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MEHR SCHLAGKRAFT
»MEHR ALS DOPPELT SO SCHLAGKRÄFTIG«
GROSSE HOFFNUNGEN AUF FREIBURGS NACHTMANAGER∙IN
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Fotos: © iStock.com/:bernardbodo, Peter Hermann, Jannes Schilling D ie Würfel sind gefallen: Freiburg bekommt einen Nachtmanager. Sie oder er soll gemeinsam mit dem Popbeauftragten Tilo Buchholz vom Kulturamt aus wirken. „Ein großer Schritt“ , heißt es in Subkulturkreisen. Auch die Politik setzt Hoffnungen auf die neue Stelle, warnt aber vor zu hohen Erwartungen.
Der Gemeinderat hat entschieden: Ab dem Sommer soll eine oder ein Nachtkulturbeauftragte(r) den Dienst aufnehmen. Für den Posten gibt es eine 70-Prozent-Stelle. Sie wird gekoppelt mit der Arbeit des Popbeauftragten Tilo Bucholz. Der 53-Jährige wandert dafür mit seinem 50-ProzentPosten von der Freiburg Wirtschaft Touristik und Messe GmbH (FWTM) ins Kulturamt. Dort bekommen beide ein gemeinsames Büro. Buchholz freut sich darüber: „Ich war zeitlich bisher stark ausgelastet.“ Der Musiker und ehemalige Grünen-Stadtrat habe auch Aufgaben übernommen, die eher zum Profil des Nachtmanagers passen: Er habe sich beispielsweise um Freiflächen für Events gekümmert oder Lärmdebatten geführt. Der Popexperte ist überzeugt: „Gemeinsam werden wir mehr als doppelt so schlagkräftig sein.“ Die Arbeit des Duos soll Hand in Hand gehen – sie werden unter anderem eine gemeinsame Mailadresse haben und sich ein Büro teilen. Buchholz hofft auf gegenseitige Ergänzung und möchte zum Start dem oder der Neuen unter die Arme greifen: „Ich werde mit der Person erst mal ein paar Runden drehen durch Ämter, Clubs und Bars.“ Die Erleichterung ist auch bei der Interessengemeinschaft (IG) Subkultur groß: „Das ist ein super wichtiger Schritt für die Stadt“, sagt Franck Mitaine. In den vergangenen 20 Jahren sei für die Nachtkultur zu wenig gemacht worden. Ein Schlamassel sei das, sagt Mitaine und nennt das Aus des Wheit Rabbit als Beispiel. Der neue Posten werde die nächsten zehn Jahre prägen. „Es braucht neuen Schwung“, betont Mitaine. Die Anforderungen seien hoch. „Die Stellenbesetzung wird nicht einfach, die Person braucht viel Gefühl für andere.“ Wichtig sei, ihr gewisse Freiheiten zu lassen. Aus Freiburg kennt er bisher niemanden, der sich bewerben möchte – auch wenn einige das Potenzial hätten. Eine Bewerbung von außerhalb fände Mitaine okay. „Ein bisschen sollte er die Szene schon kennen, aber Hauptsache, er macht es mit Herz.“ Bei der Besetzung darf die IG Subkultur zwar nicht mitreden. Sie möchte aber dennoch eine Empfehlung abgeben, wenn die Kandidat·innen feststehen. Mit dem Entschluss, einen Nachtkulturbeauftragten einzusetzen, folgt Freiburg
einem Trend. Den bundesweit ersten Posten gab’s 2018 in Mannheim. Dort ist mittlerweile der zweite Night Mayor im Einsatz. Er heißt Robert Gaa, ist nebenher DJ und überzeugt, einiges bewirken zu können (siehe Interview rechts). Andere Städte sind dem Beispiel gefolgt: Auch Stuttgart, Heidelberg, München oder Osnabrück haben mittlerweile solche Stellen. In Freiburg hat sich insbesondere die JUPI-Fraktion für die Stelle starkgemacht. Sie hatte im Frühjahr 2021 Erfolg mit einem Antrag im Gemeinderat, der 70.000 Euro für den Posten forderte. Eine Mehrheit erzielte JUPI mit den Stimmen von Grünen und SPD/Kulturliste. Umstritten war bis zuletzt, wo die Stellen angedockt werden. Bei der FWTM oder beim Kulturamt? Den Zuschlag bekam schließlich im Gemeinderat das Kulturamt. Buchholz ist optimistisch: „Es gab bisher viel Berührung zum Kulturamt, ich bin fast sicher, das wird an meiner Tätigkeit nichts ändern.“ Auch die FWTM sieht darin kein Problem: „Die Ansiedlung bei der FWTM
war keinesfalls eine Fehlplatzierung“, sagt Geschäftsführerin Hanna Böhme. Insbesondere zu Corona-Zeiten seien zahlreiche, wichtige Projekte ins Leben gerufen und vorangetrieben worden. So zum Beispiel die Streaming-Plattform #inFreiburgzuhause. Mit dem Umzug werde die Stelle nun weitergedacht und genauer definiert. Bei den Fraktionen wird die neue Doppelstelle begrüßt. Sie äußern sich auf chilli-Anfrage optimistisch. Details dazu gibt es online auf bit.ly/chill_NachtundPop. Mit Blick auf das Stellenprofil warnt FDP-Stadtrat Sascha Fiek jedoch davor, auf Superman oder Superwoman zu hoffen, der die Nachtkultur rettet. Die Liste der Aufgaben ist in der Tat lang: Sie geht von der Sicherung bestehender Orte der Nachtkultur über die Lösung von Lärmkonflikten bis zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Szene und Ämtern. Mannheims Nachtbürgermeister bringt es auf den Punkt: „Superkräfte braucht es keine, aber viel Geduld.“
SUPERKRÄFTE GEFRAGT?
»REGELN AUFBRECHEN«
MANNHEIMS NIGHT MAYOR ROBERT GAA
Freiburg bekommt zum Sommer einen Nachtmanager. Mannheim hat eine solche Stelle 2018 als bundesweit erste Stadt geschaffen. Wie sieht der Job aus? Worauf kommt es an? Mannheims Night Mayor Robert Gaa (31) stellt sich den Fragen von Till Neumann.
chilli: Herr Gaa, warum wollten Sie Nachtmanager werden? Robert Gaa: Ich bin Maschinenbautechniker, habe hobbymäßig als DJ aufgelegt und veranstaltet. Ich fand, dem Nachtleben hier hat etwas gefehlt. Ich kenne viele, die deswegen weggezogen sind, zum Beispiel nach Berlin oder Leipzig. Also wollte ich etwas dagegen machen.
chilli: Sie sind DJ. Ist der Kontakt zur Szene wichtiger als der zur Politik? R. Gaa: Auf jeden Fall. Der Kontakt zur Verwaltung ist aber auch wichtig. Wenn sie dich nicht annimmt, ist man relativ machtlos. Ein gutes Netzwerk ist wichtig. Ich sitze bei Next Mannheim (Mannheims Gründer·innen Community) und habe Gespräche mit vielen: dem Kulturamt, dem Oberbürgermeister-Dezernat, dem Amt für Sicherheit, dem Freiflächenmanagement oder der Wirtschaftsförderung.
chilli: Wie kann man sich Ihre Arbeit vorstellen? Recherche auf dem Dancefloor? R. Gaa: Ja, das gibt’s auch. Aber das ist meist privat. Egal, wohin man geht, man wird erkannt als Night Mayor. Da sieht man vieles durch die Arbeitsbrille. Für meinen 9-to-5-Job bin ich viel im Büro. Ich mache Moderationen runder Tische, Mediationen und Netzwerkarbeit. Am liebsten entwickle ich aber neue Konzepte und Formate.
chilli: Um was geht’s da? R. Gaa: Zum Beispiel versuche ich, die Sperrstunde abzuschaffen oder Freiflächen zu finden. Ich will veraltete Regeln aufbrechen. chilli: Können Sie die Sperrstunde kippen? R. Gaa: Nein, so einfach ist das nicht. Im Koalitionsvertrag steht, dass das eine neue Aufgabe der Kommunen ist. Wir müssen nur gute Gründe finden. Aktuell sind wir dran, auch andere Bundesländer ohne Sperrstunden stehen ja noch.
chilli: Was sind Ihre größten Erfolge bisher? R. Gaa: Letztes Jahr haben wir ein Festival unter anderem mit Rave-Kollektiven veranstaltet. Zudem konnte ich mit meinem Vorgänger eine Clubförderung über 216.000 Euro erreichen. Das Geld war fürs Stadtfest geplant, das wegen Corona ausgefallen ist. So wurde der Betrag zur Überbrückungshilfe.
chilli: Wie viel Arbeit fällt an? R. Gaa: Ich habe eine Vollzeitstelle. Anders geht es nicht. Ich könnte jemanden gebrauchen, der weitere zehn Wochenstunden zuarbeitet. In Mannheim haben wir mit 70 Monatsstunden klein angefangen. Dass Teilzeit nicht reicht, wird man in Freiburg auch merken.
chilli: Hier heißt es, man bräuchte Superkräfte für den Job. Ist das so? R. Gaa: Nein, aber viel Geduld. Man redet unglaublich viel mit Menschen. Und man muss sich auch eingestehen, nicht für alle Probleme gleich eine Lösung zu haben.
chilli: Noch einen Tipp für Freiburgs Nachtmanager·in? R. Gaa: Entscheidend ist ein guter Draht zur Stadtverwaltung. Da kann man direkt mal Klinke putzen gehen.
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