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Am Puls: Die Ukraine bereitet sich auf den Winter vor

Darja konnte nach ihrer Flucht dank Caritas am neuen Ort Fuss fassen. Die Menschen machen ihre Häuser winterfest. Caritas hilft mit Bargeldbeiträgen.

Unsere Hilfe für die Opfer des Ukrainekrieges

Millionen von Menschen in der Ukraine sind seit Kriegsanfang geflohen – sei es ins Ausland oder innerhalb des Landes. Unermessliches Leid geschieht täglich. Caritas Schweiz hilft den Menschen vor Ort und in den Nachbarländern und versorgt sie mit dem Nötigsten.

Darja (39) ist mit ihren zwei Söhnen im Alter von 10 und 17 Jahren aus der Stadt Kramatorsk im Südosten der Ukraine geflohen. Die Alleinerziehende lebte mit ihren Kindern in einem Haus, das jetzt zerstört ist. Sie hatte einen guten Job und

Die Menschen in der Ukraine bereiten sich auf den Winter vor.

grosse Pläne für die Zukunft. Das alles musste sie hinter sich lassen. Nun wohnt sie mit ihrer kleinen Familie in Chornomorsk im Süden. Am Anfang konnte sie sich nur mit der Hilfe von Caritas durchschlagen. Dank der Bargeldbeträge, die ihr zugesprochen wurden, war es ihr möglich, eine Wohnung zu mieten. Sie erhielt auch Lebensmittel, Decken und Kleider. Nun versucht sie, hier ein neues Leben aufzubauen.

Die meisten Menschen in der Ukraine mussten alles zurücklassen und konnten nur das Nötigste mitnehmen. Sie sind deshalb fürs Überleben auf Hilfe angewiesen.

Nothilfe bereits in den ersten Tagen

Caritas Schweiz engagiert sich seit Kriegsausbruch für die notleidenden Menschen in der Ukraine und in den Nachbarländern. Sie verteilt Lebensmittelpakete, vermittelt Unterkünfte und bietet psychologische Unterstützung. Der Schwerpunkt der Arbeit von Caritas Schweiz liegt in der Ukraine. Dies ist dank der langjährigen Zusammenarbeit mit den erfahrenen und regional verwurzelten Caritas-Organisationen möglich. Caritas startete die Nothilfe vor Ort bereits in den ersten Tagen des Krieges. Bis Ende 2022 plant Caritas Schweiz, 12 Millionen Franken für Hilfsprogramme in der Ukraine und den umliegenden Ländern einzusetzen.

Die ukrainischen Caritas-Organisationen sind im ganzen Land aktiv. Über vier Millionen Menschen wurden durch die verschiedenen Angebote der ukrainischen Caritas versorgt. Über 40 000 Menschen haben zudem Bargeldbeträge für notwendige Anschaffungen oder für die Instandstellung ihrer Häuser erhalten. Die Deza und die Glückskette finanzieren dieses Projekt mit.

Vorbereitung auf den Winter

Nun beginnen die Menschen, sich auf den Winter vorzubereiten. Sie befürchten, dass sie frieren werden, denn immer öfter fällt der Strom aus und der Gaspreis steigt stetig an. Caritas hilft den Menschen, alternative Energiequellen zu finden und ihre Häuser winterfest zu machen. «Wir geben den Menschen Cash-Beträge, damit sie sich selber organisieren können. Wir bieten aber auch technische Hilfe», sagt Lukas Voborsky, der Krisenmanager von Caritas Schweiz. «Wir verfügen zudem über 67 Kollektivunterkünfte, wo wir über 2000 Personen unterbringen können. Sie sind für die vulnerabelsten Menschen der Bevölkerung gedacht und verfügen bereits über genügend Heizressourcen für den Winter.» (lf)

Reportage

Die Ärmsten trifft es am härtesten

Text: Fabrice Boulé Bilder: Caritas Schweiz

Die ausgefallenen Regenzeiten setzen Ostafrika und seinen Bewohnerinnen und Bewohnern zu. Ihre Existenz ist akut gefährdet.

Dabo Huka Wako in Äthiopien erhielt von Caritas einen Bargeldbetrag. So konnte sie das Nötigste für ihre Familie kaufen.

Die Armut im globalen Süden nimmt aufgrund der komplexen Krisenlage zu. Insbesondere im Sahel und in Ostafrika sind Millionen von Menschen vom Hungertod bedroht. Die Herausforderung besteht darin, mit Nothilfe Leben zu retten und gleichzeitig auch längerfristige Lösungen im Blick zu behalten. Denn Armut ist kein Schicksal und kann überwunden werden. Lesen Sie die Geschichten aus Äthiopien, dem Tschad und Haiti.

«In meinem ganzen Leben habe ich noch nie eine solche Situation erlebt», sagt Dabo Huka Wako, eine 50-jährige Mutter von neun Kindern, die in einem Dorf

«Das Vieh ist verhungert. Nahrungsmittel und Trinkwasser sind knapp.»

in der Region Oromia im Süden Äthiopiens lebt. Zum dritten Mal in Folge blieb die Regenzeit aus. Immer wieder fielen Heuschreckenschwärme über die bereits kargen Felder und Weiden her. Das Vieh ist verhungert, und es herrscht akuter Nahrungsmittel- und Trinkwassermangel.

Mit dem Krieg in der Ukraine verdunkeln sich die Zukunftsperspektiven weltweit. In der Schweiz sorgen wir uns um unsere Sicherheit und unseren Wohlstand. Die Energie- und Lebensmittelpreise steigen. Die Inflation erhöhte sich im August 2022 im Vorjahresvergleich um 3,3 Prozent. In anderen Ländern ist sie hingegen noch viel höher.

Nehmen wir als Beispiel Mali und Burkina Faso im Sahelgürtel. Obwohl diese Länder viel weiter von der Ukraine entfernt sind, spüren sie die Auswirkungen des Krieges deutlich stärker. Die Preise für viele Grundnahrungsmittel sind geradezu explodiert. Mais, Hirse und Sorghum, die den Hauptanteil der Ernährung der Menschen in dieser Region bilden, kosten heute doppelt so viel wie noch vor einem Jahr. Dies ist aber nur ein Teil des Problems. Die Nahrungsmittelausgaben in den Ländern in Subsahara-Afrika machen 80 Prozent des täglich verfügbaren Einkommens aus. Verdoppeln sich die Preise der Lebensmittel, haben die Ärmsten nur noch halb so viel Geld, um Essen und Artikel des täglichen Gebrauchs zu kaufen. Es versteht sich somit von selbst, dass solche Preissteigerungen schreckliche Armut und Hungersnöte nach sich ziehen. Als Vergleich: In der Schweiz geben die ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung 13 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für Nahrungsmittel aus.

Nothilfe und langfristige Projekte

Caritas Schweiz stellt fest, dass sich die Ernährungssituation in ihren 20 Projektländern dramatisch verschlechtert hat. Viele Länder im globalen Süden hatten wirtschaftlich bereits stark unter der Covid-19-Pandemie zu leiden. Sie sind hoch verschuldet und kämpfen gegen die Folgen der globalen Erwärmung, die sie mit voller Wucht trifft. In dieser Mehrfachkrise überlagern sich die Probleme und verstärken sich gegenseitig.

In den Dörfern im Tschad organisiert Caritas 6-monatige Schreinerkurse.

In den Ausbildungen der Caritas können die Dorfbewohner sich auch zum Schneider oder zur Schneiderin ausbilden lassen.

Trinkwasser und die Verbesserung der Hygiene.

Tschad: ein höheres Einkommen

Der Süden Tschads ist geprägt von hoher Arbeitslosigkeit, wachsendem Druck auf die natürlichen Ressourcen sowie Migrationsströmen zwischen der Zentralafrikanischen Republik, dem Tschad und Kamerun. Caritas Schweiz organisiert in den

«Ich kann meinen Kindern eine Ausbildung ermöglichen.»

Caritas Schweiz leistet Nothilfe, indem sie die notleidende Bevölkerung direkt unterstützt. Heute steht die humanitäre Hilfe für uns im Zentrum. Dabei ist es jedoch wichtig, die langfristigen Perspektiven im Blick zu behalten. Caritas möchte vor allem die lokalen Marktsysteme und eine agroökologische Landwirtschaft fördern, da so die Ernährungssicherheit der Bevölkerung effektiv gestärkt werden kann.

Äthiopien: eine Überlebensfrage

Im Süden Äthiopiens unterstützen Caritas Schweiz und ihre lokalen Partner Familien mit Bargeld, damit diese ihre dringendsten Bedürfnisse decken können. Auch Dabo Huka Wako erhielt finanzielle Hilfe. «Wir konnten Reis, Salz, Seife und sogar Futter für unsere Tiere kaufen. Aber mehrere Kühe sind gestorben», berichtet sie. «Früher hatten wir Mais, Bohnen, Peperoni, Kohl, Mangos und Bananen, die für drei Mahlzeiten am Tag reichten, doch diese Zeiten sind vorbei. Wir hoffen, dass wir in naher Zukunft genug Bohnen und Mais ernten, um auch etwas davon verkaufen zu können», so Dabo Huka Wako weiter. Ein weiterer Schwerpunktunserer Hilfe ist der Zugang zu sauberem Dörfern der Region sechsmonatige Berufsbildungskurse, die Berufe wie Schreiner, Schneider und Motorradmechaniker abdecken. Nach der Ausbildung erhalten die Teilnehmenden nicht nur ein Diplom, sondern auch eine Box mit den wichtigsten Werkzeugen und Utensilien, die sie für die Ausübung des erlernten Berufs brauchen. «Dank der Fertigkeiten, die ich im Schreinerkurs erlernt habe, kann ich meine Familie besser versorgen und meinen Kindern eine Ausbildung ermöglichen», sagt Tolnan Kossemadji. «Es sind Fähigkeiten, die für das Leben auf dem Land allgemein sehr nützlich sind.» Er richtet nun seine eigene Werkstatt im Dorf Maimana ein. Behodjim Fidèle, ein anderer Schreiner aus Danamadja, erklärt: «Zuerst werden alle fünf Absolventen aus unserem Dorf, die denselben Kurs besucht haben, eine gemeinsame Werkstatt aufbauen. Wenn wir sicher sind, dass wir alle Schreinertechniken beherrschen, wird jeder seine eigene Werkstatt eröffnen.»

Haiti: erneuerbare Energien

Die 17-jährige Solange, Händlerstochter in der Gemeinde Camp-Perrin im Süden Haitis, scheut keine Mühen, um in der Schule voranzukommen. Sie will auch praktische Fähigkeiten erlernen, mit denen sie ihren Lebensunterhalt bestreiten kann. Trotz schwieriger Lebensumstände

In Haiti lernt Solange, wie man Sonnenkollektoren installiert und instand hält.

ist sie voller Optimismus. Ihr fällt jedoch auf, dass es in ihrem Viertel in letzter Zeit immer häufiger zu Auseinandersetzungen kommt: «Es fehlt an gegenseitigem Respekt, und es geht nicht mehr friedlich zu und her», meint sie traurig. Die wachsenden wirtschaftlichen Probleme, mit denen die Menschen in Haiti konfrontiert sind, und ihr ständiger Kampf gegen die Armut, sind teilweise für diese Entwicklung verantwortlich. Die Hälfte der haitianischen Bevölkerung ist unter 25 Jahre alt, und in der Altersgruppe von 15 bis 24 Jahren sind 60 Prozent arbeitslos.

Solange nimmt an einem Projekt von Caritas teil, das von der Deza finanziert ist. Jugendliche zwischen 15 und 24 Jahren können heute eine Berufsausbildung in der Baubranche absolvieren, womit sich ihre Chancen auf eine qualifizierte Arbeit markant verbessern. Die junge Frau erhält eine Ausbildung im Bereich erneuerbare Energien und lernt, wie man Sonnenkollektoren installiert und instand hält. In Haiti ist nämlich eine langsam zunehmende Nachfrage nach Sonnenkollektoren zu beobachten – sowohl für bestehende Gebäude sowie solche, die sich noch im Bau befinden.

Herausforderungen und Lösungen

Diese Beispiele verdeutlichen die enormen Herausforderungen, denen sich sowohl die Menschen als auch Hilfsorganisationen wie Caritas Schweiz in der aktuellen Mehrfachkrise in vielen Ländern gegenübersehen. Es gibt aber Lösungen, um die bestehenden Probleme effektiv anzugehen.

Weitere Informationen unter: caritas.ch/ja

Die Zeit drängt

Interview mit Angela Lindt, Leiterin Fachstelle Entwicklungspolitik Caritas Schweiz

Wieso hat der Ukrainekrieg zu einer Hungerkrise in Afrika geführt?

Der Angriffskrieg Russlands hat nicht nur für die ukrainische Zivilbevölkerung katastrophale Folgen, sondern wirkt sich auch negativ auf die weltweite Getreideversorgung und die Preise von Lebensmitteln, fossilen Brennstoffen und Dünger aus. Die Ukraine gehörte vor dem Krieg zu den wichtigsten Exportnationen von verschiedenen Getreidearten. Viele afrikanische Länder deckten ihre Getreideimporte mit Lieferungen aus der Schwarzmeer-Region. Sie leiden nun enorm unter den kriegsbedingten Lieferunterbrüchen und den gestiegenen Lebensmittelpreisen.

In vielen ärmeren Ländern herrscht eine Mehrfachkrise. Wie drückt sich diese aus?

Bereits vor dem Ausbruch des Ukrainekrieges war die Lage in vielen Ländern im Globalen Süden angespannt. Sie spüren die gravierenden Folgen, welche die Klimaerhitzung mit sich bringt. Am Horn von Afrika herrscht derzeit beispielsweise eine massive Dürre. Auch sind viele Länder durch die Covid-Pandemie wirtschaftlich angeschlagen; ihre Verschuldung ist stark angestiegen. Hinzu kommen lokale bewaffnete Konflikte und Kriege, welche die Lebensgrundlage der Zivilbevölkerung bedrohen. Die Kombination dieser Faktoren haben dazu beigetragen, dass wir nun vielerorts eine folgenschwere Mehrfachkrise beobachten.

Wird die Welt allgemein krisenanfälliger?

Angesichts der voranschreitenden Klimakrise ist absehbar, dass sich die Situation in vielen Ländern weiter verschärft. Gerade deshalb ist es wichtig, dass wir nun rasch und umfassend reagieren. Wir müssen verhindern, dass kritische Kipppunkte im Klimasystem überschritten werden, die unumkehrbare Folgen haben.

Was kann die Schweiz und die Weltgemeinschaft tun?

Kurzfristig ist ein Ausbau der Humanitären Hilfe notwendig, auch mit höheren Beiträgen an das Welternährungsprogramm. Darüber hinaus muss die Situation für die Menschen im Globalen Süden langfristig durch die Internationale Zusammenarbeit verbessert werden. Caritas Schweiz ist überzeugt, mit agrarökologischen Projekten oder über die Stärkung lokaler Marktsysteme die Ernährungssicherheit lokal verbessern zu können. Von der Politik fordern wir, dass die Schweiz endlich ihrer Klima-Verantwortung nachkommt und bei der Reduktion der Emissionen von Treibhausgasen vorwärts macht. Die Zeit drängt.

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