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TREND WIRTSCHAFT ÖSTERREICH

APRÈS-SKI IN DER AXAMER LIZUM. Lernen aus der Cooling-of-Phase.

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Vorwärts in die Vergangenheit

Mitten in der Pandemie arbeitet das schwer unter Beschuss gekommene

Bundesland TIROL an einem neuen Tourismus-Leitbild. Im Tauziehen zwischen Bewahrern und Reformern dürften sich jene durchsetzen, die dort weitermachen wollen, wo vor der Krise aufgehört wurde. Zum eigenen Gebrauch nach §42a UrhG. Digitale Nutzung gem PDN-Vertrag des VÖZ voez.at. Anfragen zum Inhalt und zu Nutzungsrechten bitte an den Verlag (Tel: 01/213 12-0). Pressespiegel Seite 9 von 86

VON BERNHARD ECKER

Die Revolution beginnt nicht in Ischgl oder Sölden, sie beginnt in Kufstein. „Ich schäme mich schon so“, „ich bekomme gleich einen Wutanfall“. „Wir wollen nicht mit denen in einen Topf geworfen werden.“ Diese Sätze ielen am 16. Februar in einer Videokonferenz junger Betriebsinhaber und Tourismusmanager des Tourismusverbands (TVB)

Kufsteinerland. Die hoch motivierte

Truppe trift sich seit einigen Wochen regelmäßig online unter dem Titel „Next

Generation“.

Es war die Woche vor der Abriegelungsentscheidung angesichts der Häufung von Fällen der so genannten Südafrika-Variante des Coronavirus in Tirol, und die oiziellen Repräsentanten der S S Tiroler Wirtschaft hatten wieder einmal N Z O mit deftigen Worten Richtung Wien und F R A Bayern gebellt. Eine arrivierte InnsbruE R , cker Hotelbetreiberin machte mit ihrer D R O Bemerkung „Mein Immunsystem leidet G N N am meisten, wenn ich keine Party hab“ in A O H einem Facebook-Video kurzfristig Karri/ J X P A ere in den sozialen Medien. M / E Doch an der Basis brodelt es längst an-O K . C gesichts dieser Außendarstellung Tirols, D E S von Spöttern in „Virol“ umgetauft, in der E T U R Welt. Der Kufsteiner Tourismus-NachP I C wuchs will nun etwa ein Video anferti, E L L T gen, um zu demonstrieren, „dass wir so E S T nicht sein wollen“. Es soll Anfang März G B E I fertig sein. „Die, die an der Spitze sind, , N G müssen die Next Generation miteinbezieU E I T hen“, fordert Stefan Pühringer, Ge-Z G E S schäftsführer des TVB Kufsteinerland: R T A „Wir wollen keine HinterzimmerentE R O L scheidungen mehr.“ M / T I Noch dominieren tägliches PandeB Ö H mie-Krisenmanagement rund um M A S Grenzschließungen, der Blick auf die T H O Sieben-Tage-Inzidenzen und Lobbying O S : für Lokalöfnungen. Doch im HinterT F O grund hat schon die Diskussion begonnen, ob die Zukunft mit einem Weiterso-wie-bisher bewältigt werden kann oder ob es nach den Corona-Erfahrungen nicht doch eine radikale Kehrtwende braucht. Die Nachrichten über Ischgl als Virusschleuder Europas und jüngst über den größten „Südafrika-Cluster“ außerhalb Südafrikas im Bezirk Schwaz gingen um die Welt.

Mit 18 Prozent direktem Anteil an der regionalen Wertschöpfung in Österreich stellt sich die Frage dringlicher als anderswo (siehe Graik unten). Tirol hat in Österreich die mit Abstand höchste Abhängigkeit vom Tourismus und verzeichnet mehr als ein Drittel aller Übernachtungen. 90 Prozent davon kommen aus dem Ausland.

Bis Juni soll nun ein neues Leitbild für den Tiroler Tourismus feststehen, bestätigt Florian Phleps dem trend. Der 40-Jährige ist 2019 als Chef der Tirol Werbung angetreten und somit selbst ein Vertreter der „Next Generation“. Bis dato galt der 2015 beschlossene so genannte „Tiroler Weg“, der 2021 ausgelaufen wäre. Nun wird in Fokusgruppen und Expertenrunden ein Nachfolgeregime vorbereitet, „nicht als Sechs-Jahre-Plan, sondern als Prozess“, hält Phleps fest. Das Leitbild, das einen neuen Namen bekommen wird, wird also nicht mehr in Stein gemeißelt sein und soll ständig adaptiert werden können.

Ein paar Tendenzen sind schon erkennbar. Künftig sollen nicht mehr Übernachtungszahlen oder Ankünfte die allein maßgeblichen Leistungskennzahlen sein, verrät Phleps: „Ein wertschöpfungsbezogener Parameter wie Umsatz pro Bett pro Jahr ist etwa ein sinnvoller Anknüpfungspunkt.“ Themen wie Gesundheit und Sicherheit sollen stärker in den Mittelpunkt gerückt werden, eine direkte Reaktion auf Corona. Und ein weiterer, neuer Schwerpunkt werde laut Phelps „auf Regionalität und regionale Wirtschaftskreisläufe zu legen sein“.

Direkter Beitrag des Tourismus zur gesamten Wertschöpfung (BIP-Anteil) Welt 3,3 % Österreich 5,9 % Tirol 18 %

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Alle sagen ‚nachhaltig‘. Aber wenn man nachfragt, was das heißt, kommt relativ wenig zurück.“

JAKOB FALKNER BERGBAHNEN SÖLDEN

Ich halte nichts von Ballermann- imitaten, sondern stehe für einen Qualitätssprung nach oben.“

FRANZ HÖRL SEILBAHN-VERTRETER

Damit spricht er etwa der jungen „Stanglwirtin“ in Going am Wilden Kaiser, Maria Hauser, aus der Seele, die Nachhaltigkeitsthemen forciert. Sie fordert, künftig stärker auf Klima- und Umweltschutz Rücksicht zu nehmen und bisherige Erfolgsmaßstäbe zu überdenken: „Das Wettrüsten und Wettrennen um die besten Zahlen – das hat sich überholt.“ Ihr Haus will sie künftig nicht auf die berühmte Weißwurst-Party am Kitz-Rennwochenende reduziert wissen.

BESÄNFTIGUNG. Dass es zu mehr als besänftigenden Überschriften an die Nachhaltigkeitsfans kommen wird, ist jedoch zu bezweifeln. Dass es in der Debatte ans Eingemachte geht, wurde erst jüngst wieder klar, als Mario Gerber meinte, sanfter Tourismus sei „deinitiv die falsche Antwort“ auf die Krise. Gerber ist Hotellerie- Spartenobmann in der Tiroler Wirtschaftskammer und ÖVP-Tourismus- sprecher im Landtag. Der Sager wurde von seinen Kritikern als Position der „Funktionärsclique“ abgetan. Denn obwohl Koalitionspartner, vertritt sein grünes Gegenüber Georg Kaltschmid, selbst Hotelier am Walchsee, die Gegenposition: „Wir brauchen eine Diskussion ohne Scheuklappen. Ein Tourismus, der nicht von der Bevölkerung mitgetragen wird, wird keinen Erfolg haben.“

Die Tirol Werbung, beim für Tourismus zuständigen Landeshauptmann Günther Platter angesiedelt, ist nur ein Fädenverknüpfer, oft auch Moderator und Mediator zwischen den divergierenden Interessen der Mächtigen von Tirol.

Sieben-Tage-Inzidenzen Wien vs. Tirol (Juli 2020–Februar 2021) 800

600

400 Tirol Wien

200

0

Juli Aug. Sept. Okt. Nov. Dez. Jan. Feb.

T A . C A . K B I U . S A L T A L O R I T : E L L E U Q

WIEN-TIROL. Derzeit ist die Gesundheitslage, was Neuinfektionen betrift, in Tirol wieder besser als in der Bundeshauptstadt. Phleps gehört dabei nicht zu den Schönrednern: „Sicher erleidet die Marke Tirol derzeit einen Schaden.“ Doch aus der Buchungslage für Sommer und Winter lasse sich nicht herauslesen, dass sich dieser Schaden auch schon materialisiert. Und es gehe, fügt er schnell hinzu, nicht darum, „Tirol-Tourismus als Gesamtes zu hinterfragen“. Das ist in Richtung der etablierten Branchengrößen gesagt, die wenig Reformbedarf sehen. Ihr Kalkül: Nach einer Cooling-of-Periode dort weitermachen, wo man vor der Krise aufgehört hat, kleine Adjustierungen inbegrifen. Jakob Falkner, Betreiber der Söldner Bergbahnen, hat die Wintersaison zwar vorzeitig beendet, die Februartage lagen bis dahin laut seinen Angaben 99 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Dennoch erwartet er, dass die alten Besucherzahlen bald wieder erreicht Zum eigenen Gebrauch nach §42a UrhG. Digitale Nutzung gem PDN-Vertrag des VÖZ voez.at. werden können und auch das Partyleben zurückkommen Anfragen zum Inhalt und zu Nutzungsrechten bitte an den Verlag (Tel: 01/213 12-0). Pressespiegel Seite 11 von 86 wird. „Die Leute wollen feiern, auch wenn es vielleicht nicht mehr Après-Ski heißt.“ Nachsatz: „Alle sagen ‚nachhaltig‘, aber wenn man nachfragt, was das heißt, kommt relativ wenig zurück.“

Auch Elisabeth Gürtler, Wiener Hotelière in Seefeld, glaubt, dass „den Gästen die Politik egal ist. Sie sind vergesslich und kommen wieder, denn das Bedürfnis nach Urlaub ist riesig, auch bei den Deutschen“. Ihr Haus, das sie am 13. Mai wieder aufsperren will, hat sie eben TÜV-zertiizieren lassen, die Zimmer werden nach Benutzung vernebelt, Gürtler spricht vom „virenfreien Hotel“.

Derbe Sprüche wie der über die „Rülpser aus Wien“, wie Seilbahnen-Chef Franz Hörl die Maßnahmen der Bundesregierung genannt hatte, indet die frühere Sacher-Eigentümerin als einstige Opernball-Chein Meisterin der Diplomatie freilich „nicht gut“. Rund ein Viertel ihrer Kunden im „Astoria Seefeld“ sind zudem Gäste aus Bayern, wo die bilateralen Töne zuletzt ebenfalls besonders rau waren.

PARTY ADE. Hörl selbst, für viele außerhalb Tirols zur Reizigur geworden, beantwortet Fragen nur noch schriftlich. „Wir müssen uns nicht neu erinden, aber wir müssen gegen negative Entwicklungen knallhart vorgehen“, lässt er ausrichten: „Ich halte nichts von Ballermann-Imitaten, sondern stehe für einen Qualitätssprung nach oben.“ Nachsatz: „Wenngleich man jungen Menschen auch zugestehen muss, unbeschwert zu feiern.“

Muss sich folglich Ischgl, bekannt geworden durch exzessiven Après-Ski-Seite: 3/4

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HOTSPOT ISCHGL: Ende des Alpen-Ballermanns

Tourismuschef ALEXANDER VON DER THANNEN will exzessiven Partytourismus minimieren, aber keine Neuausrichtung.

EINE LEKTION HAT ALEXANDER VON DER THANNEN AUS CORONA GELERNT. „Im Umgang mit den Medien werden wir uns künftig anders verhalten.“ Vor der Krise „haben wir eingeladen, jetzt werden wir vorgeladen“, fasst der Geschäftsführer des Tourismusverbands Ischgl-Paznaun den Umstand zusammen, dass statt wie früher Reisejournalisten jetzt vor allem kritische Reporter nach Ischgl kommen, um dort die Geschehnisse im März 2020 zu rekonstruieren. Eine ORF-Schauplatz-Reportage mit dem sprechenden Titel „Das große Schweigen“

am 10. Dezember zeigte von der Thannen als vor der Kamera davon eilenden Tourismusvertreter. „Kein Kommentar“ ist alles, was dem Hotelier heute noch zu dieser Sendung einfällt.

Abgesehen von der Medienarbeit sieht der Tourismuschef aber auch nach den Negativschlagzeilen in nationalen und internationalen Medien – Stichwort: „Virenschleuder Europas“ – keinen großen Korrekturbedarf. Grundsätzlich bleibt für von der Thannen „Après-Ski- und Partytourismus mit gutem Champagner und gutem Wein“ wünschenswert – im Gegensatz zu „Ballermann-Tourismus“.

Schon in den Jahren vor Corona habe man durch Schritte wie einem nächtlichen Skischuh- und einem Alkoholverbot auf öfentlichen Plätzen damit begonnen, den exzessiven Partytourismus einzudämmen. „Das Dorf ist wesentlich leiser geworden“, behauptet von der Thannen einen Efekt dieser Prä-Corona-Maßnahmen. Nun wolle man auch noch das Abstellen von Bussen, die nur zur Party und nicht auch zum Skifahren kommen, so verteuern, dass Feiern um des Feierns willen entsprechend kostspieliger werde, sagt er: „Die billigen Preise werden nicht mehr zu halten sein.“ Und er fügt hinzu: „Nur haben wir es in dieser Saison noch nicht unter Beweis stellen können“. Die Bergbahnen Ischgl werden – Stand Redaktionsschluss – diesen Winter nicht mehr öfnen. Mit 1,8 Millionen Übernachtungen war Ischgl-Paznaun in der Saison 2019/20 die zweitstärkste Region Tirols nach dem Ötztal (2,3 Millionen). Jetzt steht es still. Es werde, schätzt von der Thannen, „zwei, drei Winter“ dauern, „bis wir wieder dort sind, wo wir vorher waren“. Er meint das auf den Umsatz bezogen, bei den Gästezahlen hat selbst er seine Zweifel. Dauerhaften Schaden kann er vorerst aber keinen erkennen. „Wir werden weder am Namen noch am Logo noch an der grundsätzlichen Ausrichtung etwas ändern. Das wird es nicht spielen.“

ISCHGL- TOURISMUS- CHEF Alexander von der Thannen: „In zwei, drei Wintern werden wir wieder dort sein, wo wir vorher waren.“

IMPFPFLICHT Generell ist man in Ischgl noch immer überzeugt, zu Unrecht zum Sündenbock gestempelt worden zu sein. „Wir haben viel über uns ergehen lassen müssen“, sagt von der Thannen, Betreiber des Hotels Trofana Royal: „Exzesse gibt es überall, wo der Party-Wochenend-Tourismus stattindet.“ Generell werde übersehen, dass von 120 Bussen am Wochenende bisher 80 Prozent zum Skifahren gekommen seien. Dass der verlorene Ruf nur durch penible Sicherheitskonzepte wieder hergestellt werden kann, sei aber jedem klar. Gerne würden die Ischgler, deren Bevölkerung zu über 40 Prozent „durchseucht“ ist, deshalb den Impf-Nachweis als Quasi-Eintrittskarte in ihren Ort. Von der Thannen: „Dazu brauchen wir aber eine Gesetzesvorlage.“ Zum eigenen Gebrauch nach §42a UrhG. Digitale Nutzung gem PDN-Vertrag des VÖZ voez.at. Anfragen zum Inhalt und zu Nutzungsrechten bitte an den Verlag (Tel: 01/213 12-0). Pressespiegel Seite 12 von 86

Wir haben uns das sogenannte Klumpenrisiko des Tourismus nicht ausgesucht. Es ist die Folge von Lage und Topograie.“

CHRISTOPH WALSER

WKO TIROL

Tourismus, ein neues Geschäftsmodell suchen? Alexander von der Thannen, Chef des TVB Ischgl-Paznaun, glaubt, nein. Er sieht die Auswüchse der letzten Jahre eher als historischen Ausrutscher, der auch anderswo genauso passiert sei (siehe Kasten links).

Auf eine Diskussion, ob das Land zu stark vom Tourismus abhängig geworden ist und so ein Klumpenrisiko gebildet hat, will sich ohnehin niemand der Tourismus-Oberen einlassen. Die starke Fokussierung auf die Tourismuswirtschaft „hat uns über die Jahre 2008 bis 2010 ermöglicht, die Wirtschaftskrise besser als andere Standorte zu meistern“, argumentiert Tirols Wirtschaftskammer-Chef Christoph Walser: „Die Pandemie hat uns dafür jetzt stärker getrofen als andere Regionen. Wir haben uns dieses sogenannte Klumpenrisiko aber nicht ausgesucht, es ist die Folge von Lage und Topograie.“

Eine große Revolution ist deshalb vorerst wenig wahrscheinlich. Dass ihre Vorliebe für regionales Wirtschaften nun ins Tiroler Leitbild gehoben werden könnte, sieht Stanglwirtin Hauser jedoch als Bestätigung: „Wir werden unserem Weg, der auf die Vermittlung von Wohlgefühl und nicht auf Gewinnmaximierung setzt, auf jeden Fall treu bleiben.“

Und in Kufstein ist man schon froh darüber, dass es gelungen ist, den Unmut sichtbar zu machen. Dass es tatsächlich eine dramatische Kehrtwende geben wird, glaubt TVB-Chef Pühringer ohnehin nicht: „Ein radikaler Umbruch ist auch gar nicht sinnvoll, es geht nur um die Gewichtung.“ Seite: 4/4

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