5 minute read

LEGAL – UND DANN?

LEGALISIERUNG –UND DANN?

WAS SICH IN FREIBURG ÄNDERT, WENN THC-KONSUM ERLAUBT WIRD

Advertisement

Die Ampelregierung möchte Cannabis zum Konsum freigeben. Was würde das für Freiburg bedeuten? Ein Hanfverkäufer und die Drogenhilfe sehen viele Vorteile. Amtsgericht, Polizei und Staatsanwaltschaft halten sich überraschend bedeckt.

Foto: © freepik.com/jomp „Das wird wahnsinnig“, jubelt Tobias Pietsch. Der 38-Jährige betreibt drei Hanfnah-Läden in der Region – und hat sich als Aktivist bundesweit einen Namen gemacht. Für ihn ist die Legalisierung überfällig: „Sie wollen mich ins Gefängnis stecken“, berichtet Pietsch. Für den Verkauf von mutmaßlich legalen CBD-Produkten war er bereits vor Gericht, aktuell läuft eine zweite Klage gegen ihn. Im Raum stand eine Höchststrafe von fünf Jahren Gefängnis. Mit Freiburg geht Pietsch hart ins Gericht. Die Drogenpolitik sei rabiat: Von Null-Toleranz habe eine Richterin in seinem Verfahren gesprochen. Bei Razzien in den drei Hanfnah-Läden seien die Unterschiede deutlich geworden: „In Lahr haben die Polizisten nichts mitgenommen, in Lörrach von jedem CBD-Produkt ein Exemplar – und in Freiburg einfach alles.“ Die Kriminalisierung ärgert den Hanfverkäufer: „Es sind so viele Einzelschicksale.“ Erst sei der Führerschein weg, dann würden sie ihren Job verlieren und am Ende gingen daran auch Beziehung oder Familie in die Brüche. Auch Christoph Weber von der Drogenhilfe Freiburg kennt solche Fälle. „Wir erleben es immer wieder“, sagt der Sozialarbeiter. „Viele junge Handwerker vom Land verlieren wegen Cannabis ihren Führerschein“, berichtet der 61-Jährige. Dann würden sie arbeitslos, die Strafe schlage ins Gegenteil um: „Sie konsumieren dann nur noch mehr.“ Weber fordert eine Reform des Führerscheinrechts: „Man müsste aktives THC messen.“ Ob jemand zwei Stunden oder zwei Tage vor dem Autofahren konsumiert habe, sei relevant. „Da muss man total unterscheiden“, so Weber. Das Verfahren, um den Führerschein wiederzubekommen, sei zudem zu teuer und zu lang. „Die MPU ist undurchschaubar, die Fragen sind so schwammig, da kann man nur lügen.“ Seit 1998 ist Weber bei der Drogenhilfe Freiburg. Er sagt: „Eine Legalisierung ist dringend notwendig, ohne Cannabis zu verharmlosen.“ Die Bestrafung treffe oft Gelegenheitskon-

MEINE SORGEN

Das schöne Spiel gibt’s diesen Sommer nur beim schönen Geschlecht. Schließlich hat die gut geschmierte (Maschine) FIFA Sand im Getriebe, den Männer-Fußball in die Wüste geschickt und die WM in den Winter verlegt. Dabei hat sich der südbadische Fußballfan vom Weltuntergang – der Niederlage gegen Rasenballsport Leipzig im Pokalfinale – gerade erst erholt. Wie soll er sich nun von der allgemeinen Apokalypse ablenken? Statt verschwitzten Kickern mit Torriecher in großen Stadien gab’s diesen Sommer bloß Politiker mit Schweißflecken und Torschlusspanik in Garmisch-Partenkirchen. Aber immerhin ging es dort ja irgendwie doch um Fußball: Die Ansage, jeden Zentimeter Bündnisgebiet zu verteidigen, ist klassisches Catenaccio. Zwar ließ sich der Libero aus den Vereinigten Staaten früh auswechseln, dafür landete die Flügelzange Finnland-Schweden einen Einwurf. Eine politische Bananenflanke vom Kanzler blieb aus. Finanzhilfen für die Ukraine gehen in die Verlängerung. Und das Beste: Von Matthäus und Schweinsteiger fehlte jede Spur. Aber das Dribbling der G7 kann kein Ersatz für eine Fußballweltmeisterschaft sein. Eine WM im Winter, wenn die Abseitsregel unter Einhaltung der Abstandsregeln erklärt werden muss, ist es auch nicht. Schon gar nicht im Königreich Katar. Das schöne Spiel in der Wüste. Es ist eine Fata Morgana. Philip Thomas

SOMMERLOCH

KOLUMNE

sumenten, die nicht süchtig sind. „Mit der Justiz zu kommen, ist nicht gut.“ Als Positivbeispiel nennt er Portugal. Dort ist seit 2001 der Konsum von Cannabis, Speed, Heroin und Kokain in gewissen Mengen legal. Statt Konsumenten zu bestrafen, wird auf Entzugshilfe und Begleitung gesetzt. Legaler Konsum würde für Weber auch mehr Sicherheit bringen. Gerade mit Blick auf den Trend: „Zehn Prozent des beschlagnahmten Cannabis vom Schwarzmarkt ist sogenanntes Chemiegras“, warnt der Suchtexperte. Und was ändert eine Legalisierung für Gerichte, Polizei und Staatsanwaltschaft? „Im letzten Jahr wurden circa 5000 Betäubungsmittelverfahren bei der Staatsanwaltschaft Freiburg bearbeitet“, teilt Sprecherin Martina Wilke mit. Eine Statistik zu Cannabis gebe es nicht. Sicher sei aber: „Cannabis ist das am weitesten verbreitete Betäubungsmittel.“ Ob eine Legalisierung Einfluss auf die Anzahl der Verfahren und den Ermittlungsaufwand habe, ließe sich jedoch erst abschätzen, wenn „Umfang und Ausgestaltung“ bekannt sind. Auch Lars Petersen vom Amtsgericht hält sich bedeckt: „Leider führen wir keine Statistiken, die es uns erlauben würden, Ihre Fragen zu beantworten.“ Ähnliches lässt Polizeisprecher Özkan Cira verlauten: „Welche Folgen eine Legalisierung von Cannabis auf die Arbeitsbelastung des Polizeipräsidiums Freiburg hätte, ließe sich unserer Einschätzung nach lediglich spekulativ beantworten.“ Für Hanfnah-Chef Pietsch ist klar: „Es wird sich definitiv einiges ändern.“ Die rund 100 Dealer in der Stadt würden durch 20 bis 30 Verkaufsstellen ersetzt. Dass es dann Warteschlangen gebe wie bei der Legalisierung 2018 in Kanada, würde er nicht ausschließen. „Viele Bürger scharren mit den Hufen.“ Eine Enttabuisierung wäre für ihn wünschenswert. Selbst Freunde von ihm würden sich teilweise nicht in seinen Laden trauen. Stigmatisierung und Ächtung sei fest in den Köpfen. Dabei gelte Alkohol weiterhin als Kavaliersdelikt. Ob die Legalisierung in dieser Legislaturperiode wirklich kommt? Weber und Pietsch sind optimistisch. Falls nicht, will der Hanfverkäufer auf die Barrikaden gehen: „Dann laufe ich bis nach Berlin, wir machen eine neue Badische Revolution.“ Im Kleinen hat er das im Mai geübt: Beim Marihuana March zog er mit rund 1000 Aktivist·innen durch Freiburg. Das Interesse wächst: Im Dezember steigt erstmals der Fachkongress CannaB. an der Messe Freiburg. Thema der Runde ist die geplante Legalisierung und ihr „vielfältiges und enormes Potenzial“. Till Neumann

Fotos: © privat

Hoffen auf die Legalisierung: Christoph Weber von der Drogenhilfe Freiburg (links) und Tobias Pietsch, Chef der Hanfnah-Läden.

IN & OUT

Nichts geht über ein schönes Lächeln. Warum also stolzieren Models über Laufstege in New York, Paris und Mailand, als hätten sie einen Stein im Schuh? chilli-Trendchecker Philip Thomas verzieht keine Miene und verrät, was in Südbaden für strahlende und lange Gesichter sorgt.

IN

p AUSGESTRAHLT

Sicher war das Risiko. Ende August sollen die verbleibenden 51 Brennelemente aus dem 2020 vom Netz gegangenen Kernkraftwerk Fessenheim in eine WieFoto: © freepik.com/vwalakte deraufbereitungsanlage in der Normandie gebracht werden. 358 Brennstäbe wurden bereits abtransportiert. „Ein wichtiger Schritt für mehr Sicherheit in unserer Region“, kommentiert Freiburgs Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer. Nach 42 Jahren Kernspaltung und mehr als 200 meldungspflichtigen Störfällen im ältesten französischen AKW soll an der Westseite des Rheins ein deutsch-französischer Park für nachhaltige Energiegewinnung entstehen.

OUT

p MUNDART

Junge Menschen im Land sprechen kaum noch Dialekt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung der Uni Tübingen. Foto: © freepik.com/black.salmon „Den einfachen Gegensatz Dialekt – Hochdeutsch gibt es im südwestdeutschen Raum nicht mehr. Viele Kinder bewegen sich heute sprachlich auf verschiedenen Ebenen zwischen dem alten Ortsdialekt und dem, was man allgemein für Hochdeutsch hält“, so Projektleiter Hubert Klausmann. Eine vor zwei Jahren von Ministerpräsident Winfried Kretschmann ins Leben gerufene „Dialektinitiative“ soll gegensteuern und „den kulturellen Schatz bewahren“.

This article is from: