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WARTEN AUF DEN WUMMS

WARTEN AUF DEN WUMMS WUMMS

SPINNENDE MÄRKTE, EXPLODIERENDE KOSTEN, ERSTE INSOLVENZEN: SO ERLEBT FREIBURG DIE ENERGIEKRISE

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Von Philip Thomas und Pascal Lienhard

Vom Bäcker bis zum Branchenverband – steigende Energiekosten treffen jeden. Während das Rathaus mit Mehrkosten von knapp 27 Millionen Euro bis 2024 rechnet, berichten Freiburger Filialen von Preissteigerungen bei Gas um das Achtfache sowie verdreifachten Forderungen für Strom. Auch Sportvereine bangen um ihre Existenz und fordern Finanzhilfen. Indes schließt Stuttgart stundenlange Stromausfälle nicht aus.

VERBRAUCH & STADTWERKE

Im August veröffentlichte der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) noch Zahlen, die optimistisch stimmten: Insgesamt 497 Milliarden Kilowattstunden Erdgas wurden im ersten Halbjahr verbraucht. Das sind 14,7 Prozent (temperaturbereinigt knapp 8 Prozent) weniger als im Vorjahreszeitraum. Mittlerweile verbraucht Deutschland zu viel Energie. Laut Bundesnetzagentur (BNetzA) lag der Verbrauch privater Haushalte und kleinerer Gewerbekunden in der Woche vom 26. September bis 2. Oktober fast zehn Prozent über dem Durchschnitt der Jahre 2018 bis 2021. Der Verbrauch von Industriekunden lag lediglich zwei Prozent unter dem Niveau der Vorjahre. Agentur-Präsident Klaus Müller mahnte Anfang Oktober: „Die Lage kann sehr ernst werden, wenn wir unseren Gasverbrauch nicht deutlich reduzieren.“ In Südbaden ist Badenova der größte Versorger von Strom und Erdgas. Laut Pressesprecherin Yvonne Schweickhardt sei in den vergangenen Wochen kein signifikanter Rückgang beim Erdgasverbrauch festzustellen. Und als es noch wärmer war, habe dieser lediglich drei bis fünf Prozent betragen.

„Nun bleibt abzuwarten, wie sich der Verbrauch in den nächsten Wochen konkret entwickelt“, so Schweickhardt. Insgesamt komme die Badenova besser durch die Krise als mancher Wettbewerber. Dennoch: Die hohen Börsenpreise müsse der Versorger an seine Kunden weitergeben. Längerfristige Preisgarantien könne der Energieversorger nicht geben.

ÖFFENTLICHES LEBEN

Auch die Energierechnung des Rathauses wird länger. Der im Juli vorgelegte Freiburger Finanzbericht geht davon aus, dass die Stadtverwaltung in den kommenden zwei Jahren 26,6 Millionen Euro mehr für Energie berappen muss. Am 6. Dezember wird der nächste Bericht vorgestellt. Ob sich diese Summe bis dahin erhöht, ist offen. „Das Finanzdezernat hat die berechtigte Hoffnung, dass die nächste Ministerpräsidentenkonferenz konkrete Entlastungen beschließt und die Kommunen sowie kommunale Unternehmen davon profitieren“, sagt Rathaussprecher Toni Klein. Aktuell stelle die Freiburger Verwaltung einen Maßnahmenkatalog zusammen, der Anfang November in die politischen Gremien kommen soll. Er enthält Einspar-Vorschläge in dreistelliger Zahl, die laut Klein „teilweise einer vertieften Diskussion bedürfen“. An der Beleuchtung in Freiburg soll nicht weiter geschraubt werden. „Eine weitere Reduktion ist nicht geplant“, so der Sprecher. Vorgesehen sei aber, schneller und breiter auf LED-Leuchten umzurüsten. Die Einsparpotenziale der Stadtverwaltung sind darüber hinaus nicht gering: Bis zum Ziel Klimaneutralität im Jahr 2038 müsste Freiburg gegenüber dem Jahr 2020 rund 40 Prozent Energie sparen. „Das ist ambitioniert, aber machbar“, sagt Klein. Um zu sparen, hat die Freiburger Stadtspitze Ende September beschlossen, die Fassadenbeleuchtung vom Schwabentor, dem Historischen Rathaus, der Zähringer Burg, dem Martinstor oder dem Bertoldsbrunnen abzuschalten. Laut Klein wird damit der jährliche Verbrauch dieser Anlagen von 81.000 auf 40.300 Kilowattstunden halbiert. Auf dem Freiburger Weihnachtsmarkt geht es dieses Jahr besinnlicher zu. Reduzierte Beleuchtung von 12 auf 8 Stunden täglich sowie eine Betriebszeit bis zum 1. statt 6. Januar mindern den Stromverbrauch der LED-Lampen laut Freiburg Wirtschaft Touristik und Messe GmbH von 10.000 auf rund 6300 Kilowattstunden. Auch über der Kaiser-Joseph-Straße, der Bertoldstraße sowie der Rathausgasse soll die Beleuchtung zugunsten 1383 gesparter Kilowattstunden nicht wie üblich bis zum 6. Januar hängen.

SICHERHEIT & VERSORGUNG

Orte und Gebäude wie der Platz der Alten Synagoge, das Colombischlössle und das Münster bleiben in Freiburg aus Sicherheitsgründen illuminiert. „Die Vermutung liegt nahe, dass im Dunkeln mehr passiert“, kommentiert Stefan Kaufmann, Forschungsleiter am Freiburger Centre for Security and Society an der Albert-Ludwigs-Universität. Der 61-Jährige geht – wenn überhaupt –von marginalen Auswirkungen auf Kriminalität aus. Deutlicher seien die Zusammenhänge zwischen Licht und dem subjektiven Sicherheitsgefühl.

»ERNSTHAFTE SORGEN«

„Licht hat grundsätzlich einen präventiven Charakter und kann dazu beitragen, Straftaten zu verhindern beziehungsweise deren Aufklärung zu erleichtern“, erklärt Stefan Kraus, Sprecher beim Freiburger Polizeipräsidium. Fassadenbeleuchtungen seien allerdings „nur in einem sehr geringen Umfang zur Gefahrenabwehr und Straftatenprävention geeignet“. Und wie steht es um die Sicherheit der Energieversorgung in Südbaden? Anzeichen für mehrtägige Stromausfälle sieht das Landesministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft zum Redaktionsschluss nicht. Aber: Ein Blackout über mehrere Stunden sei zwar sehr unwahrscheinlich, könne laut Ministerium aber auch nicht ausgeschlossen werden. Das Freiburger Universitätsklinikum ist für so einen Fall gerüstet. „Wir erzeugen selbst Strom in unserem Heizkraftwerk, neben Wärme und Kälte. Zusätzlich haben wir selbstverständlich auch noch Notstromaggregate“, erklärt Benjamin Waschow, Leiter der Unternehmenskommunikation.

SPORT & VEREINE

Auch Gundolf Fleischer, Präsident des Badischen Sportbund (BSB) Freiburg mit mehr als 3300 Vereinen und knapp 930.000 Mitgliedern, steht unter Strom. „Zahlreiche Vereine haben sich gemeldet und ihre Sorgen zum Ausdruck gebracht, sie seien in ihrer Existenz bedroht“, sagt Fleischer. Wenn Sportvereine bei der Verteilung des 200 Milliarden Euro schweren „Doppelwumms“ aus Berlin nicht berücksichtigt werden, „sind Insolvenzen im nächsten Jahr unausweichlich“. Der größte Sportverein in Südbaden, die Freiburger Turnerschaft von 1844 (FT) mit knapp 6500 Mitgliedern, rechnet für das kommende Jahr mit Energie-Mehrkosten von 125 Prozent. Mit den generellen Preissteigerungen, Reparaturen und Wartung belaufen sich die Mehrkosten laut FT-Geschäftsführer Peter Gerspach insgesamt auf eine mittlere sechsstellige Summe. Mit Beitragserhöhungen sei die nicht zu decken. „Wir machen uns dabei ernsthafte Sorgen, dass sich Menschen einen Sportverein nicht mehr leisten können, das darf nicht passieren“, so Gerspach. Auch er pocht auf finanzielle Förderung: „Wenn die Sportvereine im Land keine substanzielle Hilfe erhalten, werden sie existenzielle Probleme bekommen. Am Ende auch die FT.“ Der Verein folgt dem Aufruf des Deutschen Olympischen Sportbundes, 20 Prozent Energie zu sparen – etwa durch Absenken der Temperatur in den Hallen um zwei Grad. „Bisher hat das keine Auswirkungen auf den Sportbetrieb. Keine Ahnung, wie das im Winter wird“, sagt ein Volleyballer des Vereins. Laut BSB-Präsident Fleischer ergibt sich das Einsparpotenzial aus der Sportart sowie Spielstätte. „Hier werden Grenzen gesetzt sein“, sagt er. So solle im Winter warmes Wasser aus Freiburger Vereinsduschen kommen. „Das muss man aber jedem einzelnen Verein überlassen“, sagt er. Das Gebäudemanagement Freiburg hatte das Warmwasser über die Sommerferien in allen städtischen Sportstätten abgedreht. 

Neben dem FT-Hallenbad in Freiburgs Osten haben auch die Städtischen Hallenbäder ihre Wassertemperatur um zwei Grad gesenkt. Wie viel Energie dadurch gespart wird, lässt sich laut Marion Uerlings, Sprecherin der zuständigen Regio Bäder GmbH, noch nicht beziffern. Laut ihrer Kollegin Esther Weiler verbrauchten die fünf Hallenbäder der Stadt im Jahr 2019 insgesamt 8,8 Gigawattstunden Energie – so viel wie jährlich fast 3000 Zweipersonenhaushalte. Rund die Hälfte davon (46,6 Prozent) entfällt auf Nah- und Fernwärme. Freiburgs Freibäder werden nicht geheizt und verbrauchten im selben Zeitraum etwas mehr als eine Gigawattstunde. Eine Zahl, von der das Keidel-Bad mit seinem gasbetriebenen Blockheizkraftwerk weit entfernt ist: 2018 benötigte die Therme mit Beckentemperaturen zwischen 29 und 40 Grad insgesamt 6,4 Gigawattstunden Energie. Wegen des mineralhaltigen Wassers ist eine Temperatur-Absenkung im Keidel laut Weiler allerdings nicht überall möglich. „Die Anlagen in der Therme sind sehr komplex“, so die Sprecherin. Vier (von neun) abgestellte Saunen, weniger Beleuchtung oder Lüftungsabsenkung sparen an anderer Stelle schätzungsweise täglich 1000 Kilowatt.

BROT & BIER

Das Grundnahrungsmittel Brot wurde in allen rund 120 Freiburger Bäcker-Filialen bereits deutlich teurer. Es könnten nicht die letzten Preiserhöhungen sein. Anja Schneider von der Bäckerinnung Freiburg Südbaden betont: „Die Energie-Preise steigen wahnsinnig, wir wissen nicht, wohin.“ Betriebe berichteten von achtmal so hohen Abschlägen bei Gas sowie dreifachen Forderungen für Strom im Vergleich zum Vorjahr. Die Preise für Rohstoffe haben sich laut Schneider um bis zu einem Drittel erhöht. Die 59-Jährige betont: „Die Märkte spinnen gerade.“ Wolfgang Pfeifle, Geschäftsführer der gleichnamigen Bäckerei, spricht von einer Verdopplung der Getreidepreise. Um Energie zu sparen, hat er seine acht Filialen in Freiburg mit LED-Leuchten und Bewegungsmeldern ausstatten lassen. Derzeit überprüft das Unternehmen Optimierungen an Kühlschränken und Theken. Pfeifle rechnet trotzdem mit Energie-Mehrkosten in Höhe von mindestens 300.000 Euro. Auch Bier wird teurer, spätestens im Frühjahr. Laut Detlef Frankenberger, Geschäftsführer der Brauerei Ganter, sind die Preise für Etiketten um 30 Prozent, Lauge um 80 Prozent und Flaschen um 100 Prozent gestiegen. „Kohlensäure für die Abfüllung ist dreimal teurer geworden. Das ist Wahnsinn“, sagt der 57-Jährige. Kohlensäure ist ein Nebenprodukt der gashungrigen Düngemittelindustrie. Weil der Chemiekonzern BASF seine Produktion im Zuge der Energiekrise runtergefahren hat, gebe es nur noch halb so viel Co2 -Gas auf dem Markt.

WIRTSCHAFT & INDUSTRIE

Fast ein Drittel des Endenergieverbrauchs der Industrie in Baden-Württemberg entfällt laut Statistischem Landesamt auf Erdgas. Der Wirtschaftsverband wvib Schwarzwald AG mit rund 1045 produzierenden Unternehmen, 384.000 Beschäftigten und einem weltweiten Umsatz von 75 Milliarden Euro schlägt angesichts explodierender Energiekosten Alarm. Besonders betroffen seien vor allem energieintensive Branchen wie das Umformungsgewerbe. Bei einer Laserverarbeitung in Sexau etwa hätten sich die Energiepreise im Zuge des russischen Angriffs auf die Ukraine verfünffacht. Diese Kosten könnten oftmals nicht weitergegeben werden. „Alte Verträge sind noch gültig, Stückpreise wurden darin zu Festpreisen vereinbart“, erklärt Hauptgeschäftsführer Christoph Münzer das Dilemma. „Die ersten Industrieunternehmen sind wegen der hohen Energiepreise in die Insolvenz gerissen worden, viele Unternehmen schreiben rote Zahlen.“ Der „Doppelwumms“ der Bundesregierung klinge nach großem Kaliber. „Mehr steckt bisher nicht dahinter. Noch ist überhaupt nicht klar, mit welcher Waffe wohin geschossen werden soll“, schimpft Münzer.

HAUSHALTE

Fast die Hälfte (44 Prozent) des Erdgases in Baden-Württemberg wird in privaten Haushalten verfeuert. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ruft deswegen wiederholt zum Energiesparen auf. Wie viel Energie durch zum 1. September sowie 1. Oktober in Berlin beschlossene Energieeinsparmaßnahmen in Baden-Württemberg überhaupt eingespart werden kann, lässt sich laut Mareike Schiffko, Sprecherin beim Landes-Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft, aktuell nur schwer beziffern. Anscheinend versuchen einige Freiburger·innen aber hauptsächlich Geld – und keine Energie – zu sparen. So bemerkt etwa die Baumarktkette Bauhaus an der Basler Straße gegenüber dem Vorjahr eine gestiegene Nachfrage nach alternativen Wärmequellen wie Öfen oder Elektroheizkörpern. Von solchen Heizern rät die Energieberaterin Ursula-Elisabeth Müller jedoch ab: „Bei Gewinnung, Umwandlung, Speicherung und Verteilung von Strom entstehen wesentlich mehr Energieverluste als bei Gas oder Öl.“ Weil Strom in Deutschland laut Statistischem Bundesamt bloß zu 41 Prozent aus regenerativen Quellen stammt, verbrauchten vermeintliche Sparfüchse mit elektrischer Energie indirekt Erzeugerenergie aus Kohle, Kernkraft oder eben knappem Gas.

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