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Lingens Außenblick
Österreichs magere Corona-Bilanz
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PETER MICHAEL LINGENS
Peter Michael Lingens kommentiert hier jede Woche vorrangig das wirtschaftspolitische Geschehen
Der Autor
war langjähriger Herausgeber und Chef- redakteur des Profil und der Wirtschafts - woche, danach Mitglied der Chefredaktion des Standard. Er schreibt hier jede Woche eine Kolumne für den Falter. Siehe auch: www.lingens.online
Das Institut für Höhere Studien, dem bis vor kurzem der nunmehrige Arbeitsminister Martin Kocher vorstand, dessen Expertise derzeit verhindert, das Arbeitslosengeld zu erhöhen, hat den Wirtschaftseinbruch Österreichs im März auf 2,5 Prozent geschätzt. Geworden sind es mit mindestens 7,5 Prozent exakt so viel, wie ich hier im März mit „fünf Prozent pro Monat Lockdown“ vermutet habe. Da wir uns mittlerweile im dritten Lockdown befinden, bewegen wir uns im ersten Quartal 2021 vermutlich auf einen fortgesetzten Wirtschaftseinbruch zu. Wenn Sebastian Kurz und Rudolf Anschober dennoch behaupten, dass Österreich besonders gut durch die Corona-Krise komme, ist das zumindest kühn: Mit dem bisherigen Rückgang des BIP um 7,5 Prozent liegen wir nur gerade im Schnitt der EU, schneiden aber unter den wirtschaftlich starken Ländern des „Nordens“ am schlechtesten ab. Deutschland, dessen BIP/Kopf fast exakt dem Österreichs gleicht, beklagt nur ein Minus von fünf Prozent. 60 Prozent dieses schlechteren Abschneidens rechnet Agenda Austria glaubhaft Österreichs viel größerer Abhängigkeit vom Fremdenverkehr zu – die restlichen 40 Prozent muss man im Unvermögen vermuten. Verfehlt war von Beginn an die von Anschober wie diversen Experten vertretene Ansicht, dass „Masken“ nicht zur Eindämmung der Pandemie beitrügen – sie tragen, wie aus China, Japan und Südkorea gleichermaßen klar war, wesentlich dazu bei. Verfehlt waren zweifellos die zu frühe Lockerung nach dem erfolgreichen ersten Lockdown und die folgende Auf-zu-Politik. Ähnlich verfehlt war demnach auch meine Empfehlung für „Schweden + Ampel“, auch wenn die Ampel nie grün geleuchtet hat. Unter Ökonomen wird darüber gestritten, ob die Menschen so viel weniger eingekauft haben – ob die Wirtschaft so viel mehr Schaden erlitten hat –, weil sie Angst hatten, sich anzustecken, oder weil ein Lockdown sie am Einkaufen gehindert hat. Die Entwicklung in Südkorea scheint mir diesen Streit hinfällig zu machen: Dort hat ein denkbar massiver Lockdown bei allerdings ständigem Tragen von Masken die Zum eigenen Gebrauch nach §42a UrhG. Digitale Nutzung gem PDN-Vertrag des VÖZ voez.at. Anfragen zum Inhalt und zu Nutzungsrechten bitte an den Verlag (Tel: 01/53660*961). Wirtschaft nur um ein einziges Prozent schrumpfen lassen. Ein kurzer, massiver Lockdown ist die zweifelsfrei beste Lösung des medizinischen wie des wirtschaftlichen Corona-Problems.
Insofern dürfte uns das aktuelle Offenhalten der Skilifte und Seilbahnen durch Elisabeth Köstinger und Sebastian Kurz teuer kommen: Die Ostergäste werden ausbleiben, und unser seit Ischgl angekratztes Tourismusimage erleidet nachhaltigen Schaden. Dass die Tiroler „Adler-Runde“ unter den größten Spendern der Kurz-ÖVP
Die ÖVP mag gedacht haben, mit dem Offenhalten der Skilifte und Seilbahnen dem Tiroler Fremdenverkehr etwas Gutes zu tun. Sie hat damit das Maximum des Gegenteils erreicht
gewesen ist, entpuppt sich als Treppenwitz der Geschichte: Wenn man in der ÖVP gedacht haben sollte, dem Tiroler Fremdenverkehr durch die vermiedene Schließung von Liften und Seilbahnen etwas Gutes zu tun, so hat man das Maximum des Gegenteils erreicht.
Dunkelster Punkt der medizinischen Bilanz sind die 44 Prozent Covid-19-Toten in Altenheimen, obwohl man aus den hohen Todeszahlen in schwedischen Altersheimen seit Beginn des Sommers wissen musste, dass dort die größte Gefahr lauert. Dass trotzdem nicht ununterbrochen jeder Beteiligte – Pfleglinge, Pfleger, Besucher – getestet wurde, ist unverständlich. Seit Sommer könnte man schließlich – nicht zuletzt zum Nutzen der Wirtschaft – Lüftungssysteme für Schulen angeschafft haben und könnten neun Impfplattformen programmiert sein, in die man Alter und Vorerkrankung einträgt, um Impftermin und Location zu erhalten. In Summe: Ab Ende des ersten Lockdowns ist es ein Witz, wenn Anschober und Kurz sich ihres erfolgreichen Umgangs mit dem Virus rühmen.
Dass der Wirtschaftseinbruch auch abseits des mäßigen Umgangs mit dem Virus und unter Berücksichtigung der hohen Tourismusabhängigkeit so viel größer als in Deutschland ist, liegt nicht zuletzt an Österreichs höherem Anteil an Einpersonenunternehmen (EPUs). Ich hatte deshalb nach Rücksprache mit dem Ex-Staatssekretär im deutschen Finanzministerium, Heiner Flassbeck, im April hier vorgeschlagen, dass ihnen die Finanz (nicht die Wirtschaftskammer) durchwegs 20.000 Euro überweisen möge und nur von Unternehmen, denen das zu wenig ist, einen „Antrag“ fordern sollte. Das hätte diesen EPUs jedenfalls das Überleben gesichert – so hingegen haben viele von ihnen bis heute kein Geld gesehen. Während gleichzeitig größere Unternehmen absurde 80 Prozent ihres Vorjahresumsatzes – nicht vielleicht des Gewinns – erhielten.
In den USA verhinderte Donald Trump den schlimmsten Wirtschaftseinbruch bekanntlich, indem er das Arbeitslosengeld um wöchentlich 600 Dollar erhöhte, und jetzt erhöht es Joe Biden um wöchentlich 400 Dollar und überweist Mittellosen einmalig 2000 Dollar. So schränkten die betroffenen Bürger ihren Konsum kaum ein, und das Minus für Geschäfte und Produzenten fiel längst nicht so groß aus: Das US-BIP sank nur um 3,5 Prozent.
Blümel wie Kocher lehnen diese Strategie ab, und sie wird auch in Deutschland nicht verfolgt. Dort hat man allerdings die Mehrwertsteuer gesenkt und damit einen ähnlichen Effekt erzielt: Trotz gestiegener Arbeitslosigkeit wurde nicht so viel weniger eingekauft – auch wenn vor allem Wohlhabende ihre Autokäufe vorgezogen haben, was ökonomisch nicht so günstig wie der Weg Trumps und Bidens ist. Aber alles ist meines Erachtens besser als Österreichs Unterlassung jeglicher Hilfe für den privaten Konsum – wenn man von Wiens 25-Euro-Gastrogutscheinen absieht.