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Migration: Gastfamilien für Flüchtlinge

Die Grossfamilie ist im Februar aus der Urkraine geflüchtet und hat in Muhen ein schönes Zuhause gefunden (von links): Viktoria, Irina, Michail, Sergej, Anna, Svetlana und Olga.

* ukrainische Schreibweise von Kiew ** Namen geändert

Von Flucht, Unsicherheit und Solidarität

Eine Grossfamilie flieht – ohne ihre Männer – aus Kyiv* in der Ukraine, um sich in Sicherheit zu bringen. Sie haben 2014 bereits den Krieg in Donetsk in der Ostukraine erlebt und handeln deshalb schnell. In Muhen (AG) finden sie Zuflucht bei einem Gastgeber-Ehepaar, das nicht anders konnte, als zu helfen.

stammen aus Donetsk und sind vor acht Jahren vor dem Krieg nach Kyiv geflohen. Wir wissen, wie es sich anfühlt, immer mit der Angst zu leben», erzählen sie.

Olga (30) arbeitet in einem Hotel in Kyiv, das von vielen internationalen Gästen besucht wird. Nach dem 24. Februar, als Russland die Ukraine angreift, reisen die Gäste jedoch alle ab. Die Sirenen heulen immer öfter auf, die Menschen rennen in die Keller. Zwei Tage später beschlies

«Die Gastfreundschaft war von Anfang an sehr gross.»

sen Olga und ihr Mann, dass sie mit Tochter Anna (8)** und der Schwiegermutter das Land verlassen sollten. Ihre Schwägerin Viktoria (32), die ebenfalls in Kyiv wohnt, trifft zusammen mit ihrem Mann denselben Entscheid. Sie, die zwei Kinder Michail** und Sergej** (2 ½ und 7) sowie ihre Schwiegermutter sollen fliehen – zusammen mit Olgas Familie.

Die Ehemänner, die das Land nicht verlassen dürfen, bringen ihre Familien zu einem bestimmten Punkt an der Grenze zu Rumänien. Der Abschied ist emotional, sie wissen nicht, wann sie sich wiedersehen werden. Auf der anderen Seite wird die Grossfamilie von tschechischen Freiwilligen abgeholt, die Viktorias Mann durch Freunde organisiert hat. Mit ihnen fahren sie über Ungarn nach Tschechien, wo sie einige Tage bleiben. Die freiwilligen Helfer haben alles organisiert: Betten und Essen. Olgas und Viktorias Familien sind froh über die grosse Solidarität. «Wir

Tatkräftig etwas beitragen

Am 7. März nehmen sie den Zug über Österreich in die Schweiz. In Zürich hilft ihnen ein Bekannter, den Olga von ihrer Arbeit im Hotel kennt. Er bringt sie ins Bundesasylzentrum, wo sie den Schutzstatus «S» beantragen. Eine Gastfamilie wird für sie gesucht. Ihr Wunsch ist es, dass alle zusammenbleiben können – für sieben Personen ein schwieriges Unterfangen. Die meisten Privatunterkünfte, die gemeldet werden, verfügen über weniger Platz. Aber das Schicksal meint es gut mit ihnen. Jan (42) und Béatrice (33) in Muhen im Kanton Aargau haben den Wunsch, eine Familie aus der Ukraine aufzunehmen. Der aufflammende Krieg bedrückt Jan sehr, er schläft schlecht. Deshalb will er tatkräftig etwas beitragen, um das Leid

der Flüchtenden zu lindern. Er und seine Frau haben gerade ein altes Bauernhaus im Dorf gekauft, das sie umbauen wollen. Vorläufig wohnen sie aber mit ihren zwei kleinen Kindern noch in einer Mietwohnung. Ihr Entschluss steht schnell fest.

Die Familie bleibt zusammen

Sie geben an, dass sie «5+» Personen aufnehmen können. Es ist ein Glücksfall für Olgas und Viktorias Familie. Denn zusammen können sie die schwierige Zeit besser überstehen. Sie besteigen den Zug nach Aarau, wo sie bereits von Jan erwartet werden. «Die Gastfreundschaft war von Anfang an sehr gross», sagt Olga. Als sie beim Haus in Muhen ankommen, sind die Gäste freudig überrascht: Jeder erhält im oberen Stock ein eigenes Zimmer mit Bad (im Haus wurden früher Seminare angeboten). Nie hätten sie gedacht, dass sie so komfortabel wohnen können, auch wenn das Haus alt ist. In Windeseile hatte Béatrice bei Bekannten Betten zusammengesucht, die sie noch aufstellen muss. Viel Zeit blieb nicht, um alles vorzubereiten. Später erhalten sie von Nachbarn zwei Sofas, die jetzt im Wohnzimmer neben dem grossen Esstisch stehen. Die Hilfsbereitschaft im Dorf ist riesig. Bekannte bringen Essen und Kleider.

Caritas vermittelt und betreut

Inzwischen sind bereits zehntausende Flüchtende aus der Ukraine in der Schweiz angekommen. Caritas betreut die Gastfamilien im Kanton Aargau, Zug und Genf. Sie muss überprüfen, ob das Zusammenleben klappt und die Flüchtlinge begleitet werden, bis sie ihren Weg selber finden. Für die Bundesasylzentren Boudry und Bern vermittelt Caritas Gastfamilien für die ankommenden Flüchtlinge.

Für mehr Information: caritas.ch/ukraine-schweiz

Jan und Béatrice stellen den ukrainischen Flüchtlingen ihr neu erworbenes Haus zur Verfügung, das sie bald umbauen wollen.

Jan und Béatrice sind mit verschiedenen Behördengängen beschäftigt. Ihre Gäste erhalten aufgrund ihres Schutzstatus «S» bereits einen gewissen Betrag für Essen und Hygieneartikel vom Kanton. «Auch wir als Gastgeber sollten bald einen Beitrag erhalten», meint Jan. «Diese Strukturen sind erst im Aufbau.»

Das Leben muss weitergehen

Am Mittwoch, 16. März, ist die Familie in Muhen angekommen. Am Montag, 25. März, können die Kinder Anna und Sergej bereits zur Schule gehen. Da in Muhen Doppelklassen geführt werden, besuchen die zwei dieselbe Klasse. Sie haben von Nachbarn je einen fast neuen Schulthek erhalten, gefüllt mit neuen Stiften und einer Znünibox mit Inhalt. Die beiden leben sich schnell ein. Als nach zwei Wochen die Osterferien anfangen, sind sie traurig.

Die Grossfamilie beginnt, im Ort Fuss zu fassen. Der Zusammenhalt zwischen den Gastgebern und den Gästen ist sehr gut. «Wir sind fast schon zu einer neuen Familie zusammengewachsen», meint Viktoria. «Wir durften schon etliche Feste mitfeiern, die hier im Haus oder im Garten stattfanden. Das lenkt uns ab und wir können lachen und für eine kurze Zeit fröhlich sein.» Sonst sind sie immer noch sehr angespannt. Jeden Tag verfolgen sie die schrecklichen Nachrichten aus der Heimat. Ihre Ehemänner sind zwar vorläufig nicht in die Armee eingezogen worden, aber niemand weiss, was die Zukunft bringt. Ruhig werden sie erst sein, wenn sie wieder vereint sind. Sei es hier oder dort. Das Wichtigste ist, dass die Kinder in Sicherheit sind und hier zur Schule gehen können.

Eine Arbeit finden

Olga und Viktoria wollen sich eine Stelle suchen. Olga würde gern wieder in einem Hotel arbeiten, Viktoria ist Chemielaborantin. Sie möchten ihr eigenes Geld verdienen und selbstständig werden. Die Mutter der Gastgeberin unterrichtet die Frauen in Deutsch. Béatrice meint: «Es muss schwierig sein, immer Hilfe annehmen zu müssen.» Die Ukrainer sind in der Tat sehr dankbar und tun alles, um das Ihrige beizutragen. Sie kochen für ihre Gastgeber, hüten ihre Kinder und «sie gehen enorm sorgfältig mit unseren Sachen um», erklärt Jan. Die Wertschätzung ist auf beiden Seiten gross. Dies hat auch die Sozialarbeiterin der Caritas festgestellt, als sie die Geflüchteten sowie die Gastgeber besucht hat. Ihre Aufgabe ist es zu prüfen, ob die Wohnsituation geeignet ist und den vorgeschriebenen Standards entspricht. (lf)

Ein Lohn für pflegende Angehörige

Zehntausende Menschen in der Schweiz pflegen ein Familienmitglied zuhause. Sie leisten diese wichtige Arbeit unbezahlt. Mit einem neuen Projekt möchte Caritas Schweiz das ändern: Pflegende Angehörige sollen für ihre Arbeit entschädigt werden. Die Caritas stellt Menschen aus dem Kanton Luzern, die Familienmitglieder pflegen, im Stundenlohn an und zahlt in die Sozialversicherungen ein. Abgerechnet wird über die zuständige Krankenkasse. Zudem besucht eine diplomierte Pflegefachperson die Angehörigen regelmässig, erstellt mit ihnen einen Pflegeplan und stellt so die Qualität der Pflege sicher. Das Projekt soll nach einer Pilotphase auch auf andere Kantone ausgeweitet werden. (lf)

Freiwillige für Bergbauernfamilien gesucht

Auch dieses Jahr sucht Caritas Schweiz rund 1500 Freiwillige, welche Bergbauernfamilien unterstützen. Die Freiwilligen helfen beim Heuen, bei Hof und Stallarbeiten oder im Haushalt. Alle, die den Bergbauern unter die Arme greifen wollen, sind ab dem Alter von 18 Jahren willkommen. Die Menschen, die sich auf das Abenteuer einlassen, lernen eine neue Welt fern dem hektischen Treiben der Stadt kennen, arbeiten in der Natur und knüpfen Freundschaftsbande, die oft ein Leben lang halten. Sie können online einen Hof aussuchen und ihren Einsatz buchen. (lf)

Mehr Informationen unter: bergeinsatz.ch

Medienecho

Blick TV | «Die Solidarität ist grösser als beim Balkan-Krieg oder beim Tsunami» | 21.3.22 Gerhard Schaumberger von der Caritas begleitet Bundespräsident Ignazio Cassis auf seiner Reise durch Polen und Moldawien: «Es freut mich sehr, dass Bundespräsident Cassis diese Reise nach Polen und Moldawien macht und Verantwortung zeigt (…) Als Caritas haben wir einen sehr direkten Zugang zu den Menschen. Die Zusammenarbeit mit dem Bund wird die Hilfe noch effektiver und wirksamer machen, was nur im Interesse der Flüchtlinge ist. Wir arbeiten bereits mit Polen, der Ukraine, Moldawien und Rumänien zusammen (…).»

Berner Zeitung | Zwischen Geberlaune und Spendemüdigkeit | 5.4.22 (…) Anders sieht es hingegen bei der Caritas Schweiz aus. «Bei anderen Katastrophen dauert die stärkste Spendenbereitschaft in der Regel ein bis zwei Wochen», sagt Sprecher Stefan Gribi. Aber: «Beim UkraineKrieg zeichnet sich auch nach mehr als einem Monat noch kein Ende der Solidarität durch Spenden ab.

Keystone SDA | Warum Frauen häufiger von Armut betroffen sind | 8.4.22 Frauen sind in der Schweiz stärker von Armut betroffen und einem höheren Armutsrisiko ausgesetzt als Männer. Am CaritasForum in Bern setzten sich heute rund 300 Fachleute mit den Ursachen der Frauenarmut auseinander und suchten nach geeigneten Wegen, wie das geschlechtsspezifische Armutsrisiko reduziert werden kann. In ihrer Begrüssung zur sozialpolitischen Tagung unterstrich Gisèle GirgisMusy , Mitglied des Präsidiums der Caritas Schweiz, dass Gleichstellung in der Schweiz zwar verfassungsrechtlich verankert sei, aber in der Realität viele Lücken bestünden.

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