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Mallorca ist die größte Insel Spaniens mit einer lebendigen Kunstszene. Von idyllischen Stränden bis zu malerischen Örtchen in den Bergen der Serra de Tramuntana hat sie einiges zu bieten. Hier auf der Insel wurde Camper vor 50 Jahren gegründet.

The Walking Society In der achtzehnten Ausgabe von The Walking Society Magazine feiern wir 50 Jahre der Verbindung von innovativem Design und traditioneller Handwerkskunst. Grund genug, um Campers Heimatinsel Mallorca einen erneuten Besuch abzustatten. Diesmal sehen wir die Insel durch die Linse des renommierten britischen Fotografen Martin Parr, der vor allem für seine anthropologischen Foto-Essays und satirischen Porträts Englands und der Engländer bekannt ist. Parr ist nicht nur einer der bekanntesten Fotoreporter unserer Zeit, sondern auch Mitglied der Fotografenagentur Magnum Photos.

F/S 2025 AUSGABE Nr. 18

María Ángeles, die als 18-Jährige aus Jerez nach Mallorca zog, wird häufig am Strand angesprochen und gefragt, ob sie in Videoaufnahmen oder Presseberichten erscheinen will. Sie sei das gewohnt. „Weil ich Menschen einfach gern habe.“

Biel hat Film studiert. Inspiration findet er am Strand. Was für einen Film er einmal drehen möchte? Einen Horrorfilm mit Komödienanteilen mit der Kathedrale von Palma de Mallorca als Kulisse.

Über Jahrhunderte hinweg war Mallorca das Land der Piraten und tapferen Krieger, die im gesamten Mittelmeerraum wegen Ihres geschickten Umgangs mit der Steinschleuder gefürchtet waren. Die einheimische Talayot-Kultur besiedelte die Insel und hinterließ in der Eisenzeit geheimnisvolle Bauwerke aus Trockensteinmauern. Aufgrund der fruchtbaren Felder und der strategischen Lage war Mallorca auch für Karthager, Römer, Muslime und Juden als strategisches Drehkreuz für militärische und wirtschaftliche Eroberungszüge interessant.

Weit ins 20. Jahrhundert hinein war Mallorca in selbstbezogener Abgeschiedenheit versunken. Heute ist es wieder zu einem Land der kulturellen Vermischung geworden, in dem jedes Jahr Neuankömmlinge aus aller Welt ihren Platz finden. Fast die Hälfte der hier lebenden Menschen ist nicht auf der Insel geboren. In diesem Schmelztiegel der Kulturen ist Camper zu einer der bekanntesten einheimischen Marken der letzten Jahrzehnte geworden. 2025 feiert das Unternehmen sein 50-jähriges Bestehen. Im Jahr 1975 hatte Lorenzo Fluxà Roselló mit der Gründung von Camper an die jahrhundertealte Schuhmachertradition seiner Familie angeknüpft.

Der Grundstein für das Familienunternehmen wurde von Lorenzos Großvater Antonio Fluxà gelegt, der 1877 aus der für die Schuherstellung bekannten Stadt Inca nach England aufbrach, um dort die maschinelle Schuhproduktion kennenzulernen. Auf seiner Rückreise hatte er ein paar dieser Maschinen im Gepäck und eröffnete seine eigene Werkstatt, aus der die erste Schuhfabrik der Insel entstand. Deren Erfolg brachte Antonio den Spitznamen „mestre“ – „Meister“ – ein.

Daraus entstand schließlich die heutige Firma Camper, die einfallsreiche Alltagsschuhe entwirft. Sie ist offen für Experimente und lässt daher den Kreativen aus so unterschiedlichen Bereichen wie Fotografie, Grafikdesign oder Architektur freie Hand.

Die Gründung von Camper fiel zeitlich mit dem Ende der 36 Jahre währenden Franco-Diktatur und der Öffnung Spaniens im Jahr 1975 zusammen. Der Name „Camper“ – das mallorquinische Wort für „Bauer“ – war als Hinweis auf die ländlichen Ursprünge der Gründer und gleichzeitig auf die bequemen und alltagstauglichen Schuhe für alle Gelegenheiten zu verstehen.

Dank der über fünf Jahrzehnte andauernden unermüdlichen Arbeit ist Inca zum Zentrum des mallorquinischen Schuhmacherhandwerks aufgestiegen. Ein Erbe, von dem die hauptsächlich auf den Tourismus ausgerichtete Wirtschaft der Insel bis heute profitiert.

Mehr als sieben Millionen Reisende erreichen jedes Jahr per Flugzeug, Fähre und Kreuzfahrtschiffen die Küsten Mallorcas. Auf ihren Streifzügen über die Insel besuchen sie malerische Flecken wie Estellencs. Ein kleines Dorf im westlichen Teil des Gebirgszugs Serra de Tramuntana, dessen Kopfsteinpflasterstraßen noch original erhalten sind und in dem traditionelle Speisen serviert werden.

Wer es sich leisten kann, kommt mit dem eigenen Boot und legt an abgeschiedenen Buchten wie Cala Tuent an, wo die kiefernbewachsenen Berge das ruhige, kristallklare Wasser vom Wind abschirmen.

Es wirkt so, als sei das Leben auf Mallorca langsamer als anderswo, und Neues und Altes ergänzen sich. Sowohl Künstler als auch

Unternehmen wie Camper stehen unter dem Eindruck der genuin mediterranen – und handwerklich geprägten – Lebensart. Eine Idylle, für die die amerikanische Schriftstellerin Gertrude Stein vor Jahren den vieldeutigen Satz geprägt haben soll: „Wenn du das Paradies erträgst, dann komm nach Mallorca“.

Bea, 43, stammt aus Sevilla, besitzt aber seit acht Jahren eine Wohnung in Palma de Mallorca, für Urlaube und Besuche bei ihrem Bruder, der dort arbeitet. „Das Viertel, in dem ich wohne, heißt Portixol und es ist echt schön!“

ROSSY DE PALMA

Die Heldin aus Filmen von Almodóvar spricht über ihre Kindheit auf Mallorca und was sie sich von ihrer beruflichen Entwicklung erwartet.

S. 20

IDYLLISCHES ATELIER FÜR JUNGE KREATIVE

Sechs Künstler*innen schildern die Inspirationskraft der Insel und was sie aufstrebenden Talenten zu bieten hat.

S. 32

ACHILLES ION GABRIEL

Auf Mallorca hat der kreative Leiter von Camper die Ruhe und Naturnähe gefunden, nach der er sich seit dem Wegzug aus seiner finnischen Heimat so gesehnt hat.

S. 44

Eine typisch spanische und manchmal missverstandene Tradition.

S. 54

Druckerei, Restaurant und der Wille, ihre Fähigkeiten zu zeigen, sind das Patentrezept, mit dem die Stiftung Menschen mit Lernschwierigkeiten in den Arbeitsmarkt integriert.

S. 63

Überall auf der Insel kann man den jahrhundertealten mallorquinischen Dialekt mit sehr besonderen Eigenheiten noch hören.

S. 70

LA BARAJA ESPAÑOLA

Das spanische Blatt erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit bei Jung und Alt.. S. 78

APAEMA BIO-LANDWIRTSCHAFT

Biologisch angebautes Obst und Gemüse werden auf der Insel, auf der man seit jeher Tomaten und Mandeln anbaut, immer beliebter.

S. 94

ALI GUTY

Die mallorquinische Influencerin, die schon in jungen Jahren keinem Klischee entsprechen mochte, lebt wieder in New York, wo sie als Curvy Model arbeitet und zu neuen Ufern aufbrechen will.

S. 100

VÖGEL BEOBACHTEN

Der Mönchsgeier ist auf Mallorca ein seltener Anblick. Dem tatkräftigen Einsatz der Stiftung FVSM ist es zu verdanken, dass der größte Greifvogel Europas auf der Mittelmeerinsel weiterhin Zuflucht findet.

S. 114

MARC BIBILONI

Die Künstlerin und ihr Galerist erzählen, wie eng die Komplizenschaft zwischen beiden sein muss, damit die Kunst sich entfalten kann.

S. 126

FORN DES TEATRE

In Zeiten der Wirtschaftskrise wagte ein Paar den Neuanfang und polierte mit alten Rezepten eine historische Jugendstil-Bäckerei auf.

S. 138

Nele ist eine 26-jährige Deutsche, die wegen der Arbeit auf Mallorca ist. Sie genießt das tolle Wetter und verbringt

ihre Freizeit am liebsten mit ihrem neuen Hobby Töpfern, das sie erst hier erlernt hat. Sie hat sich vorgenommen, ein Schachspiel zu töpfern.

Alex Sobrón, 24, wuchs in einem kreativen Elternhaus auf. Sein Großvater gründete ein Luxusmodehaus und seine Mutter entwarf Schuhe. Alex trat in ihre Fußstapfen und hat heute seine eigene Schmuckmarke.

Ein Spaziergang am Meer, mit den rauschenden Wellen und der leichten Meeresbrise, ist bei den Bewohnerinnen und Bewohnern Mallorcas sehr beliebt. Dabei können sie nachdenken, abschalten oder, wie Elena, mit dem Vierbeiner Gassi gehen.

Matías ist Argentinier und lebt seit 13 Jahren in Spanien, aber erst seit nicht mal einem Jahr in Palma. Er geht regelmäßig ins Fitnessstudio und hört gerne elektronische Musik. Noch hat er keine Freunde auf der Insel gefunden.

Piero kam als Einjähriger nach Mallorca. Er ist das älteste von vier Geschwistern und als einziger in Ecuador geboren. Er würde gerne als Regisseur für audiovisuelle Medien arbeiten. „Hier kenne ich mich aus, und das inspiriert mich.“

ROSSY DE PALMA

UND IHR DRANG, DIE KUNST ZU LEBEN

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Rosa Elena García Echave hatte schon früh in ihrer Karriere beschlossen, dass ihr bürgerlicher Name und ihr Leben als Künstlerin getrennt bleiben sollen, weshalb sie sich fortan zu Ehren ihrer Heimatstadt Palma de Mallorca „Rossy de Palma“ nannte. Man kennst sie als eine der „Almodóvar-Frauen“, jener kleine Riege Schauspielerinnen, die regelmäßig in den Werken des gefeierten spanischen Filmregisseurs auftreten. Rossy selbst sieht sich jedoch viel stärker als Künstlerin denn als Schauspielerin. Mal spielt sie in einem oscarnominierten Film wie Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs, dann tritt sie in der Modenschau „Fashion Freak Show“ des französischen Modedesigners Jean Paul Gautier auf, der sie seine Muse nennt.

„Ich bin kein Karrieremensch, mir geht es nicht um meine Karriere. Für mich ist es eher eine Art, mein Leben zu leben“, so Rossy über ihre Arbeit. Ihr geht es um die unmittelbare Erfahrung beim Entstehen von Kunst, weniger um das fertige Werk. Deshalb unterbricht sie auch unser Interview, um ein Foto von dem eindrucksvollen Himmel in Rosa-, Orange- und Gelbtönen zu machen, der sich vor der Villa Can Pirata zeigt, wo sie gerade mit kreativen Vorschlägen das Fotoshooting auf den Kopf gestellt hat.

Und deshalb stehen auf ihrer Wunschliste auch keine Regisseure, sondern Schauspielhäuser, in denen sie auftreten möchte: „Die arbeite ich ab. Ich wollte unbedingt im Teatro Real auftreten, aber die spielen nur Opern.“ Diese Hürde hat sie kürzlich mit Tres mujeres solas y desesperadas genommen, einer Inszenierung, bei der zwischen zwei Opern ein Monolog gehalten wird, in dem Rossy in einem Brautkleid laut über die Vergänglichkeit der Liebe nachdenkt.

„Momentan interessiere ich mich mehr für Performances, wegen der Freiheit, die man da hat. Man weiß nicht, was passieren wird, und man interagiert mit dem Publikum, stellt Situationen her“, so Rossy. Das gilt auch für den Tanz, den sie schon als Kind trainierte. Damals hießt es allerdings, dass sie für eine Tänzerin „zu kräftig gebaut“ sei. „Ich kann mich nicht nur auf eine Sache beschränken. Ich brauche Abwechslung, sonst langweile ich mich, und wenn ich mich langweile, werde ich quengelig“.

OBWOHL DU HIER GEBOREN BIST, KOMMEN DEINE ELTERN NICHT VON DER INSEL, STIMMTS?

Meine Eltern kommen aus dem Norden Spaniens, aus Asturien, und als ich hier aufwuchs, sprach ich noch kein Katalanisch –oder besser gesagt Mallorquinisch. Wir waren die Außenseiter, oder wie es abwertend heißt, die charnegos, obwohl ich mich ja selbst so nenne. Jedes Mal beim Bäcker hörte ich die Leute sagen: „Aquesta és filla de forasters“, „das ist die Tochter von Fremden“, denn wir kamen vom spanischen Festland und verbrachten auch die Sommerferien in Asturien.

Ich bin gerade 60 geworden, ich spreche aber von den siebziger Jahren, als ich sechs war. Damals war diese Mentalität noch weit verbreitet. Heute ist das Viertel, in dem ich aufgewachsen bin, das Chinatown von Mallorca. Was wohl der Bäcker, für ich den ich die Fremde war, heute dazu sagen würde? Da hat sich einiges getan!

Meine im Norden von Spanien aufgewachsene Mutter erzählte mir immer wieder, dass die Insel früher ein richtiges Piratennest gewesen sei. „Seit den Phöniziern war hier ein Kommen und Gehen, sodass die Einheimischen ihre Sachen lieber gleich unter der Erde versteckt haben.“ Ich trage also beide Kulturen in mir, was mich sehr bereichert hat. Auf der einen Seite den Norden am Kantabrischen Meer, das nicht zum Baden, sondern zum Nachdenken da ist, und auf der anderen Seite das Mittelmeer. Weil meine Eltern aus dem Norden kommen, ich aber am Mittelmeer aufgewachsen bin, fehlt mir eine richtige Heimat, aber das ist doch auch etwas Tolles, oder? Ich habe keine richtige Zugehörigkeit. Wenn ich mich entscheiden müsste, dann würde ich sagen „ich komme vom Mittelmeer“.

SOBALD SIE ERWACHSEN SIND, VERLASSEN VIELE JUNGE

LEUTE DIE INSEL, UM DIE GROSSE WEITE WELT ZU ENTDECKEN. WAR DAS BEI DIR AUCH SO?

Mein Aufbruch war einer sehr bekannten spanischen Popband von hier namens „Peor Impossible“ geschuldet. Die Mitglieder kamen aus Andalusien, viele auch von hier. Ich war Schlagzeugerin, Perkussionistin, Backgroundsängerin und Tänzerin. Wir hatten mit „Susurrando“ sogar einen Sommerhit. Damals ging es uns nicht ums Berühmtsein oder um Geld, wir wollten uns einfach ausdrücken. Wir waren sehr jung, 17 und 18. Unsere Videos entstanden mit einem amerikanischen Regisseur Mark Gómez, so hieß der. Weil das Greenscreen-Verfahren damals gerade neu war und er damit experimentieren wollte, mussten wir für die Drehs nicht einmal zahlen. Wir drehten vier Videos, die in Madrid sehr gut ankamen. Eine große Plattenfirma nahm uns unter Vertrag und wir zogen nach Madrid. Wir erlebten die letzten Tage der Madrider Szene mit. Wir traten zweimal im legendären Club Rock-Ola auf. Es war die Blütezeit der Musikszene der 80er Jahre und Pedro Almodóvar kam zu unseren Konzerten.

Wir waren eine große Gruppe aus Musikern und Nichtmusikern. Zum Beispiel haben wir bei jedem Konzert ein africanorama oder ein medievo aufgeführt. Es gab auch noch das „Sindicato de Diseñadores“, die in der Carrer Sant Feliu Umzüge mit Stelzen und Masken machten. Uns fiel gar nicht auf, wie unheimlich kreativ und lustig wir damals alle waren.

IN MADRID WURDEST DU DANN VON REGISSEUR PEDRO ALMODÓVAR ALS SCHAUSPIELERIN ENTDECKT.

Nein, so wird das immer wieder erzählt, aber es stimmt nicht! Es war ganz anders. Da wir kein Geld hatten, arbeitete ich in den besonders angesagten Bars, wo ich gleichzeitig Kontakte knüpfen und genug Geld für die Miete, ein belegtes Brötchen und den Lebensunterhalt am nächsten Tag verdienen konnte. Weil wir zu neunt in der Gruppe waren und nach den Auftritten das Geld unter uns aufteilten, blieb nicht viel pro Kopf übrig. Pedro war Stammgast in einer dieser Bars, dem King Creole, wo so eine Rockabilly-Atmosphäre herrschte.

Eigentlich wollte ich für Matador vorsprechen, konnte aber nicht, weil unsere Gruppe zeitgleich einen Auftritt in Alicante hatte. Eines Tages kam Pedro mit seinem Kostümbildner Cossío ins King Creole. Ich nähte alle meine Klamotten selber. Wir machten damals unsere gesamte Bühnenkleidung selbst, wir hatten sonst nichts. An diesem Tag trug ich ein sehr sexy aussehendes Kleid. Ich war 19 und hatte eine tolle Figur. Pedro und Cossío meinten, dass sie auf der Suche nach genau solchen sexy Kleidern für die Figur von Carmen Maura im Film Das Gesetz der Begierde seien. Also wollten sie von mir wissen, wo ich mein Kleid gekauft hätte.

– Das habe ich selbst genäht.

– Und die Ohrringe?

– Auch selbst gemacht.

Im Film trägt Carmen mehrere Ohrringe von mir. Dann fragten sie mich, ob ich im Film mitspielen möchte und ich hab logischerweise ja gesagt!

Pedro fand es faszinierend, dass ich zwar kein Zuhause, aber einen klaren Plan hatte, denn ich war mit 20 schon sehr reif. Ich habe meine Pubertät erst mit 30 nachgeholt, also von 30 bis 33, denn mit 20 war ich der Mutterersatz für alle, die Vernunft in Person. Damals gab es auch diese ganzen Drogen und AIDS ... Für seinen Film Das Gesetz der Begierde sagte Pedro: „Nicht schminken, nicht frisieren und kein Kostüm anziehen! Sie soll so wie sie ist auf die Leinwand.“

DAS WAR DEIN ERSTER FILM?

Ich verrate dir ein gut gehütetes Geheimnis: Mein erstes Mal vor der Kamera war nicht mit Pedro, sondern hier auf Mallorca. Die drehten einen deutschen B-Film mit der damaligen Miss Germany und Manzanita, einer in Spanien sehr angesagten Flamenco-Sängerin. Meine Freunde und ich waren als Statisten angeheuert. Dann hieß es auf einmal, dass ich und ein anderes Mädchen lieber zwei Nonnen spielen sollten und wir wurden in die passenden Kostüme gesteckt. Ein Mann sollte an einen Baum pinkeln und wir vor Schreck „Ah!“ schreien. Das war mein erster Auftritt und ich bekam wegen des Miniauftritts ein höheres Honorar. Pedro war mit meiner Arbeit in Das Gesetz der Begierde sehr zufrieden gewesen und wollte wissen, wie der Dreh so für mich gewesen sei. Ich erwiderte, ich hätte mich nicht wie in einer Rolle gefühlt, weil ich meine eigenen Kleider und meine Frisur und mein Make-up wie sonst auch getragen hatte. Daraufhin meinte er, dass ich im nächsten Film eine Rolle

bekommen würde, die nichts mit mir zu tun hat. Das war dann Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs.

WAS MAGST DU AN DER ARBEIT MIT PEDRO?

Man kennt mich als Schauspielerin, dabei ich bin eigentlich eher Künstlerin als Darstellerin. Mir geht es nicht um das Handwerkliche, sondern darum, mich selbst zu vergessen und hinter meiner Rolle zu verschwinden. Die Arbeit mit Pedro macht Spaß, weil er Improvisation spontan zulässt und nicht zu den unflexiblen Regisseuren gehört, die am Drehbuch kleben. Mich stört die Eitelkeit von Künstlern, die denken, sie würden irgendetwas Besonderes leisten; nach dem Motto „Das habe ich erfunden“ oder „Das ist mein Kunstwerk“. Künstler sind meiner Meinung nach die Ausführenden von Kunst, aber nicht die Kunst an sich. Mein Vater zum Beispiel, der war Maurermeister. Er hat nichts dergleichen formal gelernt, aber er kann etwas mit Fliesen im Stil von Gaudí machen, ohne Gaudí zu kennen. Ich sage immer: Kabel und Stecker können keinen Strom erzeugen, sie sind nur die Leiter, durch die der Strom fließt. Je mehr man sich von der Eitelkeit löst, desto besser ist man als Stromleiter.

WANN WEISS PEDRO, DASS EINE ROLLE FÜR ROSSY GEMACHT IST? HABT IHR DARÜBER MAL GESPROCHEN?

Bisher noch nicht. Er kommt immer und sagt, hier, das ist eine Rolle für dich. Das sind so seine spontanen Einfälle. Und ich mag es, wenn es von ihm kommt, denn ich bin nicht der Typ, der Sachen erzwingt. Wenn er nicht will, will ich auch nicht. Es ist wie mit der Liebe. Wenn nicht beide Lust darauf haben, dann wird nicht miteinander geschlafen. Ich möchte, dass du genauso viel Lust darauf hast wie ich, was bringt das sonst? Ich habe sogar schon ein- oder zweimal „nein“ zu ihm gesagt. So genau weiß ich es nicht mehr, aber ich habe bestimmt mindestens eine Rolle abgelehnt.

NACH ANSICHT EINIGER WISSENSCHAFTLER KANN DAS GEHIRN, WENN MAN SICH VOLL UND GANZ IN EINEM FIKTIONALEN WERK VERTIEFT, EGAL OB ALS BETEILIGTER ODER ZUSCHAUER, NICHT MEHR ZWISCHEN FIKTION UND WIRKLICHKEIT UNTERSCHEIDEN. IST DIR DAS SCHON PASSIERT? HABEN DICH BESTIMMTE ROLLEN GEPRÄGT?

Ja, einige Rollen haben mich geprägt, aber eher in ihrer Wirkung abseits der Kamera. Das heißt, ich schaue mir eine Filmfigur an und erinnere mich an meine Erfahrungen bei den Dreharbeiten. Natürlich will man, dass ein Film gut wird, aber für mich als Mensch ist das Ergebnis nicht wichtig. Denn niemand kann mir meine Erlebnisse von den Dreharbeiten nehmen. Ob es eine neue Erfahrung, die Filmcrew, die Ereignisse oder die Anekdoten sind – für mich gehört das alles zum Leben. Ich bin eine Künstlerin, die als Schauspielerin auftritt, das ist nicht dasselbe! Ich bin in dieser Hinsicht nicht so verletzlich wie Schauspielerinnen und auch nicht unglücklich, wenn ich nicht drehe, denn es gibt so viele andere Kunstformen, für die ich mich begeistere.

Die Herangehensweise ist eine andere. Ich arbeite nicht gerne mit gestressten Leuten zusammen, denn Stress bringt doch niemandem was. Es gibt auch andere Rollen, die ich nicht spielen würde, zum Beispiel reale Personen, wie eine bekannte Mörderin oder sowas.

KANNST DU DIR VORSTELLEN, WIEDER AUF MALLORCA ZU LEBEN?

Ja, und nicht nur Mallorca! Auch Madrid. Dort wird man ganz unkompliziert aufgenommen und niemand interessiert deine Herkunft. Aber das Mittelmeer lässt mich nicht los und die Insel auch nicht.

„WEIL MEINE ELTERN AUS DEM NORDEN KOMMEN, ICH ABER AM MITTELMEER

AUFGEWACHSEN BIN, FEHLT MIR EINE

RICHTIGE HEIMAT, ABER DAS IST DOCH AUCH

ETWAS TOLLES, ODER? ICH HABE KEINE RICHTIGE ZUGEHÖRIGKEIT. WENN ICH MICH

ENTSCHEIDEN MÜSSTE, DANN WÜRDE ICH

SAGEN ‚ICH KOMME VOM MITTELMEER.‘“

MALLORCA, EIN IDYLLISCHES ATELIER FÜR JUNGE KREATIVE

Damit Kunstschaffende kreativ sein können, müssen sie an einem Ort arbeiten, der sie inspiriert. Gleichzeitig sollte er ihnen alles bieten, was sie zur Umsetzung ihrer Ideen benötigen. Dabei sieht die ideale Umgebung für jeden und jede von ihnen anders aus.

Im Garten von George Bernard Shaw, dem irischen Schriftsteller und Autor

von Pygmalion, stand eine kleine Hütte auf einem Drehgestell, die sich auf verschiedene Ausblicke und je nach Sonnenstand drehen ließ.

Dagegen behauptete der Spanier Salvador Dalí, dass ein wahrer Maler in der Wüste oder inmitten der „Wirren der Geschichte“ arbeiten könne.

Für viele Künstler war und ist Mallorca der ideale Wirkungsort. So reichten einst dem aus Nicaragua stammenden Dichter Rubén Darío nur wenige Aufenthalte, um ein umfangreiches Werk zu produzieren. Auf Mallorca schrieb er sein Gedicht La Cartuja, das dem Palast La Cartuja de Valldemossa gewidmet ist, sowie den Roman Isla de Oro und das autobiografische und

MARCELLA BARCELÓ JORDI CLOTET SALÓ MARION DE RAUCOURT JAN HORCIK THOMAS PERROTEAU SARA REGAL

unvollendete Werk El Oro de Mallorca.

Der katalanische Maler und Bildhauer Joan Miró floh nach dem Einmarsch der Nazis aus seinem französischen Exil nach Mallorca, der Heimat seiner Frau Pilar Juncosa und seiner Familie mütterlicherseits. Mallorca beflügelte seine Fantasie, vor allem das Licht, das er als „von reiner Poesie durchdrun-

gen“ beschrieb. Er gab insgesamt drei Gebäude für Ateliers und Ausstellungen auf Mallorca in Auftrag, wovon eines heute als Hauptsitz der Fundación Miró Mallorca dient.

Dorthin haben wir sechs Künstler und Künstlerinnen eingeladen, die auf der Insel ihr Atelier haben und mit verschiedenen Kunstformen experimen-

tieren, von Skulpturen aus Abfall bis hin zur Rettung von alten Plakatschriften. Diese sechs jungen Menschen genießen die Ruhe und den langsamen Puls Mallorcas, dessen Kunstszene Neuankömmlinge mit offenen Armen empfängt.

Marcella Barceló
Marion de Raucourt
Sara Regal
Jordi Clotet Saló
Thomas Perroteau
Pelotas
Ariel
S/S 2025
Jan Horcik
Marcella Barceló
Marion de Raucourt
Sara Regal
Jordi
Clotet
Saló
Thomas Perroteau
Pelotas Ariel S/S 2025

MARCELLA BARCELÓ

Als Tochter des bekannten Künstlers Miquel Barceló stand für Marcella von vornherein fest, dass man von der Kunst leben kann. Deshalb zeichnete sie schon von klein auf. Ihre Gemälde mit den leuchtenden Farben, fließenden Formen und Spiegelungen scheinen direkt aus einem Traum zu entspringen. Die Werke der 32-Jährigen wurden bereits in mehreren Ländern ausgestellt. 2015 erhielt sie den „Prix de Dessin Contemporain“ der École nationale supérieure des beaux-arts de Paris.

Dein nie versiegender Quell der Inspiration?

MB: Der Himmel, der sich im Wasser spiegelt. Wie sich das, was darunter liegt, die Oberfläche, mit dem, was darauf schwimmt, seinen Reflexionen, verbindet. Das ist eine schöne Metapher für unsere Welt und unser Menschsein.

Was verspricht die Insel Nachwuchskünstler*innen?

MB: Man findet hier schnell Abgeschiedenheit und Ruhe, zwei zentrale Elemente für jedes Atelier.

Dein bevorzugtes Material?

MB: Am ehesten Wasser, weil es sich nicht beherrschen lässt.

Welche Spuren hinterlässt Mallorca in deinen Werken?

MB: Es gibt Spuren, zum Beispiel die wundervollen Vollmondnächte und spektakulären Sonnenuntergänge. Vor allem aber stecken Gefühle, Sehnsüchte, Ängste, in meinen Werken.

Wann hast du erkannt, dass Kunst die richtige Entscheidung für dich war?

MB: Das ist nichts, wofür man sich entscheidet. Das ist wie wenn ein Dämon von einem Besitz ergreift –das kann man sich nicht aussuchen.

JORDI CLOTET SALÓ

Zu den Werken von Jordi, einem 30-jährigen Künstler aus El Masnou in Katalonien, gehören unter anderem Metallstrukturen, die in Bäume und Blumen übergehen. Nach seinem Grafikdesign-Studium in Barcelona und einem Master of Fine Arts in London zog er 2021 nach Mallorca, wo er nun Bühnenbilder entwirft und Skulpturen herstellt.

Dein nie versiegender Quell der Inspiration?

JCS: Die Natur. Ich bin mit dem Meer auf der einen und den Bergen auf der anderen Seite aufgewachsen.

Was verspricht die Insel Nachwuchskünstler*innen?

JCS: Zeit. Hier läuft alles langsamer. Und eine Kultur, die sich zwar nicht versteckt, aber auch nicht so berühmt ist wie Paella. Man muss schon vor Ort sein, um sie zu entdecken.

Dein bevorzugtes Material?

JCS: Metall, wegen des Gewichts und weil man beim Formen direkt sieht, wie das Ergebnis aussehen wird. Es muss nicht gebrannt werden, es werden keine Gussformen benötigt, man legt von Anfang bis Ende selbst Hand an.

Welche Spuren hinterlässt Mallorca in deinen Werken?

JCS: Der Rost hier hat etwas Besonderes, finde ich jedenfalls, und die Natur. Aktuell arbeite ich mit dem Harz von Pinien, einem Baum, der auf der Insel weit verbreitet ist, und mit Kunstharzen, die mich an das Meer erinnern, weil sie so stark reflektieren.

Wann hast du erkannt, dass Kunst die richtige Entscheidung für dich war?

JCS: Keine Ahnung. Beruflich gesehen war es nicht die beste Entscheidung, aber auf persönlicher Ebene schon.

MARION DE RAUCOURT

Wenn Marion sich an die Arbeit setzt, hat sie immer einen Alltagsgegenstand im Sinn, eine Vase, einen Teller oder einen Löffel, die im Lauf ihrer Arbeit jedoch ihre Funktion verlieren und zu Kunstwerken werden. Die 36-jährige französische Künstlerin bezeichnet sich selbst als „Keramikerin“, obwohl sie Modedesign studiert und beim renommierten Hyères-Festival den Camper-Preis gewonnen hat. Seit fünf Jahren lebt sie mit ihrem Partner Thomas Perroteau auf Mallorca.

Dein nie versiegender Quell der Inspiration?

MDR: Volkskunst. Mit seinen vielen Festen und Traditionen ist Mallorca für mich eine große Inspiration.

Was verspricht die Insel Nachwuchskünstler*innen?

MDR: Hier kann man sich gut konzentrieren und bekommt Lust, etwas zu erschaffen. Ich wurde hier sehr gut aufgenommen, im Gegensatz zu Paris, wo neue Künstler kaum beachtet werden.

Dein bevorzugtes Material?

MDR: Ton. Mir gefällt es, dass meine Hände und der Ton direkt in Berührung kommen. Das Ganze ist auch ziemlich sinnlich.

Welche Spuren hinterlässt Mallorca in deinen Werken?

MDR: Mallorca findet sich überall in meiner Arbeit wieder. Die Kathedrale ist ein gutes Beispiel dafür. Sie ist sehr reich verziert, aber auch irgendwie ursprünglich. Ich liebe diesen Gegensatz und er fließt in meine Arbeit ein.

Wann hast du erkannt, dass Kunst die richtige Entscheidung für dich war?

MDR: Für mich hat sich das ganz natürlich ergeben, ich kann mir gar nichts anderes vorstellen.

Marcella Barceló
Marion de Raucourt
Sara Regal
Jordi
Clotet
Saló Thomas Perroteau
Jan Horcik
Pelotas Ariel S/S 2025

Jan, 38, wurde in der Tschechischen Republik geboren und kam 2016 wegen seiner heutigen Frau nach Mallorca. Er ist spezialisiert auf Typografie, von Graffiti- bis zu Computerschriften. Zusammen mit seinem Partner Filip Matějíček entwirft und verkauft er Schrifttypen aller Art über ihr Unternehmen Heavyweight.

Dein nie versiegender Quell der Inspiration?

JH: Alte Plakate, die ich nicht nur auf Mallorca, sondern in ganz Spanien entdecke.

Was verspricht die Insel Nachwuchskünstler*innen?

JH: Vor allem Ruhe und optimale Bedingungen für Aufnahmefähigkeit und Konzentration. An jeder Ecke gibt viele visuelle Anreize, auch wegen der Vielfalt und Komplexität der unterschiedlichen Kulturen und Nationalitäten auf der Insel.

Dein bevorzugtes Material?

JH: Papier, Bleistift, Spraydosen, Computer und Fotoapparat.

Welche Spuren hinterlässt Mallorca in deinen Werken?

JH: Das Schriftbild bestimmter Schriftarten, die auf der Insel entstanden sind. Da zeigt sich, wie kreativ die Leute hier sind.

Wann hast du erkannt, dass Kunst die richtige Entscheidung für dich war?

JH: Mir war schon als Teenager klar, dass ich Künstler werden will. Der entscheidenden Impuls kam durch Graffiti, das mir das weitere Spektrum der Kunst eröffnete. So war mein Interesse an Malerei und Schrift geweckt.

THOMAS PERROTEAU

Thomas ist ein aus Frankreich stammender Maler, der mit seiner Partnerin Marion auf Mallorca lebt. Auch wenn sie in ihrem Atelier jeweils an eigenen Projekten arbeiten, schafft die Zweisamkeit im Raum eine Dynamik und Atmosphäre, die sich unweigerlich auf seine Malerei auswirkt und sie verändert. Der 32-jährige Künstler studierte zunächst Architektur und anschließend an der renommierten Kunsthochschule La Cambre in Brüssel.

Dein nie versiegender Quell der Inspiration?

TP: Die Stadt, ihre Farben und Architektur.

Was verspricht die Insel Nachwuchskünstler*innen?

TP: Du fühlst dich gut, und wenn du mit der Landschaft, der Natur und dem Klima im Einklang bist, wird Energie freigesetzt und auf deine Arbeit übertragen.

Dein bevorzugtes Material?

TP: Acrylfarbe. Ich mag sie, weil sie sehr schnell trocknet und ich schnell weiterarbeiten kann.

Welche Spuren hinterlässt Mallorca in deinen Werken?

TP: Die Farben und alten Bräuche der Insel, wie zum Beispiel die dimonis (Dämonen, typische Figuren beim Volksfest zu Ehren von Sant Antoni).

Wann hast du erkannt, dass Kunst die richtige Entscheidung für dich war??

TP: Jedes Mal, wenn ich mit anderen Künstlern zusammenarbeite.

SARA REGAL

Sara entwirft Räume und Objekte. Die 34-jährige Künstlerin stammt aus Viveiro in der spanischen Region Galicien, lebt und arbeitet aber seit über sechs Jahren auf Mallorca. Nach ihrem Abschluss in Industriedesign stellte sie fest, dass ihr Wunsch nach Nachhaltigkeit mit diesem Beruf nicht vereinbar war. Um eigene Ideen zu testen, gründete sie ihre Werkstatt. Die Ergebnisse ihrer Arbeit sind dann aber doch näher an der Kunst als am Industriedesign.

Dein nie versiegender Quell der Inspiration?

SR: Abfall. Davon gibt es Unmengen und viele verschiedene Arten.

Was verspricht die Insel Nachwuchskünstler*innen?

SR: Ich finde es faszinierend, dass es der Insel gelungen ist, ihre Traditionen zu bewahren, ob nun aus touristischen oder wirtschaftlichen Gründen.

Dein bevorzugtes Material?

SR: Eigentlich Plastik, aber das lässt sich nicht so leicht formen und man muss dabei Schutzkleidung tragen. Aktuell recycle ich Textilien, was aber in einem Monat schon wieder anders sein kann.

Welche Spuren hinterlässt Mallorca in deinen Werken?

SR: Meine Abfälle kommen direkt von hier. Mallorca ist eine Insel und man kann den Abfall nicht einfach schnell aufs Festland bringen, deshalb sind die Materialien hier sehr besonders.

Wann hast du erkannt, dass Kunst die richtige Entscheidung für dich war?

SR: Wenn ich im Atelier bin und frei experimentieren kann, ohne mich wie in einer Kunstinstitution an feste Abläufe halten zu müssen.

ACHILLES ION GABRIEL

ÜBER DIE RUHE AUF MALLORCA

In den nordischen Ländern wird nach Achilles, dem griechischen Helden aus der Mythologie, eher selten ein Junge benannt. Doch kurz vor der Entbindung fiel einer auf Grabsteine spezialisierten finnischen Steinmetzin auf, wie wunderbar der Name doch auf dem Stein ihres ungeborenen Sohnes aussehen würde. Also nannte sie ihn Achilles Ion Gabriel.

Mit 37 Jahren hat Achilles seinen Grabstein bereits vor Augen: ein großer, aber „bescheidener“ Würfel, auf dem nur sein Vorname und sein Geburts- und Todesjahr stehen. Genau so einen Plan schmiedet man, wenn man in einem Steinmetzbetrieb aufgewachsen ist und seiner Mutter bei der Gestaltung von Grabsteinen zugesehen hat. Von ihr hat Achilles auch das gestalterische Talent geerbt, allerdings drückt er sich in Mode aus. Seit 2020 bestimmt er die kreativen Geschicke von Camper und hat außerdem seine eigene gleichnamige Modemarke.

Nach seinem auf Schuhe spezialisierten Designstudium in Finnland ging Achilles 2009 nach Paris. In der französischen Hauptstadt leitete er sein eigenes Schuhlabel und arbeitete als beratender Designer, bevor ihm 2019 die Leitung von CAMPERLAB auf Mallorca angeboten wurde. Ein Jahr später wurde er zum Creative Director von Camper berufen. Sein Geheimnis? „Man muss seiner Intuition vertrauen und den Markt verstehen“. Er gesteht, dass er sich für Daten und Zahlen begeistert, die er immer lange vor den von ihm entworfenen Kollektionen analysiert –derzeit arbeitet er an der Kollektion für die Saison 2026/27. „Für sowas muss man schon ein bisschen bekloppt sein, die Zukunft lässt sich nicht in Zahlen vorhersagen. Hin und wieder packt mich die Angst, denn wenn ich falsch gelegen habe, ist das meine Schuld. Bislang ist meine Erfolgsbilanz sehr gut, aber irgendwann werde ich doch mal danebenliegen und dann kommt der große Reinfall“ sagt er und lacht.

In der Beschaulichkeit Mallorcas hat Achilles das perfekte Umfeld gefunden, um seiner Lieblingsbeschäftigung, der Arbeit, nachzugehen. Inzwischen ist er so selbstsicher, dass er behauptet, einen Schuh in zwei Minuten entwerfen zu können. „Jetzt werde ich noch mehr arbeiten müssen!“, frotzelt er mit der humorigen Art, die noch öfter im Interview auftauchen wird.

DU BIST AUS FINNLAND, DAS FÜR SEINE SAUNAS, SCHNEELANDSCHAFTEN, NORDLICHTER UND DEN SPITZENPLATZ IN DER RANGLISTE ZUM „GLÜCKLICHSTEN LAND DER WELT“ BEKANNT IST. WAS MEINST DU DAZU?

Oft wundert man sich, weil die Winter dort so dunkel sind und man sich schon fragen muss, wie man da so glücklich sein kann? Aber die Gesellschaft und die Institutionen in Finnland funktionieren und die Leute müssen nicht ums Überleben kämpfen. In einem kleinem Land kann man die Dinge leicht steuern. Meiner Meinung nach muss man sich schon sehr anstrengen, um völlig aus der Gesellschaft zu fallen. Es ist einfach, in Finnland ein normales Leben zu führen, weil die Bildung kostenlos ist, die Sozialleistungen für Arbeitslose gut und man ohne Stress über die Runden kommt. Wahrscheinlich sind die Menschen glücklicher, weil sie nicht so viel Stress haben (lacht). Ich komme ursprünglich aus Rovaniemi, ganz oben in Lappland, in Reichweite des Weihnachtsmanns. Die Stadt liegt oberhalb des Polarkreises, es ist also richtig kalt da. Als Kind hatte ich bei Temperaturen unter minus 30 °C sogar schulfrei.

ABER NICHT BEI MINUS 20 °C?

Bei minus 20 °C mussten wir hin. Kälte bei minus 40 °C tut richtig weh. Aber in Finnland lief alles seinen Gang, die Grundversorgung ist einfach, und als Studierender bekommt man sogar Geld vom Staat.

Das liegt aber auch an der Mentalität der Finnen. Sie sind sehr sarkastisch. Rodrigo, mein Assistent, weiß, dass ich oft Witze reiße. Für mich ist alles ein Witz (lacht).

VOR DEINEM POSTEN ALS CREATIVE DIRECTOR BEI CAMPER AUF MALLORCA HAST DU DAS GROSSTADTLEBEN IN PARIS ERLEBT. WIE EINFACH WAR DIE UMGEWÖHNUNG?

Zehn Jahre Paris sind schon ziemlich lang. Die Eingewöhnung fiel mir in Paris schwerer als auf Mallorca. Ich bin mitten in der Pandemie hierhergezogen. Ich liebe die Einsamkeit und das Alleinsein und wohne hier ganz abgeschieden im Nirgendwo. Palma kam für mich nicht in Frage, ich mag es lieber ruhig. Die vielleicht größte Umstellung war, dass ich hier überhaupt niemanden kannte. Alle meine Freunde leben noch in Paris oder in Helsinki, in anderen Teilen Finnlands oder auf der Welt verstreut. Hier auf Mallorca arbeite ich aber meistens nur. Ich treffe kaum Leute. Aber Einsamkeit ist für mich nichts Trauriges. Wir sind eigentlich die Hälfte der Zeit auf Reisen unterwegs. Wenn ich dann endlich wieder hier bin, denke ich: „Endlich ist es ruhig!“

DIE INSEL IST FÜR IHRE VIELEN SONNENTAGE, MALERISCHEN STRÄNDE UND PITTORESKEN DÖRFER BEKANNT.

WIE SIEHT DEIN ALLTAG AUS?

Ich arbeite einfach. Arbeiten, schlafen, arbeiten ohne zu schlafen und am Ende wieder arbeiten (lacht). Ich möchte mich schon gern entspannen – wenn ich nur wegen der Ruhe und dem Mangel an Ablenkungen hier nicht so gut arbeiten könnte! Das klingt jetzt bestimmt total langweilig! Aber im Sommer schwimme ich viel in meinem Pool. Bis vor Kurzem ging das noch, aber jetzt im November ist es mir zu kalt. Meine beste Freundin aus Finnland hat mich besucht und war im Pool. Ich: „Es ist wirklich kalt

draußen, was machst du da?“ Sie: „Für finnische Verhältnisse ist das warm.“ Und ich: „Ja schon, aber so finnisch bin ich jetzt auch nicht mehr.“ (lacht)

WAS WAR DEIN ERSTER GEDANKE, ALS DAS ANGEBOT VON CAMPER KAM?

Mein erster Gedanke war: „Den Job will ich!“. Obwohl die Marke eine beeindruckende Vergangenheit hat, finde ich, dass sie jetzt viel mehr gehypt wird und irgendwie gerade sehr angesagt ist. Vorher war das noch nicht so.

Mein erster Entwurf für Camper war der Stiefel Traktori. Weil ich etwas mit einem starken Bezug zu Mallorca gesucht habe, kam ich auf die Bauern, allerdings auf eine völlig surreale Art, denn ich bin schließlich nicht von hier. Ich bin nicht einmal aus Spanien, also konnte ich auch nicht versuchen, einen spanischen Zugang dazu finden.

Mir schwebte eine surreale Interpretation landestypischer Bauernschuhe vor, meine Interpretation dessen, was Bauern an den Füßen tragen. Aber natürlich werden die Schuhe nicht von Landwirten angezogen. Wir haben sie in allen Farben und Oberflächenstrukturen.

DU KENNST DIE GESCHICHTE UND DAS ARCHIV DER MARKE

SEHR GUT. WELCHER ABSCHNITT ODER WELCHES MODELL FASZINIERT DICH BESONDERS?

Das hängt wahrscheinlich von der jeweiligen Saison ab, denn manchmal hole ich mir Inspiration aus dem Archiv. Ich gehe das Entwerfen für Camper nicht so an, dass ich dessen DNA verändern möchte. Das heißt aber nicht, die Marke unverändert zu lassen. Ich betrachte mich als Bewahrer der Marken-DNA von Camper und es ist meine Aufgabe, das Erbe zu pflegen, aber gleichzeitig innovativ zu sein und Neues zu wagen. Deshalb nehme ich manchmal alte Modelle her und frage mich, wie ich die auf den Stand von 2026/2027 bringen kann. Mein Ego ist nicht so groß, dass ich Probleme damit hätte, mit etwas schon Vorhandenem zu arbeiten. Ich muss die Entwürfe nicht komplett neu machen, denn für mich sind sie das immer noch, auch wenn ich mir im Archiv Inspiration hole und sage: „Lasst uns den hier mal komplett umkrempeln“.

Aber ein bestimmtes Modell? Das hängt von der jeweiligen Saison ab. Einige Modelle sind natürlich legendär. Der Pelotas zum Beispiel. Den möchte ich fast nicht antasten, weil er der Wahnsinn ist. Der Entwurf kann für mich einfach so bleiben. Manchmal kommt der Vorschlag, irgendwas dran zu machen und ich sage dann immer: „Finger weg! Das ist unser Kulturerbe!“.

DU BIST SEIT MEHR ALS EINEM JAHRZEHNT IN DER BRANCHE UNTERWEGS …

Willst du damit andeuten, dass ich alt bin? (Er lacht.) Ich mach nur Spaß!

ZUMINDEST SO ALT, DASS DU ERLEBST, WIE EINE NEUE GENERATION HERANWÄCHST UND VERÄNDERUNGEN IN ALLEN BEREICHEN FORDERT, VON ROHSTOFFEN AUS ETHISCH UNBEDENKLICHEN QUELLEN BIS HIN ZUR BESEITIGUNG VON GESCHLECHTERSTEREOTYPEN BEI DEN PRODUKTEN. SOGAR DIE SOCKENLÄNGE DER MILLENIALS IST FÜR GEN-Z

„MEIN

ERSTER ENTWURF FÜR CAMPER WAR

DER STIEFEL TRAKTORI. WEIL ICH

ETWAS MIT EINEM STARKEN BEZUG

ZU MALLORCA GESUCHT HABE, KAM ICH

AUF DIE BAUERN, ALLERDINGS

AUF

EINE VÖLLIG SURREALE ART.“

KRITIKWÜRDIG. WIE KANN MAN DEN ERWARTUNGEN JÜNGERER KUNDEN ENTSPRECHEN UND GLEICHZEITIG DIE STAMMKUNDEN HALTEN?

Beim Thema Nachhaltigkeit und umweltfreundlichere Materialien habe ich ordentlich Druck gemacht, weil ich als Erstes unbedingt den Anteil umweltfreundlicherer Materialien erhöhen wollte.

Am Anfang war der Anteil verschwindend gering, aber mittlerweile hat sich da viel bei uns getan. Ich lege da großen Wert drauf, denn wenn man immer wieder neue Ware in die Welt setzt, muss man auch die Verantwortung und Verpflichtung dafür übernehmen. Manches lässt sich trotzdem nur schwer ersetzen, vor allem bei Schuhen, das sind nun mal keine Mützen oder T-Shirts. Auf Schuhen steht man, die kommen buchstäblich mit dem Boden in Berührung. Ich habe das Team ganz schön ins Schwitzen gebracht, damit wir ein paar echte Innovationen hinbekommen (lacht).

Dabei sind die Erwartungen der unterschiedlichen Generationen meiner Meinung nach gar nicht so verschieden. Ich habe festgestellt, dass ältere Generationen manchmal viel fortschrittlicher sind, als man ihnen zutraut. Und umgekehrt, die Jüngeren sind manchmal eher konservativ.

Wenn ich entwerfe, denke ich nie an das Geschlecht, die ethnische Zugehörigkeit, das Alter oder die Herkunft. Gutes Design sollte allen gehören. So ganz nebenbei haben wir es irgendwie geschafft, unseren Kundenstamm zu halten und gleichzeitig viele neue dazuzugewinnen.

UM AUF DEN UMWELTASPEKT ZURÜCKZUKOMMEN: WENN MAN NUR NACHHALTIGE MATERIALIEN VERWEN-

DEN MÖCHTE, BEI WELCHEM SCHUHTEIL WÄRE DAS AM SCHWIERIGSTEN?

Das Schwierigste ist, den Schuh in seine Einzelteile zu zerlegen. Er besteht aus Leder und Gummi, die nicht im selben Recyclingkreislauf wiederverwertet werden können. Wie also soll man den Schuh auseinandernehmen? Einfach ist das nicht, und genau deshalb haben wir Innovationen wie den Tossu und den ROKU entwickelt, beides Schuhe, die sich in ihre Einzelteile zerlegen lassen. Für das Recycling gibt es nichts Besseres. Alles in allem ist es aber manchmal am nachhaltigsten, bei Produkten auf die Haltbarkeit zu setzen. Vergleicht man Schuhe, die zwar nachhaltig, aber nicht haltbar sind, mit Schuhen, die man jahrelang tragen kann, dann ist das haltbare Produkt am Ende vielleicht viel umweltfreundlicher, weil man es nicht nach einem halben Jahr wegwerfen muss.

NOCHMAL ZU DEINEM LEBEN AUF MALLORCA. HIER LEBTEN UND LEBEN SEHR KREATIVE PERSÖNLICHKEITEN. DU KENNST DIE INSEL JA NUN SCHON EINE WEILE, WAS GLAUBST DU ALSO, WORAN DAS LIEGT?

Wenn man in Palma oder am Strand ist, dann ist immer etwas los. Was mir aber am besten gefällt ist das Ländliche und Entspannte. Eigentlich jeder, den ich hier kenne und der etwas Kreatives macht, wohnt abgeschieden auf dem Dorf. Da ist es ruhig und man kann ordentlich nachdenken.

Auch wenn sie als echt spanisch gilt, gibt es die Siesta genauso in China, Indien, Nordafrika und vielen anderen Ländern. Und obwohl nur 18 % der Spanier zugeben, ab und zu ein Nickerchen in der Mittagszeit zu halten, ist die Siesta aus dem kollektiven Bild der Spanier nicht wegzudenken. Der Begriff stammt schon aus der Römerzeit. Damals wurden die Tage im Gegensatz zu den heute üblichen 24 Stunden in Abschnitte von 12 Tageslichtstunden unterteilt. Die Mittagszeit war die hora sexta, die sechste Stunde, und damit die heißeste Zeit des Tages, in der alles zum Stillstand kam, damit die Menschen essen und sich ausruhen konnten. Aus dem Wort sexta entwickelte sich der heutige Begriff siesta.

Camilo José Cela, spanischer Literaturnobelpreisträger, spricht lieber von „iberischem Yoga“. Aus Sicht einiger Wissenschaftler haben beide ähnlich positive Auswirkungen: Stress wird abgebaut, die Konzentrationsfähigkeit verbessert und Risikofaktoren für chronische Erkrankungen positiv beeinflusst. Andere Forscher sind sogar zu dem Schluss gekommen, dass unser Körper von Natur aus für eine Siesta gebaut ist. Die ideale Schlafdauer sei 26 Minuten, da längerer Schlaf laut Studien den gegenteiligen Effekt haben kann.

LA SIESTA

Ungeachtet der vielen Empfehlungen ist die Siesta immer wieder umstritten. In Industrieländern mit hochgetaktetem Lebensrhythmus sehen viele in ihr ein Zeichen für Faulheit. Neuerdings stehen Unternehmen, die ihren Mitarbeitern Rückzugsräume zum Hinlegen einrichten, im Verdacht, von ihren Mitarbeitern Überstunden zu erwarten. Doch hin und wieder wird dem Nickerchen auch ein literarisches Loblied gesungen. Zu dieser Kategorie gehört der spanische Historiker Miguel Ángel Hernández, der in seinem Buch El don de la siesta (Das Talent zur Siesta) diese Tradition als „Kunst der Unterbrechung“ im Zeitalter des ständigen Produktivitätsdrucks verteidigt. Ob zu Hause, in einer versteckten Ecke im Büro oder – mit etwas Glück – an einem mallorquinischen Sandstrand, eine Siesta zu machen – auf Mallorca auch fer l‘horeta genannt – ist ein Vergnügen, das man ohne Reue genießen sollte.

Raquels Siesta hat genau die richtige Länge: 26 Minuten. Laut Wissenschaft steigert ein Nickerchen die Konzentrationsund Leistungsfähigkeit. Doch wer länger schläft, fühlt sich danach müde und schlapp.

Mallorca erinnert Sami an seine Heimatstadt Whitley Bay im Norden Englands. „Beide liegen am Meer und es geht gechillt zu. Hier kann man dasselbe machen wie dort, aber bei besserem Wetter.“

In vielen Ländern wird die Siesta am liebsten nach dem Mittagessen gehalten, und zwar vorzugsweise am Strand beim Sonnenbaden, so wie bei Bea.

Der Mittagsschlaf ist in Spanien so weit verbreitet, dass einige Geschäfte ihre Öffnungszeiten danach richten. Schichtarbeiter halten gern in ihren Pausen ein Nickerchen, genau wie María.

Alex kommt ursprünglich aus Girona in Katalonien und hat in Barcelona gelebt, seit ein paar Monaten wohnt er aber in Palma. Auch wenn ihm die Großstadt fehlt, ist er gerne inmitten der Natur. Die Zeit vergeht hier „anders“, sagt er.

Unter den Sternen zu schlafen klingt vielleicht romantisch, doch viele halten ihre Siesta lieber in der Sonne. Portixol, wo Nele wohnt, und andere Strände sind zum fer l’horeta, wie es auf Mallorquinisch heißt, genau richtig.

Henry Alejandro unternimmt gerne Ausflüge und Joggingtouren in den Bergen. Er ist seit sechs Jahren auf Mallorca und fühlt sich hier wohl, weil die Insel ihn an seine Heimat Venezuela erinnert. „Dort hatte ich auch wie hier direkt das Meer vor der Tür.“

Ursprünglich wollte Juan Luis nur seinen Wehrdienst auf Mallorca ableisten, doch dann lernte er im Kino eine junge Frau kennen und entschied sich zu bleiben … und sie zu heiraten! Jetzt ist er Rentner und kümmert sich um seine 16 Vögel.

ESMENT

Gerade ist Mittagspause und in einer Industriehalle am Stadtrand von Palma de Mallorca strömen Dutzende von Menschen in eine Kantine mit hoher Decke. Sie albern herum und begrüßen sich fröhlich, während sie sich mit ihren Tabletts an die Tische setzen. Diese Szene spielt sich täglich in Tausenden von Unternehmen in ganz Spanien ab. Doch diesmal gibt es eine Besonderheit, denn fast alle Beschäftigten, einschließlich derjenigen, die an der Kaffeemaschine stehen und an der Kasse sitzen, sind unterschiedlich stark kognitiv beeinträchtigt. Hier bei der Esment-Stiftung haben sie einen Arbeitsplatz gefunden, der auf ihre Fähigkeiten anstatt ihre möglichen Einschränkungen zugeschnitten ist.

„Die Stiftung wurde 1962 von Eltern gegründet, die ihren Kindern Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung geben wollten“, erklärt Mercè Marrero, Kommunikationsdirektorin der Stiftung. „Es fing als Freizeitangebot an, bis ein Elternteil, der eine Druckerei besaß, eine Druckerpresse aufstellte.“ Das war der Grund-

stein für eine Einrichtung, in der heute 2200 Menschen unterkommen und die neben der Druckerei auch Restaurants, eine Vermittlungsagentur, betreutes Wohnungen, Berufsbildungszentren und Schulen, in denen sowohl Fähigkeiten für den Arbeitsmarkt als auch Alltagskompetenzen vermittelt werden, betreibt.

Esment legt großen Wert darauf, dass ihre Arbeit kein Almosen sei. Die Beschäftigten verrichten nützliche Tätigkeiten, die ihrem Bedürfnis nach Wertschöpfung und wirtschaftlicher Teilhabe gerecht werden.

In der Druckerei, Esments ältestem Geschäftszweig, kümmern sich die Beschäftigten unter der Aufsicht eines Tutors um die Abholung der Drucke und die Verpackung. Man kann aber jederzeit auch seine Beschäftigung wechseln, wie Gina Barrera erfahren hat. Die 26-Jährige arbeitet seit acht Jahren in verschiedenen Projekten von Esment und in den letzten drei in der Druckerei, wo sie kürzlich ihr künstlerisches Talent bei Entwürfen von Tischdecken für die Kantine zeigen

Beim Eintritt in Esment sind vielleicht noch nicht alle bereit für die Arbeitswelt. In einem der Berufsbildungszentren können sie Fähigkeiten erwerben und lernen, unabhängiger zu werden.

Das Café Inca hat sich dank deftiger Gerichte und leckerer Snacks eine große Stammkundschaft aufgebaut. Die Beschäftigten von Esment arbeiten sowohl direkt im Gastraum als auch hinter den Kulissen, wo sie Bestellungen aufnehmen und unter Anleitung kochen.

konnte. „Meine Mutter war besonders vom Motiv mit der ensaïmada begeistert“, sagt sie stolz. Sie zeichnet für ihr Leben gern und hat ihren ersten Lohn für Zeichenbedarf ausgegeben. „Früher habe ich viel Geld ausgegeben, zur Beruhigung, aber jetzt habe ich dazugelernt und spare für die Zukunft. Ich fühle mich hier wegen der guten Atmosphäre und des sicheren Arbeitsplatzes wohl“.

Gina, die ihre Behinderung lieber nicht verraten möchte, kann sich keinen anderen Arbeitsplatz als Esment vorstellen. „Ich hätte zu einem anderen Unternehmen wechseln können, aber das wollte ich nicht. In einem normalen Unternehmen hätte ich vielleicht Probleme. Ich hab eine Berufsausbildung gemacht und war auf der Schule, hab mich dort aber nie wohlgefühlt. Ich wurde in beiden gemobbt und die Ausbilder haben nie eingegriffen und das gestoppt. Hier wurde mir geholfen, wenn ich Probleme hatte. Eine Stiftung ist anders als ein Unternehmen, in dem man nur arbeitet. In einer Stiftung arbeitet man und hilft anderen.“

In Inca, 20 Autominuten landeinwärts, befindet sich ein weiteres Esment-Gebäude. Es ist dreistöckig und nimmt mit seinen großen quadratischen Fenstern den gesamten Häuserblock ein. Im Inneren beherbergt es Studiowohnungen für betreutes Wohnen. Der ganze Stolz der Einrichtung ist jedoch das Restaurant Café Inca. Dort werden täglich von halb neun bis 17 Uhr Reisgerichte, gegrilltes Fleisch und Desserts serviert, die außerhalb Mallorcas nur schwer zu finden sind, wie z. B. Gató, ein Mandelkuchen mit einer Kugel Mandeleis.

Hier absolvieren die Auszubildenden von Esment ihre Praktika, wie z. B. die angehenden Restaurant- und Barfachkräfte. Wenn sie sich im aktuellen Job nicht wohlfühlen, wird den Mitarbeitenden und Schülern eine andere Aufgabe, ein anderes Unternehmen oder sogar ein komplett anderes Arbeitsfeld angeboten damit sie ihren Platz im Programm behalten. Mercè meint, dass Esment genau dadurch so stark wachsen konnte. „Aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen können wir unser Modell nicht

im ganzen Land umsetzen. Wir haben viel dafür getan, um ein Vertrauensverhältnis, Offenheit und eine verantwortungsvolle Zusammenarbeit mit der Provinzregierung aufzubauen und sie für die Bedürfnisse von Menschen mit geistigen Behinderungen und deren Familien zu sensibilisieren. Zu diesen Bedürfnissen gehört auch Stabilität.“

Und genau das hat der 21-jährige, musisch begabte Valentín Almirón bei Esment gefunden. Wir treffen uns im Bildungszentrum über dem Café Inca. Wenn er spricht, bewegt er seine Hände und springt auf und ab, als würde er

Klavier spielen. Das sind seine Stereotypien, Verhaltensweisen, die er nicht kontrollieren kann und die auftreten, wenn er nervös ist. Derzeit arbeitet er als Verpacker für die Schokolade, die im Restaurant verkauft wird. Zuvor war er Aufsicht im Schuhmuseum und im Kloster Santo Domingo, ebenfalls mit Unterstützung von Esment. Er sagt, dass er trotz „kleiner Rückschläge“ gerne ins Zentrum kommt und oft sein Keyboard mitbringt, um die Kollegen mit seinen Liedern zu beglücken. „Wenn ich das hier nicht hätte, wüsste ich nichts mit mir anzufangen.“

Die Erfahrung, eine Aufgabe zu haben und an der Gesellschaft teilzuhaben, trägt entscheidend zum Wohlbefinden bei, insbesondere bei Menschen mit geistigen Einschränkungen. Deshalb bemüht sich die Esment-Stiftung, genau solche Arbeitsplätze zu finden.

Im Laufe der Geschichte siedelten auf der Insel Mallorca aufgrund ihrer Größe und strategischen Lage verschiedene Kulturen, angefangen bei den germanischen Vandalen bis hin zu den Römern. Später stand die Insel etwas mehr als drei Jahrhunderte lang unter muslimischer Herrschaft, bis zur Eroberung durch Jakob I. von Aragonien im Jahr 1229. Ab da fanden die muslimischen Piraten, die die Häfen seines Königreichs angriffen, auf Mallorca keine Zuflucht mehr.

Die anschließende Wiederbesiedlung ist noch heute in den Inselbewohnern lebendig.

Spanisch und Katalanisch sind die beiden Amtssprachen auf Mallorca und den übrigen Baleareninseln. Außerhalb Kataloniens

sind die verschiedenen Dialekte des Katalanischen auch unter regionalen Namen bekannt, so etwa Valencianisch in Valencia oder Mallorquinisch (mallorquí) auf Mallorca.

Weil ein Großteil der Siedler aus dem Königreich Aragonien, zu dem damals auch Katalonien gehörte, Katalanisch sprach, etablierte sich die Sprache auch auf der Insel und gilt heute als eines ihrer Markenzeichen.

Auch wenn im Privaten und am Arbeitsplatz überwiegend Spanisch gesprochen wird, begegnet man Katalanisch, bzw. Mallorquinisch, hier überall. Die beliebtesten Strände und Touristenziele sind häufig unter ihren katalanischen Namen bekannt. Da wäre Pollença, ein Dorf mit engen

Gassen und einer römischen Brücke im Norden der Insel. Oder Banyalbufar mit seinen Terrassenfeldern und den Weinbergen mit Malvasia-Reben. Nicht zu vergessen Deià, das mit seiner Künstleratmosphäre und seinen Kopfsteinpflasterstraßen zu den schönsten Dörfern der Insel gehört.

Oft sucht man auf der Karte nach dem Weg zu Orten, die mit den Artikeln sa, es oder ses beginnen, darunter die Strände von Sa Calobra, Sa Coma, Es Trenc, Es Carbó, Ses Covetes oder Ses Dones. Hier liegt einer Hauptunterschiede zwischen dem mallorquinischen Dialekt und dem in Barcelona gesprochenen Katalanisch: die bestimmten Artikel el (männlich) und la (weiblich) stehen vor

Substantiven in der Einzahl, der Mehrzahlartikel lautet els und les.

Auf Mallorca hingegen steht sa vor weiblichen Substantive in der Einzahl und ses in der Mehrzahl, während es vor allen männlichen

Substantiven steht, egal ob Einoder Mehrzahl.

Es gibt noch viele weitere Besonderheiten des Mallorquinischen. So wird bei einigen Wörtern die Endung „a“ nicht ausgesprochen oder Verben werden anders konjugiert. Bemerkenswert ist jedoch vor allem der umfangreiche Wortschatz, der sowohl aus neu entstandenen Wörtern als auch aus auf der iberischen Halbinsel längst ausgestorbenen Archaismen besteht.

Es kann nicht schaden, die folgenden Begriffe vor einem Besuch auf Mallorca zu kennen.

Foraster sollte man ebenfalls kennen, wenn man längere Zeit auf Mallorca bleiben möchte.

Obwohl der Begriff dasselbe wie das deutsche Wort Ausländer bedeutet, bezeichnen die Mallorquiner damit häufig alle Nicht-Einheimischen.

Fer un capfico bedeutet so viel wie „kurz ins Wasser gehen“. Das Wort ist dem Ausdruck ficar el cap dins l'aigua („den Kopf ins Wasser tauchen“) entlehnt. Wenn einem also die Frage gestellt wird, ob man fer un capfico machen wolle, dann meint der Fragende, ob man sich kurz im Meer abkühlen wolle.

74 CAPFICO FORASTER

DA-LI CEBES BERENAR

75 CAPFICO FORASTER

CEBES BERENAR

Salate: Der klassische Salat auf Mallorca heißt trempó und besteht aus Tomaten, Paprika, Öl, Salz und natürlich Zwiebeln. Den isst man aber nicht zum berenar , denn das bedeutet auf Mallorca Frühstück oder Zwischenmahlzeit am Nachmittag (und in Katalonien nur das Letztgenannte).

Apropos

Da-li cebes! oder auch ¡Ánimo! auf Spanisch. Die wörtliche Übersetzung lautet „Gib ihnen

Zwiebeln“, was aber nichts mit der Zubereitung von Salaten oder Omeletts zu tun hat, sondern ein aufmunterndes „Komm schon!“ meint.

Wenn wir schon von trempó sprechen –den sollte man nur dort probieren, wo er mit viel Esment , also mit Liebe und Sorgfalt, zubereitet wird. Den Salat gibt es in vielen Varianten und sein Geheimnis liegt in den Gewürzen. Auf Mallorca bedeutet der Begriff trempar im Katalanischen nur „würzen“.

Nach dem Essen befällt einen vielleicht xubec , die Schläfrigkeit der Satten. Wer ihr nachgibt, verpasst am Ende unter Umständen die horabaixa (wörtlich: niedrige Stunde ).

76 XUBEC HORABAIXA DAIXONAR

TREMPÓ

TREMPÓ

XUBEC HORABAIXA DAIXONAR

Der vielseitigste mallorquinische Begriff ist jedoch daixonar , abgeleitet von d‘això , auf Deutsch salopp „Dingens“ (gern auch als Verb). Die Mallorquiner ersetzen damit jedes Verb, das sie nicht kennen oder das ihnen nicht einfallen will, oder eine Idee, die sich nicht übersetzen lässt. Die Bedeutung darf man dann selber erraten.

In den übrigen katalanischsprachigen Regionen bedeutet der Ausdruck „Abenddämmerung“, auf Mallorca jedoch den gesamten Nachmittag. Deshalb sollte man xubec vermeiden, sonst verpasst man noch den schönsten Teil des Tages.

LA BARAJA ESPAÑOLA

BARAJA ESPAÑOLA

MAITE Y MANUEL

Zu den wohl sonderbarsten kulturellen Missverständnissen kommt es, wenn ein Spanier außerhalb Spaniens Spielkarten kaufen will. Er möchte unbedingt „normale“ Karten, doch das Verkaufspersonal will nicht begreifen, was mit „normal“ gemeint ist. Denn während anderswo auf der Welt bei der Bezeichnung „einfache Spielkarten“ alle an 52 Karten mit Herz, Karo, Pik und Kreuz denken, versteht man in Spanien darunter ein Blatt mit Schwertern, Kelchen, Münzen und Stäben – unter Kennern daher auch als „spanisches Blatt“ bekannt.

Zu den beliebtesten Kartenspielen gehören Brisca, Escoba, Chin-

chón und das typischste von allen, Mus. Dessen Spielzüge sind sogar in die Alltagssprache der Spanier eingegangen. Lanzar un órdago wird beispielsweise heute für ein Angebot oder ein Ultimatum verwendet, bei dem alles auf dem Spiel steht.

Sowohl junge Universitätsstudenten als auch Großeltern, die in einem Café draußen sitzen, spielen Karten. Wer nicht gerne spielt, sollte die Karten trotzdem griffbereit haben, denn aus ihnen kann man auch die Zukunft lesen.

Maribel aus Palma ist 74 Jahre alt und trifft sich jeden Morgen mit ihren Freundinnen am Strand von Portixol zum Schwimmen.

Im Sommer schwimmen wir 45 Minuten und im Winter etwa fünfzehn. Es geht vor allem um die Bewegung.“

Vor 25 Jahren tauschte Mercedes Argentinien gegen Palma ein und zog ihrer Familie hinterher. Inzwischen hat sie fünf Enkel und einen Urenkel. „Jetzt habe ich das Meer und meine Lieben bei mir, und das gibt mir innere Ruhe.“

LANDWIRTSCHAFT BIOAPAEMA

Mallorca hat mehr zu bieten als Sandstrände und tiefblaues Meer. Auch wenn der Tourismus die bekannteste Einnahmequelle der Balearen ist, wird fast die Hälfte der Inselfläche landwirtschaftlich genutzt. Bei einer Fahrt durch das Inselinnere findet sich eine abwechslungsreiche Landschaft voller Gerstenfelder, Johannisbrotbäume und Gemüse wie Tomaten und Zwiebeln. Auch Mandeln werden traditionell angebaut und sind in der Küche der Insel stets präsent, beispielsweise in dem klassischen Sommerdurstlöscher Mandel-Granita.

Kann man Mahlzeiten aus frischen, regionalen Zutaten noch verbessern? Ja, mit Bio-Zutaten! Jeden Dienstag und Samstag strömen die Mallorquinerinnen und Mallorquiner zum Plaza de los Patines in Palma, um auf einem der ersten Bio-Märkte Spaniens einzukaufen. Der Markt wurde 2010 von Bauernverbänden wie Apaema, dem Verband für ökologischen Landbau auf Mallorca, ins Leben gerufen.

Beim ökologischen Landbau wird auf den Einsatz von Pestiziden oder anderen Chemikalien verzichtet, um die Landwirtschaft möglichst umweltverträglich zu gestalten. Die eingesetzten Verfahren schonen Boden und Natur. Heute hat der 2006 entstandene Biobauernverband Apaema mehr als 500 Mitglieder.

Er unterstützt mit seinen Projekten die Landwirtschaft und Viehzucht in vielen Belangen, was von der erschwinglichen Vermietung von Gerätschaften wie Bio-Häckslern für Gemüseabfälle bis hin zur Nutzungsmöglichkeit von Großküchen wie S‘Obrador reicht, wo Mitglieder ihre Ernte zu Konserven oder verpackten Getränken weiterverarbeiten und im Eigenvertrieb verkaufen können.

Brutus Sandal

Ein Fünftel der landwirtschaftlichen Nutzfläche auf den Balearen ist bereits in ökologischer Bewirtschaftung, wobei Mallorca von ihnen das größte Wachstum aufweist. Bei einem Besuch in Palma sollte man also unbedingt die Bio-Variante der lokalen Erzeugnisse probieren!

ALI GUTY

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Alicia Gutiérrez, ihrer großen Anzahl an Social-Media-Followern auch als Ali Guty bekannt, sitzt am Tisch und trägt eine Cap mit der Aufschrift „Verdiene dein eigenes Geld und heirate jemanden Lustigen“. „Das ist meine aktuelle Lebensphilosophie“, kommentiert sie lächelnd. Das erste Ziel hat sie bereits in jungen Jahren erreicht, und für das zweite hat sie noch Zeit. Mit 25 konzentriert sie sich darauf, sich als Curvy- oder Plus-Size-Model in der internationalen Modelbranche zu behaupten, wo sie bereits in Werbespots für Unternehmen wie Jean Paul Gaultier oder Fenty, Rihannas Make-up-Linie, zu sehen war.

Um Fernsehmoderatorin zu werden, brach Ali ihre Zelte auf Mallorca ab und ging zum Journalismusstudium nach Madrid. „Ich wollte das unbedingt. Das Unterhaltungsgeschäft und das Fernsehen sind genau mein Ding. Da habe ich mit Menschen zu tun und kann authentisch sein“. Doch dann kam das Modeln dazwischen und mit dem Abschluss in der Tasche ging sie nach New York, wo es ein großes Ökosystem von Modelagenturen auf der Suche nach frischen, anders aussehenden und diversen Typen gibt.

Zwischen den Jobs arbeitet sie an ihren eigenen kreativen Projekten. „Ich nehme mir einfach einen Fotografen, einen Designer, jemanden für Makeup und Haare und gemeinsam entwickeln wir aus dem Stegreif eine Idee. Das macht mir am meisten Spaß, denn kommerzielle Aufträge sind ziemlich festgelegt und kaum spontan“. Die Ergebnisse sind auf ihrem Instagram-Account zu bewundern. „Mir gefallen Projekte, bei denen man echte Verbindungen schafft, das Team was drauf hat, die Ideen einfach so sprudeln und ich nicht nur ein Model bin, das macht, was man ihm sagt“.

Trotz der Entfernung hält Ali den Kontakt mit ihrem Freundeskreis aus Schulzeiten so gut es geht. Sie treffen sich auf Mallorca, wo Ali sich auch gleichzeitig mit Ensaïmadas und Quelitas, den traditionellen salzigen Kräckern, eindeckt. Sie kann sich gut vorstellen, irgendwann wieder zum „Entspannen“ auf der Insel zu wohnen, wo sie mit einer berufstätigen Mutter, einem Vater im Baugewerbe und einer 14 Jahre älteren Schwester (ihre zweite Mutter, wie sie sagt) aufwuchs. In der Zwischenzeit hat sie jedoch weiterhin Spaß an der Ungewissheit, dem Leben in pulsierenden Städten in anderen Ländern, und schließt auch nicht aus, dem Big Apple für Paris oder eine andere Modemetropole den Rücken zu kehren.

SIEHST DU DICH ALS BOTSCHAFTERIN FÜR MALLORCA?

Und wie! Vor allem, weil Mallorca seit neuestem ein echt beliebtes Reiseziel geworden ist. Vor zwei oder drei Jahren wusste niemand, wo Mallorca liegt, wenn ich den Namen sagte. Aber jetzt lebe ich in New York und wenn ich Mallorca erwähne, sind die Reaktionen immer „Wahnsinn! Das ist ja so toll da! Ich war gerade erst da.“ Irgendwie denken die Leute immer, dass in touristischen Regionen niemand ganz normal lebt, und sind dann überrascht, wenn sie das Gegenteil erfahren.

AUS WELCHEM TEIL VON MALLORCA KOMMST DU?

Aus Palma. Ich bin dort geboren und aufgewachsen und mit 17 Jahren zum Studium nach Madrid gezogen. Ich habe Journalismus studiert und mich im zweiten Jahr für ein offenes Casting einer Dessousmarke beworben, die mich auch genommen haben. Von da an wusste ich, dass das genau mein Ding ist.

HATTEST DU SCHON VORHER MIT DEM GEDANKEN GESPIELT, MODEL ZU WERDEN?

Dieses Gefühl hatte ich tief in mir, ich habe schon immer viele Selfies gemacht und mochte das Fotografieren. Aber ich war unsicher oder wusste einfach nicht, ob ich das wirklich draufhabe. Es war für mich keine realistische Aussicht, eher so eine Fantasie. Auf einmal gab es immer mehr Curvy Models, in denen ich mich wiedererkannte. Sie waren meine Vorbilder und mir wurde klar, wie wichtig Vorbilder sind. Mit 15 oder 16 habe ich zum ersten Mal ernsthaft über das Modeln nachgedacht. Das Casting war wie eine natürliche Entwicklung daraus. Es passte einfach. Die Chance wollte ich mir auf keinen Fall durch die Lappen gehen lassen, denn an der Kampagne waren viele andere Mädchen beteiligt, aber keine von denen arbeitet heute mehr als Model.

DIE KAMPAGNE WAR DANN DOCH NICHT DAS SPRUNGBRETT, AUF DAS LAUTER ANGEBOTE FOLGTEN?

Nein, ganz und gar nicht. Tief im Inneren dachte ich: „Jetzt muss es doch einfacher werden“, aber gar nicht. Außerdem bin ich klein und es gab dauernd das Problem mit der Größe.

WIE GROSS BIST DU?

1,63 Meter. Ich musste mir ein Image aufbauen und mich so präsentieren, wie ich in der Modewelt gesehen werden wollte, damit die anderen den gleichen Blick auf mich haben. Die erste Agentur, bei der ich unterschrieb, war auch eher lauwarm. „Wir probieren es mal mit dir. Schauen wir, was passiert.“ Es hieß nicht: „Wir wollen dich. Wir können uns da was für dich vorstellen.“ Ich hatte von Anfang an eine klare Vorstellung von mir selbst und musste erst die anderen davon überzeugen.

HAT DICH DER SPRUNG NACH NEW YORK ÜBERWINDUNG GEKOSTET?

Am Ende meines Studiums stand für mich fest, dass ich mich auf die Mode konzentrieren und ins Ausland gehen will, weil das Angebot in Spanien begrenzt ist. Ursprünglich hatte ich London im Sinn, es liegt nicht so weit weg und man kommt leichter an ein Visum und die Agenturen. Mein Plan war, richtig groß einzusteigen und mich dann „runterzuarbeiten“.

Ich hatte es schon jahrelang bei Agenturen in New York versucht, die mich aber ständig ablehnten – bis dann ein paar coole Fotos von mir in einem Zeitschriftenartikel rauskamen, was sie wohl zum Grübeln gebracht hat. Auf einmal hieß von einer dieser Agenturen „du siehst ja so cool aus, wir wollen dich vertreten“. Sie beantragten dann das Visum für mich. Dafür musste ich endlos viele Unterlagen einreichen, denn das bisschen

Berufserfahrung, das ich hatte, reichte denen nicht. Im Januar 2022 ging es dann endlich nach New York.

BEKOMMST DU DORT AUCH WIRKLICH MEHR JOBS?

Unbedingt, hundertprozentig. Von den großen Modemetropolen machen London und New York auf mich den inklusivsten Eindruck. Vor allem die USA. Dort habe ich zum ersten Mal Models mit kurvigeren Körpern gesehen. Bei den Modelabels gibt es nicht nur viel mehr Größen, sondern es gibt auch viel mehr Marken, die sich bewusst auf Übergrößen spezialisiert haben oder 5XL oder 6XL anbieten.

Der Markt ist in den USA deutlich größer, weil das Land größer ist und es ein größeres Angebot gibt. Aber ich fühle mich dort auch besser aufgenommen. Wenn ich in Spanien arbeite, habe ich auch heute noch Probleme. Die Klamotten passen nicht oder es gibt meine Größe gar nicht, obwohl die Firma mich wegen meiner bisherigen Arbeit unbedingt für eine Kampagne haben will, auch wenn ich gar nicht zur Marke passe. In den USA passiert mir das nur ganz selten. Ich fühle mich dort wohler. Dort sind Plus-Size Models im Gegensatz zu Spanien viel normaler. Hier schaffen es nur ein oder zwei Mädchen.

WIR KENNEN DAS ALLE: ES GIBT PHASEN IM LEBEN, IN DENEN WIR UNS IM EIGENEN KÖRPER NICHT SO WOHLFÜHLEN. FÜHLST DU DICH IN DEINEM KÖRPER IMMER WOHL?

Mein Motto lautet: „Fake it till you make it“ oder: Du musst es dir so lange einreden, bis du es auch glaubst. Denn sowohl das Positive als auch das Negative in deinem Denken wird man merken. Bei meinem ersten Job als Model musste ich mein Denken ändern, denn von heute auf morgen stand ich in nichts als Unterwäsche im Fernsehen. Das war ein echter Sprung ins kalte Wasser.

Keine Ahnung, ob es an meiner Einstellung lag, aber irgendwann habe ich angefangen, zu mir selbst zurückzufinden, mich so wie ich bin anzunehmen und zu mögen. Man hatte mich unter vielen Mädchen als etwas Besonderes ausgewählt, und so fühlte ich mich auch. Bis dahin hatte ich mich geschämt, mich vor meinen Freunden ohne T-Shirt zu zeigen, aber dann dachte ich mir: „Das war's. Schluss mit diesen Schamgefühlen, schau nach vorn!“ Diese Erfahrung hat mir sehr geholfen, das nötige Selbstvertrauen zu entwickeln.

UNTERSUCHUNGEN BELEGEN, DASS DIE ANSICHTEN VON JUNGEN MÄNNERN UND FRAUEN, ZU DENEN AUCH DEINE GENERATION GEHÖRT, IMMER MEHR AUSEINANDERGEHEN ...

Das hat meiner Meinung nach auch viel damit zu tun, dass ich mir nicht ständig die Bestätigung von Männern suchen muss, worauf wir Frauen ja meist besonders stark konditioniert sind. „Stehen die Jungs auf mich?“ Dafür soll man dann besonders perfekt, schön oder stylisch sein. Aber in meinem Job trage ich so viele verschiedene Outfits, sehe so unterschiedlich aus und schminke mich so stark, dass ich am Ende einfach Spaß habe und mir egal ist, was die Leute denken.

... MIR GEHT ES ABER UM DIESE KOMMENTARE, DIE DAUERND IN DEN PROFILEN VON PLUS-SIZE-MODELS AUFTAUCHEN, MEISTENS VON JUNGEN MÄNNERN, DIE IHNEN VORWERFEN, FÜR ÜBERGEWICHT „ZU WERBEN“. Der Kommentar ist immer der gleiche! Den Schreibern geht es auch überhaupt nicht um Gesundheit und sie haben keine Ahnung von der Materie! Dünne Menschen haben auch gesundheitliche Probleme. Ich bin vollkommen gesund und das ist einfach mein Körpertyp. Selbst wenn das anders wäre, wer weiß schon, in welcher Lebenssituation sich jemand befindet.

Ich habe ein Existenzrecht. Mit anderen Worten, ich will nichts verherrlichen, ich sage nicht, dass man keinen Sport treiben soll, dass man dies oder jenes essen soll oder nicht. Ich existiere einfach, mache das, was mir gefällt, und verschaffe allen, die einen ähnlichen Körpertyp haben und wie ich einfach ihr Leben leben wollen, Sichtbarkeit. Jeder kann das aus seiner Perspektive sehen, und die Meinungen gehen ja weit auseinander, aber ich will mich nicht für das eine oder andere einsetzen. Ich bin einfach ich selbst. Nur weil man nicht dem gängigen Körperideal entspricht, muss man sich für das, was man macht oder wie man sich zeigt, immer wieder rechtfertigen.

WORAN ARBEITEST DU GERADE?

Ich habe fast ein Jahr lang nicht gearbeitet, weil ich mein Visum für die USA verlängern musste. Ich lebe erst seit zwei Monaten wieder dort und bin jetzt wieder voll dabei, was Kampagnen und Projekte angeht. Ich möchte das jetzt in vollen Zügen genießen. Ich habe gerade bei einer neuen Agentur unterschrieben und will mir ein neues Image geben, daher muss ich meine Ziele und meine Zukunftsperspektiven neu formulieren.

UND WIE WÜRDEST DU DAS NEUE IMAGE BESCHREIBEN?

Anstatt etwas nur zum Selbstzweck zu machen, sollen meine neuen Tätigkeiten mehr Sinn haben. Am Anfang ist es sehr wichtig, zu möglichst Vielem Ja zu sagen, um später Nein sagen zu können. Ich würde gerne alles mit ein bisschen mehr Sinn und Absicht machen.

WAS GENAU?

Vielleicht ist Absichten jetzt das falsche Wort, aber ich nehme jetzt Schauspielunterricht.

AUF ENGLISCH ODER SPANISCH?

Ich absolviere einen Fernlehrgang in New York, aber auf Spanisch. Ich möchte erst die Grundlagen auf Spanisch legen. In den USA, wo ich Englisch spreche, werde ich wohl eh arbeiten, aber zuerst möchte ich eine Ausbildung auf Spanisch machen. Das ist mein neuestes Ziel.

VÖGEL BEOBACHTEN

Die meisten Urlauber kommen wegen der traumhaften Buchten und kulinarischen Köstlichkeiten wie dem arrós brut nach Mallorca, einem Reisgericht, das auf den ersten Blick als Suppe durchgehen könnte. Zunehmend wird aber auch eine neue Art von Touristen auf der Insel gesichtet. Sie sind mit Ferngläsern und Wanderschuhen bewaffnet und streifen zu Fuß durch Schluchten, durch Wälder und über Wanderwege, dabei den Blick stets zum Himmel gerichtet: die Vogelbeobachter. Immer mehr Menschen weltweit begeistern sich für dieses Hobby, auch auf Mallorca. In S'Albufera de Mallorca, dem größten Sumpfgebiet der Insel, kann sich der Ornithologe oder die Ornithologin in Hütten getarnt auf die Lauer legen, um einen Blick auf die über 300 Vogelarten, die sich hier das ganze Jahr über tummeln, zu erhaschen. Der Hauptgewinn für Birdwatcher wartet jedoch auf der gegenüberliegenden Westküste: der Mönchsgeier, der größte Greifvogel Europas. Von allen Mittelmeerinseln ist er nur noch auf Mallorca in der Serra de Tramuntana zu sehen.

„Inzwischen gibt es 45 Brutpaare, die jedes Jahr etwa 30 Küken ausbrüten“, erklärt die österreichische Biologin Evelyn Tewes, Direktorin der Wildtierstiftung FVSM. In den 1980er Jahren sei es nur noch ein einziges Paar gewesen. Tewes kam wegen ihrer Doktorarbeit zum Thema Mönchsgeierschutz auf die Insel. Dank der Stiftung und dieser Arbeit konnte deren Aussterben auf Mallorca abgewendet werden. Mehr als hundert Freiwillige helfen bei der Kontrolle der Nistplätze und bei der Aufklärungsarbeit vor Ort, denn Mönchsgeier wurden gejagt, weil sie den Bauern vermeintlich die Rebhühner und Hühner streitig machten.

Das lässt sich auch an ihren Nestern ablesen, die nämlich auf Mallorca – im Gegensatz zum Festland – statt hoch oben in Bäumen in den schwer erreichbaren Spalten und Ritzen der Felsklippen klemmen. Heute kann man sie dort bei Paarungsflügen oder beim Füttern ihrer Küken beobachten.

MARC BIBILONI ELA FIDALGO

DIE SYMBIOSE ZWISCHEN KÜNSTLERIN UND GALERIST

In der Provinz Zamora im Nordwesten Spaniens liegt das kleine Dorf Carbajales de Alba, das für die farbenfrohen und kunstvollen Stickereien seiner Bewohnerinnen bekannt ist. Mit der Schneiderkreide in der Hand zeichnen sie freihändig Pfauen und Nelken auf große Seidentücher und Stierkämpferumhänge. Jedes Jahr im Sommer kam ein kleines Mädchen aus Mallorca zu Besuch zu seinen Verwandten. Die Dorfkinder wollten es nicht mitspielen lassen. Soledad, die Großmutter des Mädchens, hatte eine Lösung parat: „Dann sticken wir halt zusammen“.

Das war Ela Fidalgo (geb. 1993) Einstieg in die Welt der Mode, in der sie schon früh Erfolge feierte. Bereits im dritten Studienjahr wurde sie auf der Mercedes-Benz Fashion Week in Madrid, Spaniens wichtigstem Laufsteg, mit dem Preis für junge Designer ausgezeichnet. Kurz darauf schaffte sie es ins Finale des Internationalen Festivals für Mode, Fotografie und Accessoires in Hyères, Frankreich, dem Sprungbrett für aufstrebende Talente in Europa.

Aber anstatt sie in ihrer Berufung als Modedesignerin zu bestätigen, führten die Erfolge nur dazu, dass Ela sich von der Modebranche distanzierte und einer neuen Leidenschaft zuwandte: der Kunst. Inzwischen arbeitet sie auf Mallorca und kreiert Werke, die auf ihre Erfahrung und Ausbildung in der Modebranche aufbauen,aber deren Zwänge hinter sich gelassen haben.

Von Marc Bibiloni (geb. 1992), Gründer und Direktor der gleichnamigen Galerie in Madrid, lernte Ela, sich Zeit zu lassen und ihre Gedanken und Erfahrungen nicht nur mit Nadel und Faden, sondern auch mit für sie neuartigen Materialien und Techniken auszudrücken. So entstanden ausverkaufte Ausstellungen.

Dank der bedingungslosen Loyalität, Empathie und Ehrlichkeit von Marc ist es ihr gelungen, dass ihre modischen Schöpfungen zu Kunstwerken wurden. In Ela hat Marc eine Künstlerin gefunden, die ihr Universum für ihn öffnet, um ihm genau das Gefühl einer „religiösen Erfahrung“ zu vermitteln, dass er in der Kunst sucht.

KENNENGELERNT?

EF: Ich hatte schon von ihm gehört und wir hatten gemeinsame Freunde. Die Situation war eher komisch, denn ich war aus persönlichen Gründen auf die Insel gezogen und arbeitete als Zimmermädchen in einem Hotel. Eines Tages dachte ich, wie schade es doch ist, dass hier keiner meine wunderschöne Kollektion, in der so viel Arbeit steckt, zu sehen bekommt. Und plötzlich entdeckte ich im Zentrum von Palma einen Palast und darin war eine Galerie. Da wollte ich unbedingt etwas machen und ging einfach rein. Und da stand dann Marc ...

MB: Da kam auf einmal ein Mädchen mit einem riesigen Hut herein, die selber wie ein Kunstwerk aussah. Witzigerweise hatte ich sie vorher auf Facebook angeschrieben, um ihr ein gemeinsames Projekt vorzuschlagen, aber keine Antwort bekommen. Und jetzt schlug ausgerechnet sie mir eine Zusammenarbeit vor.

EF: Das war eine Nachrichtenanfrage, die ich übersehen hatte.

MB: Da stand auf einmal dieses Mädchen mit diesem Hut und sagte: „Hallo, derzeit putze ich Toiletten.“ Ich meine, das war Liebe auf den ersten Blick. Ich kannte sie bereits durch gemeinsame Freunde, aber das erste echte Treffen war wie im Film, so wie bei Almodóvar. Damals arbeitete ich für eine Galerie im Stadtzentrum, die, wie Ela schon sagte, wie ein Palast aussah.

Das war ihr Einstieg in die Kunstwelt. Am besten gefällt mir an der ganzen Geschichte, dass wir uns nicht nur sehr schnell näherkamen und lange ein Paar waren, sondern dass sie über mich zum ersten Mal einen Fuß in eine Kunstgalerie setzte. Umgekehrt machte sie mir klar, was für eine Art Galerist ich sein wollte.

APROPOS GALERIEN: ÜBERALL AUF DER WELT, VON HONGKONG BIS UGANDA, BOOMT DIE KUNSTSZENE. WIE SIEHT ES AUF MALLORCA AUS?

MB: Bei uns ist es genauso. Ein guter Indikator dafür ist meiner Meinung nach, wie viele Kunstschaffende hier Ateliers einrichten, vielleicht weil sie weg aus der Großstadt wollen. Mit dem Zuzug der Künstler entstehen auch die Kunstgalerien. Für eine so kleine Insel im Mittelmeer ist das, was wir zu bieten haben, schon einmalig. Man darf auch nicht vergessen, dass auf Mallorca Menschen aus aller Welt leben. Das bedeutet, dass wir unsere Ausstellungen nicht nur Einheimischen zeigen, sondern auch einem internationalen Publikum, darunter auch Kunstsammler, was uns viele Türen im Rest der Welt öffnet.

EF: Und nicht zu vergessen, wir sind auf einer Insel ... Wer auf sich allein gestellt ist, muss lernen zu überleben. Wie? Indem man kreativ wird. Diese Kreativität findet man hier überall, von der Gastronomie bis hin zum Kunsthandwerk. Deshalb gibt es hier auch dieses große Netzwerk aus Kunstschaffenden.

ABER KANN MAN AUF MALLORCA VON DER KUNST LEBEN?

EF: Die Frage stellt sich nicht nur auf Mallorca. In Madrid ist es genauso schwierig. Künstler wird man fürs Leben, das ist eine bewusste Entscheidung. Ich zum Beispiel muss nicht in New York leben, um an meiner Kunst zu arbeiten. Davon halte ich

nichts. Das war vielleicht früher so, weil wir in Spanien unter einer Diktatur lebten und stärker unterdrückt wurden. Wir hatten nicht den Zugang zu Informationen, den wir heute haben, wo man in Timbuktu malen und gleichzeitig mit der Welt vernetzt sein kann. Außerdem ist das nicht meine Aufgabe, sondern die der Galerie. Je abgeschiedener und konzentrierter ich arbeite, mit Ehrlichkeit und Bescheidenheit, desto besser. Es ist Aufgabe der Galerie, meine Arbeit abzunehmen, darauf aufzupassen, etwas mit ihr zu machen und sie in die Welt hinauszutragen.

MB: Es gibt verschiedene Arten von Künstlern und alle Visionen sind gleich viel wert. Ela ist eine Künstlerin, die in die Annalen der Kunstgeschichte eingehen möchte.

EF: Um Himmels willen, hör auf damit! (Lacht) Wie peinlich ist denn das!

MB: Lass mich das erklären. Das hat nichts mit Ego zu tun. Manche Künstler träumen davon, in die Geschichte einzugehen. Andere Künstler sind zufrieden, wenn ihr eigenes Schaffen sie bereichert. Das sind deutliche Unterschiede und die Galerie muss darauf entsprechend reagieren.

IHR BEIDE SEID NACH EINER LÄNGEREN UNTERBRECHUNG WIEDER NACH MALLORCA ZURÜCKGEKEHRT. WARUM?

MB: Ich habe fünf wunderbare Jahre lang in Barcelona studiert und bin anschließend nach London gezogen. Weil ich so gestresst war, nahm ich mir danach über den Sommer ein paar Monate eine Auszeit hier. In London ging es immer nur um die Arbeit. Es war zwar die beste Lebensschule der Welt, aber manchmal führen stressige Städte dazu, dass man vergisst, wer man eigentlich ist. Deswegen wollte ich den Sommer über hier entspannen – und blieb einfach. Als ich mir die Galerien ansah, erkannte ich, dass ich hier etwas erreichen kann, das ich zuvor immer für unmöglich gehalten hatte. Ich hatte immer das Gefühl, dass Mallorca zu klein für mich ist und dass ich hier nie im Leben meine Träume umsetzen kann. Dann merkte ich, dass das sehr wohl klappen kann. Es war ganz einfach, ich habe mich gewissermaßen umorientiert. Für einen Sommer zurück nach Mallorca ziehen, die Galerien und die hiesige Kunstwelt kennenlernen und nach ein paar Monaten zum Telefon greifen und meine alte Stelle kündigen (lacht).

EF: Bei mir war es so, dass ich mit meinem Modedesign-Studium fertig war und gerade bei einer Firma in Paris anfangen wollte, als bei meiner Mutter Krebs diagnostiziert wurde. Also bin ich wieder hergezogen, weil für mich die Familie vorgeht.

Die Rückkehr fühlte sich aber wie ein Scheitern an. Für mich war es eine sehr schwierige Zeit. Ich hatte gerade meine erste Auszeichnung gewonnen, ich hatte Kollektionen entworfen, ich lebte in Paris, im absoluten Mittelpunkt von allem – der wahrgewordene Traum – und arbeitete mit Marken wie Margiela zusammen. Und auf einmal saß ich wieder hier.

Auf Mallorca fand ich nur eine Stelle als Zimmermädchen in einem Hotel. Das hat mich deprimiert. Ich bin zwar gern bei meinen Eltern, ich liebe sie, aber du weißt schon ... Ich habe auch kein Problem damit, Toiletten zu putzen. Doch damals dachte ich: Oh Mann, so viel Anstrengung für nichts! Ohne Schulabschluss

„ICH HATTE IMMER DAS GEFÜHL, DASS

MALLORCA ZU KLEIN FÜR MICH IST UND

DASS ICH HIER NIE IM LEBEN MEINE TRÄUME UMSETZEN KANN. DANN MERKTE ICH, DASS

DAS SEHR WOHL KLAPPEN KANN. ES WAR

GANZ EINFACH. FÜR EINEN SOMMER ZURÜCK

NACH MALLORCA ZIEHEN, DIE GALERIEN UND

DIE HIESIGE KUNSTWELT KENNENLERNEN UND NACH EIN PAAR MONATEN ZUM TELEFON

GREIFEN UND MEINE ALTE STELLE KÜNDIGEN.“

MARC BIBILONI

konnte ich mich nicht mal für ein Studium bewerben. In Madrid zog ich in ein besetztes Haus und arbeitet in Clubs. Dann wurden die Uni-Professoren auf mich aufmerksam und fragten mich, ob ich Modedesign studieren möchte. Ich sagte: Klar, aber wie soll ich das bezahlen? Am Ende bekam ich ein Stipendium. Das war wie ein Traum, denn ich komme aus einer ganz einfachen Arbeiterfamilie. Mir hat als kleinem Mädchen nichts gefehlt, aber immer wenn ich mir auf YouTube Videos von Schulen wie der Londoner Central Saint Martins oder der Königlichen Akademie der Schönen Künste in Antwerpen angesehen habe, musste ich weinen. Mein Vater warnte mich, dass ein Studium dort für mich einfach nicht erreichbar sei, sogar ein Studium an der IED in Madrid, wo es dann ja schließlich doch geklappt hat.

DU WARST STIPENDIATIN UND BEINAHE VON EINEM AUF DEN ANDEREN TAG ERFOLGREICH. WIE WAR DAS DAMALS?

EF: Der Mercedes-Benz-Preis war nicht so prall. Vielleicht habe ich auch alles zu dramatisch gesehen, weil ich so jung war. Die Modenschau an sich lief super, aber am Tag danach war ich wieder komplett auf mich allein gestellt. Ich war am Boden zerstört. John Galliano, Alexander McQueen, Marc Jacobs – diese Leute waren aus dem Nichts aufgetaucht und zu Göttern geworden, oder zumindest kam es mir so vor. Wenn man nicht aus einer wohlhabenden Familie kommt und sein Leben lang hart arbeiten musste, um über die Runden zu kommen, hat man die Vorstel-

lung, dass nach so einem großer Wettbewerb das Leben ganz anders wird, aber das ist Quatsch! Das sind so Illusionen und Fantasien im eigenen Kopf. Meine Erwartungen waren einfach zu hoch – dass nach dem Preis alle anders wird und dass die finanziellen Schwierigkeiten vorbei sind. Als ich dann merkte, das sich nichts ändert, fingen die Gedanken an. „Ich bin nicht gut genug, woran liegt es? Was kann ich besser machen als die anderen?“ Ich machte mir ständig Vorwürfe und wurde depressiv, ohne einen Ausweg zu sehen. Den Ausweg fand ich dank Isabel Berz, die damals meine Studienleiterin war und mir das Stipendium vermittelte. Die IED vergibt eigentlich keine Stipendien und hat das extra für mich eingerichtet, damit ich mir das Studium leisten kann. Isabel holte mich zu Hause ab und war einer meiner vielen Engel. Marc war auch einer.

Hyères wiederum fand ich toll, weil Marc dabei war. Ich hatte viel Spaß, auch wenn es sehr anstrengend war, weil ich den ganzen Tag arbeiten musste. Es gab Zeiten, da habe ich mich zu Hause bei ihm ausgeweint ...

MB: Da waren wir bereits ein Paar.

DU WARST ZUM ZEITPUNKT DEINER ZUSAMMENARBEIT MIT MARC ALSO HAUPTSÄCHLICH DESIGNERIN UND NOCH KEINE KÜNSTLERIN?

„WER

AUF SICH ALLEIN GESTELLT

IST, MUSS

LERNEN ZU ÜBERLEBEN. WIE? INDEM MAN

KREATIV WIRD. DIESE KREATIVITÄT FINDET

MAN HIER ÜBERALL, VON DER GASTRONOMIE

BIS HIN ZUM KUNSTHANDWERK. DESHALB

GIBT ES HIER AUCH DIESES GROSSE NETZWERK

AUS KUNSTSCHAFFENDEN.“

ELA FIDALGO

EF: Doch, ich war schon auch Künstlerin.

MB: Sie zeigte in der Galerie, in der ich damals arbeitete, eine Ausstellung ihrer preisgekrönten Kollektionsentwürfe. Von einem davon machte sie einen einfachen kleinen Druck, der sich gut verkaufte. Meine emotionale Reaktion war immer „diese Kleider sind wie eine Skulptur“. Daraufhin schlugen wir ihr vor, es doch mal mit Textilkunstwerken auf Leinwand zu versuchen, die dann ein Riesenerfolg wurden. Die Ausstellung war schon bei der Eröffnung ausverkauft. Die Teilnahme an der Messe in Hyères war deshalb schwierig, weil der Galerist sie davon abhalten wollte. Sie sollte sich lieber auf ihre künstlerische Arbeit konzentrieren.

EF: Ich musste dort unbedingt mitmachen, das war schon immer mein Traum gewesen. Als ich das dem Galeristen sagte, meinte er, dass nur eine oder einer von tausend dort reinkommt. Ich habe ihm unter Tränen erklärt, dass genau ich das schaffen kann. Und er antwortete: „Davon gehe ich nicht aus“.

Das war ein echter Wendepunkt. Für mich was es das mit dieser Galerie. Marc sagt mir auch schon seine Meinung, aber er hat mich noch nie abgewürgt oder sich mir gegenüber abfällig geäußert. Er sagt immer nur Sachen, die aufbauen, nie etwas, das herabsetzt.

Kurz gesagt: Meine Teilnahme am Wettbewerb in Madrid war keine gute Erfahrung, aber ich habe viel über mich selbst gelernt. Als Finalistin in Hyères fühlte ich mich sehr wohl, obwohl mir dort klar wurde, dass die Modewelt doch nichts für mich ist.

MB: In Hyères fiel ein Satz, der ihr zu Denken gab: „Das ist nicht produzierbar.“ Du hast ihre Kleider ja gesehen, diese vielen Schichten, So etwas auf dem Markt mit Gewinn zu produzieren, ist unmöglich. Aber wo kann man das dann umsetzen? In der Kunst!

WORAN ARBEITEST DU GERADE?

EF: In meiner neuesten Ausstellung spreche ich über Ela und über Manuela, also über mich als Mädchen. Ich heiße eigentlich Manuela. Ela leitet die Mediationsworkshops, in denen wir gemeinsam an Projekten arbeiten und an Heilungsprozessen, eben weil die Leute Ela so mögen. Und wenn wir genauer hinschauen, sehen wir Manuela. In der Ausstellung geht es um den Diskurs zwischen den beiden.

Aber manchmal muss man sie auch im Schrank einsperren, bis sie sich beruhigt hat.

Die Finanzkrise veränderte 2008 das Leben des Psychotherapeuten Tomeu Arbona und der Lehrerin María José Orero: „Wir waren pleite. Das Wenige, was wir noch hatten, steckten wir in etwas für uns völlig Neues, nämlich eine Bäckerei. Aber nicht irgendeine Bäckerei, sondern eine radikal traditionelle“.

„Wir haben alte und vergriffene Backund Kochbücher gewälzt und Rezepte von alten Bäckern und sogar den Nonnen im Kloster besorgt“, berichtet María José. Das Ergebnis sind lauter alte mallorquinische Rezepte wie Lamm-Ensaïmada mit der typischen Kürbismarmelade oder Kabeljau.

Angesichts des Erfolgs zogen sie 2018 an die zentrale Plaza Weyler, an der sich ein ganz besonderes Ladenlokal befindet. Das alte Forn des Teatre, der „Ofen des Theaters“, wie auf einem grün-gelben Jugendstil-Holzschild mit roter Schrift von 1916 steht.

„Eigentlich heißt unsere Bäckerei ja Fornet de la Socà, aber die Fassade steht unter Denkmalschutz und darf deshalb nicht verändert werden“, sagt Tomeu, während er das historische Gebäude bewundert. „Aber das haben wir auch nicht vor“.

FORN DES TEATRE

Der Himmel über Mallorca sieht aus wie eine Leinwand, die am Ende des Tages in vielen Orange- und Rosatönen schimmert. Spaniens größte Insel ist im Sommer ein Meer von Sonnenanbetern, behält ihren Reiz aber auch in den milden Wintern, wenn die Sonne erst um halb sechs untergeht.

Immer zum Jahresende schneit es auf den Gipfeln der Serra de Tramuntana und der Puig Mayor, der höchste Berg der Balearen, erhält eine Schneekrone. An den Berghängen grasen wilde Ziegen, über denen die auf den Küstenklippen brütenden Mönchsgeier auf Nahrungssuche ihre Runden drehen. Im Inneren der Insel bewirtschaften Bauern – campers – Land, dessen Bewässerung über Windmühlen gespeist wird. Die Insel hat noch etwa 2300 Windmühlen aus Stein und Eisen.

Die Früchte der Feldarbeit sind Tomaten, Oliven und Mandeln, die das Herzstück der mallorquinischen Küche bilden. Diese ist trotz Globalisierung nach wie vor ausschließlich auf die Insel beschränkt und erfreut die Besucher mit ihren kräftigen Aromen.

Mallorca ist das Paradies, das nicht jeder ertragen kann, wie die Amerikanerin Gertrude Stein es so treffend formulierte. Aber wer es ertragen kann, findet hier einen Rückzugsort vom hektischen Leben auf der anderen Seite des Meeres. Dazu passt die Beschreibung eines anderen großen Schriftstellers, des Argentiniers Jorge Luis Borges, vielleicht besser: „Mallorca ist ein Ort wie das Glück selbst”.

Dana, Brutus
Sandal

Pere-Josep war Kunde in Antonias Laden. Viele Jahre später traf er sie in einer Bar wieder. „Ich möchte dein Freund sein“, schrieb er auf eine Karte. „Bis dahin war er für mich nur ein guter Kunde gewesen“, sagt sie.

Muminu, 28, träumt von einer Karriere beim Film und Theater. Sie ist Schauspielerin und Beauftragte für soziale Inklusion, liebt die Natur und ist gern aktiv. Genau deshalb gefällt es ihr auf Mallorca, wo die Natur so nah ist.

Adams Mutter ist Mallorquinerin und sein Vater stammt von der Elfenbeinküste. Er ist 18 Jahre alt und trainiert eine Jugendmannschaft.

Aber vielleicht gibt er den Sport auch wegen einer Ausbildung zum Schiffsmechaniker auf, damit er „anständige“ Arbeitsmöglichkeiten hat.

Maj, 30, hat italienische und marokkanische Wurzeln und lebt seit fünf Jahren auf Mallorca. Sie beginnt ihren Tag mit Yoga am Strand.

Durch das Meer und die Multikulturalität der Insel kann sie ihre Batterien wieder aufladen.

Pelotas Soller, Casi Myra, Onda, Kora Sandal, Dana, Drift Trail Sandal S/S 2025

Seit kurzem lebt Eduardo Vizcaíno auf Mallorca, davor in Madrid und Deutschland. Fast täglich unternimmt er mit anderen

Mitgliedern des Real Club Náutico de Palma eine Kajaktour. „Eineinhalb Stunden auf dem Meer tun immer gut.“

Redaktion und Erstellung

Alla Carta Studio

Brand Creative Director

Achilles Ion Gabriel

Brand Director

Gloria Rodríguez

Brand Art Director

Emanuela Amato

Fotografie

Martin Parr

Styling

Francesca Izzi

Haare & Make-up

Sandra Torrero

Set-Design

Dolores Llorens

Gemälde

Maite y Manuel

Englische Texte

Stefania Gozzer Arias

Produktion

Rocío Romero

Bildnachweis

© Martin Parr

Druckerei

Artes Gráficas Palermo, Madrid

ISSN: 2660-8758

Pflichthinterlegung: PM 0911-2021

Mit besonderem Dank an

Alex, Maj, Nele und Sami von Camper

Alex Sobrón

Ali Guty

Ana, Caty, Jordi, Pere und Everlyn, Fundación Vida Silvestre

Apaema

Ela Fidalgo

Jan Horcik

Jordi Clotet Saló

Marc Bibiloni

Marcella Barceló

Marion de Raucourt

Mercè Marrero von Esment

Rodrigo Agudo

Rossy de Palma

Sara Regal

Teresa Tarragó

Successió Miró, Roser Salmoral

Fundació Miró Mallorca

Thomas Perroteau

Tomeu, Maria José und Adrià von Forn des Teatre

Adam, Amanda, Antonia, Bea, Biel, Blanca, Carlos, Didac, Eduardo, Elena, Inés, Jacinto, José David, Juan Luis, Henry Alejandro, María, María Ángeles, Mariamma, Maribel, Matías, Mercedes, Milo, Muminu, Nebiyat, Pere-Josep, Piero, Raquel, Ruth, Santino, Siro

Arthur Arbesser, Bonsai, Chateau Orlando, Giuglia, Jht, Lessico Familiare, Older, Paura, Plas, Studio Ventisei, Viapiave33, Archivio

La Couture, Old Mcdonald Had An Archive, Sorry Mummy, Volgari Ferraglie

Gedruckt in Spanien

Alcudia Design S.L.U. Mallorca camper.com © Camper, 2025

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