Cargo - Zeitschrift für Ethnologie - Medizin und Ethnologie (Nummer 29)

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Change! Diese Ausgabe ist anders! Es scheint beinahe, als wenn wir uns von der Welle des proklamierten Wandels haben beeinflussen lassen. Doch anders als die Rufe, die uns lautstark über den Atlantik entgegenkommen, freuen wir uns die Resultate der Umgestaltung bereits hier und jetzt präsentieren zu können. Nicht nur das Format und Layout der Zeitschrift haben sich verändert, auch die Ansammlung der nachfolgenden Texte unterscheidet sich von den letzten Ausgaben: neue Darstellungsformen und Stile, sowie ein englischsprachiger Text sind in diesem Heft zu finden. Von elf Zeilen bis elf Seiten ist alles vertreten. Damit ist auch das dritte Heft seit der Neuauflage 2006 eine aufregende Entdeckungsreise. So mancher treue Leser der CARGO wird die Neuerungen schnell bemerken, aber ebenso Vertrautes wiederfinden. Wir hoffen mit diesem Themenheft einen Bereich gefunden zu haben, der auf reichlich Interesse stoßen wird. Nicht zuletzt hat das Thema Medizin in der deutschen Ethnologie während der letzten Jahre immer mehr an Bedeutung gewonnen. Dazu gehören jene Gegenstandsbereiche, die zumeist innerhalb der Medizinethnologie, Ethnomedizin und vermehrt auch in der Wissenschafts- und Technikforschung verhandelt werden. Nicht alle unsere euphorisch erdachten Ideen vom Anfang konnten realisiert werden. Trotzdem freuen wir uns über die Bandbreite an Texten, die zusammengekommen ist. Neben einem Artikel zu Frauenbeschneidung (S. 18) beschäftigen sich gleich zwei Texte mit Schwangerschaft und Geburt (S. 8 und S. 23). In diesen wird schnell klar, dass Medizin längst nicht mehr als ‚wertfreie Naturwissenschaft’ gesehen werden kann.Vielmehr wird sie zu etwas Politischem, Wirtschaftlichem bis hin zu Identitätsmarkern. Auch die Diskussion um die Neue Genetik (S. 34) in einem weiteren Essay, ist Zeugnis der Relevanz solcher Gegenstandsbereiche innerhalb der Ethnologie. Darüber hinaus finden sich in dieser Ausgabe viele weitere Texte: Feldforschungsberichte aus der Elfenbeinküste (S. 60), Guinea (S. 62) und Gambia (S. 67), eine persönliche Bekennung zur Ethnologie (S. 50), Rezensionen, und vieles mehr. Trotz aller Schaffenskraft und allem Tatendrang müssen wir, die derzeitige Redaktion, uns so langsam ernsthaft eingestehen, dass wir in den letzten Semestern unseres Studiums sind. Viele, die den Stein ins Rollen brachten und den Redaktionssitz von Göttingen nach Halle verlegten, können nun nicht mehr mithelfen. Magisterarbeiten werden geschrieben, Feldforschungen durchgeführt und Praktika im Ausland absolviert. Nicht zuletzt war auch dies der Grund, warum das anfänglich geplante Erscheinungsdatum verschoben wurde. Es geht weiter: Neue Ausgaben werden folgen. Das Zepter der CARGO-Redaktion wurde an die nachfolgende Generation von Ethnologie-Studierenden in Halle übergeben. Change! wird damit wohl auch für die nächsten Ausgaben der CARGO zutreffen. Auf Grund der Vielzahl eingereichter Texte für diese Ausgabe und den eingeschränkten Platz der Zeitschrift, werden die Artikel, die sich schon jetzt auf unserem Schreibtisch stapeln, erst in der Ausgabe 30 veröffentlicht. Für diese sucht die Redaktion dennoch weitere Artikel, Photos, Videos oder ähnliches zum Thema Visuelle Anthropologie. Die alte Cargo-Redaktion sagt Danke für die Unterstützung der Lesenden, Schreibenden und Mithelfenden und wünscht der neuen Redaktion viel Erfolg. Vielleicht ist es wirklich der Wandel, der Neues und Zukünftiges so aufregend macht. Und so hoffen wir, dass dieser nach dem Umblättern auch den Leser erfassen wird und wünschen viel Spaß. Martina Zellmer & Norman Schräpel

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Inhalt

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Titel Ethnologie & Medizin

Geburt

08 Gebären oder Entbinden? Kul-

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Rubriken EDITORIAL WAS IST? von Philipp Artus TITEL STUDIUM.LEHRE.FORSCHUNG MEDIATHEK FRISCH VOM FELD GEMEIN(T)ES 360 GRAD KOGNITIVES IMPRESSUM KALENDER

turwissenschaftliche Untersuchung zu Ansichten und Praktiken von Geburt.

Lydia Koblofsky Frauenbeschneidung

18 Perspektiven auf Frauenbeschneidung. Ein Versuch der

Neue Genetik 34 „No body is perfect!“ Der Ver-

such einer Lacanschen Perspektive auf die molekulare Genetik im Kontext des Neoliberalismus.

Gregor Ritschel HIV/AIDS

45 Fleisch. Norman Schräpel

Erklärung. Anett Schädlich

Schwangerschaft

23 Traditional Methods and Ethnic Choices. Prenatal Care and

the Importance of Ethnicity for Health Seeking Behavior. Lila Sax

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Studium.Lehre.Forschung Studieren

48 Master in Medical Anthropology in Berlin und Heidelberg. Hansjörg Dilger & Gabrielle Alex Erfahrungen

50 Lebenswege und Lehren.

Julie Laplante (übersetzt von Gregor Ritschel) Vernetzung

54 Symposium 2008: Retrospektive & Perspektive. Anna-Lena Wolf

Mediathek Filmrezension

Frisch vom Feld

Gemein(t)es

Elfenbeinküste 60 Auch wenn die Eindrücke über die Tassenränder der Zeit quellen. Ein Reisebericht aus der Cote d’Ivoire. Aite Tinga

Leserbrief 69 Gedanken zum Artikel „Braucht ein Ethnologe Privatsphäre?“ von Judit Smajdli. Elisabeth Bäschlin

Guinea 62 Als „Zauberlehrling“ in Guinea.

360 Grad

Eingetaucht in die Welt der Fetischeure.

Lukas Jolly Gambia

67 Tubabo: Der Bart und der Barbier. Christian Weinert

Modernisierung

71 Äthiopien: Zwischen Modernisierung und Archaismus. Martin Krause Freiburg 74 Bunte Gärten: Wurzeln schlagen in der neuen Heimat. Ein interkulturelles Gartenprojekt aus Freiburg. Anja Rohde

56 Cannibal Tours. „There is nothing so strange in a strange land, as the stranger who comes to visit it.“ Martina Zellmer Printvorstellung

59 CLTR – Das Magazin der Ethnologiestudierenden Zürichs. Wolfgang Wohlwend

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Gebären oder Entbinden? Kulturwissenschaftliche Untersuchung zu Ansichten und Praktiken von Geburt. von

Lydia

Koblofsky

“In der Art und Weise wie eine Gesellschaft ein Neugeborenes empfängt, zeigt sie ihre tiefen Ressourcen und ihr Wissen vom Leben” - Jacques Gelis1

Die Hebammen – Eine fremde Ethnie? Anfang März 2007 kam ich, auf der Suche nach alternativen Ansichten und Praktiken von Geburt und voll ungeduldiger Aufregung, in der Hebammenpraxis Stuttgart Mitte an, wo ich eine ethnologische Feldforschung durchführen wollte. Ich kam aus fachlichem und persönlichem Interesse als Beobachterin. Während der zwei Wochen meines Forschungsaufenthaltes, in denen ich beinahe ausschließlich von Schwangeren, Säuglingen, Müttern und Geburtshelferinnen umgeben war, wurde mir bewusst, wie fremd mir das vermeintlich kulturell Eigene war: „Weißt du, welche Bedeutung der Plazenta zukommt?“ Über die Begrifflichkeit hinaus wusste ich mit diesem Phänomen nichts anzufangen: Das Wort Plazenta kann mit Mutterkuchen übersetzt werden, der umgangssprachlich auch als Nachgeburt bezeichnet wird. „Aber wieso ist die Plazenta denn so wichtig?“ „Die Plazenta ist der erste Freund oder auch ein Teil des Kindes, sie nährt es neun Monate lang und lebt mit ihm auf engstem Raum zusammen. Die Plazenta besitzt eine mütterlich Seite, die der Mutter zugewandt ist und eine kindliche Seite. Sie ist ein Bindeglied, das während der Schwangerschaft untrennbar mit Mutter und Kind verbunden ist. Nach der Geburt findet die Trennung statt. Was nun mit der Plazenta geschieht, müssen Mutter und Vater entscheiden. Einige vergraben die Plazenta und pflanzen ein Bäumchen. Andere trocknen sie, um Arzneimittel herzustellen, die der Selbstheilung und Regulation des Körpers dienen. In der Plazenta steckt viel Energie. Sie darf nicht achtlos weggeworfen werden.“2 Würde mir nur die schriftlich festgehaltene Erinnerung an dieses Gespräch mit einer Hebamme vorliegen, so wäre ich versucht zu glauben, es handle sich bei dieser Beschreibung um die Vorstellung einer fremden Ethnie und nicht um die Ansicht einer Hebamme in Deutschland.3 Wieso schien mir die Bedeutung der Plazenta so exotisch zu sein? Ein Grund dafür könnte darin vermutet werden, dass diese Überzeugung nicht von der gesamten Gesellschaft geteilt, sondern im Gegenteil eher abgelehnt wird. Michel Odents, ein Vertreter der sanften Geburt4, stützt diese Annahme. Er weist darauf hin, Ausgabe 29

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dass die Plazenta nicht in allen Kulturen den gleichen Stellenwert besitzt (Odent 1983: 63).5 In unserer Gesellschaft stößt sie eher auf Desinteresse und wird als Abfallprodukt gesehen, das nach der Geburt entsorgt werden muss. Odent erklärt das Bewusstsein für die Plazenta aus der gesellschaftlich vorherrschenden Gebärposition heraus. „Wenn eine Frau in der Hocke gebiert, wird die Plazenta spontan angeschaut, untersucht, benannt.“ Demnach „[...] existiert die Plazenta im Bewusstsein der Menschen [...]“ (Kuntner 1985: 63). Dies ist bei der vertikalen Geburtsposition – der Geburt in Rückenlage – nicht der Fall. Die Plazenta wird vom Arzt entsorgt und tritt nicht ins Blickfeld der Frau. „Wir können noch hinzufügen, daß in einer Gesellschaft, in der man zu Hocken weiß, auch das Neugeborene ´existiert` (Kuntner 1985: 63).“ Odent wagt mit dieser These eine Aussage darüber, wie wir unsere Kinder auf dieser Welt willkommen heißen, wie wir sie vom ersten Atemzug an betrachten. Folglich steckt in seiner Stellungnahme schon eine übertragene Deutung – die dichte Beschreibung – des Umgangs mit der Plazenta und damit die Wechselbeziehung zwischen Verhaltensweisen und Vorstellungen, zwischen Ansichten und Praktiken von Geburt.

Die Geburt – Ein Aspekt der Lebensweise?

© cobalt123

Die Geburt markiert den Eintritt des Menschen in diese Welt und ist Zeichen des Fortbestands, der Erneuerung des Lebens. Wäre die Geburt ein natürlich festgeschriebener, unveränderlicher Vorgang, so wären weder Beschreibungen, noch Vergleiche, noch Interpretationen dieses Ereignisses nötig. Da die Geburt jedoch auch eine kulturelle Dimension besitzt, gibt es – abhängig vom sozialen Kontext – verschiedene Vorstellungen und Vorgehensweisen. Ist es möglich, anhand der Art und Weise des Gebärens auch Aussagen über die jeweilige Gesellschaft zu treffen? Ist sie, mit Odent gesprochen, „ein Aspekt der Lebensweise“ (Kuntner 1985: 63)? Die Geburt ist ein Brennpunkt der Gesellschaft, in ihr spiegelt sich der Geist der Zeit mit seinen Vorstellungen vom Menschen und vom Leben. Es ist also nicht gottgegeben, dass wir unsere Kinder in sterilen Kliniken unter CTG-Überwachung [Wehen- und Herztonüberwachung] und PDA-Betäubung [Rückenmarksanästhesie] entbinden lassen. Mein Interesse an diesem vermeintlichen Frauenthema war geweckt. Ich versuchte, Einblicke in die Welt der Geburt außerhalb des Krankenhauses – außerhalb der vorherrschenden Sichtweise – zu gewinnen und mich mit den Gedankenkonzepten und Verhaltensweisen dieses „Geburtssystems“ vertraut zu machen. Doch ich musste mich erst von einigen ungeprüften Gewissheiten verabschieden, um dessen gesamte Tragweite zu verstehen. Bei uns ist Geburt weder Frauensache noch Privatvergnügen, sondern ein hoch brisantes, gesellschaftlich und politisch relevantes Ereignis. Mit dieser Meta-Ebene, die sich hinter der sozialen Realität verbirgt, wollte ich mich beschäftigen. Die Geburt ist außerdem eine kollektive Praktik: Sie verbindet Menschen überall auf der Welt, da jeder geboren wird – es gibt nun mal keinen anderen Weg ins Leben. Dennoch ist die Vielfalt der Praktiken und Bedeutungen in allen Gesellschaften und Kulturen sehr groß. Auch in meiner nächsten Umgebung, in der Klinikgeburt und der außerklinischen Geburtshilfe, traf ich auf die eben genannte Vielgestaltigkeit. Neben der teilnehmenden Beobachtung stützen sich meine Ausführungen auch auf Expertinneninterviews mit Geburtshelferinnen. Ingesamt habe ich drei Gespräche mit vier freiberuflich tätigen Hebammen geführt, die aus einem Schatz an praktischer Arbeit und Erfahrung schöpfen können und sich meist eine sehr differenzierte Position erarbeitet haben, mit der sie sich täglich auseinandersetzen.

Die Krankenhausgeburt – Normalität oder Ideologie? Während meiner Beschäftigung mit dem Thema sowie in den Gesprächen stellte sich mir vor allem die Frage, wie unser gegenwärtiges Bewusstsein entstanden ist und wodurch die vorherrschende Praxis ihre mächtige Sogwirkung erlangt hat, der sich ein Großteil der Bevölkerung nicht entziehen

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kann oder will. Die Geburt im Krankenhaus ist zur Normalität geworden, die in dieser Form noch nicht lange existiert: „[…] bis Anfang der sechziger Jahre sind fast alle Kinder daheim auf die Welt gekommen, einfach aus dem Grund, weil die Krankenkassen das nicht gezahlt haben, ´ne Geburt im Krankenhaus, weil sie eben fanden, das ist so was Natürliches, das bedarf keines Krankenhausaufenthalts und es konnten sich damals nur die reicheren Leute leisten im Krankenhaus zu gebären oder zu entbinden eigentlich. Und als dann die Kassen angefangen haben, die Geburt auch dort zu zahlen, sind immer mehr Frauen ins Krankenhaus abgewandert und die Hausgeburt kam mehr oder weniger in Verruf.“ (Veronika Jankowski) „Man sagt, glaube ich, in Deutschland sind 2% außerklinische Geburten, das spricht ja Bände.“ (Sarah Winckler) So skizzierten zwei Hebammen im Interview die Entwicklung der letzten Jahrzehnte und positionierten damit die Hausgeburt als Praktik einer Minderheit in Deutschland. Nicht nur die Hausgeburt, auch die Tätigkeit der Hebammen hat ihren Stellenwert in der Gesellschaft geändert. „…und so ist das [die Geburtshilfe] immer mehr in die Hand von Ärzten gewandert, die dann die Hebammen so weit aus dem Beruf zurückgedrängt haben, dass es das in manchen Ländern…auch nicht mehr gibt.“ (Veronika Jankowski)

Historische Perspektive – „Feminae medicae“, Laienhebamme und Ärzte In der klassischen Antike wurde die Aufgabe und das Wissen der Hebamme sehr geschätzt. Sie nahm eine gesellschaftlich anerkannte Stellung ein, da sie über medizinische Kenntnisse verfügte, die ihr die Bezeichnung „feminae medicae“, Arzthebamme, einbrachte (Kuntner 1985: 26). In der traditionellen Geburtshilfe bildeten sich in den meisten europäischen Ländern ähnliche Praktiken und Vorstellungen heraus. Schwangerschaft und Geburt wurden nicht von ausgebildeten Fachleuten, sondern von erfahrenen, weisen Frauen, sogenannten „Laienhebammen“ betreut, die meist im gesamten heilkundlichen Bereich tätig waren (Kuntner 1985: 28). Parallel zur „volkstümlichen Geburtshilfe“ (Kuntner 1985: 28) begann sich im 18. Jahrhundert auch eine medizinische Richtung zu entwickeln. Die mündliche Weitergabe traditionellen Wissens zwischen den Generationen wurde ersetzt durch die professionelle Hebammenausbildung, die von Ärzten und Geburtshelfern geleistet wurde (Kuntner 1985: 57). Neben der empirischen Hebamme, der „Laienhebamme“, entstand das geschulte, ausgebildete Hebammenwesen (Kuntner 1985: 50). Diese Entwicklung ging einher mit der Ausdifferenzierung der Wissenschaft in ExpertInnendisziplinen an den Universitäten.6 Auch die Medizin wurde aus dem gesamtgesellschaftlichen Kontext ausgegliedert und richtete ihr Interesse immer stärker auf den menschlichen Körper und dessen Pathologien. Laut Marita Metz-Becker begann dieser Prozess in den sogenannten Accouchiranstalten – Mitte des 18. Jahrhunderts entstandene Gebärhäuser – die die „Geburt der Klinik“ einläuteten.

Die „Geburt der Klinik“ In diesen Gebärhäusern gelang es männlichen Ärzten zum ersten Mal, Einblicke in den Geburtsbereich und den weiblichen Körper zu gewinnen. Damit wurde auch der Hebammenberuf der männlichen Herrschaftssphäre einverleibt. Als Rechtfertigung für die Übernahme der „Weiberkunst“ führten die Vertreter der Medizin die hohe Mortalitätsrate unter Säuglingen an, für welche die ungebildeten „Wehmütter“ verantwortlich seien (Metz-Becker 1999: 37). Da die Hebammen nicht in der Lage seien, die Geburt auf einfache und natürliche Weise zu betreuen (Metz-Becker 1999: 37), musste die männlich dominierte Medizin sich ihrer Verantwortung bewusst werden: „[…] Der gelehrte Ge-

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burtshelfer aber kennt (die englische Zange und) die Gesetze der Mechanik, und er siegt unter deren Beistand oft da, wo ein altes Weib zittert.“7 Die Gebärhäuser lockten vor allem uneheliche Schwangere mit dem Erlass kirchlicher und staatlicher Strafen sowie der kostenlosen Unterbringung und Verpflegung für Niederkunft und Wochenbett an.8 Das Eindringen der Ärzte in das Geburtsgeschehen brachte weitreichende Folgen mit sich. Zum einen wurden die Frauen als Versuchsobjekte missbraucht. Sie dienten den Ärzten für anatomisch-physiologische Untersuchungen, die Leichen von verstorbenen Frauen wurden seziert und anatomische Sammlungen angelegt (Metz-Becker 1999: 38). Des weiteren konnten neue Operationsinstrumente und -methoden erprobt und weiterentwickelt werden (Metz-Becker 1997: 110). Medizinische Eingriffe in den Geburtsvorgang wurden eher dem Interesse der wissenschaftlichen Forschung unterstellt und hatten für Mutter und Kind oft tödliche Folgen. Eine Statistik für Kurhessen stellt das Ergebnis operativer Eingriffe in der Marburger Gebäranstalt drastisch dar: Im Durchschnitt wurde bei 3,4 Operationen ein Kind tot geboren (Metz-Becker 1997: 108).

Die Geburt als „gesundheitsmäßige Krankheit“ Trotz dieser Tatsachen entwickelte sich aus dem natürlichen Ereignis Geburt ein Zustand, der nicht ohne ärztliche Kontrolle oder medizinischen Eingriff funktionieren konnte. Geburt wurde zu einer potentiellen oder „gesundheitsmäßige[n] Krankheit“ (Metz-Becker 1997: 110). Die „Pathologisierung der Schwangerschaft, der Geburt und des Wochenbetts“ (Metz-Becker 1999: 41) war Teil einer gesamtgesellschaftlichen Medikalisierung und hatte tiefgreifende Folgen für das Frauenbild und das Geschlechterverhältnis. Aus den neuen Erkenntnissen über den weiblichen Organismus mit seinen geschlechtsspezifischen Merkmalen wurde auf geistige und psychische Differenz zwischen den Geschlechtern geschlossen: „[…] Zu allen Dem [sic!] ist das weibliche Geschlecht nicht geschaffen: die Natur hat ihm Kraft und Stärke versagt. […] Der Wirkungskreis des Weibes ist daher beschränkt […] und diesem gemäß sind auch die Geistesfähigkeiten der Frauen gebildet, ist der weibliche Charakter geschaffen“.9 Das neue Frauenbild wurde dem empiristischen Paradigma10 entsprechend durch die weibliche Biologie, die Natur der Frau begründet. Charakter und intellektuelle Eigenschaften wurden ebenso festgeschrieben, wie der soziale Aufgabenbereich der Frau. Die Verlagerung der Weiberkunst in den Machtbereich der männlichen Medizin schuf ein bis in die Gegenwart reichendes Frauenbild, das die „Codierung der Geschlechter“11 ermöglichte (Metz-Becker 1999: 41).

Macht und Geschlecht Ist es auch in unserer Zeit möglich, aus der Gebärkultur ein bestimmtes Frauenbild und Geschlechterverhältnis abzulesen? In den Aussagen einiger Hebammen wurden diese Zusammenhänge durchaus deutlich, wobei Differenzierungen zwischen der Krankenhausgeburt und der außerklinischen Geburt gemacht wurden. „Da [im Krankenhaus] habe ich von vielen Frauen so ein Bild gehabt, dass sie sich selbst nichts zutrauen, aber auch keinen Bock haben irgendwie was auszuhalten und […], selbst verantwortlich zu sein, dass sie ihr Kind jetzt gebären, sondern dass sie halt einfach ihre Verantwortung auch abgeben.“ (Sarah Winckler) Der Frau, die im Krankenhaus entbunden wird, werden die Attribute schwach, passiv, ergeben zugeschrieben. Die Klinikgeburt ist im Gegensatz zur außerklinischen Geburt fremdbestimmt. Die Worte Macht, Männer und Kontrolle tauchten in den Interviews immer wieder auf und zeigen, dass sich auch in der aktuellen Geburtshilfe ein bestimmtes Geschlechterverhältnis manifestiert: „Kinderkriegen ist ‘ne Machtsache […] Und wie die das eben langsam mit kapiert haben, die Männer, haben die ganz stark eingegriffen, in dieses Hebammen…oder einfach in die Frauenheilkunde.“ (Veronika Jankowski) 12

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Das Mysterium und die Kraft der Geburt mache den Männern Angst, so eine Hebamme im Interview. Deshalb „haben [die Männer] […] sich das dann, also untern Nagel gerissen, um das zu kontrollieren […]“ (Uschi Ebert)

Risikobegriff und Sicherheitsdenken Bei der Untersuchung von Machtverhältnissen darf auch die Macht der Technik12 nicht unberücksichtigt bleiben: Die Entwicklung der Medizintechnik, zu deren Anfängen die Einführung der Geburtszange gezählt wird (Metz-Becker 1997: 107), gipfelt heute in unserer „hoch-technologisierten Dienstleistungs-Gesellschaft“ (Duden 2002: 133), in der die Geburt mit Barbara Duden gesprochen ins „technische Milieu“(Duden 2002: 121) gerückt wurde, das jedoch nicht nur von den männlichen Gesellschaftsmitgliedern getragen wird, so eine Hebamme: „[…] auch Frauen gucken eher auf diese Technik und glauben eher an einen Arzt als an sich selber […]“ (Melani Trofimow) Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die Geburt in die Klinik verlegt, eine Phase, die auch das Bewusstsein der Menschen veränderte. Die Hebammen zeichneten alle ein ähnliches Bild von Geburt, das ihrer Meinung nach in den Köpfen der Menschen vorherrsche: Geburt und Schwangerschaft seien in unserer Gesellschaft in erster Linie „[…] ein medizinischer Vorgang […] Immer mehr Technik, immer mehr Tests und Screenings […].“ (Uschi Ebert) Die medizinische Kontrolle wird mit der Einführung der Risikoschwangerschaft begründet. In Hessen fallen 70% der Schwangerschaften in diese Kategorie, so eine Hebamme im Interview. Risikobegriff, Sicherheitsdenken und medizintechnische Kontrolle prägen die kulturelle Wirklichkeit von Schwangerschaft und Geburt und die Vorstellung, unter welchen Umständen eine Geburt funktioniert (Pfleiderer 2003: 181). Sie haben Auswirkungen auf das Empfinden der Frauen, auf ihre Ängste und ihr Selbstvertrauen:

© thinkpanama

„Weil’s halt so gefährlich ist, muss man sich absichern, weil so viel passieren kann. […] und das, was die Frauen spüren, da verlassen die sich gar nicht mehr d’rauf.“ (Uschi Ebert)

„Der Ultraschall wird gemacht, nicht um zu schauen, ob alles in Ordnung ist, sondern damit alles in Ordnung ist.“ Eine Studie der Berliner Forschungsgruppe Public Health (Barbian & Werth 1997: 278-295) untersuchte die Auswirkungen von Diagnose und Vorsorge in der Schwangerschaft: Die Annahme, dass medizinische Überwachung den Frauen Sicherheit gebe, wurde nicht eindeutig bestätigt. Das Erleben von Schwangerschaft und Geburt wird eher durch statistische Normen und Werte, Ultraschallbilder und Pränataldiagnostik – kurz: Fremdzuschreibungen – bestimmt, als durch das subjektive Empfinden der Frauen (Barbian & Werth 1997: 278-295). Daraus entsteht ein Gefühl der Unsicherheit, die Frauen haben immer weniger „[...] Zutrauen [...] zu sich, [...] ihrem Körper und der Natur [...]“. (Uschi Ebert) Sie bewegen sich während der Schwangerschaft und der Geburt im Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Verunsicherung. Die technische Überwachung des weiblichen Körpers und des Fötus im Bauch (Duden 2002) scheint einerseits jedes Risiko auszuschließen, verpflichtet die Frau jedoch andererseits, sich der Medizinkontrolle unterzuordnen. Diese Spirale vermag es, die Kausalzusammenhänge umzukehren: Regelmäßige Kontrolluntersuchungen werden zur Voraussetzung für eine gefahrlose Schwangerschaft. „Der Ultraschall wird gemacht, nicht um zu schauen, ob alles in Ordnung ist, sondern damit alles in Ordnung ist“ (Schindele 1997: 266). Diese Einschätzung teilte eine Hebamme im Interview: Die Intuition und das Körpergefühl der Frauen wird von den medizinischen Bildern überlagert, so dass sie das Gefühl bekommen, „[…] wenn kein CTG oder kein Ultraschall gelaufen

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ist, dann sieht man [nicht], dass es dem Kind gut geht.“ (Veronika Jankowski) Das engmaschige Netz an Überwachungsmechanismen lässt natürliche menschliche Unsicherheit nicht gelten. Ein „gewisses Nicht-Wissen“ sei „heutzutage gar nicht akzeptabel“, so eine meiner Interviewpartnerinnen. Das einseitige Sicherheitsverständnis der Medizin schließt die soziale und emotionale Komponente aus. „Und das ist eben die Frage:Was ist Sicherheit? Ist Sicherheit, dass man […] jemanden hat, jemand Vertrauten, den man kennt und […] weiß, wer zur Türe rein kommt und wer dabei sein wird […]. Oder ist Sicherheit, dass man weiß, man hat nebenan den OP stehen, man hat ein CTG [Herztonüberwachung], aber sonst niemanden um einen rum, so wie`s […] in den Krankenhäusern ist.“ (Veronika Jankowski) „Anonymer Geburtsbeistand ist an die Stelle einer vertrauten Person getreten […]“ (Bensel & HaugSchnabel 1997: 295), die der Frau Selbstvertrauen und emotionalen Beistand geben könnte. In der modernen Klinikgeburt finden zwischenmenschliche Beziehungen kaum Platz. Das „sinnschaffende[…] Geschehen[…]“, in dem aus der rituellen Intimität von zwei Frauen ein drittes, ein neues Wesen hervorging“ (Duden 1998: 157), ist aus der sterilen Krankenhausatmosphäre weitgehend verschwunden.

Der Kaiserschnitt – Ein klinisch verwalteter Schwangerschaftsabbruch? Der größte medizinische Eingriff in die Geburt ist der Kaiserschnitt, der in der klinischen Praxis vermehrt Anwendung findet, so eine Hebamme im Interview. Ein operativer Ausgang der Geburt kann auch dann durchgeführt werden, wenn aus medizinischer Sicht keine Notwendigkeit gegeben wäre. Dabei spielen auch die Zwänge der Arbeitsroutine im Krankenhaus eine wichtige Rolle. Eine vaginale Geburt kann nicht geplant werden und unterliegt weniger der Kontrolle und Steuerung des Arztes als eine Operation. Durch den Kaiserschnitt wird die Geburt zu einem rein medizinischen Eingriff ohne Beteiligung der Frau gemacht. Die steigende Tendenz der Sectiogeburt [Geburt durch einen Kaiserschnitt] wird von den Hebammen jedoch nicht auf die mangelnde Gebärfähigkeit der Frauen zurückgeführt, sondern mit den fortschreitenden medizinischen Möglichkeiten, die das Risiko einer Operation gesenkt haben, begründet. „Je risikoärmer […]so ein Kaiserschnitt ist, desto leichter nimmt man das natürlich auch. Also heute ist das ja easy, da wird halt schnell mal ein Kaiserschnitt gemacht. Das ist auch einfacher, wie ‘ne normale Geburt für manche, ich glaub irgendwann gibt’s mal Ärzte, die haben noch nie ´ne normale Geburt gesehen.“ (Uschi Ebert) Dementsprechend sieht Barbara Duden in der klinischen Geburt nur noch den „Verwaltungsakt des weheneinleitenden Schwangerschafts-Abbruch“ (Duden 1998: 165). Die Biomedizin hat Schwangerschaft und Geburt in ein „Krankheits-Bild“ verwandelt und durch diese neu entstandene Wahrnehmung die Kontrolle über einen wichtigen weiblichen Lebensabschnitt errungen: „Die Kontrolle des Körpers führt zu der Kontrolle der Gewissen und des Bewusstseins (…) (Pfleiderer 2003: 182). Die vaginale Geburt ist jedoch noch nicht zur Ausnahme geworden. Denn in vielen Fällen wird der Kaiserschnitt nicht ohne medizinischen Grund, das heißt bei Gefahr für das Leben von Mutter und Kind, praktiziert.

Weiblicher Widerstand gegen den Mythos der Machbarkeit? Wie ist es zu erklären, dass sich ein Großteil der Bevölkerung der Macht der Medizintechnik unterordnet und nur eine kleine Minderheit – „ein elitäres Völkchen“, wie eine Hebamme meinte – dieser

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Entwicklung Widerstand leistet?13 Eva Schindele vergleicht das Bedürfnis des „Sich-Versichern-Müssens“ mit einem „Beschwörungsritual“, das die Frau in die Logik der Sicherheitsgarantie und den „Mythos der Machbarkeit“ – unter Ausschluss des Ungewissen – einbindet (Schindele 1997: 266). In ähnlicher Weise interpretiert Barbara Duden die kritiklose Ergebenheit vieler Frauen als Folge der „Suggestionsmacht versteckter Rituale“, die „das Zeremoniell der Klinik“ ausmachen (Duden 1998: 164f). Sie bezeichnet die „zeitgenössische[…] technische[…] Liturgie“ als eine Glaubensform, eine Art religiöser Dogmen. Dadurch werden Diagnostik, Überwachung und Kontrolle zu rituellen Handlungen, denen die Frauen verpflichtet sind und die ihnen gleichzeitig Sicherheit bieten (Duden 1998: 151). Dass es sich bei diesem Bewusstseinswandel um eine kulturelle Konstruktion handelt, kann auch durch Vergleiche mit anderen Geburtssystemen belegt werden. In den Niederlanden gebären ein Drittel der Frauen zu Hause, ohne dabei eine erhöhte Gefahr für das Leben des Kindes einzugehen (Bensel & Haug-Schnabel 1997: 296; Damer 1999: 101). In Deutschland ist der Prozentsatz außerklinischer Geburten in Bezug auf die Gesamtgeburtszahl relativ gering. Für den Zeitraum 2000 bis 2004 lag der Anteil außerklinischer Geburten zwischen 1,4 und 1,8 Prozent14, was die vorherrschende Geburtsideologie in Zahlen ausdrückt und die folgende Einschätzung untermauert: „Geburt wird nicht mehr als eine Gefahr, Gebären nicht mehr als Wagnis und ihr Verlauf nicht mehr als Schicksal erlebt; Gefahr ist zum Risiko umgemodelt,Wagnis zur Kalkulation über die notwendigen Mittel […]“ (Duden 1998: 160). Frauen, die sich dieser Logik widersetzen und sich zutrauen, ohne medizinischen Überwachungsapparat zu gebären, werden oft als unverantwortlich oder leichtsinnig abgestempelt. Ist die klinische Entbindung wirklich sicherer als eine Geburt zu Hause? Der geringe Anteil außerklinischer Geburten lässt darauf schließen, dass die Säuglingssterblichkeit während der Geburt im Krankenhaus wesentlich geringer ist. Diese Vermutung wird von statistische Untersuchungen15 verneint: Die klinisch überwachte Geburt bedeutet nicht mehr Sicherheit für das Leben von Mutter und Kind. In bestimmten Fällen sind medizinische Interventionen durchaus sinnvoll und wichtig, doch „viele Statistiken zeigen höhere Mortalität, wenn derartige Interventionen sich häufen, als dann, wenn sie unterlassen werden.“16

Sanftes Ankommen statt medizinischtechnischer „Verwaltung der Entbindung“ Barbara Duden vertritt die These, dass „mit der klinischen Technisierung [...] die rituelle Sinngebung der Mensch-Werdung in der Geburt [...] verloren gegangen“ ist (Duden 1998: 156). In der außerklinischen Geburtshilfe werden Möglichkeiten gesucht, „ein sanftes Ankommen“ (Uschi Ebert) zu gestalten und der reinen Routine in der Geburtshilfe entgegen zu wirken. Dieses Selbstverständnis von Geburtshilfe sehe ich als Widerstand gegen die medizintechnische „Verwaltung der Entbindung“ (Duden 1998: 161), gegen die vorherrschende Ideologie, „die das Suchen nach Sicherheit bis zum Exzess bevorzugt“ (Odent 1983: 63). Es ist von der Vorstellung getragen, dass Frauen nicht entbunden werden müssen, sondern gebären können, da sie die „Kunst des Gebärens“ (Kuntner 2000: 86) besitzen. Die Haltung der Hebammen, denen ich begegnete, kann – mit Barbara Duden gesprochen – als „die Suche nach den noch möglichen Freiräumen für Frauen im Rahmen einer Welt technischer Normen, in der das Denken in systembezogenen Begriffen für das Erlebnis maßgeblich geworden ist“ bezeichnet werden (Duden 2002: 129). „Geburtshilfe ist wie ein Brennpunkt, in dem die ganze Situation (…) [der] Frau in der hoch-technologisierten Dienstleistungs-Gesellschaft aufblitzt, und aus dieser Perspektive scheint mir die Geburtsbegleitung wie eine Gradwanderung zwischen zwei Wirklichkeitsformen […]“ (Duden 2002: 133). In den Konzepten der Geburtshäuser kommen neue Vorstellungen und Bilder von Geburt zum Tragen, die sich in der konkreten Geburtshilfe ausdrücken und eine spezifisch weibliche Sichtweise in die soziale Praxis integrieren.

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Fußnoten

Lydia Koblofsky (25) studierte von 2004 bis 2008 Vergleichende Kultur- und Religionswissenschaft (B.A.)an der Philipps-Universität Marburg. Seit 2008 Studium der Friedens- und Konfliktforschung (M.A.) in Marburg. Ihre Bachelorarbeit schrieb sie zum Thema außerklinische Geburt mit dem Titel „Gebären oder Entbinden? Kulturwissenschaftliche Untersuchung zu Ansichten und Praktiken von Geburt“. Hierzu führte sie Interviews mit Hebammen durch sowie eine Feldforschung in einem Geburtshaus. Aus dieser Arbeit ist auch dieser Artikel entstanden.

Danksagung Für die Bereitschaft, mich in die Konzepte und Vorstellungswelten der außerklinischen Geburt einzuführen, möchte ich mich bei allen Beteiligten - Hebammen, Schwangeren, Müttern ganz herzlich bedanken. Ein besonderer Dank gilt meinen Interviewpartnerinnen Veronika Jankowski, Sarah Winckler, Melani Trofimow und Uschi Ebert, die sich mit viel Zeit und Offenheit meinen Fragen gestellt haben und damit nicht nur maßgeblich an der Entstehung dieser Arbeit teilhatten, sondern mir auch emotionalen Zugang zu diesem Thema ermöglichten. Vielen Dank!

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1 http://www.geburtsstun.de (zuletzt eingesehen 29.05.2007). 2 Gedächtnisprotokoll eines Gesprächs mit Veronika Jankowski in Stuttgart am 05.03.2007. 3 Zur Bedeutung der Plazenta in der traditionellen Geburtshilfe Europas siehe Kuntner 2000: 62f. Zur Bedeutung der Plazenta bei den Mafa in Kamerun siehe Kosack 2001: 421f. 4 Bei der sanften Geburt wird so wenig wie möglich in den Geburtsverlauf eingegriffen. Die Bedürfnisse von Mutter und Kind stehen im Vordergrund. Sie ist im Gegensatz zur geplanten Geburt zu sehen (Leboyer 1981). 5 Liselotte Kuntner weißt darauf hin, dass die Verwendung und der Umgang mit der Plazenta in der volkstümlichen Geburtshilfe sehr vielgestaltig war und ist. Diese Praktiken tauchen nach meinen eigenen Erfahrungen in der außerklinischen Geburtshilfe wieder auf. Kuntner betont jedoch, dass die Plazenta fast nie als wertloses Nebenprodukt entsorgt wird (Kuntner 1985: 55). 6 Diese Entwicklung wird oft als Professionalisierungsprozess bezeichnete (Metz-Becker 1997: 103). 7 Gruner, Christian Gottfried: Gedanken von der Arzneiwissenschaft und den Aerzten. Breslau 1772. S. 11-513. In: Metz-Becker 1997: 105f. 8 Metz-Becker 1997: 109. Uneheliche Schwangerschaft und heimliche Geburt standen unter Strafe, so dass vielen Frauen keine andere Wahl blieb, als sich auf das Angebot der Accouchiranstalten einzulassen (Gengnagel et al 1997: 33). 9 Siebold, E.C.J. v.: Geburtshülfliche Briefe. Braunschweig 1862. S.177-178. In: Metz-Becker 1999: 41. 10 Das empiristische Paradigma stützt seine Erkenntnisse auf empirisch erfahr- und nachweisbare Tatsachen und das rationale Bewusstsein: Lux 2003: 18. 11 Honegger, Claudia: Die Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaft vom Menschen und das Weib. Frankfurt a.M./New York 1991. In: MetzBecker 1999: 41. 12 Machtverhältnisse in der technischen Geburtshilfe analysiert Emily Martin in ihrem Buch „Die Frau im Köper“ auf Grundlage von medizinischer Fachliteratur (Martin 1989). 13 In den letzten zwei, drei Jahren gab es jedoch, laut dieser Hebamme, auch eine Veränderung des Klientels der Geburtshäuser.Vermehrt kommen auch Frauen aus nicht-akademischen Kreisen oder mit Migrationshintergrund. 14 http://www.quag.de/content/geburtenzahl.htm (zuletzt eingesehen 29.05.2007). Die Angaben zu Geburtenzahlen außerhalb des Krankenhauses beziehen sich auf die Erhebung der Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe e.V. (QUAG), einem gemeinsamen Verein der deutschen Hebammenverbände. Seit 1982 gibt es keine amtlich statistischen Erhebungen zu außerklinisch geborenen Kindern mehr. Dies macht die Erfassung schwierig (QUAG konnte für 2004 nur 69 Prozent der außerklinischen stattgefundenen Geburten erfassen) und verdeutlich darüber hinaus die geringe Beachtung außerklinischer Geburtshilfe von öffentlicher und politischer Seite. Die vorliegenden Zahlen ergeben sich aus der Differenz der Gesamtzahl der Geburten und der in der Klinik erfolgten Geburten. In den letzten Jahren kann eine leichte Steigung des Anteils verzeichnet werden, da die absolute Zahl der Gesamtgeburten in Deutschland gesunken und die Zahl der außerklinischen Geburten leicht gestiegen ist. Die exakten Angaben zwischen 2000 und 2004 lagen bei Werten von 1,36 und 1,76 Prozent (bei dieser Zahl muss ein Fehler auf der Internetseite vorliegen, die 1,70 Prozent angibt). 15 Marjorie Tew, eine ausgebildete Statistikerin, untersuchte Veränderungen der Mütter- und Säuglingssterblichkeit während des 20. Jahrhunderts in Großbritannien, USA, Kanada und Australien. Ihre Ergebnisse zeigen, dass der Fortschritt der Geburtsmedizin und die Verlegung der Geburt in die Klinik keinen signifikanten Einfluss auf die perinatale Sterblichkeit für Mutter und Kind ausübten. Marjorie Tew stützt ihre Erkenntnisse auf die Perinatalstatistiken von 1958 und 1970. Für England ist die Entwicklung aufgrund des vorhandenen Quellenmaterials schon vor 1950 nachvollziehbar, wodurch sich der erwähnte Kausalzusammenhang zwischen Technisierung/Hospitalisierung und circumnatale Sterblichkeit noch eindeutiger ausschließen lässt. In Bezug auf Deutschland existieren kaum Studien zu diesem Thema. Das Forschungsprojekt um Beate Schücking an der Universität Osnabrück wird von Barbara Duden und Christine Fritz-Binder als erster Ansatz in diesem Bereich erwähnt (Duden 1998: 160-163, 332; Binder-Fritz 2003: 102). 16 Tew, Marjorie: Safer childbirth? A critical history of maternity care. London 1990: 266. In: Duden 1998: 163.

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Referenzen Barbian, E., and I. Werth. 1997. „Schwangerschaft als Risiko – Zur Entwicklung der Schwangerenvorsorge in Ost- und West-bezirken Berlins,“ in Frauen und Gesundheit: ethnomedizinische Perspektiven. Curare: Sonderband 11. Edited by C. E. Gottschalk-Batschkus, J. Schuler, and D. Iding, pp. 287-291. Berlin:Verlag für Wissenschaft und Bildung. Bensel, J., and G. Haug-Schnabel. 1997. „Wendepunkt Geburt – Unvereinbarkeit von Frau- und Muttersein als Gesundheitsrisiko in westlichen Industrieländern,“ in Frauen und Gesundheit: ethnomedizinische Perspektiven. Curare: Sonderband 11. Edited by C. E. Gottschalk-Batschkus, J. Schuler, and D. Iding, pp. 293-301. Berlin: Verlag für Wissenschaft und Bildung. Damer, T. 1999. „Frauen in Europa: Unterschiedliche Geburtserfahrungen?,“ in Hebammenkunst gestern und heute. Zur Kultur des Gebärens durch drei Jahrhunderte. Edited by M. Metz-Becker, pp. 101-109. Marburg: Jonas Verlag. Duden, B. 1998. „Die Ungeborenen. Vom Untergang der Geburt im späten 20. Jahrhundert,“ in Rituale der Geburt. Eine Kulturgeschichte. Edited by J. Schlumbohm, B. Duden, and J. Gelis, pp. 149-168. München: Beck. —. 2002. Die Gene im Kopf - der Fötus im Bauch: Historisches zum Frauenkörper, Erstausg. edition. Hannover: Offizin. Gengnagel, A., and U. Hasse. 1999. „Die Geburt der Klinik“: Accouchiranstalten in Deutschland,“ in Hebammenkunst gestern und heute. Zur Kultur des Gebärens durch drei Jahrhunderte. Edited by M. Metz-Becker, pp. 31-36. Marburg: Jonas Verlag. Kosack, G. 2001. Die Mafa im Spiegel ihrer oralen Literatur: eine Monographie aus der Sicht von Frauen. Köln: Köppe. Kuntner, L. 1985. Die Gebärhaltung der Frau: Schwangerschaft und Geburt aus geschichtlicher, völkerkundlicher und medizinischer Sicht. München: Marseille. —. 2000. „Geburt und Mutterschaft im Kulturvergleich,“ in Gebärhaltungen im Wandel. Kulturhistorische Perspektiven und neue Zielsetzungen. Edited by M. Metz-Becker and S. Schmidt, pp. 52-87. Marburg: Jonas Verlag. Leboyer, F. d. r. 1981. Geburt ohne Gewalt. München: Kösel. Lux, T. 2003. „Viele Namen für dieselbe Sache? Ethnomedizin, Medizinethnologie und Medical Anthropology,“ in Kulturelle Dimensionen der Medizin. Ethnomedizin - Medizinethnologie - Medical Anthropology. Edited by T. Lux, pp. 10-29. Berlin: Dietrich Reimer Verlag. Martin, E. 1989. Die Frau im Körper: weibliches Bewusstsein, Gynäkologie und die Reproduktion des Lebens. Frankfurt a.M: Campus Verlag. Metz-Becker, M. 1997. „Krankheit Frau. Zum Medikalisierungsprozess des weiblichen Körpers im frühen 19. Jahrhundert,“ in Medizin im kulturellen Vergleich: die Kulturen der Medizin. Edited by Ambatielos and Dimitrios, pp. 103-121. Münster: Waxmann Verlag. —. 1999. „Akademische Geburtshilfe im 19. Jahrhundert: Der Blick des Arztes auf die Frau,“ in Hebammenkunst gestern und heute. Zur Kultur des Gebärens durch drei Jahrhunderte. Edited by M. Metz-Becker, pp. 37-41. Marburg: Jonas Verlag. Odent, M. 1983. „Stellungen bei der Geburt und Gegenkultur,“ in Die Geburt aus ethnomedizinischer Sicht: Beiträge und Nachträge zur 4. internationalen Fachtagung der AG Ethnomedizin über traditionelle Geburtshilfe und Gynäkologie in Göttingen, 8. - 10.12.1978. Edited by W. Schiefenhövel and Arbeitsgemeinschaft Ethnomedizin, pp. 57-64. Braunschweig [u.a.]:Vieweg. Pfleiderer, B. 2003. „Zur kulturellen Konstruktion biomedizinischen Tuns und Wissens,“ in Ritual und Heilung. Eine Einführung in die Ethnomedizin. Edited by K. Greifeld, pp. 165-197. Berlin: Dietrich Reimer Verlag. Pfleiderer, B., and W. Bichmann. 1985. Krankheit und Kultur. Eine Einführung in die Ethnomedizin. Berlin: Dietrich Reimer Verlag. Schindele, E. 1997. „Übergänge im Frauenleben – Medikalisierung und Stigmatisierung durch die westliche Medizin,“ in Frauen und Gesundheit: ethnomedizinische Perspektiven. Curare: Sonderband 11. Edited by C. E. Gottschalk-Batschkus, J. Schuler, and D. Iding, pp. 263-267. Berlin:Verlag für Wissenschaft und Bildung.

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Perspektiven auf Frauenbeschneidung: Ein Versuch der Erkl채rung. von

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Sch채dlich

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Ein buntes Plakat mit der Aufschrift „Stop Female Genital Cutting!“, unter der ein junges Mädchen mit gespreizten Beinen und schmerzverzerrtem Gesicht zu erkennen ist, bebildert die weiße Wand. Der Besuch eines Gesundheitszentrums in Gambia lässt die offizielle Einstellung der nichtstaatlichen Organisationen gegenüber der Beschneidung von Mädchen und Frauen durchblicken: Aus den Medien weiß ich, dass fast alle Anstrengungen Frauenbeschneidung zu unterbinden, bisher im Nichts endeten. Immer noch werden etwa 80 Prozent der kleinen Mädchen oder jungen Frauen in Gambia beschnitten. Die Defensive gegen jene Form des Eingriffs in den weiblichen Körper scheint unfassbar schwierig. Doch warum ist das so? Und wann fing der Kampf gegen Frauenbeschneidung an? Wer sind die GegnerInnen, wer die VerteidigerInnen? Ich begann mich dafür zu interessieren, was zu der heutigen Kontroverse um Frauenbeschneidung führte und wie sich die Argumentation der Beteiligten entwickelte. Um nicht denselben Fehler zu begehen, wie er vielen GegnerInnen von Frauenbeschneidung nur allzu oft vorgeworfen wird, will ich gleich am Anfang eine Differenzierung vornehmen, die eine Pauschalisierung vermeiden soll. Die World Health Organization (2006) legte kürzlich drei „Typen“ von Beschneidung fest. Der Erste beschreibt die bloße Entfernung der Klitoris. Typ 2 hat die gleichen Merkmale wie Typ 1 sowie die Entfernung der inneren Schamlippen. Der dritte Typ entspricht Typ 2 und beinhaltet darüber hinaus das Zusammennähen der äußeren Schamlippen. Dass diese Definitionen nur eine Verständnishilfe darstellen, sollte jedem bewusst sein. Die Realität wird kaum exakt mit diesen Typen übereinstimmen. Bisweilen wird zusätzlich der Typ 4 genannt. So ist in dem von Bettina Shell-Duncan und Ylva Hernlund (2000) herausgegeben anthropologischen Buch von der „symbolische Beschneidung“ zu lesen. Hierbei wird „nur so getan als ob“ beschnitten wird. Sie ist als Alternative zu den anderen Typen anzusehen: Das Mädchen wird keiner tatsächlichen Beschneidung unterzogen, jedoch bleibt die Bedeutung des Rituals erhalten. Auch wenn sich die Einteilung in Typen im ersten Moment vielleicht nach bloßer Kategorisierung anhört, ist es wichtig sich der Unterschiede bewusst zu werden, da Verallgemeinerungen, zu denen in Vergangenheit viele Organisationen im Kampf gegen Frauenbeschneidung geneigt waren, nicht selten genau deshalb durch die Betroffenen in die Kritik gerieten. Es ist beispielsweise fragwürdig medizinische Konsequenzen für alle Typen zu verabsolutieren. Diese

Problematik deutet schon das Konfliktpotential an, welches das Thema Frauenbeschneidung in sich birgt. Und das ist nur einer von vielen Aspekten. Auch die Frage nach der Bedeutung, welche sich für die Durchführenden mit der Beschneidung verbindet, ist Grund vieler Konfrontationen. Viel zu oft scheinen sich die KritikerInnen gar nicht für die Motive zu interessieren oder die bloße Unterdrückung der Frau durch den Mann zu sehen, dabei ist es weit komplexer, als sie annehmen.

Frau werden, Kind bleiben – „gute“ Gründe für Beschneidung? Es erscheint vielleicht anmaßend, die Beweggründe, welche zum Beschneiden von Frauen führen, in einem kurzen Abschnitt zusammenfassen zu wollen. Deshalb sollen folgende Ausführungen nur als Ansatz verstanden werden, sich von der Vorstellung zu lösen, Frauenbeschneidung als bloße „grausame Tradition“ zu pauschalisieren. Ein Argument, welches immer wieder zu finden ist, ist die Heiratsfähigkeit. Die Frauen glauben sich der Gefahr ausgesetzt, als „Unbeschnittene“ keinen Ehemann zu finden. Die Männer hingegen sehen die Beschneidung mitunter als Garant dafür, dass die eigene Ehefrau treu ist, was erklärt, weshalb sie mancherorts erst in der Hochzeitsnacht durchgeführt wird. Auch denken die Frauen zum Teil, so ist erneut bei Shell-Duncan und Hernlund zu lesen, dass die sexuellen Vorlieben des Mannes nur als beschnittene Frau befriedigt werden können. Bisweilen sichert Beschneidung die Jungfräulichkeit, sprich die „Reinheit“ der Frau vor der Heirat, wenn die Schamlippen im Kindes- oder Jugendalter verschlossen werden. Zum anderen wird in Shell-Duncans und Hernlunds Buch berichtet, dass die Beschneidung oftmals Teil der Initiation ist. Es ist ein notwendiger Schritt, vom Kind zur Frau zu werden. Weiblichkeit und Fruchtbarkeit wird so erst „erschaffen“. Bei den Kono in Sierra Leone wird beispielsweise die Klitoris mit dem Penis gleichgesetzt. Nur durch die Entfernung des „Männlichen“ setzt sich die Frau wirklich vom Mann ab. Die Frau muss sich ihre eigene weibliche Identität erst erschaffen. Als Initiation wird in Sierra Leone die Aufnahme in den Geheimbund der Bundu, auch Sande genannt, verstanden. Die Ethnologin Jaqueline Knörr (2006), Mitarbeiterin des Max-PlanckInstituts in Halle a. d. Saale, forschte zu den Bundu im Rahmen ihrer Habilitation, wobei sie auch auf die Stellung der Beschneidung ein-

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geht. Die Mitgliedschaft in dem Bund ist allein Frauen vorbehalten. Um den Status „Frau“ zu erreichen, muss vorher allerdings die Beschneidung durchgeführt werden. Erst danach ist ihr Geschlecht zweifellos festgelegt. „Unbeschnittenen“ wird der Erwachsenenstatus sogar aberkannt, ganz gleich welchen Alters sie sind. Somit werden sie zu Außenseiterinnen nicht nur der Geheimgesellschaft, sondern der gesamten „weiblichen Welt“. Häufig wird Beschneidung von den Durchführenden mit ihrem islamischen Glauben erklärt. So kann Frauenbeschneidung als Voraussetzung gelten, Mitglied einer islamischen Gemeinde zu sein. Als Beispiel hierfür werden bei Shell-Duncan und Hernlund die Mandingos in Guinea-Bissau genannt. Bei ihnen ist Frauenbeschneidung im Islam verankert, da unbeschnittene Frauen als unrein angesehen werden. Reinheit gilt jedoch als eines der obersten Gebote, um in die religiöse Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Wie diese, wenn auch nicht vollständige, Aufzählung zeigen soll, sind die Begründungen für Frauenbeschneidung vielfältig. Den GegnerInnen von Frauenbeschneidung, so die Kritik der Betroffenen, fehlt es allerdings zu oft an der Fähigkeit, sich differenziert damit auseinanderzusetzen. Deshalb werde eine Debatte geführt, der es an fundiertem Wissen mangelt.

Befreiung der Frau oder Ego-Trip der „westlichen“ Frauen? Der Kampf gegen Frauenbeschneidung Um das Gleichgewicht zu halten, möchte ich mir nun die andere Seite, also die der GegnerInnen von Frauenbeschneidung, genauer anschauen. Bei näherer Betrachtung der historischen Entwicklung der Debatte wird laut der amerikanischen Anthropologin Elizabeth H. Boyle (2002) offensichtlich, dass es sich bei ihr um ein Produkt des Wandels der Stellung der Frau in der „westlichen Gesellschaft“ handelt. Zwar gab es schon vorher Versuche, Frauenbeschneidung von Seiten der Kolonialmächte oder auch Missionare zu unterbinden, doch gewann die Debatte erst mit der Einmischung von FeministInnen an Radikalität und vor allem an Internationalität. Die Argumentation der sich gerade emanzipierenden Frauen Ende der 60er Jahre, Anfang der 70er Jahre verlief hauptsächlich auf einer moralischen Ebene, die Frauen zu Opfern und Männer zu Tätern

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werden ließ. Für Frauenbeschneidung, so ist bei Rogaia Mustafa Abusharaf (2006), die sich ausgiebig mit dem Wandel der Diskussion um dieses Thema beschäftigt, nachzulesen, seien laut des feministischen Lagers allein die Männer verantwortlich zu machen. Sie würden Frauenbeschneidung aufrechterhalten, um sie vor allem sexuell unterdrücken zu können. An derartigen Kritiken wurde vor allem beanstandet, dass sie stark vom Selbstinteresse der FeministInnen geleitet seien: Sie versuchten sich gerade zu emanzipieren und übertrugen dies auf Frauen in aller Welt, selbst wenn diese nicht danach fragten. Den AktivistInnen wurde deshalb zum Vorwurf gemacht, dass sie sich zu oft von den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen leiten ließen. Die feministische Bewegung schaffte es zwar zu polarisieren, doch wirkliche Erfolge konnte sie im Kampf gegen Frauenbeschneidung nicht erzielen. Trotzdem blieben ihre Versuche nicht ohne Folgen, denn sie lenkten erstmals im globalen Rahmen die Aufmerksamkeit auf diese Thematik. Da die Begründung der FeministInnen so kontrovers war, bezogen sich die meisten nichtstaatlichen Organisationen, welche das Ziel der Abschaffung von Frauenbeschneidung verfolgten, mehr auf die Gesundheitsgefährdung. Der medizinische Aspekt wurde als „objektiv“ gesehen. Die FeministInnen sahen in jenem Paradigmenwechsel eine Chance und griffen dieses Argument mit auf. Die Objektivierung des Diskurses durch medizinische Fakten kann als der Schritt in die Richtung einer Internationalisierung des Kampfes gegen Frauenbeschneidung angesehen werden. Die Unversehrtheit anderer Menschen, so lautet die Begründung, sei fernab von Staatsgrenzen und „Kulturhürden“ etwas, das „uns alle“ angehe. Frauenbeschneidung, als „Verstümmelung“ deklariert, könne somit aus medizinischer Sicht nicht vertretbar sein. Diese Argumentation ist ein Beispiel dafür, dass die Typisierung von Frauenbeschneidung durchaus sinnvoll sein kann. So erfährt der/die Lesende bei Abusharaf, dass die GegnerInnen häufig zu der Aussage neigen, Frauenbeschneidung führe, egal wie durchgeführt, zu schädlichen Konsequenzen für die Gesundheit oder sei im schlimmsten Falle tödlich. Doch sind diese theoretischen Ausführungen laut Abusharaf nicht immer verträglich mit den Erfahrungen der Frauen. Die körperlichen Konsequenzen der Beschneidung können beispielsweise anders erlebt werden als angenommen. Und selbst wenn gesundheitliche Probleme der Frauen als Folge der Beschneidung identifiziert werden, sei deshalb für die Betroffenen dieser Zusammenhang noch lange nicht klar.

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Eine weitere überraschende Wendung greift Abusharaf auf: Durch die Konzentration auf den gesundheitlichen Aspekt kam es teilweise zu unerwarteten Ergebnissen. Als extremes Beispiel weist die Autorin auf Ärzte und Krankenschwestern hin, die sich durch Sensibilisierungskampagnen dem Thema mehr als zuvor annahmen, sprich die Beschneidung lieber selbst durchführten, als diese Aufgabe einer unqualifizierten „Beschneiderin“ zu überlassen. Paradoxerweise gewannen sie erst durch die häufig von NGOs durchgeführten Schulungen den nötigen Wissenstand und das erforderliche Equipment, um die Beschneidungen unter ihrer Ansicht nach vertretbaren Bedingungen durchführen zu können.

Das Argument der Menschenrechte: Internationalisierung der Debatte Vielleicht auch weil das Argument der Gesundheitsgefährdung nicht zum erhofften Ergebnis der Abschaffung von Frauenbeschneidung führte, kam es laut Boyle in den 90er Jahren zu einem weiteren Paradigmenwechsel, infolgedessen die Menschenrechte Mittel des Kampfes wurden. Auch internationale politische Organisationen, wie die UN, welche anfangs noch sehr zurückhaltend waren, stiegen nun in die Debatte mit ein. Diese einflussreichen Gegenspieler der Beschneidung hatten die Möglichkeit, erheblichen Druck auf die Politik auszuüben. Somit begannen einige Staaten, Frauenbeschneidung zu illegalisieren. Allerdings ist dies oftmals nicht geglückt. So kam es zwar vielerorts zum Verbot von Frauenbeschneidung, doch führte das nicht zur erhofften Unterbindung des Praktizierens. Es habe, so sind die Stimmen der KritikerInnen bei Boyle nachzulesen, den Menschen an Alternativen gefehlt. Gesetze allein könnten deshalb nicht erfolgreich sein. Der Bezug auf die Menschenrechte stellt sich als genauso verstrickt, wie die vorhergehenden Argumentationen gegen Frauenbeschneidung heraus, wie am Beispiel des Übereinkommens über die Rechte des Kindes, welches im Jahre 1989 erlassen wurde, deutlich wird. Hier heißt es im Artikel 37, dass das Kind keiner „grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe“ (BPB 2004: 179) ausgesetzt werden soll. Darauf Bezug nehmend kann Frauenbeschneidung als eine Form der Kindesmisshandlung betrachtet werden. Diese Schlussfolgerung ist jedoch problematisch,

folgt man der Konfliktanalyse Shell-Duncans und Hernlunds. Die Mädchen könnten sich, entgegen dieser Annahme, in einer Umgebung, wo eine überwiegende Anzahl Gleichaltriger beschnitten ist, nur „normal“ entwickeln, wenn auch sie sich der Beschneidung unterziehen. Die Alternative wäre der Ausschluss aus der Gemeinschaft. Es heißt im Artikel 30 dieses Übereinkommens aber auch, dass einem Kind „nicht das Recht vorenthalten werden (darf), in Gemeinschaft mit anderen Angehörigen seiner Gruppe seine eigene Kultur zu pflegen“ (BPB 2004: 178). Deshalb sei es von Seiten der

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BefürworterInnen des Kultur-Arguments fraglich, Eltern Missbrauch zu unterstellen, wenn nach ihrem Verständnis Beschneidung einen Teil der Kultur ausmacht. Zum anderen soll hier die Erklärung über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen aus dem Jahre 1993 als weitere menschenrechtliche Basis der GegnerInnen von Frauenbeschneidung erwähnt werden. Hierbei ist gleich Artikel 1 entscheidend: „Im Sinne dieser Erklärung bedeutet der Ausdruck „Gewalt gegen Frauen“ jede gegen Frauen auf Grund ihrer Geschlechtszugehörigkeit gerichtete Gewalthandlung, durch die Frauen körperlicher, sexueller oder psychologischer Schaden oder Leid zugefügt wird“ (BPB 2004: 163). Frauenbeschneidung kann in diesem Sinne als Form der Ungleichheit zwischen Männern und Frauen begriffen werden. Allerdings werde Beschneidung, so lautet die Gegenposition, welche wiederum bei Shell-Duncan und Hernlund nachzuverfolgen ist, oft von den Frauen selbst am Leben erhalten, und zwar gerade aufgrund der Macht, die sie dadurch in ihrer Gemeinschaft erhalten. Die Debatte, wie sie derzeit geführt wird, ist, wie durch die hier angeführten Beispiel ersichtlich wird, durch eine unüberwindbare Kluft zwischen GegnerInnen und KritikerInnen gekennzeichnet. Für die einen sind universelle Vorstellungen, wie die Menschenrechte, Basis ihrer Überzeugung. Für die anderen sind vor allem der individuelle Bedeutungskontext und die Aufgabe, welche Frauenbeschneidung in der Gemeinschaft erfüllt, ausschlaggebend. Die Bedeutung von Frauenbeschneidung ist laut der Gegenseite jedoch nicht entscheidend genug, um die Augen vor den gesundheitsgefährdenden und menschenrechtsverachtenden Aspekten zu verschließen. Die Frage ist, ob eine Einigung zwischen den beiden Seiten der Auseinandersetzung jemals möglich ist oder ob der Ball auch in Zukunft nur weiter hin und her geworfen wird. Nach der ernüchternden Erkenntnis, dass ein Ende der gegenseitigen Beschuldigungen nicht absehbar ist, möchte ich mit einem Konzeptbeispiel aus Gambia (gelesen bei Shell-Duncan und Hernlund) enden, das die rituelle Bedeutung von Frauenbeschneidung beibehält, jedoch ohne sie „wirklich“ durchzuführen: das „Ritual ohne Schneiden“. Ziel des nichtstaatlich geförderten Projektes ist es, den jungen Frauen die Nachteile der Frauenbeschneidung nahe zu bringen, ohne die

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damit einhergehende Initiation zu untergraben. Die InitiatorInnen dieses Programms nahmen sich die Zeit, die Mädchen intensiv zu trainieren und ihnen jenes Wissen zu vermitteln, welches sie auch im Rahmen des Rituals um die Beschneidung gewinnen würden. Die Beteiligten ließen sich darauf ein und unterzogen sich als erste in Gambia dem „Ritual ohne Schneiden“. Inwieweit solche Projekte langfristige Wirkungen zeigen, ist noch nicht abzusehen. Doch ist es meiner Meinung nach ein Schritt in die Richtung, dass Frauen einen eigenen Weg finden, ohne sich für die eine oder andere Seite zu entscheiden. Eine Strategie, die vielleicht funktionieren wird.

Referenzen Abusharaf, R. M. (2006): Female Circumcision: Multicultural Perspectives. Philadelphia: University of Pennsylvania Press. Boyle, E. H. (2002): Female Genital Cutting. Cultural Conflict in the Global Community. Baltimore (u.a.): Johns Hopkins University Press. Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.) (2004): Menschenrechte. Dokumente und Deklarationen. Bonn: Bercker, Kevelaer Knörr, J. (2006): Zur sozialen Bedeutung weiblicher Geheimbünde in Sierra Leone. Public lecture delivered for habilitation, 25. Januar 2006. Halle/Saale: Max Planck Institute for Social Anthropology. Shell-Duncan, B. & Y. Hernlund (Hrsg.) (2000): Female `Circumcision` in Africa. Culture, Controversy and Change. Boulder, Colorado: Lynne Rienner. World Health Organization (2006): Female genital mutilation and obstetric outcome: WHO collaborative prospective study in six African countries. Geneva, Switzerland: WHO Press

Anett Schädlich (24) studiert seit 2004 Ethnologie, VWL sowie Zeitgeschichte in Halle und ist seit 2006 Redaktionsmitglied der CARGO. 2007 absolvierte sie über VolNet e.V. ein 4-monatiges Praktikum in Gambia (Westafrika).

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Traditional Methods and Ethnic Choices.

Prenatal Care and the Importance of Ethnicity for Health Seeking Behavior. by

Lila

Sax

Introduction In the southern Mexican state Oaxaca, it is estimated that 50 in 1000 infants die at birth (Barreda 2001). Many of these births occur in a rural setting, the mothers-to-be are attended by family members and in many cases by midwives.1 These midwives, many claim, put the conservation of their traditional methods above the general health of their clients (Krause 2003: 49). By refusing to use modern methods, denying to their clients modern hospital facilities and clinging desperately to an inadequate tradition, these midwives are ultimately to blame for the high rate of both infant and maternal mortality in this state. Not only the midwives, but also the mothers are seen as carrying part of the blame for these high rates. Due to their – the mother’s and the midwives – shared ethnicity the mother’s are seen to prefer these instead of trained medical professionals: “the preference for midwives in the countryside is due to social aspects, certain interethnic relationships as well as different concepts of the health and the body”2 (ibid: 43). Here the assumption is made clear that the mothers see a direct link between the midwives and their own “ethnicity”, just as it is assumed that the midwives see a direct link between their “ethnicity” and the “traditional methods” they are said to use. In this paper I show that the outcome of a woman dying during delivery (maternal mortality) cannot be reduced simply to decisions made because of “ethnicity”, in this case of women choosing traditional midwives. In doing this I will bring to light the many other factors that influence choices made during pregnancy- the doctor-patient interaction as well as the level of socialization and the social position of the woman. I will begin by reproducing the situation in Oaxaca, mainly referring to the case study done by Martina Krause in 2003 as well as other supporting texts. Through this I intend to show the different “ethnic identities” propagated both by the state and by the midwives themselves, and how the dichotomized categories, which they produce do not reflect reality. I will then refer to the issues raised in a larger medical-ethnological context by discussing the notion that medical systems are “always part of a larger social-cultural context and continually adapting to changes in society” (Krause 2003: 58). Finally, I will suggest factors beyond ethnicity that contribute to a high mortality rate among women in Oaxaca and through doing this emphasize the importance of seeing prenatal care and reproductive health choices in a wider context.

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Oaxaca and Prenatal Care Preferences Oaxaca is a Mexican state in the southernmost part of the NorthAmerican continent. 23% of the total population lives in this relatively large state, 43% in villages with less than 2500 people. A large number (21%) of the youth cannot read or write, large numbers of the population still use indigenous languages in their daily lives and large distances must be covered between larger cities or towns, for example it is 370 miles to the capital Mexico City (Barreda 2001). The birth rate in 2001 for Oaxaca was 3,1 per woman, 3 points above the general birth rate for the country of 2,8, which in some highly urbanized cities dropped in 2001 to 2 children per woman. The infant mortality rate in Mexico is estimated at 25.36 deaths per 1,000 births (Worldpress.org 2005). In Oaxaca the infant mortality rate is said to be twice as high (Barreda 2001). One of the major health concerns in Oaxaca is the high maternal and infant mortality rate. Statistical data is both contradictory and scarce, with numbers varying according to area, whether deaths in hospitals or homes or both are registered, and if “indigenous deaths” (without a clear definition of an “indigenous person”) are listed separately (Estrada 2003). A tentative estimate from 1991 states 14 deaths per 10,000 births (www.country-studies.com/mexico). The statistics from the Pan America Health Organization from 2001 show a rising female mortality rate, but relates this not to actual numbers, but rather to an improved system of data collecting. Krause writes in her case study that especially in the 1990s the Public Health Sector put new programs in place to “improve the living conditions of the indigenous people” with the main goal to “reduce the mother and child mortality rates by 50%” (2003: 50). Obviously, the high mortality rate has been recognized by the Public Sector as a concern and programs were put in place to try and combat this. While considering the impact of reproductive health care on infant and maternal morbidity and mortality rates, it is important to look at the prenatal care accessed by expectant mothers.There is a large range of factors to be taken into account that influences decisions made about prenatal care. Martina Krause emphasizes the importance of a shared ethnic identity between health care provider and user (2003). This importance is emphasized also in other studies on health-seeking behavior (Loyola 1997, Leal 1997, Okwari 2005).

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In other articles the emphasis is placed more on “socio-economic conditions, belief of disease causation and severity, popular beliefs and characteristics of health services (as well as the) educational status of women” (Terra de Souza et al. 2000, see also Hopkins 2000, Gready et al. 1997). What follows will investigate the impact of these factors on mothers prenatal care decisions, beginning with a more in-depth analysis of Martina Krause’s case study (2003). Krause describes the birthing practice in Oaxaca in her article “State Schoolings for indigenous Midwives” from August 2003 as follows: “In the early 1990s there were 1010 rural midwives registered in the state of Oaxaca, although it was estimated that approximately 8000 local experts were in fact active (. . .). Through urbanization in the last two centuries many babies are now born in hospitals and private clinics in the larger cities, whereas in the countryside not much has changed.There, midwives still accompany the majority of births (. . .). In 2000, state institutions in indigenous regions supervised only 7% of all births, whereas midwives were present in 73% births. In the remaining 20% family members helped or the woman was alone” (2003: 43f). She goes on describing the important position of midwives in the countryside, not only in their role as birth attendants, but also due to their consulting services in medical matters throughout the entire reproductive phase of a woman’s life. Midwives offer assistance in family planning matters and, in addition, “have a large array of knowledge about general health and healing” (2003: 43f). “Often” she writes, “they are the only resource for medical consultations” in rural areas (2003: 44). Krause names three reasons for the preferences of midwives instead of so called “School-medicine”. Firstly, the services offered by the Public Health Sector are usually more expensive, and for the quarter of the population, that has no health insurance (Krause 2003: 43), practically inaccessible. Secondly, due to the failures in the rural public health care system, in some villages small health centers have been set up to try and cover basic health care needs. Here, a nurse works alongside a doctor (pasante), who has recently completed his or her university education and is completing an obligatory year of social service (ibid: 44). Krause criticizes this system as not only insufficient due to the “inadequate experience of the pasante”, but also to a certain extent dangerous for mother and child due to the partiality of these doctors for caesarian sections.

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Some studies suggest that it is in fact due to the influence of doctors that rates of caesarian sections among women, especially in South America, are so incredibly high (Hopkins 2000). In Oaxaca the caesarian section rate in public clinics was 38,5% in 2000.The World Health Organisation suggests a rate of 15%. Thirdly, Krause implies that existing cultural ideas about women and birth influence the choices about the amount and type of prenatal care. For instance, these ideas can impede access to prenatal care: “Men are often not prepared to pay for the treatment by the midwife and often send their wives (. . .) in the actual moment of birth to the midwife.This praxis is based on the cultural concept that pregnancy, due to a high birthrate, is a natural part of being a woman, so that a special care or protection for pregnant women is not seen as needed or acceptable” (Krause 2003: 47). Finally, Krause lists the “interethnic relationships” (2003: 43) found in the villages as the deciding factor associated with maternal health seeking behavior. The midwives, she writes, “are a member of (the pregnant woman’s) own social group and as a representative of (her) indigenous society share the same autochthon language as well as the same body concepts” (ibid, my additions). Krause then lists different concepts ‘proving’ the traditionalism of their methods, for example that midwives allow women to have long labor time and don’t often use analgesics because “they believe labor pains belong to the process of birth” (2003: 54). The argument that Krause then introduces is consistent with that found in other medical-ethnological case studies (see Giffen and Lowndes 1999, Brouwere et al. 1998). She presents it as follows: “Because of the missing recognition for their concepts and practices by the health care sector, in the absence of state legality for their profession, as well as the fact that they are respected by their community, but not by the national society and doctors, (midwives) keep their own practices or begin to use them again. This is combined with a strong reflection on their own cultural values and traditional (überlieferte) experiences” (Krause: 54f). In other words, the midwives refuse to give up their “traditional” ways not because they are convinced that they are more effective, but because they are linked to their ethnic identity and cultural values. Krause calls this “passive resistance” (ibid: 57). I disagree with this view, instead, I will try to show that the idea of “an ethnic iden-

tity”, i.e. a static concept that must be “guarded” against modern influence is in fact a construct, used as much by ethnologists as by politicians and even the midwives themselves to shift responsibility and justify certain actions within a much more complex setting. Furthermore I will show that the preference for midwives results from a larger array of factors. Certainly, ethnicity is one of these factors, but in order to analyze the situation and really contribute to lowering maternal and infant mortality rates, a more in-depth study must be conducted. The question is then: how much influence does the ethnic background of a woman have in her choice of prenatal care?

Schooling Programs and the Birth of Ethnicity Since the 1970s, increasing numbers of schooling programs for midwives have been introduced in Oaxaca, the most important being courses of the Instituto Mexicano del Seguro Social (IMSS) and of the Secretaría de Salud (SSA) (Krause 2003: 47). The IMSS is part of a “solidarity program” from a private insurance company for civil servants, the SSA is part of a larger general health care program run by the Ministry of Health. In the simplified version of the situation in Oaxaca there are two sides, modern and traditional. On the “modern” side, state authorities ignore the birthing services offered by the midwives, which, for many years, have in fact been effective in ensuring safe deliveries, reducing their activities to “lay methods” and giving them incentives to concentrate on family planning, counseling and support and encouraging them to send mothers to the hospital to give birth. Furthermore, the preferences for midwives in the villages are reduced to a shared ethnic identity, thus ignoring other contributing factors. The midwives enhance this ethnic affiliation for a number of reasons, mainly in order to defend their status and ensure employment, but also to provide a sense of justification for their position in society, presenting, in both their view and in the view of the Ministry of Health, “tradition”. In the attempts to combat mortality and morbidity rates and educate the “traditional midwives” based on this simplified understanding of the situation combined with the midwives reactions to these attempts, we can see the dangers that lie within the discourse of “ethnicity”. The image of the midwife propagated by the state is mainly concentrated on their affiliation to a certain ethnic group. The notion that they promote their own ethnic identity through guarding their traAusgabe 29

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ditional methods at any cost leads to accusations of malpractice and irresponsibility. I will discuss this again below.There are mainly indigenous women who practice midwifery in rural areas, who learn by accompanying an older midwife (usually a family member), although there are a few cases of male ‘midwives’ (Krause 2003: 42). As part of the “modernization” progress that took place in the 1980s, the state assumed “biological medicine”, also called “School-medicine”, as the single legitimate way to diagnose sickness and combat disease (ibid: 39). The opinion that School-medicine is the single most effective method of medical care can be found in numerous articles on traditional medicine and especially midwifery (De Brouwere et al. 1998, Doyal 2000). Even when not stated specifically, often articles will suggest that traditional healers should be taught “appropriate methods” (Eggleston 2000), or that women do not seek “medical care” because they first go to a “traditional healer” (Terra de Souza et al. 2000), implying these do not offer medical care. The notion that medical care is somehow only available when offered by a health professional, in other words someone trained in a state institution who is in that sense skilled in “School-medicine”, impacts the schooling of midwives. Maria Andréa Loyola wrote in 1997 that “official medicine (. . .) discredits (traditional medicine) as being non scientific, magical and/ or religious” (Loyola 1997: 60). Whether it is to guard hierarchical structures in the society, hide inequalities or simply to get midwives to “persuade women with complications to go to hospital” (De Brouwere et al. 1998), the schoolings in Oaxaca are build on the same idea: that there are “those who teach (doctors), and those who need to learn (midwives)” (Krause 2000: 55). She describes the schoolings as follows: “On the one hand, the contents that are taught guarantee the status of the doctors through (focus on subjects suggested by the practitioners and) discussing themes the midwives see as important only in brief. Furthermore the institutions hardly address the modification suggestions brought by the midwives” (Krause 2003: 55). In other words, the midwives are trained in methods suggested to be superior to their own, their wishes are not respected and their own methods are not discussed. As Krause sums up: “the state personnel combine cultural differences in medical concepts and practices with the pretense that their own School-medicine model

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is superior” (2003: 54). This method is in practice in many different countries despite the suggestion that the implementation of modern methods has had little influence on maternal mortality rates (De Brouwere et al. 1998, A.C. Terra de Souza et al. 2000). Many studies show that only when modern methods are embedded in the social-cultural context, they can contribute to an overall improvement (De Brouwere et al. 1997, Hopkins 2000). In this context it is also important to take into account the influence of these modern methods on the midwives own practice and vice versa (Krause 2003: 59). In Oaxaca, present training programs for midwives have shown that they have little or no affect on maternal and infant mortality rates. Infant mortality rates have decreased minimally, although this can also be explained through an overall decrease in female fertility rates. Especially in hospitals, a rise in maternal mortality rates has lead to further worry and accusations. The Public Health sector accuses the midwives of “guarding their ethnic ideas without regard to further development”, and as “guardians of tradition” not caring about the health care of Mother and Child” (Krause 2003: 56). They imply that the rural population continues to live in poverty because they keep their traditions and culture, suggesting a “self-perpetuating cycle of poverty” (2003: 52). The insistence on using traditional methods is consequently not only seen as endangering the population, but also forcing it into poverty and suffering. The rise in maternal mortality rate in hospitals is said to be the result of inefficient care by a midwife. State authorities complain that women are only sent to the hospital when there is “no hope for mother and/or child”. Even the rise in caesarian sections, according to the public health sector, is caused by “midwives who can’t manage a difficult birth and turn to help (in a hospital) too late” (Krause 2003). De Brouwere et al. (1998) and A.C. Terra de Souza et al. (2000) also suggest that midwives do not send their patients in due time to a hospital, leading to higher mother and infant mortality rates. Doyal ascribes the high number of deaths during pregnancy in poor countries to the “insufficient access to trained health workers” (2000: 935), i.e. not traditional midwives. Krause quotes the person in charge of the midwife program as saying “it is generally known that many (women) have died due to the care of a midwife” (2003: 49). The strong implication here is that the midwives cling to their traditional methods (which prove to be ineffective) and only when all hope is lost they send the mother at risk to the hospital, where

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nothing more can be done to save her. The result is that they are accused of placing the conservation of their traditional methods above the general health of their clients; the high maternal mortality rate is consequently the fault of the midwives and their reliance on traditional methods. Martina Krause describes the midwives as follows: “(They) are mostly older women with their own children (. . .). Knowledge in birthing is acquired through a practical education alongside another midwife, who is often a member of their family. All in all they have different grades of specialization, since there are also midwives who accompany births also in the role of a mother or grandmother and bring therefore another level into the process, one of medical assistance” (2003: 42). She emphasizes that the midwifery practice varies according to the region but that all the midwives are bound by the same “Cosmo vision”. Furthermore they are all denied a juristic recognition by the state, despite a high level of respect by their communities (2003: 42). As noted earlier, they are often the only resource in rural communities for health care and their services reach above and beyond the accompaniment of the actual birth (2003: 43). They are trusted also by village leaders and enjoy a high level of authority (2003: 45). As noted by Loyola (1997) in a similar study on traditional medicine in the south of Brazil: “we are dealing with a set of healing techniques employed by specialists who are sometimes tolerated not yet recognized by official medicine”. While the state presents the midwives insistence on “tradition” as negative, ultimately supporting a downward spiral into poverty and marginalization, the midwives themselves emphasize their use of traditional methods in another light. Krause quotes from the declaration of the forum “now and in the future – the traditional indigenous birth care of Mexico’s South and Southwest”: “we continue to live in marginality and poverty as the indigenous people we are because we want to conserve our tradition and the way we live and give birth” (2003: 64). However, the society, along with the needs and wants of the women giving birth within it, changes over time. How can a medical system – may it be traditional or not – “guard” its tradition? And to what extent is this possible? I question the direct relationship presented by both the midwives and the state, rather suggesting that these two systems do not embody static ideas and ideals, but rather are part of a much larger social-cultural construct

that is continually changing. Furthermore, I believe the marginality and poverty – although perhaps more obvious when shown in reference to tradition – are in fact due to other factors present in the Mexican society. Rather than creating a sharp distinction between “the midwives” and “the hospitals/doctors” and linking the former to tradition and ethnicity, the latter to biomedicine and modernity, I argue that the idea of two distinct systems needs to be questioned. Krause herself proposes that there has been an interchange of symbols and practices between indigenous and conquering communities since the first contact. Christian symbols (e.g. the crucifix) were adopted by the Mayas from the Spanish conquerors as symbols for the culmination of the four elements, as well as for the Spanish religion. At the same time certain elements of the indigenous medicine flowed into the Spanish practice, an example is the use of certain roots leaves as pain killers or even abortives (2003: 58).This history gives reason to doubt the notion of a “parallel existence” of two “incompatible medical systems” as is often propagated by state authorities today (2003: 39). Instead these separate systems have co-existed - each borrowing from the other - for centuries. At the root of the debate about the midwifery practice in Oaxaca, Mexico lies in the creation of the dichotomy “biomedicine vs. traditional medicine”. Both state institutions and midwives assign roles within this dichotomy to distance themselves from blame and to legitimate their practice. On the one side is the picture of the “modern medicine”, mostly young, rich, non-indigenous men taught biomedicine in universities in the city versus older, poor indigenous women, without any formal education who base their practice on procedures passed from generation to generation. In order to preserve this black-and-white scenario, certain deviations are carefully ignored, such as the high rate of deaths in hospitals, the willingness of the midwives to adopt “modern methods” and so on. In addition, the factor ethnicity is singled out to explain the preference of midwives in rural areas. The “white male doctor” cannot treat the pregnant woman as well as the “indigenous midwife” because of contrasting “cosmic visions”. Here, certain realities are overlooked, such as the implementation of biomedical products in the midwifery practice or their symbolic value as symbols of modernity and advancement.3 Other factors contributing to high maternal and infant mortality rates are taken out of the equation. Krause alludes to the fact that both the midwifery practice, as well

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as the whole medical system is very diverse, a phenomena which has been shown in many other countries (see for example Terra de Souza et al. 2000 who describes a similar diversity in Ceará). Parallels to this pluralism within the “traditional medical system” can most certainly be found within the “biomedical system”. The idea of specialization into gynecology, nose and ear doctors, chiropractic specialists and so forth, is generally accepted. Furthermore, the present trend towards more homeopathic methods, as well as the introduction of acupuncture, massage, physiotherapy and others show an ever-increasing plurality within the “biomedical” system. Later in this paper I will discuss the notion that “biomedical” doctors, their methods and practice, are also part of a larger social system. The question remains then, to what extent ethnicity influences the decisions made during pregnancy. Surely, the idea that the person providing my prenatal care shares the same cultural background as I do, speaks the same language and is of the same sex, influences my decision to go to her. But other factors arise in this setting, such as the power of biomedicine, the status given to doctors and university education, the wish, perhaps, to distance oneself from the everpresent poverty and offer one’s unborn child “modern” health care. And what about the barriers: transportation costs, doctors’ fees, husbands reluctance, necessity to care for other children at home, lack of recognition by the community of the need for a check-up during pregnancy? What about the influence of the village medical personnel on a woman’s decisions, her inability to read the pamphlets they have given to her, or incomplete knowledge about the treatment or medication they have prescribed? A study about decisions towards reproductive health and specifically prenatal care would have to take into account not only the socio-economic situation of the woman in question (for example income, marital status, family situation, living situation, literacy), but also the geographical situation (for example distance to hospital/ large city compared to distance to “traditional healer”, access to family planning programs, advertising campaigns) and interactions effecting the woman in question (for example between her and medical practitioners, effects on her evaluation of her own situation/situation of the child).The complexity of the situation demands an equally complex analysis over a period of years in order to be able to make general statements about choices in prenatal care and allow concrete, effective programs to be put in place.

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Medical Systems as Part of a Larger Socio-Cultural Context Medical Anthropology has made the study of medical systems as part of a larger socio-cultural context one of its main focus areas. Many studies look at the specific effects of the socio-cultural context on traditional systems (Hopkins 2000,Terra de Souza et al 2000, De Brouwere et al. 1998). Although previously thought of as an objective culture free system, a growing body of literature focuses on Western medical systems as medical systems with strong cultural influence (Hahn 1995; Kleinmann 1980, 1986; Scheper-Hughes and Lock 1987). While anthropology, especially Critical Medical Anthropology has made many valuable observations about implicit value systems present in biomedical thought and practice, many of these fail to be recognized by medical practitioners and many suggestions have not been implemented in practice.4 The schoolings in Oaxaca are based on the assumptions that: 1) doctors base decisions purely on (scientific) facts which can be taught and learnt and that 2) the (bio)-medical system is stable and detached from cultural concepts. These statements also imply that 1) non-doctors base decisions on nonscientific facts which can not be taught or learnt and, 2) these non-doctors base decisions purely on cultural concepts.Through closer consideration of the complexities of health care, especially prenatal health care, the true complexity of the situation can better be comprehended. This complexity indicates that, while midwives can ultimately lead to reducing the rate of female mortality, this effect cannot be reached simply by introducing modern methods. Furthermore, midwives are shown to actually welcome modern methods as these have positive effects on their practice. These points need further clarification. It has been shown that the implementation of the systematic use of aseptic techniques as well as calling attention to unsanitary practices can reduce maternal mortality (De Brouwere et al. 1998, Ronsmans, C. et. al. 2001). Krause suggests that training programs that carefully introduce new techniques to midwives without questioning their authority or dismissing their methods may have significant effects on maternal mortality. However, insufficient training programs have a dark side. For example the use of plastic gloves has in many cases led to an increased risk of infection, since often the same pair of gloves is used for a number of births. Also, the introduction of medical relaxants and pain killers during labor carry with them an

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increased risk of overdose (Krause 2003: 61 - Fn 31). Apart from the pressure of state institutions to take part in the courses, the participation and resulting application of “modern methods” also improves the situation of the midwives in their respective villages. Firstly, writes Krause, the midwives’ status is improved through the use of chemicals instead of plant substances, since their patients see those as a sign of “development”, whereas their status is questioned if they refer women to state hospitals, where midwives are often not even allowed into the birthing ward (2003: 60f.) Secondly the midwives see the “training” as a justification for the introduction of fees for their services; Krause describes this as a “commercialization” of their work (2003: 61). This can lead to further difficulties in the birthing practice, for example the adoption of a lying birth position propagated in the courses, in comparison to a standing birth position used up until now among the midwives (2003: 61). These examples highlight important side effects of the courses offered in the communities. The introduction of “modern methods” is not seen as a negative result, in fact it improves the situation of the midwives in their respective villages and is supported by the patients. The increased status and training provides the midwives with an opportunity to introduce fees, though this could also be related to a much wider process of direct payment for services entering into Mexican society as a whole. The indigenous midwives are willing to change their practices, questioning the notion that the divide “midwifery – biomedicine” is so clearly defined as proposed. And, most importantly, the dangers resulting from an insufficient training are brought to light, once again questioning the idea that the introduction of modern methods immediately leads to an improved, safer medical practice. Anthropological research, then, should be focused on how training programs can combine both the ‘biomedical’ and the ‘traditional’ approach to maternal care, without reinforcing the barrier between the two. We have seen in the case study that midwives are preferred, that they take part in training programs and are willing to use new methods and are encouraged by their clients to do so. This should be seen as a positive foundation for further programs to combat maternal mortality, and not, as De Brouwere et al. writes, “a dead end”. In order of future research, however, the biomedical system must also be investigated in the light of its socio-cultural background. We have seen here that the traditional background is often in focus

of criticism, even desperation from advocates of training programs. “Traditional healers” are often seen as ignorant; some go as far as to say they are stubborn, “such women are unlikely to change their ways” writes Namboze (1985), an echo of the notion of the “guardians of tradition”. But how can we accuse traditional healers of an attitude that is praised in the biomedical field? Modern methods are often valued due to their over-time-preservation and their adoption in different scenarios (see for example Terra de Souza et al. 2000). The notion that doctors’ knowledge is “text book knowledge”, meaning not being susceptible to influence by culture or society (Lock 1982) or “ethnic ideas” (Krause 2003) in other words based on hard facts, has led to an assumption that the practical use of this knowledge is also impervious to its surroundings. It is exactly this notion which I would challenge, suggesting that the biomedical practice is as much affected by its environment as the “traditional” practice and furthermore, that the lines drawn between these two practices are in fact fluid, allowing interaction and the sharing of ideas. Certainly many scientific “facts” about proper birthing techniques; blood transfusion, clamps, lower section caesarians and others have greatly influenced birthing methods and reduced the risk for both mother and child during birth. However, birthing methods still rely heavily on presuppositions among the wider population, especially when reinforced by medical personal. Kristine Hopkins, over a period of nine months, observed doctors and women interaction in prenatal care and birthing scenarios in two Brazilian cities, and came to the conclusion that doctors are “very active participants in the growing construction of the culture of caesarian section in Brazil” (Hopkins 2000: 725). On top of this she shows the mechanisms used – mostly playing on the fear of birthing pains and the notion that caesarian sections are safer for babies – to convince women to have caesarian sections. Once again we are confronted with one of the many factors influencing women’s choices in prenatal care within cultural construction of a clinical reality. Also, the decisions made about contraceptive methods are in a strong way disposed to cultural ideas and information offered by health professionals. In studies done in many focus regions for reproductive health care programs it has been shown that women are more likely to simply accept the contraceptive method suggested by their gynecologist than independently inform themselves of the advantages or risks associated with available methods (Gready et al.

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1997, Leal 1997, Hardon 1997). Problems result due to inadequate instruction in proper use of the suggested method, as well as misunderstandings of health risks that may be caused by improper use. Thus many women interviewed in South Africa for example had their intrauterine device (IUD) removed only after four or six years, unaware of the damage they could do to their bodies during this time (Gready et al. 1997). The administration of oral contraceptives (in Brazil for example) also does not ensure correct usage. “The pills are not taken as recommended, thus compromising their effectiveness and permanently affecting the belief in their effectiveness” (Leal 1997). Similar statements can be found about South Africa (Gready et al. 1997, Hardon 1997). Access to contraception is therefore not the primary determinant in contraceptive usage, just as administration of contraceptive methods does not ensure a decline in births. All of these examples support my argument: “traditional” medical systems and “modern” medical systems do not exist as parallel systems but rather intertwine, constantly borrowing and learning from one another. Thus the introduction of one method, i.e. contraceptive pills, in different settings often does not lead to the expected outcomes. Leal offers one very important insight into this constellation: “The challenge to medical anthropology is far more complex: it is not a matter of producing more or better information or publicizing it through other means, and neither is the legitimacy of the medical doctor at stake; and it is also not a matter of making contraceptive methods more easily available, considering that this is already the case. What must be grasped here is the logic underlying (. . .) about the body and reproduction” (Leal 1997: 158). As noted above, this is one very important factor in the complexity of choices made in reproductive and prenatal care, which certainly must be taken into account when analyzing these decisions. However, it is not the only factor, but one of many: socio-economic situation, geographical situation, access to health care and interaction with health providers. A further factor in this clinical reality is the symbolic significance of doctors. Of course this construct and its deviants (power of knowledge, effect of education, hierarchical systems and many more) are worth an ethnological study itself, here I only wish to mention some points worth considering. Loyola writes that “the relations between

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different healing systems (. . .) are a product of the relations between different social agents” (1997: 60). She defends the argument that traditional healers, and the population as a whole, attempt to “defend themselves against the authoritarianism of official medicine”, giving traditional methods greater symbolic meaning (1997: 61). Leal also argues that traditional methods of contraception and birth termination in Brazil are preferred by women due to their “social conceptions of the body of bodily fluids and conception” (1997: 157). I would argue that the symbolic meaning given to traditional methods is a construction; that in fact this meaning is far less significant than assumed in the medical and political and even ethnological discourse. In the case of Leal, for example, the contemplation of existing laws in Brazil preventing abortion, as well as the punishment of those who break these laws, access to information about contraceptives, catholic taboos towards contraception and so on, is as important as considering social constructions of the body. I would argue that socio-cultural factors such as income, age, family status and others listed above in conjunction with supervised family planning programs have just as much, if not more influence on choices about reproductive health as cultural (“ethnic”) ideas about the body. The dichotomy of traditional health care vs. modern/biological care is a simplification that results in a distorted description of a much more complex system. It creates categories that in reality do not exist. All that is suspicious, unproven, or magical is put into one category - that of “traditional medicine”, and everything “scientific”, extracted from texts or performed by people in white coats is put into the other (see also Loyola 1997). The medical discourse, however, is very pluralistic, within the categories, as well as reaching above and beyond this simple division between traditional methods and modern methods (see also Terra de Souza et al. 2000). The idea that descriptions of illnesses can be categorized as traditional or modern, and the resulting treatment reserved to one or the other category does not represent the actual practice. More often patients and health care providers call on a wide variety of ideas and methods from different sources to treat diseases that are caused by physical as well as social factors. This labeling or referral to certain categories is in my opinion not useful, as it draws attention away from the interaction of ideas taking place. Through more careful differentiation health programs could achieve better recognition of the usefulness of what has until now been

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labeled as “traditional medicine” and excluded from medical discourse (for some ideas see Krause 2003). Furthermore the success of so-called modern methods (vaccination programs, safe blood transfusions, dietary supplements for mothers and children) could be better integrated into the “traditional method discourse”, instead of eliminating these as incompatible. Nevertheless the potential for uninformed misuse or medical malpractice (as described in Terra de Souza et al. 2000 or Hopkins 2000) must be considered, which calls for an informed and careful analysis of the complex socio-cultural totality into which health programs are introduced.

Ethnicity and Health Care Decisions One factor of this socio-cultural totality which deserves careful consideration is the all-encompassing term “ethnicity”. The term “ethnicity” has no set definition. Many contributions to the debate about ethnicity, the justification of ethnic conflicts or ethnic divides and ethnic identities see difficulties arising when the attempt is made to define distinct characteristics of ethnicity (Eriksen 1997). Others concentrate on the borders between ethnic groups, rather than on the ethnic groups themselves (Barth 1970). Ethnicity, as defined by Verwey (2003), is “the social construction or the result of the self-definition or definition by another to a community that defines itself as ethnic”. He writes that “ethnicization (is) the process of social labeling” (ibid: 297). Despite this ambiguity the term is still used to describe various behaviorisms from food preferences to sexual activity to notions about body and health and health seeking behavior. Some studies slide into the definition of ethnicity as a “gut feeling” or intrinsic chartacteristic, dangerously reviving ideas of race (for a discussion on this see Bardot 1988). However, despite varying attempts to pin point ethnicity as the deciding factor in health care decisions, there are various studies which try to explain attitudes toward menstruation, contraception, and prenatal care on the grounds of ethnicity, showing that this factor can only be seen in relation to the socio-cultural background as a whole. Anson (1999), in a study among Israeli women and their attitudes towards menstruation, suggests that in fact the socialization of the individual in question is most important in the formation of these ideas. She suggests that ethnicity plays a part, quoting that girls from “more traditional backgrounds” see menstruation as “bothersome, debilitating and natural” (1999: 77). The study shows, however, the

difficulty of defining the ethnicity of a person. Ethnicity was defined by “the respondent and her mother’s country of birth and national group” (ibid: 69). Even with this rather general definition, the ethnicity of 82 of the 229 respondents (over a third) could not be determined, which leads me to question the statements she makes about the effects of ethnicity on attitudes towards menstruation. The question:“do ethnic groups use health services like the majority of the population” was addressed by Regis Blais and Aboubacrine Maiga in 1999 in a focused study of 1182 people in Quebec, Canada. They defined a member of an ethnic group as “a person who was born outside of the host country or whose mother tongue is different from the main/official language of that country” and divided their sample into a “native” and an “ethnic” half.The problem arising out of such “ethnic studies” is addressed at the beginning of the article: “Depending on the study you refer to, ethnic groups are shown to use fewer, as much, or more health care services” (1999: 1238), in fact total contradictory results. Their results show that neither the average number of medical services used over a year by the two, nor the number of users differed when ethnicity was accounted for. Although their results cannot be transferred to Oaxaca, since the ethnic diversity in the two countries differs immensely, and although I would also question their definition of a “member of an ethnic group” which could also not, for example, be used for second generation immigrants, their last paragraph offers a useful summary of the difficulties of studies based on ethnicity: “Unfortunately, studies looking specifically at the relationship between ethnicity and the use of health care systems have controlled for too few important factors that could affect the utilization of health care services by anybody, including ethnic groups (. . .) When this is the case, observed differential utilization of services by ethnic groups could in fact be due to factors such as poverty, illness or lack of health insurance, and not only ethnicity as such” (Régis/Maiga 1999: 1243). Once again the emphasis has been placed on other contributing factors to health seeking behavior. As I said before, ethnic identity and cultural ideas are important when investigating health seeking behavior and ideas about sickness and health, however, they are one of many factors. More often, and I believe this is the case in Oaxaca, ethnicity is used to politicize an existing problem - that of maternal and infant mortality. The creation of ethnic categories and the re-

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duction of certain phenomena to these categories offer a simplified picture and quite often a scapegoat – a way to draw attention away from complex failures in a system, as we have seen in the study of midwives in Oaxaca. The fact that neither the authorities nor the midwives question this ‘ethnification’ shows the effectiveness of this strategy. Ethnic categories are in fact easily created, both by those who escape their grasp, and those who find themselves trapped within them. To take all things into account (if this is at all possible), reveals that it is more complex than arguing that poor conditions in rural areas are the reasons for the high mortality rate. Thus, the consideration of factors other than ethnicity that may lead to high maternal and infant mortality rates in rural areas is crucial. Through doing this, social scientists may tentatively offer a framework for further study in the area of reproductive health issues in marginalized populations. Martin Senior et al. write that: “two decades after the Black Report it (. . .) is widely and officially acknowledged that mortality and morbidity and their changes over time exhibit wide variation within the population, and particularly with respect to socio-economic characteristics” (Senior et al. 2000). Doyal concludes this argumentation with respect to women’s reproductive health: “the reproductive health status of women is profoundly affected by who they are and where they live” and later “it is impossible to understand the impact of sex on health without also taking factors such as class, race, and geopolitical status into account” (2000: 935). I believe that the fact that the study in Oaxaca deals with poor, rural women has as much to do with high mortality rates as the fact that they belong to an indigenous society. It has been shown by various international studies that not only the poor die earlier, but that rural poor die earlier and, furthermore, that contrary to general statistics about life expectancy, poor rural women have extremely shorter life expectancies than males (see for example Doyal 2000 on Bangladesh; Senior et al 2000 on Wales; Townsend 1982).

Conclusion In the case study, ethnicity is focused on describing women’s choices for a certain form of prenatal care. The idea that women living in rural areas with a high percentage of indigenous people go to a midwife because they represent their “ethnic group” offers an easy

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explanation for this preference. Furthermore, the idea of the “untrained professional” guarding her ethical status and tradition at any cost offers an easy alternative to question a health system, which may in fact be subject to much more intricately woven injustices. The picture of the situation as a clear-cut dichotomy – “they”, (midwives) on one side and “we” (modern medicine) on the other – contorts the reality. This reality is in fact more complex, with much deeper problems, such as a strong urban-rural divide, an unfair spread of wealth, a discriminatory position of women as well as many more factors that lead to a high mortality among women. When dealing with reproductive health care it is important to consider ethnic differences, however, it is also important to question the use of categories and the emphasis on one category when analyzing a situation. I did not try to offer any normative medical analysis of prenatal care in this paper. Perhaps mortality rates would sink through a better implementation of modern methods, as De Brouwere et al. suggests (1998). Perhaps if countries concentrate on schooling the health care professionals who offer prenatal care, the mortality rates of women would decrease, and they and their children would enjoy longer lives. However, by reducing the situation to a simple blackand-white scenario, by reducing decisions influencing choice of prenatal care to the factor of ethnicity the actual complexity is ignored. This diverges from the other major contributors of mother and infant mortality: poverty, nutrition, clean water, immunization, and medication for malaria, diarrhea, and so on. The fact is, implementation of “modern” methods does not necessarily mean that the mortality rates will sink, nor does the use of “traditional” methods lead to a higher mortality rate. Most importantly, the decisions a pregnant woman makes about prenatal care must be seen in their entirety, and not reduced to single factors.

Lila Sax (25) studiert zur Zeit „Cross-cultural Studies of Childhood and Youth“ an der Brunel University in London. Davor hat sie Ethnologie, Anglistik und Politische Wissenschaften an der Universität Heidelberg studiert. Dieses Jahr fährt sie nach Brasilien, um die Forschung für ihren Master abzuschließen. Diese handelt von Körpervorstellungen junger Frauen in marginalisierten Vororten (favelas) in Porto Alegre.

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Footnotes 1 Because of their expertise in the social, as well as the medical area, Krause refers to the women in question as midwives and not, as found in other literature, as traditional birth attendants, as she believes this term has explicit negative connotations (2003: 42). I have chosen to adopt this term. 2 All translations from German done by the author, Lila Sax. 3 If Oaxaca is anything like Brazil the first station in any case of illness is the corner pharmacy in order to stock up on “remedios” (remedies) in the form of neatly packaged, reasonably priced pills in all colors, shapes and sizes. 4 For an excellent review and criticism of the emerging dialogue between Anthropology and Public Health see Hahn (1999).

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„No body is perfect!“ Der Versuch einer Lacanschen Perspektive auf die molekulare Genetik im Kontext des Neoliberalismus. von

Gregor

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Der Wunsch den Lebenserfordernissen mit mehr Leichtigkeit gegenüber zu treten und die Dinge etwas schneller und besser zu erledigen, ja vielleicht sogar selbst ein wenig „besser“ und „schöner“, „anerkannter“ oder „beliebter“ zu sein, dürfte niemandem fremd sein. Wir alle sind auf die eine oder andere Art und Weise „Anerkennungs-Junkies“. Zugleich leben wir in einer liberalen „Freien Welt“ fern von jeder „totalitären“ Kontrolle, in der jeder eigentlich tun und lassen kann was er will, und die dennoch voll ist von Menschen, die die Selbstausbeutung im Zeichen des Strebens nach Anerkennung zur ihrer Religion gemacht zu haben scheinen. Die Frage, die sich hierbei stellt, ist die folgende: Was ist, wenn heute trotz der allseits geforderten „Freiheit des Individuums“ eben dieses - in einem bestimmten Sinne auch neoliberale Kernpostulat - paradoxerweise ein unfreies Individuum schafft, dass, will es sich „rational“ verhalten, nur einen Weg, den Weg der „fundamentalen Ökonomisierung des Selbst“, gehen kann? Wie Susann McKinnon in ihrer Studie “Neo-liberal Genetics: The Myths and Moral Tales of Evoloutionary Psychology” gezeigt hat, wird der neoliberale Diskurs mit seiner problematischen Anthropologie des Homo Oeconomicus auch von Teilen der Wissenschaft mit scheinbar objektiven Erkenntnissen zu naturalisieren versucht. Neben der Theorie der rationalen Wahl der Wirtschaftsund Politikwissenschaften tragen für McKinnon insbesondere die große Teile, der auch auf Genforschung beruhenden, “evolutionären Psychologie” zu der Naturalisierung des Bildes des Homo Oeconomicus bei, indem sie “Myth and moral Tales” vom egoistischen (nach Vererbung strebenden) Gen verbreiten, das zum eigentlichen Akteur in uns wird. So sind, nach dem Bild der evolutionären

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Psychologen, weder unser Bewusstsein noch unsere Kultur bei der Partnerwahl relevant, einzig unser genetisches Programm in uns bemächtigt sich unser.1 Die Gene in uns treffen die rationale Partnerwahl für uns, wobei es völlig irrelevant zu sein scheint, inwiefern unser Bewusstsein diese Handlungen im Nachhinein interpretiert. Hier scheint jegliche Wahl suspendiert angesichts einer vermeintlich ökonomisch richtigen und zudem unbewussten Entscheidung. Die Frage, die heute unter der Hegemonie des neoliberalen Diskurses im Raum steht, bzw. die Frage, die hier untersucht werden soll, ist die Folgende: Leben wir in einem Zeitalter der erzwungenen Wahl? Indem das überall gegenwärtige Postulat der Freiheit, auf einer darunter liegenden Ebene der Tat, von immer enger werdenden Handlungsspielräumen auf eine paradoxe Art und Weise negiert wird? Dabei ist es essentiell, nicht - wie die klassische symptomale Ideologiekritik - von einem falschen Bewusstsein der Akteure auszugehen, denen man unterstellt, blind und fälschlicherweise an das neoliberale Freiheitspostulat zu glauben. Denn die gegenseitige Bedingtheit von Praxisformen und “eigentlichem inneren Glaube” kann so nicht erfasst werden. Die klassische Ideologiekritik im Sinne einer Aufklärung scheitert heute an der selbstreflexiven Aussage der zu betrachtenden Subjekte: “Ich weiß sehr wohl dass.., nichts desto trotz...” (Žižek 1991: 119). Entscheidend für das Funktionieren (und die durch Handlungen stattfindende Reproduktion) von Ideologien ist nach Slavoj Žižek der „[Glaube] an den naiv glaubenden Anderen“, der “das System” zu repräsentieren scheint: „Nehmen wir folgende hypothetische Situation aus dem realsozialistischen Alltag: auf dem Markt gibt es zwar mehr als genug Toilettenpapier, auf einmal kommt aber das Gerücht auf, daß man es aus bestimmten Gründen bald nicht mehr kaufen werde können – also beeilen sich alle, sich einen Vorrat anzuschaffen, so daß es schließlich nun wirklich kein Toilettenpapier mehr zu kaufen gibt. Die Logik dieses Prozesses ist komplizierter als die sogenannte self-realising prophecy. Wie lautet nämlich die Schlussfolgerung der Akteure? Jeder von ihnen wird etwa folgendes denken: ‘Ich weiß natürlich ganz genau, ich bin ja nicht dumm, daß genug von diesem Zeug vorhanden ist; sicher gibt es aber Naive, die dem Gerücht aufsitzen werden – diese werden das Toilettenpapier ankaufen, so daß ich schließlich leer ausgehen werde. Am besten also, ich beeile mich es einzukaufen, obwohl ich weiß, daß es genug davon gibt’. Diesen Anderen, dem unterstellt wird naiv zu glauben, braucht es in Wirklichkeit überhaupt nicht zu geben: er tritt schon als eine reale Wirkung auf, wenn andere glauben, daß es ihn wirklich gibt. In einer geschlossenen Menge kann jeder für alle Anderen diese Rolle spielen [...]“ (Žižek 1991: 134) Für ein Subjekt, das den „Fitnessdiskurs“ des Neoliberalismus internalisiert hat, würde sich hier beispielsweise folgende Aussage als idealtypisch erweisen: „Ich weiß sehr wohl, dass diese Internet - Genanalyse mein Leben nicht wirklich effektiv verbessern kann, dennoch aber werde ich sie durchführen, denn wenn Andere wirklich an ihren Wert für die Lebensführung glauben, verspricht es mir soziale Anerkennung (durch meinen Lebenspartner; durch meine Versicherung), meine Gene analysieren zu lassen bzw. durch diesen Akt mein Gesundheitsbewusstsein zu demonstrieren.“ Daraus ergibt sich, dass es für die Praxis der Subjekte egal ist, ob sie wirklich (direkt) glauben oder nicht, sowie sich daraus ergibt, dass es für das Subjekt im Neoliberalismus irrelevant ist, ob es „fit“ sein will oder nicht, da es, aus der Angst heraus sozial abgestraft zu werden, alles daran setzen wird, als „fit“ (bzw. um Fitness bemüht) zu erscheinen. Im Folgenden soll die sich abzeichnende Kombination des neoliberalen Programms mit den durch die molekulare Genetik bereitgestellten Möglichkeiten der Selbstwahrnehmung untersucht werden. Als theoretisches Fundament dienen dabei die Studien der Gouvermentalitätstheorie, sowie insbesondere auch das Lacansche Modell des Spiegelstadiums. Dabei wird insbesondere die kommerzielle genetische Diagnostik von Krankheitsdispositionen als Fallbeispiel genauer in den Blick genommen.

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„Alle wollen gesund sein!“ Die Genetik im Kontext des Neoliberalismus Trotz Überalterung sind heute Jugend und Leistungsfähigkeit zum medialen Leitbild der „westlichen Hemisphäre“ geworden. Dieses Leitbild besitzt jedoch auch eine konstitutive Außenseite. Diese Außenseite ist der ungleich größere „defizitäre“ Sektor der Alten, Hässlichen und Überarbeiteten, die einer „Normalisierung“ bedürfen. Einerseits fehlt heute, mit dem Wandel des Nationalstaates bzw. der selbst gewählten Beschränkung des Staates, der Hirte bzw. die souveräne Instanz, die autoritativ oder disziplinär normalisiert, andererseits aber ist das Bestreben der Subjekte, dem gesellschaftlichen Idealtypus zu gleichen, größer als je zuvor. Der Sektor der Schönheitsoperationen boomt, der Konsum von Psychopharmaka bei Schulkindern ist in den letzten Jahren um mehr als 100 Prozent gestiegen, ebenso wie das Antidepressiva „Prozac“ in aller Munde ist. So ist nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums der Verbrauch von Ritalin bei Kindern, die vermeintlich unter einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung leiden, in der Bundesrepublik allein zwischen 1997 und 2000 um rund 270 Prozent angestiegen (Wehling; Viehöver 2007: 55).

Quelle: http://blog.wired.com/photos/uncategorized/2007/04/25/dnagirl.jpg

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Diese Formen der Optimierung des Selbst, die je nah Kontext und sozialem Feld verschiedene Formen annehmen kann, werden auch als „Enhancement“ bezeichnet. Woher dieser unglaubliche Wille zur Verbesserung? Und will man wirklich oder muss man wollen? Liegt hier nicht der Verdacht nahe, dass die eigentliche Motivation heutiger Subjekte die Angst vor Un-rentabilität ist? Die Entdeckungen der molekularen Genetik und die mit ihnen ermöglichte neue Perspektive auf den Menschen fallen in genau diesen Rahmen dieses gesamtgesellschaftlichen Phänomens des Enhancements. Dabei gibt es direkte Formen der Anwendung, wie beispielsweise das „Gendoping“, welches in den Zellen von Leistungssportlern bestimmte leistungshemmende körpereigene Mechanismen ausschaltet, wie es auch indirektere Formen gibt. Diese indirekte Form einer Verbesserung des Selbst, mittels des Wissens über Gene, basiert auf der Erstellung eines individuellen genetischen Profils, anhand dessen ein für den Körper optimaler Lebensweg wählbar ist. Wichtig ist es hier zu beachten, dass Gene im Hinblick auf mögliche Krankheiten selten definitive Aussagen über das Schicksal ihrer Träger zulassen. Aus diesem Umstand erklärt sich auch die Existenz des Wissenschaftszweiges der Epigenetik, der die Wirkung von Umwelteinflüssen auf genetische Veranlagungen erforscht. Genanalysen und Beratungen eröffnen somit neue Blicke auf den Körper. Dennoch vermögen sie meist nur ihren Objekten Wahrscheinlichkeiten oder Risikopotentiale zu attestieren, mit denen aber theoretisch nach den Erkenntnissen der Epigenetik aktiv und therapeutisch umgegangen werden kann. Theoretisch hat jedoch somit das paradoxe „Wesen des eventuell zukünftigen kranken“ Patienten die Wahl, da ihm nach Abschluss einer Genanalyse der Weg eines präventiven (gesundheitsförderlichen) Lebensstils zu Verfügung stehen würde. „Will“ das Selbst „ökonomisch“ und „verantwortlich“ handeln, d.h. sich selbst fit und leistungsbereit halten, um den Anforderungen eines scheinbar sozialdarwinistischen neoliberalen Kontext zu genügen, wird es den Weg der gesunden Lebensführung beschreiten wollen und sich einer Genanalyse (dem ersten Schritt zur Prävention) unterziehen. Bei der Verbesserung des Menschen geht es nun nicht mehr um ein autoritatives eugenisches Programm. Wie Nikolas Rose verdeutlicht, würde diese Annahme den Punkt völlig verkennen, denn es geht heute vielmehr um das Glück des Einzelnen, der auf dem Weg dieses zu realisieren zu einem „aktiven Partner“ wird. Bei einer heutigen vollzogenen Schwangerschaftsdiagnostik auf Basis einer genetischen Analyse sind die Eltern, die um das Glück des Kindes wie um ihr eigenes Glück besorgte, treibende Kraft (Rose 2006: 96). Wie auch derjenige, der sich verantwortungsvoll einer

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Genanalyse unterzieht, letztlich auch nur nach der Realisierung seines privaten Glückes strebt. Nun lässt sich schwer leugnen, dass das Streben nach Glück und Gesundheit, auch wenn es keine Naturkonstante sein mag, älter ist als der Neoliberalismus. Der problematische Punkt ist aber ein anderer. Es ist der durch den Neoliberalismus erzeugte soziale Druck glücklich und gesund im Sinne eines bestimmten Idealtypus sein zu müssen, bzw. der implizite Vorwurf asozial zu handeln, insofern man (aus welchen Gründen auch immer) z.B. auf die von der molekularen Genetik bereitgestellten Mittel, um diesen Idealtypus zu realisieren, verzichtet. Außerdem birgt die sich ergebende implizite “Pflicht zum Wissen” (nach dem Motto „Du sollst, denn du kannst!“) Gefahren, wie etwa psychische Erkrankung, in sich, die durch das oft belastende Wissen um eventuelle zukünftige Krankheiten ausgelöst werden können. Plastisch nachvollziehbar ist diese Belastung an folgendem Beispiel aus einem Beratungsgespräch auf Grundlage einer molekulargenetischen Analyse: „Counselor: And then there are other types of cancer found in these families. And they can include, uh....an increased occurrence of stomach cancer. [Client rolls her eyes]... Um, [pause] them um, [short pause] there is ovarian cancer [client leans forward, her eyes wide with concern] that can occur more frequently, that is, it is not rare, so that it is very important for you to undergo gynecological screening.... No? Then um, there is also a more frequent occurrence of cancer in the efferent uriany tract [client furrows her forehead and raises her eyebrows].“ (Duden 2007: 185) Dieses bezeichnende Beispiel für eine „Dialektik der Aufklärung“ zeigt, dass es durchaus fraglich ist, ob sogenannte „präventive Lebensstile“ letztlich wirklich einen Gewinn an Lebensqualität darstellen. Zudem gibt es stets semantische Kämpfe (z.B. innerhalb der Nahrungsmittelindustrie) darum, was gesund ist bzw. was nicht: „As Giddens points out, smoking was once advocated by some sectors of the medical profession as a relaxant, while red meat, butter and cream were strongly advocated as ‘healthy’ products“ (Petersen 1997: 202). Man mag somit „offiziell“ die Wahl haben gesund zu leben oder nicht, hat man diese Wahl aber wirklich?

„Wie kommt es eigentlich, dass wir alle gesund sein wollen?“ Das Subjekt im neoliberalen Spiegel „Ich ist ein Anderer“ (Jacques Lacan) „Als seine Geliebte über seine Worte sagte, ‘Sie sind so schön’, antwortete er: ‘Sie sind aus Casablanca. Ich habe mein ganzes Leben auf eine Gelegenheit gewartet sie sagen zu können’.“ (Butler 2006: 97) Warum blüht also der Markt für Enhancement-Produkte? Warum sind auch die kommerziellen Gentests auf dem Vormarsch? Kurz gefragt, warum und wie genau funktioniert die Identifikation mit dem „neoliberalen Fitnessimperativ“? Wie schon einleitend bemerkt wurde, funktioniert praktische Ideologie auf der Identifikation der Subjekte mit einem Anderen, der wirklich „direkt glaubt“ und dem darüber hinaus Wissen unterstellt wird (Žižek 1991: 133). Beispielsweise könnte ein Psychoanalytiker die Probleme seiner Patienten nicht lösen, insofern diese ihm nicht das Wissen unterstellen würden, ihre Probleme lösen zu können. Die Macht des Psychoanalytikers beruht also darauf, dass ihm Wissen, was er (noch)

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nicht hat, unterstellt wird. Erst dadurch öffnet sich der Patient dem Psychoanalytiker und versetzt diesen in die Lage dem Patienten tatsächlich zu helfen, indem nun „das Innere des Patienten“ durch den Psychoanalytiker gespiegelt werden kann, was dem Patienten zu neuen Perspektiven verhilft. In Analogie könnte man die Logik in Bezug auf den neoliberalen Fitnessdiskurs also folgendermaßen anwenden: Erst in dem Moment, indem das Subjekt an die Macht und Autorität der Genforscher glaubt bzw. diesen das Wissen unterstellt, ihr Leben „verbessern zu können“, bekommt die molekulare Genetik Einfluss auf die Lebensführung der Subjekte. Anders formuliert: Erst in dem Moment, indem das Subjekt den „genetische Beichtstuhl“ betritt und seine Gene analysieren lässt, erkennt es sich als „biopolitisches Subjekt“ und wird so zum Teil des Spiels. Doch warum unterstellen immer mehr Subjekte gerade dem Diskurs der Molekulargenetik dieses „Wissen“ bzw. den Zugang zum „heiligen Gral der Lebensführung“ zu haben (Lemke 2000a: 227)? Und nicht etwa dem Kommunismus oder dem Voodookult? Mit Jaques Lacan gesprochen, haben diese Subjekte den Diskurs der Molekulargenetik als ihren „großen Anderen“ akzeptiert. Um zu klären, was in der Lacanschen Terminologie „der große Andere“, und was das Subjekt ist, und warum es eines „großen Anderen“ bedarf, wird hier zunächst ein kurzer Exkurs in das Lacansche „Spiegelstadium“ unternommen. Jaques Lacan, der Sigmund Freud aus der Perspektive der strukturalen Linguistik interpretierte, sah das Subjekt als konstitutiv gespalten an. Für Lacan galt, da „[...] wo das Subjekt spricht, spricht der große Andere – das Symbolische, welches die diskursive Organisation der Gesellschaft umfasst“ (Stähli 2000: 51). Die 1936 entwickelte „Theorie des Spiegelstadiums“ diente Lacan als metaphorische Erläuterung seiner Sicht auf die Konstitution des Selbst, die er entgegen der Cartesianischen Theorie, wonach das Subjekt, ohne Vermittlung zur Umwelt, nach dem Motto „ich denke, also bin ich“, sich aus sich selbst heraus konstituiert. Die psychische Geburt des „Ich“ (oder des Selbstbildes) findet nach Lacans Theorie in dem Moment statt, in dem sich das Kleinkind zum ersten Mal im Spiegel selbst erkennt und darauf mit einer „jubilatorischen Geste“ reagiert. Zum ersten Mal sieht sich das Kleinkind hier – mit Hilfe des Spiegels – in seiner körperlichen Gänze, die es zuvor aus der „Ich-Perspektive“ optisch nicht wahrnehmen konnte. Dieses (nur) durch den Spiegel wahrnehmbare „körperliche Ich-Ideal“ wird von nun an die Matrix der menschlichen Orientierung (Lacan 1994: 93 – 94). Doch führt diese Situation auch zugleich zur schon erwähnten Spaltung des Selbst, denn das Kind identifiziert sich mit dem bildlichen „Ich-Ideal“ im Spiegel, in dem es sich aber selbst körperlich nicht befinden kann. Lacan konstatiert die Spaltung des Selbst mit dem (im Französischen besser verständlichen) Paradox: „Le je n’est pas le moi“. Ab diesem Zeitpunkt existiert neben dem sozialen Ich („je“) auch das imaginäre Bild des Selbst („moi”) das sich als „Ich-Ideal“ im Spiegel zeigte (Pagel 1989: 24). Das sich mit solchen Spaltungen konfrontiert sehende Subjekt strebt dabei fortan zur Vollständigkeit, die es nur durch die Schließung der Lücke zwischen „je“ und „moi“ erreichen kann. Gerda Pagel unterstreicht die universale Bedeutung des Spiegelstadiums mit folgenden Worten: „Das Spiegelstadium stellt die Matrix aller identifikatorischen Prozesse dar. Wenn Lacan die Spiegelfixierung als das dominierende Moment der frühkindlichen Ichbildung beschreibt, so erschöpft sich dieser Prozeß keineswegs in dem Instrument Spiegel. Vielmehr steht der Spiegel als Modell für die Deskription einer imaginären Intersubjektivität“ (Pagel 1989: 33 - 34). Der Kern der darauf basierenden Subjekttheorie Slavoj Žižeks ist die Erkenntnis, dass der oben anhand des Spiegelstadiums beschriebene „Mangel des Subjekts“ „[...] durch symbolische und imaginäre Angebote auf der Ebene von Diskursen [aufgefüllt zu werden scheint]“ (Stähli 2000: 55). Ideologien bzw. Diskurse dienen demzufolge als Identifikationsflächen, die in den gespaltenen Subjekten die Bereitschaft sich „aufrufen zu lassen“ erzeugen, indem sie ihnen Vollständigkeit versprechen. Urs Stähli skizziert Žižeks Antwort auf die Frage nach dem „warum“ der Identifikation folgender-

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maßen: „Das Subjekt lässt sich von Einheit suggerierenden Institutionen und Ideologien deshalb verführen, weil diese ein Angebot machen, d. h. eine Projektionsfläche offerieren, die den Mangel des Subjekts zu überbrücken in der Lage ist.“ Für Žižek ist Ideologie demnach eine „notwendige und realitätsmächtige ’Illusion’, ohne die keine [phantasierte] Identität möglich ist“ (Stähli 2000: 57). Dies führt aber auch dazu, „[...] dass das Subjekt sich nie dort befindet, wo es spricht. Sein Sprechen ist immer schon ’enteignetes’ Sprechen, welches das Subjekt nie erreichen kann. Das Subjekt bleibt unfassbar [...]. Was früher unter dem Begriff Ideologie verhandelt worden ist, kann mit Žižeks Begriffsapparat als scheiternder Identifikationsprozess gelesen werden. Das Scheitern steht hier begrifflich von Anfang an fest, da das Subjekt um sich als Subjekt konstituieren zu können sich [wie im Spiegelstadium] mit etwas identifizieren muss das ihm äußerlich ist“ (Stähli 2000: 56). Dieses Äußerliche muss die Position des sogenannten „großen Anderen“ bzw. den Ort des symbolischen Weltbildes besetzen, um handlungsanleitend auf das Subjekt zu wirken. Innerhalb des großen Anderen findet sich zumeist auch ein „Herrensignifikant“ der einer ganzen Kette von Elementen (anderen Signifikanten) ihre Bedeutung verleiht. Nehmen wir einmal an, dem Diskurs der molekularen Genetik ist es gelungen, diese Position des großen Anderen einzunehmen, so erklärt sich nicht nur die erfolgreiche Verbreitung kommerzieller Gentests, sondern auch die zunehmende Bereitschaft sich als vorwiegend „genetisch“ bestimmt wahrzunehmen, sowie das Bestreben sich anhand des Wissens über seine Gene selbst zu optimieren. Ebenso könnte aber auch (und der Verdacht liegt nahe) das neoliberale Bild des Homo Oeconomicus zum eigentlichen Herrensignifikant geworden sein, der wiederum auf einer darunterliegenden Ebene den Genanalysen ihre Bedeutung als Möglichkeit zur Selbstökonomisierung zuweist. Denn wenn es sich beim Spiegelstadiums Lacans eigentlich um eine Triangulation zwischen dem Kind, dem es begleitenden Erwachsenen und dem Bild im Spiegel handelt, wäre die Situation diese, dass das Kind (Subjekt/„je“) sich in seinem Spiegelbild (genetische oder somatische Existenz/ „moi“) zu erkennen glaubt und mit einer „illuminativen Mimik“, die das „Aha-Erlebniss“ signifiziert, reagiert (Lacan 1991: 63). Im darauf folgenden Moment wendet sich das Kind im Normalfall mit fragendem Blick zum dem es begleitenden Erwachsenen, welcher dem Kind die Richtigkeit seiner Erkenntnis bedeutet: „Ja das bist du!“. Auf unser Beispiel hin angewendet wäre dieser Erwachsene (der Träger des symbolischen Phallus) die Personifikation des Homo Oeconomicus, der allen anderen Signifikanten als Herrensignfikant innerhalb der symbolischen Ordnung (dem „großen Anderen“) ihre Bedeutung zuweist. So wird auch das Bild der somatischen Existenz im Spiegel, das ja selbst nur ein Signifikant innerhalb einer Kette ist, durch diesen Herrensignifikant mit der Bedeutung aufgeladen, darin einen Weg zur Selbstökonomisierung zu sehen (Butler 2006: 59 - 117). Die Identifikationsfläche im Spiegel ist nach Lacan als Signifikant immer schon Teil eines relationalen Bedeutungsnetzwerkes, das aus vielen weiteren Signifikanten besteht. Kommerzieller Werbung scheint die neoliberale symbolische Ordnung inhärent zu sein, indem sie immer mehr dazu übergeht ihre Produkte als Möglichkeit zur Selbstoptimierung auszuweisen, und darüber hinaus ein Produkt nicht etwa nur aufgrund dessen Konsumwert anpreist, sondern mit diesem (oder einer bestimmten Marke) „ein Lebensgefühl“ oder besser sozialen Erfolg zu verkaufen sucht. Das die Gene mittlerweile zum ganz natürlichen Schlüssel der Selbstwahrnehmung avanciert sind, zeigt dabei die Existenz des NIVEA Produktes „DNAge“, einer Gesichtscreme für reifere Männer, die (laut Auskunft der Werbung) „die Gene direkt im Zellkern repariert“ und somit ein jugendliches, gesünderes und leistungsfähigeres Aussehen verleiht, welches wiederum sozialen Erfolg ver-

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spricht. Letzteres wird nicht explizit gesagt, sondern wird eher implizit durch das Lächeln der Frau symbolisiert. Man beachte die, die Handlung umrahmende silberne, scheinbar in die Zukunft weisende, Doppelhelix eines DNA Stranges, die hier die Lacansche symbolische Ordnung zu repräsentieren scheint. Ebenso ist die Nichtexistenz von Dingen auffällig, die als Extension der Person gelesen werden könnten. Man sieht weder Haus, noch Auto, noch Bücher, die im Bourdieuschen Sinne als objektiviertes kulturelles oder symbolisches Kapital gelesen werden könnten. Was bleibt, ist ein schmucklos gekleideter Körper. Es ist die reine Biomasse, auf die das „Ich-Ideal“ des Subjektes hier reduziert wird.

Webseite für die DNAge - Gesichtscreme für reifere Männer von Nivea. Quelle: http://www.nivea.de/product_highlights/ show/13487 (Abruf 20.9.2008).

Auf der Internetseite von Nivea heißt es unter anderem: „Ein Grund für die Hautalterung sind Schäden auf dem genetischen Code der DNA (Desoxyribonukleinsäure) in den Zellen. Darüber hinaus führen auch äußere Einflüsse wie Stress, Schlafmangel, ungesunde Ernährung und UV-Strahlung zu Schäden in den Zellen, die sichtbare Spuren auf der Haut hinterlassen: Falten und oft schlaffe Haut sind die Folge. In 6 Jahren Forschungsarbeit haben Beiersdorfer Wissenschaftler einen innovativen, aktiven Wirkkomplex mit Creatin und Folsäure entwickelt, der für eine bessere Regeneration der Zellen sorgt und die Produktion neuer, intakter Hautzellen ankurbelt. Das Ergebnis: spürbar straffe Haut und ein gesundes vitales Aussehen.“3 Das Lacansche mangelhafte (nach Identifikation strebende) Subjekt, welches mit diesem Spiegelbild konfrontiert wird, wird seinen großen Anderen bzw. seine symbolische Ordnung danach befragen: „Ist dies die Identität, die ich sein soll?“. Und selbst wenn das Subjekt sich nicht wirklich in diesem Bild erkennen sollte, oder aber nicht an die interzelluäre Funktionsweise der Creme glauben sollte, so wird es doch, insofern seine symbolische Ordnung vom neoliberalen Ökonomisierungs-Imperativ geprägt ist, nicht abgeneigt sein alles auszuprobieren, was seine Stellung innerhalb der Symbolischen Ordnung, an die er (direkt oder indirekt) glaubt, verbessert. Bleibt zu fragen: wer will nicht dank wissenschaftlichen Sachverstandes „gesund und vital aussehen“? Das kommerzielle Angebot von Internetgenanalysen unterscheidet sich kaum von diesem. Der einzige Unterschied besteht darin, dass diese ein noch größeres Versprechen machen, indem

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sie nicht nur „vitales Aussehen“ versprechen, sondern tatsächliche Vitalität sowie auch Sicherheit: „Gentests stellen [...] ein spezifisches Dispositiv der Sicherheit her: Sie erscheinen objektiv und vermitteln den Eindruck von Genauigkeit und mangelnder Willkür. Die genetische Diagnostik verspricht die Kontrolle des bislang Unkontrollierbaren und scheint Planungssicherheit und Eindeutigkeit in Zeiten allgemeiner Ungewissheit zu liefern“ (Lemke 2000 b: 242).

Fallbeispiel Internet-Gentests „Im Hinblick auf die genetische Norm gibt es keine potentielle Vollkommenheit, sondern nur noch ein kostitutives Defizit: No body is perferct“ (Lemke 2000b: 238) „Dezentralisierte Macht verdampft nicht, sondern wechselt ihre Gestalt, durchdringt soziale Mauern, wird nachgerade ‘intim’ und nimmt dabei an Wucht noch zu. Unter dem Motto ‘To empower People ‘ demokratisiert sich Härte.“ (Fach 2000: 120) Bereits 2002 konstatierte das Deutsche Ärzteblatt, dass auch in Deutschland immer häufiger kommerzielle Gentests über das Internet vertrieben werden (wie z.B. www.gentest24.de), und kam letztlich zu dem Schluss: „Gentests im Internet sind auch in Deutschland Realität geworden. Hier zeichnet sich eine neue Entwicklung medizinischer Dienstleistungen ab, die aufmerksam zu beobachten ist. [...] Der Vertrieb von Gentests im world wide web scheint auch ein lukrativer Markt zu sein, wie die Preise vermuten lassen. Daher ist davon auszugehen, dass sich das Angebot schnell vergrößern wird.“4 Im Jahr 2007 haben sich bereits mehrere große Internetfirmen etabliert, die sich auf die Dienstleistung einer persönlichen Genanalyse spezialisiert haben. Die bekanntesten unter diesen sind 23andme.com, Navigenics.com. oder aber DecodeMe.com. Schon die Namensgebung suggeriert, das ohne weiteres die Möglichkeit besteht, seine 23 Chromosomenpaare wie einen Code der Natur zu decodieren bzw. online durch dieses persönliche Genom navigieren zu können. Tatsächlich aber werden nur 0,1 Prozent der Gene der Kunden analysiert, da 99,9 Prozent des menschlichen Erbgutes von allen Menschen geteilt wird. Diese 0,1 Prozent sind die invarianten Stellen auf der menschlichen DNA, die sogenannten „Single Nucleotid Polymorphisms“ oder kurz „Snips“. Das Geschäft der Dienstleister besteht hierbei darin, bekannte Snip-Variationen mit Krankheitsdispositionen zu assoziieren. Dies geschieht anhand statistisch erschließbaren Häufigkeiten von Krankheitsausbrüchen innerhalb einer Gruppe von Menschen mit den gleichen Snip-Variation. Diese personalisierte Genomik wird als Aufklärungsangebot verstanden, das nicht nur „die Potentiale von Internet und Genetik verknüpft“, sondern dem Kunden hilft „seine Gesundheit selbst in die Hand zu nehmen“ bzw. die genetische Blackbox seines Körpers auf eigene Initiative zu öffnen (Bourgain 2008: 17). Das dies auch der Öffnung der Büchse der Pandora gleich kommen kann, verdeutlichen die Warnungen von ärztlicher Seite, die angesichts der gehäuften verunsicherten Anfragen nach Vollzug eines Internetgentests, vor den psychischen Belastungen warnen, die die Internetgenanalysen hervorrufen, indem sie gesunde sowie gesundheitsbewusste Menschen in „noch nicht kranke“ genetische Zeitbomben verwandeln. Umgekehrt verleitet eine „negatives Testergebnis“ unter Umständen zu falschen Sicherheiten. 5 Nun gehört es zwar zum Konzept der Internetdienstleister, die Genanalyse auch mit einer entsprechenden Beratung bzw. einem „genetic counceling“ zu verbinden, doch ist dieses Angebot meist nur mangelhaft und unpersönlich. Besonders prekär ist dieser Umstand zudem deshalb, da es für die meisten der diagnostizierbaren Erkrankungen faktisch keine präventive therapeutische

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Behandlung gibt, so dass der Rat der Internetgenetiker sich inhaltlich auf commonsense-Hinweise beschränken muss: „Am besten sie ernähren sich gesund, treiben Sport, rauchen nicht und vermeiden Stress mit ihrem Ehepartner.“ Nur bei einer Detektion von sogenannten „Brustkrebsgenen“ (BRCA 1; BRCA 2), würde die präventive „Therapie“ darin bestehen sich das Brustgewebe entfernen zu lassen. Auf der Ebene des Postulates jedoch, wird der Einfluss der Umwelt systematisch heruntergespielt: „In einem Webvideo, erklärt Jeff Gulcher, Mitbegründer von DecodeMe, dass er mit 61,75-prozentiger Wahrscheinlichkeit im Laufe seines Lebens an Diabetis Mellitus erkranken werde (gegenüber 25 Prozent im Europäischen Durchschnitt). Sein Herzinfarktrisiko liege bei 42 Prozent (gegenüber 49 Prozent). Er vergisst dabei jedoch zu erwähnen, dass bei diesen ‘Vorhersagen’ Faktoren wie Sport, Rauchen und oder Ernährung ausgeklammert wurden“ (Bourgain 2008: 17). Problematisch daran ist des Weiteren, dass durch die naturalisierende biologisierende Sprache der Genforscher des gleichen Formates wie Jeff Gulcher soziale Ungleichheiten naturalisiert und legitimiert werden. Die bestehenden Herrschaftsverhältnisse werden somit naturalisiert. Werden beispielsweise in einem Sample der Statistiker bestimmte Snips, die nur Emigranten bestimmter Herkunft in sich tragen, als anfällig für Diabetes wahrgenommen, so mag dies eventuell eher mit der finanziell bedingten schlechten Ernährung der Emigranten zusammenhängen, als mit deren genetischer Herkunft. So gesehen können die fälschlichen Naturalisierungen des molekulargenetischen Diskurses auch zum vom neoliberalen Programm anvisierten Abbau sozialer- bzw. sozialstaatlicher Verantwortlichkeit beitragen. In der Selbstauskunft der Anbieter finden sich bestimmte Kernpostulate, die scheinbar perfekt in den Kontext der neoliberalen „Sorge um Sich“ passen. So spricht DecodeMe von einem „empowerment“ der Kunden und von der Bereitstellung eines Wissens, dass einen in die Lage versetzt frühzeitig die „richtigen“ Entscheidungen zu treffen5: „The goal of DecodeMe is to empower you by helping you to get to know your genome. If the information provided raises questions or concerns about your health, we recommend you see your doctor and discuss other options of testing or implementation of approved preventive measures.“6 Dietrich Stephen, der Mitbegründer von Navigenics, verkündet in einem Webvideo das Credo seiner Firma. „Navigenic Health Compass. Empowering you to take control of your health“.7 Krankheit wird als etwas Selbsterzeugtes konzeptualisiert und nicht etwa als Schicksal betrachtet. Dies erzeugt einen sozialen Druck hin zur Prävention: „Du hättest einen Gentest machen können, der deine Anfälligkeiten aufzeigt, so dass du zumindest Früherkennungsmaßnahmen hättest treffen können!“ In der Bildsprache der Werbevideos der Dienstleister sind familiäre Milieus dominierend, innerhalb derer „Kunden“ ihre Motivationen darlegen. So sieht man beispielsweise besorgte alleinerziehende Elternteile, die anhand des Gentests „solange wie möglich für ihre Kinder da sein“ wollen bzw. die für sich selbst bestmögliche (da personalisierte) „Strategie“ zu wählen gewillt sind, um ihren Nächsten nicht „zur Last zu fallen“. Dies ist eine Wiederholung des neoliberalen Prinzips „rational und verantwortlich für sich und die Umwelt zu handeln“, indem man die selbstverursachten Kosten möglichst zu reduzieren sucht. In dem Maße, indem man sich diesem Prinzip unterwirft, handelt man verantwortlich im Sinne der Gesellschaft und lebt zudem glücklich und gesund, sowie man auch frei ist von jedem möglichen Vorwurf des asozialen Handelns, da man den Bereich des Möglichen in Sachen Prävention voll ausgeschöpft hat. „Schutz vor Risiken durch die Investition in Sicherheit gehört zu den Obliegenheiten eines jeden aktiven Bürgers, wenn er nicht in sich das Schuldgefühl aufkommen lassen will, sich und die Seinen nicht ausreichend gegen drohende Schicksalsschläge geschützt zu haben. Die

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Moral einer Lebensstil-Optimiereung, an die sich eine Logik anschließt, nach der ein Schuldiger für alles gefunden werden muss, was die ‘Lebensqualität’ des Einzelnen zu gefährden droht, setzt den unerbittlichen Imperativ des Risikomanagments frei“ (Rose 2000: 89). Dabei gilt, die „[...] Anrufung der Selbstverantwortung ist ohne victim blaming nicht zu haben; die frohe Botschaft, jeder sei seines Glückes Schmied, bedeutet im Umkehrschluss: An seinem Unglück ist jeder selber Schuld“ (Bröckling 2000: 156). So wird das Subjekt zwar zum „Schäfer seiner Selbst“ und fühlt sich in der Tat mit mehr Kontrolle versehen, doch sind die Prinzipien, denen es als vermeintlich freier Schäfer Folge leistet, sehr eng gesteckt. „Das Paradox besteht also darin, dass ich gerade durch meine scheinbare Selbstbestimmung zeige, das ich ‘in Wahrheit’ fremdbestimmt bin. Mit anderen Worten: Im Hinblick auf das Verhältnis von Selbstbestimmung und Gendiagnostik rechtfertigt die Rede von der ‘Entscheidungsfreiheit’, der ‘Mündigkeit’ oder der ‘persönlichen Wahl’ keinesfalls die Option, sich gegen die Gendiagnostik zu entscheiden; vielmehr gilt das als objektives Indiz für fehlende subjektive Entscheidungskompetenz und als ein deutliches Symptom für irrationales Verhalten“ (Lemke 2000 b: 253-254). Wenn es aus einer Perspektive der Kritik nach Michel Foucault darauf ankommt „nicht dermaßen regiert zu werden“ (Foucault 1992: 12), so scheint die „Demokratisierung“ des Gesundheitsstrebens durch die Internetgentests zwar ein Weg, nicht dermaßen von Instanzen (wie etwa dem klassischen Gesundheitssystem) regiert zu werden, doch geschieht dies nur auf Kosten einer umso stärkeren Unterwerfung unter die neoliberalen Prinzipien der Selbstregulation. Nehmen wir an, dass die Biopolitik vor allem von zwei Kräften, der Hoffnung (auf ein langes gesundes Leben) und der Sorge (um sich selbst) getragen wird. So besteht die Gefahr, dass die Sorge zum dominanten Part avanciert, die schließlich in pure Angst vor Un-rentabilität kippt. Doch eine auf der Angst vor postulierten Risiken basierende „Führung der (Selbst-)Führung“ wird kaum zu einem guten, glücklichen Leben führen können: „Ein völlig genußorientiertes Leben führt zwangsläufig zu der Notwendigkeit äußerster Disziplin, um das Höchstmaß des Genußes zu garantieren: zum ‘gesundheitsbewußten Leben’, vom Jogging bis hin zu Diät und mentaler Entspannung, Respekt gegenüber Anderen etc. [...]“ (Žižek 2006: 431).

Fazit Hauptsächlich war es hier das Anliegen aufzuzeigen, dass die molekulare Genetik innerhalb ihrer politisch/ökonomischen symbolischen Ordnung gedacht werden muss, da ohne dies ihre Rolle innerhalb der Gesellschaft nicht verstanden werden kann. Dabei wurde darauf geschlossen, dass das letztlich im Labor produzierte „Selbstbild des genetischen Menschen“ von der symbolischen Ordnung des Neoliberalismus dahingehend mit Bedeutung aufgeladen wird, dass die Subjekte in der genetischen determinierten Selbstwahrnehmung eine Möglichkeit zur Selbstoptimierung sehen. Insbesondere wurde dabei aufgezeigt, dass die Subjekte, die sich mit dem Idealbild des Diskurses identifizieren, sich des „Spiegels“ der Molekulargenetik als vermittelnder Instanz bedienen, um sich ihrem „Ich-Ideal“ anzunähern. Anhand der von Slavoj Žižek angedeuteten sublimen Funktionsweise von Ideologie erhärtete sich hier der Verdacht des Bestehens einer „erzwungenen Wahl“, im Bezug auf den scheinbar „ökonomischen“ Weg der molekulargenetischen Selbstanalyse, innerhalb einer neoliberalen symbolischen Ordnung. Gregor Ritschel (23) studiert Politikwissenschaft, Ethnologie und Zeitgeschichte in Halle, und arbeitet als studentische Hilfskraft am „Interdisziplinären Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung“. Ausgabe 29

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Fußnoten 1 Dies geschieht quasi analog zur Gottheit Fleisch („ring“), die sich eines Fischspeerpriesters der Dinka bemächtigt und diesen in Zuckungen versetzt (Lienhardt 1961). 2 http://www.nivea.de/product_highlights/show/13487 (Abruf 20.9.2008) 3 http://www.nivea.de/product_highlights/show/13487 (Abruf 23.9.2008. 4 http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?src=suche&id=33363 (zuletzt eingesehen: 23.09.08) 5 http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?src=suche&id=33363 (zuletzt eingesehen 23.09.08) 6 http://www.decodeme.com/index/video_tour (zuletzt eingesehen 23.09.08) 7 http://www.decodeme.com/information/faq (zuletzt eingesehen 23.09.08) 8 http://www.navigenics.com/healthcompass/Overview/ (zuletzt eingesehen 23.09.08) 9 Siebold, E.C.J. v.: Geburtshülfliche Briefe. Braunschweig 1862. S.177-178. In: Metz-Becker 1999: 41. Referenzen Bourgain, Catherine: Dienstleistung Gentest.Was Sie noch nie über Ihre Krankheiten Wissen wollten.; In: Le monde Diplomatique vom Juni 2008, S. 17., 2008. Bröckling, Ulrich:Totale Mobilmachung. Menschen führung im Qualitäts- und Selbstmanagement., In: (Hrsg.:) Bröckling, Ulrich; Krasmann, Susanne; Lemke, Thomas: Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen., Frankfurt am Main: suhrkamp Verlag. 2000. Butler, Rex: Slavoj Žižek., Hamburg: Junius Verlag. 2006. Duden, Barbara; Samerski, Silja: “Pop Genes” An investigation of “the gene” in popular parlance., In: (Hrsg.:) Burri, Regula Valerie; Dumit, Joseph: Biomedicine as Culture, Instrumental Practices, Technosientific Knowledge, and New Modes of Life., New York – London: Routledge. 2007. Fach,Wolfgang: Ein Traktat über den “schlanken Staat”., In: (Hrsg.:) Bröckling, Ulrich; Krasmann, Susanne; Lemke,Thomas: Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen., Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag. 2000. Foucault, Michel: Was ist Kritik., Berlin: Merve. 1992. Lacan, Jacques: Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion, In: Jacques Lacan - Schriften 1., Weinheim [u.a.]: Quadriga. 1991. Lacan, Jaques: The Mirror-phase as Formative of the Function of the I., In: Žižek, Slavoj (Hrsg.) : Mapping Ideology., London:Verso. 1994. S. 93 – 99. Lemke,Thomas; Krasmann, Susanne; Bröckling, Ulrich: Gouverentalität, Neoliberalismus und Selbsttechnologie. Eine Einleitung ., In: (Hrsg.) Bröckling, Ulrich; Krasmann, Susanne; Lemke,Thomas: Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen., Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag. 2000. (a) Lemke, Thomas: Die Regierung der Risiken. Von der Eugenik zur genetischen Gouvernementalität., In: (Hrsg.:) Bröckling, Ulrich; Krasmann, Susanne; Lemke, Thomas: Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen., Frankfurt am Main: suhrkamp Verlag. 2000. (b) Lienhardt, Godfrey: Divinity and Experience. The Religion of the Dinka. Oxford: Oxford University. Press. 1961. Mc Kinnon, Susan: Neo-liberal Genetics: The Myths and Moral Tales of Evolutionary Psychology., Chicago: .Prickly Paradigm Press: 2005. Pagel, Gerda: Jaques Lacan., Hamburg: Junius Verlag. 1989. Petersen, Alan R.: Risk, governance and the new public health., In: (Hrsg.:) Petersen, Alan R.; Bunton, Robin: Foucault; health and medicine., New York – London: Routledge. 1997. Rose, Nikolas: The Politics of Life Itself. biomedicine, power, and subjectivity in the twenty-first century., Princeton University Press. 2006. Rose, Nikolas: Tod des Sozialen? Eine Neubestimmung der Grenzen des Regierens., In: (Hrsg.:) Bröckling, Ulrich; Krasmann, Susanne; Lemke, Thomas: Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen., Frankfurt am Main. Suhrkamp Verlag. 2000. Sahlins, Marshall: The use and abuse of biology : an anthropological critique of sociobiology., Londo: Travistok. 1982. Stäheli, Urs: Poststrukturalistische Soziologien., Bielefeld: Transcript Verlag. 2000. Wehling, Peter; Viehöver, Willy; Keller, Reiner; Lau, Christoph: Zwischen Biologisierung des Sozialen und neuer Biosozialität: Dynamiken der Biopolitischen Grenzüberschreitung., I: Berliner Journal für Soziologie., Heft 4 / 2007. S. 547 -567. 2007. Žižek, Slavoj: From politics to biopolitics ... and back, In: South Atlantic Quarterly 2004 103(2-3):501-521 (http://www.media.uoa.gr/main/eng/ events/Žižek_politics.pdf) (Abruf 24.09.08) Žižek, Slavoj: Liebe dein Syptom wie Dich selbst!, Berlin: Merve Verlag. 1991. Žižek, Slavoj: Parallaxe. Frankfurt am Main: Suhrkamp. 2006.

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Ich erinnere mich an ein Buch von Michel Foucault. Ein Freund hatte es mir vor langer Zeit einmal empfohlen, als wir an einem langen Abend mit viel Wein über Sexualität redeten. In dem Buch zeigt Foucault, wie wir es geschafft haben, seit dem 19. Jahrhundert Sex im Mythischen und Verborgenen verschwinden zu lassen. Dies nennt er die Repressionshypothese, die durch diskursive Macht und Wandel entstanden ist und Sexualität von der Freimütigkeit des Unziemlichen trennt und dabei in die elterlichen Schlafzimmer verfrachtet: „Die Sexualität wird sorgfältig eingeschlossen“ (Foucault 1983: 11). Doch dies reicht Foucault nicht. Nach einer sorgfältigen Analyse des Diskurses zeigt er die Geburt der Biopolitik. Dies soll uns jedoch hier nicht weiter interessieren, bis auf die Tatsache, dass die „europäische Sexualität“ eine ganz eigene Geschichte besitzt, die ganz eigene Subjekte herausgebracht hat. Ähnliche Abhandlungen in anderen Kontexten sucht man zumeist vergeblich. Boris de Rachewiltz (1965) bietet eine ausführliche Sammlung zu „Afrikanischen Sexualbräuchen von der Vorgeschichte bis heute“, auch wenn diese freilich nicht mit der Arbeit Foucaults verglichen werden kann. Dort liest man abenteuerliche Schilderungen zu Physiognomie, Sexualpraktiken, eben zur Sexualität „der Afrikaner“. >>>

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>>> Nach kurzem Durchblättern wird deutlich, wie anders doch die „afrikanische Sexualität“ sein muss: „Die Monogamie ist auf die Berber in Nordafrika beschränkt, auf die Christen Äthiopiens und auf einige Jägerstämme, während die Polygamie sehr viel allgemeiner üblich ist, da sie bestimmten wirtschaftlichen, ethischen und sozialen Bedürfnissen der afrikanischen Gruppen besser entspricht. Unabhängig von der demographischen sex ratio, die sich in vielen Fällen auf einen Frauenüberschuß gründet, muß man sich vor Augen halten, daß vom Moment des Schwangerschaftsbeginns an bis zur Entwöhnung des Kindes drei Jahre nach dessen Geburt sexuelle Beziehungen verboten sind. Die Monogamie würde in diesem Fall vom Mann eine undurchführbare Abstinenz verlangen“ (de Rachewiltz 1965: 248).

Norman Schräpel (26) diert Ethnologie, Psychologie Germanistik in Halle und und ist seit 2006 Mitglied Cargoredaktion.

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stuund Jena der

Man sollte nicht glauben, dass solche Beobachtungen als längst überholt gelten. Man findet sie immer wieder. In den Arbeiten zu HIV/AIDS etwa, welche zumeist nach Erklärungen für die überdurchschnittlich hohen Infektionsraten im südlichen Afrika suchen. Die „afrikanische Sexualität“ (auch wenn sie heute nicht mehr so genannt wird) ist meist ein latenter – und aussichtsloser – Begründungsversuch, die Verbreitung des HI-Virus promisken „Afrikanern“ zuzuschreiben. Meine Geschichte soll genau hier beginnen. Irgendwo am Rande Kapstadts, in einer Gegend, in der statistisch jeder dritte Einwohner HIV positiv ist. Präventionskampagnen und Programme zur Verteilung von antiretroviralen Medikamenten streiten sich darüber, welche Maßnahmen am effektivsten sind, um die hohe Infektionsrate endlich zu stoppen. Nur selten wird dabei gefragt, was es eigentlich heißt in einem solchen Kontext HIV negativ zu sein. Es ist einer meiner ersten Abende. Ich treffe mich mit ein paar Freunden. Wir sind bei Mzoli’s, einer Fleischbar. Anders als von meinem Begleiter angekündigt sind nicht hunderte von Menschen anwesend, nur ein paar Übriggebliebene, die von den kehrenden Angestellten allmählich vertrieben werden. Die Knochen auf dem Boden und die unzähligen Flaschen lassen nur erahnen, dass hier wenige Stunden vorher eine große Menge Menschen feierte. „Ihr seid zu spät“, ruft uns T.O. entgegen, als wir aus dem Auto steigen. „Sonntags ist hier schon um acht alles vorbei. Wir haben aber noch Booze“. Glück gehabt! Also trinken wir alleine. Die Knochen auf den Boden verschwinden langsam in den Mülltonnen und nach einer halben Stunde müssen wir die Terrasse der Bar verlassen, weil alle Stühle und Tische weggeräumt werden. Mzoli’s ist eine der angesagtesten Fleischbars in den Cape Flats. Eigentlich ist es nur ein Fleischer, was man jedoch schnell vergisst, wenn man ein paar Mal dort war. Bei Mzoli’s kann man Fleisch kaufen, es grillen lassen (mit einer unglaublichen Marinade bestreichen) und vor allem seine eigenen Getränke mitbringen. Das Fleisch ist besonders gut, doch viel wichtiger ist die große Terrasse, an der man unzählige Autos parken kann und zu der jedes Wochenende tausende junge Menschen strömen. Meine Freunde heißen T.O. und Master P. Ich kenne sie seit einigen Wochen und nicht zuletzt habe ich es ihnen zu verdanken, dass ich mich in dem Labyrinth der Häuser und Straßen des Viertels langsam zurechtfinde. Wir haben etwa das gleiche Alter. T.O. ist etwas kleiner als ich. Seine Mütze hängt tief im Gesicht, er trägt Baggy Pants und hat einen schweren Gang. Seit ich aus der Stadt in das Township gezogen bin, gehen wir jedes Wochenende zusammen weg. Meist treffen wir uns zuerst bei Freaky’s, einer Shebeen, bevor wir in die Stadt oder zu Mzoli’s fahren. Heute wollen wir Fleisch essen. Es fehlen noch Eiswürfel. Master P. ruft aus dem Auto. Er will, dass wir einen ganzen Tray mitnehmen. Vierundzwanzig Flaschen also. Wir fahren los. Bereits wie an den Wochenenden vorher wollen wir Frauen kennenlernen. Wir sind auf dem Weg zu Mzoli’s, nur ein paar Straßen weiter. - Masturbierst du? -- Hast du ne’ Meise? - Wie, du masturbierst nicht? Wie soll das denn gehen? -- Alter, ich bin doch nicht krank. Machst du das etwa? - Klar, die ganze Zeit. -- Ach, mulungu! Dazu gibt es hier zu viele Frauen. Masturbieren.... pahh

Ethnologie + Medizin

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Obwohl es noch ein paar hundert Meter bis zu unserem Ziel sind, stehen die Straßen voll mit parkenden Autos. Die Türen sind weit geöffnet, laute Musik kommt aus dem Inneren der Autos und auf den Dächern stehen mehrere Flaschen Bier, Whisky und Ciders. Wir probieren so nah wie möglich zu parken. Es ist laut und es riecht nach Fleisch. Irgendwo sehen wir Sexy. Er hat uns einen Parkplatz reserviert: die Parade kann beginnen. Wir stellen uns vor das Auto, Getränke aufs Dach, Musik an. Wir beobachten die Gruppen Frauen, die wiederholt die Straße ablaufen. Ich bin betrunken.T.O. tanzt neben mir schon mit einer Frau. Sie ist nicht hübsch. Ihr Po quillt aus ihrer engen Hose. Macht nichts. Ich dreh mich um, Master P. unterhält sich mit Daz. Sie sehen mich und kommen mit drei Flaschen Heineken auf mich zu. Auch wenn ich es mittlerweile besser wissen müsste, schaffe ich es nicht, mich zu mäßigen, so dass ich noch klar denken könnte. „Wo ist den T.O.?“ Er kauft der mit dem dicken Po etwas zu trinken. „Wieso das denn?“ Ich will auch mit einer Frau tanzen. Die dort ist doch süß. Hat schon jemanden. Betrunken stolpere ich durch die ganze Straße, gierig suche ich nach der schönsten Frau und ab und zu, wenn ich glaube sie gefunden zu haben, bleibe ich kurz stehen. Ich suche nach Augenkontakt, warte, gucke und überlege mir dann doch weiterzugehen. T.O. kommt auf mich zu. Ich bin überrascht, dass er allein kommt. Er sagt mir, dass wir morgen mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter an den Strand fahren sollten. Dann fragt er mich, ob ich schon jemanden gefunden habe. -- Es gibt einen Unterschied zwischen ficken und Liebe machen. - Das weiß ich! Ich will beides. Oder kannst du jeden Tag McDonalds essen? -- Mhhh... - ...nein, würdest du nicht. Niemand kann das: jeden Tag das gleiche Essen. Ich habe Hunger. An der Fleischtheke stehen zu viele Menschen. Vielleicht geht ja jemand von den Jungs. Als ich zurück zum Auto komme, steht eine Gruppe von Frauen dort. Ein paar sitzen im Auto und hören Musik. Master P. ruft mich und stellt mir eine Kurzhaarige vor. Sie ist schön, lacht mich an ohne ein Wort zu sagen. Ich drehe mich um und suche nach Bier. Nach einer Weile kommt Master P. zu mir und erklärt, dass ich endlich mit einer abschieben soll. Es ist schon spät. Er hat Recht. Es ist bereits dunkel. Langsam leert sich die Straße. Ein paar der Jungs sind schon weg. Ich glaube ich esse heute nichts mehr. Ich brauche zu lange. Das nächste Mal vielleicht. Glauben wir Foucault – um noch einmal zum Anfang zurückzukommen – dann könnten wir nachvollziehen, in welcher Weise wir unsere Sexualität leben.Wir werden zu Subjekten, die in einem bestimmten diskursiven Raum geprägt und geformt werden. Dies ist freilich ein Prozess, den Foucault auf einer diachronen Ebene erklären will. Ich will dem hier nicht widersprechen. Doch gleichzeitig sollten wir uns vor Augen führen, dass dies konsequenterweise bedeuten muss, dass eine „afrikanische Sexualität“ existieren kann. Die Erinnerung, die ich hier kurz zusammengefasst habe, sollte zeigen, dass dies nur zu einem bestimmten Maße stimmen kann. Oder anders: synchron betrachtet verläuft man sich in einer Welt, in der man schnell zum Teil dieser wird. Will man verschiedene Handlungen verstehen, oder versucht man die Geschehnisse an der Fleischbar zu rationalisieren, dann trifft man eben nicht nur auf Subjekte, die Ergebnisse ihres „promisken afrikanischen Selbst“ sind. Und schon gar nicht auf solche, die etwa genetisch (oder anders biologisch) vorprogrammiert sind.2 De Rachewiltz erzählt uns an einer anderen Stelle in seinem Buch: „Die Negerfrauen küssen sehr selten, und wenn sie es doch tun, dann ist der Kuß feucht und schallend“ (de Rachewiltz 1965: 238). Eine unerhörte These und mindestens genauso absurd wie zu behaupten, es wäre möglich die HIV/AIDS Pandemie mit einer hohen Promiskuität in einer bestimmten Region zu erklären. Referenzen Bibeau, G. and Pedersen, D. 2002. ‚A return to scientific racism in medical social sciences. The case of sexuality and the AIDS epidemic in Africa‘, in M. Nichter and M. Lock (eds.), New Horizons in Medical Anthropology, 141-71. London: Routledge. Foucault, M. 1983. Der Wille zum Wissen. Frankfurt am Main: Suhrkamp. de Rachewiltz, B. 1965. Schwarzer Eros: afrikanische Sexualbräuche von der Vorgeschichte bis heute. Stuttgart: Goverts.

Fußnoten I Die nachfolgende Geschichte ist fiktiv. Sie hätte trotzdem so, oder so ähnlich passieren können. Alle Personen (auch der aus Europa stammende Ich-Erzähler) sind frei erfunden. Der Ich-Erzähler rückt mit Absicht in den Vordergrund. Dies passiert nicht etwa, weil er seine Geschichte erzählenswerter findet, als die vielen anderen, die erzählt werden könnten, sondern weil er glaubt, dass damit die Handlungen und Wertungen (die vielleicht negativ gelesen werden könnten) von den anderen Protagonisten der Geschichte abrücken. 2 Bibeau & Pedersen (2002) zeigen in ihrem Artikel, wie verschiedene Ansätze auf groteske Art und Weise versuchen biologische Unterschiede zwischen „rassischen“ Gruppen zu finden.

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Master in Medical Anthropology in Berlin und Heidelberg. von

Hansjörg

Dilger

(Berlin)

und

Gabriele

Alex

(Heidelberg)

Berlin Als eines der ersten Ethnologie-Institute im deutschsprachigen Raum führt das Institut für Ethnologie an der Freien Universität Berlin zum Wintersemester 2008/09 einen Masterstudiengang mit Möglichkeit der Schwerpunktsetzung „Medizinethnologie“ ein. Der disziplinäre konsekutive Masterstudiengang Sozial- und Kulturanthropologie richtet sich in erster Linie an BachelorstudentInnen desselben Faches oder vergleichbarer Disziplinen und vermittelt die Fähigkeit zur wissenschaftlichen Arbeit und zur Analyse komplexer sozio-kultureller Konfigurationen und Prozesse. Studierenden bietet sich die Möglichkeit zur differenzierten Auseinandersetzung mit theoretischen Fragestellungen, die gesellschaftliche Mikro- und Makroebenen verbinden und soziale, kulturelle und politisch-ökonomische Aspekte integrieren. Eine Besonderheit des Masterstudiengangs ist die starke Forschungsorientierung: Die Studierenden werden dabei unterstützt, als Teil ihres Studiums ein eigenes Forschungsprojekt im In- oder Ausland selbständig zu planen, durchzuführen und auszuwerten. Aufbau und Inhalt des Studiums: Der in deutscher Sprache unterrichtete Studiengang umfasst vier Semester. Im Kernstudienbereich werden relevante Theorie- und Praxisfelder vertieft und ethnographische Kenntnisse zu afrikanischen und asiatischen Regionen vermittelt. Der Profilstudienbereich ermöglicht darüber hinaus die Spezialisierung in bedeutenden Teilbereichen des Fachs. Neben der möglichen Schwerpunktsetzung „Medizinethnologie“ können die Studierenden aus den Profilbereichen (a) Anthropologie der Religion, (b) Natur / Umwelt / Mensch sowie (c) Medien- und Visuelle Anthropologie zwei Profile entsprechend ihrer eigenen Schwerpunktsetzung wählen. Im Zentrum des Profilstudienbereichs Medizin und Heilung steht dabei die Auseinandersetzung mit der sozialen, kulturellen und politischen Konstruktion von Krankheit und Gesundheit in einer glo¬balisierten Welt. Vermittelt werden ein Verständnis der historischen Bedingtheit von Bio¬medizin in westlichen Gesellschaften, ebenso wie der spezifischen Rahmen¬bedingungen, die zur Entstehung und Verbreitung ‚westlicher’ Medizin in kolonialen und postkolonialen Zusammenhängen geführt haben. Der Studienbereich befasst sich schließlich mit der Interaktion zwischen biomedizinischen, ‚traditionellen’ und religiösen Behandlungs- und Heilungsformen, die den Umgang mit Krankheit und Gesundheit in pluralisierten Medizinsystemen weltweit kennzeichnen. Zugelassen werden für den Master-Studiengang zu jedem Wintersemester 30 Studierende. Weitere Informationen zum Masterstudiengang (inkl. Bewerbung und Zulassung) befinden sich auf der Master-Homepage: http://www.polsoz.fu-berlin.de/ethnologie/studium/master_ska/index.html Einzelberatungen zum Master-Studiengang werden angeboten von: Monika Rust, M.A. (Email: rust@zedat.fu-berlin.de) Freie Universität Berlin - Institut für Ethnologie Landoltweg 9-11 14195 Berlin Tel.: 030 / 83856867

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Heidelberg In April 2008 the South Asia Institute for the first time started an interdisciplinary Master’s course entitled Health and Society in South Asia. This new Master’s programme is a taught, two-year degree with a focus on Medical Anthropology and South Asia. The course is intended for students who plan to work (or already work) in health-related fields but also for those who wish to pursue an academic career. In the first semester, students are introduced to the main theories and research themes in the field of Medical Anthropology as well as to the major medical traditions and current health issues in South Asia. In the second semester all students are obliged to learn one South Asian language, and also receive training in research methods and presentation skills. The third semester will be used for the extensive preparation of a practical field experience or a work placement, which will form the basis for the Master’s thesis, which will be prepared and written over the fourth semester. The current health problems of South Asia are diverse. On the one hand, “old” diseases such as malaria, diarrhoea, and reproductive problems continue to plague much of the population, just as they have done for generations. On the other hand the new “lifestyle diseases” like diabetes, adipositas, and heart and coronary diseases, present novel challenges for the health of South Asians. Public Health professionals and development agencies are concerned to make effective interventions to address these problems, and we are convinced that the safest and most effective solutions will be those which take the historical and cultural context of South Asia into account. That is one of the reasons we have developed this course. However, Health and Society in South Asia is not only about diseases.We are also interested in traditions of health-promotion such as yoga and meditation; in South Asian theories and practices regarding the body, food and diet, and psychological well-being; in the way that South Asians incorporate new health technologies into their culture; and in many other topics as well. The Department of Anthropology at the South Asia Institute specializes in Medical Anthropology, with various staff members conducting research on ritual healing, folk medicine, South Indian medicine, health and environment, Ayurveda, Tibetan Medicine, gender and health, women’s reproductive health and Islam, and other topics. One of our greatest strengths is the cooperation between the Dept. of Anthropology with other Departments within the South Asia Institute, especially the Departments of Modern South Asian Languages and Literatures (Prof. Harder), Cultural and Religious History of South Asia (Prof. Michaels), Geography (Prof. Nüsser), and South Asian History (Prof. Dharampal-Frick). Medical Anthropology also benefits greatly from partnerships with Public Health (Prof. Sauerborn in Heidelberg, Prof. Fischer in Mannheim), the History of Medicine (Prof. Eckart), and the Institute of Ethnology. We offer a variety of lectures and seminars.The Medical Anthropology Working Group (Arbeitsgruppe Medical Anthropology) meets every fortnight for lectures and presentations of colleagues, guests, and students. Well-known experts who have spoken here include Thomas Csordas, Elisabeth Hsu, Mark Nichter, and Allan Young. But we also encourage younger scholars to present their work in progress in this seminar series, with the intention of creating a lively and stimulating learning environment. You can access a great deal information about Medical Anthropology and other health-related themes in South Asia via SAVIFA, the new, virtual South Asia library managed and directed from the South Asia Institute. The thematic portal Health and Healing in South Asia has opened in June 2008: here you will be able to read online dissertations and theses in the field of Medical Anthropology and find information about researchers, organisations and institutions, and we will hope eventually to establish our own, online journal. For further information, please see: http://www.savifa.uni-hd.de/thematicportals/health_healing_en.html For further information regarding the Master programme and activities in Medical Anthropology in Heidelberg please see: http://www.sai.uni-heidelberg.de/abt/ETHNO/mahassa/

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Lebenswege und Lehren. von

Julie

Laplante

(übersetzt

Danach gefragt zu werden in einem anderen Stil zu schreiben, als im Stil des Anthropologen, ist mehr als verstörend für jemanden, der sich dessen über zwanzig Jahre lang bediente. Erst in einen solchen Moment realisiert man das volle Ausmaß seiner beruflichen Prägung. Alles woran ich zunächst denken konnte, war zu dem Zeitpunkt zurückzukehren, bevor ich mich der Anthropologie widmete und in ein Reisetagebuch schrieb, das jedoch bereits im Jahre 1988 an der Grenze zwischen Malawi und Tansania gestohlen wurde. Als nächstes erinnerte ich mich dann an eine Geschichte, die ich zehn Jahre später schrieb, während einer Reise, auf der ich erstmals mit der indigenen Bevölkerung des brasilianischen Amazonasbeckens zusammentraf. Doch auch diese Geschichte ging entweder im Cyberspace oder aber auf antquierten Computerdisketten, die heute keiner meiner Computer mehr lesen kann, verloren. Ich sah mich so zwar einerseits einem kompletten Verlust gegenüber, doch sah ich mich andererseits zugleich auch herausgefordert etwas zu schreiben, was an diese wenigen isolierten Momente „freien“ Schreibens anknüpfte. Als ich mein Tagebuch irgendwann im März 1988 verlor, war ich 19 Jahre alt (sicher, rechnen Sie ruhig nach). Ich war bereits seit September 1987 gereist. Voller stolz zählte ich die Monate meiner Reise zusammen, während ich jedem Reisenden, den ich auf meinem Weg traf, davon berichtete, dass ich zunächst von Montreal nach Amsterdam gereist war. Anschließend durch Belgien, Frankreich, Spanien, Portugal, Italien und Griechenland trampte. Danach ein Boot nach Ägypten nahm, mit Eseln und allen Fortbewegungsmitteln, die ich finden konnte, durch die Oasen der Sahara zog, und schließlich an der Grenze zu Malawi für ein paar Tage strandete, bis schließlich der zuständige Grenzbeamte auftauchte. Ich hatte bis dahin jede Woche mit religiösem Eifer in dieses kleine Buch geschrieben, dessen letzte Seite ich gerade gefüllt hatte. Es enthielt all meine Gedanken, alle Emotionen sowie Momente des Erstaunens und ‘saudades’ (Sehnsüchte), die ich auf dem Weg erlebt hatte. Dadurch, dass ich es immer und immer wieder las, schien es mich mit der Heimat zu verbinden, die ich verlassen hatte. Als es verschwand, war ich deshalb zunächst am Boden zerstört. Bald darauf aber fühlte ich mich befreit, denn endlich konnte ich die Vergangenheit ruhen lassen und weiter voranschreiten ohne all die ‘speziellen’ oder eher unangenehmen Ereignisse der Reise niederschreiben zu müssen. Endlich konnte ich mich ausschließlich

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von

Gregor

Ritschel)

der Gegenwart widmen. Dies passte bestens zur Philosophie der Gurus in Indien, die ich auf der nächsten Station meiner Reise traf. Indem ich die nächsten Monate damit zubrachte barfuss durch den Himalaya zu laufen, erschien mir die Vergangenheit immer mehr als bloße Illusion, während ich dazu überging den bloßen Moment zu würdigen. Dies ist die Philosophie der Gurus, die mich, ihre Morgenpfeife rauchend, immer wieder daran erinnerten, dass „das Leben nur eine Illusion“ sei, und meinem bisherigen Leben daher eine geringe Bedeutung zukommen sollte. Eine Zeit lang fühlte ich mich wohl in dieser Welt, in der ich mich einzig der Gegenwart widmete, alles vergaß was geschehen war und mich zudem nicht darum kümmern musste, was geschehen könnte. Nichtsdestotrotz fand ich die Höhle nicht, in der ich diesem Lebensweg gemäß meditieren konnte, das Leben hatte andere Dinge mit mir vor. Letztendlich kehrte ich nach Hause zurück und begann dort, weniger als eine Woche später, meine Reise in die wundervolle Welt der Anthropologie. Es dauerte zehn Jahre, bevor ich etwas außerhalb des anthropologischen Sprachstils schrieb. Es brauchte zehn Jahre, bevor mich die Anthropologie an den Ort brachte an den ich wollte, zu den ‘primitiven’, indigenen Völker des Amazonas. Ende Oktober des Jahres 1998 trat ich diese Reise in einem kleinen Kahn mit einem 40 PS Motor an. Ich begleitete eine griechische Ärztin zu einem entfernt gelegenen Dorf irgendwo an den schwarzen Gewässern des Medio Solimões im Staat Amazonas. Wir hatten neben unseren Büchern und ein wenig Kleidung eine riesige Hockeytasche dabei, die bis zum Rand mit pharmazeutischen Mitteln gefüllt war. Zudem begleitete uns ein Fahrer, so dass wir uns in unseren Gedanken verlieren, in der Sonne baden oder aber in unseren Büchern lesen konnten, während unsere Füße auf den überhitzten Pharmazeutika ruhten. Wir besaßen zudem ein Radio, ein ungenaue Karte und die vage Erinnerung der Ärztin und des Fahrers an die Siedlung, die sie bereits ein Jahr zuvor besucht hatten, und die auch das Ziel unserer Reise darstellte. Ich war auf dieser Feldforschung als freischaffende Sozialanthropologin unterwegs, darüber hinaus aber arbeitete ich als Kundschafterin für “Ärzte ohne Grenzen”, indem ich nebenbei nach der Biomedizin von unbekannten indigenen Heilpraktiken suchte. Wir folgten einem breiten braunen Strom, bis wir endlich den richtigen schwarzen Strom finden sollten. Die indigenen Populationen siedeln bevorzugt an den schwarzen Strö-

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men des Amazonasgebietes, die frischer und sauberer sind und größere Fischbestände aufweisen. Ich muss sagen, dass mich diese Reise innerlich sehr aufregte, nicht im Geringsten dachte ich an die Unorganisiertheit und an die Naivität, mit der wir in das Herz des Amazonasregenwaldes vorstießen. Natürlich gab unser Motor wenige Zeit später den Geist auf. Es war ein paar Tage vor oder nach Halloween und es wurde die gespenstischste Nacht, die ich je erlebte. Wir waren nahe einer Hütte gelandet, deren Besitzerin uns einlud, die Nacht bei ihr zu verbringen. Unter uns befanden sich ungefähr dreißig Schweine, Hühner, Hunde, die die ganze Nacht keine Ruhe gaben. Dieser animalische Chor wurde in den frühen Morgenstunden noch durch Affenschreie bereichert. Es brauchte ein paar Tage, um das nötige Ersatzteil für unseren Motor aufzutreiben, als es soweit war, waren wir zwar müde doch auch glücklich unsere Reise fortführen zu können. Ein paar Tage später, immer noch auf braunen Gewässern unterwegs, stoppten wir in einem “Dorf”, welches aus einem Pärchen und deren vierzehn Kindern bestand. Die bemerkenswert gute Organisation dieser Familie war mehr als beeindruckend. Brücken und kleine Wege verbanden die kleinen Hütten untereinander; alles war sauber, bunt bemalt und perfekt erbaut. Jeder trug Gummistiefel, die im Hinterhof aus dem Gummi von Gummibäumen gefertigt wurden. Die Fülle an Gemüse, Früchten, Fleisch und Gütern aus dem Wald war beeindruckend und half uns dabei unsere Kräfte zurückzugewinnen. Die Ärztin hatte diese Familie bereits vorher besucht, so dass wir von ihnen sehr freundlich empfangen wurden. Auch versuchte sie von der Familie den Weg zu dem von uns gesuchten schwarzen Strom in Erfahrung zu bringen. Doch blieben deren Hinweise eher schemenhaft, so dass wir uns darauf beschränkten auf das nächste Boot, das den Strom passieren sollte, zu warten. Diesem konnten wir dann für eine Weile stromaufwärts folgen, zumal dies im Grunde ohnehin unsere einzige Option war, da unser nur notdürftig reparierter Motor zum wiederholten Male streikte. Das Boot, auf das wir warteten, und das uns bereits am nächsten Tag erreichte, beförderte ein paar genesene Tuberkolosepatienten und brachte uns im Schlepptau zum nächsten Dorf stromaufwärts. In diesem Dorf folgten wir einer Einladung zu einem “Forró”-Tanz am Abend, der wahrscheinlich aufgrund unseres Besuches stattfand. In der Mitte des Tanzes kam eine scheinbar in Panik geratene

Gruppe von Frauen auf uns zu und ergriff Nicole (die Ärztin). Ich wurde freundlich gebeten der Gruppe zu folgen. Wir stolperten in eine dunkle Hütte, in der eine Frau ein Kind erwartete. Obwohl meine Kollegin keinerlei Erfahrungen mit Geburten hatte, wurde sie um Hilfe und Rat gebeten. Nicole betrat den Raum, indem die Frau in den Wehen lag. Ich blieb mit dem Ehemann in aller Ruhe draußen auf dem Balkon. Fünf Minuten später kam Nicole heraus und unterrichtete uns selbstbewusst davon, dass es noch zu früh war, und dass noch eine Weile vergehen würde, bis die Frau gebären würde. Doch kaum hatte sie die letzten Stufen des Balkons erreicht, hörten wir schon die Schreie eines Babys. Sie kehrte zurück ins Haus um erneut ihre Expertise zur Verfügung zu stellen. Mittlerweile erzählte mir der Eheman davon, dass er bereits sechs Töchter hatte. Fünf Minuten später kam Nicole zurück, um allen bekannt zu geben, es sei ein Junge! Doch erneut hatte sie sich geirrt, da sie die Nabelschnur fälschlicherweise für einen Penis gehalten hatte. Es war das siebente Mädchen. In diesem Moment war ich beschämt von der Anerkennung, die man uns entgegen brachte, obwohl dafür keinerlei Grund bestand. Selbst der Ehemann nahm die Situation mit Humor und vergaß den kurzen Moment, in dem er glaubte Vater eines Sohnes geworden zu sein. Dies war der Beginn einer Wende hin zu einer kritischeren Einstellung, die ich von nun an im Feld der Medizinanthropologie einnahm. Zwischen den Pharmazeutika, die langsam in der Feuchte und Hitze verdarben und dem blinden Glauben an den fremden Forscher, der in medizinischen Fragen alle Antworten parat hatte, erreichte meine Skepsis ein extrem hohes Niveau. Dies war kein Einzelfall. Aber lassen sie mich die Geschichte fortführen, denn immer noch hatten wir die richtigen schwarzen Ströme nicht erreicht. Dies bedurfte einiger weiterer Tage voller Unsicherheit und Irrfahrten durch die Mäander des Amazonasgebietes, wobei nicht ausgeschlossen sein mag, dass wir dabei die ein oder andere Kreisbewegung vollführten. Es erschien uns als reiner Zufall, dass wir einen Kanufahrer trafen, der wiederum einen Kanufahrer kannte, der den Weg zu den von uns gesuchten Siedlern kannte. Ich neh-me an, dass dies die Art und Weise ist, durch die man seinen Weg durch Millionen von kleinen schwarzen Strömen findet, die alle letztlich in dem großen braunen Strom münden. Wir erreichten die Siedlung, in der uns jeder auf wunderhafte Weise mit einer Wolke von Schmetterlingen über dem Kopf begrüßte. Welch

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magischer Moment!! Der Rest war angenehm in bestimmten Dingen, verheerend in anderen. Der Dorfälteste erzählte ohne Unterlass Geschichten in einer Sprache, die ich nur im Traum hätte verstehen können, während die Arztin einen langen Umhang mit großen Taschen überwarf, die sie mit Pharmazeutika füllte, die sie alsbald, ganz so als ob sie Santa Claus wäre, von Hütte zu Hütte laufend verteilte. Die medizinische Unterweisung sollte am nächsten Tag beginnen. Es war geplant ein Dutzend der Männer in die grundlegenden biomedizinischen Konzepte einzuweisen. Ich werde mir hier jedoch die Details dieses Chaos’ ersparen. Es bleibt mir nur anzumerken, dass dieser Trip mir die Inspiration dazu gab etwas in einem andern Stil zu schreiben, eben diese Geschichte. Wir kehrten schließlich sonnenverbrannt von der Expedition in die schwarzen Gewässer des Amazonasgebietes zurück. In meinem Fall blieb die Inspiration am Leben der “Urwaldbewohner”, die von den Ressourcen des Flusses leben, teilgenommen zu haben. Diese Welt sollte für die nächsten Jahre so etwas wie eine Heimat für mich werden. Zehn Jahre später ist es ein Student und eine weitere intensive Situation, die mich erneut dazu bewegten etwas außerhalb des akademischen Diskurses zu schreiben. Obwohl ich mich nicht dazu in der Lage fühle den damit verbunden Emotionen ganz und gar zu entfliehen, werde ich versuchen einige dieser intensiven emotionsgeladenen Situationen zu schildern, die erneute tiefe Einschnitte in meinem Leben hinterließen. Im vergangenen Jahr habe ich den Punkt erreicht, den so manch einer als “rock bottom” (absoluten Tiefpunkt) bezeichnen würde. Nahezu alle die Realitäten, die ich mir seit der Geburt meines ersten Kindes im Jahre 1999 und meines zweiten Kindes im Jahre 2001 kreiert hatte, wurden erfolgreich dekonstruiert. Es begann vor zwei Jahren, als wir unser behagliches Heim verließen, ein neu erworbenes “Nest”, das wir liebevoll innerhalb eines sieben Morgen großen, parkähnlichen und von einem Fluss durchzogenes Grundstück errichtet hatten. Eine mysteriöse Reihe von Ereignissen brachte es mit sich, dass wir innerhalb weniger Monate unser Haus leeren, unser Auto verkaufen und all unsere Sachen

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in sechzehn Taschen verpacken sahen, die wir auf die Ladefläche eines Pickups luden, mit dem wir dann zum Flughafen fuhren. Noch heute wundere ich mich darüber wie schnell dies alles geschah, insbesondere da es vor diesen ein-einhalb Monaten des Umbruchs keine einzige Bemerkung sowie keinen einzigen Gedanken darüber gab, auszuziehen. Ebenso war keiner von uns dieses Heimes, das wir uns gemeinsam erwählt hatten, überdrüssig geworden. Plötzlich aber fanden wir uns auf der Reise wieder und das Ziel schien fast unbedeutend. Es erscheint so, als ob wir erneut auf dem Weg waren unsere Überlebensfähigkeit in der Welt da draußen auf die Probe zu stellen. Ein ungemein starker Wille koste es was es wolle - mir meinen Platz und eine Stimme in dieser Welt zu erkämpfen, war offensichtlich meine Hauptmotivation. Meine Besessenheit schien dabei die Obsessionen meiner Familie zu übertreffen, dennoch aber werde ich mich hier nicht im Detail verlieren, obgleich diese grundlegend sein mögen. Diese exzessive Obsession, das zu realisieren, was meiner Ansicht nach im Leben zählte, war wohl die treibende Kraft dabei. Die stagnierende Musikindustrie trug zudem dazu bei, Europa in den Augen meines Mannes als attraktiv erscheinen zu lassen, und nach vier Jahren als “post-doc” gab es auch für mich einen Anreiz beruflich voranzukommen. Es war daher dieser Hunger nach Neuem in Kombination mit einer “do or die” Einstellung die uns dazu brachte, all den Komfort unseres bisherigen Lebens, das unkompliziert hätte sein können, hinter uns zu lassen. Diese Reise sollte jedoch intensiver werden als gedacht. Mit den höchsten Höhepunkten, wie beispielsweise der Entdeckung der versteckten Schönheiten Ostdeutschlands, zahlreichen Ausflügen in die Alpen sowie in afrikanische Dünen, aber auch mit den tiefsten Tiefen, wie dem Abreißen des Kontakts zur eigenen Familie und der Erfahrung vor seinen eigenen Augen einen Menschen sterben sehen zu müssen. Letzteres geschah in Afrika, wohin wir nach unserem zweiten Jahr auf Reisen gezogen waren. Zu diesem Zeitpunkt waren mir alle Referenzpunkte meines bisherigen Lebens verloren gegangen und unsere ersten paar Tage in

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© Annie Mole

Kapstadt (Südafrika) ließen alles innerhalb eines bloßen Lidschlages in sich zusammenbrechen. Nie zuvor fand ich mich in einer derart prekären und verletzbaren Position wieder wie in dem Moment, als ich realisierte, dass ein Einbrecher sich in meinem Raum befand, während meine Tochter neben mir und mein Sohn in einem Bett im selben Raum schliefen. Mein Eheman war einen Ozean weit entfernt. An diesem Tag, als ich erwachte und die größte Panik fühlte, die mich je überkam, realisierte ich, wie zerbrechlich das Leben ist, wie sich so viele Menschen in diesem Land tagein tagaus fühlen mussten und wie schrecklich es ist in einer Welt, in der die meisten nichts mehr zu verlieren haben, zu den Wenigen zu gehören, die immer noch etwas haben, dass sie beschützen müssen. Ich musste eine Entscheidung treffen. Ich hätte das Haus und das Land verlassen können, um nach Hause zurück zu kehren, oder aber ich würde einen Weg finden mit der Situation umzugehen und aus ihr zu lernen. Ich entschied mich für Letzteres. In der Nacht des Vorfalls lebten zwei Studenten mit uns im Haus, einer jedoch sollte in derselben Nacht das Land mit dem Flugzeug verlassen, während der andere bald darauf das Haus verlassen sollte, um einige Wochen im Land umher zu reisen. Wir reparierten das Alarmsystem, schließlich jedoch waren es Hunde, die mir die Angst nahmen. Ich verbrachte einige Wochen in dieser sprichwörtlichen Paranoia, von der so viele Menschen in Kapstadt befallen zu sein scheinen. So verbarrikadierte ich mich selbst hinter Gitterstäben, Alarmsystemen und Hunden. Ich bemühte mich um erhöhte Zäune füt das Grundstück, während meine Nachbarn mit ihren Alltagsgeschäften fortfuhren, wie sie es vermutlich schon immer, nach jedem neuen Einbruch taten. Es schien, als gäbe es in meinem Leben keinen Platz mehr für Fehler. Ich wurde zu etwas, was ich nie werden wollte. Die ersten paar Wochen war ich bereit jeden anzuspringen, der mir nahe war. Wochen vergingen und es stellte sich heraus, dass der Weg der direkten Konfrontation mit dem Problem der beste Weg für mich war. Es war schlicht eine Einstellungssache. Indem man immer davon ausging, dass irgendetwas schief laufen könnte, war man stets sicher vor unangenehmen Überraschungen. Dieser umsichtige und paranoide Status schien

die spezifische Lebensform Kapstadts zu sein und glich sehr dem alarmierten Zustand, den ich die meiste Zeit über, die ich in brasilianischen Städten verbrachte, an den Tag legte. Ich war einfach unvorbereitet, als ich dort eintraf, so dass ich erst die Erfahrung machen musste, dass dies ein Zustand ist, an den man sich gewöhnen kann. Heute habe ich die besten Erinnerungen an diesen Ort und fühle mich ihm, wie auch seinem Menschen eng verbunden. Die große Menschlichkeit in Kapstadt ist extrem und berührte mich in einer Weise, die in Worten nur schwer zu beschreiben ist. Seitdem habe ich meine Feldforschung dort abgeschlossen und bin einige Male zur Nachbereitung für kurze Zeit dorthin zurückgekehrt. In mir bleibt eine starke Verbundenheit und Sehnsucht zu den Dingen, die ich dort erleben durfte. Außerdem habe ich seitdem meine Stelle in Deutschland zum Wohl meiner Familie aufgegeben, wobei ich das Risiko der Arbeitslosigkeit bzw. das Risiko nach zwanzig Jahren anthropologischer Arbeit keine Anschlussstelle mehr zu finden und so meine Karriere aufzugeben, auf mich nahm. Ich entschied mich definitiv keine weiteren “postdoc” Stellen mehr anzunehmen, die mein privates Leben und das meiner Familie auf den Kopf stellen würden. Durch eine glückliche Wendung der Ereignisse wurde ich von einer Universität in einer Stellung wiedereingestellt, die es mir ermöglichte meine Forschungen weiterzuverfolgen und zudem meine Lebenserfahrung mit anderen zu teilen. Heute bin ich erstaunt darüber, wie viele weniger Glückliche eben diese Risiken aufgrund verschiedenster Lebensumstände auf sich nehmen, dabei aus dem Netz der Gesellschaft fallen und ungehört ins Nichts verschwinden. Ebenso wundere ich mich über das Maß, indem unser Überlebenswille steigt, wenn wir “hungrig” sind. Letztlich frage ich mich jedoch, ob ich Gefahr laufe langsam bequem zu werden, wo ich doch lieber das Feuer in mir behalten würde, dass mir sagt, dass da draußen in dieser Welt Dinge existieren, die es wert sind, dass über sie geschrieben wird und für die es neue Wege des Umgangs mit ihnen zu finden gilt. In den letzten Wochen war ich auf einigen Begrüßungsempfängen und Zeremonien eingeladen. Diese erweckten bei mir das merk-

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würdige Gefühl ernsthaft meine Zeit zu verschwenden, indem ich Professoren pries anstatt meine intensiven Erfahrungen mit andern zu teilen. Die Prioritäten schienen auf den Kopf gestellt. Auf Institutssitzungen zugegen zu sein, denen auf ewig über bedeutungslose Dinge wie die Zahl der Hilfskräfte, die man angesichts der Zahl seiner Studenten haben sollte, debattiert wird, hinterließ bei mir das Gefühl einer schweren Frustration, da ich selbst das Institut derart leiten müsste, dass es auf humanitäre Krisensituationen vorbereitet. Ich hoffe nicht dem Alltagstrott zu verfallen und diesen Zwiespalt in mir zu behalten. Ich denke, dies ist auch der Grund, warum ein jeder sichergehen sollte, sich in Richtungen zu bewegen, die ihn demütig und lebhaft halten. Nach dem Zwischenfall mit dem Dieb oder dem “afrikanischen Philosophen”, wie mein Eheman ihn zu nennen pflegt, sagte mir ein Freund, dass dies eine erzählenswerte Geschichte sei, worauf ich ihm antworte- te das ich auf solcherlei Geschichten gerne verzichten würde, da ich deren bereits genug hätte. Vielleicht aber lag ich falsch, Nahtoderfahrungen (oder zumindest ein Eindruck davon) sind notwendig für Schamanen, um wirkliche Schamanen zu werden. Anthropologen mögen auch ohne diese Erfahrungen

zu Anthropologen werden, sie können aber solche Erfahrungen, wie die meinen oder aber auch anderweitige Erfahrungen machen, die ebenso gut geeignet seien mögen ihre Realitäten zu zerrütten, denn letztlich sind es solche Erfahrungen, die den Menschen, die sich in der bequemen Welt der Universität einrichten, dazu verhelfen am Boden zu bleiben und die alltäglichen Miseren dieser Welt nicht zu vergessen. Es gab natürlich auch andere Marksteine, die die letzten zehn Jahre zwischen diesen drei Geschichten füllten. Einer ereignete sich im Jahr 2003, als am allerletzten Tag meiner Feldforschung in Salvador de Bahia in Brasilien zwei Teenager ihre Waffen auf mich richteten. Auch in diesem Fall sagte ich mir, dass ich mich niemals wieder in eine solche Situation bringen würde. Heute würde ich behaupten, dass es diese Situationen waren, die mich voll und ganz einnahmen und die mir halfen mein Leben auszubalancieren. Denn es sind jene Situationen, die einen an die sozialen Ungleichheiten dieser Welt sowie an den Schmerz und das Leiden erinnern und einem so dabei helfen genau diese Dinge im Auge zu behalten, wenn es darum geht seine Forschungsprioritäten und seine Forschungsziele abzustecken.

Julie Laplante ist Assistant Professor am Institut für Soziologie und Anthropologie an der University of Ottawa. Sie studierte in Montréal, Rio de Janeiro und Québec. Außerdem ist sie Research Fellow am Max-PlanckInstitut für ethnologische Forschung in Halle/Saale.

Symposium 2008: Retrospektive & Perspektive. von

Anna-Lena

Wolf

Vom 12. bis 15. Juni 2008 fand das ethnologische Symposium für Studierende aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in Heidelberg statt. Das Motto „ethnologie! grenzenlos?“ lockte über 80 TeilnehmerInnen in Deutschlands älteste Universitätsstadt. Wie bereits bei den vier vorhergehenden studentischen Ethnologiesymposien, stand auch diesmal die Intention im Mittelpunkt, das Netzwerk der EthnologiestudentInnen im deutschsprachigen Raum zu festigen und zu erweitern. Zum einen wurde die Möglichkeit gegeben, über eigene Feldforschungserfahrungen oder bewegende theoretische Auseinandersetzungen zu allgemein relevanten und aktuellen Themen zu referieren. Somit wurde den ZuhörerInnen auf der anderen Seite die Tür zu verschiedensten Themenkomplexen geöffnet. Die Vorträge wurden umrahmt von breitem Freiraum für Diskussionen über fachspezifische Grenzen, Möglichkeiten und Verantwortungen, sowie über die Legitimation der ethnologischen Disziplin im wissenschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Bereich. Welche der ernannten Ziele konnten Organisatoren und Teilnehmer verwirklichen? Was waren Stärken und Schwächen der Zusammenkunft? Im Folgenden sollen diese Fragen zu einem kritischen Resümee des diesjährigen Symposiums anregen. Dabei wird es auch um die Frage der Relevanz studentischer Konferenzen im Allgemeinen gehen.

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Studium.Lehre.Forschung

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Die Frage, welchen Verdienst das Heidelberger Symposium hat, oder allgemein studentische Ethnologie-Symposien für unsere Disziplin haben, kann auf mehreren Ebenen beantwortet werden: Ein erster Schritt - und der augenscheinlichste Verdienst - mag die bloße Zusammenkunft zahlreicher EthnologiestudentInnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sein. Die Vernetzung ging jedoch weit über ein schlichtes viertägiges Zusammensein hinaus. Die Vortragenden machten das Treffen mit ihren bunten Beiträgen zu einem gelungenen, abwechslungsreichen und wissenschaftlichen Ansprüchen genügendem Symposium - sie stellten ihre Forschungsergebnisse einer Gruppe von ZuhörerInnen vor und leiteten damit oft zu regen, fruchtbaren Diskussionen an. Die TeilnehmerInnen waren ermutigt, die präsentierten Forschungsergebnisse kritisch zu hinterfragen und die diskursiven Gespräche endeten nicht selten damit, essentielle Fragen für die Ethnologie aufzuwerfen und argumentativ zu erörtern. Besonders positives Feedback wurde von den TeilnehmerInnen gegenüber den täglichen Abschlussdiskussionen geäußert. In diesem Rahmen wurden die TeilnehmerInnen unter anderem aufgefordert, über die aktuelle Situation an ihren Instituten zu berichten. Das Ergebnis war niederschmetternd! Wie die Vorstellung der einzelnen Institute zeigte, gibt es fast kein Institut, bei dem sich die Probleme in einem herkömmlichen Rahmen bewegen. Viele Studierende sind frustriert über ihre Studienlage. Allem Anschein nach sind die Schwierigkeiten im ethnologischen Fachbereich größer als erwartet. In dieser Erkenntnis liegt wohl einer der Hauptverdienste des Symposiums. Erfreulicherweise ist es nicht bei der simplen Erkenntnis geblieben. Beachtliches Engagement und rasches Umsetzungsvermögen zeigten außerdem die Hamburger Studierenden mit ihrer Einladung zu einem weiteren Vernetzungstreffen. Je zwei VertreterInnen der jeweiligen ethnologischen Institute sollen zusammen kommen, um den Austausch über die Situation der Ethnologieinstitute im deutschsprachigen Raum vertieft zu thematisieren und über mögliche Verbesserungen nachzudenken. Darüber hinaus hat das Organisationsteam einen EMailverteiler aller SymposiumsteilnehmerInnen eingerichtet, wodurch die Kommunikation unter den Ethnologiestudierenden erleichtert werden soll. Der zweite große Erfolg des Symposiums ist die Anregung zur differenzierten Beschäftigung mit Grenzen, Möglichkeiten und Aufgaben der ethnologischen Disziplin. Hierbei standen unter anderem die Debatte über Begrifflichkeiten und der sensible Umgang mit kritischen Begriffen im Mittelpunkt. Bietet sich beispielsweise „Kultur“ als heuristisches Mittel an? Ist es legitim vorbelastete Begriffe wie „Rasse“ zu verwenden? Die unterschiedlichen Konnotationen solcher Begriffe in anderen Sprachsystemen wurden aufgezeigt und diskutiert, was auch die Frage aufwarf, welche Alternativen es zu problematischen Alle Institute sind angeregt, Begriffen gibt oder ob uns die Suche danach wirklich zu weniger kritischen Begriffen führt? Hat nicht im Nachklang der Zusamgerade die Ethnologie die Aufgabe, Menschen - über den wissenschaftlichen Bereich hinaus - auch im menkunft in einem kurzen gesamtgesellschaftlichen Kontext für die Verwendung bestimmter Begriffe zu sensibilisieren? Letztlich Informationstext über die wurde die Frage aufgeworfen, wodurch sich die Ethnologie von anderen Nachbardisziplinen unterSituation ihres Instituts zu berichten. Die Texte sollen scheidet. Wie können wir die eigene Überzeugung von der ethnologischen Relevanz einer breiten dann gesammelt über den Öffentlichkeit kommunizieren? Symposiumsreader zirkuliDiese Fragen bieten nur einen kleinen Einblick in die Diskurse der Symposiumstage und sie werfen vor eren. Die Symposiumsteilneallem viele neue und weitergreifende Fragen auf. Der Bedarf, diesen Fragen im Austausch mit anderen hmer bekommen den Reader Studierenden nachzugehen, zeigt die Bedeutsamkeit der studentischen Zusammenkünfte. Kritisch anautomatisch per E-Mail zugegemerkt werden muss jedoch eine Tatsache, die in dieser scheinbaren Euphorie nicht unter den Tisch sendet. Alle, die nicht teilggekehrt werden soll: Theoretischer Austausch ist wichtig und die Grundlage inner- und außerdiszienommen haben, können sich plinärer Selbstreflexion. Doch mindestens genauso wichtig ist es, nicht einfach zurück nach Hause zu per E-Mail mit uns in Verbinkehren und dort wieder „alte Pfade“ zu beschreiten. Die theoretisch erarbeiteten Erkenntnisse müssen dung setzen, wenn sie Interesse am Reader oder sonstige zusammen mit der Zahnbürste in die Reisetasche gepackt werden, um zu Hause an einem sichtbaren Fragen haben. Ort entpackt zu werden und auch im Alltag - nicht nur in einer besonderen Situation wie einem Symposium - die Gedanken zu inspirieren. Aktives Engagement ist gefordert - Engagement, das sich über www.ethnologiesymposium2008. die Grenzen einer Zusammenkunft und über die Grenzen eines sprachlichen Austauschs hinwegsetzt. wordpress.com Nur dann, wenn die Diskussionen uns auch rückwirkend bewegen und unsere Taten im wissenschaftlisymposium2008@web.de chen Bereich sowie im Alltag beeinflussen, sind studentische Symposien auch in Zukunft von Relevanz für die Ethnologie. Anna-Lena Wolf (23) studiert an der Universität Heidelberg die Geschichte Südasiens und Ethnologie. Sie war Organisationsmitglied des Symposiums 2008 in Heidelberg. Ausgabe 29

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Cannibal Tours.

“There is nothing so strange in a strange land, as the stranger who comes to visit it.” von

Canibal Tours (Australien 1988) Genre: Dokumentation Regie und Produktion: Dennis O’Rourke Herausgeber: Filmmakers PTY Thema: Eine Entdeckungsreise des Eigenen im Fremden und des Fremden im Eigenen Dennis O’Rourke verbrachte selbst fünf Jahr in Papua Neuguinea, dem Schauplatz des Films. 1945 in Brisbane geboren, brach er sein Studium nach zwei Jahren ab und reiste in Australien, den Pazifischen Inseln und Ostasien. Mit dem Ziel des DokumentarfilmProduzenten, begann er als Gärtner in einer Broadcasting Coporation in Sydney zu arbeiten, wo er später Kameramann wurde. Mittlerweile hat er über zehn Filme produziert und wurde mit zahlreichen Anerkennungen, Preisen und Ehrungen national, sowie international ausgezeichnet. Unter anderem erhielt er den Jurypreis für den besten Film beim Berliner Film Festival. Er ist Regisseur, Produzent, Drehbuchautor und Kameramann und arbeitet momentan an seinem Film “I love a sunburnt country...”.

© CameraWork Pty Ltd 2008

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Martina

Zellmer

Der australische Filmemacher und Kameramann Dennis O’Rourke hat mit ‚Cannibal Tours’ eine Persiflage auf den Standardtouristen bei der Erkundung des Fremden geschaffen. Im Dokumentarstil nähert er sich einem elementaren Thema der Ethnologie, dem Aspekt der Fremd- und Eigenzuschreibung, an. Auf sehr plakative Art und Weise schafft es O’Rourke mit Witz, den Zuschauer zum Nachdenken anzuregen. Dabei lässt er die Grenzen zwischen eigen und fremd, primitiv und zivilisiert verschwimmen und stellt unsere Vorstellungen gar auf den Kopf. 1988 begleitet der Regisseur verschiedene Touristen aus Europa und den USA bei einer Bootstour auf dem Sepik Fluss in Papua-Neuguinea mit der Kamera. Er fängt die verschiedenen Eindrücke der Urlauber ein, während sie alte Kultstätten der Urbevölkerung besichtigen, sich Schauplätze des Kannibalismus zeigen lassen, auf dem Markt um ihre Mitbringsel und Trophäen feilschen und sich über das Erlebte und Gesehene auf der Yacht austauschen. Dazwischen werden die Kommentare, Sichtweisen und Geschichten der indigenen Bevölkerung hinein geschnitten. Schnell fallen dem Zuschauer die klassischen Klischees des pauschalen ‚All-Inclusive-Touristen’ ins Auge, die von den Urlaubern verschiedener Nationalitäten vertreten werden. Man begegnet zum Beispiel einem deutschen Touristen, der sich, mit der Kamera vor den Bauch geschnallt, Sonnenbrille, Tropenhut und Anglerweste ausgerüstet, auf sein neues Abenteuer stürzt.

Auf ins Abenteuer! Auf alle tropischen Widrigkeiten und kulturellen Attraktionen vorbereitet, verlässt die Reisegruppe das sichere Schiff, um an Land das Dorf Kanganaman mit “Ureinwohnern” zu besuchen, die von sich sagen, früher Kannibalen gewesen zu sein. Auf dem Weg rühmt sich der eine oder andere mit Erfahrungen von anderen Reisen in ferne Länder und das eben noch schnell angelesene Wissen über die Geschichte der Bevölkerung Papua-Neuguineas wird abgeglichen. In dem Ort angekommen, tauschen sich die Urlauber über den Einfluss der Europäer auf die hiesige exotische Kultur mit den Dorfbewohnern aus. Dabei steht für den deutschen ‚Tropenhelmträger’ fest, dass die Zeit der deutschen Besetzung die beste für die lokalen Inselbewohner war. Die Reisegruppe spaziert an mythischen Opferplätzen vorbei und bestaunt die Wohn- und Kultstätten des Dorfes. Auf einem kleinen Markt, der extra für die Touristen veranstaltet wird, finden sich schöne Mitbringsel und Erinnerungsstücke. Da der Preis, wie die Besucher meinen, viel zu teuer ist, wird natürlich ordentlich herunter gehandelt. Dabei entdecken die Kunstliebhaber ihre Faszination für die “primitive” Kunst, in der sich sogar Elemente des Barocks finden lassen, so eine ambitionierte Hobbykunstsammlerin. Dann dürfen die Fotos natürlich nicht fehlen, sonst glaube einem ja niemand zu Hause, dass sie wirklich bei den Kannibalen waren. So stellen sich die bleichgesichtigen Besucher neben die ‚süßen’ Kinder mit großen Kulleraugen und versuchen, sie zum Lächeln zu animieren. Schließlich hat die Idylle im Regenwald am Flussufer etwas paradiesisch Schönes. Andere Dorfbewohner lassen es sich auch bezahlen, als ‚echter Wilder’ später im Fotoalbum zu landen. Wie sich durch Interviews des Filmteams mit den Indigenen Papua-Neuguineas heraus stellt, sind die Einnahmen durch Touristen die einzigen, die sie haben. Da sie auch Kleidung und andere Dinge brauchen, haben sie keine andere Möglichkeit, als mit Holzschnitzereien, Führungen und ‚Fotomo-

Mediathek

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delljobs’ Geld zu verdienen. Und selbst das reiche nur zum Leben ‚von der Hand in den Mund’. So beschreiben sie es als schwer verdientes Geld, sich bereitwillig, nur mit einem Lendenschurz bekleidet, für ein paar Münzen ablichten zu lassen, der Illusion des attraktiven ‚edlen Wilden’ entsprechend. Die Gier der Touristen nach diesen Bildern erinnert jedoch eher an Voyeurismus. Wie auf einer Bühne stehen sie zur Präsentation, mit einem Speer in der Hand oder einem aufgesetzten Lächeln in die ständig klickenden Objektivlinsen blickend. In Gesprächen schildern Dorfbewohner den ersten Kontakt mit den Kolonialmächten. Die Vorfahren haben die ankommenden Weißen für auferstandene Geister der Ahnen gehalten. Der Sprecher des Dorfes erzählt: „Dann seien sie missioniert, ausgeplündert und all ihrer Heiligtümer, Kultsymbole und ihres Glaubens beraubt worden.“ Mittlerweile fragen sie sich, warum die ‚Weißen’ sie so oft besuchen kommen. Nach dem tollen Ausflug an Land geht es für die Urlauber wieder zurück auf die Yacht. Im Gepäck eine Menge Fotos, Holzmasken und andere kultische, exotische Artefakte, als Trophäen des Tages. Auf dem Boot den Fahrtwind genießend, ist man erstaunt über die primitive Lebensweise der Menschen und „die Apathie, in der sie vor sich hin vegetieren“, wie eine Touristin bemerkt. Die Armut lässt viel Mitleid in der Reisegruppe aufkommen. Sie haben das Bedürfnis, den Menschen helfen zu müssen. Beim Continental Breakfast am nächsten Tag ist das empfundene Elend auch nicht mehr so schlimm, denn man tauscht sich lieber über den Cholesteringehalt des Frühstücks aus und freut sich auf einen erholsamen Tag auf dem Sonnendeck.

Wer ist hier der Kannibale? ‚Cannibal Tours’ ist nicht nur eine Gratwanderung zwischen fremd und eigen, primitiv und zivilisiert, die O’Rourke mit dem Film unternimmt. Durch die Gegenüberstellung einzelner Gespräche hebt er die Gegensätze und unterschiedlichen Auffassungen von Touristen und Indigenen hervor. Bewusst zeigt er mit Filmmontage den luxuriösen Überfluss, die paradiesische Naturlandschaft, die einfachen Lebensverhältnisse, das Mitgefühl und die indigene Bevölkerung, beziehungsweise was von ihr noch übrig ist. Mit dem Filmtitel ‚Cannibal Tours’ stellt der Filmemacher eine weitere Frage: Wer ist eigentlich der Primitive und wer der Kannibale? Die Urbevölkerung Papua-Neuguineas, wenn man einigen Überlieferungen Glauben schenkt, hat früher ihre Feinde gegessen und sich rituell einverleibt. Was für eine Einverleibung ist es aber, wenn Missionare einer Ethnie ihre Religion und herkömmliche Lebensart, und damit ihre Kultur, nehmen? Und ihre europäischen Nachfahren, in Form von Urlaubsveranstaltern, die restlichen Überbleibsel ihrer Kultur verzehren? Erst versuchte man, die Bevölkerung der europäischen Kultur anzupassen und durch Geld und westliche Güter abhängig zu machen. Nun findet durch den Tourismus eine ‚Retraditionalisierung’ statt, denn alte Geschichten werden wieder erzählt, alte Tänze wieder aufgeführt und das Interesse an der vorkolonialen Geschichte wieder geweckt. Die indigene Kultur gewinnt dadurch erneut an Bedeutung. Am Ende überlässt O’Rourke es aber dem Zuschauer zu urteilen. Jeder muss für sich selbst entscheiden, welche Haltung er oder sie gegenüber dem ‚Anderen’ einnimmt, wie viel man sich einverleiben will und wer oder was eigentlich fremd ist. Er schafft es unterschiedlichste Blickwinkel und Perspektiven von Besuchern und Besuchten im paradiesischen Ambiente des Regenwaldes Papua-Neuguineas zu eröffnen. Martina Zellmer (24) studiert seit 2004 Ethnologie und Interkulturelle Wissenskommunikation an der Martin-Luther Universität in Halle und ist Redaktionsmitglied der CARGO.

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Psychosozial-Verlag Tel.: 0641/77819 ∙ info@psychosozial-verlag.de ∙ www.psychosozial-verlag.de

Theo Piegler

Mit Freud im Kino Psychoanalytische Filminterpretationen 2008 · 262 Seiten · Broschur EUR (D) 29,90 · SFr 49,90 ISBN 978-3-89806-876-5 Das Buch lädt den Leser ein, Filme Seite an Seite mit dem Begründer der Psychoanalyse zu erleben und zu genießen. Diese Perspektive ist in besonderer Weise geeignet, den ganzen Reichtum von Filmen zu erfassen. Neben einer Darstellung der Beziehung von Film und Psychoanalyse werden internationale Filme der letzten fünf Jahrzehnte aus psychoanalytischem Blickwinkel betrachtet. Beiträge des Stuttgarter Psychoanalytikers Peter Kutter und des Berliner Filmemachers Christian Schidlowski runden das Buch ab.

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Film und Psychoanalyse Kinofilme als kulturelle Symptome 2008 · 262 Seiten · Broschur EUR (D) 29,90 · SFr 49,90 ISBN 978-3-89806-807-9 In den letzten Jahren ist eine Reihe psychoanalytischer Filminterpretationen erschienen, in denen die Filme als Indikatoren soziokultureller Befindlichkeiten verstanden werden. Das legt den Versuch nahe, der kulturpsychoanalytischen Perspektive in der Filmpsychoanalyse einen Ort einzuräumen und die Betrachtungsweise Siegfried Kracauers aufzunehmen. Er verstand Filme als »Spiegelbild« jener »Tiefenschichten einer Kollektivgesinnung, die mehr oder minder unterhalb der Bewusstseinsschwelle liegen«, und konnte so eine Geschichte der Befindlichkeiten der Weimarer Zeit schreiben. Analog dazu werden im vorliegenden Buch Gegenwartsfilme als Oberflächenphänomene vor- und unbewusster soziokultureller Befindlichkeiten der sich globalisierenden spätkapitalistischen Welt aufgefasst.

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CLTR - Das Magazin der Ethnologiestudierenden Zürichs. Die zweite Runde nach einem erfolgreichen Start. von

Neuigkeiten findet man auf der Website des Fachvereins Ethnologie Zürich, worüber man auch die erste Ausgabe der CLTR per E-Mail bestellen kann (3.50 € plus Versand): http://www.fvez.ch. Kontakt: Redaktion CLTR Fachverein Ethnologie Zürich Andreasstrasse 15 8050 Zürich Schweiz info@fvez.ch

Wolfgang Wohlwend (26) Grundstudium in München, nach einer sechsmonatigen Feldforschung in Peru am Ethnologischen Seminar in Zürich. Er interessiert sich für Ethnizität und sozialen Wandel und bereitet sich momentan auf eine Forschung in der Türkei vor. In seiner Freizeit versucht er sich als Musiker, Hühnerhalter und Grafiker.

Wolfgang

Wohlwend

Die CLTR ist ein Zeitungsprojekt der Ethnologiestudierenden der Universität Zürich. Der Name ist eine Anspielung auf das Wort Kultur aus dem Wortschatz verschiedenster Sprachen, wie zum Beispiel dem Lateinischen ‚cultura’, dem Französischen ‚culture’ und dem Englischen ‚culture’. Das bewusste Weglassen der Vokale versinnbildlicht die interpretative Offenheit der Quelle, die jeder ethnologischen Arbeit zugrunde liegt. Das Projekt wurde vor mittlerweile einem Jahr von einer Gruppe engagierter Züricher Studierenden ins Leben gerufen, um den Mitstudierenden wichtige Medienerfahrung zu ermöglichen und vor allem eine Gelegenheit zu bieten, ihr Studienfach mit verschiedenen kreativen Ansätzen zu reflektieren. Besonders StudentInnen aus jüngeren Semestern haben diese Möglichkeit mittlerweile wahrgenommen und sehen ihre Arbeit in Layout, Recherche und Vertrieb als wertvolle Ergänzung zu ihrem Studium. An der ersten Ausgabe arbeiteten insgesamt fünf Studierende in der Redaktion, welche auch den Großteil der Texte geschrieben haben. Nachdem zwei Mitglieder vor der Fertigstellung schweren Herzens die Redaktion verlassen mussten, da ihre Feldforschungen in Albanien und Indien anstanden, oblag die effektive Produktion den verbleibenden Dreien. Doch die Arbeit am Heft lag nicht nur in der Hand der Redaktionsmitglieder: Wichtige Beiträge wie Artikel, Illustrationen und Fotografien wurden von weiteren, sehr talentierten Studierenden beigetragen, welche die Erstausgabe nicht zuletzt zu einem ästhetischen Schmuckstück gemacht haben. Wie jedes studentische Projekt unterliegt auch die Zeitungsredaktion einem ständigen Kommen und Gehen der Mitglieder. Diese Tatsache macht es auch der Redaktion der CLTR nicht einfach, das Magazin als längerfristiges Projekt zu lancieren. Für die kommende Ausgabe fand sich jedoch eine, größtenteils neue und an den Semestern gemessen relativ junge, Redaktion zusammen, die sich an einer zweiten Ausgabe versuchen möchte. Auch auf Institutsseite findet das Projekt großen Anklang: Institutionen wie die Bibliothek und das Völkerkundemuseum erklärten sich spontan dazu bereit, die Zeitungen für uns zu vertreiben und für die kommende Ausgabe dürfen wir mit mindestens einem spannenden Artikel aus dem Mittelbau, das heißt den Assistierenden am Ethnologischen Seminar, rechnen. Und immer mehr Gruppierungen im Dunstkreis der Züricher Ethnologie nehmen die CLTR als Kommunikationsplattform wahr: Beispielsweise die ‚International Work Group for Indigenous Affairs’ (IWGIA), Lokalgruppe Schweiz-Zürich, in der sich EthnologInnen und Studierende mit aktuellen Themen wie Palmölproduktion im Indigenenkontext auseinandersetzen. Nachdem die erste Ausgabe mit ‚Fremd’ ein fundamentales und zugleich umstrittenes Thema der Ethnologie aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet hat, besteht schon eine konkrete Idee für ein weiteres Thema: „Weitwinkel“. Die Metapher aus der Fotografie soll die Situation der ethnologischen Forschung und Situation jenseits der Schwelle des 21. Jahrhunderts symbolisieren: Der ethnologische Blick ist sehr weit geworden – Ethnologinnen und Ethnologen reflektieren über und äußern sich zu beinahe jedem erdenklichen Thema. Um einige zu nennen: Migration, Klimawandel, ‚Counter-insurgency’, ‚YouTube’, Heavy Metal, High-Tech-Firmen, Copyright-Debatten und sehr viele mehr. Und dennoch passt das alles zu einem größeren Bild, welches das Selbstverständnis der Ethnologie ausmacht. Diese Weite des ethnologischen Feldes soll diskutiert, an Hand von konkreten Beispielen veranschaulicht und durch eigene Arbeiten der Studierenden reflektiert werden. Da sich die Produktion der neuen Ausgabe ferienbedingt nach hinten verschoben hat, kann mit dem kommenden Heft im Frühjahr 2009 gerechnet werden. Weitere Informationen können auf der Website des Fachvereins Ethnologie Zürich bezogen werden.

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Auch wenn die Eindrücke über die Tassenränder der Zeit quellen. Ein Reisebericht aus der Cote d’Ivoire. von

Aite

Tinga

Im Sommer 2008 ist Aite Tinga im Rahmen des Projektes «partage» von Idem (einer Initiative der Jugendsektion am Goetheanum) mit einer Gruppe von neun jungen Menschen aus Deutschland und der Schweiz in die Elfenbeinküste gereist, um dort zusammen mit einer lokalen Jugendorganisation ein Museum für den ivorischen Künstler Frédéric Bouabre zu errichten. Sie klingen wie aus Kinderträumen, die Vogelstimmen, die von ungefähr aus dem Regenwald dringen. Tropfen des frühen Sonntagregens rutschen die Blätter des dichten Schilfs herunter und verschwinden tonlos im feuchten Geruch. «Grace à notre seigneur» – blies der Pfarrer der église évangelique et charismatique heute morgen durch sein gewaltiges Stimmrohr – «Grace à notre seigneur» habe zu diesen Sonntagsstunden der Regen aufgehört. Ich gehe durch das Schilf und nähere mich dem Wald, wo die Angst eine Unbekannte ist und wo alle Warnung nicht mit meiner Erinnerung Schritt halten kann. Ein Junge steht dort, an der nächsten Wegkreuzung, welche vom Dorf nach links in die Plantagen abbiegt. Er zeigt mit dem Finger auf die Erde vor mir, sodass ich gerade noch dem braunen, verwaschenen Häufchen Sekret ausweichen kann. Ich halte an und wir begrüßen uns stumm. «Kring, kring» ruft einer, die Klingel seines Fahrrads ersetzend, wir machen Platz. Sonst ist es still. Der Junge dreht sich nach mir um und versichert sich meiner. Seine Haut ist dunkler als die der Kinder im Dorf, er geht mir bis unter die Brust. Ich frage nicht nach seinem Alter, nicht nach seiner Herkunft und auch nicht danach, wohin er mich führen wird. Er ist einfach da. Als ob er auf mich gewartet hätte, stand er dort und nun folge ich ihm. Ich bin bereit – so weit es auch sein mag – zu gehen, wohin es auch sein mag, ich werde tun, was er mit mir vorhat. «Worldchampion 2006» steht auf seinem schmutzigen Hemd, welches bunte, ineinander verschobene Muster zieren, das ergraute

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Stück Stoff reicht ihm bis über die Knie. Er geht barfuss und hält ein kleines durchsichtiges Plastikgefäß in der einen Hand und ein Stückchen grüne Festplattentechnik in der anderen, daran beißt er abwechselnd herum. Er lacht nicht, er ist ruhig, er hat keinen Namen. In tiefstem Vertrauen setze ich meine Füße in seine kleinen Stapfen. Der Regen bricht wieder aus, ich bleibe stehen, er dreht sich um und wir klettern unter den Baum nahe dem Wegrand. Ich gehe in die Hocke, während er stehend Wache hält, ein Bein leicht eingeknickt, blickt er zu mir herunter: Zuerst auf meine Füße, dann auf mein Haar und das kupferrote Seidenkleid, auf welchem blaue und rote Seidenblumen wachsen – so wild, dass nach den Jahren der Vergessenheit im alten Schrank nun fast die Nähte reißen. Dann richtet sich sein Blick wieder nach draußen und nun schaue ich seine Jungenbeine an, die Narben seiner Knie. Stolz gleitet sein Kriegsblick in die Ferne. Unter dem Zeltdach runder Riesenblätter teilen wir die gleichen Töne, teilen die aufgelöste Zeit, teilen die Obdach der kriechenden Gleichgültigkeit, die die Zehen kurz in Unruhe versetzen, dann aber findet unser Atem wieder das Eins-Sein mit dem Baum, und nun setzt auch er sich in der Hockenart zu mir herunter. Wir mustern uns: Warten bis die Neugierde des einen ein Ende findet und von der des Anderen abgelöst wird – dann tauschen wir wieder. Der Regen hat aufgehört. Das zarteste Zucken meiner Glieder lässt ihn auf beiden Beinen stehen und sogleich nimmt er Stellung für die Gefahr, die nicht kommt. Wie zwei wilde Tiere springen wir ins trocknende Freie zurück. Die Wege haben sich weiter aufgelöst und

Frisch vom Feld

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die Pfützen sind zu kleinen orange leuchtenden Seen gewachsen. Nun schaut er auf meine nackten Füße, betrachtet, wie die Zehen im weichen Sand versinken und dadurch rote Erdenwürmer hervorkriechen – wie bei ihm, bloß etwas grösser. Wir gehen weiter in der Zeitlosigkeit des Zutrauens, Kinder kommen uns entgegen, blicken mich an mit freundlichem Entsetzen. Zum ersten Mal höre ich ihn nun sprechen und bemerke, dass ich mir gar nicht vorstellen konnte, dass er eine andere Sprache als meine spräche, wie ich das gleichermaßen von mir selbst nicht mehr wusste und darüber hinaus eigentlich die Sprache als Ganzes vergessen hatte. Die Kreuzungen vergabeln sich erneut. «Kring Kring» von vorne naht einer und fährt seine Ladung Holz im Schutz eines Palmblattes trocken an uns vorbei, verlässt uns wieder, lässt uns wieder allein, dieses Wesen und mich. Dann biegen wir ab vom Weg, hinein in tiefes Geäst, das nur wenige Menschen zu kennen scheinen. Fußbreit erringt sich hier von Zeit zu Zeit die Gewohnheit den Weg zu einem unbekannten Ort der Arbeit? Des Spiels? Verborgener Schätze? Der Dschungel wächst höher und besorgter wendet sich sein Blick nach mir um. Durch die nassen Bäume gelangen wir auf ein Reisfeld, durch Wälder wieder zu Mais- und Bananenplantagen – schlangengleich, so fühle ich mich den Tieren gleichgesetzt, vor denen man mich so eifrig warnte, und schenke meinen unentdeckten Instinkten alle Hoffnung. Er aber geht nun schnell und schneller und wartet dabei auch nicht mehr auf mich. Ich ahne das Nah-sein seines Vorhabens: Ein Feld tief gewachsener zarter Pflanzen, in dessen Mitte ein junger Baum, unter welchem bei näherem Herantreten eine Plastikplane sichtbar wird, außerdem eine Jutte, einige Platanen, Maissamen in einer braunen Plastikschale und einige Haarbüschel. Zu diesem kleinen Baum also bringt er mich. Dann nimmt er die Tüte, schüttelt sie dem leichten Wind entgegen, der Wind will anders als er, doch er verneint die Kräfte der Luft und wiederholt geduldig die erstinitiierte Bewegung, dann setzt er sich im Schneidersitz vor mich hin und lässt mir auf der anderen Seite Platz. Ich warte nicht auf eine Anweisung und setzte mich zuerst seitwärts, dann ihm zugewandt. Sein tiefer Atem dringt über die Schultern in den Boden, seine Hände ruhen auf den Knien, er streift eine Ameise von seinem Fuß, die auf der Tüte landet, verschwindet, vergessen wird und sich, unserer Wirklichkeit entronnen, ein neues Versteck sucht. Dann verscheucht

er, ohne mich dabei zu berühren, schützend eine Alltagsfliege von meinem Ellbogen. Dabei bewegt er eigentlich nur sein Handgelenk auf und ab, sodass sich die Bewegung fast durch die Schwerkraft alleine ergibt. Unser Atmen klingt wie Seufzen, unsere Blicke ziehen wie Wärme über den Körper des Anderen und des Eigenen. Wir schauen an uns selbst herunter, auf die Erde, nach nahenden Fliegen und dann schaue ich auf meine Hände, die wie seine auf den Knien ruhen: Bernstein einer fernen Ahnin – um mein Handgelenk – tiefe, braune, glänzendgeheimnisvolle Kraft; ein Lederband aus South Dakota; die Wolle nie gesehener Schafe von Bergen der Kraft aus Irland und das Perlmuttband, in welches sich mein Blick verliert. Perlmutt, das in allen Farben einst gewaschen, nun nur noch ruhig spricht: Vom Grund des süßen Meeres, von der Endlosigkeit der Bewegung, der wiedergewaschenen Reinheit und von der sich wiederholenden Wiederholung, weiße Perlen, die erzählen, dass die Welt im nahen Schauen, im kleinsten Schimmer gespiegelt verborgen liegt. Perle um Perle zähle ich die Sinne meines Lebens – betend wie der unge lernte Rosenkranz. Und da lösen sie sich wie von alleine, wortlos. Ich strecke dem Jungen das Band hin! Er erschrickt und mir ist in diesem Augenblick, als ob ich sein Herz schlagen höre. Es ist nicht meine Absicht zu beschenken, doch zu tun, was natürlich scheint. «I» von Insistieren gibt es nicht in unserem Vokabular, und so hänge ich die Perlen an den kleinen Baum und unser Atem wird wieder eins mit der Stille, nachdem sich Klischees in die Gegend des Herzens verirrten. So sitzen wir lange Zeit. Unter dem Baum. Unter dem Perlmutt. Er kennt seine Erde und ihre Gesetze, ihre Töne, ihren Atem. Mehr gibt es nicht. Es gibt das nicht «Mehr». Denn mehr ist da nicht. Und deshalb ist alles da. Und nichts. Mit uns. Aite Ursa Tinga (23) studiert Ethnologie und Philosophie an der Universität Basel, Schweiz.

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Als „Zauberlehrling“ in Guinea. Eingetaucht in die Welt der Fetischeure. von

Lukas

Jolly

Der Kulturschock Ich hatte schon einen Ärmel hochgekrempelt, als Sayon Diawara, ein Fetischeur1, anfing ein Messer zu schleifen. Erst grob und dann an einer Glasflasche, damit es auch wirklich scharf wurde. Dann gab mir Sayon ein Blatt, das ich mit beiden Händen auseinander halten sollte, worauf Sayon es mit dem Messer zerteilte wie Butter. Ich sollte mich auch optisch noch einmal von der Schärfe des Messers überzeugen, bevor er meinen Arm mit einer magischen Flüssigkeit einrieb. Noch bevor aus meinem mulmigen Gefühl Angst werden konnte und ich mir bewusst machen würde, was mir bevorstand, hantierte der Fetischeur auch schon voller Enthusiasmus mit dem Messer auf meinem Arm herum. Zurück blieben lediglich rote Abdrücke auf der Haut und ein gehöriger Schreck. Ich war gerade zwei Wochen in Guinea gewesen: zuerst in der Hauptstadt Conakry, und eigentlich schon über meinen Kulturschock – die Begegnung mit Armut, Chaos, Kinderarbeit etc. – hinweggekommen, doch dieses Ereignis sollte alles bis dahin Dagewesene übertreffen. Dieses Erlebnis vor fast zwei Jahren und eine ganze Reihe von weiteren Erlebnissen in Guinea brachten mich dazu, meine Konzepte von der Beschaffenheit der Welt zu überdenken– auch wenn ich es nach einiger Zeit als bloße demonstration („Show“) relativieren konnte. Denn wenn man sich mit Magie und Wahrsagerei eingelassen hat, so wie ich es in Guinea getan habe, kommt man zwangsläufig zu grundlegenden philosophischen Fragen, die man ansonsten in einem europäischen Alltag leicht umgehen kann. Überaus interessant fand ich überdies, den Arbeitsalltag eines praktizierenden Fetischeurs zu beobachten. Durch meine unprofessionelle und nicht-geplante „Forschung“ habe ich die Gelegenheit gehabt, auch diesen Aspekt hautnah mitzubekommen. In ethnologischem Jargon gesprochen: ich habe „teilnehmend beobachtet“.

Bei Sayon – dem „bösen Mann“ von Kouroussa Ich war über einen Freund nach Guinea gekommen, den ich schon in Deutschland kennen gelernt habe. Bei dessen Familie konnte ich die sechs Monate, die ich dort insgesamt verbracht habe, unterkommen. Sayon ist der Onkel meines Freundes. Bei ihm verbrachte ich längere Zeit als „Lehrling“ in mehrfacher Hinsicht, da er in Kouroussa wohnte, im Nordosten des Landes, wo ich das traditionelle Trommeln und Tanzen der Malinke (eigentlich maninka) beobachten und selbst vertiefen konnte. Sayons Beruf lässt sich als „allround – Medizinmann“ beschreiben. Er praktiziert sowohl die traditionelle Heilkunst als auch Magie und Wahrsagerei, die er im Auftrag der in meiner Besuchszeit eher sporadisch eintreffenden Kunden durchführte. Einmal rief eine Frau aus New York an und bat Sayon nachzusehen, ob sie bald ein Kind erwarten könne. Daraufhin ließ mich Sayon, der mich zu diesem Zeitpunkt bereits in die Kunst der Divination2

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mit Steinen eingeführt hatte, das Orakel legen.Wir kamen zu dem Ergebnis, dass die Dame tatsächlich ein Kind zu erwarten habe. Und das konnte selbst ich mit meinem leider bis heute nur dilettantischen Kenntnissen dieser Kunst nachvollziehen. Ich hatte die verantwortungsvolle Aufgabe der Dame das Ergebnis auf Englisch zu übermitteln. Einen weißen Schüler zu haben, gab Sayon offenbar ein besonderes Prestige, was ich an seinem zufriedenen Gesichtsausdruck ablesen konnte. Die Frau aus New York, die übrigens selbst aus Guinea stammte, nahm die Informationen scheinbar ohne Skepsis auf. Sie freute sich über das Ergebnis und war nur erstaunt aus Guinea jemanden englisch sprechen zu hören (eine Seltenheit). Ihr Vertrauen in ein für uns fremdes und meist mit Unglaube verbundenes Konzept von Wirklichkeit reichte aus, um einer Wahrsagung quer über den Globus, per Telefon übermittelt, Glauben zu schenken. Die weitere Interpretation des Orakels besagte, dass die Frau jedoch aufpassen solle, denn ihr Kindersegen sei in Gefahr. Sie erklärte uns daraufhin, dass der Vater des Kindes nicht ihr Ehemann sein würde. Sie hatte also offenbar eine Affäre mit einem anderen Mann und der Ehemann stehe dieser Beziehung noch im Wege. Daraufhin wurde auch die Gefahr deutlich, auf die uns das Orakel schon aufmerksam gemacht hatte. Jetzt kam Sayons Funktion als Magier ins Spiel: Die Frau gab ihm den Auftrag, dafür zu Sorgen, dass der Ehemann von ihr ablässt und eine Beziehung mit dem neuen Mann zustande kommt. Für Sayon reine Routine und nur eine Sache von ein paar Stunden Arbeit. Es musste ein sogenanntes Gris-Gris3 angefertigt werden, mit dem dann der Verlauf des Schicksals beeinflusst werden konnte. Nach David Signer, einem Ethnologen, der ähnliche Erfahrungen gemacht hat wie ich und die emische (in kultureigenen Begriffen) Perspektive für seine Forschungen gewählt hat, handle ein Fetischeur „etwa so wie ein berufsmäßiger Auftragskiller, ein Gerichtsverteidiger oder vielleicht auch ein Psychoanalytiker“ (Signer 2004: 326), seinem Handeln lägen keine persönlichen Moralvorstellungen zugrunde, sondern er halte sich ganz professionell aus den Angelegenheiten der Klienten heraus. Wie das Malinke Wort basi („Medizin“) zeigt, gibt es auch sprachlich keine Unterscheidung zwischen Maßnahmen zur Heilung und Schadenszauber, denn basi kann für beides stehen. Auch Sayon unterschied nicht zwischen „weißer“ und „schwarzer“ Magie. Er war bemüht Menschen zu heilen und ihnen zu helfen, schien sich aber nicht dafür zu interessieren, ob es moralisch vertretbar ist andere Menschen zugunsten des Klienten zu beeinflussen oder ihnen Schaden zuzufügen. Sayon wurde in der Stadt Kouroussa zugleich gefürchtet und geliebt. Aufgrund seiner Fähigkeiten hatte man ihm den Beinamen Kè Manyin („Böser Mann“) gegeben, was allerdings nicht als Wertung seiner Persönlichkeit, sondern als Ausdruck seines Könnens gemeint ist. Die Trommler, mit denen ich sonst meine Tage verbracht hatte, erzählten mir viele Geschichten, die unter Beweis stellen sollten, dass Sayon „trop dangereux“ ist. Ein Beispiel ist folgende Geschichte: Eine Tochter Sayons hat mit ihrem Mann Streit gehabt und Sayon ging zu deren Haus, um für ihre Rechte einzustehen. Darauf hat der Bruder des Ehemannes Sayon beleidigt (was er wohl nur tat, da er Sayon nicht kannte!), worauf der in seiner Ehre gekränkte Sayon dessen Geschlechtsteil wegzauberte. Der Mann war in Panik versetzt und flehte Sayon an den Zauber rückgängig zu machen. Heute, so sagen die Leute, seien Sayons Kräfte geschwächt, da er sich zu sehr irdischen Gelüsten, wie Frauen, hingegeben habe. Seine persönlichen Geister, die ihm regelmäßig erscheinen und Anleitungen für magische Handlungen geben, hätten ihm einige Kräfte wieder entzogen. Früher habe Sayon mehrere Frauen gehabt, aber sein eifersüchtiger weiblicher Geist namens N’Fadima hätte ihm ein Ultimatum gestellt: Er solle nur noch eine Frau haben, sonst verlören alle médicaments ihre Wirkung. Offenbar genießt Sayon heute eher seinen Ruhm aus vergangenen Tagen. Früher hatte er, dank seiner Arbeit, Beziehungen sogar über die Grenzen Guineas hinaus. Er zeigte mir Fotos von einer Reise in den 1970er Jahren nach Berlin und er erzählte von Moskau. Früher habe er auch materiellen Reichtum genossen, fünf Autos seien in seinem Besitz gewesen. Heute hat Sayon nur noch seinen Status, den er allerdings in aufwendiger Weise aufrecht erhalten muss: Abends wird der Stromgenerator angeworfen und das Wohnzimmer ist voll mit Kindern aus der Nachbarschaft, die gebannt Rambo-Filme

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anschauen. Tagsüber sitzt Sayon demonstrativ, seinen dicken Bauch präsentierend, auf einem Stuhl im Hof und wartet auf Klienten. Ab und zu fährt er auf dem Motorrad mit Sonnenbrille und deutschem Jägerhut(!) auf dem Kopf in die Stadt, um Beziehungen zu pflegen. Wie der nächste Sack Reis für die Großfamilie finanziert werden soll, ist, wie fast überall in Guinea, ein Problem.

Wahrsagerei – alles erraten oder ein Blick in die Zukunft?

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Phänomene, wie Wahrsagerei und Magie, existieren in Guinea nicht nur in abgeschiedenen Dörfern, wie man es aus europäischer Perspektive annehmen könnte, sondern sie sind auch im urbanen modernen Leben unglaublich präsent. Neben Kouroussa, im weiten Inland Guineas, habe ich auch längere Zeit in der Hauptstadt Conakry verbracht. Ich konnte bei der Mutter meines guineischen Freundes leben, die Schwester des Fetischeurs Sayon. Sie praktiziert, wie auch ihr Bruder, vor allem Wahrsagerei, wobei sie auf das Lesen der Kaurimuscheln spezialisiert ist. Hadja, den Titel hat sie mit einer Pilgerfahrt nach Mekka erworben, verdient damit den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder. Die Haupteinnahmequelle sind allerdings keine afrikanischen Klienten, sondern ein Franzose, Chef einer Firma für Goldabbau in Nordost Guinea. Jeden Samstagabend geht sie zu seiner Villa und wirft die Muscheln für die Firma, um geschäftliche und politische Probleme vorherzusehen und gegebenenfalls diese durch ein Opfer schon im Voraus zu beseitigen. In Guinea kommt man um gute Beziehungen mit der Regierung nicht herum, wenn man deren Willkür nicht ausgesetzt sein will. Im letzten Frühjahr wollte die Regierung der Goldfirma die Lizenz entziehen, zugunsten einer amerikanischen Firma, da sich das Land in einer politischen Umstrukturierungsphase befand. Also warf Hadja wieder die Kaurimuscheln, um eine Lösung für das Problem zu finden. Das geforderte Opfer war eine schwarze Kuh, danach war das Problem beseitigt. So erzählte es mir jedenfalls ein Sohn der Wahrsagerin. Solche Geschichten mögen zweifelhaft klingen. Menschen in unseren Gefilden betrachten Wahrsager oft als generell inkompetent. Untermauert wird eine solche Ansicht beispielsweise von der GWUP (Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften). Auf deren Website wird behauptet, „die Erfolge von Wahrsagern“ könne man anhand einer „Vielzahl von Alternativhypothesen [...]erklären“.4 Techniken wie cold reading - das Ablesen und Deuten der Körpersprache des Klienten – oder die Theorie der „Selbsterfüllenden Prognose“, die besagt, dass der Klient unbewusst das Angekündigte herbeiführt, sind gemeint.5 Aber wenn ich auf eigene gesammelte Erfahrungen zurückblicke, so zeigt sich, dass diese Ansätze nicht genügen, um, so pauschal wie die GWUP es tut, Wahrsagerei ins Reich des Paranormalen zu verdammen. Die von dem Verein für sich beanspruchte „wissenschaftliche Sicht“6 kollidiert hier vielleicht mit meiner eher subjektiven Herangehensweise. Allerdings halte ich es für fast unmöglich, Magie und ähnliche Phänomene verstehen zu können, ohne selbst an ihnen teilgehabt zu haben. So muss, um zu einem inneren Verständnis zu kommen, der Forscher erst einmal die Rolle des Klienten, also des Subjekts der Wahrsagerei einnehmen, und oft „endet“ er als „Lehrling oder Assistent“ (Signer 2004: 20). Ähnlich wie ihr Bruder es getan hatte, war Hadja bereit mich in ihre Künste einzuweihen, indem sie mir regelmäßig Unterricht mit den Kaurimuscheln gab.Außerdem konnte ich tagtäglich anhand von eigenen Konsultationen ihr Vorgehen beobachten und versuchen, die Aussagen in den Muschelkombinationen nachzuvollziehen. Ich habe viele Tage damit verbracht, wie gelähmt von der tropisch-feuchten Hitze mit Hadja und ihren Kindern und irgendwelchen Besuchern herumzusitzen und zu scherzen. Oft schaute sie dann nebenbei, scheinbar völlig unkonzentriert, auf die immer wieder neu gemischten Muscheln, die auf dem Teppich, auf dem wir vor dem Haus Platz genommen hatten, immer neue Anordnungen ergaben. Abends schlief sie sogar oft für kurze Zeit dabei ein. Wenn wir sie dann wieder weckten, sagte sie nur „eeh“ und machte weiter. Bestimmte Aussagen wiederholten sich wieder und

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wieder (die Muscheln bleiben bei ihrer Meinung!) und so begann ich die Art des Hinschauens zu verstehen. Allerdings stieß ich auch an meine Grenzen: ich konnte nicht über die Muster hinweg auf richtige zusammenhängende Erkenntnisse schließen. Hadja hat die Divination auch nicht auf diese Weise gelernt. Sie sagt, die Geister aus dem Fluss hätten ihr eines Tages ein paar Muscheln gegeben und ihr dann in aufeinander folgenden Träumen die Orakeltechnik beigebracht. Obwohl ich auf diese Art des Lernens verzichten musste, war ich so weit gekommen, dass ich bestimmte Positionen der Muscheln identifizieren und deren Bedeutung erklären konnte. Wenn zum Beispiel nach dem anfänglichen Werfen oder dem anschließenden Vermischen der normalerweise zwölf Muscheln eine Muschel mit der Spitze nach oben auf der Seite einer zweiten Muschel zum Liegen kommt, so heißt das kunkòròta, der erhobene Kopf, was für den Klienten soviel bedeutet wie „du wirst Stolz auf etwas sein“. Die Deutung des Orakels basiert also keineswegs auf reiner Inspiration und schöpft anfänglich nicht aus dem Unbewussten, sondern läuft im ersten Schritt auf der Verstandesebene ab. Die Zeichen sind universell und allgemeingültig. Mit dem sogenannten Cold Reading hat diese Technik also nichts zu tun. Cold Reading kann auch insofern als grundlegende Technik der westafrikanischen Divination ausgeschlossen werden, da auch Konsultationen für nicht anwesende Personen gemacht werden können (vgl. Fetischeur Sayon bei Anruf aus New York). Das zumindest stellenweise Zutreffen von Aussagen bei einer Konsultation auf Distanz wird durch folgendes Beispiel deutlich: Einmal rief ich von Deutschland aus einen Freund in Guinea an, der auch Fetischeur ist. Während des Gesprächs nahm er einen Fetisch in die Hand, der ihn in eine leichte Trance versetzte und unwillkürlich Dinge sagen ließ, die er in normalem Zustand nicht wissen könnte. Nachdem er mir einige Sachen über mein Leben vorhergesagt hatte (die allerdings bis heute nicht eingetreten sind!), sagte er mir, neben mir befände sich noch ein Mann mit großen Augen. Tatsächlich saß mein guineischer Freund Sandali neben mir, der Fetischeur kannte ihn aber nicht einmal, geschweige denn konnte er wissen, dass noch jemand neben mir war (Sandali hatte während des Gesprächs nichts gesagt) – und doch war die Beschreibung zutreffend. Der Fetisch „wollte“ auch noch Dinge über meinen Freund „sagen“, deshalb machte er auf ihn aufmerksam. Weitere Erlebnisse in Guinea zeigen, dass Vorhersagen eintreffen können, die ganz konkrete Geschehnisse und Begegnungen betreffen. Dabei müssen die „Aussagen“ nicht „recht vieldeutig“ sein, wie die GWUP es behauptet7, und die tatsächlich eingetroffenen Ereignisse waren nicht durch mein Handeln unbewusst beeinflusst oder herbeigeführt worden ( „Selbsterfüllende Prognosen“). Hadja hatte mir nämlich vorhergesagt, dass ich auf meiner Reise in das Landesinnere einen weißen Mann treffen würde, der mich bezüglich meiner Pläne, später als Djembe-Trommler zu arbeiten, entmutigen würde. Tatsächlich traf ich einen Berliner Trommler, mit dem ich über exakt dieses Thema redete: er riet mir zu einem Ethnologiestudium, anstatt zu einer frühen Karriere als Trommellehrer. Bei meiner Rückkehr nach Conakry sagte sie mir, jemand habe mir eine Medizin gegeben, diese sei aber unwirksam. Ich verneinte dies, da ich in dem Moment vergessen hatte, dass mir im letzten Moment vor meiner Abreise einer der Trommler eine Flasche mit einer „Anti-Hexerei“ Flüssigkeit gegeben hatte. Sie ließ sich nicht durch meine fehlende Zustimmung in ihrer Aussage beirren. Ein Scharlatan hätte bei einem Fehltreffer schnell eingelenkt. Eintauchen, bis die Notbremse gezogen werden muss. Nach einer längeren Zeit, die ich mit Wahrsagern und Fetischeuren verbrachte, wurde ich immer mehr in den Bann des Systems gezogen. Für mich brachte der Kontakt mit Wahrsagern und Magiern faszinierende Einblicke in eine ganz andere Welt. Aber so spannend es auch war, an dieser Welt teilzuhaben, so sehr wurde ich auch nach und nach völlig von ihr vereinnahmt. Dadurch, dass ich immer mehr den Anweisungen der Wahrsager folgte, fühlte ich mich immer mehr in meiner Handlungsfreiheit eingeschränkt und kam am Ende durch die immer neuen Opfer und Dinge, die ich unternommen hatte, auch an meine finanziellen Grenzen. Vielleicht ist dies auch das Berufsrisiko eines Ethnologen, der sich entscheidet, nicht auf Distanz zu bleiben. Da ich mein eigenes Leben zum Gegenstand der Vorhersagen und Heilungen gemacht hatte, kam ich in ungeahnte Zwänge, die vielleicht charakteris-

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Lukas Jolly (23) studiert derzeit im 3. Semester Ethnologie in Bayreuth. Vor dem Studium bereiste er zweimal die Republik Guinea mit einer Aufenthaltsdauer von insgesamt sechs Monaten (Winter 2005 und Winter 2006 bis Frühling 2007). Sein vorrangiges Ziel war dabei das Spiel der Dyenbe (Djembe) zu vertiefen, die dazugehörigen Tänze zu erlernen sowie mit Ton und Film die Feste, auf denen getrommelt und getanzt wird, zu dokumentieren. Die Beschäftigung mit Magie und anderen übersinnlichen Phänomenen geschah spontan.

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tisch für dieses System sind. Ich habe keine Konsultation miterlebt, welche kein Opfer erwartete, dass vom Klienten erbracht werden musste, um ein kommendes Problem zu lösen. Selbst wenn Klienten keine Fragen stellten und keine Probleme ansprachen, so tauchte doch irgendein Opfer auf, dass ihnen mit warnenden Worten verschrieben wurde. Am Anfang einer Sitzung erweckt der Wahrsager das Vertrauen des Klienten, indem er Sachverhalte aus der Vergangenheit oder Gegenwart nennt, die ihm nicht gesagt wurden und die er anscheinend allein durch das Orakel erfahren hat. Wenn der Wahrsager also sein Können unter Beweis gestellt hat, folgen Prognosen von Glück und Unglück, mit den dazugehörigen Opfern. Diese können kleine, mit niedriger Investition verbundene Dinge sein, wie Bonbons. Nachdem man zu mehreren Personen über ihnen gebetet hat und seine Wünsche geäußert hat, werden sie an Kinder in der Nachbarschaft verteilt. Aber auch größere Investitionen können anstehen, wie ein Ziegenbock, der geschlachtet wird und dessen Fleisch an Nachbarn und Freunde verteilt werden muss. Sich zu weigern ein Opfer zu bringen, obwohl es bei einer Orakelkonsultation verschrieben wurde, ist unglaublich schwierig.Wer will schon auf das angekündigte Glück in der Liebe oder auf den beruflichen Erfolg verzichten? Noch schwieriger ist es, wenn bei einer drohenden Gefahr auf das Opfer verzichtet wird. Was sind schon ein paar Hühner in Anbetracht eines Autounfalls? Wenn das angekündigte Glück trotzdem nicht eintritt, fühlt man sich genötigt, wieder einen Wahrsager zu besuchen. Oft tut man den Misserfolg des ersten Wahrsagers damit ab, dass dieser inkompetent gewesen sei und sucht sich aus diesem Grund einen besseren. Mit alledem erzeugt der Wahrsager Abhängigkeit des Klienten, indem er ihm unbequeme Entscheidungen und die Ungewissheit der Zukunft abnimmt. Dadurch fühlen sich viele Klienten oft nicht mehr in der Lage, eigene Entscheidungen zu treffen, und nehmen nur noch selten Risiken in Kauf. Diese Abhängigkeit kostet durch die Opfer und die dauernde Bezahlung des Wahrsagers große Mengen Geld. Und jedes Mal, wenn ein Opfer bevorsteht, denkt der Klient, danach würde alles gut werden und bald sei er ein reicher Mann, weshalb er jedes neue Opfer mit Enthusiasmus darbringt. Die meisten Menschen, die ich dort kennen gelernt hatte, schienen aber gut damit zurecht zu kommen, was vielleicht daran lag, dass sie mit diesen Dingen aufgewachsen sind, und die Versuchung nicht so groß ist, einen Wahrsager oder Fetischeur zu besuchen. Für mich jedoch bedeutete dies, dass ich mich kaum „meiner“ eigentlich lieb gewonnenen Familie in Guinea entziehen konnte. Selbst in Deutschland fühlte ich mich deren Druck ausgesetzt. Am Ende zog ich die Notbremse und verzichtete auf weitere Konsultationen. Auf der einen Seite sehe ich die (für mich) unleugbaren übersinnlichen Fähigkeiten der Wahrsager, Dinge aus der Gegenwart und bedingt auch Dinge aus der Zukunft zu sehen, die darüber hinaus gehen, was man bloß erraten könnte und somit erklärbar wäre. Auf der anderen Seite sind auch viele Vorhersagen nicht eingetroffen. Sind die Wahrsager deshalb inkompetent? Ich meine nein, denn wenn Menschen aus der Freiheit heraus handeln, kann man die Auswirkungen nicht vorherbestimmten. Deshalb lag vielleicht auch die Trefferquote bei Aussagen über die Gegenwart so viel höher. Aber warum verschlechterte sich meine Lebenslage, je länger ich den Anweisungen der „Geister“ folgte? Wollten die Geister (ja, ich glaube dass es sie gibt) mich kontrollieren, so dass ich ihnen weiter Opfer bringe? Oder steht dahinter bloß der Versuch einer Art Kundenbindung der Fetischeure, indem sie mir viel versprechen und ich mich immer wieder an sie wende um zu fragen, wie ich dieses Glück nun bekomme? Bis heute kann ich nicht klar sagen was ich von den erlebten Dingen halten soll und bin weit davon entfernt, sie zu erfassen und zu verstehen. Ein Fazit kann ich aber doch aus den Erlebnissen ziehen: Wenn man sich mit fremden Kulturen beschäftigt, darf man nicht vergessen, dass man nicht „einer von ihnen“ ist. Ohne die Vorraussetzungen, die man sich allein dadurch erwirbt dort aufzuwachsen, fehlen Kompetenzen die man für die vollkommene Übernahme der anderen Lebensweise braucht. Heute denke ich mir, hätte ich die Sache spielerischer angehen sollen, und würde – um bei dem Bild zu bleiben – nicht so viel auf’s Spiel setzen.

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Tubabo: Der Bart und der Barbier. von

Christian

Weinert

© David Slaby (2007)

Düster dreinschauende, glatzköpfige Gestalten rufen mir durch Sprechblasen von den Postern zu: „Kill to survive!“ (Töte, um zu überleben). Die ganze Wand ist vollgehängt mit Postern von halbnackten, mit Goldketten behängten Musikern. Ich empfinde die Dekoration in diesem kleinen Friseursalon als nicht besonders vertrauenswürdig – schließlich möchte ich mich dort rasieren lassen! „Too much is not enough!!!” (Zuviel ist niemals genug) heißt die Losung auf einem besonders großen Poster. Ich frage mich, ob es eine gute Idee war hierher zu kommen. Der Barbier ist keine 16 Jahre alt und somit wahrscheinlich jünger als die Messer, die neben ihm auf einem kleinen Tisch liegen. Der Junge bietet mir freundlich einen Hocker an. Ein anderer Kunde ist noch vor mir an der Reihe. Ich versuche mein mulmiges Gefühl zu verbergen und denke darüber nach, wieso ich jetzt hier sitze. Natürlich war es ein Fehler gewesen mit nur zwei, und auch noch recht billigen Rasierklingen nach Gambia zu fliegen. Das wurde mir bewusst, als ich die erste Klinge nach kaum drei Wochen wütend wegwarf. Vier Monate lagen noch vor mir, in denen ich wenigstens an zwei Tagen in der Woche ein gepflegtes Äußeres wahren wollte. Ein gepflegtes Äußeres? Darüber kann man natürlich verschiedener Meinung sein. Mein Papa trägt, seitdem wir uns kurz nach meiner Geburt begegneten, einen wunderschönen (und gepflegten) Vollbart. Die Lösung stand für mich fest: Ich bin der Sohn. Ich bin der nächste Bartträger. Ich war davon überzeugt, dass meine deutsche Nagelschere den Stoppeln in meinem Gesicht eine attraktive Grundordnung geben könnte. Mein männliches Über-Ich hatte sich festgelegt und ignorierte alle ästhetischen Bedenken. Nach anderthalb Wochen bekam ich endlich die Gelegenheit, das Ergebnis in einem vernünftigen Spiegel zu betrachten. Das Urteil enttäuschte mich und hätte von meiner ehemaligen Lehrerin stammen können: „Christian, die Qualität in deiner Arbeit ist lückenhaft.“ Ich war betrübt und wartete noch zwei weitere Wochen ab. Die Inseln im Bartmeer verschwanden nicht. Begleitet wurde dieses Ärgernis von einem ständigen Bedürfnis nach Kratzen. Ich empfand dieses Kratzen als etwas sehr angenehmes. Mein Gegenüber brachte es jedoch regelmäßig zur Verzweiflung. Ich wurde also überzeugt: Der Bart musste ab! In einem Prozess, an dem sich zwei Volunteers beteiligten, stutzten wir mit Hilfe der Nagelschere den ganzen Wuchs auf die Länge, die für meine letzte Klinge greifbar schien. Nach dieser erfolgreichen Rasur im Schatten des großen Baobabbaumes setzte ich nun all meine Hoffnung in meine letzte Klinge. Ich putzte sie, gab ihr einen Namen und sprach mit ihr nach jeder Rasur. Die Klinge war männlich und hieß Gilbert. Doch alle Bemühungen seine Lebenserwartung auf Monate hinauszuzögern, schlugen fehl. Nach fünf Wochen hätte ich mich genauso gut mit Plastikbesteck rasieren können, so stumpf war Gilbert geworden. Wieder kamen die Gedanken auf, dass es ein mit Nagel-schere gepflegter, löchriger Vollbart doch auch tut. Es ist interessant, dass sich bei fast allen männlichen Tubabos, die sich für einen längeren Zeitraum in Gambia aufhielten, eine gewisse Vernachlässigung des eigenen Aussehens beobachten ließ. Ich fragte meine Gastfamilie nach meinem Bart. Malanding und Lamin schauten mich nur komisch an.

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Christian Weinert (26) ist Kulturwissenschaftler. Er absolvierte sein Studium an der Viadrina Europauniversität Frankfurt (Oder). 2007 bereiste er zum zweiten Mal Gambia (5 Monate) und war dort für den Verein VolNet e.V. tätig. Er schreibt Kurzgeschichten unter dem Titel „Tubabo“ über Begegnungen und Erlebnisse in Gambia.

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Sie übersetzten meine Frage den im Compound lebenden Frauen. Diese begannen daraufhin lachend ihre Arbeit fortzusetzen. Es war immer schwierig von ihnen eine Meinung zu all den vielen Fragen zu bekommen, die mich beschäftigten. Meistens stimmten sie all meinem Tun und Treiben zu oder schlossen sich meinen Meinungen an. Als herbeigelaufener Tubabo eine ehrliche Meinung zu persönlichen Dingen, wie Äußerlichkeiten zu erhalten, schien nahezu unmöglich. Und selbst bei eng bestehenden Kontakten verbot eine wohl kulturell bedingte Höflichkeit eine ehrliche Kritik. Nach einer Woche unkontrolliertem Bartwuchs kamen mich die anderen deutschen Volunteers wieder besuchen. Auch sie hielten sich mit einer verbalen Äußerung zurück. Ohne Worte bekam ich einen Lady-Rasierer gereicht. Dies war als ein deutliches Zeichen zu verstehen. Ich holte mir Wasser aus dem Brunnen und begann die Rasur mit „weiblichem“ Instrument. Was war das für eine Geschmeidigkeit und was war das für eine saubere Arbeit! Noch heute begeistert mich diese Erinnerung. Nach wenigen Minuten war alles ab. Ich wusste, was ich mir – zurück in Deutschland – wohl zulegen würde. Meine kurze Überlegung, mir bis dahin diesen Lady-Rasierer mit Anett zu teilen, hielt Anett für keine gute Idee. „Warum gehst du eigentlich nicht zum Barbier wie David und Philipp?“ fragte sie mich. Das war natürlich eine berechtigte Frage. Ich wollte meine Angst davor jedoch nicht zugeben. „Und warum glaubst du, tun die beiden das auch nur alle zwei Monate?“ fragte ich zurück, anstatt zu antworten. „Weil sie mit Bart cool aussehen!“ entgegnete sie. Das hatte gesessen. Schließlich war sie es gewesen, die mir unaufgefordert ihren Rasierer geliehen hatte. Nach einer Woche machte ich mich schließlich auf den Weg in die nächste Stadt, um mich ebenso mutig fremden Händen und deren Messern auszuliefern. Wozu auch die Angst? Meine hiesigen Freunde und Gesprächspartner waren schließlich alle mehr oder weniger gut mit lokalen Instrumenten rasiert worden. Vielleicht kann man bei denen aber auch die Narben aufgrund der dunklen Hautfarbe nur schwerer erkennen. „Nun hör aber auf und stell Dich nicht so an!“ sprach ich mir selbst Mut zu, der mich beim Eintreten in den Laden bereits wieder verlassen hatte. Nun sitze ich hier und versuche mich von der silbernen Klinge in den Händen des jungen Barbiers ablenken zu lassen. Die Enge des Raumes macht dies jedoch unmöglich. Der Kunde vor mir sitzt fast auf meinem Schoß. Ohne aufzustehen könnte ich dem Barbier bei seiner Tätigkeit assistieren. Der Mann lässt sich seinen Kopf spiegelglatt rasieren. Haarsträne für Haarsträne wird von dem funkelnden Messer weggekratzt. Auch er scheint sich dabei nicht wohl zu fühlen. Ganz im Gegensatz zum gambianischen Naturell spricht er kein Wort. Stattdessen mustert er streng, durch den großen Wandspiegel blickend, jede Bewegung des jungen Glatzenschneiders. Die Stille des Raumes, die nur vom kratzenden Geräusch des Messers auf der Kopfhaut unterbrochen wird, macht die ganze Sache nicht angenehmer. Es gelingt mir einfach nicht mich abzulenken. Meine Gedanken kreisen: Habe ich dieses Messer nicht schon einmal gesehen? In einem Krankhaus? An einem Metzgerstand? „You!“ Ich werde aus den Gedanken gerissen. Der Junge schaut mich an und zeigt mit der Hand auf den nun leeren Platz. Der frisch glatzige Mann hat sich in meiner Geistesabwesenheit bereits erhoben. Noch immer sagt er kein Wort. Er ist betäubt, vermute ich. Ich setze mich und der junge Barbier und Glatzenschneider legt mir eine Schürze um und verschwindet erst einmal im Nebenraum. Er kommt mir jetzt noch viel jünger vor als zuvor. Ich sollte von hier verschwinden, denke ich. Aus Protest gegen Kinderarbeit, natürlich! Ich schließe meine Augen und überlege, ob ich ein Erste-Hilfe-Set im Rucksack habe. Ein surrendes Geräusch bricht meine Gedanken ab. An meiner rechten Wange befindet sich ein elektrischer Rasierer. Mit viel Druck presst der Junge den vibrierenden Apparat an meine Haut. Wäre ich nicht in einem Barbier-Salon, würde ich denken, er versucht meinen Pulsschlag im Gesicht zu messen. Ich mustere dieses Gerät durch den Spiegel. Der Elektrorasierer sah aus, als wurde er zu einer Zeit hergestellt, in der noch gar kein Strom erfunden war. Doch ich bin glücklich. In den Hals oder in das Gesicht schneiden kann er mir mit diesem Museumsstück nicht. Sehr dankbar und fröhlich verlasse ich mit einem frisch rasierten Zwei-Tagebart den über meinen Stimmungswechsel verwunderten jungen Barbier.

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Leserbrief.

Gedanken zum Artikel “Braucht ein Ethnologe Privatsphäre?” von Judit Smajdli. von

Elisabeth

Bäschlin

„Braucht eine Ethnologin Privatsphäre?“ fragt Judit Smajdli in ihrem Artikel in der letzten Ausgabe der Cargo, in dem sie von einem dreiwöchigen Aufenthalt in den sahraouischen Flüchtlingslagern berichtet. Als Geographin finde ich die Frage durchaus berechtigt und auch mutig für eine junge Ethnologin. Denn, wie die Autorin im Artikel selber anklingen lässt, gehörte das totale „Eintauchen“ in eine fremde Gesellschaft doch bisher zum Selbstverständnis der EthnologInnen, entsprechend der Vorstellung, dass man sich der zu untersuchenden Gesellschaft oder sozialen Gruppe erst auf diese Weise wirklich und authentisch nähern und dadurch gar Teil dieser Gruppe werden könne. Dass wir als ForscherInnen dabei an unsere physischen und psychischen Grenzen stossen würden, gehört somit zum Forschungsalltag. (So befindet sich nun seit Monaten wiederum eine Ethnologin in den Lagern, wo sie für die Dauer eines Jahres (!) ebenfalls im Familienzelt wohnt, ohne individuelle Rückzugsmöglichkeiten. Wahrlich nicht jedermanns Sache.) Unterdessen ist aber unter SozialwissenschafterInnen die Frage zum Diskussionsthema geworden, ob es möglich sei, tatsächlich Teil einer beforschten, fremden Gesellschaft zu werden oder ob wir nicht, allen Anstrengungen zur Anpassung zum Trotz, doch stets Fremde bleiben würden, ja, ob wir durch unsere alleinige Präsenz nicht auch die jeweilige gesellschaftliche Konstellation wiederum beeinflussten und somit “störten”. Persönlich teile ich diese Auffassung, sehe darin aber auch eine Chance: Wenn wir unser “Fremdsein” akzeptieren und reflektieren, können wir uns als Forschende als Teil des Forschungsprozesses verstehen. Dies gibt uns den notwendigen Freiraum, unsere eigenen Bedürfnisse zu berücksichtigen und uns in den fremden Gesellschaften unbelasteter zu bewegen. Im Artikel ist mir aber auch etwas Weiteres aufgefallen, was mir in sozialwissenschaftlichen Untersuchungen über “fremde Kulturen” von Studierenden schon öfter begegnet ist. Die Autorin war drei Wochen lang bei einer sahraouischen Familie und einer ihr fremden Kultur zu Gast. Vieles, was sie da gesehen und erlebt hat, ist ihr erwartungsgemäß fremd. Sie dokumentiert dies und schreibt es dann der “sahraouischen Kultur” zu. Sahraouis sind entweder ganz still oder “unangenehm laut”, oft sprechen alle durcheinander. Es wird keine Rücksicht genommen auf individuelle Gespräche oder gar Interview-Aufnahmen. Frauen sprechen oft mit “spitzer Zunge und in aggressivem Tonfall”. Frauen, Männer und Kinder essen getrennt. Stille und Rückzug, z.B. mit Buch oder Notizblock wird nicht geduldet: “Kinder und Erwachsene rückten ganz nah und fragten, was ich tue und warum.” Versuche, Privatsphäre zu schaffen, wurden als merkwürdig empfunden. Alle zugänglichen Dinge sind Allgemeingut: Gegenstände, die in der Khaïma liegen, werden von allen benutzt. Diese Beobachtungen treffen bestimmt alle zu. Und doch ist dies nicht einfach die “Sahraouische Kultur”, sondern nur ein Teilaspekt. Ich kann von Aufenthalten in sahraouischen Familien viele Gegenbeispiele bringen, wo der Umgang unter den Leuten ganz anders ist, und auch ebenso viele Beispiele, wo die Beziehungen so oder ähnlich abgelaufen sind. In den letzten Jahren wurde die soziale Differenz in theoretischen Arbeiten ebenso wie in praktischen Forschungen im Bereich der Cultural Studies und der Sozialwissenschaften zu einem

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Weiterführende Literatur Abjean, Annaïq/ Julien, Zahra, 2003: Sahraouis: Exils – Identités. (L’Ouest saharien, Hors-série N° 3) Paris: L’Harmattan. Caratini, Sophie (2003), La république des sables. Paris : L’Harmattan. Rössel, Karl (1991), Wind, Sand und (Mercedes-)Sterne. Westsahara: Der vergessene Kampf für die Freiheit. Bad Honnef: Horlemann. Poppen, Annegret/ Studer, Lilian (Hrsg.), 1995: Zeltgeschichten aus der Westsahara. Gesammelt und übersetzt von Annegret Poppen. Deutscher Taschenbuch Verlag, München.

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Thema: Die konstituierende Bedeutung der Differenz für die Abgrenzung von Kulturen oder zur Herstellung von Identität von Individuen ist evident, doch Differenz ist ebenfalls ein konstruierendes Element innerhalb der Kulturen. Jede Gesellschaft ist in sich differenziert. Diese Differenzen bestimmen die Arten des Zusammenlebens und werden gleichzeitig durch die soziale Praxis stets von neuem konstruiert. Wenn wir eine Kultur erfassen wollen, müssen wir das Spektrum der Differenzen berücksichtigen, so die Forderung. Es gibt nicht die eine sahraouische Kultur, ebenso wenig wie es die eine sahraouische Identität gibt. Nach meinem Dafürhalten müssen außerdem zwei wichtige Aspekte in eine sozialwissenschaftliche Forschung einbezogen werden, wenn wir die ganze Bandbreite einer Kultur erfassen wollen: die soziale Schicht und die patriarchale Grundeinstellung. Wir unterliegen bei der Beobachtung einer “fremden” Kultur allzu schnell der Versuchung, alle uns ungewohnten und fremden Verhaltensweisen als konstituierende Phänomene dieser Kultur zu betrachten. SozialwissenschafterInnen, die zu Forschungszwecken in fremde Länder reisen, sind sich oft nicht bewusst, wie viele “fremde Kulturen” in unserem eigenen, mitteleuropäischen Kulturkreis existieren, fern von dem für die meisten von uns gewohnten Bildungsbürgertum, von denen sie keine Ahnung haben. Wer von uns ist denn schon vertraut mit der Kultur der Kleinbauern in den Alpen, der Fabrikarbeiter in den Produktionsstätten bei VW, der Baggerführer im Hamburger Hafen oder der Kassiererinnen im Supermarkt? Unterschiede nach sozialer Schicht gibt es auch bei den Sahraouis. Etliche meiner Freunde und Freundinnen in den Flüchtlingslagern gehören zum traditionsreichen sahraouischen Bildungsbürgertum, andere haben lange Jahre im Ausland gelebt und studiert und sich mit Entwicklungsfragen in Pädagogik, Politik, Sozial- oder Wirtschaftswissenschaften befasst, die meisten sind überzeugte (Befreiungs-)KämpferInnen und VerfechterInnen einer egalitären Gesellschaft ohne Diskriminierung aufgrund von Stamm, Familie oder Geschlecht. Innerhalb einer sozialen Schicht werden oft – bei uns wie bei den Sahraouis! – gewisse Verhaltens-”Traditionen” von Generation zu Generation weitergegeben und damit Charakteristika der sozialen Schicht weiter “reproduziert”. Und trotzdem: wenn auch der Ansatz der sozialen Schicht ein hilfreiches Hilfsmittel ist, um eine Gesellschaft zu verstehen, darf sie keineswegs absolut gesetzt werden. Wir werden immer wieder Beispiele von Gruppen (Familien) und Individuen finden, deren Verhalten und Werte von demjenigen ihrer Umgebung – oder Schicht – abweicht, weil sie sich anders entschieden haben, weil Individuen ihre soziale Praxis bestimmen können. Das Patriarchat oder die patriarchale Grundeinstellung ist ein weiterer Aspekt, den es zu berücksichtigen gilt. Es trifft sehr oft nicht zu, dass eine Gesellschaft als Ganzes als patriarchal abgestempelt werden kann, sondern wir finden viele verschiedene Varianten der Beziehungen zwischen den Geschlechtern. So ist auch die sahraouische und islamische Gesellschaft nicht einfach als Ganzes patriarchal. Daher ist es keineswegs so, dass in jeder sahraouischen Familie Frauen und Männer getrennt essen oder Frauen vor ihrem Schwiegervater nicht das Wort ergreifen dürfen. Wir können aber diese Verhalten als Hinweis nehmen für die Werte und die Bedeutung des Patriarchats in der zu beobachtenden Familie oder Gruppe. Damit erhalten wir einen weiteren Methoden-Baustein für unsere Analyse.

Gemein(t)es

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Äthiopien: Zwischen Modernisierung und Archaismus. von

Martin

Krause

schüsse der Agrarproduktion von den zum Teil weit abgelegenen Feldern im Gebirge nicht abgeholt werden, sodass das in Tonbehältern gelagerte Getreide unbrauchbar oder – durch die Zwischenhändler – um ein Vielfaches teurer auf den Märkten verkauft wird. Über dieses Transportproblem hinaus gibt es, neben den zahlreichen gesundheitlichen Problemen, wie zum Beispiel dass die Bevölkerung schwächende Malariafieber, noch andere Konjunkturhindernisse, die einem Aufschwung entgegenwirken. Industrielle Strukturen und ein Kommunikationssystem sind bisher nur in den größten Städten errichtet worden. Extreme Regen- und Dürreperioden machen die tropische Landwirtschaft sehr mühsam.

© Stefan Gara

Kein Landbesitz

Baumwolle, Ölsaaten, Hirse, Tef, Weizen, Kaffeebohnen, Gerste, Mais und Hülsenfrüchte: Dies sind die überwiegenden landwirtschaftlichen Erzeugnisse des gastfreundlichen Agrarstaats Äthiopien. Die große Mehrheit der Bevölkerung betreibt Subsistenzwirtschaft und bestellt die Felder mit altertümlichen Methoden (Gerster 1974: 37). So konzentriert sich das industrielle Potential auf wenige Metropolen (Opitz 1993: 70-93). Auffallend ist der Gegensatz zwischen hochmoderner Industrie und sehr traditioneller Landwirtschaft. Dort existieren diese zwei Arbeitswelten nebeneinander und kollidieren als unterschiedliche historische Epochen im Jetzt. Problematisch beim Aufbau einer autarken Ökonomie sind sowohl die durch das Wetter verursachten Missernten, als auch eine fehlende Infrastruktur. Nicht selten sind im ostafrikanischen Frühling im letzten Quartal viele Straßen zum Teil überflutet. So erblickt man als Reisender auf der Route zwischen der Hauptstadt Addis Abeba und Bahir Dar sowie südöstlich von der Hauptstadt überall sehr traurige Bilder bedrückender Armut. Trotz der prekären Situation wird man als Besucher aber dennoch immer mit freundlichen Blicken ohne Misstrauen empfangen. Während der Zeit der Haupternte ist der effiziente Transport aufgrund der durch die Regenzeit beschädigten Wege ziemlich erschwert oder nahezu unmöglich. Oft können die wenigen Über-

Einer Studie Tsegaye Deginehs über die Eigentumsrechte der äthiopischen Gesellschaft zufolge (Degineh 2000: 51, 105) sind auch die häufigen Umverteilungen der agrarischen Produktionsressourcen sowie die Folgen der Bürgerkriege des 20. Jahrhunderts hemmende Faktoren für einen wirtschaftlichen Aufschwung des zu den ärmsten Ländern des Planeten zählenden Entwicklungslandes. Während aller innenpolitischen Konflikte mit Gewinnern und Verlierern ging es offenbar unter anderem auch um die Nutzungsrechte des Bodens: Die Derg-Revolution (Deguefé 2003: 437451) enteignete 1974 die Landbesitzer aus der Regierungszeit des früheren Kaisers Haile Selassie, der zum Beispiel die Gründung der Universität Addis Abeba mit gestifteten Palastgebäuden ermöglichte. Nach einer erneuten Umverteilung des Landbesitzes durch die Partei Ethiopian People’s Revolutionary Democratic Front (EPRDF), die die Militärdiktatur des Derg-Regimes 1991 stürzte, wurde bald darauf eine Verfassung mit parlamentarischem System eingesetzt. Sie berücksichtigt anscheinend tradierte Eigentumsvorstellungen der Völker Äthiopiens. Privater Landbesitz ist so manchem Bürger in vielen Gegenden Äthiopiens traditionell verboten. Deswegen ist das Pachten des Ackerlandes sehr gebräuchlich. Der Privatbesitz von Gütern ist natürlich erlaubt. Wer jedoch zu viel Besitz oder überschüssige Produktionserzeugnisse akkumuliert, sei eigentumsrechtlichen Forschungen zufolge in den ländlichen Gegenden Äthiopiens oft moralisch geächtet. Dies hängt damit zusammen, dass bürgerlicher Individualismus dort nicht überall ein akzeptiertes Ideal ist. Ein an-

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deres Beispiel dieses quasi kollektiven Funktionalismus ist wohl der Brauch, nach dem man die Nationalspeise Injera serviert, indem mehrere Personen mit den Händen, in denen sich das aus Tef-mehl bestehende äthiopische Fladenbrot befindet, filigran zubereitetes Fleisch aus einem speziellen, kunstvollen Gefäß nehmen und somit das Essen während des Konsums symbolisch aufteilen: um die Teilbereitschaft bezüglich der nationalen Nahrungsmittelknappheit zu betonen.

Maxime des kollektiven Aufteilens Die mindestens achthundert Jahre alte Tradition des so genannten Rist-Systems (es wurde vom Lehnswesen bis zum 20. Jahrhundert teils territorial überlagert) ist eine kulturelle Institution der äthiopischen Gesellschaften und veranschaulicht, wie die sozialen Hierarchien auf dem Land entstanden. Man verleiht die zeitlich begrenzten Nutzungsrechte eines Feldes mitunter nach dem Status einer Familie im Dorf. Weil Agrarland immer als transzendentes, nur wenigen privilegierten Bürgern zustehendes Gut und als religiöses Erbe der Ahnen betrachtet wurde, ist das kollektive Pachtsystem ein Habitus der verwaltenden Dorfgemeinschaften. In dem sozialen, autochthonen System sind momentan die Familien-, Arbeits- und Landordnungen untrennbar miteinander verbunden. Bisherige Reformen von oben haben deswegen nur die Bodennutzungsrechte anvisiert. Die oft wechselnden Pächter wie auch das allgemeine Weiderecht für das Vieh der Nomaden hatten bereits im 20. Jahrhundert eine Übernutzung der Felder, lokale Konflikte um Ressourcen und hohe Instandhaltungskosten bewirkt. Zur Aufforstung des durch die Verwendung von Holz als Hauptenergiequelle reduzierten Regenwalds dienen Eukalyptusbäume. Deren Eigenschaften erhöhen jedoch die Erosion der kultivierten Anbauflächen laut dem Münchener Institut für Wirtschaftsforschung (Mayer-Leixner 1999: 310-319). Denn die Wurzeln sind zu flach und die Baumkronen lassen zu viel Licht durch. Dadurch trocknet der Boden schneller aus. Äthiopische Marktstrategen fordern das Privateigentumsrecht für Land, da man aktuell die Pachtverträge der Großinvestoren gemäß Artikel 40§ (8) der äthiopischen Verfassung für öffentliche Zwecke rechtlich kündigen kann. Nach einer von den Oppositionspolitikern geforderten Reform des gesamten Verfassungsartikels

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würde dann die Kreditsicherheit steigen, wenn ein privates Landbesitzrecht Kapitalgewinnung innerhalb der Produktionen sowie anschließende Neuinvestitionen ermöglichen könnte, da sich somit Landqualität und Produktionsqualität annäherten. Dies hätte, so die Befürworter der Reform, einerseits eine Steigerung des Bruttoinlandsproduktes und der Bruttoinlandsinvestition zur Folge. Verlierer einer totalen marktwirtschaftlichen Reform würden andererseits jene Landwirte Äthiopiens werden, deren egalitäres Prinzip, nach dem jeder gleich viel besitzen muss, größere ökonomische Überschüsse vermeidet. Das Potenzial unterschreitend, werden ungefähr 23 Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche bewirtschaftet, die eigentlich 70 Prozent der Größe Äthiopiens ausmacht. Umfragen zufolge (Degineh 2000: 183) stehen die meisten Einwohner Äthiopiens daher einer Privatisierung des ökonomischen Sektors eher skeptisch gegenüber. „The right to ownership of rural and urban land as well as of natural resources is exclusively vested in the state and the people of Ethiopia. Land is a common property of the nations“, heißt es in Artikel 40§ (3) der äthiopischen Verfassung. Die Verfügungsrechte obliegen der zentralen Landesregierung, wobei die regionalen Verwaltungen der 14 äthiopischen Provinzen und die Völker darin mitwirken. Dadurch will die Regierung einer Monopolisierung entgegenwirken, die Landflucht und Slumbildung noch weiter beschleunige.

Hemmende und positive Faktoren Sowohl globale als auch nationale und vergangene Ereignisse führen zu aktuellen Problemen. Zwar habe sich das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von den -0,9 Prozent der einstigen Planwirtschaftsphase auf über neun Prozent im Jahr 2006 gesteigert, so die deutsche Bundesagentur für Außenwirtschaft. Und ebenso der für 2008 geschätzte Anstieg des BIP fluktuiere momentan bei neun Prozent (Hackenbroch 2008: 30.09.2008). Aber eine Inflationsrate, die fast 20 Prozent erreicht, sowie die weltweite, rapide Verteuerung der Nahrungsmittelpreise treffen Äthiopien in Wirklichkeit hart. Es entstand deswegen 2008 in einigen Landesteilen erneut eine äußerst schwere Hungerkatastrophe ungeahnten Ausmaßes. Sowohl durch Beschlüsse als auch Projekte hat man in Äthiopien seit langem versucht, die Kontrolle über die Situation zu gewinnen. Einer Nachricht der Zeitung Ethio-

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pian Herald zufolge1 konnten bereits 2005 die Lizenzvergaben für Projekte einheimischer Investoren gesteigert werden. Die Ausbildung Einheimischer, die Nutzung brachliegender Flächen und den infrastrukturellen Sektor fördert auch das äthiopische Regierungsprogramm zur Industrialisierung auf der Basis landwirtschaftlicher Entwicklung (Agricultural Development Led Industrialization ADLI). Dem entgegen hat die äthiopische Produktions- und Industrievereinigung (Ethiopian Manufacturing and Industry Association EMIA) innenpolitische Aspekte für eine Lähmung des marktwirtschaftlichen Aufschwungs verantwortlich gemacht. Militärische Einheiten der repressiven Regierungspartei hatten zuvor im Mai und Anfang November 2005 mehrere Tausend oppositionelle Parteidemokraten in Massenlagern inhaftiert und einige Dutzend Demonstranten auf der Straße ermordet, nachdem sie Wahlmanipulationen reklamiert hatten, als sich die EPRDF vor der Auszählung der Stimmzettel frühzeitig zum Sieger erklärt hatte. Diese Vorgänge kritisierten neben dem US-Kongress auch alle internationalen Beobachter der EU vehement. So wurde zu Dialogen aufgefordert. Politisches Konfliktpotential besteht in Äthiopien, da sich die Bundesstaaten territorial entlang ethnischer Grenzen orientieren. Der äthiopische Wirtschaftswissenschaftler Sisay Asefa, der in die USA gegangen ist, sagte in der Zeitung Addis Tribune, dass die Misswirtschaft in Äthiopien im Zusammenhang mit den ethnisch bedingten Uneinigkeiten der politischen Parteien stehe. Eine Herausforderung sei es nun, „zwei oder drei multi-ethnische demokratische Parteien aus der sich verbreitenden Opposition zu bilden“ (Asefa 2005: 30.08.2005). Bisher konnten weder Kolonialmächte noch diverse Nachbarstaaten das Land im Hochgebirge mit den 80 Sprachvarianten unter vier Sprachblöcken jemals längerfristig einnehmen.2 Heute ist Äthiopien ein multikulturelles Land, in dem die meisten Menschen zusammenhalten, und die Abgeordneten im demokratischen Repräsentantenhaus vertreten die ganzen Einzelinteressen der Volksgruppen. Im normalen Alltagsleben scheinen die einzelnen gesellschaftlichen Gruppen des Landes prinzipiell keine hierarchischen Vorbehalte gegeneinander zu haben, unter den Bürgern überwiegt anscheinend bewusste Reserviertheit oder höfliche Distanz. Aus religiösen Gründen gibt es in Äthiopien zwischen den indigenen Völkern und den die Hauptreligion repräsentierenden Christen, den Juden und den Muslimen heute definitiv keine Streitigkeiten: In dieser Hinsicht scheint Multikulturalismus in diesem Staat zu funktionieren. Religiöse Toleranz und gegenseitiger Respekt sind dort selbstverständliche gesellschaftliche Werte, denen auch nach außen hin Rechnung getragen wird. Die von Zeit zu Zeit auftauchenden gewaltsamen Eskalationen haben andere Ursachen.

Einst gab es Autarkie Seit 1960 sind mehr Nahrungsmittel importiert als exportiert worden, da der Getreideanbau nach Jahrhunderten dem autarken

Selbstversorgungsgrad merkwürdigerweise plötzlich nicht mehr entsprach. Deswegen leisten die USA, die EU, Japan und die Weltbank Entwicklungshilfe. Neben China, sowie Italien, ist Deutschland ein wichtiger Handelspartner. Darüber hinaus bekämpfe man nach Angaben des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) die Hungersnot und fördere die Privatisierung, moderne Anbaumethoden, das Transportwesen, die Verwaltung, das Bildungswesen, die Vernetzung ländlicher Regionen mit dem Internet, wie auch die medizinische Versorgung. Insgesamt 65 Millionen Euro hatte die zwischen 2002 und 2005 von Deutschland gezahlte Entwicklungshilfe für Äthiopien betragen. Bis 2011 wurde Ende August 2008 die finanzielle und auch projektbezogene Hilfe erneut kontinuierlich verlängert. 3 Das raue Klima, der schlechte Anschluss an den Weltmarkt, der Konflikt zwischen uralter Tradition und überfälliger technologischer Modernisierung sowie bewusste politische Auseinandersetzungen sind die größten Probleme Äthiopiens. Diese nur mit Vorsicht und sehr langsam veränderbare Situation in Äthiopien scheint statisch zu sein, über die letzten historischen Dekaden hinweg bis heute. Ohne rapiden, baldigen Anstieg der landwirtschaftlichen Produktivität wird man die in einigen Regionen des Landes herrschende Notstandslage niemals alleine überwinden können.

Referenzen Abiye, Yonas (Daily Monitor 2005). Investment Policy.www.allafrica.com [zuletzt eingesehen: 01.11.2005]. Asefa, Sisay (2005). Building democratic institutions of governance. www.addistribune.com [zuletzt eingesehen: 30.08.2005]. Degineh, Tsegaye (Diss.) 2000. Property Rights während der Wirtschaftsreform: theoretische und empirische Analyse zu den institutionellen Voraussetzungen und Investitionsbedingungen während des Transformationsprozesses mit Schwerpunkt Privatisierung und Industrialisierung am Beispiel Äthiopien. Berlin: Logos. Deguefé, Taffara 2003. A Tripping Stone. Ethiopian Prison Diary. Addis Abeba: University Press. Gerster, Georg 1974. Äthiopien: das Dach Afrikas. Zürich: Atlantis. Hackenbroch, Inge (2008). Wirtschaftstrends kompakt – Äthiopien Jahresmitte 2008. www.bfai. de/ext/anlagen/PubAnlage_5176.pdf [zuletzt eingesehen: 30.09.2008]. Lenski, Daniel (2005). Lage in Äthiopien gespannt. Unter: www.fr-aktuell.de/ressorts/nachrichten_und_politik/nachrichten/? cnt =734660& [zuletzt eingesehen: 01.10.2005]. Mayer-Leixner, Gunther 1999. Probleme der Energieversorgung ländlicher Gebiete in Afrika. Ökologische und sozioökonomische Aspekte der Brennholzkrise in der Dritten Welt unter besonderer Berücksichtigung von Äthiopien. In: IFO-Institut für Wirtschaftsforschung e. V. (Hrsg.): Afrika Studien 127. München, Bonn und London: Weltforum. Nachricht im Ethiopian Herald (2005). Metropolitan investment authority licenses 259 projects. Unter: www.allafrica.com [zuletzt eingesehen: 31.10.2005]. Opitz, Peter 1993 (2. Aufl.). Grundprobleme der Entwicklungsländer. München: Beck. Opposition members arrested ahead of planned demo. (2005). http://allafrica.com/stories/200509280024.html [zuletzt eingesehen: 28.09.2005].

Hans Martin Krause (33) ist Medienwissenschaftler, Europäischer Ethnologe und Psychologe. Er studierte an der Philipps-Universität Marburg, reiste 2001 und 2003 nach Äthiopien und war Praktikant bei der Mediengruppe Main-Post, den Lübecker Nachrichten und der Verlagsgruppe Passau.

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Bunte Gärten: Wurzeln schlagen in der neuen Heimat. Ein interkulturelles Gartenprojekt aus Freiburg. von

Wenn man sich wie ich für Pflanzen und ökologisches Gärtnern begeistert, wird man dies normalerweise nicht unbedingt mit Ethnologie in Verbindung bringen. Dass diese Dinge aber durchaus eine sehr fruchtbare – im wahrsten Sinne des Wortes – Verbindung eingehen können, lernte ich im Sommer 2007 während eines Praktikums bei Südwind Freiburg. Ich übernahm dort die Koordination eines interkulturellen Gartenprojekts, das in Kooperation mit mehreren Einrichtungen entstand, unter anderem mit einem Flüchtlingswohnheim sowie einer Grund- und Hauptschule. Das Projekt orientiert sich an dem Pilotprojekt der „Internationalen Gärten“ in Göttingen, welches sich 1998 gründete und inzwischen bundesweit Nachahmung gefunden hat.

Die Geschichte der „Internationalen Gärten“ Im Jahr 1995 begann in Göttingen die Geschichte der Internationalen Gärten in Deutschland. Dort sollte mit einem Garten das Interesse und die Eigeninitiative von bosnischen Flüchtlingsfrauen geweckt und gestärkt werden. Nach kurzer Zeit entwickelte das Projekt jedoch einen so großen Zulauf, dass es innerhalb kürzester Zeit nicht nur eine Reihe von weiteren Gärten gab, sondern sich auch 1998 der Verein „Internationale Gärten“ gründete. Dieser Verein gab auch den Anstoß für eine wissenschaftliche Begleitung der Gärten, indem er gemeinsam mit der Forschungsgesellschaft „Anstiftung“ die Förderstiftung „Interkultur“ gründete. Seitdem unterstützt und begleitet „Interkultur“ Gärten in ganz Deutschland. Die Internationalen Gärten sollen Ausgangspunkt für eine ganzheitliche und nachhaltige Integration sein, Orte, an denen Zugewanderte wie auch Einheimische sich austauschen und von einander lernen können. Dieser Idee des Miteinander trägt auch der ökologische Anbau Rechnung: Mensch und Umwelt leben in einer für alle vorteilhaften Gemeinschaft. Der Gedanke, durch gemeinschaftliche Gärten das Nachbarschaftsklima zu fördern, entstand in den 60ern mit der Bewegung der „Community Gardens“ in den USA. Hier stand jedoch nicht die Integration von Migranten im Vordergrund, sondern eine generelle Verbesserung der Wohnqualität in benachteiligten Stadtgebieten.

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Anja

Rohde

Ethnologie und Integrationsarbeit In Deutschland fällt der gesamte Bereich der Migration traditionellerweise in die Zuständigkeit der Sozialarbeit. Doch auch – oder gerade – die Ethnologie kann mit ihrem „holistischen“ und „dynamischen“ Kulturverständnis in diesem Bereich sinnvolle Dienste leisten: Nach diesem Verständnis ist jeder einzelne Mensch ein Träger und Vermittler von Kultur und kann sie weitergeben und anderen verständlich machen. Kulturelle Unterschiede sind demnach auch nicht einfach „gegeben“ oder „natürlich“, sondern entstehen durch alltägliche Praxis in unterschiedlichen lebensweltlichen Kontexten. Die internationalen Gärten knüpfen an dieses Verständnis von Kultur an. Den Menschen soll vermittelt werden, dass sie, ganz egal woher sie kommen, Wissen und Kenntnisse haben, die wichtig, interessant und es wert sind, Gehör zu finden.

Mensch und Garten Der Ausdruck „Wurzeln schlagen“, also an einem fremden Ort eine neue Heimat finden, bezieht sich nicht umsonst auf die Welt der Pflanzen. Der immer wiederkehrende Rhythmus der Natur von Wachsen und Vergehen bietet einen stabilen Orientierungsrahmen, der gerade in unserer immer schneller und komplexer werdenden Welt Halt gibt. „Die heilende Wirkung sozial eingebetteter Interaktion mit der Natur“1 im Garten spricht den ganzen Menschen an: Die eigene, sinnbehaftete Arbeit im überschaubaren Rahmen soWeitere Links zum Thema wie auch deren Unterlassung liefert sofort sichtbare Ergebnisse, Forschungsgesellschaft Anstiftung: www.anstiftung.de die körperliche Tätigkeit im FreGarten Göttingen: ien ist direkte Interaktion mit der www.internationale-gaerten.de Umwelt und macht sie konkret Garten Leipzig: erfahrbar. Das entspannte Umwww.bunte-gaerten.de feld schafft so eine Grundlage für Garten Köln: Kommunikation und ein Gemeinwww.interkultureller-garten.de schaftsgefühl. All dies fördert die Stiftung Interkultur: Gesundheit des Menschen, phywww.stiftung-interkultur.de sisch wie auch psychisch.

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Die Projektidee des Freiburger Gartens Innerhalb der Gruppe von Menschen mit Migrationshintergrund sind Flüchtlinge besonders bedürftig und befinden sich in einer schwierigen Lebenssituation. Sie leben oft in beengten Wohnverhältnissen, haben wenige Möglichkeiten, Kontakte im Umfeld zu knüpfen und können aufgrund fehlender Arbeitserlaubnis keiner Beschäftigung nachgehen. Finanzielle Schwierigkeiten und Isolation sind die Folge. Dazu kommen häufig traumatische Erlebnisse in ihren Herkunftsländern, die es noch einmal erschweren, in der neuen Heimat Fuß zu fassen. Der Aspekt der Bedürftigkeit hat unser Freiburger Projekt dazu veranlasst, in erster Linie Flüchtlinge in das Projekt einzubinden. In unserem Garten bewirtschaften zurzeit drei Familien aus dem Wohnheim und die schulische Garten-AG die Beete. Der Garten ist eigentlich der Schulgarten, aber viel zu groß für den schulischen Gebrauch. Da einige Kinder aus dem Wohnheim hier zur Schule gehen, war die Schulleitung von der Projektidee sehr angetan, welche auch bei der Sozialbetreuung des Wohnheims und bei den Bewohnern Anklang fand. Die Verbindung von Garten, Schule und Wohnen erschien uns deshalb ideal, da der Garten als Ort der Entspannung und Treffpunkt einen festen Platz im Alltag aller Beteiligten haben soll. Viele der Flüchtlingsfamilien sind aus dem Kosovo und waren ursprünglich in der Landwirtschaft tätig. Sie sind also vertraut mit Anbau und Gartenarbeit. Für sie ist der Garten eine Erweiterung und Bereicherung ihres Wohnraumes und bietet Möglichkeit, den beengten Verhältnissen im Wohnheim für einige Zeit zu entfliehen. Aferdita, die mit ihrem Mann Pash fast täglich im Garten ist, sagt: „Hier im Garten kann ich endlich mal für mich sein.“ Pash und seine Familie besaßen im Kosovo viel Land, auf dem im großen Stil Gemüse, Obst und Blumen angebaut wurden. Sein Beet ist dem entsprechend dicht mit prächtigem Paprika und hohem Zuckermais bebaut, an dem sich Bohnen emporhangeln. Es sind alles Pflanzen, die er von Besuchen im Kosovo mitgebracht hat. Zur Schulung im ökologischen Gartenbau konnten wir vergangenes Jahr einen Landschaftsgärtner als Projektpartner gewinnen. Unter seiner Anleitung entstand ein Kräutersteinbeet mit kleiner Sitzfläche. Einen ganzen Tag lang schleppten die SchülerInnen der Garten-AG mit ihrer Lehrerin, die Gärtner aus

dem Kosovo und eine Mutter Steine für das Beet und lernten nebenbei auch einiges über Kräuter und deren Verwendung.Vieles, was bei uns unter „biologischem Gartenbau“ läuft, ist für Pash und seinen Freund Nasser, der ebenfalls eine Parzelle bebaut, nichts Neues. „Im Kosovo haben wir das immer so gemacht“, sagen die beiden. Teurer Kunstdünger und Pestizide waren nicht immer zu bekommen. Nicht nur für die Gärtner aus dem Wohnheim, auch für die SchülerInnen ist der Garten ein angenehmer Aufenthaltsort. Anders als zu Beginn des vergangenen Jahres, schauen sie inzwischen gerne mal nach der Schule bei ihren Beeten vorbei. „Sie ekeln sich jetzt nicht mehr vor Regenwürmern“, meint ihre Lehrerin mit einem Lächeln. Unseren „Gartenregeln“ nach, darf jeder das behalten, was er oder sie auf der eigenen Parzelle anbaut. Das Wasser, die Gartengeräte, die Sitzecke und das Gartenhäuschen werden gemeinschaftlich genutzt. Das Häuschen wurde wie das Kräuterbeet in einer Gemeinschaftsaktion vergangenes Jahr errichtet. Bei all der Arbeit im Garten kommt jedoch auch das Feiern nicht zu kurz. Bei unserem diesjährigen Sommerfest gab es wieder Gelegenheit, gemütlich beisammen zu sitzen, zu grillen und Interessierten den Garten zu zeigen. Unsere nächste Aktion wird ein Kochtag sein, der bereits letztes Mal allen viel Spaß machte. Wie es genau im nächsten Jahr weiter gehen wird, ist noch nicht ganz klar. Es ist angedacht, den Garten für weitere Familien zu öffnen und die SchülerInnen verstärkt einzubinden. Ich bin auf alle Fälle zuversichtlich, dass die bisher geschlagenen Wurzeln weiter wachsen werden.

Fußnoten 1 Müller, Christa: Wurzeln schlagen in der Fremde. Die internationalen Gärten und ihre Bedeutung für Integrationsprozesse. München: ökom Verlag 2002, 67.

Anja Rohde (23) studiert Völkerkunde, urgeschichtliche Archäologie und Europäische Ethnologie in Freiburg im Breisgau und ist ehrenamtlich bei Südwind Freiburg e.V. tätig. Themen: angewandte Ethnologie, Religionsethnologie, Körperkonzepte, Migration und Entwicklungszusammenarbeit

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Waagerecht

Senkrecht

1 die Überforderung durch das Fremde nach der Entfernung vom Eigenen 3 der wasserreichste Fluss der Welt 7 adliger Anthropologe aus Großbritannien (2 Worte) 8 des Vaters Vaters Tochters Tochter 11 Titel der letzten Cargo-Ausgabe 16 Stadt mit der höchsten Ethnologendichte weltweit (2 Worte) 19 südafrikanische Ethnie 20 berühmte Ethnologin, die „Fleisch“ im Namen trägt (Vor- und Nachname) 21 Auslegen der Saat in kleinen Horsten oder Löchern (siehe Wörterbuch der Völkerkunde, Reimer, S. 79) 22 Zauberformel der tibetischen Mönche 24 fremd im eigenen Körper 25 französische Insel, wo der Euro zuerst ausgegeben wurde (2 Worte)

2 größtes Land Afrikas 4 von Würmern zerfressen und zu Staub zerfallen, trotzdem feiern und ehren wir sie 5 Veröffentlichung von Prof. Hauschild (3 Worte) 6 berühmter Ethnologe, der weder die Jeans erfunden hat, noch dem Laufvogel seinen Namen gab (2 Worte) 9 wenn der Bruder mit der Schwester … 10 ein „Heiler“ Südafrikas 12 Gegensatz zu Homöopathie 13 studentische Internetzeitschrift 14 Tier, durch welches die meisten Menschen in Afrika sterben 15 wenn Omas, Mamas und Töchter das Sagen haben 17 kopflos 18 man sagt, die Schönheit sei nicht Gott gegeben, sondern liege in den… 23 zur Campingausrüstung der zentralasiatischen Steppennomaden gehörend

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Impressum Impressum ISSN 0947-9783 Dezember 2008/ Ausgabe 29 „Ethnologie + Medizin“ Webseite www.cargo-zeitschrift.de Redaktion der Ausgabe 29 Philipp Artus, Vi Vien Baldauf, Julia Böhme, Anett Schädlich, Norman Schräpel, Magdalena Wolf, Martina Zellmer Layout Norman Schräpel, Anett Schädlich, Martina Zellmer Kontakt redaktion@cargo-zeitschrift.de Titelbild Martin Gerlach V.i.S.d.P. Gemeinnütziger Verein zur Förderung der Cargo - Zeitschrift für Ethnologie e.V. VR 1213 c/o Institut für Ethnologie Reichardtstr. 11, 06114 Halle Für den Inhalt der Beiträge sind die AutorInnen selbst verantwortlich. Die Inhalte spiegeln nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wider. Anzeigen/ Aboservice vertrieb@cargo-zeitschrift.de Herstellung DRUCKHAUS GARCIA GMBH Stauffenbergstraße 14 - 20 51379 Leverkusen CARGO erscheint zweimal jährlich. Einzelpreis: 3 Euro Normalabo vier Hefte: 12 Euro (zzgl. Versand) Förderabo vier Hefte: 24 Euro (zzgl. Versand) Die nächste Cargo erscheint im Sommer 2009 Redaktionsschluss: Mai 2009 Wir danken der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde, dem Fachschaftsrat für Afrikanistik und Orientalistik der Universität Leipzig und dem Studierendenrat der MLU Halle-Wittenberg für die finanzielle Unterstützung.

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Tagungen | Konferenzen | Symposien Februar wo? Philipps-Universität, Marburg wann? 16.02. bis 18.02.2009 was? AKRAG Tagung: Konvergenzen und Divergenzen religiöser und politischer Systeme Asiens März wo? Universität Erlangen-Nürnberg wann? 11.03.2009 bis 13.03.2009 was? Frühjahrestagung der Kommission Medienpädagogik zum Thema: Computerspiele / Spieler / Spielkulturen: Stand und Perspektiven der Computerspielforschung wo? Ludwig-Maximilians-Universität München wann? 26.03. bis 28.03.2009 was? 14. Tagung der Kommission „Arbeitskulturen“ der DGV: Mobilität und Mobilisierung. Arbeit im soziokulturellen, ökonomischen und politischen Wandel

April wo? Georg-August Universität Göttingen wann? 02.04. bis 03.04.2009 was? Tagung: Mittelstadt – Urbanes Leben jenseits der Metropole wo? Zentrum Asienwissenschaften und Sozialanthropologie, Wien wann? 23.04. bis 24.04.2009 was? Tage der Kultur- und Sozialanthropologie mit workshops Mai wo? Zentrum für Interdisziplinäre Forschung, Bielefeld wann? 05.05. bis 07.05.2009 was? Symposium: Selling EthniCity. Urban Cultural Politics in the Americas wo? Kommunales Kino, Freiburg wann? 19.05. bis 24.05.2009 was? freiburger-filmforum – afrika amerika asien ozeanien

Ausstellungen | Museen GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig wann? andauernd was? Rundgänge in einer Welt: Asien, Orient, Europa, Afrika und Amerika, Teil der Dauerausstellung: Die Amerikas - Lebenswelten vom Eismeer bis nach Feuerland Museum für Völkerkunde Dresden wann? andauernd was? Schätze aus Afrika, Indonesien und der Südsee, die Schenkung Baessler und Arnhold wann? bis zum 15.02.2009 was? Aserbaidschan – Land des Feuers. Geschichte und Kultur im Kaukasus, mit Ausstel-

lung: Schach und seine asiatischen Verwandten (bis 19.4.2009) Völkerkunde Herrnhut wann? andauernd was? Ethnographie und Herrnhuter Mission wann? bis zum 01.06.2009 was? Genuss und Belehrung - 250 Jahre natur- und völkerkundliches Sammeln in der Brüder-Unität Haus der Völker - Museum für Kunst und Ethnographie St. Martin wann? ab dem 25.01.2009 was? Tansania - Glaube, Kult und Geisterwelt

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Kalender Völkerkundemuseum der Universität Zürich wann? bis zum 01.03.2009 was? Naga: Schmuck und Asche

wann? 25.03.2009, 19 Uhr was? Surrealer Spielfilm „Die Farbe des Granatapfels“ (1969) von Sergej Paradschanow über Leben und Werk des armenischen Minnesängers Sajat Nowa (ca. 1722–1795)

Linden-Museum Stuttgart wann? bis zum 28.06.2009 was? Schamanen Sibiriens - Magier, Mittler, Heiler

Institut für Auslandsbeziehung IFA, Stuttgart wann? 29.01. bis 21.03.2009 was? Spot on... Bamako, VII Rencontres Africaines de la Photographie, Verstädterung und Wandel in Afrika

wann? bis zum 26.04.2009 was? Drache - Lotos – Schneelöwe: Teppiche vom Dach der Welt

wann? 28.02.2009, 15.30 Uhr was? Opferrituale und Öffentlichkeit bei den Chanten in Westsibirien, Dia-Vortrag und Diskussion

wann? bis zum 01.05.2009 was? Geschichte aus der Schattenwelt: Figuren aus China, Indien und der Türkei

wann? 28.02.2009, 17 Uhr was? Dokumentarfilm „Der Meister und Evdokia“ über Trommelbau, anschließende Diskussion mit der Regisseurin Olga Kornienko

Heimatmuseum Oettingen wann? 26.04.2009 bis 01.11.2009 was? StadtLandFluss: der Wörnitz Nutz und Freud, Eine Stadt und ihr Fluss wann? 02.04.2009 bis 31.01.2010 was? Nordsibirien – Leben am Arktischen Ozean, Ausstellung über die Polarvölker Museum der Weltkulturen mit Galerie 37, Frankfurt am Main wann? bis zum 12.07.2009 Sevrugian. Bilder des Orients in Fotografie und Malerei 1880-1980 wann? bis zum 30.08.2009 was? Reisen und Entdecken. Vom Sepik an den Main

Historisches Völkerkundemuseum St. Gallen wann? noch bis zum 14.06.2009 was? Schweizer Bergleben um 1950, Auswahl von Bildern des Fotografen Peter Ammon wann? bis zum 13.09.2009 was? Kälte, Hunger, Heimweh: In sowjetischer Kriegsgefangenschaft 1941-1956 wann? 22.02.2009 bis 12.07.2009 was? Tierglocken aus aller Welt

wann? 01.03.2009, 10 Uhr was? Dokumentarfilm „Hallo, Alenka“ über ein Märchen in der Taiga, anschließende Diskussion mit der Regisseurin Olga Kornienko wann? 01.03.2009, 12.30 Uhr was? Vorstellung eines Radiofeatures: Der schwarze Peter: Ein kleines westsibirisches Volk und seine ungebetenen Gäste, die Autorin Vera Thümmel ist anwesend wann? 21.03.2009, 17 bis 2 Uhr was? Lange Nacht der Museen, mit Hosoo und das Ensemble Transmongolia

wann? 09.05.2009 bis 14.06.2009 was? 100 Jahre Ostschweizer Kinderspital, Ein Blick auf den Wandel in der Kinderheilkunde

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