JACC | 3. Juni 2014 | Ministerpräsident Stanislaw Tillich | Was ist gerecht?

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Eine Veranstaltungsreihe der CDU-Fraktion des Sächsischen Landtages

„Was ist gerecht?“

Schriftenreihe zu Grundlagen, Zielen und Ergebnissen der parlamentarischen Arbeit der CDU-Fraktion des Sächsischen Landtages

3. Juni 2014


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Inhaltsverzeichnis

Einführung

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Steffen Flath MdL Vorsitzender der CDU-Fraktion des Sächsischen Landtages

„Was ist gerecht?“

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Stanislaw Tillich MdL Ministerpräsident des Freistaates Sachsen

Schlusswort

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Dr. Fritz Hähle Ehrenpräsident des Johann-Amos-Comenius-Clubs Sachsen

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Einführung Steffen Flath MdL Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Freunde des Johann Amos ComeniusClubs, recht herzlich Willkommen im Internationalen Congress-Center Dresden an diesem wunderschönen Sommerabend. Schön, dass Sie sich die Zeit nehmen und der Einladung gefolgt sind. Ich möchte Sie ganz herzlich persönlich begrüßen, natürlich auch im Namen der CDU-Landtagsfraktion. Wir sind heute zahlreich vertreten, es sind 20 Abgeordnete des Landtages hier. Einige möchte ich namentlich nennen. An der Spitze unser Landtagspräsident Dr. Matthias Rößler. Ich darf begrüßen meinen 1. Stellvertreter und Parlamentarischen Geschäftsführer Christian Piwarz und meine beiden Stellvertreter Uta Windisch und Thomas Schmidt. Sie werden gleich merken, dass ich nicht ganz protokollarisch vorgehe. Aber ich freue mich, dass unsere Sozialministerin Christine Clauß da ist. Ich darf weiter begrüßen die Vertreter der kommunalen Ebene. An der Spitze den Landrat des Erzgebirgskreises Frank Vogel sowie zwölf Oberbürgermeister und Bürgermeister aus unserem Freistaat – allen ein herzliches Willkommen.

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Ich begrüße die Präsidenten, Geschäftsführer, Direktoren, einen möchte ich namentlich besonders hervorheben: Frank Haubitz, er ist Vorsitzender des Philologenverbandes. Weiter die Generalkonsulin unseres Nachbarlandes, der Tschechischen Republik, Jarmila Krejcikova. Ich darf Ihnen im Namen aller Anwesenden gratulieren, denn Sie haben kürzlich die Sächsische Verfassungsmedaille verliehen bekommen. Ganz stark vertreten sind immer im Comenius-Club unsere Kirchen. Und so ein herzliches Willkommen Christoph Seele, er ist der Beauftragte der Evangelischen Landeskirche beim Freistaat Sachsen. Ich begrüße Arnold Liebers, Superintendent im Kirchenbezirk Leisnig-Oschatz, Andreas Stempel, Superintendent im Kirchenbezirk Meißen-Großenhain und Johannes Schädlich, Superintendent in Rente. Damit es katholisch ausgeglichen ist, Horst Friese, Diözesanvorsitzender beim Kolpingwerk im Bistum DresdenMeißen, herzlich willkommen. Jetzt kommt eine ganz treue Gruppe – ich begrüße die ehemaligen Mitglieder des Europäischen Parlaments und die ehemaligen Mitglieder der CDU-Landtagsfrak-


© Patrik Dietrich / shutterstock.com

tion. Es sind heute elf Vertreter hier, an der Spitze steht Dr. Fritz Hähle, Ehrenpräsident des Johann Amos Comenius-Clubs. Und so freue ich mich auch, dass ehemalige Minister und Staatssekretäre unter uns sind, wie Friedbert Groß, Dr. Helmut Münch und Dr. Rainer Jork. Er hat einen ganz lieben Gast mitgebracht, Herrn Dr. Bernhard Worms. Dr. Bernhard Worms hat 1959 promoviert und ich finde das Thema bemerkenswert. Sie promovierten an der Universität Graz zum Thema „Die schleichende Inflation und das Problem der säkularen Geldentwertung“. Das wäre mal ein Extra-Thema wert. Ich freue mich, weil sie auch Fraktionsvorsitzender 1983 – 1990 in Nordrhein-Westfalen waren, dann wechselten Sie in den Bundestag und wurden Staatssekretär bei Norbert Blüm. Ich will es deshalb erwähnen: Wir feiern dieses Jahr 25 Jahre friedliche Revolution. Damals musste das Problem gelöst werden, wie man nach der Deutschen Einheit mit Rentnern umgeht, die in der DDR gearbeitet haben und nun Rentner in der Bundesrepublik geworden sind. Wir verdanken Dr. Worms u.a., dass eine Lösung

gefunden worden ist, sicher auch für viele hier im Raum. Das hat etwas mit Gerechtigkeit zu tun. Die Lösung war eine außerordentlich gerechte und ist keineswegs selbstverständlich. Ein herzliches Dankeschön dafür. Jetzt kommen wir zur Hauptperson dieses Abends. Er ist 55 Jahre, verheiratet – nach wie vor mit Veronika. Sie haben zwei Kinder, sind katholischer Sorbe. Seit 1990 war er zunächst über den Bundestag Beobachter und später bis 1999 Mitglied des Europäischen Parlaments und hatte sich eine sehr geachtete Stellung in Brüssel und Straßburg erarbeitet, wovon Sachsen auch heute noch sehr profitiert.

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Seit 1999 – das werden jetzt im Herbst 15 Jahre – ist er Mitglied der Staatsregierung in Sachsen, zunächst als Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, dann Chef der Staatskanzlei, Umweltund Landwirtschaftsminister, Finanzminister und seit Mai 2008, also seit reichlich sechs Jahren unser Ministerpräsident im Freistaat Sachsen. Herzlich Willkommen Stanislaw Tillich. Das Thema „Was ist gerecht?“ hat sich Stanislaw Tillich selbst gewählt. Der Vorteil des Johann Amos Comenius-Clubs besteht darin, dass das Veranstaltungsformat ein bisschen altmodisch ist. Wir geben Referenten die Gelegenheit, ausführlicher zu einem Thema zu sprechen, ohne dass Jemand dazwischen ruft und dass das Thema vorzeitig beendet wird. „Was ist gerecht?“ – eine spannende Frage. Wenn man sich in der Politik engagiert, aber auch wenn nicht, wird man dieses Thema wahrscheinlich nie mehr richtig los. Es ist ein sehr emotionales Thema. Meine Frau und ich haben zwei Kinder. Das Mädchen heißt Lucia, der Junge Herbert. Wenn ich sagte: „Lucia decke mal bitte den Abendbrot-Tisch“, kam die Antwort: „Und was macht Herbert?“ Oder Gerechtigkeit im Bildungssystem. Da stehen zwei Jugendliche an der Bus-

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haltestelle, der eine fährt ins Gymnasium, der andere in die Oberschule. Vielleicht kommt noch einer im Rollstuhl. Der eine studiert, der andere wird Facharbeiter – wie ist das mit der Gerechtigkeit? Oder 25 Jahre friedliche Revolution. Meine Frau durfte in der DDR nicht studieren aus einem einzigen Grund. Sie war katholisch erzogen und nicht bereit, abzuschwören. Wie vielen Menschen ging das so? Deren Lebensweg wurde bis heute verändert. Soviel dazu, wenn uns Kommunisten belehren wollen, was Gerechtigkeit ist. Oder die Bibel. Da gibt es die Gleichnisse. Wie ist das mit den Arbeitern im Weinberg? Wie ungerecht fühlt man sich behandelt und doch ist es gerecht, wenn man es von der anderen Seite her betrachtet. Man könnte auch über Mindestlohn diskutieren. Wie gerecht ist er oder wie ungerecht das, was wir jetzt haben? Ich wünschte mir in unserem Land eine Diskussion darüber, eine wirkliche Diskussion. Oder Gerechtigkeit im Steuersystem. Die einen zahlen gar keine Steuern, die anderen sind von der Steuerprogression betroffen. Herr Prof. Kirchhof, auch schon Referent im Comenius-Club, schlägt gar vor, es wäre gerecht, alle einheitlich mit


25 % ohne Ausnahme zu besteuern. Wie ist das mit Steuers端ndern, auch eine ganz aktuelle Diskussion. Wie gerecht ist das alles? Ich freue mich jetzt darauf, unseren Ministerpr辰sidenten mal von einer ganz anderen Seite

kennen zu lernen. Wir kennen ihn als freundlichen Menschen, als einen der gew端rdigt wird, als einen, der sich auf internationalem Parkett f端r Sachsen sehr gut in Szene setzt. Und heute erleben wir mal einen nachdenklichen Stanislaw Tillich. Ich freue mich darauf.

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„Was ist gerecht?“ Stanislaw Tillich MdL Lieber Steffen Flath, vielen Dank für die freundliche Begrüßung und Einführung in das Thema des heutigen Abends: „Was ist gerecht?“. Du warst auch im März 2010 mit dabei, als ich beim Johann-Amos-Comenius-Club in Annaberg-Buchholz über das Thema „Werte für unsere Zivilgesellschaft“ sprach. Der eine oder andere von Ihnen erinnert sich vielleicht auch noch daran. Ich habe damals über drei Leitwerte gesprochen: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Und natürlich habe ich dabei auch die Gerechtigkeit gestreift. Das Thema will ich heute vertiefen. Ich tue das aus guten Gründen hier vor dem Johann-Amos-Comenius-Club. Er ist das Forum, wo Mitglieder und Freunde der CDU-Fraktion über Grundwerte, über den Kompass unseres politischen Denkens und Handelns diskutieren und den Kompass justieren. Nun kann man derzeit kaum eine Zeitung aufschlagen ohne mit der Frage konfrontiert zu werden: Was ist gerecht? Dabei geht es meist um die Verteilung von Einkommen und Vermögen. Aber: Gerechtigkeit meint viel mehr, gerade im christlichen Denken. Und Gerechtigkeit in diesem viel weiteren Sinne ist uns in der

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Union Richtschnur unseres politischen Denkens und unserer politischen Arbeit. Aus meiner Sicht sind zwei miteinander verbundene Ideen wichtig: Das Sozialstaatsprinzip, das in unserem Grundgesetz verankert ist, und das Prinzip der Subsidiarität. Beide Prinzipien stammen aus einer Tradition, die älter ist als die Bundesrepublik Deutschland. Es ist die Katholische Soziallehre. Sie hat das Ordnungsdenken der Union von Anfang an geprägt – bis heute! Schauen wir auf den ersten Leitbegriff der Soziallehre: die Würde des Einzelnen. Jedem Menschen als Geschöpf Gottes kommt diese zu, sie ist im christlichen Menschenbild unantastbar. Wer dieses Menschenbild im Herzen trägt, für den ist klar: Gerecht ist mein Handeln, wenn es die Würde meiner Mitmenschen erhält und mehren hilft. Der zweite Leitbegriff ist die Solidarität. Das ältere Wort dafür ist Brüderlichkeit. Wir sind als Menschen, als Geschöpfe Gottes einzigartig, aber wir können nicht allein leben und überleben. Ein Beispiel: Ein Neugeborenes wird in eine soziale Beziehung hineingeboren, es erhält von


den Eltern Nahrung, Kleidung, Pflege und Zuwendung. Aber nicht nur als Kinder sind wir auf unsere Mitmenschen angewiesen. Keiner von uns könnte ohne seine Mitmenschen gut leben. Sei es bei der Arbeit oder im häuslichen Umfeld. Jeder kennt die banale Situation, wo zwei Hände nicht reichen, um eine Arbeit zu erledigen. Damit bin ich beim dritten Leitbegriff, der Subsidiarität. Er besagt: Der einzelne soll tun, was in seinen Kräften steht. Er wird dabei unterstützt von der Gemeinschaft um ihn herum: Familie, Nachbarschaft, Kirchgemeinde, Kollegen, Sportkameraden und so weiter. Erst wenn dies nicht mehr ausreicht, ein Leben in Würde zu ermöglichen, dann muss der Staat mit seinen viel größeren Ressourcen eingreifen. Würde, Solidarität, Subsidiarität – das sind aus christlicher Sicht die Leitbegriffe. Mithilfe dieser Begriffe können wir uns nun konkreten Gerechtigkeitsfragen zuwenden. Sie kennen vielleicht die Kunstpostkarten aus dem Maria-Laach-Verlag. Eine zeigt einen Fingerabdruck und dazu den Satz: „Jeder Mensch ist ein Gedanke Gottes.“ Unsere, diese Einzigartigkeit ist Teil un-

serer Menschenwürde. Sie zeigt sich unter anderem darin, dass wir mit verschiedenen Anlagen auf die Welt kommen. Wir werden in verschiedene Familien hineingeboren. Und wir entwickeln im Laufe des Lebens verschiedene Talente. Der eine ist ein mathematisches Genie. Dem Zweiten fällt es leicht, Sprachen zu lernen. Der Dritte hat goldene Hände und der Vierte einen grünen Daumen. Wie gehen wir damit um? Man könnte provokant formulieren: Müssen wir nicht bei den ungleich verteilten Talenten eine Umverteilung vornehmen? Das wäre die von vielen geforderte Chancengleichheit. Oder ist unsere Position nicht vielmehr die: Diese Ungleichverteilung ist gerecht, wenn jeder seine individuellen Kräfte und Anlagen voll entfalten und in die Gesellschaft einbringen kann. Das ist die Chancengerechtigkeit, für die wir in der Union uns einsetzen. Also: Wir in der Union haben uns für die Chancengerechtigkeit entschieden. Warum? Weil wir glauben, dass Chancengleichheit zu Uniformität führt. Das verletzt unsere Menschenwürde, richtet sich gegen unsere Einzigartigkeit. Die Chancengerechtigkeit dagegen trägt unserer Würde und Einzigartigkeit Rechnung.

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Was folgt nun aus dieser Forderung nach Chancengerechtigkeit? Es soll eben nicht der Bildungshintergrund, die soziale Vernetzung oder der Geldbeutel des Elternhauses darüber entscheiden, ob jeder von uns ein Leben in Würde führen kann. Nein, das Idealbild ist vielmehr: Jeder soll durch gute Bildung seine Anlagen entfalten und sich gesellschaftlich einbringen können. Das ist uns in Sachsen besonders wichtig. Deshalb haben wir mit der Bildung nicht herumexperimentiert, sondern für Kontinuität gesorgt. Aus guten Gründen – die Spitzenergebnisse unseres Bildungswesens sprechen für sich. Also: Es ist unstrittig, dass gute Bildung nötig ist, um Chancengerechtigkeit herzustellen. Darüber gibt es einen breiten Konsens. Aber wie so oft steckt der Teufel im Detail. Ein Beispiel: Wie weit soll die Schule mit ihren Bildungsangeboten gehen? Da kann man sagen: das Recht und die Pflicht zur Erziehung haben zuerst die Eltern. Schulunterricht muss reichen. Andere meinen: Das reicht aber nicht, wenn man will, dass Kinder aus allen sozialen Schichten es auf die Universität schaffen. Man weitet deshalb die schulischen Bildungsangebote auf die Freizeit aus, Stichwort: Ganztagsangebote. So lange diese Angebote freiwillig wahrgenommen werden, ist das kein allzu großer Eingriff in die Erziehungshoheit

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der Eltern. Das ist die Position der Sächsischen Union. Anderen geht das nicht weit genug. Sie wollen verpflichtende Ganztagsangebote, um den unterschiedlichen Bildungshintergrund der Eltern auszuschalten. Da stellt sich die Frage: Respektiert eine solche Pflicht und ein solch weitreichender Eingriff in die Erziehungshoheit der Eltern die Einzigartigkeit, die Würde des Menschen? Eine andere Frage: Wer ist eigentlich dafür zuständig, Chancengerechtigkeit herzustellen? Die Familien selbst können das nicht immer. Sie brauchen im Sinne der Subsidiarität Hilfe zur Selbsthilfe. Das ist unstrittig. Aber: Soll diese Hilfe zur Selbsthilfe nur der Staat leisten? Nun bin ich – wie die meisten hier – in der DDR aufgewachsen, wo es ein solches Denken gar nicht gab. Statt um Hilfe zur Selbsthilfe ging es bei der Bildung immer um die „staatliche Lufthoheit in den Kinderzimmern“. Die demokratische Bundesrepublik dagegen ist ein Staat, in dem die Subsidiarität ein grundlegendes Prinzip ist, und das heißt: Es gibt, erstens, Hilfe zur Selbsthilfe, und sie kommt, zweitens, nicht allein vom Staat, sondern auch von der Zivilgesellschaft. Es gibt ein großes Engagement von Vereinen und Stiftungen, die sich um die Bildungswege von Kindern und Jugendlichen kümmern. Sie ergänzen die staatlichen Ressourcen vor Ort, weil die Zivilgesellschaft Bildung


nicht nur anders macht als der Staat, sondern oft auch besser. Doch bei allem Bemühen von Familien, Staat und Zivilgesellschaft: Wir bleiben Menschen mit unterschiedlichen Talenten, mit unterschiedlichen Möglichkeiten! Das ist auch gut so, denn es macht unsere Würde als Menschen aus. Deswegen ist für uns als Christdemokraten klar: Chancengleichheit ist eine Utopie, die zu kollektivistischem Zwang führt. Will eine Gesellschaft dagegen Chancengerechtigkeit herstellen, darf sie das nicht dem Staat allein überlassen. Das unterscheidet uns in der Union und unser politisches Denken von Anderen.

bringen kann. Das führt mich zu meinem zweiten Beispiel, der Leistungsgerechtigkeit. Wie gehen wir mit unterschiedlichen Leistungen um? Sollen alle den gleichen Lohn bekommen? So oder so ähnlich kennen wir es aus DDR-Zeiten. Die Lohnunterschiede damals waren im Vergleich zu heute unwesentlich. Nun werden Fragen nach dem gerechten Preis und dem gerechten Lohn nicht erst seit DDR-Zeiten, sondern schon seit Tausenden von Jahren diskutiert. Die Frage ist: Wie beantworten wir sie heute?

Deswegen war für die Sächsische Union von Anfang an klar: In der Verfassung des Freistaats muss etwas über die Mitverantwortung der Zivilgesellschaft im Bildungsbereich stehen. Deswegen gewährleistet Artikel 102 Absatz 3 der sächsischen Verfassung das Recht, Schulen in freier Trägerschaft zu gründen. Sicherlich macht uns das aktuell bei der Schulnetzplanung einigen Kummer. Aber unter dem Gesichtspunkt der Chancengerechtigkeit ist diese Regelung nach wie vor goldrichtig.

Im Saurierpark in Kleinwelka habe ich ein Bild gesehen, das uns der Antwort näherbringt. Ein Bild, das arbeitsteiliges, gemeinschaftliches Handeln darstellt. Es zeigt, wie ein Mammut erlegt wird – nicht von einem einzelnen Jäger, sondern von einer ganzen Horde, die zusammenarbeitet: Sie haben das Mammut in eine Felsschlucht getrieben, wo eine Grube ausgehoben ist. Ringsherum werfen Jäger ihre Speere auf das Mammut, um es zu töten. Und von oben, vom Berg herunter, werfen andere Mitglieder der Horde große Felsbrocken auf das Tier. Das ist ein archaisches Bild. Aber es ist bis heute so: Wir wirtschaften gemeinsam und arbeitsteilig.

Liebe Freunde, ich habe vorhin beim Stichwort Chancengerechtigkeit gesagt: Es ist eine Frage der Menschenwürde, dass jeder sich mit seinen Kräften ein-

Für das Überleben der Steinzeithorde war klar: Jeder muss einen Anteil am Mammut bekommen. Nicht unbedingt jeder den gleichen Anteil. Die Jäger, die

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das Mammut in die Schlucht getrieben hatten, waren größerer Gefahr ausgesetzt als jene, die vom sicheren Berg Felsbrocken herunterwarfen. Aber: Es wäre für das Überleben der Horde nicht gut gewesen, wenn die mutigen Jäger den weniger Mutigen nicht genug zum Leben übrig gelassen hätten, denn allein mit ihren Speeren hätten sie das Mammut nicht erlegen können.

hat in den letzten Jahren riesige Verluste produziert. Dennoch bekamen rund 1.000 Investmentbanker Boni von im Schnitt mehr als 300.000 Euro. Hingegen bekamen Mitarbeiter im Privatkundengeschäft der Deutschen Bank, die den größten Teil des Konzerngewinns erwirtschaftet haben, vergleichsweise kärgliche 6.000 Euro Bonus. Ist das leistungsgerecht?

Leistungsgerechtigkeit heißt also: Es liegt im Eigeninteresse, mehr zu leisten, weil man dann auch einen größeren Teil des Sozialprodukts – in unserem Bild: des Mammuts – als Lohn bekommt als andere, die weniger leisten, weil sie nicht können oder sich nicht trauen. Ich glaube, über dieses Prinzip gibt es auch heute keinen Streit, jedenfalls in unserer Partei.

Zur Leistungsgerechtigkeit gehört aber nicht nur die Einkommensverteilung. Ein zweites Wesensmerkmal der Sozialen Marktwirtschaft ist das Aufstiegsversprechen. Lange war das mehr als ein Versprechen. Sozialer Aufstieg dank Leistung war möglich. Ein Beispiel dafür aus den Reihen der CDU ist Ronald Pofalla, Vater Fabrikarbeiter, Mutter Putzfrau. Dass er einmal Kanzleramtsminister werden würde, war ihm wahrlich nicht in die Wiege gelegt.

Ebenso gibt es keinen Streit darüber, was Soziale Marktwirtschaft ist. Der Begriff macht deutlich, was Wirtschaften ist: ein soziales Tun. Und soziales Tun funktioniert nur, wenn es Leistungsgerechtigkeit gibt, wenn also, um im Bild zu bleiben, jeder ein Stück vom Mammut abbekommt. Kontrovers wird es freilich bei der Frage: Welcher Lohn ist jetzt gerecht? Ist es ungerecht, wenn eine Friseurin in Görlitz weniger verdient als eine in Flensburg? Oder, ein aktueller Fall, den die F.A.Z. publik machte: Das Investmentbanking der Deutschen Bank

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Aber: nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung hat die soziale Mobilität deutlich abgenommen. Wer am unteren Ende der Einkommensverteilung ist, der bleibt meist auch dort, und wer sich am oberen Ende befindet, fällt selten nach unten. Nach allem, was man weiß, haben aber nicht die Leistungsbereitschaft und der Aufstiegswillen abgenommen. Es scheint also Marktkräfte zu geben, welche den Aufstieg in der Einkommenshierarchie verhindern.


Nun ist die CDU die Partei Ludwig Erhards. Und außer seinem Kernsatz „Wohlstand für alle“ verbinden wir mit ihm dieses Versprechen des sozialen Aufstiegs. Warum ist dieses Versprechen so wichtig? Weil es eine Frage der Menschenwürde ist. Für Ludwig Erhard war klar: Wirtschaftliche Macht, Marktmacht, behindert nicht nur den Wettbewerb. Sondern sie richtet sich auch gegen die Menschenwürde all derer, die durch Machtmissbrauch vom Markt ausgeschlossen und um die Früchte ihrer Arbeit gebracht werden. Ludwig Erhard setzte dagegen klare ordnungspolitische Überzeugungen und Maßnahmen. Leistung muss sich lohnen, und Wettbewerb wird über Leistung ausgetragen. Sein Kartellgesetz verbot deshalb leistungs- und wettbewerbsfeindliche Unternehmensabsprachen und damit im Prinzip unfaire Marktmacht. Der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft hat das gut getan. Und das war längst nicht die einzige Stelle, wo der Marktwirtschaft Zügel angelegt wurden. Beispiele sind die Anerkennung der Tarifautonomie, die Bildung von Gewerkschaften, die Arbeitsschutz-Gesetzgebung und die betriebliche Mitbestimmung, um nur einige wenige zu nennen. Der gemeinsame Nenner dieser Maßnahmen ist: Sie stellen die Menschenwürde in das Zentrum der Betrachtung. Das heißt, auch beim Thema Leistungsge-

rechtigkeit müssen wir fragen: Was heißt ein bestimmter Lohn, ein bestimmtes Lohngefälle für die Würde des Einzelnen? Liebe Freunde, ich komme zu meinem dritten Punkt, zur Steuergerechtigkeit. Warum zahlen wir Steuern? Der Staat schafft unverzichtbare Voraussetzungen dafür, dass wir unsere Chancen nutzen und Leistung bringen können. Er baut Straßen, über die wir zu unserer Arbeit pendeln können, er baut Schulen, an denen wir Lesen, Schreiben und Rechnen lernen, er schafft ein Gesundheitssystem, in dem auch Menschen mit geringem Einkommen auf dem Stand des modernsten medizinischen Fortschritts behandelt werden. Dafür braucht der Staat Geld und nimmt von uns Steuern. Steuern sind der finanzielle Beitrag des Bürgers zum Gelingen des gesellschaftlichen Miteinanders. Prägend ist dabei der Gedanke: „Die starken Schultern sollen mehr tragen als die schwachen Schultern.“ Wie prägend, das zeigt ein aktuelles Beispiel, das sich nicht vermeiden lässt: Uli Hoeneß. In der ganzen Diskussion um seine Steuerhinterziehung habe ich niemanden sagen hören: Der verdient zu viel. Als Unternehmer und ehrenamtlicher Präsident des FC Bayern genießt er nach wie vor hohe Anerkennung. Dass er aber Teile seines Einkommens der Besteuerung entzogen hat, das hat in der deutschen Öffentlich-

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keit viele aufgeregt, ist meine Wahrnehmung. Warum? Wenn jemand weniger Steuern zahlt, als er soll – dann entzieht er uns als Gemeinschaft Mittel. Das empfinden die meisten von uns als ungerecht, denn wir brauchen diese Mittel, um unsere schwachen individuellen Kräfte mit Hilfe des Staates zu bündeln und durch die Ressourcen des Staates zu stärken. Andererseits hatte Uli Hoeneß offenbar das Gefühl, seine Steuerbelastung sei zu hoch, diese sei ungerecht. Ist also in Wirklichkeit unser Steuersystem ungerecht? Wohl eher aus der Sicht der Mittelschicht. Deren Lohnerhöhungen werden durch Steuern und Inflation meist wieder aufgefressen. Die Mittelschicht fühlt sich als Lastesel der Nation. Kalte Progression und Mittelstandsbauch sind dafür die Schlagwörter. Wie wir mit solch unterschiedlichen Sichtweisen umgehen, ist eine spannende Gerechtigkeitsfrage. Liebe Freunde, das Wort „sozial“ habe ich an diesem Abend schon oft benutzt, das Wortpaar „soziale Gerechtigkeit“ dagegen noch nicht. Was ist soziale Gerechtigkeit? Man könnte sie beschreiben als die Summe dessen, wovon ich gesprochen habe: Chancen-, Leistungs- und Steuergerechtigkeit. Aber: So eingängig der Begriff „soziale Gerechtigkeit“ ist, so unbestimmt wird er oft verwendet. Ein Beispiel. Jeder meint zu wissen: Die

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25 Millionen Rentner von heute sind für die Beitragszahler in der Rentenversicherung eine viel größere Last als noch vor 40 Jahren. In der Tat kamen damals – vor 40 Jahren – auf einen Beitragszahler 1,69 Rentner. Heute sind es 1,76 Rentner je Beitragszahler. Da kann man sagen: Das ist doch ungerecht! Und dann soll diese Rentenlast auch noch steigen! Die Rente mit 63 ist jetzt durch, dazu kommt noch die Mütterrente. Ist also die Finanzierungslast der jetzigen Generation in der Rentenversicherung sozial gerecht? Oder anders formuliert: Ist unser heutiges Rentensystem überhaupt generationengerecht? Die Antwort lautet Nein, wenn man nur auf die Zahllast schaut. Das Verhältnis von Rentnern und Erwerbstätigen ist heute ungünstiger. Aber was ist eigentlich mit den Möglichkeiten der Beitragszahler, diese Last zu tragen? Auch da ist ein Blick in die Statistik hilfreich. Um 1900 kamen auf eine deutsche Frau im Durchschnitt 5 Kinder. In den 60er Jahren waren es noch etwa 2,5 Kinder je Frau. Das heißt: Die heutigen Rentner aus der Babyboomer-Generation haben für jedes ihrer Kinder doppelt so viel Zeit (und Geld) investieren können wie ihre Großeltern. Das Ergebnis ist: Die heutige mittlere Generation, die wegen der großen Rentenlast stöhnt, ist auch die bestausgebildetste deutsche


Generation aller Zeiten, die produktivste und kreativste. Ihre Rentenlast ist zwar größer als die der Vorgängergeneration – aber auch ihre Möglichkeit, diese Last zu tragen. Ganz so ungerecht ist die Rentenlast also doch nicht! Mit dem Beispiel möchte ich sagen: Wir sollten Begriffe wie „soziale Gerechtigkeit“ nicht leichtfertig verwenden, sondern immer erst einmal den Sachverhalt aus allen Richtungen betrachten – und nachdenken. Nachdenken vor allem über Prinzipien und Normen wie die, welche die Katholische Soziallehre hervorgebracht hat. Denn nur, wenn man klare Begriffe hat, kann man sich überhaupt sinnvoll über die Gerechtigkeitsfragen unserer Zeit unterhalten. Das Bemerkenswerte ist: Das Denken der Katholischen Soziallehre hat unser Grundgesetz geprägt – und prägt damit bis heute auch das Denken vieler Nichtchristen. Und das ist gut so – denn sonst könnte Deutschland kein sozialer Bundesstaat sein, wie es im Grundgesetz steht. Ich komme zum Schluss und damit zu unserem Kompass, den wir hier beim Johann-Amos-Comenius-Club immer wieder diskutieren und neu justieren. Die Menschenwürde ist das grundlegende Prinzip unseres Zusammenlebens.

Geht man von der Menschenwürde aus, lassen sich folgende Grundsätze aufstellen: Wir handeln gerecht, wenn wir tun, was aus Sicht der Menschenwürde unseres Nächsten notwendig ist. Wir handeln gerecht, wenn wir den Hilfsbedürftigen mit seiner Würde in den Mittelpunkt stellen. Das heißt: ihm nicht Almosen zukommen lassen, sondern Hilfe zur Selbsthilfe bieten. Es ist eine Frage der Würde, dass er sich selbst helfen kann. Wir handeln auch gerecht, wenn wir selbst helfen, wo Hilfe gebraucht wird, statt erst einmal nach dem Staat zu rufen. Wir handeln gerecht, wenn wir selbst anpacken, um unsere Städte und Dörfer lebenswerter zu machen. Und wir handeln gerecht, wenn wir aufopfernde Eltern und Großeltern sind, die sich bei der Kindererziehung nicht vollends auf den Staat, auf Krippe, Kindergarten, Schule und Hort verlassen. Kurzum: Wir handeln gerecht, wenn wir uns auf unser christliches Menschenbild besinnen und unser Leben, den Staat und die Gesellschaft selbst mitgestalten. Das tun wir: In den Familien, Unternehmen, Parlamenten, Vereinen und nicht zuletzt bei Wahlen – dazu haben wir am 31. August wieder Gelegenheit. Lassen Sie uns mit diesem Kompass in der Tasche hinausgehen und unser sächsisches Heimatland ein Stück gerechter machen!

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Schlusswort Dr. Fritz Hähle Ein abschließendes Wort zur Gerechtigkeit: Ich sitze als Protestant zwischen zwei katholischen Christen. Ich erlaube mir deshalb darauf hinzuweisen, dass wir im Jahr 2017 das 500. Reformationsjubiläum feiern werden und dazu habe ich noch ein Wort von Luther; er erklärte 1527 in einer Vorlesung über Jesaja: „Merke auf die neue Definition der Gerechtigkeit: Gerechtigkeit heißt Christus erkennen.“ Jetzt wird mancher sagen „Ich glaube nicht an Gott“. Und ich sage: „Gott glaubt aber an Euch“. Und diese kulturelle Prä-

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gung lässt uns überhaupt erst nach Gerechtigkeit fragen und nach Gerechtigkeit streben. Und das nehmen Sie bitte zusammenfassend mit aus diesem Comenius-Club. Vielen Dank, dass Sie gekommen sind und dass wir uns jetzt noch ein wenig unterhalten können. Der nächste Comenius-Club findet am 06. September 2014, 10.00 Uhr, in Großenhain, anlässlich des Tages der Sachsen statt. Es referiert Herr Staatsminister Markus Ulbig.


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Impressum Was ist gerecht? Veranstaltung am 3. Juni 2014 Herausgeber CDU-Fraktion des Sächsischen Landtages Redaktion Jan Donhauser Satz, Gestaltung und Druck Z&Z Agentur Dresden Dresden, Juli 2014 Diese Broschüre wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der CDU-Fraktion des Sächsischen Landtages herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlhelfern im Wahlkampf zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Den Parteien ist es gestattet, die Druckschrift zur Unterrichtung ihrer Mitglieder zu verwenden.

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