Semesterguide campusantifa sose2014 webversion

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seme ster S.04 Selbstorganisierte Kämpfe von Refugees und NonCitizens in Frankfurt/ Main

S.12 Patriarchat und Kapitalismus wegbügeln – Frankfurter Positionen zur Care-Revolution

guide S.20 Text zur Flugschrift 100 Jahre Goethe-Uni

Sommer S.26 NSU: Auf der Suche nach dem richtigen Begriff für einen politischen Tatbestand

2014 S.34 Antifaschismus und rechtsradikale Bewegungen in Italien: GruSSwort des colletivo militant aus Rom

campuS antifa S.44 Interview mit der Gruppe TGPT aus Griechenland

S.54 Keimzelle der Nation? – Die »AfD« und ihre rechtskonservative Vorstellung von Familie und Geschlecht

Frankfurt


Herz lich will komm en Die hundertjährige Uni

des Kapitals, die immer

noch nicht weg vom Fenster ist, gilt es allemal aus eben diesem zu stürzen

und somit den politischen

Frühling einzuläuten! Dieser kompakte Guide soll seinen Beitrag dazu leisten und dabei selbstverständlich auch über den viel zu beschränkten Tellerrand der studentischen Lebensrealität hinausblicken. Da diese unendlichen Weiten bekanntlich weitaus größer sind als so manche von uns wahrhaben möchten, findet ihr in

vorliegender Broschüre Texte zu den unterschiedlichsten Themen. Angefangen mit einem Artikel über die selbstorganisierten Kämpfe von Refugees und NonCitizens der Gruppe Milan refugees in Frankfurt / Main, danach geht es weiter mit dem ersten Teil eines Vortragsmanuskriptes von Detlef zum Winkel, in welchem die Faschisierungsthese des Kommunistischen Bundes auf den NSU angewandt und auf ihre Aktualität überprüft wird. Des Weiteren teilt der AK-Care Frankfurt in einem Positionspapier seine Eindrücke und Analysen der Care 2


V.i.S.d.P: Alfred E. Neumman, Karl-Marx-Allee 19, 60487

K Revolution-Konferenz vergangenen März in Berlin mit. Nicht nur aus aktuellem Anlass folgt ein Artikel der

lila-roten antifa frankfurt, der sich mit der Partei AfD und ihrem Europawahlkampf beschäftigt. Und, um auf den Beginn der Einleitung zurückzukommen, darf natürlich

ein Beitrag zum hundertjährigen Bestehen der Goethe-Uni

nicht fehlen, weswegen Jürgen Schardt hierzu nochmal ein paar kritische Gedanken für uns niedergeschrieben hat.

International haben wir noch ein Grußwort des Colletivo militant aus Rom, welches den antifaschistischen Kampf gegen Neurechte Gruppen in Italien thematisiert, und zu guter Letzt ein Interview mit der griechischen Gruppe TPGT im Gepäck, in welchem diese die Kämpfe des Mittelbaus und der Studierenden an griechischen Universitäten reflektiert.

Damit die kommenden Zeiten heiß werden und in 100 Jahren die hier angeführte Kritik nur noch ein Relikt längst überwundener Verhältnisse sein wird, wünschen wir nun viel Spaß bei der hoffentlich anregenden Lektüre! Eure campusantifa 3


Selbstorganisierte K채mpfe von Refugees und Non-Citizens in Frankfurt/ Main

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Verschiedene Gruppen von Geflüchteten und Non-Citizens1 sind spätestens seit 2012 in der BRD in einen neuen selbstorganisierten Kampf gegen ihre systematische Entrechtung durch das rassistische bundesdeutsche Asylgesetz sowie den von der Europäischen Union organisierten Massenmord an ihren Außengrenzen getreten.2 Ausgehend von einem Protestcamp in der Würzburger Innenstadt breitete sich die Protestform der Aneignung von zentralen Plätzen, die manchmal auch von Hungerstreiks begleitet wurden, rasch auf viele deutsche Städte aus.3 Einen ersten Höhepunkt fand dieser Kampf im Marsch der Geflüchteten von Würzburg nach Berlin im September 2012. Unter dem Motto: »Wir respektieren keine Gesetze, die uns nicht respektieren« wurde bei diesem massenhaft die Residenzpflicht gebrochen und sich dadurch grundlegende Menschenrechte angeeignet. Nach der Ankunft in Berlin wurde sich dann der Oranienplatz in Kreuzberg angeeignet, der seitdem, bis zu seiner gewaltsamen Räumung durch die Bullen im April 2014 als ein Vernetzungs- und Organisationszentrum der bundesweiten Selbstorganisation von Geflüchteten fungierte. An einem anderen Platz in Kreuzberg – dem Mariannenplatz – fand im Sommer des vergangenen Jahres ein weiterer Meilenstein dieser Proteste statt: Das internationale Flüchtlingstribunal gegen die Bundesrepublik. Zwei der vielen in der Abschlußerklärung4 vorgebrachten Anklagepunkte lauteten: „Die Bundesrepublik wird angeklagt, unsere Länder zu zerstören, durch Plünderung der Rohstoffe in unseren Herkunftsländern, durch Ausbeutung unserer Arbeitskraft, durch Zusammenarbeit mit Diktaturen, durch Ausbildung von Militär und Polizei in unseren Ländern, durch wirtschaftliche und politische Einmischung. […] Die BRD wird angeklagt, maßgeblich die Implementierung der sogenannten Dublin II-Verordnung vorangetrieben zu haben und auf dieser Grundlage massenhaft Abschiebungen innerhalb Europas zu vollziehen. Damit verletzt die Bundesrepublik Deutschland unser Recht auf Bewegungsfreiheit und freie Wohnortwahl.« Abschließend formulierte das Tribunal: »Das Flüchtlingstribunal machte allen nochmals deutlich: Das kapitalistische System ist barbarisch, weil es die Mehrheit der Menschen und ihre Lebensräume auf diesem Planeten vernichtet. Verteidigen wir uns nicht, werden uns die letzten Lebensräume und das Leben genommen.« Große Aufmerksamkeit finden seit dem letzten Jahr auch die Kämpfe der Gruppe der sogenannten Lampedusaflüchtlinge in Hamburg. In deren Fokus steht vor allem die Abschaffung der 5


Drittstaatenregelung und Dublin II sowie die Erlangung eines humanitären Aufenthaltsrechts, das die in Hamburg regierende SPD verweigert. Der Gruppe gelang es ausgehend von ihren selbstorganisierten Protesten eine große Welle der Unterstützung und Solidarität zu erlangen. So war der ganze Herbst und Winter 2013 geprägt von Großdemonstrationen und direkten Aktionen gegen die europäische Flüchtlingspolitik und die in Hamburg regierende SPD. Auch in Frankfurt gab es verschiedene Aktionen von Unterstützer*innen dieser Proteste: mehrere Spontandemos u.a. im Flughafen, Besetzung der SPD-Zentrale sowie mehrmaligen Glasbruch bei derselbigen. Seit einigen Monaten macht nun auch in Frankfurt eine Gruppe von Non-Citizens durch ihre selbstorganisierten Kämpfe gegen die europäische Asylpolitik von sich reden. Es ist die Gruppe der Milanrefugees. Im Folgenden drucken wir einen Text dieser Gruppe ab, der eindringlich beschreibt, was die menschenverachtende EU-Politik für die einzelnen Menschen bedeutet. Die Gruppe organisiert meist am ersten Dienstag des Monats eine Demonstration. Wir rufen auf: Kommt zu den Demos und unterstützt die Refugees! Zuletzt sei noch auf den Protestmarsch gegen die europäische Grenz- und Asylpolitik von Straßburg nach Brüssel vom 20.05. – 29.06.2014 hingewiesen.5 Bei diesem werden mehrere hundert Geflüchtete und Unterstützer*innen die Strecke zwischen den beiden Städten zu Fuß zurücklegen, um anschließend gegen das Treffen der europäischen Außenminister*innen in Brüssel zu demonstrieren. Somit ist ein Schritt hin zu einer europaweiten Bewegung der Geflüchteten gemacht. Stoppt das Faustrecht! Schluss mit den Dublin-Verordnungen!

Die ständige Angst vor Festnahme und Abschiebung ist unerträglich für uns Flüchtlinge. Sie führt häufig zum moralischen und psychologischen Zusammenbruch. Was Flüchtlingen in Deutschland und in ganz Europa widerfährt, kann als psychologische Verfolgung und Schikanierung bezeichnet werden. Diese Maßnahmen werden bewusst gegen uns eingesetzt, um unser Leben erbärmlich zu machen. Wir finden das gefährlich. Wir werden behandelt wie Waren in einem Supermarkt. Sie werfen uns von einem Ort zum anderen innerhalb der EU. Schwan6


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Oben links: www.juberlin.de, alle anderen: www.fakkjuberlin.tumblr.com


gere Frauen weinen, Männer und Kinder weinen! Wo ist der Respekt für Menschenrechte, für menschliche Werte und Würde? Diese Vorgehensweisen sollten einen großen Skandal für die deutsche Regierung darstellen, aber sie sollten auch enttäuschend für die deutsche Bevölkerung sein. Sie sind eine große Schande für die Demokratie in diesem Land und auch für seine Polizeikräfte. Wir leben in einem endlosen Ausnahmezustand mitten in den europäischen Ländern, aber wir sind keine Kriminellen. Also warum jagen uns Polizisten, manchmal um 4 Uhr morgens, wie der Teufel? Warum? Warum würde überhaupt irgendjemand Menschen derartig terrorisieren? Flüchtlinge sind machtlose Opfer der rassistischen Dublin-Verordnungen. Wir schlafen nachts nicht. Wir liegen wach mit unguten Gefühlen, voller Angst vor Repression. Wann werden die »intelligenten« Polizisten kommen, um uns gewaltsam in die Hölle zurückzuschicken, die Italien für uns bedeutet? Wir fordern, dass die EU und Deutschland unverzüglich ihre psychologische Folter wehrloser Flüchtlinge beenden! Stoppt die psychologische Verfolgung! Wir wollen keinerlei Eskalation. Wir sind ohnehin schon wehrlos und müde genug, weil wir ständig von einem Ort zum anderen in der EU springen müssen. Wir sind auf der Suche nach Frieden, Freiheit und Würde. Wir verabscheuen das Leben der modernen Sklaverei in Italien. Wir haben Angst, dass es zu einer Katastrophe kommen wird, wenn die internationale Gemeinschaft der Situation von Flüchtlingen in Italien keine Beachtung schenkt und die Situation jener Menschen ignoriert, denen die Zurückschiebung dorthin droht. Die Menschen in Italien leben auf der Straße, als wären sie Müll! Wir alle sind Opfer der teuflischen Dublin-Verordnungen! Man sollte fragen, was Verteidiger der Menschenrechte wie etwa die Physicians for Human Rights tun, um diese Situation zu verbessern. Was innerhalb der EU geschieht, ist ein Angriff gegen machtlose Flüchtlinge und verletzt ihr Recht auf Gesundheit. Wie können sie uns erzählen, dass es in Italien eine Gesundheitsversorgung gibt, wenn Flüchtlinge wie Vagabunden bei jedem Wetter auf der dreckigen Straße schlafen müssen? Im Dezember 2011 urteilte der Europäische Gerichtshof, dass EU-Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet sind, die Überweisung 8


von Asylsuchenden in jene Länder der EU zu stoppen, in denen Flüchtlingen unter Verstoß gegen Artikel 4 der EU-Grundrechtecharta eine unmenschliche Behandlung widerfährt. Das derzeitige Dublin-System ist daher falsch und nicht durchzuführen, weil es auf der Annahme beruht, dass die Rechte von Asylsuchenden in allen Mitgliedsstaaten geachtet werden. In Zukunft müssen die EU und ihre Mitglieder sicherstellen, dass sie die Dublin-Verordnungen in einer Weise anwenden, welche die Grundrechte der Flüchtlinge respektiert. Italien verletzt die Grundrechte von Flüchtlingen, und folglich verletzt die EU Artikel 4 ihrer eigenen Grundrechtecharta, indem sie Abschiebungen von Flüchtlingen aus anderen Mitgliedsstaaten in dieses gesetzlose Land erlaubt. Die Dublin-Verordnungen verstoßen zudem gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, die im Jahr 1951 von der internationalen Gemeinschaft verabschiedet wurde. Wir verurteilen diese Vorgänge aufs Schärfste. Wir fragen uns: Wo sind jene Organisationen, die uns schützen sollen? UNHCR, UNICEF und die Weltgesundheitsorganisation – spielen sie gerade an irgendeinem versteckten Ort Poker? Wir fordern von ihnen eine Untersuchung der kontinuierlichen rassistischen Ausgrenzung von Flüchtlingen innerhalb der Europäischen Union. Die Organisation Pro Asyl argumentiert, dass es einen dringenden Bedarf an neuen Maßnahmen zum Schutz von Flüchtlingen aus Syrien gibt, insbesondere zum Schutz jener Flüchtlinge, die keine Verwandten in Deutschland haben. Pro Asyl fordert, dass es keine Abschiebungen von Syrern unter dem Dublin-System geben soll. Das würde bedeuten, dass selbst diejenigen Flüchtlinge, die bereits in anderen europäischen Staaten registriert wurden, dennoch in Deutschland Asyl beantragen und dort bleiben könnten. Wir begrüßen solche Stellungnahmen und halten das für eine gute Idee für syrische Flüchtlinge – doch was ist mit allen anderen? Warum nur syrische Flüchtlinge? Warum diskriminieren? Das Dublin-System, das vorschreibt, dass Flüchtlinge nur in demjenigen Staat Asyl beantragen können, über den sie als erstes die EU betreten haben, verletzt ganz eindeutig die Rechte aller. Wir fordern Gerechtigkeit für alle! Beide großen Parteien in Deutschland haben eine Rolle dabei gespielt, das Dublin-System zu entwickeln und innerhalb der EU aufrechtzuerhalten. Sowohl die CDU als auch die SPD tragen also zur Ausgrenzung von Flüchtlingen und zur systematischen Verletzung ihrer Rechte bei. Wir fordern, dass sie ihre Positionen unverzüglich ändern und alles in ihrer Macht Stehende 9


daran setzen, die Abschiebungen zu stoppen! Wir fordern, dass sie anfangen, sich für eine grundlegende Reform des Dublin-Systems einzusetzen – mit dem Ziel, Diskriminierung und Ungerechtigkeit überall zu beenden! rifugiati.milano@gmail.com www.milanrefugees.wordpress.com 1 Zum Begriff »Non-Citizen«: »[…] In der Geschichte dieses Kampfes ist gerade eben deshalb die Theorie der Citizen-Non-Citizen-Dualität aus dem Versuch heraus entstanden, die Einmischung seitens der Citizen-Aktivist*innen mit ihren unterschiedlichen Ideologien zu verhindern, die während des Protestmarsches nach Berlin die Vereinnahmung der Bewegung unter einem bestimmten Namen oder Gruppe angestrebt hatten. Im Kern der Sache war es politisch gesehen ein Zurückerlangen der Position als Subjekt und das Verkünden vom Ende der Phase des Objektseins für den untersten Teil der Gesellschaft, also den Geflüchteten.« www.refugeestruggle.org/de/content/offizielle-stellungnahme-zur-non-citizen-citizen-dualitaet-official-statement-concerning 2 Für eine ausführliche Kritik am Umgang der BRD und der EU mit Geflüchteten und insbesondere an der Dublin II Verordnung siehe den Artikel »20 Jahre kein Asylrecht in Deutschland« im Semesterguide der campusantifa Sommer 2013. 3 Eine (unvollständige) Übersicht gibt dieser Website: www.refugeestruggle.org/de/k%C3%A4mpfe 4 Die vollständige Abschlußerklärung findet sich hier: www.refugeetribunal.org/ wp-content/uploads/2013/07/Tribunal_vs_BRD_20130705_Abschluss erkl%C3%A4rung.pdf 5 Weitere Infos: www.freedomnotfrontex.noblogs.org

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abschie bungen Stoppen


Patriarchat und Kapitalismus wegbßgeln – Frankfurter Positionen zur Care-Revolution Positionspapier des AK Care Frankfurt zur Care Revolution Aktionskonferenz in Berlin vom 14.-16.3.2014

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work and discussion in progress Vom 14. bis 16. März 2014 fand die »Aktionskonferenz Care Revolution« (care=engl. für Sorge(-arbeit)) in Berlin statt. Die Organisator_innen hatten zum Ziel, verschiedensten Akteur_innen und Aktivist_ innen aus den Feldern sozialer Reproduktion – Gesundheit, Pflege, Assistenz, Erziehung, Bildung, Wohnen, Haushalts- und Sexarbeit – eine Plattform zum Austausch über Erfahrungshorizonte und gemeinsame Handlungsstrategien zu bieten. Angestoßen durch einen Workshop der campusantifa und den feministischen philosoph_innen zum Frauenkampftag am 8.März 2014 sind auch aus Frankfurt am Main Personen aus den verschiedensten politischen Zusammenhängen gemeinsam zur Aktionskonferenz gereist. Einige von uns¹ wollen an dieser Stelle ihre Einschätzungen und ihre Kritik zur Diskussion stellen.

Care – what is the matter?

Was bedeutet es von »Care« statt von Reproduktionsarbeiten zu sprechen? Mit der Verschiebung vom Begriff Reproduktion zum Begriff Care ändern sich zum einen die Tätigkeiten, die in der Debatte eine Rolle spielen, zum anderen vollzieht sich ein Perspektivenwechsel in der Bewertung bestimmter Tätigkeiten. Reproduktionsarbeit umfasst Arbeiten, die im häuslichen Kontext und vor allem von Frauen* verrichtet werden. Die mit diesem Begriff verbundenen politischen Forderungen stellen sich wie folgt dar: Tätigkeiten, die als Reproduktionsarbeiten ausgezeichnet werden können, müssen als (gleichwertige) Form von Arbeit begriffen und als solche gesellschaftlich anerkannt werden (nicht mehr nur entlohnte Arbeit, darf als »produktive« Arbeit begriffen werden – Stichwort: »Lohn für Hausarbeit«). Aus dieser Perspektive ist die Einsicht zentral, dass die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Produktionsweise von der von Frauen* im Privaten verrichteten (unentlohnten) Arbeit abhängig ist, da sie der Reproduktion der Arbeitskraft (d.h. vor allem von männlichen* Erwerbstätigen) dienen. Mit der Bezeichnung von Tätigkeiten wie Kochen, Putzen, Waschen, Kinder versorgen, Sex etc. als Reproduktionsarbeiten soll somit der Status 13


dieser Tätigkeiten als Arbeit und ihre gesellschaftliche Rolle im Produktionsprozess sichtbar gemacht werden. Seit den 1980ern wird die Debatte um Reproduktionsarbeit sukzessive abgelöst von einer Debatte über Care-Arbeit. Die als Reproduktionsarbeit begriffenen Tätigkeiten sollen der Nüchternheit dieses Terminus« entzogen werden, um eine spezifische »Qualität« dieser Arbeiten (verstanden als Handlungen, die vor allem ein Subjekt-Subjekt-Verhältnis betreffen und »Kompetenzen« wie Fürsorge, Anteilnahme usw. erfordern) hervorzuheben. Zudem geht es um eine (normative) Aufwertung: Care-Arbeit funktioniert demnach nicht nach der gleichen Produktivitäts- und Akkumulationslogik wie andere Erwerbsarbeiten und ist nicht äquivalent rationalisierbar. So kann mit Care auch die Bedeutung und Relevanz von Selbstsorge oder Sexarbeit erfasst werden. Damit verschiebt sich die Rechtfertigungsperspektive: Die angestrebte Aufwertung häuslich verrichteter Arbeiten anhand der Bezeichnung als Reproduktionsarbeit hebt den »Arbeitscharakter« und den Stellenwert dieser Arbeiten im (Re-)Produktionsprozess hervor. Die Bezeichnung dieser als Care-Arbeit kehrt den besonderen Charakter hervor und fokussiert weniger ihre Funktion innerhalb der gesellschaftlichen Verhältnisse. Care stellt dabei einen »Containerbegriff« dar, der unterschiedlich (und damit auch neoliberal) gefüllt werden kann. Die Grenzen dessen, was unter Care verstanden wird, sind nicht klar umrissen, woraus auf der einen Seite eine Erweiterung des Blicks, aber auch eine Unschärfe hinsichtlich möglicher politischer »Angriffs­punkte« resultieren kann. Das Aufkommen der Debatte um Care-Arbeit ist auch eine Reaktion auf den politisch-ökonomischen Prozess, dass vormals rein privatisierte Tätigkeiten im Postfordismus teilweise kommodifiziert werden. Obwohl viele Tätigkeiten längst ihren Einzug in den Lohnarbeitssektor gefunden haben, bleibt ihre Feminisierung erhalten; sie werden gesellschaftlich nicht aufgewertet und bleiben prekär und schlecht bezahlt. Innerhalb dieser abgewerteten, weiblich* konnotierten Tätigkeitsfelder schreibt sich wiederum eine vergeschlechtlichte Arbeitsteilung fest, da Führungspositionen vor allem von Männern* besetzt werden. Die Care-Debatte reagiert damit auch auf die neoliberalen Verhältnisse und vermeintlichen Emanzipationsgewinne einiger, zumeist weißer, Mittelschichtsfrauen, die nun selbst Lohnarbeitende sind, während die Arbeit in den Haushalten vierlerorts an 14


zumeist (illegalisierte) migrantische Hausarbeiter*innen ausgelagert wird. Hiervon ausgehend stellt sich für uns die Frage, ob durch die Ablösung der Debatte um Reproduktionsarbeit zugunsten der Care-Debatte eine Konzentration auf die Bedingungen von hauptsächlich institutionalisierten und entlohnten Tätigkeiten wie die Arbeit in Alten-/Pflegeheimen, Kliniken etc. stattfindet. Weil aber die Kommodifizierung von Care-Tätigkeiten nicht mit der Auflösung patriarchaler und rassistischer Arbeitsteilung einhergeht, fürchten wir, dass die Tatsache, dass noch immer zumeist Frauen* den Haushalt schmeißen und sich für Care-Arbeiten verantwortlich fühlen (müssen), in den Hintergrund gedrängt wird respektive aus dem Blickfeld der Kritik verschwindet. Daran schließt für uns die Frage an, ob es in politischen Auseinandersetzungen folglich »nur« um eine Verbesserung von Lohnarbeitsbedingungen geht, während den im Privaten verrichteten (meist unentlohnten) Arbeiten keine Aufmerksamkeit zukommt und diese weiterhin unsichtbar bleiben. Deshalb haben wir uns im Vorfeld der Konferenz in Berlin vor allem gefragt: ·· Wie gehen die verschiedenen Akteur*innen auf der Konferenz mit den Differenzen und Problematiken von Reproduktions- und Care-Begriff um? ·· Wo können wir (aus unserer Position) mit politischen Interventionen ansetzen? ·· Und auf welche gesellschaftlichen Veränderungen zielt die postulierte »Care Revolution«? Who cares?

Über 500 Menschen haben sich im März in verschiedenen Workshops ausgetauscht, vernetzt und über eine »Care Revolution« und die Krise sozialer Reproduktion diskutiert. Die Beteiligten verorteten sich dabei in einem breiten Spektrum: von Beschäftigen in Medizin, Pflege oder Sexarbeit über organisierte migrantische Haushaltsarbeiter_innen, Flüchtlingsfrauen* und Projekten mit Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen, die behindert werden, bis zu linksradikalen, antifaschistischen, queerfeministischen und gewerkschaftlichen sowie Recht auf Stadt-Aktivist_innen. Als erstes gemeinsames Statement des 15


Netzwerks wurde eine auf der Konferenz selbst nicht unumstrittene2 Resolution verabschiedet, in der einige zentrale Diskussionspunkte aus den Workshops zusammengeführt wurden. Vor allem in den einzelnen thematischen Workshops wurde für uns deutlich, dass die Aneignungen des Care-Begriffs und die damit verbundenen Forderungen sich ebenso heterogen zeigten, wie das Teilnehmer_innenfeld; geäußerte Forderungen bezogen sich jedoch vor allem auf Lohnarbeitsverhältnisse und engten die Gesamtperspektive somit stark ein:3 Alltägliche (Reproduktions-)Arbeiten wie Kochen, Kindererziehung, Putzen, Sex wurden weniger thematisiert. Stattdessen rückte insbesondere (entlohnte) Pflegearbeit in den Fokus. Die Diversität von Einzelpersonen, Gruppen und Initiativen stellte auch eine Bereicherung dar, wir haben verschiedene Positionen kennengelernt und neue Kontakte geknüpft. Gleichzeitig lassen sich die sozialen Differenzen zwischen den Beteiligten nicht einfach »wegbügeln«; die Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse, die alle unterschiedlich betreffen, wurden während der Konferenz und in der Resolution jedoch kaum explizit benannt. Dabei sind beispielsweise Rassismus, Sexismus und Ableism nicht gleichzusetzen, sondern unterliegen unterschiedlichen Mechanismen, die auch in politischen Handlungsstrategien und Forderungen reflektiert werden müssen. Aus unserer Perspektive ist es ebenso unerlässlich, (eigene) Privilegien zu thematisieren, damit diese nicht (unkritisch) reproduziert werden. Dazu gehört unserer Ansicht nach auch das Dilemma zwischen subalternen Positionen und Paternalismus. „Sorry, das ist keine Liebe, sondern Arbeit…!«

Zurück zu den Begriffen. Mit der Bezeichnung bestimmter Tätigkeiten als Reproduktionsarbeit respektive als Care-Arbeit verschiebt sich also die Perspektive der Kritik, ebenso wie die Be-/Aufwertung dieser Tätigkeiten. Tätigkeiten, die als Reproduktionsarbeiten bezeichnet werden, werden häufig nicht mit Vergnügen verrichtet und als lästig betrachtet, während Tätigkeiten, die als Care-Arbeit verstanden werden, im Kontext der Konferenz als positiv affirmiert wurden (Stichwort: »I love care«). Hierin scheint implizit die Annahme zu stecken, dass Lohnarbeit (und ihr Pendant) per se keinen Spaß machen kann, während umgekehrt Carework ein normativ positiver Charakter zukommt: impliziert wird, dass diese Tätigkeiten gerne und mit 16


emotional positiven Empfindungen verrichtet werden. Warenförmig organisierte Care-Arbeit wurde als »kühl«, jede privat geleistete als »gut / besser« dargestellt. Aber: aus der Warenform direkt kann nicht abgeleitet werden, wie sich die Subjekte in dem jeweiligen Verhältnis begegnen. Hier wird nochmal deutlich, dass sich die unter diesen beiden Begriffen verstandenen Tätigkeiten zwar überschneiden, aber nicht deckungsgleich sind. Die Affirmation von Care-Arbeit klingt an, wenn die Forderungen lauten: wir brauchen (nur) mehr Zeit, größere Anerkennung und bessere Arbeitsbedingungen und Bezahlung. Bei diesen Forderungen stehen zu bleiben, verkennt allerdings, dass damit die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung nicht automatisch aufgehoben oder der Verantwortungslast familialer Strukturen enthoben ist. Es scheint kaum möglich, eine Position einzunehmen, in der es weder moralisch verwerflich, noch ökonomisch begründbar wäre, sagen zu können: »I don’t care.« An einigen Stellen in der Resolution scheinen uns die Forderungen und Kritikpunkte in eine Richtung zu gehen, die nicht nur von einem Modell der bürgerlichen Kleinfamilie ausgehen, sondern dieses auch reproduzieren und normativ aufladen. Unseres Erachtens nach müssten jedoch Forderungen in den Bereichen der Tätigkeiten, die sowohl unter Reproduktionsarbeit als auch unter Care-Arbeit begriffen werden können, stärker in Richtung einer Kollektivierung (mit dem Ziel, kleinbürgerliche Familienstrukturen aufzubrechen) gehen. Dies ist elementar für eine queerfeministische Perspektive, die sowohl im Rahmen der Konferenz als auch in der Resolution nicht oder nur unzureichend repräsentiert war und ist. Diese stellt allerdings unser Ansicht nach einen zentralen Ausgangspunkt dar, um geschlechterspezifische Arbeits-/ Rollenzuweisungen zu überwinden, die eben nach wie vor (ob zu Zeiten der Reproduktions- oder aktuell während der aktuellen Care-Debatte) ein tiefgreifendes gesellschaftliches Problem darstellen. Ein weiteres wichtiges Spannungsverhältnis, das im Rahmen der Aktionskonferenz nicht näher thematisiert wurde, stellt auch die Positionierung zum »Staat« dar: während einige Gruppen die Auflösung staatlicher Strukturen favorisieren, erfolgt von anderen eine Anrufung des Sozialstaates. Wieder andere scheinen diese strukturierende Dimension in ihren Analysen und Forderungen ganz auszublenden. Gleichzeitig blieb die Kennzeichnung der eigenen Position und Sichtweise im globalen Kontext häufig unterbelichtet: von welcher Krise sprechen wir, für wen? 17


Nach der Konferenz ist vor der Konferenz oder: wie weiter?

Für uns haben sich in der Nachbereitung einige Fragen gestellt, die wir hiermit zur weiteren Diskussion stellen wollen: Zurück zu Reproduktionsarbeit oder »handle with care«? Wie gehen wir mit dem Begriff Care weiter um? Wir sehen die Gefahr, dass die Vergeschlechtlichung von Care-Arbeit quasi »weggebügelt« wird und weiter unsichtbar bleibt. Gleichzeitig wollen wir in der Debatte mitmischen und fühlen uns der Care-Bewegung assoziiert. Brauchen wir vielleicht einen neuen Begriff, da Reproduktionsarbeit zu begrenzt ist und Care in Bezug auf die dahinter liegende Gesellschaftsanalyse zu unscharf? Soll Politik in der ersten Person oder / und die Unterstützung lokaler Kämpfe unser Ziel sein? Was bedeutet Politik in der ersten Person eigentlich für uns? Anstatt paternalistischer Fürsprache(-Politik) wollen wir davon ausgehen, wie unsere alltäglichen Probleme und Erfahrungen mit Care- und Reproduktionsarbeiten aussehen – uns also aus den Verhältnissen nicht ausklammern, sondern in diesen mitdenken. Denn wir alle haben Care-Verpflichtungen, auch wenn diese unterschiedlich verteilt sind. Ein erster Schritt war für uns die Gründung eines Frankfurter AK Care, in dem Menschen aus verschiedenen Spektren – antifaschistisch, antikapitalistisch, antirassistisch und (queer)feministisch – und mit verschiedenen Care-Praxen und -Verpflichtungen zusammen kommen und sich miteinander austauschen / neue Möglichkeiten der Vernetzung ausloten. Falls du Lust bekommen hast, dich einzubringen und mit uns gemeinsam zu überlegen, wie eine politische Praxis zu diesem Thema (auch in Frankfurt am Main) aussehen kann, schreib uns an (carefrankfurt@lists.riseup.net) und komm zu einem unserer Treffen. Am 18.06.2014 diskutieren Mitglieder der Gruppe Kitchen Politics mit anderen Akteur*innen über… weitere Infos coming soon Treffen des Netzwerks Care Revolution zum Weiterdiskutieren, Planen, Aktivitäten austauschen… Freitag, 23.05.2014, 12–17 Uhr in Hannover. 18


Die Sternchen im Text kennzeichnen, dass es sich um Identitäten handelt, die unklare Ränder haben, nicht »natürlich« und nicht mit sich selbst identisch sind (in Anlehnung an Bini Adamczak und Margarita Tsomou). 1

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Wir setzen uns sowohl aus akademischer wie auch aktivistischer Sicht mit der Care-Debatte auseinander – über alle anderen (Selbst-)Positionierungen müssen wir noch diskutieren. Unsere Erwartungen und Eindrücke schildern wir hier aus einer Position heraus, in der wir uns fragen, wie Reproduktions- und Care-Arbeiten gesellschaftlich und in unserem eigenen Umfeld und unseren Lebensverhältnissen anders organisiert werden können. Kritipunkte waren unter anderem der Nicht-Einbezug der Forderung nach einem allgemeinen Grundeinkommen und die marginale Thematisierung der Arbeitsteilung als nach wie vor vergeschlechtlichter. Neben den insgesamt recht unscharfen Konturen des Care-Begriffs blieb im Rahmen der Konferenz ebenso offen, wie genau die Krise, in der sich soziale Reproduktion befindet, definiert wird, als auch, was in diesem Zusammenhang als »Revolution« gedacht werden kann.

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Zur Gr체ndungsgeschichte der Universit채t Frankfurt

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Im Oktober 2014 jährt sich die Gründung der Frankfurter Universität zum einhundertsten Mal. Erzählt wird zu diesem Anlass die Geschichte einer Universität, deren Gründung auf die Initiative von Bürgerinnen und Bürgern zurückgeht und die zu wesentlichen Teilen privat finanziert wurde. Die Studie »Mythos Bürgersinn« (Schardt 2014) versucht zu zeigen, dass das viel beschworene bürgerliche Moment der Universitätsgründung vor allem in einem bourgeoisen Sinn zum Ausdruck kam, nämlich als das partikulare Interessen des Industrie- und Handelskapitals. Institutionalisiert wurde dies in Frankfurt unter anderem durch eigenständige Fakultäten für Naturwissenschaften und Wirtschaftswissenschaften, die sich durch starke Berufsorientierung in der Lehre und enge Kooperation mit der Wirtschaft und in der Forschung auszeichneten. Wenn daher in aktuellen Selbstdarstellungen betont wird, die Universität sei zu ihren »bürgerlichen Wurzeln« zurückgekehrt, so hat das zweifelsfrei seine Richtigkeit. Ein wirkliches Bekenntnis zu dieser Geschichte geht den offiziellen Erzählungen allerdings ab, denn das historische Bürgertum erscheint hier regelmäßig im sozialen Kleid der Citoyens: Die Erzählung von Frankfurt als »Wiege der Sozialwissenschaft« ist allgegenwärtig, während von den tatsächlichen qualitativen Neuerungen, bspw. der Integration einer Handelshochschule und der Privatwirtschaftslehre in eine Universität, kaum gesprochen wird. Die Rede von Frankfurt als »Wiege der Betriebswirtschaft«, also der kalkulierten Investition in Bildung, passt nicht ins Bild der hochherzigen Opferbereitschaft der Spender_innen. In dieser klassentheoretischen Perspektive geht allerdings ein Aspekt der Gründung verloren, der durchaus Anlass zum Feiern geben kann: Der Großteil der privaten Stiftungen stammte von Jüdinnen und Juden, und entsprechend wurde in einem Satzungsparagraphen der Universität festgelegt, dass religiöse Zugehörigkeit keinen Ausschlussgrund bei Anstellungen oder Berufungen darstellen dürfe. Letzteres stellte ein klares Bekenntnis gegen den preußischen Antisemitismus dar, der sich unter anderem in einer Praxis äußerte, die der jüdischen Bevölkerung – entgegen der gesetzlichen Gleichstellung – den Zugang zu höheren Positionen in Justiz, Militär oder Verwaltung verwehrte. Dies galt weitestgehend auch für die Universitäten, und insofern bildeten der Paragraph und die hohe Stiftungsbeteiligung des jüdischen Bürgertums wichtige emanzipatorische Momente der Gründung. Auch in diesem Fall blendet die offizielle Geschichtsschreibung allerdings entscheidende Rahmenbedingungen aus. 21


Dies betrifft zum einen die Rolle des preußische Antisemitismus im Gründungsprozess: In den Darstellungen von Heilbrunn (1915), Wachsmuth (1929), Freudenthal  /  Heilbrunn (1929), Flesch-Thebesius (1964), Kluke (1972) und Hammerstein (1989) wird zwar immer wieder der »jüdisch-demokratische« Geist Frankfurts als Grund für die Ablehnung des Universitätsprojekts im preußischen Landtag genannt, von antisemitischen Motiven ist aber nicht die Rede. Eine Bemerkung des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens deutet dagegen stark in diese Richtung: So sei im Vorfeld der Gründung bei der Besetzung zweier Stellen in Frankfurt darauf hingewirkt worden, dass »vorzugsweise in Betracht kommende Kandidaten jüdischen Glaubens abgelehnt wurden, damit ja nicht ein verjudeter Lehrkörper der demnächstigen Universität bei der Regierung oder den Antisemiten im Landtage ein Grauen erwecke« (Spectator 1911: 476). Entsprechend könnte der Antisemitismus im Landtag eine Erklärung dafür liefern, weshalb die »fortschrittlichste und liberalste Universität« (Flesch-Thebesius 1964: 34) im Deutschen Reich nicht durch eine demokratische Entscheidung des Parlaments, sondern nur durch königliche Verfügung zustande kommen konnte. Die hohe Beteiligung jüdischer Stifter_innen sollte auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei dem zwischen Frankfurt und Preußen ausgehandelten Ergebnis um einen schlechten Kompromiss handelte. So hatte sich Frankfurt mit seiner Forderung, die Stifter_innen in Berufungsfragen mit umfassenden Mitsprachekompetenzen zu versehen, um antisemitisch motivierte Ausschlüsse zu verhindern, nicht durchsetzen können. Das Stiftungskuratorium erhielt kein formales Vetorecht, sondern lediglich die Möglichkeit, in Bezug auf Stiftungsprofessuren die Berufungsvorschläge der Fakultät zu kommentieren – die letztinstanzliche Entscheidungsbefugnis lag in jedem Fall beim preußischen Kultusministerium. Die Berufungsfrage bildete aber den Kern des Konflikts zwischen Frankfurt und Preußen, weil an diesem Punkt die antisemitische preußische Verwaltungspraxis wiederholt zum Tragen gekommen ist, insbesondere bezüglich der ordentlichen Ordinariate (vgl. Spectator 1911: 474ff.). Deshalb warnte die SPD, unterstützt durch prominente Wissenschaftler wie Max Weber oder Georg Simmel, eindringlich vor einer staatlichen Institutionalisierung. Dass die Frankfurter Berufungsvorschläge dennoch bedingungslos akzeptiert wurden – in der Literatur wird jedenfalls kein gegenteiliger Fall genannt –, ist nicht satzungsmäßigen Regelungen geschuldet, sondern vielmehr einem Konsens zwischen Stadt 22


und Staat. Preußen, oder vielmehr die Fraktionen innerhalb des preußischen Ministeriums, die an der Gründung maßgeblich beteiligt waren, hatten zum gegebenen Zeitpunkt gar kein Interesse daran, sich in Frankfurter Berufungsfragen einzumischen. Auch ein dritter Aspekt bleibt in diesem Zusammenhang regelmäßig unterbelichtet, nämlich die alte Frankfurter Forderung nach einer nichtstaatlichen, vom preußischen Reglement unabhängigen »freien Universität«. Eine solche wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer wieder laut und in den konkreten Verhandlungen um die Universitätsgründung schließlich vor allem von der Sozialdemokratie gefordert. Diese Option wäre zunächst mit dem Preis verbunden gewesen, auf bestimmte Privilegien – insbesondere das Promotions- und Habilitationsrecht – zu verzichten. Andererseits war das Habilitationsrecht bereits an der Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften für einige Studiengänge durchgesetzt worden und hätte sich durch entsprechende politische Initiativen auch auf weitere Felder ausdehnen lassen. Die Universität als preußisches Staatsprojekt war damit jedenfalls nicht alternativlos, und die Beispiele aus Köln und Hamburg, wo Universitätsgründungen nach 1919 erfolgten, zeigen, dass eine staatliche Institutionalisierung auch unter den günstigeren Bedingungen der Weimarer Republik möglich gewesen wäre. In den offiziellen Darstellungen zur Geschichte der Universität wird eine bruchlose Linie gezogen, die von der »Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften« über die Gründung 1914 bis Anfang der 1930er Jahre reicht. Der Nationalsozialismus bildet in dieser Perspektive den ersten historischen Bruch, bei dem sich der Staat des Bürgersinns bemächtigte. Dabei bleibt ausgeblendet, dass bereits 1919, nach dem Ersten Weltkrieg, ein entscheidender Einschnitt erfolgte. Mit dem ersten Lehrstuhl für Soziologie 1919, der Gründung der Akademie der Arbeit 1921 und dem Institut für Sozialforschung 1923 kamen Inhalte nach Frankfurt, die politische Herrschaft grundsätzlich in Frage stellten und die 1914 noch undenkbar gewesen wären: Mit Franz Oppenheimer kam ein bekennender Sozialist an die Fakultät für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, die bis dahin nur affirmative Volksund Betriebswirtschaftler beherbergte (und denen diese Berufung aufgezwungen werden musste); mit der AdA kamen Arbeiter_innen an eine Universität, die bis dahin nur Kaufleuten und höheren Beamt_innen vorbehalten blieb (was wiederum der Universität aufgezwungen wurde); und mit dem IfS kam schließlich eine Forschung, die sich nicht nur auf Karl Marx bezog, sondern 23


explizit gegen den positivistischen Utilitarismus stellte, wie er an der WiSo-Fakultät betrieben wurde. Obwohl alle drei Einrichtungen in Frankfurt zunächst Nischen geblieben sind, stellten sie doch Anlauf- und Ausgangspunkte für die Entwicklung einer kritischen Wissenschaft dar. Voraussetzung dafür war allerdings die Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg bzw. das darauf folgende »sozialdemokratische Klima«. Wie wenig dieses der preußisch-frankfurterischen Universität behagte und wie sehr der Frankfurter Bürgersinn der alten Ordnung verhaftet war, mag eine Anekdote zeigen: Das sozialdemokratisch dominierte Stadtparlament forderte unter anderem, das waffen- und coleurtragende Verbindungswesen zu verbieten; der Rektor der Frankfurter Universität, Heinrich Titze, berief sich in seiner Verteidigung auf die demokratische Meinungsfreiheit und stellte die Frage, ob »eine so weitgehende Einschränkung der persönlichen Freiheit dem Geist der deutschen Republik entspräche?« (zit. in Kluke 1972: 239) Paul Kluke, der diese Geschichte erzählt hat, bekundet in diesem Zusammenhang offen seine Sympathie für die Ausführungen des Rektors. Mit seinem Werk, das seit rund vierzig Jahren die Referenz zur Gründung der Universität darstellt, dürfte er wesentlich zur Bildung des Mythos beigetragen haben. Jürgen Schardt Literatur Heilbrunn, Ludwig (1915): Die Gründung der Universität Frankfurt, Frankfurt a.M. Flesch-Thebesius, Max (1964): Johann Wolfgang Goethe Universität Frankfurt am Main. Überblick über ihre Entstehung, ihre Entwicklung und vorgesehenen Planungen, Frankfurt a.M. Freudenthal, Berthold / Heilbrunn, Ludwig (1929): Franz Adickes als Universitätsgründer, in: Historische Kommission der Stadt Frankfurt am Main 1929, S. 403 – 454. Hammerstein, Notker (1989): Die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Von der Stiftungsuniversität zur staatlichen Hochschule, Bd. 1: 1914 bis 1950, Neuwied / Frankfurt a.M. Kluke, Paul (1972): Die Stiftungsuniversität Frankfurt am Main 1914 – 1932, Frankfurt a.M. Schardt, Jürgen (2014): Mythos Bürgersinn. Zur Gründungsgeschichte der Universität Frankfurt am Main, Hamburg. Spectator (1911): Die Frankfurter »Stiftungs-Universität« und die Gleichberechtigung der deutschen Juden, in: Im deutschen Reich. Zeitschrift des Centralvereins Deutscher Staatsbürger Jüdischen Glaubens, Jg. 17, Heft 9, S. 473 – 485. Wachsmuth, Richard (1929): Die Gründung der Universität Frankfurt, Frankfurt a.M.

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>>> >>> > >>> >>> Audiomitschnitte unserer Veran-

staltungsreihen »Nazis mor­ den…«

und »Die Rech­ te in Eu­ ro­ pa« findet

ihr auf unserem Blog: www.campusantifa.blogsport.de

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NSU: Auf der Suche na Begriff für einen poli Detlef zum Winkel

Ende letzten Jahres organisierten wir eine Veranstaltungsreihe unter dem Titel »Nazis morden, …« zum »Nationalsozialistischen Untergrund«. Einen Vortrag der Reihe hielt Detlef zum Winkel, in welchem er die Faschisierungsthese des Kommunistischen Bundes auf das Beispiel des NSU anwandte und auf ihre Aktualität überprüfte. Im Folgenden drucken wir den ersten Teil seines Vortragsmanuskripts ab, den ganzen Vortrag findet ihr auch auf unserem Blog als Audiodatei. www.campusantifa.blogsport.de

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ach dem richtigen itischen Tatbestand Kurz vor der Bundestagswahl schrieb Jan Fleischhauer eine Kolumne bei Spiegel-online über den grünen Spitzenkandidaten Jürgen Trittin. Dieser sei früher einmal Mitglied im Kommunistischen Bund gewesen, der »absonderlichsten« aller linksradikalen Splittergruppen. Der KB, häutfig auch KB Nord genannt wegen seiner Herkunft und seines Schwerpunkts in Hamburg, sei deswegen so absonderlich gewesen, weil er eine Faschisierung der deutschen Gesellschaft erwartet habe, während es doch in Wirklichkeit zu einer Grünisierung gekommen sei. Fleischhauer ignoriert die Ereignisse und Erkenntnisse der letzten zwei Jahre seit dem Auffliegen der Terrorgruppe NSU oder hat sie schon wieder vergessen. Unter denjenigen, die das nicht so leicht verdrängen wollen, taucht der absonderliche Begriff aber tatsächlich wieder auf, mal in Diskussionen, mal in einem Statement, mal beim individuellen Nachdenken. So mag es bei der campusantifa gewesen sein, und auch bei mir ist es so gewesen, als ich meinen ersten Text über den NSU für das Monatsmagazin »konkret« verfasste. Wir nannten es Faschisierung, dachte ich, denn auch ich war einmal im KB, das weiß ich jedenfalls, während ich eine Mitgliedschaft von Trittin keineswegs bezeugen kann. Deswegen soll ich heute über Faschisierung sprechen, über die Bedeutung, Anwendung, Implikationen, Untiefen des Begriffs und ein paar Argumente angeben, ob dieser Begriff heute nützlich sein kann, d.h. ob er etwas abbilden kann, was wir besser beschreiben möchten, als es durch die Worte Einäugigkeit, Staatsversagen, Rechtslastigkeit usw. geschieht. Das mache ich, mit einem Abstand von jetzt 30 bis 40 Jahren, gern, weil es mich ebenso beschäftigt, und bestimmt nicht nur aus historischen Gründen. Wie entstand der Begriff Faschisierung?

Aber mit ein bisschen Diskurs-Geschichte muss man schon beginnen. Der Begriff stammt ursprünglich aus dem Wortschatz der Kommunistischen Internationale, ohne daß ich wüsste, wer ihn als erster eingeführt hat. Angesichts der Machtergreifung von Mussolini in Italien 1922 und angesichts des Erstarkens der 27


NSDAP in der Weimarer Republik versuchten die Kommunisten das Phänomen des Faschismus zu ergründen, den sie – im Rahmen ihrer Klassentheorie – als Terrorherrschaft des Kapitals definierten. Schon die Definition verrät ihre Absicht, den Klassenfeind, das Kapital, nicht hinter die spektakulären neuen Bewegungen in Italien und Deutschland zurücktreten zu lassen. Natürlich durfte auch der Kampf gegen den Parlamentarismus, die andere, bürgerlich-demokratische Herrschaftsform des Kapitals, nicht vernachlässigt werden. Sonst hätte man sich, nach dem damaligen kommunistischen Selbstverständnis, zu sehr in die Nähe der Sozialdemokratie begeben. Andererseits war »Faschismus« die härteste Anschuldigung, die man gegen seine Gegner vorbringen konnte, die schärfste Waffe im verbalen Arsenal von Agitation und Propaganda. So kam es zu einer regelrechten Inflation des Begriffs: Neben dem Hitlerfaschismus geißelten die Kommunisten einen Nationalfaschismus, Klerikalfaschismus, Betriebsfaschismus, Staatsfaschismus und besonders immer wieder den Sozialfaschismus der SPD. Zwei aus heutiger Sicht groteske Höhepunkte möchte ich hierfür anführen: Vom KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann stammt der verhängnisvolle Satz, man dürfe »vor einigen nationalfaschistischen Bäumen nicht den sozialfaschistischen Wald übersehen«. Dies beschreibt die damalige Politik gegen den »Hauptfeind Sozialfaschismus«, also gegen die SPD. Willi Münzenberg, ZK-Mitglied der KPD, nannte sogar Trotzkis Forderung nach einer Blockbildung von KPD und SPD einen »faschistischen Vorschlag«. Für Thälmanns maßlosen Irrtum gibt es keine Entschuldigung, wohl aber die Erklärung, daß die Kommunisten tatsächlich unter vielen schonungslosen Repressionen durch sozialdemokratische Politik zu leiden hatten. Von Trotzki hatten sie gar nichts zu erleiden, aber er war eben von Stalin schon aus der Gemeinde verstoßen worden. Die Tragik ist, daß alle drei ermordet wurden: Ernst Thälmann 1944 im KZ Buchenwald, Willi Münzenberg 1940 in Südfrankreich auf der Flucht vor der Wehrmacht, Leo Trotzki 1940 in Mexiko durch einen von Stalin beauftragten Mörder. Zurück in die letzten Monate der Weimarer Republik. Den klügeren kommunistischen Theoretikern und ihrem intellektuellen Umfeld war natürlich aufgefallen, daß die sich überschlagende Anwendung des Faschismus-Begriffs auf alle möglichen negativen Phänomene widersinnig und kontraproduktiv war. Sie suchten nach einem zusammenfassenden Begriff, der die Entwicklung auf den Punkt bringen sollte und fanden: Faschisierung. Das 28


war eine andere und gewiss bessere Wortwahl, aber sie war auch ein bisschen feige. Der Sozialfaschismus-These, die von Stalin abgesegnet war, offen zu widersprechen, traute man sich nicht. Sie wurde erst revidiert, als es schon zu spät war. Heute sind sich Sozialdemokraten und Kommunisten wenigstens darin einig, daß es ein fundamentaler Fehler beider Arbeiterparteien war, sich hauptsächlich untereinander zu bekämpfen statt den gemeinsamen Feind NSDAP. Damit haben sie selbstverständlich recht. Die Einigkeit in diesem Punkt ist freilich so ostentativ, daß man befürchten muss, sie würden, wenn es darauf ankäme, den gleichen Fehler noch einmal begehen. Denn das ganze Ausmaß der Irrtümer ist damit noch nicht erfasst. Deshalb möchte ich an dieser Stelle eine aufschlußreiche Episode aus dem Sommer 1932 berichten. Kurz vor der Reichtagswahl am 31. Juli hatten immer mehr Menschen die Bedrohung durch die NSDAP realisiert. Verschiedene Initiativen forderten ein Zusammengehen der Antifaschisten, ein Bündnis, einen Block. Am 17. Juni 1932 wandten sich Albert Einstein, Käthe Kollwitz und Heinrich Mann mit einem Berliner Aufruf an die Parteivorsitzenden Otto Wels und Ernst Thälmann sowie an den Gewerkschaftsvorsitzenden Theodor Leipart: Die beiden großen Arbeiterparteien sollten gemeinsame Wahllisten bilden, weil »wir einer entsetzlichen Gefahr der Faschisierung entgegengehen«. Ein paar Tage danach erschien der Brief als »dringender Appell« mit 30 weiteren prominenten Unterschriften in leicht abgewandelter Form: Nun fehlte das Wort von der Faschisierung. Warum eigentlich? Leider hat man bisher keine Unterlagen über die Resonanz auf die Initiative von Einstein, Kollwitz und Mann gefunden, sodass wir versuchen müssen, die Denkweise der damaligen Linken zu rekonstruieren. In jenen Wochen steuerte die Krise auf einen dramatischen Höhepunkt zu. Massenarbeitslosigkeit, Inflation, soziales Elend, Mobilisierung der mittellosen Menschen in den Großstädten, Streiks, Demonstrationen, allgemeine Politisierung, Regierungsunfähigkeit der bürgerlichen Parteien, Erschütterung der Institutionen. Für die Kommunisten waren alle Anzeichen einer revolutionären Situation vorhanden. Der Kapitalismus schien am Ende zu sein, in Deutschland wie auch in anderen europäischen Ländern. Dafür fand man die Standardformel, das Kapital sei nicht mehr in der Lage, mit seinen traditionellen Mitteln zu herrschen, und die Arbeiterklasse sei noch nicht in der Lage, die Macht zu ergreifen. Die Revolution war doch im Vormarsch, oder? Wer aber von einer Faschisierung sprach und von einer entsetzlichen Gefahr, der ging nicht von 29


einer revolutionären Situation aus, sondern – in der gleichen Terminologie – von einer konterrevolutionären Situation. Um diesen Konflikt auszuklammern, fand man in jener zweiten Fassung des Berliner Appells andere Formulierungen. Diese Sichtweise behielt die Komintern noch 1935 bei, als sie den Fehler der Sozialfaschismus-Theorie amtlich korrigierte. Die deutschen Arbeiterorganisationen waren bereits seit zwei Jahren verboten, ihre Funktionäre saßen vielfach im Zuchthaus oder im KZ, organisatorische Strukturen gab es praktisch nur noch im Exil. Da die Revolution offensichtlich nicht im Vormarsch war, sprachen die Kommunisten gern von einer »objektiv« revolutionären Situation. Die mühsame Wortkonstruktion verrät, daß die alten Gewissheiten nicht mehr mit der Realität übereinstimmten, aber man hielt an ihnen fest. Diese Krisentheorie trägt daher oft den Namen des damaligen Vorsitzenden der Komintern, Georgi Dimitrow. Es ist heute nicht unser Thema, aber erwähnen möchte ich es trotzdem: Ohne die Dimitrowsche Krisentheorie kann man den Hitler-Stalin-Pakt, den die Sowjetunion vier Jahre später mit den Nazis schloß, nicht wirklich verstehen. Den sozialfaschistischen Wald hatten die Kommunisten als Irrtum erkannt. Aber man blieb immer noch bei der Annahme, daß es sich beim Faschismus nur um ein paar Bäume handeln würde. Daß der deutsche Nationalsozialismus noch ganz andere Dimensionen erreichen würde als alles, was vom italienischen Faschismis bis dahin bekannt war, ahnten zu Beginn der dreißiger Jahre nur ganz wenige Menschen, und die besaßen keine politische Plattform. Was soll Faschisierung beschreiben?

Aus dieser Entstehungsgeschichte können wir nun festhalten, was der Begriff Faschisierung ausdrücken soll oder kann. Erstens: Faschismus kommt nicht über Nacht. Er hat eine Vorgeschichte. Faschisierung soll die vorangehenden Prozesse charakterisieren. Zweitens: Faschismus ereignet sich nicht zufällig und unerklärlich, nicht wie eine Verkettung unglücklicher Zufälle, die zur Katastrophe führen. Sondern die vorangehenden gesellschaftlichen Prozesse haben – bei allem dialektischen Hin und Her – eine erkennbare Richtung. In diesen Prozessen gibt es Akteure, die planvoll handeln und Absichten verfolgen. Die Akteure und ihre Interessen sind vonaneinander unterschieden, Nationalso30


zialisten, Freicorps, revanchistische Militärs, reaktionäre Christen, Rassisten aller Schattierungen, fanatische Nationalisten, Kriegsindustrie, expansionswütige, räuberische Unternehmer. Gemeinsam ist ihnen, daß sie die Gesamtrichtung verstärken und ihren Teil dazu beitragen. Drittens: die unterschiedlichen Prozesse auf verschiedenen Ebenen der Gesellschaft, die unter dem Oberbegriff Faschisierung zusammengefasst werden sollen, entwickeln eine typische und identifizierbare Dynamik. Dazu gehört ·· das Vorhandensein eines weitverzweigten, virulenten, mobilisierbaren rechtsradikalen Lagers ·· die Herausbildung eines starken führenden Kerns in diesem Lager, meist verbunden mit einer charismatischen Führerfigur ·· ein anhaltender Aufschwung für diesen faschistischen Kern, deutlich erkennbar vor achtzig Jahren in Deutschland oder vor neunzig Jahren in Italien ·· eine allgemeine politische Rechtsentwicklung, insbesondere der staatlichen Institutionen von Polizei, Justiz, Geheimdiensten und Militär: Polizeistaat statt Rechtsstaat. Der Polizeistaat stellt sich nicht den rechtsradikalen Revolten entgegen, sondern er verbündet sich mit ihnen. ·· Allgemeine Sympathie und konkrete Unterstützung für die Faschisten durch bürgerliche Kreise: Zuwendungen von Unternehmen, Fürsprache von konservativen Intellektuellen, in Schulen, Hochschulen, Kirchen, Vereinen ·· Unterschätzung oder Verharmlosung der Faschisten durch die Opposition. Die Opposition verhält sich, als ob sie hypnotisiert wäre oder, wenn man so will: fasziniert. Viertens: Ich habe es bisher nicht erwähnt, weil ich mich bemüht habe, daß wir uns in die Denkweise der Weimarer Linken zurückversetzen, aber spätestens an dieser Stelle müssen wir uns vergegenwärtigen: Wo immer, hunderttausendfach im Kleinen und im Großen, das Geschehen stattfand, in dem sich der Nationalsozialismus formierte und ankündigte, auf der Straße, in der Kneipe, im Büro, im Salon, in der Kaserne, im Bauernhof, auf dem Markt, in der Kirche, im Klassenzimmer und im Hörsaal, im kleinsten Kreis und auf großen Massenversammlungen, am Küchentisch und im Stadion – dann wurde dort auch über Juden gesprochen. Der Antisemitismus war das einigende Band all dieser ansonsten unterschiedlich motivierten Stimmungen und Ausbrüche. Daher ist eine Eskalation des Antisemitismus das Alarmsignal, das uns jedes Mal vor die Frage stellt: findet eine Faschisierung statt? Diese Frage müssen wir in einem Land, das sechs Millionen Juden umgebracht hat, heute fast schon reflexartig stellen. 31


Dabei gibt es auch keine Ausnahmen. Herr Fleischhauer findet es natürlich absonderlich, aber wir stellen sie auch dann, wenn sein Spiegel-online Kollege Augstein, übrigens ja auch Mitbesitzer des Spiegel-Verlags, wieder einmal die Ressentiments gegen Israel entfacht. Als Antifaschist darf man sich nicht dreimal bitten lassen hinzuhören, wenn das Simon Wiesenthal Center auf antisemitische Äußerungen aus Deutschland hinweist. Im Unterschied dazu wusste die Weimarer Linke noch nicht, wie das, was sie als Faschismus bezeichnete, enden würde. Und trotzdem: Die Aufgabe der Kritik ist es zu kritisieren, und nicht Entschuldigungen vorzubringen. Angesichts der Jahrhunderte alten Geschichte von Diskriminierung, Ghettoisierung und Progromen gegen die Juden haben die KPD und die Weimarer Linke mit ganz wenigen Ausnahmen den Antisemitismus ihrer Zeit ignoriert. Wenn diese politischen, sozialen, sozialpsychologischen und ideologischen Prozesse sich die Bälle zuspielen, d.h. ineinandergreifen und eine Dynamik entwickeln, in der jede einzelne dieser Entwicklungen jede andere verstärkt und beschleunigt, dann meine ich, daß Faschisierung eine treffende Beschreibung des Geschehens liefert, weil der Begriff den Prozesscharakter, die Dynamik, die Intentionalität bei gleichzeitiger Irrationalität anspricht und die Gefahren angemessen dramatisiert. Und dann kommt es, das liegt auf der Hand, darauf an, die Analyse nicht erst anzustellen, wenn es zu spät ist. 1932 war es zu spät, die Faschisierung zu erkennen, es hätte schon fünf Jahre vorher geschehen müssen. Es kommt also darauf an, eine sich anbahnende oder schleichende Faschisierung rechtzeitig zu erkennen, deren Erscheinungen noch nicht spektakulär und unübersehbar zu Tage treten, aber trotzdem schon alle genannten Kriterien erfüllen. Die 70er Jahre: Droht ein neuer Faschismus?

Bis hierhin habe ich im Großen und Ganzen und sicher wohlmeinend das gedankliche Gebäude referiert, mit dem sich Linke vierzig Jahre später anschickten, eine Renaissance des Kommunismus – und zwar eines nicht von der Sowjetunion abhängigen Kommunismus – zu versuchen und mit dem sie eine neue Faschisierungsthese formulierten, obwohl es in diesen Jahren eine sozialliberale Bonner Regierung gab. Machen wir also einen großen Sprung und kommen wir zum KB. Diese Gruppe war wie die anderen damaligen K-Gruppen auch sektiererisch, dogma32


tisch, hatte ein simples Weltbild, ein veraltetes Gesellschaftsmodell, war halb maoistisch, halb stalinistisch, halb trotzkistisch und besaß das typische Defizit an innerorganisatorischer Demokratie und Kritikfähigkeit. Gleichwohl war der KB neben dem Münchner Arbeiterbund die einzige dieser Gruppen, die Anfang der siebziger Jahre fragte: »Droht ein neuer Faschismus?« War das absonderlich? Wenn man einen neuen Versuch mit einer Sache unternimmt, dann sollte man an der Stelle, wo der letzte Versuch gescheitert ist, einigermaßen sensibilisiert sein. Merkwürdig und verwunderlich ist umgekehrt, daß außer der VVN, der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes, so gut wie niemand diese Frage legitim oder gar selbstverständlich fand. Stattdessen wurde schon das bloße Fragen als verwerflich empfunden. Es ging noch um ein bisschen mehr. Ohne es groß auszubreiten, glaubten wir damals nicht daran, daß die geschlagene und ihrer Kader beraubte deutsche Arbeiterbewegung ein Leuchtturm der Weltrevolution werden würde. Wenn wir überhaupt eine Revolution in Europa erleben würden, dann vielleicht in Frankreich oder in Südeuropa. Unsere Aufgabe wäre dann zu verhindern, dass Deutschland interveniert und den europäischen Revolutionären in den Rücken fällt (übrigens gab es bei der Nelkenrevolution in Portugal 1975 gerade diese Konstellation). Ganz sicher sei es aber an den deutschen Revolutionären, ihre Niederlage im Nationalsozialismus aufzuarbeiten, die gemachten Fehler zu erkennen und diese Erkenntnisse im In- und Ausland weiterzugeben. Der KB fächerte also die Frage auf: Ist ein neuer Faschismus – in veränderten Formen, mit anderen Führern, irgendwo auf der Welt, aber mit letztlich gleichen Inhalten – grundsätzlich vorstellbar? Ist er auch in Deutschland vorstellbar oder nur in Nationen, wo man nicht die Erfahrung dieser Katastrophe gemacht hat? Handelt es sich hierbei um eine allgemeine, geschichtsphilosophische Fragestellung oder gibt es konkrete Anzeichen einer neuen Gefahr? Jede dieser Fragen wurde mit Ja beantwortet. Aus der positiven Beantwortung der dritten Frage ergab sich eine politische Orientierung: »Gegen die schrittweise Faschisierung von Staat und Gesellschaft!« Sie sonderte den KB von allen anderen K-Gruppen ab und gab ihn teilweise ihrem Spott preis, vom dem Jan Fleischhauer nur einen schwachen Widerschein liefert. Damit macht man sich keine Freunde. Die wollen ja gar nicht die Revolution, sagten die anderen K-Gruppen, und das sollen Kommunisten sein?! Fortsetzung folgt. 33


Antifaschismus und rechtsradikale Be足 wegungen in Italien GruSSwort des colletivo militant aus Rom

s 34


Wenn wir über aktuelle Erscheinungen des Faschismus reden, müssen wir zunächst die Wurzeln dieser rechtsradikalen Gruppierungen betrachten, um unsere damit verbundene antifaschistische Gegenstrategie weiter erläutern zu können. Es ist uns wichtig hervorzuheben, dass es nach dem Fall des faschistischen Regimes in Italien 1945 und der Befreiung, die durch die Partisan*innen erkämpft wurde, dennoch keinen Bruch der politischen und oberen sozialen Klassen mit der Mussolini-Ära gegeben hat. In den Folgejahren gelang es vielen der ehemals Mächtigen aus der Zeit des Faschismus ihre Macht zu erhalten und sie im postfaschistischen Staat zu konsolidieren, sich machtvolle Positionen in ihm zu sichern, ihre Vergangenheit zu verschleiern und ihre Duldung durch Institutionen, Polizeistaat und Bourgeoisie aufrecht zu erhalten. Diesen Prozess nennen wir die Kontinuität des Staates. Dessen Konsequenzen wurden zum ersten Mal in den 1970ern und 80ern direkt spürbar. In diesen Jahren wurde die »Strategie der Spannung« vom Staat aus initiiert und von faschistischen Gruppierungen umgesetzt. Dies hatte viele Sprengstoffanschläge zur Folge, mit dem Ziel Angst vor dem Terror in der Bevölkerung zu sähen und die demokratischen Verhältnisse zu destabilisieren, um extreme Maßnahmen des Staates zu rechtfertigen, wie die Etablierung einer Militärdiktatur. Heutzutage ist es eindeutig, dass diese Kontinuität des Staates noch immer herrscht. In den Reihen der rechten Politiker*­innen, auch wenn diese in verschiedenen Gruppen oder Strömungen zersplittert sind, sehen wir das direkte Erbe des Faschismus. Dazu kommt die Zunahme der systematischen Tendenz zum Geschichtsrevisionismus, der im Besonderen gegen die Partisan*innen und den italienischen Widerstand gerichtet ist und verstärkt versucht rechte und linke Ideologie gleichzusetzen. Diese Tendenz erfährt beständig Unterstützung in den Medien und dadurch wird eine stets größere Legitimität für faschistische Gruppen und deren Gesinnungsgenoss*innen auf der politischen Bühne zu existieren und zu handeln geschaffen. Diese Voraussetzung im Hinterkopf behaltend, konnten wir in den letzten zehn Jahren in Italien ein Erstarken der rechtsradikalen Bewegungen und einen neuen Trend innerhalb der faschistischen Ideologie verzeichnen. Neben den »traditionellen«, nationalistischen, rassistischen und homophoben faschistischen Gruppierungen wie Forza Nuova oder La Destra, die mit der British National Party oder dem französischen Front National vergleichbar und verbunden sind, wuchs seit 2003 eine neue 35


Organisation heran, die sich einen Platz in der extremen Rechten verschafft: CasaPound, die »Faschisten des dritten Jahrtausends«, wie sie sich gerne selbst bezeichnen. Die Besonderheit CasaPounds besteht darin, moderne Elemente mit dem klassischen Katalog faschistischer Ideologie zu verbinden. Auch wenn dies zu Widersprüchen führt, durchkreuzen sie das politische Feld von rechts nach links und präsentieren sich selbst als »wahre Alternative«. Sie sagen sie seien »Rebellen«, revolutionär, anti-​ institutionell, gegen Banker und europäische Institutionen, antirassistisch, engagiert in sozialer Arbeit und Garanten der Familienwerte und des Vaterlandes. Zeitgleich unterstützen sie mit ihren Kandidaten Berlusconis Partei PDL, kassieren Jobs und mehrere hunderttausend Euro von Politiker*innen, sind bereit verschiedene Parteien für verschiedene Interessen zu unterstützen, rennen zur Polizei wenn sie von Antifaschist*innen angegriffen wurden und schlagen Homosexuelle und Migrant*innen auf den Straßen zusammen und schrecken sogar vor Mord nicht zurück. Abgesehen von ihrer faschistischen Ideologie und Praxis, gibt es zwei Merkmale, die sie von anderen Gruppen des rechten Spektrums deutlich unterscheiden und sie gefährlicher macht als die üblichen Verdächtigen. Zuerst wäre dort deren Politik als eine der »sozialen Rechten«, mit der sie ihre faschistische Fratze verbergen und sogar aus der linken Tradition stammende Slogans und Thematiken aufgreifen, um ihren Marktwert als politischer Partner zu steigern. Ein Beispiel ihrer Sozialpolitik ist ihre Kampagne für Sozialkredite und für das Recht, ein eigenes Haus zu besitzen, wobei beides selbstverständlich nur für Italiener*innen gelten sollte. Weiter bieten sie Nachmittagsunterricht für Kinder an, führen Aktionen zur Müllbeseitigung durch, betreiben Sportclubs, insbesondere für Kinder und Jugendliche und engagierten sich in der Hilfe für die Betroffenen von Erdbeben, indem sie Camps für diese errichteten. Es ist augenscheinlich, wie CasaPound mit dieser Strategie versucht Erfahrungen und Praxis der Linken zu replizieren und auch deren Symbole, politische und kulturelle Referenzen verwendet. So zum Beispiel Che Guevara, Bobby Sands und kürzlich erst Fabrizio de Andrè, einen beliebten anarchistischen Songwriter aus Italien. 36


Weit entfernt vom traditionellen faschistischen Stolz und dem politischen Ansatz, und deshalb oft von anderen Faschist*innen gehasst, hat CasaPound auf diese Art ein »neues Modell des Faschismus« geschaffen, das bereinigt und auf die Moderne der Gegenwart zugeschnitten ist und selbst schon beginnt sich in anderen Ländern zu manifestieren, wie es beispielsweise der Bloc Identitaire in Frankreich zeigt. Von unserer Seite aus war dieses Modell am Anfang schwierig zu erkennen und wurde manches Mal unterbewertet, was dazu führte, dass Antifaschist*innen nicht sofort die reale Bedrohung verstanden und somit keine schnelle und starke Antwort formulieren konnten. Als die Situation klarer wurde, wurden linke Bewegungen aktiv und reagierten auf CasaPound, indem sie zunächst ihre Strategie und Ideologie analysierten, um daraufhin eine kulturelle und politische Arbeit aufzubauen, die darauf abzielt den Menschen zu zeigen, dass hinter dem ungewöhnlichen Verhalten und den freundlichen Gesichtern der CasaPound der Faschismus seine Zähne fletscht. Ein weiterer Aspekt ihres »Models« ist, und damit kommen wir zum zweiten relevanten Punkt ihres »neuen Faschismus«, dass sie tatsächlich eine aktuelle Mode repräsentieren. Sie locken meist Jugendliche insbesondere aus rechtskonservativen, besser situierten Familien an, und involvieren diese in vielerlei Hinsicht, über Konzerte und Sportangebote und besonders in der Schule, wo sie verstärkt auftreten und ihre verwirrenden Ideen von Rebellion, Körperkraft, »Generationensolidarität« und anti-​ linker Hetze verbreiten. In Rom beispielsweise, das schon immer eine Art Labor für rechte Bewegungen war, wurden dieses Jahr etwa 40 Mitglieder des Blocco Studentesco, der Jugend-​und Schulorganisation von CasaPound, als Repräsentant*innen in Schulen gewählt und organisierten teilweise Demonstrationen oder andere öffentlichkeitswirksame Aktionen. Ihre Zahl bei diesen Events blieb aber meistens gering und beschränkte sich auf den harten Kern, und dies ist eben zum Großteil der antifaschistischen Gegenaktionen zu verdanken. So versuchte der Blocco Studentesco in der Vergangenheit wiederholt studentische Gremien gegen Schul-​und Universitätsreformen zu unterlaufen, indem er mit unpolitischen Sprüchen wie »weder rot noch schwarz, sondern Meinungsfreiheit« auftrat, um in diesem linkspolitisch dominierten Sektor Fuß zu 37


fassen. Aber von antifaschistischer Seite wurde dieser Versuch sofort erkannt und der Blocco aus der Bewegung gedrängt. So wurden diese Faschist*innen auch 2008 aus einer Demo in Rom gejagt, nachdem es zu handfesten Auseinandersetzungen mit ihnen kam, wobei sie sogar von der Polizei verteidigt werden mussten. Dies war ein deutliches Signal, dass Antifaschist*innen bereit sind, jede Form von Widerstand gegen die Infiltrationsversuche der neuen Faschist*innen zu setzen. Von diesem Moment an wurde eine starke kulturelle und Kommunikationsarbeit von Antifas aufgebaut, um den Leuten, insbesondere an Unis und Schulen, klar zu machen, wer Blocco Studentesco und CasaPound sind und aus welchem politischen Hintergrund sie entstanden. So mussten sie ihre Strategie der Infiltration aufgeben und seitdem sehen wir sie auch nicht mehr auf unseren Demos. Darüber hinaus haben sich viele Studierendeninitiativen in diesem Kontext öffentlich von jedwedem Rassismus und Faschismus distanziert. Im Allgemeinen konnte CasaPound in den Jahren von 2003 bis 2008 einen graduellen Aufstieg in Schulen, Unis, Stadien, und Gewerkschaften parallel zur Zunahme militanter Aktionen verzeichnen. Zeitgleich besetzten sie Gebäude und Plätze, wohlwollend und auch direkt politisch und finanziell unterstützt von rechten Politiker*innen und Institutionen, weshalb sie auch nur selten geräumt wurden. Ein Versuch von ihnen im Jahre 2009 ein Gebäude in der historischen Innenstadt von Neapel zu besetzen wurde besonders bekannt. Denn in diesem Fall war die antifaschistische Antwort sehr effizient. Nach einer Periode harter Arbeit, in der versucht wurde die Nachbarschaft und die Stadt darauf aufmerksam zu machen, was dort passiert und um einen Konsens gegen die Faschist*innen zu erarbeiten, haben Antifaschist*innen aus den verschiedensten Lagern viele Demonstrationen, Veranstaltungen und direkte Aktionen organisiert um die Faschist*innen zu verjagen. Nach einem Monat war das Haus aber immer noch von ihnen besetzt, weshalb die Antifas sich dazu entschieden die Situation zu zuspitzen, in dem sie ihrerseits ein nahe gelegenes Haus besetzten und damit ein Problem für die öffentliche Ordnung schafften. Nach einer Zeit wiederholter Auseinandersetzungen und Unruhen sah sich die Polizei gezwungen einzugreifen und räumte beide Häuser und verfolgte Faschist*innen und Antifas. Aber dies störte die Antifas kaum, solange CasaPound aus der Stadt getrieben war! Wenn es auch wichtig ist im Kopf zu behalten, wie gefährlich CasaPound ist und ebenso die Pflicht, die Antfaschist*innen 38


haben, diese in Zaum zu halten, müssen wir sagen, dass diese Jahre der Ausdehnung die Widersprüche, mit denen ihr politisches Modell übersättigt ist, begonnen haben, unweigerlich den Niedergang dieser Bewegung einzuläuten. Dies wird besonders in Rom deutlich, wo ihre Besetzungen in den letzten Jahren aufhörten und nun nur noch einige wenige Besetzungen von ihnen Bestand haben, aus denen heraus sie nicht in der Lage sind, eine kontinuierliche Sozialarbeit oder Verdichtung ihrer Ideologie in der Nachbarschaft zu etablieren. Vielmehr werden sie von den Anwohner*innen als etwas Abgeschottetes wahrgenommen und argwöhnisch beäugt oder sogar offen gehasst. Auch in den Schulen und Universitäten sind sie nur noch in den Bereichen vertreten, die traditionell mit rechten Kreisen und Nachbarschaften verbunden sind. So bleiben sie unfähig aus ihrem eigenen Biotop auszubrechen und eine relevante politische Strategie zu entwickeln. Darüber hinaus, als wäre es in seiner Tragik vorhersehbar gewesen, wurde nach Angriffen, Auseinandersetzungen und dem Mord an zwei Immigranten durch ein CasaPound Mitglied in Florenz, die »netten Leute« in der öffentlichen Meinung, von Medien und Politiker*innen neu bewertet und auf einmal als das gesehen, was sie waren; als gefährliche faschistische Verbrecher. Ebenso begann ihre Strategie der Tarnung nach Innen hin die militanten Mitglieder zu verärgern, so zum Beispiel als Iannone und andere CasaPound Bosse verlautbaren wollten, dass der Mörder der Immigranten (der sich nach der Tat selbst erschoss) kein Mitglied von CasaPound und obendrein verrückt gewesen sei. Als sie sich dann auch noch selbst als antirassistisch eingestellt bezeichneten, begehrten viele Mitglieder auf und forderten ein Eingeständnis zu ihrer Ideologie ein. Ein wichtiger Aspekt ist, dass während im restlichen Europa Neofaschismus und Nazismus parallel zur ökonomischen Krise bedeutungsvoll zunehmen, was mehr und mehr zu einem Problem für unsere Genoss*innen und revolutionäre Kräfte wird, wie es in Griechenland der Fall ist, können wir in Italien nicht sagen in einer alarmierenden Situation oder in direkter Bedrohung eines sich ausbreitenden Faschismus zu sein. Wenn wir Chrisi Avgi oder andere Rechtsaußen-Parteien in Europa betrachten, sehen wir zunehmende Wahlerfolge und Verankerungen in den sozial schwächeren Vierteln nach der Krise, während in Italien CasaPound und Forza Nuova kontinuierlich niedrige Wahlergebnisse einfahren und nicht in der Lage sind, sich in lokalen Communities zu binden, egal welche Partei oder welche Politiker*in sie sich entscheiden zu unterstützen oder welche Kontakte ihre Mitglieder spielen lassen. In den letzten zehn Jahren zeigten sie 39


zu vielen Gelegenheiten das Kaliber ihrer Gönner*innen, meist reiche und machtvolle Faschisten der alten Parteien, wie der ehemalige Bürgermeister von Rom, Alemanno, der ihnen Geld, Häuser (darunter das bekannteste CasaPound-Haus in Rom) und Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor zuschanzte, und im Gegenzug Unterstützung erhielt und gute Wachhunde in Position bringen konnte, sollte er sie einmal brauchen. Unglücklicherweise ist es für sie momentan jedoch so, dass sie als Wachhunde noch nicht gebraucht werden und generell die Faschist*innen in ihrer Rolle als Diener*innen der herrschenden Klasse nicht benötigt werden, da der soziale Konflikt in Italien aktuell auf niedrigem Niveau verharrt und die Differenzen der politischen Klasse und der Bourgeoisie weit davon entfernt sind, überwunden zu werden. Soweit und kurz zusammengefasst ist dies unsere Analyse des Kontexts, in dem faschistische und antifaschistische Bewegungen aktuell agieren und, ohne zu bagatellisieren oder zu optimistisch zu sein, sieht so der Rahmen aus, von dem aus unsere Theorie und Praxis weiterschreitet und sich fortentwickelt. Insbesondere seit 2003, als CasaPound anfing aufzusteigen, wurde viel Arbeit von antifaschistischen Gruppen in die Analyse der neofaschistischen Strategie gesteckt und verschiedene widerständige Praxen als Antwort darauf getestet, um ihre Expansion aufzuhalten und ihnen den Boden im politischen und sozialen Umfeld zu entziehen. Wenn wir es ernst nehmen, dass Antifa sein auch bedeutet antikapitalistisch zu sein, und der Kampf gegen den Faschismus eingebettet ist in den umfassenderen Klassenkampf gegen den Kapitalismus, müsste aus unserer Erfahrung heraus Antifaschismus auf drei verschiedenen und komplementären Ebenen artikuliert werden: der militanten, der sozialen und der politisch / kulturellen. Die erste Ebene, die militante, ist mit den direkten Aktionen verbunden, die notwendig sind, um den Faschist*innen ihren Bewegungsraum und ihre Bewegungsfreiheit zu nehmen. Sie dürfen niemals einfach so in den Straßen umhergehen, mit Freund*innen ausgehen, Flugblätter verteilen, auf Demos gehen oder einfach faschistische Klamotten tragen, ohne die Möglichkeit auf Antifas zu treffen, irgendwo heraus geworfen zu werden oder Schläge zu kassieren. Sie müssen das Gefühl haben als Faschist*innen niemals sicher zu sein und besonders jüngere Mitglieder müssen spüren, dass 40


es nicht cool ist dabei zu sein und es sich nicht lohnt dabeizubleiben. In problematischeren Städten wie Rom, in denen es »schwarze«, also faschistische, Viertel gibt, oder Viertel in denen viele Faschist*innen präsent sind, müssen diese in ihre Strukturen verbannt werden, mit dem Hintergedanken, dass eines Tages Antifas kommen und sie daraus vertreiben. Die zweite Ebene, die soziale, wird durch eine kontinuierliche Präsenz und politische Aktivität in den Vierteln und den Straßen erreicht, um mit den Menschen in Kontakt zu kommen und mit den Gegebenheiten der Stadt vertraut zu werden. Auf jeden Fall ist es notwendig in der Tagespolitik politische und soziale Zusammenhänge aufzubauen und die Idee des Klassenkampfes gegen das kapitalistische System und seine Widersprüche, die sich in der Ausbeutung von Arbeitskraft, Zerstörung der sozialen Absicherung und Verschärfung der sozialen und politischen Repression artikulieren, voran zu treiben. Zeitgleich werden durch diese Praxis die Faschist*innen aus unseren Vierteln getrieben und dies ermöglicht es Antifaschist*innen mit den Leuten darüber zu reden, was Faschist*innen und Neo-​ Faschist*innen wirklich sind und ihren rassistischen und reaktionären Geist zu entlarven. Die dritte und letzte Ebene, die kulturelle und politische, ist essentiell, um den vorangegangenen Ebenen Inhalt und Substanz zu verleihen und kontinuierlich unsere Ideologie und Vorstellungen im Kontrast zur faschistischen und momentan herrschenden zu entwickeln und zu verbreiten. In diesem Sinne ist es wichtig zunächst Nachforschungen über CasaPound oder die Ideologie anderer faschistischer Gruppen anzustellen, deren Politik und Duldung durch den Staat und die Polizei aufzudecken, um dann mit Hilfe dieser Informationen ihr wahres Gesicht und ihre Widersprüche zu enthüllen, auch in Abgrenzung zu linker Theorie und Praxis. Zweitens ist es wichtig Kampagnen gegen den Geschichtsrevisionismus durchzuführen, um der Gleichsetzung von rechten und linken Strömungen entgegenzuwirken und die Faschist*innen auch von einem historischen Standpunkt aus angreifen zu können und den Versuch der rechten Parteien zu stoppen über die Gleichsetzung von Partisan*innen und Faschist*innen letztere zu legitimieren. Letztlich bleibt der Aspekt linke Kultur und Subkultur zu verbreiten und zu stärken über Bücher, Broschüren, Musik, Filme und was auch immer Leute und hauptsächlich junge Leute dazu 41


bringt zu merken, dass Antifa sein um Welten besser und cooler ist als ein Fascho zu sein. Unserer Meinung nach können diese drei Ebenen nicht voneinander getrennt existieren und müssen dementsprechend miteinander einhergehen und verwoben werden, auch um effizient gegen faschistische Bewegungen vorgehen zu können. Es bleibt zu sagen, dass diese Strategie von allen antifaschistischen Kräften gemeinsam und kontinuierlich ausgeführt werden muss, und vermieden werden sollte eine Kluft in der Front entstehen zu lassen, die sie in den Augen der Faschist*innen und des Staates schwächen würde. Wir wollen euch für die Gelegenheit danken unsere Erfahrungen zu teilen, und schließen mit der Hoffnung, dass der Kampf gegen Faschismus und Kapital sich international weiter verbreitet und zunehmend konsolidieren wird. Always Antifa! A pugno chiuso, Colletivo Militant Roma www.militant-blog.org

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Always >>>>>> AntifA


Interview mit der Gruppe TPTG aus Griechenland 체ber die K채mpfe gegen Massenentlassungen der administrativen Arbeiter*innen griechischer Universit채ten vom September bis Dezember 2013. Gef체hrt am 10.12.13 in Exarchia / Athen

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Campusantifa: Könntet ihr eingangs kurz eure Gruppe beschreiben? TPTG1: Ok, TPTG ist eine antiautoritäre kommunistische Gruppe aus Athen. Wir sehen Kommunismus nicht als eine politische Ideologie oder ein Dogma, sondern als eine praktische Notwendigkeit die sich aus den konkreten Kämpfen des Proletariats innerhalb des Kapitalismus gegen diesen ergibt. Der Name TPTG setzt sich aus den Initialen des griechischen Titels eines französischen Films zusammen. Der Film heißt im Original Les enfants du paradies und wurde von Macel Carné gedreht. Im Griechischen ist der Titel dann Ta Paidia tis Galarias, daher die Initialen und mit ihnen der Verweis auf den Film, in dem das Proletariat das Spektakel kritisiert. Das wäre dann mehr oder weniger die Beschreibung unserer Gruppe und des Namens. Ca: Ihr analysiert die Massenentlassungen und Privatisierungen an den Universitäten als Teil von der von euch so genannten Minderung der Kraft der Arbeiter*innen, welche ein entscheidender Aspekt der letzten Austeritätsmaß­ nahmen in Griechenland waren. Könnt ihr uns mehr über die Aspekte dieser Minderung sagen? TPTG1: Die anfänglichen Austeritätsmaßnahmen entwickelten sich zu einer ausgewachsenen Schockpolitik der Abwertung von Kapital, was die Rezession vertiefte und die Schulden der öffentlichen Hand in die Höhe trieb. Eine Hauptzutat dieser Kapitalentwertung ist die Minderung der Kraft der Arbeiter*innen, die darauf abzielt auch die Kraft der Arbeiter*innenklasse zu schwächen durch das Etablieren permanenter Austeritäts- und Disziplinierungsmechanismen und dem Schaffen einer großen Reservearmee an Arbeitskräften. Außerdem wird die Minderung der Kraft der Arbeiter*innen durch die institutionelle Abschaffung kollektiver Tarifverhandlungen vorangetrieben. Die allgemeine Politik der Abwertung mit ihren Rekapitalisierungsmaßnahmen für Banken, der Elimination oder Expropriation des Anteils des sozialen Kapitals, der es nicht schafft Surplusprodukte zu erwirtschaften (kleine und mittelgroße Unternehmen), der Wertverlust von Schuldscheinen und Wechseln, der Konsum- und Investitionseinbruch, zielt auf die Zentralisierung von Kapital und damit die Reproduktion der sogenannten ursprüngliche Akkumulation, wodurch die unterschiedlichen Momente in der Reproduktion der kapitalistischen Verhältnisse überwunden wurden, die vor der Krise bestanden. 45


TPTG2: Der erste Aspekt des ganzen waren die enormen Kürzungen der direkten und indirekten Löhne. TPTG1: Das lässt sich deutlich in der Kaufkraftentwicklung der Arbeiter*inneklasse zeigen, die von 2009 bis 2014 sich um 50% verringert hat. In der Rechnung sind aber nicht nur die Gehälter einbezogen, sondern auch die Auswirkungen der gestiegenen Arbeitslosigkeit und Steuern. Nicht enthalten sind hingegen die sozialen Kosten. Also wird die Kaufkraft der Arbeiter*inneklasse nicht nur um 50% gesunken sein, sondern eher um 65 oder 70%, wenn man die gestiegenen Kosten für Gesundheit und Bildung mit einbezieht. TPTG2: Ein Aspekt dabei ist die Kürzung der direkten Löhne und der Andere, der der indirekten Löhne, also der steuerfinanzierten Leistungen wie Bildung, Gesundheitssystem, Versicherungen und dergleichen. Besonders im Gesundheitssektor hat eine massive Zerstörung des bisherigen Systems stattgefunden. Es wird versucht den Gesamten Sektor zu privatisieren und dadurch werden sich immer weniger Menschen leisten können in ein Krankenhaus zu gehen, da der Besuch nicht mehr kostenfrei ist. Weiter wichtig in der Entwicklung ist der enorme Anstieg der Arbeitslosigkeit, der auch die beeinflusst, die Arbeit haben. Einerseits ist es dadurch einfacher Löhne zu drücken, andererseits wirkt die hohe Arbeitslosigkeit auch disziplinierend auf die Arbeiter*innen nach innen, also in ihren Betrieben. Auch wird die Arbeiter*innenklasse durch erhöhte Steuern, direkte und indirekte, zusätzlich belastet. Wie sich also sehen lässt, breiten sich die Maßnahmen über alle Aspekte des täglichen Lebens aus. Was nun interessant ist zu sehen, ist, dass diese Entwertung der Arbeiter*innenkraft die Arbeiter*innen mit der Zeit an einen anderen Lebensstil gewöhnt, leben mit weniger und schlechteren Lebensmitteln und einer generell schlechteren Qualität der alltäglichen Existenz. Wenn man sich daran gewöhnt, dann ist der Eigenwert als Arbeiter*in reduziert und es wird normal mit weniger zu leben und nicht mehr zu fordern. Ca: Wir konnten in den letzten Dekaden die neoliberale Umstrukturierung des gesamten Bildungssystems in ganz Europa beobachten, wie wurde dieser Prozess in Griechenland vorangetrieben? Was waren die Hauptstrategien von Staat und Kapital? 46


TPTG1: Bildung ist die kapitalistische Institution schlechthin, die die Arbeitskraft als Produkt formt und in der Entwicklung des Kapitalismus weiter ausdifferenziert und teilt. Die Studierendenzahl ist in Griechenland seit den 60er Jahren gestiegen und nun werden unter neoliberalen Vorzeichen die Unis umstrukturiert. Erste Anzeichen für einen Richtungswechsel gab es vor etwa zehn Jahren, als begonnen wurde, die Organisationsstruktur umzuformen und die Finanzierung vom Staat bis ins Inadäquate zu kürzen. Daraus ergab sich die Bewegung hin zu einer Uni, die zwar mehr Autonomie einerseits, aber andererseits auch starrer zentralisierter Bürokratie unterstellt wurde. Der Rückzug des Staates aus der Finanzierung öffnete die Autonomie der Führung einer Uni nach betriebswirtschaftlichen und damit kapitalistischen Kriterien, durch die Partner*innen aus der Wirtschaft für die Realisierung von Projekten gesucht werden und die Uni der Kapitallogik unterworfen ist. Vormals war der Tagesbetrieb und die Hauptaufgaben der Uni vom Staat finanziert und damit frei von privater Bezuschussung. Ca: Wie würdet ihr den Widerstand gegen diese neoliberale Umstrukturierung der Universitäten beschreiben? TPTG1: Die Reform ließ sich nicht so umsetzten, wie sie vom Staat geplant war, denn in Griechenland gab es starken Widerstand der Studierenden gegen die Reformen. Dadurch wurden manche Vorhaben verzögert oder gar gänzlich verhindert und der kapitalistischen Erschließung der öffentlichen Bildung Grenzen gesetzt. So zum Beispiel gibt es an keiner griechischen Uni Gebühren, was in Europa leider eher eine Ausnahme ist. Dennoch gab es in den letzten 20 Jahren viele Versuche die Unis zu reformieren, die aber auf starke Gegenwehr der Studis trafen, die dadurch die neoliberale Umstrukturierung der Uni hinausgezögert haben. Es ist nicht lange her, das alle Reader an Unis kostenfrei waren und manche Dienstleistungen, selbst zwei Mahlzeiten am Tag und Unterkunft kostenlos zur Verfügung standen. Doch das änderte sich im Zuge der letzten Reform 2011. Zwar sind nicht alle Reader kostenpflichtig, aber reduziert in ihrer Zahl, ebenso wie die Ausgabe von freiem Essen und Unterkünften neuen und deutlich strengeren Regeln unterliegt. Damit ist der Weg bereitet, dass der Staat sich schleichend aus der Finanzierung zurückzieht und die Unis sich über Sponsoring und privatwirtschaftliche Partnerschaften oder Studiengebühren finanzieren müssen. 47


TPTG2: Diese Entwicklung setzte zeitgleich ein mit dem Memorandum, dass die Staatsfinanzierung der Unis in den letzten drei Jahren um 50% kürzte. Ca: Aktuell gibt es gerade Kämpfe der administrativen Mitarbeiter*innen an griechischen Unis gegen Massenentlassungen. Könnt ihr uns mehr dazu sagen? tptk2: Gerade herrscht die Politik der Massenentlassungen an den Unis, in Folge der dramatischen Mittelkürzungen. Durch die Kürzungen der freien Dienstleistungen und die Verantwortlichkeitsverschiebung vom Staat hin zu den Individuen und ihren Familien, sind speziell die Studis betroffen. Das ist ein Element dessen, was wir die Minderung der Kraft der Arbeiter*innen nennen. Was an den Unis geschieht, ist nicht nur ein Prozess, sondern auch das direkte Vorhaben, letztlich die Privatisierung der Universitäten voranzutreiben. Natürlich lässt sich die Universität ihrer Natur nach nicht vollständig privatisieren, und laut OECD ist die durchschnittliche Finanzierung der Unis in Europa zu 86% staatlich. In Griechenland sogar zu 95%, weshalb die sukzessive Reduzierung dessen die Führung der Uni nach den Businesskriterien von Kosten, Nutzen und Profit forciert und als Lösung anpreist. TPTG1: Vor zwei Jahren begannen die Entlassungen an den Unis. Das erste Einsparungsprogramm warf die Arbeiter*innen aus den Unis, das zweite, im letzten Jahr, warf die niedrig qualifizierten mit High School Abschlüssen raus. Die größte Welle der Entlassungen startete im September 2013 und wurde von einer starken Bewegung zwar gestoppt, aber nur verzögert. Es ist noch nicht vorbei. Etwa 1.165 administrative Mitarbeiter*innen wurden an den 8 großen griechischen Unis entlassen. Zeitgleich werden die Verträge von Vertretungsprofessuren in vielen kleineren Unis nicht verlängert, was einer stillen Entlassung gleichkommt. Die zwei Unis an denen die meisten Mitarbeiter*innen entlassen wurden, sind die Universität Athens mit 400 Entlassungen und die Polytechnische Universität Athens mit 300 Entlassungen. Das heißt es wurden etwa 40% aller Mitarbeiter*innen an der Uni Athen und etwa 50% der an der Polytechnischen Uni entlassen. An diesen beiden Unis entzündete sich auch der größte Widerstand und nahm andere Formen an. Die administrativen Mitarbeiter*innen schlossen sich zusammen und blockierten die gesamte Uni, traten in den kollektiven Streik und die Unis schlossen komplett. An der Uni von Athen wurde der Streik und 48


die Blockaden unabhängig von den Professor*innen organisiert und an der Politechnischen wurde die Gewerkschaft der Profs dazugewonnen. Diese beiden Athener Unis waren also ab September 2013 geschlossen, die Polytechnische aber öffnete wieder im Dezember. Die Uni von Athen ist jedoch immer noch im Streik und komplett blockiert. An den anderen Unis war der Streik der administrativen Mitarbeiter*innen nicht darauf ausgelegt sich mit anderen Kräften an der Uni zu vernetzen und die gesamte Uni zu blockieren. Ca: Was sind die Ziele dieses Kampfes? TPTG1: Die Ziele sind natürlich die Einstellung Entlassungen. Aber dem radikaleren Teil der Studis und der Profs, die nicht mit den Businessaktivitäten der Uni zu tun haben, ist klar, dass die Entlassungen nicht für sich stehen, sondern ein Teil des Prozesses der neoliberalen Umstrukturierung sind. Die Unis werden kleiner und unterfinanziert. Dadurch werden sie zur Eigenfinanzierung gedrängt. Die großen Unis in Athen können nicht mit 50 oder 60% ihrer Angestellten vernünftig arbeiten. Also werden flexible Arbeitsverhältnisse mit Subunternehmen und anderen Projekten geschlossen um die Lohnkosten weiter zu drücken. Dennoch haben die Unis kein Geld für die Subunternehmen und werden deshalb Gebühren einführen oder anderweitig Sponsoren suchen. Deshalb sind die Entlassungen eng verbunden mit der Privatisierung und Depersonalisierung der Unis und die Kosten werden vom kapitalistischen Staat auf die Studis umgelegt. Der aktuelle Kampf richtet sich hauptsächlich gegen die Entlassungen, aber die Beteiligten verstehen langsam was eigentlich abgeht und sehen die Einbettung in den größeren Prozess. Aber ich würde dennoch sagen: Es gab zwar viele Besetzungen durch die Studis, aber sie waren eher in der Minderheit. Große Massenversammlungen gab es nur zu den kritischen Momenten. Also sind die Studis zwar Teil von dem Kampf, aber eher nur die radikalen Minderheiten. Bei den Profs sieht es noch trister aus. TPTG2: Ich möchte zwei Dinge ergänzen. Erstens ist es interessant was gerade an den Unis passiert in Bezug auf die Entlassungen, denn es ist, wie bereits erwähnt, ein komplexes Thema. Einerseits hat es mit der Privatisierung der Uni und der Einführung von Studiengebühren zu tun, andererseits geht es auch um die Forcierung, Ausweitung und Etablierung von prekären Arbeitsverhältnissen. Natürlich kann eine Uni nicht mit der halben Belegschaft funktionieren, also wird 49


für wenig Lohn unter prekären Verträgen und ohne weitere Rechte eingestellt und gearbeitet. Zweitens ist es interessant zu sehen, wie der Streik an der Universität von Athen ablief. Dort war es möglich einen Streik von der Basis aus zu organisieren und damit auch eine Absage an die Bürokratie der etablierten Gewerkschaften. TPTG1: Das hat auch mit der Einführung prekärer Arbeitsverhältnisse im gesamten öffentlichen Bereich zu tun. Normalerweise war der öffentliche Bereich der »inflexibelste« Sektor am Arbeitsmarkt. Also gibt es einerseits die Entlassungen und andererseits die Vorantreiben flexibler Arbeitsverhältnisse im öffentlichen Sektor. Ca: Wie wurde der Streik organisiert? TPTG1: Ich beziehe mich jetzt auf die Universität von Athen, denn in der Polytechnischen war es deutlich anders. Also in der Uni von Athen wurde aus den Erfahrungen der Kämpfe der letzten drei Jahre heraus zunächst ein Streikkomitee gegründet. Es war ein offenes und unabhängiges Komitee, ohne spezielle Partei oder Gewerkschaftsausrichtung. Natürlich sind dort auch Einzelpersonen aus solchen Zusammenhängen, aber sie haben keine Hegemonie, weshalb das Komitee von der Organisationsstruktur wirklich autonom ist. Wir entschieden uns dann die Uni völlig zu blockieren und dadurch hatten wir den Kontakt mit den Studis. In den letzten Jahren hatte sich bei den Streiks niemand für uns interessiert, als wäre wir unsichtbar. Wenn die administrativen Mitarbeiter*innen zwei oder drei Wochen nicht arbeiten, war das keine große Sache. Es gab zwar Probleme, aber nicht so gravierende. Die kommen eine Zeit lang ganz gut ohne uns zurecht. Als wir begannen die Uni zu blockieren, wurde es nicht nur eine Blockade der ganzen Uni, sondern auch die Möglichkeit mit den anderen Statusgruppen der Uni, den Studis und Profs, in Kontakt zu kommen. Entweder um in den gemeinsamen Kampf zu treten, oder in die Konfrontation. Also wurde unser Kampf aus seinem Sektor gehoben und in ein breiteres Feld eingebettet und mit anderen Interessen verbunden. Bei den Blockaden hatten wir sogar Unterstützung von den lokalen Stadtteilversammlungen, oder selbst den Squats und Sozialzentren. Daraufhin haben wir Diskussionen mit Basisgewerkschaften und anderen lokalen und kleinen Verbänden organisiert. Ich würde sagen, dass diese Schritte welche sind, die dazu führen können Protest vom Gewerkschaftscharakter hin zu einem autonomen 50


Klassenkampf zu bringen. Im Sinne eines Kampfes, der nicht spezifischen, vereinzelten Sektoren und Interessenslagen entspricht. An der technischen Uni Athens (NTUA) war es anders, da dort von Beginn an die Profs mit ihrer großen und etablierten Gewerkschaft mitmischten. Ca: Welche Gewerkschaft war das? TPTG1: Linke Profs (von ANTARSYA und SYRIZA) waren in der Gewerkschaft der NTUA und hatten auch Kontakte zur Unileitung. Diese Leute spielten eine wichtige Rolle beim aufflammen der Streiks und Blockaden und deren Organisation. Als der Streik über drei Monate andauerte, schafften es die konservativeren Profs ihre Gewerkschaft umzustimmen. Der Fakt, dass die Profs ihre Unterstützung zurückzogen, hatte einen großen Effekt auf die Kämpfe an der NTUA. In der Uni von Athen hatten die administrativen Mitarbeiter*innen unabhängig von den Profs ihre Lehr- und Forschungstätigkeit niedergelegt und die Uni blockiert. An der NTUA waren sie mit den Profs verbunden und als diese ihren Streik aufhoben, war ihre Position empfindlich geschwächt. Also auf das Einwirken der Profs hin wurden die Blockaden aufgehoben, während die Studis nichts besetzt hatten. Auch der Einfluss der kommunistischen Partei und der sozialistischen Partei auf die Gewerkschaft der administrativen Mitarbeiter*innen hat letztlich den Kampf ganz unterbunden. Sie haben den Streik gestoppt, nicht weil sie etwas konkretes erreicht hätten, sondern weil ihnen schwammige Versprechungen von Seiten der Politik gemacht wurden. An der Uni von Athen ist das anders, wir lassen uns nicht abspeisen und halten Blockaden und Streik aufrecht. Das ist ein Resultat davon, dass der Kampf hier zu einem großen Teil autonom geführt wird und sich auch gegen die Bevormundung und Bürokratie der Gewerkschaften richtet. Ca: Könnt ihr eure Kritik an den Gewerkschaften weiter ausführen? Es scheint auch in euren Texten ein wichtiger Punkt zu sein. TPTG1: Ok. Also es gibt zum einen die der sozialistischen Partei nahestehenden Kreise in der Gewerkschaft. Sie versuchen die Entlassungen auf ihre Art zu lösen. Dabei gehen sie sehr klientelorientiert und individuell vor. Sie haben teilweise die Entlassungen reduzieren können, aber achten dabei nur auf ihre eigenen Leute. Das ist ein Teil der Gewerkschaften, der mafiöse. Dann 51


gibt es die kommunistische Partei, die sich nicht für die Entwicklung der Bewegung interessiert. Sie versuchen aktuell ihre eigenen Interessen als Partei zu schützen und hat Angst davor, dass SYRIZA an die Macht kommt, was für sie selbst ein Machtverlust wäre. Also kümmern sie sich darum, SYRIZA daran zu hindern. Sie sind politisch gesehen viel gefährlicher für die Bewegung als die Mafiatypen. Die sind zwar korrupt, aber das ist offensichtlich und allen klar. Die kommunistische Partei aber tritt auch militant auf, kämpft bei Streiks mit und erscheint als radikal, weiß dennoch immer wann es in ihrem Interesse liegt, sich kollektiv und geordnet zurück zu ziehen um zu erreichen, was politisch »möglich« ist. Damit sind sie in der Lage aufgrund einer Entscheidung von Oben einen Streik damit abzubrechen, dass sie alle abziehen, und zu wenige zur Aufrechterhaltung übrig lassen. Hier an der Uni von Athen habe wir die kommunistische Partei nicht und damit auch das Problem nicht, ganz im Gegensatz zur NTUA. Ca: Was sind die Perspektiven des Kampfes? TPTG1: Weiß ich nicht. Die Uni von Athen ist die einzige, die noch blockiert ist, also… TPTG2: … Was wirklich wichtig ist in diesem Kampf, ist, wenn du dem gefolgt bist, was in den letzten 3 – 4 Jahren in Griechenland passiert ist, dass wir eine autoritäre Regierung und einen autoritären Staat haben, die alle sozialen Kämpfe mit aller Macht versuchen zu kriminalisieren. Und dies sind die ersten größeren Kämpfe der letzten vier Jahre, die gegen den Terrorismus des autoritären Regimes durchgesetzt werden konnten und ihnen einen Stein in den Weg legten, das ist das Wichtige. Auch wenn wir in dem Sinne nicht gewinnen, werden diese Erfahrungen ein Erbe an kommende Kämpfe sein. TPTG1: Wir haben einfach ignoriert, dass die Streiks wiederholt als illegal eingestuft wurden. Bis jetzt hat die Regierung noch keinerlei Zugeständnisse gemacht, sie reden noch nicht einmal mit uns. TPTG2: Das ist ein Aspekt vom Ausnahmezustand, wie ein Staatsmonolog. Die Menschen kämpfen für etwas und es interessiert den Staat nicht. Es scheint als ob sie die kapitalistische Form der Mediation zwischen Arbeiter*innen und Kapital gebrochen haben: den Klassenkompromiss. Etwa als wenn 52


sie dächten: Da ist ein Aufruhr, wir kriminalisieren ihn und kümmern uns nicht weiter… TPTG1: Es gibt immer Mediation, zum Beispiel Ideologie… TPTG2: … Ok, eine Form der Mediation der sie sich bedienen ist Repression, pure Repression gegen die Kämpfe. TPTG1: Überall in Westeuropa gab es diesen Klassenkompromiss. Aber jetzt bedienen sie sich anderer Mittel: Nationalismus, Xenophobie, Kriminalisierung, die Schaffung interner Feindbilder. Andere Formen der Mediation und nicht, was wir bis hierher kannten. Auch die unterminierende Wirkung der Gewerkschaften bleibt akut. TPTG2: Jede*r der Kämpft ist der Feind im eigenen Land, der vaterlandslose Geselle. TPTG1: Es gab eine Kampagne gegen die Arbeiter*innen im öffentlichen Sektor, in der ihnen vorgeworfen wurde, da sie relativ gute Einkommen und Arbeitsbedingungen hatten, egoistisch zu sein und nur eigennützig zu handeln, ohne an die eigene Nation zu denken und mit zu helfen die Krise zu überwinden. TPTG2: Unsere Krisenlösung muss eine radikale sein, die mit diesen Tendenzen bricht.

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Keimzelle der Nation? Die »Alternative für Deutschland (AfD)« und ihre rechtskonservative Vorstellung von Familie und Geschlecht

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Die Europawahl rückt immer näher und verschiedenste Großund Kleinparteien bauen ihre Ständchen auf, um mit großen Mengen an Papiermüll, Bratwurst und raffinierten Gimmicks ihre reaktionären Positionen unter die Leute zu bringen. Im folgenden Text soll auf die Inhalte einer relativ neuen rechtspopulistischen Partei eingegangen werden, die den reaktionären Konsens in der Gesellschaft aufgreift und damit vermutlich auch bei den kommenden Wahlen viele Stimmen bekommen wird: Die neurechte »Alternative für Deutschland (AfD)« ist Teil eines europaweiten Erstarkens und Aufkommens rechtspopulistischer und rechtskonservativer Bewegungen und Parteien in der Krise. Sie versucht durch eine Rückbesinnung auf das Nationale, starre Grenzen und kapitalistische Verwertungslogik sowie Leistungsdruck den gesellschaftlichen Diskurs immer weiter nach rechts zu verschieben. Statt Alternativen zum Kapitalismus, zu Nation, Patriarchat und Rassismus bietet die vermeintliche »Alternative« der AfD nichts als Nationalismus, teils unterschwellig, teils ganz offen formulierten Rassismus, ein reaktionäres Familien- und Geschlechterbild sowie Wohlstandschauvinismus. Dabei bietet sie auch zunehmend Raum für Personen und Positionen aus dem rechtsradikalen und neonazistischen Spektrum. Wenn der Parteivorsitzende Bernd Lucke in einer Rede vermeintlich nicht gut genug gebildete Migrant_innen als »eine Art sozialen Bodensatz« der Gesellschaft bezeichnet, der »lebenslang in unseren Sozialsystemen verharrt«, dann zeigt das ganz deutlich, wie die Partei um Wähler_innen wirbt: Sie schürt in Zeiten von immer prekärer werdenden Lebensverhältnissen vieler Menschen rassistische Ressentiments und beschwört einen Kampf zwischen »uns« und »denen«, der sozialchauvinistischer kaum sein könnte. Zuwanderung ist nämlich für die AfD nur dann nützlich, wenn es der deutschen Nation, dem deutschen Wirtschaftsstandort und den deutschen Staatsbürger_innen hilft. Ein Blick auf die Facebook-Seiten und -Diskussionen unter AfD-Mitgliedern und Unterstützer_innen gibt ebenfalls einen sehr tiefen Blick in deren Weltanschauung, die von Gewaltfantasien gegen Linke über offen rassistische und sexistische Hetze bis zu antisemitischen Verschwörungstheorien reicht. Im Vorfeld zur Bundestagswahl 2013 und in der Zeit danach hat sich die AfD ein weiteres Standbein neben der Kritik am Euro und der Europäischen Union, vermeintlich »unregulierter« 55


Zuwanderung und der Hetze gegen weniger wohlhabende Menschen gebaut: eine patriarchale-heterosexistische1 Familienvorstellung und Geschlechterpolitik. Im Programm und auf offiziellen Portalen der Partei findet sich immer wieder das klare »Bekenntnis« zur heterosexuellen Familie als »Keimzelle der Gesellschaft« und dem »Vorhandensein von Mutter und Vater« als »Idealfall für die kindliche Entwicklung«. Zudem wird Kritik an heteronormativen Geschlechterstereotypen und -rollen als »Gender-Mainstreaming« versucht abzutun und sich auf die vermeintlich natürlichen Unterschiede zwischen Männern* und Frauen* bezogen. Eine Geschlechterquote wird als »positive Diskriminierung« betitelt und dabei jegliche Formen von sozialer und struktureller Diskriminierung ausgeblendet. Im sächsischen Landeswahlprogramm findet sich desweiteren die Forderung nach einem Stimmrecht für minderjährige Kinder, das diese jedoch nicht selbst wahrnehmen dürfen, sondern an die Eltern abtreten, wodurch diese mehrere Stimmen bei Wahlen bekommen würden. Eine ähnlich demokratische Forderung stellt der AfD-Funktionär Konrad Adam auf, der 2006 (noch vor der Gründung der AfD) Erwerbslose als »unproduktive« Menschen beleidigte und ihnen das Stimmrecht bei Wahlen komplett aberkennen wollte. Zwar hat die AfD als recht neue und gerade zu Beginn hierarchisch organisierte Partei bisher verhältnismäßig wenig Parteiprogramm vorzuweisen, dennoch lohnt es sich, angesichts ihrer Fokussierung auf ihr recht kleines Führungspersonal und deren Positionen, diese stellvertretend für die politischen Ziele der Partei und ihrer Mitglieder zu nehmen. Bei näherer Betrachtung der AfD-Funktionär_innen und ihrer politischen Vergangenheit fallen vor allem personelle Überschneidungen mit verschiedenen rechtskonservativen und fundamental-christlichen Gruppierungen auf, die sich gegen das Selbstbestimmungsrecht der Frau* und Schwangerschaftsabbrüche sowie gegen Aufklärung und Sexualkunde an Schulen, der als »Sexualerziehungszwang« diffarmiert wird, einsetzen. Ein Beispiel dafür ist Beatrix von Storch, die bei sogenannten »Märschen für das Leben«2 bereits in der ersten Reihe mitdemonstrierte und sich an einer »europäischen Bürgerinitiative« rechtskonservativer Vereine gegen Schwangerschaftsabbrüche beteiligte. 56



Bei den Protesten, Petitionen und Demonstrationen gegen den sogenannten »Bildungsplan 2015« der grün-roten Landesregierung in Baden-Württemberg spielten verschiedene AfD-Verbände und Mitglieder ebenfalls eine Rolle. Der Bildungsplan sah eine Reflexion und Kritik an starren, heterosexuellen Geschlechterbildern vor und zielte darauf ab, Schüler_innen auf die Lebensrealität von lesbischen, schwulen, bisexuellen, transsexuellen und intersexuellen Menschen und transgender aufmerksam zu machen und Diskriminierung zu thematisieren. In einer Pressemitteilung bezeichnet der baden-württembergische AfD-Landesverband den Bildungsplan als »pädagogische, moralische und ideologische Umerziehungskampagne an allgemeinen Schulen«, protestierte gegen die »eklatante Missachtung der Elternrechte bei der Erziehung und die Relativierung und Diskriminierung traditioneller Geschlechterrollen unter der Flagge des Gender-Mainstreamings« und sprach lediglich den – selbstverständlich heterosexuellen – Eltern die Rolle der »Erziehung« zu. Zudem werden die Mitglieder und Unterstützer_innen dazu aufgefordert, die Petition »Zukunft – Verantwortung – Lernen: Kein Bildungsplan 2015 unter der Ideologie des Regenbogens« zu unterzeichnen. Damit wird klar, dass es der AfD nicht alleine um das Festhalten an der konservativen, heterosexuellen Familienzusammensetzung geht, sondern sie offen gegen LGBTIQ hetzt. Ihr Bild von einer »Familie als Keimzelle der Gesellschaft« ist nichts anderes als frauenverachtend, homo_transfeindlich, menschenverachtend, reaktionär und stramm rechts. Gerade der Jugendverband der AfD – die »Junge Alternative für Deutschland (JA)« – scheint zum Sammelbecken für antifeministische, sexistische und maskulistische Positionen zu werden, was auch durch personelle Überschneidungen zu rechten Burschenschaften in ganz Deutschland offensichtlich wird. Inhaltlich stellen sie sich, wie ihre Partei, gegen vermeintliches »Gender-Mainstreaming« sowie eine kleine, aber die öffentliche »Mainstream-Meinung« und -Medien bestimmende »HomoLobby« und unterstreichen diese Forderungen mit sexistischen Plakaten und Motiven. Gleichstellung zwischen Männern* und Frauen* ist für die JA bereits hergestellt, jeder weitere Vorstoß zur Gleichstellung wäre eine Bevorzugung der Frau*, ungerecht und »positive Diskriminierung«. Beispiel dafür sind zum Einen ein Plakat mit Frauen* im Bikini und dem Slogan »Gleichberechtigung statt Gleichmacherei« 58



oder ein Plakat mit einer Frau* im engen Latex-Anzug mit Handschellen und der Forderung »Kriminalität härter angehen!«. Im Zuge dieser Kampagne protestiert die AfD-Jugend außerdem mit einer halb-nackten Frau* am Strand gegen vermeintliche »Political Correctness«, eine Position, die vor allem innerhalb der Neuen Rechten3 immer wieder zu finden ist. Besonders deutlich positionierten sie sich mit ihrer Facebook-Aktion »Ich bin keine Feministin, weil…«, in der sie sexistische Parolen wie »Ich bin keine Feministin, weil mein Mann mein Fels in der Brandung ist – und nicht mein Klassenfeind!«, »Ich bin kein Feminist, weil eine Mutter genauso wertvoll ist, wie eine Vorstandschefin« oder »Ich bin kein Feminist, weil Familie wichtiger ist als Karriere und ich den Genderwahn stoppen will« propagierten. Im Zuge der Kritik an den Kampagnen sowie den sexistischen Positionen des hessischen Vo r s t a n d s m i t g l i e d s Tim Wiemer (siehe Kasten!) bekam die JA bereits prominente Unterstützung von Arne Hoffmann – einer zentralen Person in der deutschsprachigen antifeministischen, maskulistischen4 »Männerrechtsbewegung«. Diese inszeniert absurderweise Männer* als Opfer einer vermeintlichen Vorherrschaft des Weiblichen in der Gesellschaft und hat sich deshalb den Kampf gegen diese von ihnen als »Femokratie« betitelte Politik sowie jegliche feministische Ideen zum Ziel gesetzt. Die Parallelen zur AfD und der JA sind hier offensichtlich. Klar sollte geworden sein, dass die »Alternative für Deutschland« keine Alternative zum nationalistischen, rassistischen und patriarchalen Kapitalismus bedeutet, sondern eine zunehmende Verschärfung und eine weitere Verschiebung nach rechts. Sowohl in der Debatte um Migration und die Euro-Krise, als auch in der Diskussion um gleichgeschlechtliche Beziehungen zeigt die AfD, dass sie ganz klar am rechten Rand zu verorten ist, egal, in welchem ach so bürgerlich-liberalen Gewand sie sich gibt. 60


Lasst uns dafür sorgen, dass kein Plakatmüll der AfD – und anderen rechtspopulistischen, rechtskonservativen und rechtsradikalen Parteien und Gruppierungen – im Stadtbild zu sehen ist, kein Informationsstand kritiklos von Statten geht und keine Wahlkampfveranstaltung ruhig über die Bühne geht – Den reaktionären Konsens brechen! Nationalismus ist keine Alternative! lila-rote antifa frankfurt Aktuelle Termine der AfD und Proteste dagegen findet ihr unter: www.antifa.blockupy.org Zum Weiterlesen Kemper, Andreas – Rechte Euro-Rebellion: Alternative für Deutschland und Zivile Koalition e. V., edition assemblage, Münster 2013. Kemper, Andreas – Keimzelle der Nation? Familien- und geschlechterpolitische Positionen der AfD – eine Expertise., Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 2014. Kemper, Andreas [Hg.] – Die Maskulisten. Organisierter Antifeminismus im deutschsprachigen Raum., Unrast Verlag, Münster 2012. Sebastian Friedrich / Patrick Schreiner [Hg.] – Nation – Ausgrenzung – Krise: Kritische Perspektiven auf Europa., edition assemblage, Münster 2013. 1

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Der Begriff des Patriarchats beschreibt die Machtposition des Männlichen und die damit verbundene strukturelle Diskriminierung der Frau* im Kapitalismus. Heterosexismus beschreibt die Diskriminierung aller Lebens- und Liebesentwürfe, die nicht dem Bild des vermeintlich natürlichen Heterosexuellen entsprechen. Diese »Märsche für das Leben« oder auch »1000 Kreuze Märsche« sind jährliche rechte Demonstrationen gegen Schwangerschaftsabbrüche, organisiert im Umfeld der antifeministischen, fundamental-christlichen Evangelikalen. Als »Neue Rechte« wird eine rechte Bewegung bezeichnet, die sich zwar vom historischen Faschismus distanziert, mit der Ideologie eines »völkischen Nationalismus« und strikter Ablehnung feministischer Ideen jedoch rassistische, menschenverachtende Positionen vertritt. Maskulismus bezeichnet eine ideologische Ausrichtung, die Männer* als das unterdrückte Geschlecht in einer weiblich dominierten Gesellschaft betrachten und dabei frauenverachtende Thesen vertritt. Für nähere Informationen, siehe die Publikationen von Andreas Kemper, die in den Literaturvorschlägen gesammelt sind.

Tim Wiemer, Mitglied des hessischen Landesvorstands der »Jungen Alternative für Deutschland« und Direktkandidat für die AfD im Kreis Bergstraße, ist in der in der FAZ durch sexistische Aussagen und patriarchale Männlichkeitsfantasien aufgefallen – und studiert an der Uni in Frankfurt Wirtschaftswissenschaften und Geographie. Falls ihr ihm in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten mal über den Weg lauft, könnt ihr das Ganze ja nochmal mit ihm diskutieren. 61


Walk this way Frankfurt bleibt, wie andere Städte, nicht unberührt von fortschreitender Gentrifizierung und Umstruktierung. Es wird schwieriger, bezahlbaren Wohnraum zu finden, Freiräume entstehen zu lassen und sie auch halten zu können. Natürlich haben wir alle, auch wenn es uns wie immer so schwer wie möglich gemacht wird, trotzdem Bock auf Freiräume, selbstverwaltete Häuser und Räume in denen Rassismus und Sexismus nicht zum Alltag gehören und Anti-Kapitalismus Grundkonsens ist. Weil das so ist, reagieren auch in Frankfurt immer wieder Zusammenhänge auf die bestehenden Strukturen des Alltäglichen mit den Versuchen diese durch Hausbesetzungen und dem Engagement in bestehenden Freiräumen aufzubrechen und aufzulösen. Hier also die sichtbaren Ergebnisse dieser (nicht immer leicht gemachten) Bestrebungen...

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AU

Das am längsten besetzte, international bekannte Haus Hessens ist die Au im Stadtteil Rödelheim (besetzt seit dem 04. Juni 1983), welches in seinem Dasein als autonomes Wohn- und Kulturprojekt samt Bauwagenplatz die Subkultur Frankfurts bereichert. Jeden Juni feiert Mensch mehr oder weniger exzessiv dessen Geburtstag beim legendären Au-Fest. Hunderte Gäste erfreuen sich dann an Konzerten, dem genialen Au-Buffet und dem Fussballturnier am Sonntag. Und wer nicht nur einmal im Jahr das Festessen in der guten alten Au genießen will, der besucht die Volxsküche, jeden Donnerstag ab 20 Uhr, die Bar ist bis 02 Uhr geöffnet und achtet auf die Vielzahl an Punk-Rock-Konzerten der klassischen Art! In der Au 14 – 16, 60489 Frankfurt/Main, www.au-frankfurt.org

EXZESS

Neben der Au macht das Exzess dem Besetzen alle Ehre. Neben diversen Partys und Konzerten aller Art von Grindcore bis HipHop ist das ExZess ein Spiel- und Arbeitsplatz für Kreative und Engagierte. In dem vor 26 Jahren besetzten und mittlerweile legalisierten Haus, nahe dem Campus Bockenheim, findet sich ein Ort für politische und kulturelle Zusammenarbeit von Gruppen, in dieser Funktion nicht zuletzt gefördert durch den dort ansässigen Infoladen Frankfurt. Hier finden sich neben einer gut sortierten Bibliothek viele aktuelle Informationen für widerständisches Denken und Handeln. Sonntag: Infoladen von 12 – 16 Uhr Montag: Infoladen 18 – 22 Uhr, Kneipenabend ab 19 Uhr Dienstag: offener Jugendantifatreff ab 18 Uhr Leipziger Str. 91, 60487 Frankfurt/Main, www.infoladen.net/ ffm

Institut für vergleichende Irrelevanz (zur Zeit geschlossen)

Am Morgen des 22. April 2013 wurde das im Kettenhofweg 130 im Rahmen von Studierendenprotesten eröffnete »Institut für vergleichende Irrelevanz« (IVI) polizeilich geräumt. 2003 besetz63


ten Studierende das ehemalige Institut für Anglizistik am Campus Bockenheim und schufen dort unter dem Motto »Theorie. Praxis. Party« das IVI. 10 Jahre konnte im Kettenhofweg jenseits des universitären Wissenschaftsbetriebs, jenseits von Bulimie-Lernen, Verwertungsdruck und Creditpoints selbstbestimmt wissenschaftlich gearbeitet, in Lesekreisen und bei Kongressen Theorie angeeignet und bei Konzerten und Partys ohne die oft leider üblichen Begleiterscheinungen wie Sexismus, Homophobie und den ganzen anderen beschissenen Alltags-Ismen gefeiert werden. Anfang 2012 verkaufte die Universität das Gebäude an die Franconofurt AG, die seit dem versuchte die Besetzer_innen auf allen möglichen Wegen los zu werden. Angebotene Geldkoffer, Drohung von körperlicher Gewalt, Anzeigen… bis schließlich in offensichtlicher Absprache mit dem Frankfurter Landgericht die rechtlich eigentlich nicht haltbare Konstruktion der »Gesellschaft bürgerlichen Rechts Institut für vergleichende Irrelevanz« der Schlüssel zum Erfolg für die Franconofurt AG wurde. Am 15.02.2013 bzw. 19.04.2013 verhängte das Gericht das Räumungsurteil gegen die »IVI GbR«. Es liegt nun an uns, dafür zu sorgen, dass 1, 2, viele neue Institute geschaffen werden. Nehmen wir uns was wir brauchen! Nehmen wir uns die Stadt! Für einen Hauch IvI-Feeling: haltet die Augen auf für Ankündigungen des IvI-Barabends. www.ivi.copyriot.com

FAITES VOTRE JEU!

Die letzte erfolgreiche Besetzung in Frankfurt war die des ehemaligen JUZ Bockenheims (in Campus-Nähe). Mehrere Künstler_ innen und politisch Aktive schlossen sich im Rahmen dessen zur Initiative »Faites votre jeu!« zusammen und kämpften um das Gebäude. Da sie da nicht bleiben durften, aber auch nicht freiwillig gehen wollten, bot Ihnen die Stadt als Ersatzobjekt das ehemaliges Gefängnis »Klapperfeld« mitten in der Innenstadt an. Durch die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Ortes in der Zeit des Nationalsozialismus, als Polizeigefängnis in der Folge und als Abschiebeknast seit 1980, ist der »Knast« eine besondere Art selbstverwaltetes Zentrum geworden. Der Arbeitskreis Geschichte hat im Keller eine Dauerausstellung zur nationalsozialistischen Vergangenheit des Gebäudes installiert. Das Klapperfeld ist also eine interessante Mischung aus geschichtlicher Auseinandersetzung, politischen Veran64


stalungen, sowie vielfältigen Kunst- und Kulturprojekten mit wechselnden Ausstellungen und Konzerten. Die variierenden Barabende jeden 1. Dienstag im Monat in den Räumen und im Gefängnishof sind mittlerweile ein beliebter Treffpunkt. Dienstags: offenes Plenum 19 – 22 Uhr Samstags: Dauerausstellung 15 – 18 Uhr Jeden 1. Dienstag im Monat Barabend ab 20 Uhr Klapperfeldstr. 5, 60313 Frankfurt/Main www.faitesvotrejeu.blogsport.de Website der Dauerausstellung: klapperfeld.de

TUCA

(zur Zeit im zweifachen Exil)

Mit der Schließung des AfE-Turms und dem Umzug von Bockenheim auf den IG-Farben Campus endet vorerst auch die Geschichte des Turm Cafés (Tuca). Ob ein Platz zum chillen und rauchen, zum Mate und Kaffee trinken, zum diskutieren und reflektieren, für autonome Tutorien und Trashfilmabende, das TuCa hat vielen von uns den Unialltag erträglicher gemacht. Das im 5. Stock des »Turms« angesiedelte Café darf offiziell nicht mit auf den »schönsten Campus Europas« ziehen, also liegt es an uns, uns selbst Raum für ein, zwei, viele selbstverwaltete TuCa‘s auf dem IG-Farben Campus anzueignen. In diesem Sinne: Es gibt keine Ende der Geschichte! ;) Momentan ist das TuCa behelfsmäßig in der Teeküche im ersten Stock des PEG auf dem IG-Farben-Campus untergekommen. Das TuCa ist immer offen, wenn ihr es schafft ins Gebäude zu kommen. Selbstbedienung. Schichten: Mo-Do: 11 – 18 Uhr ( jedoch gilt weiter das Selbstbedienungsprinzip) Für Plenumstermine achtet auf die Ankündigungen an der Theke. www.tucaimexil.jimdo.com

KURZSCHLUSZ

Auf dem Campus der Fachhochschule befindet sich in dem kleinen roten Haus (Gebäude 5) das selbstverwaltete autonome Café Kurzschlusz, in dem neben dem Cafébetrieb während der Semesterzeiten auch Vorträge, Veranstaltungen und die ein oder andere Party stattfinden. Jeden Donnerstagabend gibt es einen Kneipenabend. Die Öffnungszeiten sind Werktags von 8 bis min. 16 Uhr (Do. bis mind. 0 Uhr) 65


IG-Farben Campus

Auch auf dem IG-Farben-Campus gibt es selbstverwaltete Räume. Zu nennen sind hier die Trinkhalle am Bremer Platz, das studentische Café Anna Blume (UG) und das Philosoph*innen-Café (2.Stock) im IG-Farben-Gebäude.

SIKS

Stadtteilinitiative im Gallus. Veranstaltet über das Jahr verschiedene kulturelle, künstlerische und soziale Veranstaltungen im öffentlichen Raum und stellt der Gentrifizierung des Stadtteils mit der Initiative zur Wiederbelebung stillgelegter Wasserhäuschen eine sympathische Trinker_innenkultur entgegen. Mittlerweile gibt es außerdem auch im Sommer das von dieser Initiative veranstaltete Koblenzer Straßenfest, das mit Flohmarkt, Konzerten, verschiedenen Ständen und einer meist grandiosen Party im Anschluss Groß und Klein anzulocken vermag. Donnerstags: Barabend ab 21 Uhr mit wechselnden DJs Stadtteilinitiative Koblenzer Straße e.V., Koblenzerstraße 11, 60327 Frankfurt, www.siks-ffm.de

FRIDA 116

Bei dieser netten Kellerbar handelt es sich um das »Vereinsheim« des fetzigen Partykollektivs »Könichreich«, das Frankfurts alternative Partyszene schon mit der ein oder anderen Party an manch ungewöhnlichem Ort beglückt hat. Mittwochs: Musik, Tanz, DJ/Band ab 21 Uhr Donnerstags: Informations-Abend ab 21 Uhr Freitags: Musik, Tanz, DJ/Band ab 21 Uhr Frida116, Friedberger Landstraße 116, 60316 Frankfurt

BLAUER BLOCK (zur Zeit geschlossen)

Selbstorganisiertes Stadtteilprojekt in einem der Viertel Frankfurts, das momentan die drastischsten Veränderungen erfährt, dem Gallus. Galt es lange Zeit als Arbeiter_innen- und Problemviertel, wird nun versucht, das Gallus dem neu geschaffenen Europaviertel anzugleichen. Der Neubau an Wohnfläche konzentriert sich auf 66


großflächige Eigentumswohnungen – unerschwinglich für die Menschen, die in den Vierteln bereits vor den Umbaumaßnahmen lebten und leben. Auf lange Sicht schlägt die so genannte »Aufwertung« dann um, wenn den Menschen ihre materielle Grundversorgung durch gesteigerte Mietpreise und Wohnungskündigungen zu Sanierungszwecken entzogen wird. Bereits jetzt werden Zwangsräumungen immer häufiger. Auch in dieser Entwicklung drückt sich der Widerspruch zwischen den Bedürfnissen der Menschen und den Kapitalinteressen aus. Das Stadtteilzentrum will dieser Entwicklung etwas entgegensetzen. Im »Blauen Block« soll eine gemeinsame und kritische Auseinandersetzung mit der Entwicklung des Stadtteils möglich werden. Die Initiative plant, das Haus für verschiedene Projekte zu nutzen: Neben Ausstellungen, Konzerten und einem Café sind ein Kulturprogramm für Jugendliche und eine Asyl- und Mieter_ innen-Beratung angedacht. Bis jetzt konnte die Arbeit aber leider noch nicht kontinuierlich aufgenommen werden, da beide Besetzungen des Blauen Blocks (ehemaliges Sozialrathaus in der Schwalbacherstr. im Mai und das andere ehemalige Sozialrathaus in der Kriftelerstr. im September) leider durch polizeiliche Räumungen innerhalb von 24 Stunden beendet wurde. To be continued!! Infos: blauer.blogsport.de

WEM GEHÖRT DIE STADT?

Auch in Frankfurt wird sich intensiv mit der Frage beschäftigt, nach welchen Maßstäben sich das alltägliche Leben in der kapitalistischen Stadt vollzieht und wieso es von vorneherein nicht für alle gleich sein kann, sondern stets mit Ausschluss, Verdrängung und Überwachung sowieso bereits marginalisierter Bevölkerungsgruppen einhergeht. Dass es sich hierbei allerdings um weit mehr als nur plumpe Kritik an so genannten Aufwertungsprozessen und der lokalpatriotischen Verteidigung der »eigenen« Szeneviertel handelt, davon könnt Ihr euch vorerst auf der Homepage des 2011 gegründeten Netzwerkes »Wem gehört die Stadt« überzeugen. www.wemgehoertdiestadt.net

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www.campusantifa.blogsport.de

<<< »Es handelt sich um einen imperialistischen Krieg,

einen Krieg um die kapitalistische Beherrschung des Weltmarktes, um die politische Beherrschung wichtiger Siedelungsgebiete für das Industrie-

und Bank­ kapital. Es handelt sich vom Gesichtspunkt des Wett­ rüstens um einen von der deutschen und österreichischen Kriegspartei gemeinsam im Dunkel des Halbabsolutismus und der Geheimdiplomatie hervorgerufenen Präventivkrieg. […] Unter Protest gegen den Krieg, seine Verantwortlichen und Regisseure, gegen die kapitalistische Politik, die ihn heraufbeschwor, gegen die kapitalistischen Ziele, die er verfolgt, gegen die Annexionspläne, gegen den Bruch der belgischen und luxemburgischen Neutralität, gegen die Militärdiktatur, gegen die soziale und politische Pflichtvergessenheit, deren sich die Regierung und die herrschenden Klassen auch heute noch schuldig machen, lehne ich die geforderten Kriegskredite ab.« Karl Liebknecht, 1914

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