Oskar Schlemmer. Tänzermensch

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OSKAR SCHLEMMER TÄNZERMENSCH

INHALT 1.  ALLGEMEINE EINFÜHRUNG... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 03 2.  BIOGRAFISCHE HINWEISE.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 04 3.  DER AUSSTELLUNGSPARCOURS. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 07 4.  DIE KÜNSTLER. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 5.  UNSERE PARTNER. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 6.  BILDMATERIAL FÜR DIE PRESSE. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

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1. ALLGEMEINE EINFÜHRUNG OSKAR SCHLEMMER TÄNZERMENSCH Vom 13. Oktober 2016 bis 16. Januar 2017 GALERIE 2

Der Centre Pompidou-Metz widmet seine neue Ausstellung einer herausragenden Figur der Kunst des 20. Jahrhunderts: dem deutschen Künstler und Choreografen Oskar Schlemmer (1888-1943), der die Kunstformen Tanz und Bühnendarstellung revolutionieren sollte, insbesondere als Mitglied des Bauhauses. Indem er das Studium des Körpers in Bewegung und des Körpers im Raum ins Zentrum seiner künstlerischen Überlegungen stellte, gelangen Oskar Schlemmer mit seinen Werken grundlegende Meilensteine der Geschichte der szenischen Künste. Die Ausstellung bezeugt seinen Wunsch, eine völlig eigenständige, moderne Bühnenkunst zu entwickeln; am Beispiel seines Paradewerks, dem Triadischen Ballett, aber auch Anhand seiner Aufführungen, Tänze und Bauhaus-Feste, oder auch seiner Inszenierungen bedeutender Komponisten wie Igor Strawinsky oder Arnold Schönberg. Schlemmer hatte keinen geringeren Ehrgeiz, als die Kunstkonzeption seiner Zeit zu erneuern, indem er die humanistischen Ideen der Renaissance mit der Energie der Avantgarde verband. Als „Formmeister“ und später als Leiter des Unterrichtsfachs „Der Mensch“ am Bauhaus erwuchsen zwischen 1921 und 1929 aus seinen Ideen und Theorien radikal neue Formen. Die Ausstellung macht diesen anspruchsvollen und für alles Neue offenen Werdegang anhand bedeutender und spektakulärer Werke deutlich, die zum Großteil aus den Sammlungen des Bühnen Archiv Oskar Schlemmer stammen. Das Werk Oskar Schlemmers öffnet den Blick auf ein anderes Bauhaus, das, jenseits der berühmten Schule für Architektur und angewandte Kunst, eine zentrale Plattform für performative und choreografische Experimente der Zwischenkriegszeit darstellte, deren Wirkungen bis in unsere Zeit hinein spürbar sind. Das Herz der Ausstellung bilden die faszinierenden, von Oskar Schlemmer erfundenen Figurinen – Kostümkörper, die sich auf einer großen Bühne entfalten, um die herum zahlreiche Zeichnungen angeordnet sind, allen voran das außergewöhnliche Skizzenbuch „Tanz Figurinen“, in dem das Denken Schlemmers über einen Zeitraum von fünfzehn Jahren zusammengefasst ist; daneben lassen das Foto- und Filmarchiv die Atmosphäre jener Epoche wieder lebendig werden. Die Schau präsentiert zudem einen reichen Korpus an Werken von Giorgio de Chirico, Constantin Brancusi, Alexandra Exter oder auch von Künstlern, denen Schlemmer am Bauhaus begegnete – allen voran Wassily Kandinsky, László Mohoy-Nagy und Paul Klee – die den elementaren Charakter des wechselseitigen Einflusses zwischen dem Werk Schlemmers und dem seiner Zeitgenossen offenbaren. Die von einem Rahmenprogramm begleitete Ausstellung bietet die Gelegenheit, die Dynamik des Bauhauses als eine allen Experimenten offene Bühne zu erleben. Dieses Projekt fügt sich sinnvoll in das Programm des Centre PompidouMetz ein, der zu den Erben dieser bahnbrechenden Versuche der Aufweichung der Kunstgrenzen gehört und mit der Ausstellung Musicircus. Meisterwerke des Centre Pompidou, Musée national d’art moderne die Verbindung zwischen Musik und den bildenden Künsten des 20. Jahrhunderts auslotet, die das Grande Nef mit ihren Klängen erfüllt.

Ausstellungsleitung : C. Raman Schlemmer Emma Lavigne, Direktorin des Centre Pompidou-Metz

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2. BIOGRAFISCHE HINWEISE (Auszüge aus der von C. Raman Schlemmer, dem Enkel des Künstlers, verfassten Biografie Oskar Schlemmers, erschienen in: Oskar Schlemmer, unter der Leitung von Corinne Diserens, RMN- Musées de Marseille, 1999).

1888

Oskar Schlemmer wird am 4. September in Stuttgart geboren.

1905

Er besucht die Stuttgarter Kunstgewerbeschule. In dieser Zeit entstehen erste Aktzeichnungen und Gemälde, etwa Stillleben mit Kasperpuppe.

1906- Dank eines Stipendiums wird er in die Stuttgarter Akademie für Bildende Künste aufgenommen. 1909 Dort begegnet er Willy Baumeister und dem drei Jahre älteren schweizerischen Maler Otto Meyer-Amden, mit dem er bis zu dessen Tod eng befreundet bleiben sollte und einen intensiven Briefwechsel unterhielt. Impression, Sonnenaufgang von Monet, das bei einer ersten Ausstellung der Impressionisten im ehemaligen Atelier des Fotografen Nadar gezeigt wird, gibt der Gruppe ihren Namen. Viel beachtete Teilnahme von Max Liebermann am Salon de Paris. 1910- Schlemmer nimmt an der Akademie Urlaub, um in Berlin arbeiten zu können. Im Jahr 1911 1912 entstehen bedeutende Landschaftsgemälde, Selbstporträts, Stillleben und Innenansichten an, in denen er sich zwingt, die Formen zu vereinfachen und die Darstellung nach streng kubistischen Regeln zu strukturieren. Er lernt Herwarth Walden kennen, der seit 1910 die Zeitschrift „Der Sturm“ herausgibt und im Frühjahr 1912 Oskar Kokoschka und den Blauen Reiter ausstellt, später die Futuristen. Er sieht bei Gurlitt die letzte Ausstellung der Gruppe „Die Brücke“, die sich noch im gleichen Jahr auflösen sollte. In diesem Frühjahr 1912 widmet er sich der Lektüre von Wassily Kandinskys gerade erschienenem Werk „Über das Geistige in der Kunst“ und erwirbt im Juli den Almanach des Blauen Reiter. Zurück in Stuttgart, wird Schlemmer im Frühjahr 1912 von Adolf Hölzel entdeckt, der ihn zum Leiter seiner Kunstklasse macht. Erste Erfahrungen mit dem Tanz und erste Notizen über den Tanz in seinem Tagebuch. 1913

einige von Hölzel und seinem 'Meisterschüler' Oskar Schlemmer. Das einzige von der Jury akzeptierte Werk Schlemmers (Landschaft mit weißem Haus) wurde von der Galerie der Stadt Stuttgart gekauft. Schlemmer ist enttäuscht, dass seine in Berlin entstandenen Bilder nicht ausgestellt wurden. Mit seinem Bruder Willy gründet er am 6. Mai den Neuen Kunstsalon am Neckartor (1913-1914), eine Galerie, in der sie erstmals moderne Kunst als Alternative zu den offiziellen Ausstellungen in Stuttgart zeigen, die von Jurys zensiert werden: Hier stellen Gabrielle Münther, Otto Meyer-Amden, Willi Baumeister, George Braque, Juan Gris, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Oskar Kokoschka, August Macke und Franz Marc aus … 1914

Hölzel überträgt seinen Schülern Schlemmer, Baumeister und Hermann Stenner die Aufgabe, drei Wandgemälde für die Halle des Hauptgebäudes der Werkbundausstellung in Köln er erstellen. Während dieser Arbeiten macht Schlemmer die Architekten Walter Gropius und Adolf Meyer auf sich aufmerksam. Schlemmer nimmt an mehreren Ausstellungen in Europa teil. Im September 1914 meldet er sich freiwillig und wird an die Westfront verlegt. Nach einer im Oktober erlittenen Verletzung wird er in mehreren Militärkrankenhäusern behandelt.

1915

Nach seiner Genesung wird Schlemmer an die Ostfront abkommandiert, wo er erneut verletzt wird. Nach einem Krankenhausaufenthalt und einer Genesungsphase in seiner Heimatgarnison lernt Schlemmer Johannes Itten kennen, einen weiteren Schüler Hölzels. Er entfernt sich noch weiter von der traditionellen Malerei und der Trend zur Abstraktion gewinnt in den Gemälden dieses Jahres deutlich die Oberhand (beispielsweise Komposition auf Rosa. Verhältnis dreier Figuren).

1916

Dienst in der Kaserne. Im März wird er zu einer kartografischen Einheit nach Mulhouse abkommandiert, die später nach Colmar umsiedelt. Gegen Ende des Krieges kehrt er nach Stuttgart zurück und arbeitet an Tänzen, die bei einem Wohltätigkeitsfest des Regiments aufgeführt werden. Erste Teilaufführung des Triadischen Balletts.

Im Mai wird in Stuttgart das Kunstgebäude eingeweiht, das zwei künstlerische Einrichtungen beherbergt. Aus diesem Anlass ist ein große Ausstellung zu sehen, die Werke von Cézanne, Gauguin, Van Gogh, Manet, Monet und Renoir neben zeitgenössischen Arbeiten zeigt, unter ihnen

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1918

Ausstellung in Stuttgart mit Baumeister. Aus dem Militärdienst entlassen, kehrt er als Assistent der Akademie, die ihm ein Atelier zur Verfügung stellt, nach Stuttgart zurück.

1919

Schlemmer wird in den Studentenausschuss der Akademie Stuttgart gewählt. Doch seine Reformversuche scheitern am Widerstand der Professoren; auch sein Vorschlag, Klee zum Nachfolger von Hölzel zu machen, wird abgelehnt. Im Mai erhält er das Manifest des Staatlichen Bauhauses, das von Gropius soeben in Weimar gegründet hatte, indem er zwei ehemalige Akademien der Schönen Künste, die während des Krieges aufgelöst worden waren, vereinte. Schlemmer konzentriert sich auf seine Tanzprojekte und fertigt einige Gemälde sowie seine ersten Skulpturen an.

1920

Um sich auf seine Arbeit am Triadischen Ballett konzentrieren zu können, verlässt Schlemmer im April die Akademie. Er lernt den Musiker Paul Hindemith kennen. Im September heiratet er Helena Tutein, genannt Tut. Im Januar 1920 präsentiert Walden in der Galerie Der Sturm neue Werke von Baumeister, Dexel und Schlemmer. Die neunzehn Gemälde und fünfzehn Zeichnungen Schlemmers sind das Gravitätszentrum der Ausstellung. Seine Werke und sein Ansatz bringen Schlemmer allgemeine Bewunderung ein und die Ausstellung wird von der Dresdner Galerie Arnold sowie dem Folkwang Museum Hagen übernommen. Im Dezember tritt Oskar Schlemmer seinen Posten als Meister der Form am Staatlichen Bauhaus Weimar an, wo er als Dozent dem illustren Kreis um Walter Gropius, Lyonel Feininger, Johannes Itten, Paul Klee und anderen mehr beitritt.

1921

1922

Berufung Kandinskys ans Bauhaus. Schlemmer wird die Aufgabe übertragen, ein neues Logo für die Hochschule (siehe unter) zu entwerfen. Er übernimmt als Meister der Form die Fächer Holz- und Steinbildhauerei. Am 13. März erfolgt die erste Aufführung seines „Figuralen Kabinetts“ am Bauhaus. Am 30. September wird das Triadische Ballett erstmals in Stuttgart aufgeführt (Schlemmer tanzt unter dem Pseudonym Walter Schoppe). Gropius bestellt bei ihm die Innenausstattung und den Theatervorhang für das Stadttheater in Jena, das er mit Meyer renoviert. Schlemmer arbeitet dort mit seinen Studenten, doch da Gropius eine kritische Äußerung Theo van Doesburgs hinsichtlich des Dekors zu Ohren gekommen war, lässt er es vor der Einweihung überdecken. Geburt seiner Tochter Ute Jaina.

1923

Für die erste Ausstellung des Bauhauses bietet Schlemmer an, die Wände der Werkstadt-Räume malerisch zu gestalten und dort Skulpturen aufzustellen. Im Rahmen der Bauhaus-Woche führt Schlemmer das Triadische Ballet in Weimar auf.

1924

Er fertigt seine „Galeriebilder“ sowie die Wandmalereien im Haus des Architekten Meyer in Weimar an. Er stellt in Stuttgart und Berlin aus und leitet die Inszenierungen an der Berliner Volksbühne Erwin Piscators und am Nationaltheater Weimar.

1925

Geburt seines Sohns Tilman. Im April siedelt ein Teil des Bauhauses nach Dessau um. Gropius hatte zunächst nicht geplant, den Vertrag Schlemmers zu verlängern, bietet ihm dann aber doch eine halbe Stelle als Meister an und überträgt ihm die Aufgabe, ein experimentelles Theater in einem geeigneten Aufführungsraum aufzubauen, der im zukünftigen Gebäude der Hochschule untergebracht werden sollte, das Gropius gerade errichtete. Man bietet ihm eines von Gropius’ Herrenhäusern an. Er kommt im September an und arbeitet am Typentheater. In der ersten Serie der „Bauhausbücher“, die zu jener Zeit erscheint, enthält Band 4 „Die Bühne im Bauhaus“ Beiträge von Schlemmer, László Moholy-Nagy und Farkas Molnar; Schlemmer zeichnet das Titelblatt.

1926

Anlässlich des Karnevals übernimmt Schlemmer die Organisation des ersten Bauhausfests: Dieses „weiße Fest“ sollte ein überwältigender Erfolg werden. Im Juli wird das Triadische Ballett bei den Musiktagen in Donaueschingen aufgeführt und Hindemith erklärt sich bereit, für das Stück eine Orgelmusik zu komponieren. Die Figuren des Triadischen Balletts treten auch im Rahmen der großen Brückenrevue in Frankfurt und im Metropol Theater in Berlin auf. Im Sommer zieht die Familie in das fertiggestellte Herrenhaus um, ehe das neue Bauhaus-Gebäude im Dezember eingeweiht wird. Zu diesem Anlass führt das neue Theater in einer Premiere die Bauhaustänze auf: Raumtanz, Gestentanz, Formentanz, Kulissentanz.

Am Bauhaus wird Schlemmer die künstlerische Leitung der Werkstatt für Wandbildmalerei anvertraut; er leitet auch ab und an die Kurse für Aktmalerei. Geburt seiner Tochter Karin.

Oskar Schlemmer, Bauhaus Signet , 1923 © 2016 Oskar Schlemmer, Photo Archive C. Raman Schlemmer, www.schlemmer.or

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1927

1928

1929

1930

1931

1932

Vortrag Schlemmers vor dem Freundeskreis des Bauhauses über szenische Elemente, mit praktischen Demonstrationen. Die Bauhausbühne nimmt an der Ausstellung des Deutschen Theaters Magdeburg teil. Im Juni, auf dem Tanz-Kongress, lernt er Laban kennen. Im Sommer begegnet er Hermann Scherchen am Monte Verità und sie verabreden eine Zusammenarbeit für Les Noces von Strawinsky. Im Winter gibt er den Anstoß zum Schlagwörterfest im Bauhaus. In jenem Jahr malt er nicht. Karnevalsfeier am Bauhaus, genannt „BartNasen-Herzens-Fest“. Gropius entschließt sich, das Bauhaus zu verlassen, und mit ihm gehen László Moholy-Nagy, Marcel Breuer und Herbert Bayer. Zu seinem Abschied erstellt Schlemmer eine Chronik der neunjährigen Existenz des Bauhauses, die er zusammen mit Studenten präsentiert. Im Juni feiert die Bauhausbühne einen großen Erfolg beim Tanz-Kongress in Essen. Hannes Meyer reformiert den Unterricht am Bauhaus und Schlemmer beginnt den Pflichtkurs des dritten Semesters „Der Mensch“. Eine Zeit intensiven malerischen Schaffens beginnt und er wird mit der Ausgestaltung der Wandmalereien im Brunnensaal des Folkwang Museums Essen beauftragt. Im Februar findet das schönste je im Bauhaus veranstaltete Fest statt: das „Metallische Fest“. Erfolg der Bauhausbühne in Berlin und Tournee in Frankfurt, Stuttgart und Basel. Das Theater muss jedoch interne Kritik und Angriffe hinnehmen. Schlemmer verlässt das Bauhaus in Oktober, um eine Lehrtätigkeit an der Akademie Breslau zu beginnen. Sein Abschiedsfest trägt den Titel „Der Raum und der Mensch“. Schlemmer arbeitet vor allem an den Essener Fresken und bereitet die Inszenierung einer Oper und eines Balletts von Strawinsky vor, die am Stadttheater Breslau aufgeführt werden sollen. Gropius zeigt in Paris drei Figuren des Triadischen Balletts. Von Paris aus begibt sich Schlemmer nach Berlin, um die Bühnenausstattung für Schönbergs „Die glückliche Hand“ an der Kroll Oper zu malen. Im Oktober erreicht ihn aus Weimar die alarmierende Nachricht, dass die WerkstattMalereien aus dem Jahr 1923 zerstört worden seien.

Danse wird es mit einem Preis ausgezeichnet. In Breslau malt Schlemmer seine Hauptwerke: Treppenszene, Rote Mitte, Szene am Geländer und Bauhaustreppe. Die Familie lässt sich in Berlin-Siemensstadt nieder. 1933

Am 15. Januar stirbt sein bester Freund und Bruder im Geiste Meyer-Amden. Die am Kunstverein Stuttgart geplante Ausstellung Schlemmers wird von den Nationalsozialisten verboten. Er schickt ein Protestschreiben an den Propagandaminister und Präsidenten der Reichskulturkammer Joseph Goebbels. Ab dem 30.April wird er von seinem Posten freigestellt und im August definitiv aus dem Lehrkörper ausgeschlossen. Schlemmer verlässt Berlin, die Familie wird getrennt.

19331934

Er eröffnet eine dem Andenken Meyer-Amdens gewidmete Ausstellung und Publiziert eine Monografie über dessen Arbeit. Ludwig Kirchner lädt ihn nach Davos ein. Er mietet für seine Familie ein kleines Haus in Eichberg.

19351937

Schlemmer nimmt die Malerei erst 1935 und 1936 wieder auf. Er arbeitet an Projekten für eine neue Version des Triadischen Balletts und für Das Komische Ballet. Er startet Theaterprojekte in Zürich, doch scheitern sie an fehlenden finanziellen Mitteln. Schlemmer erfährt, dass neun seiner Werke, die aus den Sammlungen deutscher Museen stammen, in der Ausstellung Entartete Kunst in München zu sehen sind.

19381940

Im Jahr 1938 und in den darauffolgenden Jahren verdient Schlemmer seinen Lebensunterhalt in einem Malerbetrieb in Stuttgart, für den er Malerarbeiten und Tarnanstriche an Gebäuden erledigt. Die große Bauhaus-Ausstellung am Museum of Modern Art in New York und die Ausstellung German Art in London lassen die Bedeutung seines Werks endgültig offen zutage treten.

19401941

Schlemmer beginnt in der Fabrik von Kurt Herberts in Wuppertal, der vom Nazi-Regime verfolgten Künstlern Unterschlupf bietet, mit neuen Lacken zu experimentieren. In seinen Briefen und seinem Tagebuch klagt er über Krankheiten und Depressionen.

19421943

Oskar Schlemmer malt in Wuppertal seine Fensterbilder. Er stirbt am 13. April 1943 in Baden-Baden.

Ausgestaltung des Hauses von Doktor Rabe in Zwenkau. Eine Notverordnung verfügt die Schließung der Akademie Breslau.

„Es ist trotz allem seltsam, wie sehr Leute, deren Meinung ich respektiere, mit immer offener sagen, dass mir das Theater am besten liegt. Natürlich habe ich dieser Vorstellung beim Bauhaus-Karneval mit dem Maskenfest Nahrung gegeben, einem Spiel mechanischer Figuren, für das ich mich, um die Angelegenheit leiten zu können, gezwungen sah, als verrückter Professor zu verkleiden: Seitdem hat das Gerücht, dessen Gegenstand ich bin, noch mehr an Gestalt gewonnen.“

Vortrag an der Kunstbibliothek Berlin über szenische Elemente und seine Theorie des Theaters. Im Juni wird er als Dozent der Vereinigten Staatschulen für Kunst in Berlin ernannt und hält seine Antrittsvorlesung über die Perspektiven. Am 4. Juli wird das Triadische Ballett auf Initiative von Fernand Léger erstmals in Paris aufgeführt. Beim Congrès international de la

Oskar Schlemmer, Brief vom 13. März 1922 an Otto Meyer-Amden

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3. DER AUSSTELLUNGSPARCOURS 1. DIE FIGUR IM RAUM Schon im Forum taucht der Besucher in die Welt Oskar Schlemmers ein und wird mit zwei seiner Meisterwerke konfrontiert, die zu den Metallskulpturen des Künstlers gehören – ein Medium, das er seit den 1920er-Jahren am Bauhaus in Weimar erforscht. Das erste Exponat, Die Gliedergruppe, gibt Einblick in seine humanistische Gedankenwelt, die sich mit der Frage der Stellung des Menschen im Raum beschäftigt, und macht die Problemfelder deutlich, die sein Werk durchziehen, von der Dreidimensionalität bis zum Bühnenraum. Von der weitläufigen Kuppel des Forums herabhängend, greift die Drahtskulptur das Thema der Begrenzungen im Raum auf, mit denen Schlemmer bei der Konzeption der Bauhaus-Tänze experimentiert: „Überraschend (für uns selbst) war vieles, was wir damals taten. So die Fixierung des Raummittelpunktes durch gespannte Seile und davon ausgehend "Spannungen", die ganz neue Raum- und Bewegungsorientierungen ergaben“, erklärt er im September 1931 in seinem Tagebuch zum „Tanz im Raum“. Die Wandskulptur „Homo mit Rückenfigur auf der Hand“ ist das Ergebnis eines Auftrags von Doktor Rabe für dessen vom Architekten Adolf Rading entworfenes Haus. Erstmals hat Schlemmer hier die Möglichkeit, sein Konzept der im Raum schwebenden Skulptur im Rahmen eines modernen architektonischen Projekts zu verwirklichen. In einem Brief an Willi Baumeister aus dem Jahr 1931beschreibt er das Werk so: „Die Drahtplastik: oder besser ‚Metallkomposition‘ oder figürliche Komposition aus verschiedenen metallischen Drähten, ist dreifigurisch, die große Figur trägt eine kleinere auf der Hand, rechts der Wand in Beziehung zu ersterem ein über fünf Meter hohes Metallprofil eines Gesichts. Die Figuren stehen zirka acht Zentimeter von der Wand ab, wodurch sich durch wechselndes Licht interessante, wechselnde Schatten bilden (in der Art der Sonnenuhr).“

Oskar Schlemmer, Drahtfigur Homo mit Rückenfigur auf der Hand, 1930-1931/1977 © 2016 Oskar Schlemmer, Photo Archive C. Raman Schlemmer, www.schlemmer.org

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2. DAS TRIADISCHE BALLETT „Das Triadische Ballett, das mit dem Heiteren kokettiert, ohne der Groteske zu verfallen, das Konventionelle streift, ohne mit dessen Niederungen zu buhlen, zuletzt Entmaterialisierung der Körper erstrebt, ohne sich okkultisch zu sanieren, soll die Anfänge zeigen, daraus sich ein deutsches Ballett entwickeln könnte, das in Stil und Eigenart so verankert wäre, um sich gegenüber vielleicht bewundernswerten, doch wesensfremden Analogien zu behaupten (russisches, schwedisches Ballett)“. Oskar Schlemmer, Tagebuch, September 1922

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wird Oskar Schlemmer die Notwendigkeit bewusst, die Stellung des Menschen in dieser neuen, von der Technik dominierten Welt neu zu bestimmen. Dieser Abschnitt seines Schaffens, in dem neue, avantgardistische Ideen für das Theater entstehen, wird von der Ausarbeitung des Triadischen Balletts geprägt. Als Frucht zehnjähriger Recherche ist dieser Tanz, von jeder a priori geltenden Regel befreit, ausgehend von polychromen Kostümen konzipiert, die in Bewegung versetzt werden. Während der Premiere des Balletts im Jahr 1922 in Stuttgart schlüpft Schlemmer selbst in ein Kostüm, das des „Abstrakten“, das den „Triumph der reinen abstrakten Form“ verkörpert. Dieses Werk, das die Überlegungen und Pläne Schlemmers für eine moderne Bühnenkunst subsummiert, ist von einer Spannung zwischen klassischen Referenzen und Innovationen durchzogen und versucht, ein Gleichgewicht der Gegensätze herzustellen. Das Schauspiel unterteilt sich in drei Farbsequenzen: das possenhafte gelbe Universum, die maßvollere rosa Umgebung und schließlich die fantastische schwarze Sequenz. Innerhalb jeder Sequenz führen ein, zwei oder drei kostümierte Tänzer Performances in achtzehn verschiedenen Kostümen auf. Dieses Gesamtkunstwerk beruht auf zahlreichen Dreiklängen, die Schlemmer in seinem Tagebuch beschreibt: „Form, Farbe, Raum; die drei Dimensionen des Raums: Höhe, Tiefe, Breite; die Grundformen: Kugel, Kubus, Pyramide; die Grundfarben: Rot, Blau, Gelb. Die Dreiheit von Tanz, Kostüm Musik, und soweiter.“ Durch Veränderungen der Musik erfährt die Atmosphäre während der Aufführung eine schrittweise Metamorphose: zu Beginn heiter, wird sie im Anschluss feierlich und zeremoniell, danach mystisch, um die Begriffe Schlemmers zu verwenden. Nach mehreren musikalischen Versuchen findet Schlemmer während der Arbeit für die Aufführung in Donaueschingen im Jahr 1926 die Musik, die am besten zu seinem Ballett passt: Diejenige des Meisters der zeitgenössischen akustischen und mechanischen Musik, Paul Hindemith, der ihm eine Begleitmusik für mechanische Orgel komponiert. Das erstmals 1916 auf die Bühne gebrachte Ballett feierte seine offizielle Premiere erst 1922 in Stuttgart. In den folgenden Jahren führt Schlemmer Das Triadische Ballett am Nationaltheater Weimar, in Dresden, in Donaueschingen und in Frankfurt auf. Im Jahr 1932 nimmt er auf Anregung von Fernand Léger mit dem Ballett am ChoreografieWettbewerb des Théâtre des Champs Elysées teil, bei dem er mit der Bronzemedaille ausgezeichnet wird.

Oskar Schlemmer, Das Triadische Ballett, Zwei Figurinen, Gelbe Reihe II, 1919 © 2016 Oskar Schlemmer, Photo Archive C. Raman Schlemmer, www.schlemmer.org

Oskar Schlemmer, Das Triadische Ballett, Plakat Leibniz-Akademie, Hannover, 1924 © 2016 Oskar Schlemmer, Photo Archive C. Raman Schlemmer, www.schlemmer.org

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FOKUS: DAS TANZ FIGURINEN SKIZZENBUCH Das aus vierundzwanzig Seiten bestehende Tanz Figurinen Skizzenbuch ist ein Skizzenheft, in dem Oskar Schlemmer Zeichnungen, Skizzen und Anmerkungen vereinte, die wahrscheinlich zwischen 1912/1916 und 1922 entstanden. Als wahrhaftiges Kondensat der Recherchen des Künstlers in den Bereichen Kostüme, Masken, die Stellung des Körpers und die Bewegungen des Tänzers, enthüllt dieses großartige Heft wertvolle Hinweise über seine Arbeitsmethode. Dieses Zeugnis seiner Wortgewandtheit und der tiefen Kohärenz seines Ansatzes lässt die Genese seines Werks erkennen, und ermöglicht insbesondere das Verständnis des kreativen Entstehungsprozesses des Triadischen Balletts.

Oskar Schlemmer, Skizzenbuch Tanz Figurinen, 1914-1922 Blatt 22a (Das Triadische Ballett, Tänzer, türkisch II, und Kostümstudien und Das Triadische Ballett, Tänzer, türkisch I, Kostümstudie Kugelrock und Tänzer, türkisch II , 1919 © 2016 Oskar Schlemmer, Photo Archive C. Raman Schlemmer, www.schlemmer.org

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3. PÄDAGOGIE UND THEORIE AM BAUHAUS „Die Geschichte des Theaters ist die Geschichte des Gestaltwandels des Menschen: der Mensch als Darsteller körperlicher und seelischer Geschehnisse im Wechsel von Naivität und Reflexion, von Natürlichkeit und Künstlichkeit. Hilfsmittel der Gestaltverwandlung sind Form und Farbe, die Mittel des Malers und Plastikers. Der Schauplatz der Gestaltverwandlung ist das konstruktive Formgefüge des Raums und der Architektur, das Werk des Baumeisters. Hierdurch wird die Rolle des bildenden Künstlers, des Synthetikers dieser Elemente, im Bereich der Bühne bestimmt. Zeichen unserer Zeit ist die Abstraktion (…).Zeichen unserer Zeit ist ferner die Mechanisierung, der unaufhaltsame Prozess, der alle Gebiete des Lebens und der Kunst ergreift.“ Oskar Schlemmer, Mensch und Kunstfigur, 1924 Die Lehrtätigkeit Oskar Schlemmers am Bauhaus spiegelt die Vielfalt und die Interdisziplinarität seiner Kunst wider: Im Jahr 1921 überträgt ihm Walter Gropius die künstlerische Leitung der Werkstatt für Wandbildmalerei, später die Werkstatt für Holz- und Steinbildhauerei; in der Folge übernimmt er die Leitung der Theaterwerkstatt sowie der Bauhausbühne. Das Theater stellt für Schlemmer die Frucht einer Synthese aus Farbe, Form und Raum dar, die vom Schauspieler dirigiert wird, der gleichzeitig als bildender Künstler, Architekt, Bildhauer, Maler und Choreograf zu verstehen ist. Seit der Eröffnung des Bauhauses im 1919 ist die Schauspielkunst, ein interdisziplinäres Fach par excellence, Teil des vielfältigen Unterrichtsprogramms der Schule, das darauf abzielt, die künstlerische Praxis aus ihren fachlichen Grenzen zu befreien. Lothar Schreyer leitet damals den ersten in einer Kunsthochschule angebotenen Theaterkurs. Seine dort betriebenen Forschungen folgen allerdings der Kontinuität des expressionistischen Theaters, in dem die Gefühle der wichtigste Leitfaden des Werks bleiben, weit entfernt vom Grundprinzip des Bauhauses, das auf der Verbindung von Kunst und Technik beruht, deren Höhepunkt in der Herrschaft der reinen Form liegt. Dieser unüberwindliche Gegensatz veranlasst Schreyer im Jahr 1923 zu seiner Kündigung. Die Ernennung Oskar Schlemmers zu seinem Nachfolger stellt aufgrund dessen zahlreicher Innovationen im Bereich der Darstellung einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte der Bühnenkunst dar. Im Jahr darauf veröffentlicht Schlemmer in Band 4 der Bauhausbücher seinen grundsätzlichen Text „Mensch und Kunstfigur“, in dem er sein grundlegendes Konzept der Bühnenkunst entwickelt, wobei er auf zunächst symbolische, dann praktische Weise alle Elemente der Inszenierung untersucht. Die Untersuchung des Körpers steht im Zentrum seiner künstlerischen Betrachtung und seiner Lehrtätigkeit am Bauhaus, das zur Bühne für choreografische Experimente wird. Seine zahlreichen Vorträge, insbesondere die zwischen 1028 und 1929 gehaltenen über den „Menschen“, reflektieren zudem die in jener Zeit an der Schule geführten Diskussionen über die Synthese der Kunstformen – Tanz, Musik, Architektur und Malerei in Symbiose –, über die Bedeutung der Beherrschung von Material und Technik oder auch über die Stellung des Menschen im Raum. Diese fruchtbare Schaffensphase bringt zahlreiche detaillierte Forschungsergebnisse hervor, die sich von einer festen Anatomie zu lösen suchen, um einen unbestimmten Körper neu zu erfinden, der bei zahlreichen choreografischen Experimenten, den Bauhaustänzen, durch die verschiedensten Materialien verlängert wird.

Oskar Schlemmer, Die Zeichen im Menschen, 1924/1986 © 2016 Oskar Schlemmer, Photo Archive C. Raman Schlemmer, www.schlemmer.org

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FOKUS: DAS FIGURALE KABINETT Nach seiner nicht offiziellen Premiere bei einer abendlichen Feier im Bauhaus 1922 musste das Figurale Kabinett beinahe ein Jahr lang darauf warten, ehe es am 17. August 1923 bei der ersten, Kunst und Technik – Eine neue Einheit betitelten Ausstellung offiziell auf die Bühne gebracht wurde. Von Schlemmer als „halb Schießbude – halb Metaphysicum abstractum“ konzipiert, zeigt das Figurale Kabinett unsichtbare Tänzer, die auf der Bühne abstrakte Figuren verschieben, etwa den Geigen-Körper, den Türken oder das Fräulein Rosarot, um den Eindruck zu vermitteln, dass sie sich auf selbstständige und mechanische Art bewegen würden. Eine zweite Version des Figuralen Kabinetts wurde auf eine Leinwand projiziert und bezeugt die Vorliebe des Bauhauses für technische Experimente. Dieses Werk zeugt von der Inspiration, die Schlemmer aus dem bedeutenden Buch „Über das Marionettentheater“ von Heinrich von Kleist schöpfte: Das Streben nach einem zeitgemäßen Theater, in dem die Menschen – wegen ihrer als Fehler empfundenen Emotionalität – durch Marionetten ersetzt werden.

Oskar Schlemmer, Das figurale Kabinett, II. Fassung, 1926-1927 © 2016 Oskar Schlemmer, Photo Archive C. Raman Schlemmer, www.schlemmer.org

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4. DIE BAUHAUSTÄNZE „Sieg des Ästhetischen? - Ich bin von der Geometrie des Flächenbildes zur halbplastichen (Relief) geschritten: zu (auch einer Art) Rundplastik der menschlichen Figur (das Paradox mag ich sehr erweisen, dass, je plastischer, desto flacher, das Flächenbild das plastischste war). Doch bleibt noch eine Geometrie der Tanzbodenfläche, wenn auch nur als Teil und Projektion der räumlichen Stereometrie. Auf dem Klavier treibe ich ähnliche Geometrie der Finger und Tasten und bemühe mich so um Identität (oder Einheit von Bewegung und Körperform) und Musik.“ Oskar Schlemmer, Brief an Otto Meyer, 1920 Indem er theoretischen und praktischen Unterricht mischt, mit der Verbindung von Materialien als Verlängerung des Körpers und dem Tragen von außerkörperlichen Gebilden experimentiert, erfindet Schlemmer im Rahmen seiner Theaterwerkstatt am Dessauer Bauhaus einzigartige choreografische Formen, etwa den Metalltanz, den Stäbetanz oder auch den Glastanz. Dabei sind die Körper der Tänzer von Kostümen und Masken verdeckt, die sie zu abstrakten Gesten zwingen und so die Frage nach den Gesetzen des Raumes und der szenischen Anordnung aufwerfen. Die grenzenlose Fantasie, ja die Ironie und Parodie der Bauhaustänze stehen im Kontrast zur formellen Strenge der Überlegungen, aus denen sie hervorgehen.

Lux Feininger, Stäbetanz (Tänzerin: Manda von Kreibig), 1929 © 2016 Oskar Schlemmer, Photo Archive C. Raman Schlemmer, www.schlemmer.org

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FOKUS: DER REIFENTANZ Die rekonstruierte Anordnung des Reifentanzes, die in der Ausstellung zu sehen ist, erlaubt es dem Betrachter, die von Schlemmer für diese extrem ausgefeilten Tänze vorgesehenen szenischen Mittel zu begreifen. Auf schwarzem Untergrund bedeckt eine Matrix aus Reifen den Boden sowie das Vordere und das Hintere der Bühne, einen grafischen Raum beschreibend, in dessen Zentrum eine Tänzerin in schwarzem Kostüm mit zahlreichen Reifen verschiedener Größe hantiert. Dank der Überlagerung der runden Formen entstehen in der Bühnenmitte zwei anthropomorphe Figuren. Als sie von einer zweiten Tänzerin in Bewegung gesetzt werden, verwandeln sich die Figuren in abstrakte kinetische Skulpturen, die über die Bühne dieses virtuellen Theaters mit ihren sich ständig veränderten Schatten hinwegfegen.

Oskar Schlemmer, Bauhaustänze, Reifenvorhang , 1926/1964 © 2016 Oskar Schlemmer, Photo Archive C. Raman Schlemmer, www.schlemmer.org

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5. DIE BAUHAUSFESTE „Endlich war wieder einmal ein Fest in dem vor der Parteien Gunst und Hass umkämpften Bauhaus, und es war zweifellos einzigartig. (...) Die früheren Festen in Weimar, bei denen der Expressionismus seine tollsten, phantastischsten Blüten trieb, das "Weisse fest" in Dessau (noch ohne Neubau), bei dem neben dem dominierenden Weiss nur die Farben Rot, Blau, Gelb, und diese nur "gestreift, gedippelt und gewerfelt" erlaubt waren, und nun das "Metallische", bezeichnen die heiteren, festlichen Stationen auf dem sonst keineswegs leidlosen Weg dieses Instituts. Sage mir, wie Du Feste feierst, und ich werde Dir sagen, wer Du bist, oder: Jede Generation, jede Gesellschafsschicht hat das Fest, das sie verdient. Wenn junge Menschen ein Fest inszenieren, so kann man wohl seine Rückschlüsse ziehen auf die Beschaffenheit dieser Jugend.“ Oskar Schlemmer, Tagebuch, Februar 1929 Walter Gropius gelang es, einen echten Zusammenhalt zwischen Lehrenden und Studierenden herzustellen, sowohl durch die Grundprinzipien der Schule als auch durch die berühmten Bauhausfeste, während der zwischen Lehrern und Schülern Freundschaften geschlossen wurden. Diese Augenblicke der Harmonie und des Gemeinschaftsgefühls innerhalb der Schule wurden schnell zum Erfolg und zogen „ganz Weimar“ und später „ganz Dessau“ an. Einige Feste sind dem Wechsel der Jahreszeiten gewidmet, während die monatlichen Bälle mit so unterschiedlichen Themen wie Laternenfest, Drachenfest, Geschenkfest, Bartfest oder Schlagwörterfest das Jahr strukturierten! Tut Schlemmer berichtet in ihren Erinnerungen, dass bei der Schließung des Bauhauses die Feste eine zentrale Rolle spielten. Diese spontanen Momente der Verschmelzung der Disziplinen, der künstlerischen Fantasie und überschäumenden Improvisationen erlaubten das Experimentieren mit neuen Ideen der Inszenierung, die manchmal im Anschluss weiterentwickelt wurden, wie etwa im Figuralen Kabinett. Schlemmer organisierte viele dieser Feste, für die er zusammen mit seinen Schülern und Kollegen seine Ideen in die Praxis umsetzte. Besonders in den letzten Festen kommt die ganze Kreativität des Meisters zum Ausdruck. Während des Weißen Fests 1926 waren alle Teilnehmer aufgefordert, in weißer Kleidung mit Punkten, Karos oder Streifen zu erscheinen. Anlässlich des Metallfests 1929 war die ganze Schule in Metallic-Farben gestrichen, ebenso wie die Einladungskarte und die Rutsche, die die Gäste erwartete, um sie in den großen Festsaal des Bauhauses zu transportieren, wo das Orchester der Schule spielte.

Oskar Schlemmer mit Studenten (im Zentrum), Bauhaus Dessau, 1928 © 2016 Oskar Schlemmer, Photo Archive C. Raman Schlemmer, www.schlemmer.org

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6. VON DER BILDFLÄCHE ZUM SZENISCHEN RAUM Der Dualismus zwischen dem malerischen und szenischen Werk Schlemmers, obwohl beide eine harmonische Einheit bilden, in der beide Disziplinen komplementär sind, wird vom Künstler als der mythologische Gegensatz zwischen Apoll, der Verkörperung der Theorie und der Strenge, und Dionysos, dem Symbol der Praxis, gedeutet, wie dies bei seinen ausgelassenen Festen deutlich wird. So versteht Schlemmer Zeichnung und Malerei als den strengsten Aspekt seiner Arbeit, während er seine szenischen Experimente eher als Ausdruck des Vergnügens auffasst. Dieser Dualismus findet sich übrigens in der Unterscheidung zwischen den Begriffen der Choreografie und der Inszenierung einerseits, die ausgehend von Bildern und Zeichnungen entstehen, und der Ausführung auf der Bühne andererseits, die eine praktische Umsetzung der Theorie ist. Die szenischen Überlegungen Schlemmers bringen ihn dazu, seine Untersuchungen auf den Raum auszudehnen, wobei er von der zweidimensionalen Leinwand zur räumlichen Tiefe der Theaterbühne überwechselt. Jenseits der Inszenierung der Bauhaustänze, die die konkrete Umsetzung seiner szenischen Theorien darstellen, arbeitet Schlemmer mit den bedeutenden Komponisten seiner Zeit zusammen, für die er Kostüme entwirft. Dieser Abschnitt stellt zudem das Werk Schlemmers den Theaterproduktionen anderer Künstler des Bauhauses gegenüber, etwa Kurt Schmidts Das mechanische Ballett oder Wassily Kandinskys Bilder einer Ausstellung.

Oskar Schlemmer, Figur und Raumlineatur, 1924 © 2016 Oskar Schlemmer, Photo Archive C. Raman Schlemmer, www.schlemmer.org

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FOKUS: RESONNANZEN ZUR MUSIK „Lassen Sie mich zuvor sagen, weshalb ich immer noch hier bin: die Arbeit mit dem Kapellmeister hat sich nun dahin verdichtet, dass wir eine musikalische Sache von Igor Strawinksy, "Les Noces" (die Heirat) zusammen bearbeiten, derart, dass versucht werden soll, das musikalische Geschehen durch Projektion, farbige, laufende, zu illustrieren , um so einmal möglicherweise eindringlicher zu wirken und das schwierige, durch Personen darzustellen Pantomimische zu vermeiden. Dieses "Bearbeiten" ist nun ebenso reizvoll wie schwierig, da ich, abgesehen vom Technischen, dem Vorbeiziehen der Bilder, den Stil für diese finden muss, den russischen, mir nicht unmittelbar liegenden. Dennoch: die Aufgabe reizt mich.“ Oskar Schlemmer, Brief an Otto Meyer-Amden, 1927 Vom Beginn des Jahres 1913 an wendet sich Oskar Schlemmer, der selbst Musiker war und mit den Komponisten seiner Zeit zusammenarbeiten wollte, an Arnold Schönberg, nachdem er einer Aufführung seines Pierrot Lunaire beiwohnte, damit er ihm die Musik für sein erstes Ballett schriebe. Obwohl diese Zusammenarbeit nie zustande kam, bezeugt sie dennoch die Sensibilität Schlemmers für die Herausforderungen moderner Musik und für den Bruch der Atonalität des Meisters aus Wien. In den 1920er-Jahren ist Oskar Schlemmer im Bereich der Theaterkunst sehr aktiv und steht in Kontakt mit Musikern, Choreografen und Tänzern seiner Zeit. Im Jahr 1921 arbeitet er mit Paul Hindemith an der Produktion der Oper Mörder-Hoffnung der Frauen (1919) zusammen, die auf einem gleichnamigen Theaterstück von Oskar Kokoschka aus dem Jahr 1909 basiert, sowie für „Das Nusch-Nuschi“ (1920) einer Adaptation Franz Bleis eines Stücks für Marionettentheater aus Birma. Anschließend wirkt er an der Inszenierung dreier Stücke von Igor Strawinsky mit: Les Noces, Reinecke Fuchs und Die Nachtigall, die von Schlemmer im Jahr 1929 am Stadttheater Breslau aufgeführt wurden. Für Die Nachtigall zeichnet er das Bühnenbild und die Kostüme, ausgehend von geometrischen Grundfiguren und Farbenkontrasten. Im darauffolgenden Jahr entwickeln sich die Motive einer zweiten Version, von chinesischer Kunst beeinflusst, zu einer ornamentalen Welt weiter.

Oskar Schlemmer, Le Rossignol, Bühnenbild mit Mond, 1. Akt, 1929 © 2016 Oskar Schlemmer, Photo Archive C. Raman Schlemmer, www.schlemmer.org

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4. DIE KÜNSTLER Oskar SCHLEMMER und Constantin BRANCUSI Giorgio DE CHIRICO Alexandra EXTER Walter GROPIUS Wassily KANDINSKY Paul KLEE Vsevolod MEYERHOLD Lászlò MOHOLY-NAGY Kurt SCHMIDT Lothar SCHREYER Andor WEININGER

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5. UNSERE PARTNER Das Centre Pompidou-Metz ist Ergebnis der ersten Dezentralisation einer großen nationalen Kulturinstitution, des Centre Pompidou Paris, in Partnerschaft mit den Gebietskörperschaften. Als unabhängige Institution profitiert das Centre Pompidou-Metz von Know-how, Netzwerk und Bekanntheit des Centre Pompidou und setzt wie die Schwesterinstitution in Paris auf Werte wie Innovation, Multidisziplinarität sowie Aufgeschlossenheit und Offenheit für ein weit gefächertes Publikum. Für seine wechselnden Ausstellungen greift das Centre Pompidou-Metz vor allem auf Leihgaben des Centre Pompidou, Musée national d’art moderne zurück, das mit über 100.000 Werken über eine der zwei bedeutendsten Sammlungen für moderne und zeitgenössische Kunst weltweit und die wichtigste Sammlung dieser Art in Europa verfügt. Darüber hinaus geht das lothringische Kunstzentrum Partnerschaften mit Museumsinstitutionen auf der ganzen Welt ein. Als Erweiterung zu den Ausstellungen bietet das Centre Pompidou-Metz ein umfangreiches Kulturprogramm mit Tanzaufführungen, Konzerten, Filmvorführungen und Vorträgen. Es wird unterstützt durch seinen Gründungsmäzen Wendel.

Mécène fondateur Mécène fondateur

Medien Partner

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Wendel, Gründungsmäzen des Centre Pompidou-Metz Die Wendel-Gruppe hat sich verpflichtet, bis zu fünf Jahren neben dem erneuerbare Centre PompidouMetz. Da das Centre Pompidou-Metz im Jahr 2010 eröffnete, wünschte Wendel um eine Ikone Institution, deren kultureller Einfluss wirkt sich auf die meisten unterstützen. Ist wegen seines Engagements seit vielen Jahren zu Gunsten der Kultur erhielt Wendel den Titel des wichtigsten Partner für Kultur im Jahr 2012. Wendel ist eine der größten börsennotierten Investmentgesellschaften in Europa. Sie übt ihre Tätigkeit als Investor und professioneller Aktionär zur Förderung der langfristigen Entwicklung führender Unternehmen ihres Sektors aus: Bureau Veritas, Saint-Gobain, IHS, Constantia Flexibles, AlliedBarton, Cromology, Stahl, Mecatherm und CSP technologies. Die im Jahr 1704 in Lothringen gegründete Wendel-Gruppe konzentrierte ihre Aktivitäten lange Zeit vor allem auf die französische Stahlindustrie, um sich Ende der 1970er-Jahre zu einer Investmentgesellschaft zu wandeln. Mit dem Unternehmen Wendel-Participations, in dem die über 1000 Aktionäre der Familie versammelt sind, hält die Gründerfamilie 36 % der Anteile der Wendel-Gruppe. Pressekontakt Christine Anglade-Pirzadeh : + 33 (0) 1 42 85 63 24 c.angladepirzadeh@wendelgroup.com Caroline Decaux + 33 (0) 1 42 85 91 27 c.decaux@wendelgroup.com

www.wendelgroup.com

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6. BILDMATERIAL FÜR DIE PRESSE Bildmaterial zur Ausstellung kann unter folgender Adresse heruntergeladen werden: centrepompidou-metz.fr/phototheque Benutzername: presse Passwort: Pomp1d57

Oskar Schlemmer, Le Ballet triadique, Séquence noire, L’Abstrait, 1920-22/1985

Oskar Schlemmer, Le Ballet Triadique, Séquence noire, Boule d’or, figure, 1922 (1967/85)

Oskar Schlemmer, Les signes dans l’Homme, 1924/1986

© 2016 Oskar Schlemmer, Photo Archive C. Raman

© 2016 Oskar Schlemmer, Photo Archive C. Raman

www.schlemmer.org

Schlemmer, www.schlemmer.org

Schlemmer, www.schlemmer.org

© 2016 Oskar Schlemmer, Photo Archive C. Raman Schlemmer,

Lux Feininger, Danse des bâtons (Danseuse : Manda von Kreibig), 1929 © 2016 Oskar Schlemmer, Photo Archive C. Raman Schlemmer, www. schlemmer.org

Oskar Schlemmer avec étudiants, Bauhaus Dessau, 1928 © 2016 Oskar Schlemmer, Photo Archive C. Raman Schlemmer, www. schlemmer.org

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Oskar Schlemmer, Danse de l’espace, 1927, avec Oskar Schlemmer © 2016 Oskar Schlemmer, Photo Archive C. Raman Schlemmer, www. schlemmer.org

Oskar Schlemmer tenant un masque et un élément de coordonnée, 1931 © 2016 Oskar Schlemmer, Photo Archive C. Raman Schlemmer, www.schlemmer.org

Oskar Schlemmer, Danses des cerceaux, 1927 © 2016 Oskar Schlemmer, Photo Archive C. Raman Schlemmer, www. schlemmer.org

Oskar Schlemmer, Le cabinet figural, Profil en jaune, 1922 © 2016 Oskar Schlemmer, Photo Archive C. Raman Schlemmer, www.schlemmer.org

Oskar Schlemmer. Le Ballet triadique, Séquence noire, Spirale, 1922 © 2016 Oskar Schlemmer, Photo Archive C. Raman Schlemmer, www.schlemmer.org

Oskar Schlemmer, Figure et réseau de lignes dans l’espace, 1924 © 2016 Oskar Schlemmer, Photo Archive C. Raman Schlemmer, www. schlemmer.org

Oskar Schlemmer, Utopia I/II, 1921 © 2016 Oskar Schlemmer, Photo Archive C. Raman Schlemmer, www.schlemmer.org

Oskar Schlemmer, Le Ballet triadique, Séquence noire, Boule d’or, 1924 © 2016 Oskar Schlemmer, Photo Archive C. Raman Schlemmer, www.schlemmer.org

Oskar Schlemmer, Le Ballet triadique, Séquence Jaune, Grand masque pour la figure mains boules, 1922 © 2016 Oskar Schlemmer, Photo Archive C. Raman Schlemmer, www.schlemmer.org

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Oskar Schlemmer, Coureur aux échasses, 1927 © 2016 Oskar Schlemmer, Photo Archive C. Raman Schlemmer, www.schlemmer.org


Pressekontakt Regionale Presse Anne-Laure Miller Kommunikation Bereichs Kommunikation und Entwicklung +33 (0)3 87 15 39 73 anne-laure.miller@centrepompidou-metz.fr Marie-Christine Haas Multimedia-Kommunikation Bereichs Kommunikation und Entwicklung +33 (0)3 87 15 39 62 marie-christine.haas@centrepompidou-metz.fr Nationale und internationale Presse Claudine Colin Communication Diane Junqua Kommunikation und Pressearbeit +33 (0)1 42 72 60 01 diane@claudinecolin.com

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