Die Birne Helene war insofern nichts Außergewöhnliches. Dass sie schon zur Premierenfeier aufgetischt wurde, dürfte allerdings eine Legende sein. Und das Originalrezept kann kaum von Escoffier stammen, denn der war damals erst 18 Jahre alt und noch in Nizza. 1865 arbeitete er dann zwar schon im Petit Moulin Rouge in Paris, aber als Bratenkoch und Saucier. Seine Karriere als Küchenchef begann erst in den 1870er Jahren. Escoffier hat das Rezept für die Birne Helene, so wie sie zum Beispiel im Nobelrestaurant Maxim’s in Paris immer noch serviert wird, in seinem Kochkunstführer später etwas verändert. Er ließ die Creme-Füllung weg, reichte die warme Schokosauce separat und dekorierte das Ganze mit kandierten Veilchen – eine Zutat, die völlig aus der Mode gekommen ist. Die lieblose Kombination aus Dosenbirnen, Fertigsauce und Vanilleeis aus dem Supermarkt, die in Gaststätten oft als „Birne Helene“ bezeichnet wird, ist dagegen nicht mehr als eine entfernte arme Verwandte dieses eigentlich sehr leckeren Desserts. Wenn Sie eine dieser Varianten sehen, die Heinrich Lohse mit Sicherheit verabscheut hätte, stellen Sie sich seine Ehefrau vor, die ihrem Mann bereits im Restaurant drohte: „Wenn ich jetzt noch einmal Birne Helene höre, werfe ich mich hier auf den Boden und beiße in die Auslegeware.“
Wie kam die Helene zur Birne – und wer erfand das berühmte Gericht?
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Birne Helene Verwenden Sie frische Birnen, die bestenfalls reif und süß, aber noch fest sein sollten. Am besten ist es, sie gleich nach dem Schälen in den Sud aus Zucker und Zitronensaft zu tauchen, damit sie ihre helle Farbe behalten.
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125 g Kristallzucker 1 Glas Wasser 1 TL Zitronensaft Vanilleschote 6 Birnen 125 g Schokolade 2 EL Zucker 50 g Butter 50 g Mandeln, gehackt 30 g Feinzucker 500 g Vanilleeis 6 Blätter Marzipan 6
Wasser, Zucker, Zitronensaft und Mark der Vanilleschote mit der Schote in einen Topf geben und aufkochen, bis sich der Zucker aufgelöst hat. Die Birnen schälen und aushöhlen, in dem Vanille- und Zitronensirup pochieren und in dem Sirup abkühlen lassen. Für die Schokoladensauce die Schokolade mit 4 EL Wasser und 2 EL Zucker schmelzen lassen, zum Kochen bringen und vom Herd nehmen. Die Butter mit den gehackten Mandeln und 30 g Zucker mischen und die Birnen damit füllen. Auf einem Bett aus Vanilleeis anrichten, Schokosauce darübergießen, nach Belieben jede Birne mit einem Marzipanblatt dekorieren.
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negroni 30 ml Gin 30 ml Campari 30 ml süsser Wermut (rot) Orangen-Zeste zum Garnieren Die Zutaten mit einem langen Löffel in einem Rührglas verrühren, in ein mit Eis gefülltes Double-RocksGlas gießen und mit der Orangenschale garnieren.
mint julep 4 frische Minzezweige 60 ml Bourbon-Whiskey 1 TL Puderzucker Minzblätter, Puderzucker und 2 TL Wasser in ein Collins-Glas geben. Darauf achten, dass die Blätter nicht brechen, da sie sonst bitter werden. Das Glas mit zerstoßenem Eis füllen und den Bourbon darübergießen. Noch etwas Eis nachfüllen und mit einem Minzezweiglein garnieren. Mit einem Strohhalm servieren.
PIÑA COLADA Es gibt Worte, die man besser nie übersetzen sollte. Piña Colada bedeutet wörtlich „abgeseihte Ananas“, was weder besonders appetitanregend noch aussagekräftig ist. Die Geschichte dieses Cocktails ist zum Glück deutlich bunter als der cremigweiße Drink selbst. Es gibt Geschichten, die bis ins 19. Jahrhundert zu einem Piraten namens Roberto Cofresí zurückreichen. Dieser pflegte den Drink seinen erschöpften Männern zu geben, um ihre Moral zu heben, wenn sie viele Jahre auf See verbrachten. Der Kunde nach war Cofresí ein puertoricanischer Robin Hood, der es nur auf reiche amerikanische Schiffe abgesehen hatte, um ihre Waren unter den armen Inselbewohnern von Haiti und Puerto Rico zu verteilen. Wie das bei Piratengeschichten immer so ist, kann er aber ebenso gut ein herzloser Mörder gewesen sein. Die Legende jedenfalls behauptet, er habe das Rezept 1825 in sein Seemannsgrab mitgenommen, daher wird man es nie mit Sicherheit erfahren. Erste gedruckte Rezepte für den Cocktail gehen auf die 1920er Jahre zurück, darunter eines in der Zeitschrift Travel mit folgender Beschreibung: „Der Saft einer wirklich reifen Ananas – dies alleine bereits ein köstliches Getränk – wird rasch mit Eis, Zucker, Limette und BacardiRum in einem schwierigen Mengenverhältnis gemixt. Was könnte köstlicher, sanfter und wohlriechender sein?“ Wir mussten jedoch erst noch die 1950er Jahre in Puerto Rico abwarten, um den Drink mit Kokosaroma zu bekommen, den wir heute kennen und lieben. Der Hauptunterschied zwischen dem heutigen Piña Colada und der Version unseres Piratenfreundes ist die Verwendung von Kokoscreme. Bisher wird Ihnen vielleicht nicht bewusst gewesen sein, wie ausschlaggebend Puerto Rico für den technischen Fortschritt bei der Herstellung von Kokoscreme war, das Verfahren wurde tatsächlich 1949 an der Universität von Puerto Rico von Ramón López Irizarry entwickelt. Er wertete es schließlich aus und brachte eine Kokoscreme unter der Bezeichnung Coco Lopez auf den Markt. Genau dieses Produkt verwendete Ramón „Monchito“ Marrero, ein junger Barkeeper in der Caribe Hilton’s Beachcomber Bar in San Juan, um einen der kultigsten Drinks in der Welt der Cocktails zu kreieren. Das Hotel wurde immer beliebter und begrüßte prominente Gäste aus Europa und Amerika, wie beispielsweise die Schauspielerin Gloria Swanson. Die Hoteldirektion wünschte sich einen unverkennbaren Drink, auf den das Haus seinen Ruf aufbauen konnte. Monchito nahm die Herausforderung an, und nach drei Monaten intensiver Recherchen und Versu che war der Piña Colada, zu dessen Zutaten die puertoricanische Kokoscreme gehörte, am 15. August 1954 geboren. Der Drink wurde ein Riesenerfolg; die süßen, ausdrucksstarken Aromen glichen die Säure der Ananas perfekt aus. Er konnte ganz puristisch mit einem kleinen Obststückchen angeboten werden, oder man ging aufs Ganze und servierte ihn mit dem entsprechenden theatralischen Effekt in einer Ananas. 1978 hatte das Hotel bereits 3 Millionen Piña Coladas verkauft; Monchito wurde in einer großen Zeremonie ausgezeichnet, und Puerto Rico erklärte den Piña Colada zum Nationalgetränk. Die Beliebtheit des Cocktails verbreitete sich in der ganzen Welt.Traditionell wird er mit einer Maraschino-Kirsche garniert. Ich persönlich rate aber, darauf zu verzichten.
Ein Sonnenuntergang in der Karibik ist die perfekte Kulisse für einen Piña Colada.
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MARTINI Falls Sie sich je darüber Gedanken gemacht haben, welcher Drink von sich aus eine Daseinsberechtigung haben müsste, wäre es wohl der Martini. Seine Reise durch die Cocktailbars der Welt hat gezeigt, wie er sich zum beliebtesten und bekanntesten aller Cocktails entwickelt hat. Er überlebte sogar die Prohibition, die Periges ch üt t el t , ode erzwungener Abstinenz in den USA zwischen 1920 und 1933. Tatsächlich n i ch t florierte er in dieser Zeit, als Alkohol verboten war und die Leute Gin in der ger üh r t Badewanne herstellen mussten. Die Trinker mussten kreativ sein, um an ihre Spirituosen zu kommen, und Gin ließ sich am einfachsten herstellen. Niemand jedoch wollte das Gefühl haben, etwas zu trinken, was aus der Badewanne kam – also musste etwas Raffinierteres her! Die Volksüberlieferung sieht die frühen Wurzeln des Martini in einem Drink namens Martinez, der im Occidental Hotel in der Stadt Martinez in Kalifornien serviert wurde. Das Hotel befand sich in der Nähe eines Fährhafens, wo die Leute warteten und einen Drink nahmen, während die Fähre hin- und herfuhr (eine Abwandlung der Geschichte besagt, es sei in San Francisco gewesen, wo die Leute auf die Fähre nach Martinez warteten). Die Kreation des Martinez wiederum gehört zu einem alten amerikanischen Mythos, demzufolge ein junger Goldgräber 1870 ein Nugget auf den Tresen legte und vom Barkeeper Julio Richelieu etwas Besonderes verlangte. Das Ergebnis war der Martinez: eine Kombination aus zwei Teilen süßen Wermuts mit einem Teil Gin. Das Oxford English Dictionary hat jedoch zwei Italiener namens Martini und Rossi als Inspiration für den Namen zu bieten: Alessandro Martini importierte seit 1863 Wermut in die USA, und seine Beliebtheit hatte sich im ganzen Land und in der Welt verbreitet. Als die Prohibition begann, hatten die Menschen noch leichten Zugang zu Gin. Wer die richtigen Leute kannte, kam auch an Wermut, und schon war der Martini geboren: ein trockener, geschmeidiger Drink – und damit begann der Spaß. Man konnte genau die Anteile Gin und Wermut mischen, die man mochte – je weniger Wermut man nahm, desto „trockener“ wurde der Martini. Nach dem Ende der Prohibition, als hochwertiger Gin wieder frei verfügbar wurde, konnte der Martini auf sehr hohem Niveau zubereitet werden. Der Wechsel vom süßen zum trockenen Wermut erfolgte in den 1940er Jahren. In den 1970er Jahren begann der Stern des Martini ein wenig zu verblassen, als die Leute auf leichtere Drinks umstiegen wie Schorlen und raffiniertere Cocktails, er galt aber immer noch als Klassiker. Heute mischen die Leute Wodka (dies begann in den 1950er Jahren) und anderen Alkohol mit dazu. Berühmt ist, wie James Bond – ebenfalls in den Fünfzigern Sean Connery als James – in Casino Royale einen Martini mit dem Aperitif Kina Lillet mixt. Puristen Bond. Der Martini wird für werden jedoch sagen, ein Martini solle nur zwei Zutaten enthalten: Gin und immer mit dem wagemuWermut. Die einzige weitere Zutat kann eine Garnitur wie eine Olive oder tigen, aber erfundenen eine eingelegte Zwiebel sein, auch wenn das strenggenommen als Gibson britischen Spion verbunden bezeichnet wird. Manche mischen gar einen „Dirty Martini“, indem sie den bleiben. Olivensaft dazugeben.
MARGARITA Dieser Cocktail teilt zwar seinen Namen (wenn auch nicht die Schreibweise) mit der genauso berühmten Pizza Margherita, die Identität seines Erfinders wird aber leider wohl nie mit derselben Sicherheit ausfindig gemacht werden. Es gibt so viele Versionen der Entstehungsgeschichte wie es auf der Welt Bars gibt; die meisten sind sich wenigstens in einem Punkt einig, nämlich darin, dass der Drink in Mexiko entstanden ist. Die erste Geschichte stammt aus Tijuana. Im Jahr 1935 soll hier ein Barkeeper namens Danny Herrera den ersten Margarita für eine Dame zubereitet haben, die nicht Margarita hieß, sondern Marjorie King. Marjorie war Mitglied der Ziegfeld Follies, einer exotischen Tanztruppe, die, nur mit dem Nötigsten bekleidet und die Beine hoch werfend, den Broadway mit ihren Tanznummern eroberte. Offenbar reagierte sie auf Alkohol allergisch, ausgenommen Tequila, dessen Geschmack sie jedoch verabscheute. Daher löste Danny ihr Problem. Margarita ist die spanische Form von Marjorie. Eine einfache Geschichte. Wandern wir weiter ins Jahr 1941 in die Stadt Ensenada, wo ein Barkeeper namens Don Carlos Orozco in Hussong’s Cantina die Drinks mixte. 1892 von dem jungen Deutschen Johann Hussong eröffnet, hatte sich die Bar rasch zur Lieblingskneipe für all diejenigen entwickelt, die über die Grenze entkommen konnten. Man erzählt sich, Hussong sei eines Tages in der Gegend unterwegs gewesen, als er mit seinem Bus einen Unfall hatte, wobei sein Begleiter verletzt wurde. Sie suchten Zuflucht in der einzigen Bar von Ensenada. Am nächsten Tag ermordete der Eigentümer seine Frau und wurde ins Gefängnis gesteckt. Zuvor bat er Johann, sich während seiner Abwesenheit um die Bar zu kümmern. Sein Begleiter erholte sich und kehrte zu seiner Familie zurück, der Eigentümer hingegen kam nie wieder, sodass Johann seine eigene Kneipe besaß. Eines ruhigen Nachmittags im Oktober 1941 hatte Don Carlos einen Gast, Margarita Henkel – niemand Geringeres als die Tochter des deutschen Botschafters in Mexiko. Er spielte mit neuen Aromen und verschiedenen Alkoholsorten herum, und sie war ihm ein williges Versuchskaninchen. Sie liebte den berauschenden zitronigen Touch seines neuen Gebräus. Der Drink brauchte einen Namen, also benannte er ihn nach ihr. Auch eine einfache Geschichte. Eine weitere Geschichte versetzt den Margarita über die mexikanische Grenze nach Texas und bezieht die Kultsängerin Peggy Lee mit ein. Lee war häufig zu Gast im Balinese Room in Galveston, wo 1948 der Barkeeper Santos Cruz den Drink ihr zu Ehren erfunden und ihn wiederum mit der spanischen Version ihres vollständigen Namens benannt haben soll. Die Wahrheit ist wahrscheinlich weder so romantisch noch so einfach wie irgendeine dieser Geschichten. Vor den 1940er Jahren waren mehrere Cocktails in unterschiedlicher Form und in unterschiedlichen Teilen Amerikas beliebt. Einer davon war Daisy, der aus einem hochprozentigen Branntwein bestand und mit einer Spirituose auf Zitrusbasis und etwas Zucker gemixt wurde. In den USA war der Brandy Daisy am populärsten. Jenseits der Grenze in Mexiko war Brandy nicht erhältlich, daher servierten viele Bars den Drink mit dem im Süden am weitesten verbreiteten Alkohol, dem Tequila. Es gibt Aufzeichnungen, wonach der Tequila Daisy bereits 1936 überall in Amerika getrunken wurde. Der Syracuse Herald, das Albuquerque Journal und sogar das Time Magazine erwähnten ihn damals als beliebten Drink. Und Daisy heißt auf Spanisch, wie Sie sicher bereits erraten haben, Margarita!
Die Sängerin Peggy Lee ist eine von vielen, die als Inspiration für den Margarita in den 1940er Jahren genannt werden.
G e r i c h t e m i t Geschichte Wie entstand der Nachtischklassiker Birne Helene? Woher kommt eigentlich der Caesar Salad? Und wer verlieh der Tarte Tatin ihren berühmten Namen? Dieses Callwey Buch stellt 50 weltbekannte Gerichte und Cocktailklassiker mit verlässlichen Rezepten vor. Es erzählt die oftmals überraschenden Geschichten darüber, wie die Gerichte erstmals zubereitet wurden und wie sie zu den Namen kamen, unter denen wir sie heute kennen und lieben. Ein wahres Koch- und Lesevergnügen für Hobbyköche und Geschichtsinteressierte, die ihre Gäste gern mit köstlichen Gerichten und unterhaltsamen Hintergrundgeschichten erfreuen.
E i n e k u l i n a r i s c h e Re i s e durch faszinierende Geschichten und Ereignisse 5 0 k ö s t l i c h e Re z e p t k l a s s i k e r und ihre Zubereitung Ein liebevoll illustriertes Kochu n d Le s e v e r g n ü ge n
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