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Schweiz: Ein Leben knapp über der Armutsgrenze
Meist rutschen klassische Familien oder Alleinerziehende in die Armutsfalle.
Einen Schritt von der Armut entfernt
Würde die Armutsgrenze in der Schweiz nur leicht erhöht, würde sich die Zahl der offiziellen Armutsbetroffenen auf einen Schlag verdoppeln. Dies zeigt eine Untersuchung am Beispiel des Kantons Bern.
Jede zwölfte Person in der Schweiz ist von Armut betroffen. Dies sind 722 000 Menschen, wie die neusten Zahlen des Bundesamtes für Statistik zeigen. «Die Armutsgrenze in der Schweiz ist mit 2279 Franken pro Monat für eine Einzelperson und mit 3963 Franken für einen Haushalt
«Viele Menschen haben monatlich nur 100 Franken mehr zur Verfügung als offiziell Armutsbetroffene.»
mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern sehr tief angesetzt. Auch wer ein bisschen mehr Geld zu Verfügung hat, kann kaum davon leben, von Reserven für unerwartete Ausgaben oder Einkommensausfälle ganz zu schweigen», sagt Aline Masé, Leiterin der Fachstelle Sozialpolitik der Caritas Schweiz. Die CoronaKrise hat deutlich gezeigt, wie dünn das Eis für viele Menschen in der Schweiz ist.
«Wir haben uns gefragt, wer die Menschen sind, die knapp über der Armutsgrenze leben», erklärt Aline Masé. Eine Untersuchung der Berner Fachhochschulen gibt nun Antworten. «Aus den Ergebnissen sehen wir klar, dass sehr viele Menschen pro Monat nur gerade 100 Franken mehr zur Verfügung haben als offiziell Armutsbetroffene. Würde man die Armutsgrenze um 500 Franken höher ansetzen, würde sich die Zahl der von Armut Betroffenen sogar verdoppeln.»
Viele Alleinerziehende
Die Studie zeigt auch, dass in diesem prekären Bereich knapp über der Armutsgrenze sehr viele Paare mit Kindern leben, klassische Familien also. Ebenso finden sich hier viele Alleinerziehende –
Erst bei 0% Armut sind wir 100% Schweiz
Appell für eine Schweiz ohne Armut
Im Dezember 2021 hat Caritas den «Appell für eine Schweiz ohne Armut» lanciert. Darin fordern wir ein entschiedenes Handeln von Bund, Kantonen und Gemeinden, gerade auch in der Familienpolitik. Die Studie der Berner Fachhochschule macht noch deutlicher, dass hier ein grosser Handlungsbedarf besteht. Diesem Magazin liegt ein Unterschriftenbogen bei.
Den Appell können Sie auch unter www.caritas.ch/appell unterzeichnen.
Danke für ihre Unterstützung!
die Bevölkerungsgruppe, die am stärksten von Armut betroffen ist. «Wir müssen uns dringend die Frage stellen, ob es sich die Schweiz leisten will, dass so viele Familien in der Schweiz nur einen Schritt von der Armut entfernt sind», sagt Aline Masé. Die Schlussfolgerungen sind eindeutig: «Aus Sicht der Caritas erfordern diese neuen Erkenntnisse eine Antwort auf politischer Ebene: Die Armutsprävention muss ausgebaut werden. Dabei gilt es, ein besonderes Augenmerk auf die Situation von Familien zu legen.» (sg)
Caritas Positionspapier: «Wenn das Geld kaum zum Leben reicht» caritas.ch/positionspapiere
Viele Menschen, die unter der Armutsgrenze leben, laufen Gefahr, sich zu verschulden. Caritas bietet Schuldenberatung an, die das verhindern soll.
Unkomplizierte Hilfe für Menschen in Not
Knapp über der Armutsgrenze leben besonders viele Paare mit Kindern, also klassische Familien. Caritas hat ihre Einzelfallhilfe ausgebaut, um diesen Menschen gezielt helfen zu können.
Wer sind die Menschen, die in der Schweiz unmittelbar über der Armutsgrenze leben? Das Beispiel der Familie A. zeigt auf, wie kritisch die Situation für viele ist. Die Tochter besucht den Kin
dergarten, der Sohn geht in die Primarschule. «Wir wollen den Kindern eine gute Ausgangslage für ihre Zukunft bieten», sagt Herr A. «Doch mit meiner beruflichen Situation ist das nicht einfach.» Der Vater arbeitet auf Abruf in der Reinigung, sein Pensum beträgt zwischen 40 und 60 Prozent. Die Mutter hat eine befristete Stelle als Pflegeassistentin für die Spitex mit einem Pensum von 90 Prozent. Das Lohnniveau in diesen Branchen ist sehr tief, und das Einkommen des Vaters hängt davon ab, wie oft er in seiner Firma zum Einsatz kommt. Entsprechend ist das Budget von Familie A. äusserst knapp.
Die beiden Kinder gehen in die Kita, wenn beide Eltern arbeiten. Die Betreuungskosten sind hoch und werden von der Gemeinde kaum subventioniert. Erschwerend kommt hinzu, dass Frau A. an einer Depression leidet und regelmässige psychologische Beratung benötigt. Jede zusätzliche Ausgabe, wie beispielsweise für die kürzlich unumgänglich gewordene Zahnbehandlung von Herrn A., sprengt das Budget. Caritas unterstützte die Familie und ermöglichte damit auch Freizeitaktivitäten für die Kinder.
Caritas bleibt wichtige Anlaufstelle
Über 20 000 Menschen konnten Caritas Schweiz und die Regionalen Caritas Organisationen in den letzten beiden Jahren mit einer finanziellen Unterstützung helfen. Das bereits knappe Budget vieler Haushalte geriet durch die CoronaKrise in Schieflage. Die Regionalen CaritasOrganisationen sind aber weiterhin eine wichtige Anlaufstelle für Menschen in Not. In den Sozial und Schuldenberatungen wird die Situation der Betroffenen analysiert, ein Budget erstellt und es werden gemeinsam langfristige und tragfähige Lösungen erarbeitet.
Neuer Fonds für rasche Hilfe
Oft kommen Menschen in finanzieller Not erst in die Beratung, wenn ihnen das Wasser bereits bis zum Hals steht. Eine rasche und unkomplizierte Unterstützung ist wichtig. Daher hat Caritas einen neuen Fonds für finanzielle Einzelfallhilfe, besonders auch für Familien und Alleinstehende, geschaffen. Doch das allein ist kein Ersatz für eine Familienpolitik, die Armut wirksam verhindert. (sg)
Fragen und Antworten zum neuen Erbrecht
Ab Januar 2023 tritt in der Schweiz ein neues Erbrecht in Kraft, das mehr Flexibilität gewährt. Alle Fakten, die Sie dazu wissen müssen.
Was ändert sich mit dem neuen Erbrecht grundsätzlich?
Die Pflichtteile für die leiblichen Kinder werden reduziert. Diejenigen für die Eltern sowie von Ehepartnerinnern und Ehepartnern im hängigen Scheidungsverfahren werden sogar ganz abgeschafft. Weiterhin erhalten jedoch Ehepartnerinnen und Ehepartner sowie eingetragene Partner und Partnerinnen einen Pflichtteil.
Was sind die Vorteile der Änderung?
Ab Januar 2023 verfügen Erblassende über eine höhere freie Quote und können vermehrt Menschen oder Organisationen, die ihnen am Herzen liegen, begünstigen. Dafür braucht es zwingend ein Testament, das Ihren Willen klar festhält.
Was passiert, wenn ich kein Testament verfasse?
In diesem Fall greift die gesetzlich geregelte Erbfolge. Im Gesetz ist festgehalten welchen Angehörigen welcher Anteil an der Erbschaft zukommt. Es gilt der Grundsatz, «Das Gut fliesst wie das Blut». Das bedeutet, der Nachlass bleibt, wenn immer möglich, in der Familie. Ohne Testament ist es nicht möglich Nicht FamilienMitglieder wie Lebenspartner, PatchworkFamilienMitglieder, nicht gemeinsame Kinder, Freunde oder karitative Unternehmen zu begünstigen.
Wie schreibe ich ein rechtsgültiges Testament?
Ihr Testament schreiben Sie von Anfang bis Schluss in leserlicher Schrift von Hand. Ein Kugelschreiber eignet sich am besten dazu. Das Testament muss eindeutig formuliert und am Ende mit Ort, Datum und Unterschrift versehen sein. Bewahren Sie das Original des Testaments in einem verschlossenen und angeschriebenen Umschlag an einem zugänglichen Ort auf. Caritas gibt eine Vorsorgemappe heraus, welche eine Anleitung zum korrekten Ausfüllen des Testaments enthält. Eine Beurkundung Ihres Testaments durch einen Notar ist möglich, aber nicht notwendig. Empfohlen ist es nur, wenn Ihre Urteilsfähigkeit angezweifelt werden könnte.
In welchem Fall muss ich ein bestehendes Testament wegen der Erbrechtsrevision ändern?
Agenda
8./9. September 2022, 13.30–17 Uhr
Informationsanlass zum Thema «Selbstbestimmt im Alter» St. Gallen
12. September 2022, 19 Uhr
Informationsabend für Interessierte am Thema Pflegefamilie Caritas Schweiz, Luzern
28. September 2022, 18 Uhr
Buchvernissage Almanach Entwicklungspolitik 2023:
Urbanisierung im Globalen Süden
stattkino, Luzern
8. November 2022, 19 Uhr
Informationsabend für Interessierte am Thema Pflegefamilie. Caritas Schweiz, Luzern
Auskünfte und Anmelden per Mail an event@caritas.ch oder telefonisch 041 419 24 19
Wenn Pflichtteile mit einer konkreten Quote oder einem Prozentsatz angegeben sind, müssen diese geändert werden. Wenn Pflichtteile jedoch ohne Quote oder Prozent genannt werden, müssen Sie nichts ändern. Es wird dann in den meisten Fällen der neue Pflichtteil angewandt. Das hiesse zum Beispiel, dass die Eltern nichts erhielten und die Nachkommen den reduzierten Pflichtteil. (lf)
Ihre Fragen beantwortet unsere Verantwortliche für Nachlass, Nicole Rogenmoser, per E-Mail nrogenmoser@caritas.ch oder telefonisch Tel. 041 419 22 12 gerne.
Informationen finden Sie auch auf unserer Webseite: www.caritas.ch/testament
Die Teilnehmenden am «MigrAction-Weekend» bilden sich rund um die Themen Migration und Asyl weiter. Das Wochenende wird unter Mithilfe von Freiwilligen organisiert.
Am Puls der Zeit
Die letzte Seite dieses Magazins bietet jeweils punktuelle Einblicke in das breite Tätigkeitsgebiet von youngCaritas. Welche Vision hat youngCaritas und wie arbeitet sie? Ein Überblick.
youngCaritas ist der Jugendbereich der Caritas. Seit über 20 Jahren verfolgen wir das Ziel, junge Menschen für gesellschaftliche Herausforderungen zu sensibilisieren und sie bei der Gestaltung einer solidarischen und nachhaltigen Welt zu unterstützen. Wir richten uns mit unseren verschiedenen Angeboten an Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 12 bis 30 Jahren.
Im schulischen und ausserschulischen Bereich bieten wir zielgruppengerechte Informationen, Weiterbildungen und Unterrichtsmaterialien an. In zahlreichen Projekten können sich junge Menschen aktiv engagieren. Wir anerkennen und fördern ihr Potenzial. So begleiten und unterstützten wir Jugendliche und junge Erwachsene, die eigenständig innovative Projekte lancieren.
Partizipation als Leitmotiv
Über die drei Arbeitsfelder «informieren & sensibilisieren», «aktiv werden» und «Projektförderung» machen wir CaritasThemen für junge Menschen erlebbar und ermächtigen sie, ihre Lebenswelt bewusst zu prägen. Die Projekte sind so aufgebaut, dass die Teilnehmenden mitbestimmen, mitorganisieren und langfristig verschiedene Kompetenzen entwickeln können.
Investition in die Zukunft
youngCaritas wächst stetig. Nebst dem sechsköpfigen Team bei Caritas Schweiz in Luzern gibt es youngCaritas auch bei den Regionalen Caritas-Organisationen in Zürich, Aargau, Basel, Bern, St. Gallen und Luzern. Auch auf europäischer Ebene engagieren wir uns für die Jugend. Die Botschaft ist klar: Wir bieten eine Plattform, damit junge Generationen für ihre sozialen Anliegen einstehen können – jetzt und auch längerfristig. Wir machen unsere Arbeit mit Leidenschaft und aus Überzeugung. Zusammen mit jungen Menschen setzen wir uns für eine nachhaltigere und gerechtere Welt ein. Chantal Zimmermann, Leiterin youngCaritas
Freiwillige Helferinnen und Helfer in Polen
Agnjetschka Padzlowska, Bahnhof Przemyśl «Das Schicksal der Ukrainerinnen und Ukrainer könnte auch das unsere sein. Sofort nach Ausbruch des Krieges beschloss Caritas, Freiwillige für ihr Restaurant am Bahnhof von Przemyśl zu rekrutieren, um Suppe zu kochen und Sandwiches zuzubereiten. Wir kochen täglich 1800 Liter Suppe für die Geflüchteten. Ich arbeite von 6–24 Uhr. Caritas braucht das Engagement aller.»
Pavel Szuzdak, Feuerwehrmann und freiwilliger Helfer «Ich bin bei der Berufsfeuerwehr. Helfen ist meine Aufgabe und meine Pflicht, und diese nehme ich ernst. Deshalb bin ich als Freiwilliger hier. Tag für Tag be- und entladen wir zehn Stunden lang LKWs, die in Richtung Lviv fahren, mit Tonnen von lebensnotwendigen Gütern wie Nahrungsmitteln, Wasser und Medikamenten – einfach mit allem, was die Menschen in der Ukraine benötigen.»