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Freiburger Arbeitsmarkt boomt

Arbeitsagentur hat 5999 Aufträge für Stellen

Die Zahl der Arbeitslosen in Freiburg und den Landkreisen Breisgau-Hochschwarzwald sowie Emmendingen ist im Februar um 58 auf 14.233 leicht gesunken. Das meldet die Agentur für Arbeit Freiburg. Die Arbeitslosenquote notiert unverändert bei 3,8 Prozent. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist in den vergangenen zehn Jahren um knapp 26 Prozent auf 135.710 gestiegen.

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„Der Frühjahrsaufschwung hat zwar noch nicht eingesetzt, aber die milde Witterung kam dem Arbeitsmarkt entgegen“, sagt die Vorsitzende der Geschäftsführungen der Agenturen für Arbeit Freiburg und Offenburg, Theresia Denzer-Urschel. Besonders erfreulich sei die Situation bei den Langzeit-Arbeitslosen, die sich sowohl auf Jahressicht als auch im Vormonatsvergleich besser entwickelt haben als der Gesamtmarkt. Trotz der wirtschaftlich schwierigen Lage ist die Arbeitskräftenachfrage weiter hoch. Treiber sind vor allem Vakanzen im Bereich Erziehung, Verwaltung, Büro und Sekretariat, Lager und Transport sowie Verkauf. Auf der Helferebene fielen zahlreiche Stellenmeldungen aus dem Reinigungsgewerbe auf. „Die Unternehmen sorgen sich um Engpässe bei Arbeitskräften. Das wiegt schwerer als die Risiken, die von Personaleinstellungen in einem unsicheren wirtschaftlichen Umfeld ausgehen“, so Denzer-Urschel. Wegen der Frühjahrsbelebung rechnet sie in den kommenden Monaten mit einem weiteren Rückgang der Arbeitslosig- keit. Mitte Februar lagen der Agentur 5999 Aufträge zur Stellenbesetzung vor (81 Prozent für Fachkräfte, Experten und Spezialisten, 19 Prozent für Helfer).

Freiburg ist ein boomender Arbeitsmarkt-Standort. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hat sich in den vergangenen zehn Jahren um fast 26 Prozent auf 135.710 (Mitte Juni 2022) hochgearbeitet. Im gleichen Zeitraum ist diese Zahl im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald um knapp 21 Prozent, im Landkreis Emmendingen um 25,5, im Ortenaukreis um 21,1 Prozent gestiegen. Alle Regionen liegen damit deutlich über dem Landesdurchschnitt von 18,1 Prozent. Freiburg hat auch die beste Performance von allen Großstädten im Ländle. Motor ist vor allem der Gesundheitssektor, in dem mittlerweile jeder sechste Arbeitsplatz angesiedelt ist. Mit dem Zuwachs sprudelt auch die Gewerbesteuer: Finanzbürgermeister Stefan Breiter freute sich im vergangenen Jahr über ein Rekordergebnis in Höhe von 248 Millionen Euro. bar

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From 9 To 5

Die 4-Tage-Woche ist in aller Munde – ein Freiburger Betrieb nutzt sie erfolgreich

Einen Tag weniger schuften, aber das gleiche verdienen. Kann das klappen? Ja, zeigen Studien. Belgien hat die 4-Tage-Woche sogar gesetzlich verankert. Doch ohne Recht auf weniger Arbeit. Ein Freiburger Betrieb nutzt das Teilzeitmodell seit Jahren mit Erfolg. Ein Forscher hält es für die Arbeitsweise der Zukunft.

Markus Franz ist Chef der Freiburger Firma ageff. 2009 hat er sich mit dem Betrieb für Photovoltaikanlagen selbstständig gemacht. Seit 2016 hat er Angestellte. Schon sein erster Monteur setzte auf eine 4-Tage-Woche. Mittlerweile sind auch 3-Tage-Wochen möglich. Franz: „Gerade im Bereich der Installationstätigkeit der Photovoltaik-Module auf dem Dach können wir von einem anspruchsvollen körperlichen Job sprechen.“

Aus eigener Erfahrung wisse er, dass so ein Job in Vollzeit nicht auf Dauer machbar wäre. Mögliche Folgen: „Körperliche Beschwerden, Überbelastungen oder Unzufriedenheit und damit Fluktuation“.

Der 51-Jährige weiß um die Herausforderungen: „Unsere Solarteure arbeiten das ganze Jahr durch, bei jedem Wetter und jeglicher Temperatur.“ Den Freitag gibt er daher gerne frei. An den anderen Tagen müssen seine Monteure in Vollzeit ran. Im Gegensatz zu anderen Firmen, die auf vier Tage Arbeit für fünf Tage Gehalt setzen, zahlt Franz nur die gearbeiteten Tage. Es ist also ein Teilzeitmodell. Doch mit dem gleichen Ansatz: Weniger Belastung bringt mehr Motivation, Zufrieden- heit und Leistung. Mit ruhiger Stimme erzählt der Solarpionier von einem Modell, das manchen Arbeitgeber in Wallung bringt. Angestellte weniger schaffen lassen – da bleibt doch vieles liegen? Nein, sagt der Arbeitsmarktforscher Philipp Frey. „Wenn man den Arbeitsprozess reorganisiert, geht es.“ Der 36-Jährige vom Institut für Technologiefolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) in

Karlsruhe begleitet Studien und Feldversuche zur 4-Tage-Woche im In- und Ausland. „Die Ergebnisse sind extrem gut“, berichtet Frey. Beispielsweise bei einem Testballon mit 61 Unternehmen und 3300 Angestellten in Großbritannien. Dort bekommen alle für sechs Monate bei vollem Gehalt einen zusätzlichen freien Tag. „90 Prozent der Firmen können sich vorstellen, dauerhaft so umzustellen“, berichtet Frey. Das ergab die Halbzeitbilanz im Herbst. Mittlerweile liegt auch die Abschlussbilanz vor. Sie zeigt: Das Modell lohnt sich für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die Angestellten sind leistungsfähiger, gesünder, motivierter. Die Firmen konnten ihren Umsatz im Schnitt um 1,4 Prozent steigern. Macht weniger Arbeit wirklich produktiver? Auch hier sagt Frey ja. „Wir Forscher erwarten, dass es mit einem 50-50-Verhältnis klappt.“ Um 50 Prozent würden die Angestellten effizienter. Und für 50 Prozent der wegfallenden Leistung brauchte es einen Personalausgleich. Doch Frey meldet Überraschendes: „Die britische Untersuchung zeigt: Es geht ohne Personalausgleich, alle kommen ohne Neueinstellungen aus.“ Das führt er auf höhere Motivation und mehr Ausgeruhtheit zurück. Der Umsatz der britischen Firmen sei sogar um acht Prozent gestiegen.

Auch als Antwort auf den Fachkräftemangel wird die 4-Tage-Woche gepriesen. Frey ist überzeugt: Unternehmen im Inund Ausland berichteten von steigenden Bewerberzahlen als Effekt. „Bei einem waren es sogar fünf- bis sechsmal so viele wie zuvor.“ Auch deutsche Handwerksunternehmen berichten von dem Effekt.

Für den Karlsruher ist es das Modell der Zukunft. Und in jeder Branche anwendbar, doch mit Unterschieden: „Zum Beispiel in der Pflege ist es unrealistisch ohne Personalausgleich.“ Für Deutschland wünscht sich Frey einen Feldversuch wie in Großbritannien. Auch Spanien, Island, Portugal seien schon weiter. „Wir hinken hinterher“, sagt Frey.

Ein Grund für die positiven Studienergebnisse aus dem Ausland ist für Frey auch: „Das sind Firmen, die sich dafür entschieden und darauf vorbereitet haben.“ Alle hätten sich drei Monate Zeit genommen und mit der gesamten Belegschaft überlegt, wo Zeit eingespart werden könne. Oft würde die Zahl der Meetings reduziert – und ihre Dauer. Auch die Investition in neue Technologien oder Software sei ein guter Weg. Zudem werde die Einführung von „Focus Time“ erprobt. „Für drei Stunden werden die Telefone am Vormittag stummgeschaltet, damit die Angestellten in Ruhe arbeiten können“, erklärt Frey. Das funktioniere. Untersuchungen zeigten, dass es nach jeder Unterbrechung einige Minuten dauere, bis wieder konzentriert gearbeitet werde. Das ganze Team mitzunehmen, ist für Frey essentiell: „Sonst haben sie Angst vor Verdichtung.“

Die Zahl der Unternehmen in Deutschland, die das Modell erproben, ist überschaubar. In Freiburg kennt die Handwerkskammer (HWK) nur ageff als Beispiel. HWK-Präsident Johannes Ullrich ist skeptisch: „Der Wunsch nach mehr WorkLife-Balance, insbesondere der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, ist verständlich.“ Viele Betriebe versuchten bereits, Angestellten entgegenzukommen. „Doch mit den dringenden gesellschaftlichen Aufgaben, vor denen das Handwerk steht, ist eine Arbeitszeitverkürzung schwierig in Einklang zu bringen.“ Hinzu komme der eklatante Fachkräftemangel. Ullrich sagt: „Ob sich die 4-Tage-Woche im Handwerk umsetzen lässt, hängt auch stark vom jeweiligen Gewerk ab.“

Markus Franz von ageff kann nur schwärmen: Er hatte noch nie Personalsorgen bei seinen Monteuren. Und das Tempo stimme: „Die Produktivität ist fast die gleiche wie bei fünf Tagen.“ Wenn jemand zwei Jahre ackere und dann ein halbes Jahr krankgeschrieben sei, wäre nichts gewonnen. Erzählen kann er das alles an diesem Freitag in ruhiger Umgebung. Außer ihm ist fast keiner da.

Till Neumann

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