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Arbeitswelt

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Modernes Kochen

Zeitgeist in der Küchengestaltung

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Foto: © Andreas Schaps

Dunkle Farben, Eiche, Naturstein – das sind die Küchentrends des Jahres. Doch woher kommen sie eigentlich? Wer gibt sie vor? Und welche Bedürfnisse stecken hinter solchen kollektiven Wünschen? Ein Einblick in die Philosophie der Küche.

Das mit den Trends ist so eine Sache, weiß Guido Hille. „Bei uns ist es nicht wie in der Mode, wo es jedes Jahr etwas Neues gibt“, erklärt der langjährige Studioleiter des Freiburger Küchenstudios „Die Küche – Marc Boehlkau“. „Im Möbelbau sind Trends langsamer und kontinuierlicher.“ Trotzdem gibt es sie natürlich. Seine letzte Landhausküche hat Hille vor knapp 15 Jahren geplant. Heute wollen die Menschen klare Linien, dunkle Farben, Holz und Naturstein. Die fast reinweißen Küchen von vor ein paar Jahren werden von Schwarz und Anthrazit abgelöst. „Viele bewundern die schwarzen Küchenfronten, trauen sich aber nicht ran“, weiß Hille, „die entscheiden sich dann für anthrazit.“ Damit die dunklen Farben auch wirklich edel wirken, haben die Hersteller Anti-Fingerprint-Versiegelungen entwickelt, sodass keine Fingerspuren und Fettspritzer haften bleiben. „Trend ist, was viele Leute wollen“, so Hille. Und dieses kollektive Begehren speist sich aus diversen Quellen. Natürlich spielen die Werbung, Wohnzeitschriften und Foto-Plattformen wie Pinterest eine große Rolle. Der Verkäufer beobachtet, dass immer mehr seiner Kunden gezielt mit Bildern zu ihm kommen, wie ihre Traumküche auszusehen hat. Beeinflusst wird der Zeitgeist aber auch von Faktoren, auf die man auf den ersten Blick nicht kommen würde. „Die Formensprache der Küchen kennen wir aus dem Automobilbau, aus dem Formenbau oder aus der Außenarchitektur“, sagt Hille und nennt ein Beispiel. Ein typischer Neubau hat anthrazitfarbene Fensterrahmen, ist innen großzügig geschnitten, die Wände sind in Weiß gehalten und die Raumhöhe liegt bei 2,45 Meter – das bedingt klare, ruhige Formen und Farben, die sich dort harmonisch einfügen. Wer dann doch noch einen Farbtupfer möchte, erreicht das etwa über farbige Glasplatten, die als Spritzschutz dienen. Mit ihnen kann man Akzente setzen. Ein optischer Hingucker sind auch Kücheninseln, allerdings mehr noch ein Ort der Begegnung. „Durch sie ist man in Augenhöhe, kann ins Gespräch kommen oder mithelfen“, sagt Hille. Sie können als Koch- oder Spülbereich

Küchentrends 2021

. dunkle Farben . matte Oberflächen . Eiche und Nussbaum . individuelle Korpushöhen . indirekte Beleuchtung . intelligente & vernetzte Küchengeräte

gestaltet werden. Oder man wählt einen Tresen, ein perfekter Platz für ein schnelles Frühstück, der zudem als Blickschutz für offene Küchen dient. Diese sind übrigens nach wie vor ein Trend, der wohl auch nicht so schnell abreißen wird. „Abgeschlossene Küchen gibt es im Neubau fast gar nicht mehr“, weiß Hille, der seit 30 Jahren Küchen plant. „Man möchte heute große Räume schaffen.“ Wenn jeder in die Küche blicken kann, ist Ordnung natürlich besonders wichtig. Auch sie kann durch kluge Konzepte unterstützt werden. Was heute als Trend bezeichnet wird, ist eigentlich ein uraltes Konzept. Schon die alten Römer brutzelten und buken in offenen Küchen. Vom Mittelalter bis zum frühen 20. Jahrhundert waren sie allerdings verpönt – Gerüche und Bratendunst sollten in einem abgeschlossenen Raum bleiben. Heute, wo diese Überlegung dank innovativer Abzugssysteme keine so große Rolle mehr spielt, wird die Küche wieder zu einem Ort des Zusammenkommens. Bereits jeder fünfte Deutsche hat eine offene Wohnküche – Tendenz steigend. Was dabei hineinspielt, nennt sich neudeutsch „Cocooning“. Das bedeutet so viel wie „sich verpuppen“. Die Küche soll gemütlich und wohnlich werden, ein Ort, an dem nicht einfach gearbeitet und gekocht wird, sondern ein Ort zum Wohlfühlen. Gerade in Zeiten des Lockdowns, wenn die Menschen mehr zu Hause sind und kochen, bekommt die Küche einen neuen Stellenwert. Deswegen haben Hille und seine Kollegen gerade alle Hände voll zu tun. Zwar kann das Studio momentan nur nach Voranmeldung besucht werden, doch das nutzen die Menschen fleißig. Viele wünschen sich eine schöne, neue Küche. Und wenn das Geld auf der Bank immer weniger wert wird, legen sich die Leute dafür lieber etwas zu. Einige Hersteller haben auf die Auswirkungen der Corona-Krise reagiert, indem sie einen Arbeitsplatz in ihre Küchen integriert haben – für alle Menschen im Homeoffice, die keinen Schreib- oder Esstisch zur Verfügung haben. Überhaupt betrachtet er so manche Neuerungen kritisch. Stichwort: Smart Home. Das hat natürlich auch in den Küchen Einzug gehalten. Ein Kühlschrank, der eine Nachricht schickt, wenn die Milch fast leer ist, oder ein Backofen, der sich meldet, wenn das Essen droht anzubrennen – klingt im ersten Moment ganz praktisch. „Mich hat noch nicht ein einziger Kunde nach einem intelligenten Kühlschrank gefragt“, winkt der Küchenexperte ab. Andere technische Möglichkeiten finde er „ganz interessant“, trotzdem erlebe er meist, dass die smarten Funktionen gar nicht oder nur am Anfang genutzt werden. „Die Technologie kann das Kochen unterstützen und erleichtern“, findet der 57-Jährige, „aber das Kochen bleibt ein sinnliches Handwerk, das hoffentlich niemals durch Technik ersetzt wird.“ Tanja Senn

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