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Einleitung
Abb. 1 Haus zum Kirschgarten, Querschnitt durch die Mittelachse. Säulenarchitektur (dorisch) im Erdgeschoss an der Strassenfassade und in der Durchfahrt. Säulenarchitektur (ionisch) in der Beletage im Vestibül. Nicht sichtbar: Säulenarchitektur (korinthisch) im geplanten Vestatempel. Aquarellierte Federzeichnung, Johann Ulrich Büchel zugeschrieben, 1775/1776. Das private Bauprojekt gab schon vor seiner Fertigstellung zu reden: Als der Zimmergesell am 13. September 1776 «vom Dache des neuerbauten Burckhardtischen Gebäudes» seine Rede an die 76 Gäste des Aufricht-Mahles richtete, hob er sein Glas auf jeden, «der über diesen Bau sich höhnisch nicht moquiret, oh nein, sich herzlich freut, dass er so schön aufgeführet».1 Der Stein des Anstosses? Für ein Bürgerhaus wurde ein fürstlicher Aufwand betrieben. Ein prächtiger Palast war im Entstehen. Abb. 1|2
Diese Etikettierung haftet seit jeher dem Neubau des Basler Handelsmanns und Seidenbandfabrikanten Johann Rudolf Burckhardt (1750–1813), dem so genannten ‹Haus zum Kirschgarten›, an. In der Stadtrepublik gab es in der Generation des Bauherrn in der Tat keine andere Architektur, die dem Stadtpalais den baukünstlerischen Rang streitig gemacht hätte. Als knapp 20 Jahre nach der Fertigstellung im Jahr 1798 das Zunftregiment in einer unblutigen Revolution endete, verlor das Handelspatriziat im Basler Staatswesen an Bedeutung und damit an auftraggeberischer Potenz. Verdankt die damals grösste Stadt in der Eidgenossenschaft «das erste programmatisch klassizistische Wohnhaus in der Schweiz»2 dem unbescheidenen Geltungsdrang eines gut betuchten Bauherrn? Der Widmung des Hauses zum Kirschgarten als Wohnmuseum ging das 1914 festgelegte testamentarische Vermächtnis des Segerhofs voraus.3 Abb. 5 Da dieses Kaufmannshaus einer Strassenverbreiterung weichen musste, sprach der Kanton am 25. November 1930 dem Historischen Museum Basel das Haus zum Kirschgarten als Ersatz zu. Seit 1951 ist es öffentlich zugänglich. Seither profitiert das Museum von der Ausserordentlichkeit seiner Architektur, die seit den Tagen der Erbauung bezeugt ist: «Es ist bei weitem das schönste Privatgebäude, das ich in der ganzen Schweiz gesehen habe, und vereinigt Schönheit und Geschmack mit der edlen Einfalt der Antike», so begeisterte sich im Februar 1783 Karl Gottlob Küttner in einem seiner veröffentlichten ‹Briefe eines Sachsen aus der Schweiz›.4
Mit der Museumswidmung rückte das Haus zum Kirschgarten auch ins kunst- und architekturhistorische Blickfeld: Der Aufnahme in die Reihe ‹Das Bürgerhaus der Schweiz› 1931 durch Hans Reinhard folgte 1951 durch denselben Autor und Museumsdirektor eine knappe Würdigung im Rahmen einer Wegleitung zur Museumseröffnung.5 Mit dem Begleitbuch zur Ausstellung: ‹Sehnsucht Antike. Das Haus zum Kirschgarten und die Anfänge des Klassizismus in Basel› hat die jüngere Forschung 1995 das Stadtpalais aus kunst- und kulturhistorischer Perspektive in seine Entstehungszeit eingebettet und neues Wissen zusammengetragen.6 Trotz der
Vermutung freimaurerischer Elemente blieb die Frage offen: Gibt es andere Besonderheiten, ausser dem baulichen Aufwand und der Ausrichtung am neoklassizistischen Geschmack der Antikenmode, die das Haus von den zwischen 1760 und 1790 errichteten bürgerlichen Stadthäusern unterscheiden und es von ihnen abheben?
Die Vermutung lässt sich jetzt bestätigen: Die von Zeitgenossen vielbewunderte Architektur ist wesentlich durch die Freimaurerei geprägt und ist in der Schweiz dafür ein singuläres Beispiel. Erst vor diesem Hintergrund versteht sich auch der besondere architektonische Aufwand. Das Wohn- und Geschäftshaus des Johann Rudolf Burckhardt, der mit 18 Jahren Freimaurer wurde und als 24-Jähriger dieses Projekt begann, hängt eng nicht nur mit der Etablierung des Freimaurerordens in Basel zusammen, sondern steht über diese lokale Bedeutung hinaus für die Unabhängigkeitsbestrebungen der helvetischen Freimaurerei, die damals in Basel ihr aktives Zentrum hatte. Konkretes Ziel war dabei die Gründung einer Nationalloge. Diesem bisher übersehenen Entstehungszusammenhang gilt diese Publikation.
In einem unmittelbar nach der Fertigstellung des Kaufmannspalais 1781 erschienenen Reiseführer unterscheidet der Autor das Haus
Abb. 2 Haus zum Kirschgarten, Strassenfassade, errichtet 1775–1776. Dreigeschossige Sandsteinfassade mit neun Fensterachsen. Blendportikus mit Dreiviertelsäulen dorischer Ordnung. Nebeneingang, darüber Rundbogenfenster als Auszeichnung des in der Beletage geplanten Tempels der Vesta.
Abb. 3 Basel, Wendelstörfer Hof (‹Weisses Haus›) und Reichensteiner Hof (‹Blaues Haus›), am Rheinsprung, erbaut 1763–1775. Die beiden Kaufmannspalais der Brüder Jakob und Lukas Sarasin sind die aufwendigsten Beispiele bürgerlicher Baukunst in Basel vor dem Haus zum Kirschgarten. Jakob Sarasin war Mitglied einer Freimaurerloge in Frankfurt/Main. Er ermöglichte Cagliostro im Weissen Haus 1787 die Einrichtung einer privaten Loge. Siehe S. 45 und Anm. 319 zum Kirschgarten von dem 1763–1775 erbauten Zwillingspalais der Brüder Sarasin, bekannt als Weisses und Blaues Haus: Abb. 3
Man hat seit einigen Jahren verschiedene sehr schöne Häuser zu Basel gebauet, davon einige den Namen eines Palasts verdienen. Das Haus der Herren Sarrasin, woran sie, wie man sagt 600000 Franken verwendet, ist das merkwürdigste. … Seitdem dieses geschrieben worden, hat Hr. Burkard einen noch prächtigeren Palast, und in einem weit grössern Styl, erbauet. (M. Burkard a bâti un hôtel plus beau & d’un style plus grand).7
Das Unterscheidungsmerkmal ist der «weit grössere Stil».8 Dieser Hervorhebung, mit der die Stellung des Hauses zum Kirschgarten in der Hierarchie der Profanarchitektur angesprochen ist und die das Haus salopp gesagt als ‹overdressed› charakterisiert, gilt unsere besondere Aufmerksamkeit.
Mit dem «grösseren Stil» kommt eine Unstimmigkeit oder ein Konflikt zum Ausdruck, den Axel Christoph Gampp unter dem Titel «Bienséance und Commerce ennobli: Das Haus zum Kirschgarten und das Problem des ‹Angemessenen›» zu erklären suchte.9 Der Einsatz der Säulenordnung, also einer Auszeichnung der Architek-
tur öffentlicher und sakraler Gebäude und der Palais des Adels, sei mit der soziopolitischen Entwicklung der Nobilitierung des Standes der Grosshändler gerechtfertigt, zu denen unser Bauherr sich zählen durfte. Die Anwendung der Säulenordnung an der Fassade und im Inneren unterscheidet das Haus zum Kirschgarten grundsätzlich von den Bauten wohlhabender Bürger jener Zeit, nicht nur in Basel.10 Abb. 4|5 Die von strengen Sittengesetzen geregelte Gesellschaft der Stadtrepublik hielt sich auch in der Baukunst an die allgemein gültigen Konventionen, die den Gebrauch von Säulen an den Bauten selbst von Millionären aus dem Bürgertum ausschloss. (siehe S. 100). Was hat es also mit dem «grösseren Stil» auf sich? Gibt es noch eine andere Erklärung als die Nobilitierung des Kaufmannsstandes dafür, dass dieses Haus die dem Bürgertum zugestandene Angemessenheit überschreitet?
Grundlagen der Recherche
Welche Grundlagen bieten die bisher zum Haus zum Kirschgarten gesichteten Quellen und das daraus gewonnene Wissen, auf dem unsere Recherche aufbaut? Im Gegensatz zu den zahlreichen Erwähnungen in der zeitgenössischen Reiseliteratur11 ist die Bau- und Ausstattungsgeschichte leider schlecht dokumentiert. Es gibt keine Bauakten und keine anderen schriftlichen Quellen, zum Beispiel
Abb. 4 Basel, Wildensteiner Hof, St. Alban-Vorstadt, erbaut 1775–1777. Beispiel eines Basler Kaufmannspalais zur Bauzeit des Hauses zum Kirschgarten.
Abb. 5 Basel, Segerhof, ehemals gegenüber dem Hotel Trois Rois, erbaut 1788–1791. Beispiel eines Basler Kaufmannspalais. Erstes Wohnmuseum 1926–1934, abgebrochen 1935.
Abb. 6 Aus der Chronik des Wilhelm Linder: «Anno 1775. Den July legte Herr Burckhard den ersten Stein zu seinem neuen Gebäud des Kirsch Garthen oben am Steinen Klosterberg. Er gab diesen Tag jedem Gesellen, der daran arbeithete 20 batzen eine Bouteille Wein und brot und denen Handlangern 10 batzen, auf die Nacht ware das dahinder befindliche Wäldlein gantz illuminirt und eine grosse Gasterey mit Musicanten, dabey 67.»
Abb. 7 Haus zum Kirschgarten. Baudatum auf dem Schlussstein im Kellergewölbe mit der Jahreszahl 1777. Korrespondenzen des Bauherrn, auch nur sehr wenige Nachrichten aus seiner Umgebung. Schriftlich sind aber wenigstens die Daten der Grundsteinlegung im Juli 1775 Abb. 6 und der Fertigstellung des Rohbaus am 13. September 1776 überliefert.12 Weitere Baudaten liefern zwei Jahreszahlen im Haus selbst: 1777 auf dem Schlussstein des mittleren Kellergewölbes Abb.7 und 1780 in der Dekorationsmalerei auf einem Türflügel des Rosenkabinetts im zweiten Obergeschoss. Unsere Argumentation stützt sich auf diesen gesicherten Datenrahmen und auf die Analyse der gebauten Architektur, das heisst auf den weitgehend unverändert gebliebenen Bestand: nämlich auf die Fassaden, auf das Kellergeschoss, auf die Räume mit Architekturgliederung im Erdgeschoss, auf das Treppenhaus und die Beletage, und im zweiten Obergeschoss auf zwei Privaträume, das Grüne Täferzimmer und das Rosenkabinett.13
In der von Thomas Lutz 1995 erstmals ausführlicher dargestellten Planungs- und Baugeschichte wird ein freimaurerischer Bezug nicht thematisiert, sondern eine erste Sichtung und Einordnung des bis dahin ignorierten Planbestandes vorgenommen, eines unvollständigen Konvoluts von 107 Architekturplänen im Staatsarchiv Basel-Stadt. Es handelt sich um 62 Grundrisse und 20 Schnitte, dabei auch um nicht umgesetzte Wandaufrisse zur Innendekoration. Daraus wird ein Planungsprozess erkennbar, der sich – nicht geradlinig – über 3 Phasen und 15 Schritte entwickelte. Über alle Planungsphasen sind 8 Zeichnungen von Johann Ulrich Büchel (1753–1792) mit «Jean Ulric Büchel Architecte» signiert, wenige auch datiert.14 Auf dieser Basis gilt die massgebliche Mitwirkung des Basler Steinmetzmeisters an der Planung und Ausführung als gesichert. Ein über die Bauzeit hinaus bestehendes enges Verhältnis des Architekten zu seinem Auftraggeber bestätigt die von Büchel
1787 geschaffene Folge von Aquatinta-Radierungen mit Ruinendarstellungen, die er seinem Bauherrn ausdrücklich freundschaftlich zueignete: «GEWIEDMET HERRN I. RUD. BURKART VOM KIERSGARTEN. DURCH SEINEN FREUND UND DIENER I. U. BICHEL BAUMEISTER MDCCLXXXVII».15 Abb. 8|9
Das Haus zum Kirschgarten war der erste und blieb der grösste Auftrag des früh verstorbenen Johann Ulrich Büchel, dessen kleines Œuvre Marie-Claire Berkemeier 1995 zusammengestellt hat.16 Eine über Basel hinausgehende Ausbildung des Architekten ist wahrscheinlich, eine möglicherweise von seinem Bauherrn durch Reisen vermittelte Förderung, wie sie der Maler Franz Schütz vom Bauherrn erfuhr, ist aber nicht bekannt.17 Als wahrscheinlich gilt der Besuch der Zeichenschule der Brüder Pierre und Henri Halden-
Abb. 8 Profilbildnis des Baumeisters Johann Ulrich Büchel. Rötelzeichnung von Marquard Wocher, um 1790. Wocher war Freimaurer und heiratete 1800 Büchels Witwe.
Abb. 9 Widmung des Architekten Johann Ulrich Büchel an den Bauherrn auf dem Titelblatt einer Folge von sechs Ruinendarstellungen. Aquatinta-Radierungen von Ulrich Büchel, datiert 1787.
Abb. 10 Bildnis des Bildhauers Alexander Trippel. Zeichnung von J. F. Clemens, Paris 1775. Trippel war 1785 Freimaurer im Meistergrad. wanger in Strassburg, bevor Büchel nach fünfjähriger Lehrzeit und dreijähriger Gesellenzeit 1775 – dem Jahr der Grundsteinlegung – in Basel als Steinmetzmeister zünftig wurde. Seine von Daniel Schneller veröffentlichten Bühnenbildentwürfe18, eine Zeichnung des Pantheons in Rom19 und ein in Alabaster geschnitzter Tempel der Minerva in Büchels Hinterlassenschaft geben nur wenig Anhaltspunkte für sein Interesse an der antiken Baukunst.20 Verbindungen des Architekten und der Bauherrschaft nach Strassburg belegen die schmiedeeisernen Geländer an der Gartenfassade und im Treppenhaus, die Hauptstücke der symbolrelevanten Ausstattung sind. Anhand eines im Musée des Arts Decoratifs in Strassburg erhaltenen Entwurfs wurden sie schon 1934 der dortigen Kunstschmiede des Jean Baptiste Pertois zugewiesen.21
In Büchels Umfeld ist der Maler und Freimaurer Marquard Wocher (1760–1830) zu erwähnen, der die Witwe des Architekten 1800 heiratete.22 Wochers Nachlassverzeichnis von 1830 enthält nämlich eine umfangreiche, bisher nicht beachtete Bücherliste, die indirekt Hinweise auf die Bibliothek des Architekten oder sogar seines Bauherrn geben könnte; dies unter der Annahme, dass Teile dieser Bibliothek mit Büchels Witwe an Wocher gingen. Auch ohne Gewissheit darüber gibt die Bibliothek einen Einblick in die freimaurerische Fachliteratur der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die 621 Titel – darunter viele in der Bauzeit des Hauses zum Kirschgarten oder früher erschienene Schriften – schliessen neben zu erwartenden Werken zur Theorie und Praxis der Malerei und der Baukunst auch solche zu den hermetischen Wissenschaften und zur Freimau-
rerei ein.23 Siehe Anhang S. 200
Eine indirekte Quelle zur Bau- und Ausstattungsgeschichte sind Korrespondenzen des Bildhauers Alexander Trippel, die Dieter Ulrich im Zusammenhang mit den vom Bauherrn des Hauses zum Kirschgarten erteilten Aufträgen ausgewertet hat.24 Einer der Korrespondenzpartner ist Christian von Mechel, der bestens vernetzte Basler Verleger und Kunstagent. Trippel, ein Schaffhauser, tätig in London, Kopenhagen, Paris und Rom, steht bereits früh Freimaurerkreisen nahe und erlangte 1785 auch selbst den Meistergrad.25 Abb. 10
Angesichts des unterschiedlichen Charakters des genannten Planmaterials hat Lutz die berechtigte Frage nach einer kollektiven Autorschaft der Architektur aufgeworfen, wie sie für das 18. Jahrhundert nicht ungewöhnlich ist.26 Waren neben dem Bauherrn auch Christian von Mechel und die französisch geschulten Architekten Michel d’Ixnard oder Nicolas de Pigage an der Planung beteiligt? Diese Frage wird in unserem Zusammenhang mangels neuer Quellen nicht vertieft und bleibt offen. Es gibt aber einen
Hinweis auf die Nähe zum höfischen Freimaurerkreis in Mannheim: Mit der Beschäftigung des Theatermalers Matthias Klotz im Haus zum Kirschgarten (1780) und mit Büchels Bühnenbildentwürfen – vermutlich für das Nationaltheater Mannheim (1781/1782) – sind nicht nur Spuren zum dortigen Oberbaudirektor Nicolas de Pigage gelegt, sondern auch zu einem hochrangigen Freimaurer am kurpfälzischen Hof, nämlich zum Intendanten des Nationaltheaters, Wolfgang Heribert von Dalberg (1750–1806).27
Auf Mannheim, genauer gesagt auf Einflüsse der freimaurerisch inspirierten Gartenplanung der kurpfälzischen Sommerresidenz Schwetzingen28 verweisen jene nicht ausgeführten Projektideen für das Haus zum Kirschgarten, die in drei Grundrissvarianten überliefert sind und auf der Gartenseite ein Badehaus vorsehen: Abb. 11|12 einmal als Gebäude mit gleichschenklig-dreieckigem, zum anderen mit kreisförmigem Grundriss.29 Die dritte Variante ergänzt die Anlage mit einem abschliessenden quadratischen Pavillon in der Mittelachse, einem geeigneten Ort für die Aufstellung einer Statue.
Abb. 11|12 Haus zum Kirschgarten, nicht ausgeführte Projekte. Dachaufsicht des Hauptgebäudes mit drei Flügeln und Grundriss zu einem Badehauspavillon. Die zwei Varianten zeigen einen Entwurf als Rotunde und einen Entwurf auf dem Grundriss eines gleichseitigen Dreiecks. Die Projekte lassen sich mit einem templerischen Reinigungsakt verbinden, den das Basler Hochgradreglement 1784 überliefert. Aquarellierte Federzeichnungen, Johann Ulrich Büchel (?), 1774/1775.
Das Projekt lässt sich mit dem im Basler Freimaurerreglement von 1784 vorgeschriebenen Reinigungsakt verbinden, denn das Reglement beruft sich auf die «Gewohnheit bey den alten Rittern, dass sie sich, ehe sie eingeweiht wurden, zum Zeichen der Reinheit ihrer Gesinnungen baden mussten».30 Im Planungsprozess ist das Projekt des Badehauses damit das früheste Indiz für ein im Hochgradsystem der Strikten Observanz freimaurerisch beeinflusstes Bauprogramm. Über die hinweisende Spur zum kurpfälzischen Hof hinaus wird es in unserer Recherche nicht weiter verfolgt, da es nicht zur Ausführung gelangte und über die genannten Pläne hinaus nicht dokumentiert ist.
Zum Grundstück, inklusive seinem elterlichen Teil, gewährt ein um 1850 gezeichneter ‹Geometrischer Plan› einen Überblick.31 Der nahezu 9000 Quadratmeter grosse Besitz, der im Gebiet der Aeschenvorstadt zwischen Elisabethenstrasse und Sternengasse liegt, war damals noch nicht durch die Kirschgartenstrasse fragmentiert. Abb. 13 Er umfasste, so wie er aus dem Nachlass des Erbauers am 17. Januar 1815 mit einem Teil des Inventars für 80 000 Schweizer Franken an Johannes Merian-Forcart verkauft wurde, zwei abgeteilte grosse Wohngebäude (A und D), dazu Nebengebäude, zwei grosse Gärten, Hof, Stallungen, mehrere Remisen, eine grosse Scheuer, ein Backhaus, eine Voliere und das Brunnenrecht zum Grundstück. Zum Haus zum Kirschgarten selbst überliefert in Ergänzung zu den verschiedenen Bauplänen das am 1. September 1813 und folgende Zeit erstellte Nachlassinventar32 als zeitnahe Quelle nicht nur die Raumbezeichnungen der vier Stockwerke (ohne den Keller) vom Erdgeschoss bis zum Dachgeschoss, sondern auch die Ausstattung. Auch wenn sich Johann Rudolf Burckhardt seit 1794 auf seinen Sommersitz ‹Auf der Erndhalden› zurückgezogen hatte, blieb das Stadtpalais bis zum Tod des Erbauers also voll möbliert. Von dieser Ausstattung lässt sich heute jedoch mit ganz wenigen Ausnahmen nichts mehr identifizieren. Doch verrät das Inventar neben dem reichhaltigen Mobiliar die Farben und Materialien der textilen Möbelbezüge, Vorhänge und Bettumhänge aus gelber, grüner und blauer Seide. Die Farbe Rot ist nicht genannt. Zu der vermuteten freimaurerischen Nutzung des Hauses ergeben sich daraus keine spezifischen Hinweise.
Im Erdgeschoss linker Hand befand sich eine Gesindestube, zum Garten das Küchengewölbe. Rechter Hand kam man durch ein «perlfarbenes Vorzimmer» mit seinem erhaltenen Tresor Abb. 14 in das «grüne Eckzimmer». Der in den Plänen als Bibliothek genannte Raum zum Garten wurde als Speisesaal genutzt, dort standen 24 mit Leder bezogene Stühle. Über der Bibliothek lag in der Bel-
Abb. 13 Das Grundstück ‹Zum Kirschgarten› an der ‹St. Elisabethen Strasse› in seinem ursprünglichen Umfang mit Elternhaus und Wirtschaftsgebäuden. «Geometrischer Plan über den Grossen und Kleinen Kirschgarten enclos welcher Herrn Bischof-Kestner angehört». Kolorierte Federzeichnung um 1850.
Abb. 14 Haus zum Kirschgarten, Erdgeschoss, Kassenraum. In dem 1814 als «perlfarbenes Vorzimmer» bezeichneten Raum hat sich der eingebaute Kassenschrank der ursprünglichen Ausstattung erhalten.
Abb. 15 Haus zum Kirschgarten. Grundriss 2. OG. Getuschte Federzeichnung über Bleistift, Johann Ulrich Büchel zugeschrieben, 1775/1776. Raumbezeichnungen zugefügt: Französisch nach einer Planungsvorstufe, deutsch nach dem Inventar von 1813.
Abb. 16 Haus zum Kirschgarten. Grundriss 1. OG. Getuschte Federzeichnung über Bleistift, Johann Ulrich Büchel zugeschrieben, 1775/1776. Raumbezeichnungen zugefügt: Französisch nach einer Planungsvorstufe, deutsch nach dem Inventar von 1813.
Abb. 17 Haus zum Kirschgarten. Erdgeschossgrundriss. Getuschte Federzeichnung über Bleistift, Johann Ulrich Büchel zugeschrieben, 1775/1776. Raumbezeichnungen zugefügt: Französisch nach einer Planungsvorstufe, deutsch nach dem Inventar von 1813.
Chambre à coucher des filles Braunes Zimmer
Toilettenkabinett
Rosenkabinett Chambre à coucher de Madame Blaues Zimmer Grosses Vorzimmer
Antichambre Grosser Saal Chambre à coucher des fils
Vorzimmer
Chambre à coucher de Monsieur Grünes Schlafzimmer Lila Toilettenzimmer
Salle à manger Braunes Zimmer
Tempel der Vesta Salle de Compagnie Noch nicht ausgebautes Gemach Vestibule Chambre à coucher Grünes Schlafgemach
Salle Grosser Saal/Salon Chambre à coucher Blaues Zimmer Toilettenzimmer
Cuisine Küchengewölbe
Chambre pour les domestiques Gesindestube Bibliotheque Speisesaal
Antichambre Perlfarbenes Vorzimmer Bureaux Grünes Eckzimmer
etage zur Gartenseite das «grüne Schlafgemach», anschliessend das «Toilettenzimmer» und der «Gang». Die Haupträume an der Strassenfront werden als «blaues Zimmer», «grosser Saal» und «grosses, noch nicht ausgebautes Gemach» und wieder zum Garten «braunes Zimmer» bezeichnet. Der für das sistierte Projekt des Vestatempels vorgesehene Raum am nördlichen Ende der Enfilade wird nicht
genannt. Abb. 15–17
Im zweiten Obergeschoss mit den privaten Wohnräumen lagen an der Strassenseite der «grosse Saal», nach Norden anschliessend die Räume der Hausfrau, bestehend aus dem «blauen Zimmer», dem «Rosen-Cabinet» und dem «Toilettenkabinett», nach Süden die Räume des Hausherrn mit dem «grünen Schlafzimmer», dem «lila Toilettenzimmer» und einem «Vorzimmer». An der Gartenseite lag das «braune Zimmer», das «grosse Vorzimmer» (Sommerhaus?) und eine Küche. Die Planung hatte an der Gartenseite die Zimmer der Söhne und der Töchter vorgesehen, die zum Zeitpunkt der Erstellung des Inventars bereits erwachsen waren.
Alle Räume waren mit dem im Inventar aufgelisteten Mobiliar gefüllt. Das meiste wurde versteigert, der Käufer des Hauses zum Kirschgarten, Johann Merian-Forcart, übernahm nur «27 Trumeaus mit Consolen», also mit der Wand verbundene Einrichtungen, und zehn Eisenöfen. Lediglich die zwei grossen Laternen im Treppenhaus, die auch aufgeführt sind, lassen sich heute als Originalbe-
Abb. 18 Apoll vom Belvedere. Gipsabformung der antiken Statue im Vatikan. Werkstatt von Anton Raphael Mengs, Rom, um 1775. Erwerbung von Johann Rudolf Burckhardt für das Haus zum Kirschgarten.
Abb. 19 Haus zum Kirschgarten. Zwei identische Laternen im Treppenhaus sind die einzigen heute noch identifizierbaren Teile, die von der mobilen Erstausstattung an ihrem Ort verblieben sind. Das Mobiliar der Erbauungszeit, wie es das Inventar von 1813 überliefert, ist verschollen.
Abb. 20 Stadtansicht von Basel mit Blick auf das Haus zum Kirschgarten und seine ursprünglich ockergelbe Fassade. Einzige Bildquelle zur Farbfassung. Ölmalerei von Maximilian Neustück, 1822. stand identifizieren.33 Abb. 19|89 Die Skulpturensammlung des Bauherrn, bestehend aus den von Anton Raphael Mengs in Rom verfertigten Gipsabformungen, ist bis auf einen Apoll vom Belvedere Abb. 18 (heute Antikenmuseum Basel), verschollen, so eine Venus Medici, eine Ceresstatue und vier Büsten (Jupiter, Ajax, Homer, Tochter der Niobe); ausserdem eine «borghesische Vase» und drei Fragmente von Verzierungen.34 Das Inventar erwähnt auch «zwey schadhafte Alabasterurnen» und ein «Bild von Alabaster» sowie «mehrere differente Figuren von Gips».35 Aus anderem Zusammenhang ist bekannt, dass die Lesegesellschaft für 80 Franken Bücher aus der Bibliothek von Johann Rudolf Burckhardt übernahm.36 Thomas Lutz hat die Erwähnungen des fertigen Hauses in der Reiseliteratur in der Zeit von 1781–1814 mit zehn Beispielen zusammengetragen.37 Die Autoren betonen den «verbesserten Geschmack der Architektur» und die Aufteilung und Ausstattung der Räume, die «fürstliche Pracht», einer bezeichnet die Zimmer aber auch als «prachtlos». Die Architektur wird auch als «echt griechisch» und von «der edlen Einfalt der Antike» gelobt . Ein anderer klassifiziert sie als italienisch, «apporté tout fait d’Italy». Ein Autor hebt Details wie das Vestibül mit seiner ionischen Kolonnade, den marmornen Boden und das eiserne Geländer hervor.
Die Besitzergeschichte ist lückenlos überliefert.38 Nachdem die Liegenschaft schon 1789 vom Bauherrn an seine Söhne Gedeon und Johannes Burckhardt übergegangen war, blieb das Palais bis 1917 ein privates Wohnhaus. Es kam dann in Staatsbesitz und wur-
de als Postfiliale und Büro der Militärverwaltung genutzt, bevor es 1930 dem Historischen Museum Basel als Ersatz für die mäzenatische Schenkung des ersten Wohnmuseums, des 1934 abgebrochenen Segerhofs zugesprochen und 1947–1951 umgebaut und eingerichtet wurde.39 Veränderungen in der Zeit des Privatbesitzes, vor allem aber die baulichen Eingriffe im Zusammenhang mit der Museumsnutzung, denen die Servicetreppe im Annexbau zum Opfer fiel, müssten durch eine befundgestützte Untersuchung noch näher erforscht werden. So ist zum Beispiel anhand der Bauabrechnung von 1950 festzustellen, dass die meisten Räume des Erdgeschosses und beide Obergeschosse Parkettböden, zum Teil in Eiche, hatten, die in mehreren Räumen durch die heutigen, den originalen Charakter des Hauses herabmindernden «tannenen Fegböden» ersetzt wurden.40
Für das 19. Jahrhundert verfügen wir über zwei Bildquellen zur Strassenfassade: Abb. 20|21 Auf einer Ansicht von Maximilian Neustück von 1822 erscheint das Haus zwar nur klein, doch mit einer ockerfarbenen Fassade aus dem Stadtbild hell herausgehoben. Ocker ist auch als unterste Farbschicht nachgewiesen. Allerdings mit der Einschränkung einer gründlichen materialästhetisch bedingten Renovation, die den Erstzustand nicht mehr ermitteln lässt. Vonseiten der Denkmalpflege wird deshalb weder eine ursprüngliche Steinsichtigkeit, wie an zeitgenössischen Bauten in Zabern oder Strassburg, noch eine Tünche im roten Ton des Steinmaterials ausgeschlossen.41 Die früheste detaillierte Bildquelle ist die
Abb. 21 Früheste bekannte Darstellung der Strassenfassade des Hauses zum Kirschgarten. Die stattliche Fassade mit dem Säulenportikus hebt sich von den einfachen Bürgerhäusern der Umgebung ab. Getuschte Federzeichnung von anonymer Hand, um 1860, vor Entstehung des Elisabethenbrunnens.
lavierte Tuschzeichnung, die vor ihrem Erwerb durch das Historische Museum Basel 2001 noch unbekannt war.42 Vor der Entstehung des Elisabethenbrunnens, das heisst vor 1860 zu datieren, gibt sie die Fassade in Schrägansicht bei Abendsonne wieder, wobei die Sonnenstrahlen auffallend von einem kleinen Giebeldreieck über der Gartenmauer ausgehen, vielleicht ein Hinweis auf freimaurerisches Wissen um den Bau. Die Darstellung ist architekturgetreu, ausser dass sie mit den Volutenkonsolen des obersten Kranzgesimses den überkommenen Bestand veredelt.
Auf Archivmaterial der Logen basieren aus Freimaurerkreisen hervorgebrachte Veröffentlichungen, die im Zusammenhang mit dem Haus zum Kirschgarten bisher nicht beigezogen wurden. Heinrich Boos hat 1892 in der Festschrift zur Feier der Einweihung des Logenhauses ‹Zum neuen Venedig› die Korrespondenz des Andreas Buxtorf, Meister vom Stuhl der Loge ‹A Libertate› in Auszügen publiziert.43 Damit verfügen wir nicht nur über eine ungeschminkte Quelle zur Logengeschichte in Basel zwischen 1768 und 1778, also auch über den Zeitraum der Entstehung des Stadtpalais, sondern wir erfahren durch die Nennung des Namens «Rud. Burckard» auch von der bisher verborgenen Mitgliedschaft des Bauherrn. Dieses im Verlag der Loge erschienene Werk wurde erst in neuerer Zeit durch die Veröffentlichung des Briefwechsels und der Logenreden des Diethelm Lavater, Buxtorfs Korrespondenzpartner in Zürich, ergänzt, die Werner G. Zimmermann unter Einbezug älterer Vorarbeiten von Heinrich Meier 1994 unter dem Titel ‹Von der alten zur neuen Freimaurerei› herausgegeben hat.44 Dort findet sich eine übersichtliche Darstellung der frühen, auf Basel und Zürich konzentrierten Geschichte der Freimaurerei in der Schweiz und ihrer einzelnen Exponenten.
Eine freimaurerische Quelle ist auch das nicht publizierte, im Logenarchiv in Basel erhaltene Hochgradritual der ‹Chevaliers Bienfaisants de la Cité Sainte›, das den Baslern 1784 aus Strassburg, dem Sitz des Ordensdirektoriums der V. Provinz Burgund, übermittelt wurde.45 Abb. 27 Auch wenn dieses Ritual erst vier Jahre nach Fertigstellung des Hauses zum Kirschgarten datiert und somit die auf dem Konvent von Wilhelmsbad 1782 beschlossene Reform berücksichtigt, ist es ein erstrangiges, zeitnahes Dokument. Die darin enthaltenen Vorschriften zum Raumprogramm eines Logen- oder Ordenshauses und zu der Bekleidung der Ordensritter, ebenso zum Ritual und zur damit zusammenhängenden Symbolik sind zwar kein Beweis für unsere These, dass das Haus zum Kirschgarten als Logensitz konzipiert wurde, aber sie stützen unsere diesbezügliche Argumentation.
Johann Rudolf Burckhardts Stadtpalais entstand während der kurzen Blüte des freimaurerischen Systems der Strikten Observanz. Die hier erstmals im Zusammenhang mit den Haus zum Kirschgarten berücksichtigte Geschichte der Freimaurerei und der Logen in Basel erschliesst zwar das freimaurerische Umfeld des Bauherrn; über ihn selbst, ausser dass er zu der kleinen Gruppe von elf Freimaurern der ersten Basler Loge gehörte, lässt sich daraus, über die von Ulrich Barth erarbeitete Biografie hinaus, kein neues Bild gewinnen.46 Da er keinerlei persönliche schriftliche Zeugnisse hinterliess und auch aus anderen Quellen nichts zu seinen Absichten zu erfahren ist, bleibt der Spiritus rector des Bauprogramms wohl hinter der Geheimhaltungspflicht, die den Ordensmitgliedern auferlegt war, verborgen.
Wie kann auf dieser hier knapp zusammengefassten Material- und Wissensbasis trotz fehlender schriftlicher Quellen gezeigt werden, dass der Freimaurerorden und die Architektur des Burckhardt’schen Stadtpalais in einem engen Zusammenhang miteinander stehen? Nach einer historischen Einführung zur Freimaurerei sind es vier Themenkreise, aus denen sich eine Indizienkette für unsere These ergibt, dass das Haus zum Kirschgarten nicht allein als Geschäfts- und Familiensitz, sondern auch als privat initiiertes und privat gehaltenes helvetisches Ordenshaus der Ritter des heiligen Tempels zu Jerusalem erbaut wurde:
- Architektur und Gründungsmythos der Strikten Observanz - Architektur und Logennamen - Architektur und Freimaurer-Bauherr - Architektur und freimaurerische Symbolwelt.
Dabei steht die von Karl Gotthelf von Hund 1751 gegründete freimaurerische Ordensbruderschaft im Zentrum, die auf dem englischen Dreigradsystem aufbaute und nach französischem Vorbild drei, beziehungsweise vier Hochgradstufen hinzufügte. Diese nannte sich ‹Hoher Orden der Ritter des heiligen Tempels zu Jerusalem›. Seine Mitglieder erlangten den Rang freimaurerischer Ordensritter. Reformen ab 1778 führten zu einer Abkehr von der Lehre des templerischen Ursprungs des Ordens und zur neuen Bezeichnung ‹Wohltätige Ritter der heiligen Stadt›. Die der Architekturanalyse vorausgehenden Kapitel verfolgen die Entwicklung dieser Bewegung im Umfeld von Basel vor und während der Bauzeit des Hauses zum Kirschgarten mit einem Ausblick bis ins 19. Jahrhundert .