Gernot Candolini
SEGEN Kraftquelle des Lebens
Claudius
FSC-Logo Bibliografische Informationen Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. © Claudius Verlag München 2013 Birkerstraße 22, 80636 München www.claudius.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Mario Moths, Marl Druck: fgb, freiburger graphische betriebe ISBN 978-3-532-62447-0
Inhalt
9 Vorwort 11 Der Sämann 13 Augenkontakt 16 Augen und Hände 19 Ich wünsche dir 21 Benedicere 23 Segne meine armen Worte 24 Gute Worte 25 Aufbrechen 28 Aufbruch 29 Der Weg 30 Arbeitsbeginn und Arbeitsende 32 Arbeitssegen 33 Der Sonntag 35 Morgengeste 42 Abendsegen 43 Für heute ist’s genug 44 Essen ist ein Segen 46 Tischsegen 47 Der Segen im Rücken 49 Segen vom Geben und Nehmen 50 Der Segen in den Dingen 52 Meinen Segen hast du 55 Segnung eines Kindes 5
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56 Segnung der Eltern 57 Ich denke an dich 59 Nähe spüren 62 Körpersegen (Gehörlosensprache) 64 Esthers Segen 65 Segenszeichen 68 Segen für einen guten Tag 69 Segen für einen schlechten Tag 70 Ein Kreuzzeichen auf der Stirn 72 Segensgebet 74 Wenn mich wer mag 76 Paarsegen 77 Du bist anders als ich 80 Segen für ein Paar 82 Segen für einen gemeinsamen Weg 83 Segen ist mehr 86 Krankensegnung 87 Die großen Herausforderungen 89 Segensspruch 90 Ruach – Segen ist wild 92 Erdsegen 93 Loros Segen 96 Musik ist ein Segen 98 Der Weg, den ich gehe 100 Reisesegen 101 Schlafsegen 102 Sich regen bringt Segen 104 Sich selbst segnen 105 Pilgersegen 106 Wegsegen 107 Verharrungssegen
109 Die Süße der Dunkelheit 112 Im Dunkel 113 Segen in Gefahr 114 Das Leben ist nicht einfach 116 Segen und Fluch 118 Ich bitte um deinen Segen 120 Der stille Segen 122 Segen der Stille 124 Ein Segen mit vielen Worten 125 Ein Segen mit wenig Worten 126 Irischer Segen 127 Du bist ein Segen 129 Segensgebet des Heiligen Martin 131 Kinder sind ein Segen 134 Wunsch und Segen für einen neugeborenen Erdenbürger 136 Du sollst ein Segen sein 138 Segen zum Schulanfang 139 Segen für Lehrerinnen und Lehrer 141 Der irische Segen 143 Türsegen 146 Segensspruch für ein neues Zuhause 147 Reisen 149 Geburtstagssegen 150 Fragen und Bitten 152 Versprechen und Segen 154 Pensionssegen 155 Pensionsversprechen 156 Ein Segen für mich 157 Segen, der ausbleibt 159 Von guten Mächten 7
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162 Das Zeitliche segnen 164 Segen für einen Sterbenden 165 Totensegen 166 Der große Segen 168 Großer Segen 169 Himmlischer Segen 172 Ein leuchtendes Gesicht 176 Quellenangaben
Vorwort Die Geschichten in diesem Buch handeln vom Segen in bekannten und unbekannten, vertrauten und unerwarteten Zusammenhängen. Sie erzählen vom Segen als einer der großen Kraftquellen des Lebens in alltäglichen und besonderen Situationen. Für all unsere besonderen Unternehmungen genauso wie für den ganz normalen Alltag brauchen wir Segen. In Gottesdiensten oder zu besonderen Anlässen wird der kirchliche Segen erteilt. Doch Segen ist auch Gutes, das wir uns gegenseitig zusprechen können. Der große Theologe Fulbert Steffensky schreibt: „Der Segen ist der schönste Tanz der Hoffnung und des Glaubens, indem zwei Menschen von sich selber absehen, der Segnende und der Gesegnete. Der Gesegnete erlaubt sich den Schritt in das Versprechen der Geste und des Wortes. Er fragt nicht nach seinen eigenen Voraussetzungen für den Segen. Ebenso sieht der Segnende von sich ab. Denn er steht nicht für das Versprechen, das er gibt. Das ist die Demut des Segnenden: Er spendet etwas, was er nicht hat, und seine eigene Blöße hält ihn nicht ab, aufs Ganze zu gehen und Gott als Versprechen zu geben.“ An jedem Kapitelende stehen kurze Segenssprüche, Gedichte, Zitate und Sentenzen, zwischen den Kapiteln sind längere Einladungen eingefügt, selbst anderen Segen zuzusprechen. Ich widme dieses Buch meinen Eltern – sie waren mir ein 9
Segen. Das Kapitel „Das Zeitliche segnen“ handelt von ihnen. Dieser vor längerer Zeit entstandene Text war der Auslöser, an dem Thema weiterzuarbeiten und ein ganzes Buch über den Segen zu verfassen. Nicht namentlich gekennzeichnete Gedichte und Segenstexte stammen von mir. Gernot Candolini Innsbruck, Juli 2013
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Der Sämann Ich habe es als Kind noch mit eigenen Augen gesehen: Auf dem Feld neben meinem Elternhaus säte ein Bauer aus einem um die Schulter hängenden weißen Sack mit der Hand weit ausladend die Saat. Ich sehe es noch vor mir, wie die Körner in weitem Bogen auf die Erde flogen. Die Verwandlung eines Saatkornes in viele Körner entspricht dem großen inneren Sein der Natur. Von dieser Verwandlung leben wir, auch dann, wenn wir nichts mehr davon sehen oder wissen. Alle Pflanzen gehen ein Bündnis mit der Sonne ein. Die Sonne lässt alles Leben wachsen und sich vermehren. Licht ist die Quelle des Lebendigen. In dem auf dem Buchumschlag ausschnittweise abgedruckten Gemälde vom Sämann hat der Maler Vincent van Gogh das Licht durch das gesamte Bild fließen lassen. Die Sonne verschmilzt mit dem Himmel und den Halmen. Von weiter entfernt betrachtet werden die Einzelheiten sichtbar, je näher man dem Bild kommt, desto stärker geht alles ineinander über. Sich dem Licht auszusetzen bedeutet, sich von Licht durchdringen zu lassen. Das Licht durchdringt das Leben, zuerst den Himmel, dann die Pflanzen, dann die Körner und schließlich uns selbst. Licht ist Gottes Segen, der die Seele durchdringt. Licht ist die Kraft, die das Lebendige erschafft und erhält. Gottes Segen lässt unser Inneres wachsen und Samen bringen, aus dem Neues entsteht. 11
Gesegnet die Sonne. Gesegnet der Tag. Gesegnet die Erde. Gesegnet die Nacht. Gesegnet das Werden und Vergehen. Gesegnet das Sterben und Leben.
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Augenkontakt Augen gelten als Fenster zur Seele. Augen sind Tore zwischen innen und außen, eine Brücke zwischen dem Menschen, der wir eigentlich sind, und dem, als den die anderen uns sehen. Der Unterschied zwischen unserem wirklichen Sein und dem, was wir scheinen, ist oft erstaunlich gering. Auch ohne Worte erfahren wir in einer Begegnung viel über einen anderen Menschen. Sehr schnell, oft in wenigen Sekunden, erfassen wir Wesentliches und wenn wir unser Gegenüber näher kennenlernen, bestätigt sich nicht selten unser Eindruck. Es scheint einen intuitiven Informationsfluss zu geben, über den sich vieles mitteilt. Die Augen spielen bei unserer Kommunikation eine wesentliche Rolle. Über die Augen halten wir Kontakt und legen uns für einen Augenblick fest auf ein eindeutiges Ich und Du. In unserer Kultur ist der Augenkontakt bei nur wenigen ritualisierten Begebenheiten verpflichtend: „Guten Tag“, „Auf Wiedersehen“ und „Prost“. Bei diesen Anlässen lernen wir von Kind an: „Anschauen!“ Auch die Hand spielt dabei eine Rolle, denn das Anschauen gilt für den Moment, in dem die Hände – oder beim Zuprosten die Gläser – sich berühren. Beim Begrüßen und Verabschieden steht die Botschaft im Vordergrund: „Ich sehe dich.“ Immer schwingt aber auch ein guter Wunsch mit. „Guten Tag“ bedeutet, dem anderen Gutes zu wünschen, und „Grüß Gott“ ist eine Verkürzung von 13
„Gott sei mit dir“. Auch im „Hallo“ klingen gute Wünsche mit: „Da bin ich, da bist du, ich habe dich gesehen und jetzt auch du mich.“ Auch in Abschiedsformeln sind Segenswünsche enthalten. Die Dialektworte „Pfiati“ oder auch „Tschüs“ sind eine Verkürzung von „Sei behütet“ oder „Gott behüte dich“, während „Servus“ oder „Ciao“ eine einander dienende Zuwendung ausdrücken im Sinne von: „Wenn du mich brauchst, bin ich gerne für dich da.“ Beim Zuprosten werden an das „Prost“ oder „Prosit“ anschließend meist je nach Anlass noch gute Wünsche dazu formuliert. Das Prost selbst ist ebenfalls bereits ein guter Wunsch; er bedeutet „Wohl bekomm’s“ oder „Es möge zum Guten nutzen“. Neben den in unserem Alltag geregelten und ritualisierten Augenkontakten finden sich auch immer wieder andere Blickkontakte, die eine Form des Segnens sein können. Das Sich-Ansehen und das damit verbundene Einander-Wahrnehmen ist Ausdruck einer der grundlegendsten Hoffnungen aller Menschen: Nimm mich wahr, schau an dem vorbei, was täuscht, lass es unbeachtet und nimm das Wahre, das ich bin! Kleine Kinder und Tiere schauen einem oft direkt und offen in die Augen. Als ich einmal im tiefen Wald hinter einem Busch einen Hirsch aufschreckte, machte er ein paar Schritte, blieb dann etwa 20 Meter vor mir stehen, drehte sich zu mir und schaute mich an. Ich stand unbeweglich und wir sahen uns für mehrere Minuten in die Augen. Keiner von uns löste den Blick. Ich erinnere mich genau an diesen wohl längsten ununterbrochene Blickkontakt meines Lebens. Lange und direkte Augenkontakte bleiben in Erinnerung, die flüchtige Brücke, die sich mit jedem „Augenblick“ aufbaut, wird fes14
ter und zugleich durchlässiger wie Glas, wie ein Fenster. Der Hirsch ist ein Fremdling geblieben, weil er aus einer anderen Welt kam, dennoch ist er ein Freund geworden, weil wir uns so intensiv begegnet sind. Blickkontakt ist immer Brückenbau und Neugier aufeinander. Über die Augen werden wir einander vertrauter. Dieser Augenkontakt verbindet mich mit meinen Mitmenschen im gemeinsamen Sein. Sie werden mir vertrauter und auch ich mache mich ihnen vertrauter. Wenn der Blick aktives Wohlwollen signalisiert, sind die „Augenbrücken“ Segensstraßen. Auf ihnen bewegt sich die Kraft der Verbundenheit, die Kraft der Offenheit und die Kraft, sich wahrzunehmen, das Wahre zu wählen und sich darüber zu freuen. Segen ist die Bereitschaft, das Wahre zu sehen, auf das Gute zu blicken und es zu stärken.
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Augen und Hände Der Anfang allen Lernens ist das Begreifen. Wissen ist bedeutend leichter zu erlernen und zu behalten, wenn wir etwas angreifen können. Begreifen hat mit Greifen zu tun und meint also Handgreifliches. Es erfordert große Aufmerksamkeit und eine von Ablenkungen freie Situation, um eine gewisse Zeit konzentriert zuhören zu können. Doch trotz aller Konzentration bleibt Gehörtes am wenigsten im Gedächtnis präsent. Beim Sehen nehmen wir Informationen sehr viel schneller auf, aber es bedarf wiederholter Betrachtungen eines Bildes oder besonderer damit verbundener Emotionen, damit es dauerhaft in Erinnerung bleibt. Der Tastsinn hat manchmal eine bemerkenswerte Erinnerungstiefe. Berührtes, Angegriffenes, Betastetes, Gespürtes zieht eine tiefe Spur ins Gedächtnis und lässt sich oft leicht aus der Erinnerung zurückrufen. Möglicherweise kann ich nur wenige Sätze wiederholen, die ein geliebter Mensch zu mir gesprochen hat. Besondere Merkmale wie Augenfarbe, die Beschaffenheit der Hände oder die Mundform weiß ich schon eher, aber daran, wo und wie mich dieser Mensch berührt hat und ich ihn, erinnere ich mich auch nach langer Zeit noch detailliert. In den Händen liegt nicht nur die Kraft, aufzunehmen, sondern auch die Kraft, zu geben. Freundschaftliche Berührungen sind kostbar; sie drücken das Maß an Nähe unterei 16
nander aus. Überraschend genau weiß ich, welche Berührung passt und wo etwas zu viel ist. Segen wird sehr oft und in großem Maß über die Augen weitergegeben. Das wohlwollende Anschauen, das Sehen dessen, was der andere ist und tut, das Zulächeln und das Verweilen in den Augen anderer gehört dazu, wenn wir es mit einem anderen gut meinen und ihm Gutes wünschen. In besonderen Augenblicken lege ich manchmal jemandem die Hand auf den Arm oder gar um die Schulter. Dabei wird Segen vom reinen Sehen sozusagen in die Hand genommen und durch eine direkte Berührung übertragen. Jemandem beide Hände auf die Schultern zu legen ist ein besonderer Akt für außergewöhnliche Ereignisse, in denen man dem anderen etwas Bedeutungsvolles und Konkretes zusprechen oder wünschen möchte. Die intensivste Form der Segensberührungen besteht im Auflegen der Hände auf den Kopf. Dieses Handauflegen geschieht fast immer in einem besonderen liturgischen Rahmen, einem heiligen Fest, einem Ereignis, eingebettet in eine feiernde Gemeinschaft. Bei Taufe und Hochzeit gehört es dazu, manchmal auch bei besonderen Amtseinführungen, bei der Übertragung besonderer Aufgaben oder in außergewöhnlichen Situationen des Zuspruchs. Segen ist etwas Kostbares. Er braucht einen Rahmen, wie ein Schatz eine Schatulle braucht. Doch auch wenn Segen etwas Besonderes ist, soll er nicht nur zu seltenen, ritualisierten Gelegenheiten fließen, sondern reichlich. Wir sind aufgefordert, auch außerhalb liturgischer Akte mit unseren Augen und Händen zu segnen. Jemanden anzuschauen, zu berühren und Wünsche, Zuspruch oder Segen auszusprechen bedeutet, Energie weiter17
zugeben, es bedeutet, den Strom des Lebens mitzulenken und hinzulenken zu einem Menschen, der die Energie brauchen kann. Das Universum ist voller Energie. Sich bewusst in diese Energie hineinzustellen und sie weiterzugeben stärkt und wärmt den anderen mit einer unvergleichlichen Kraft. Weil Segen weiterfließt, erreicht er nicht nur die eine gesegnete Person, sondern wird weitergegeben und fließt schließlich zum Segnenden zurück. Sei behütet in deinem Tun. Sei gestärkt in deinem Wollen. Sei geführt auf deinen Wegen.
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Ich wünsche dir Ich wünsche dir Augen, mit denen du einem Menschen ins Herz schauen kannst und die nicht blind werden, aufmerksam zu sein auf das, was er von dir braucht. Ich wünsche dir Ohren, mit denen du auch Zwischentöne wahrnehmen kannst und die nicht taub werden beim Horchen auf das, was das Glück und die Not des anderen ist. Ich wünsche dir einen Mund, der das Unrecht beim Namen nennt und der nicht verlegen ist um ein Wort des Trostes und der Liebe zur rechten Zeit. Ich wünsche dir Hände, mit denen du zärtlich liebkosen und Versöhnung bekräftigen kannst und die nicht festhalten, was du in Fülle hast und teilen kannst. Ich wünsche dir Füße, die dich auf den Weg bringen zu dem, was wichtig ist, und die nicht stehen bleiben vor den Schritten, die entscheidend sind. 19
Ich wünsche dir ein Rückgrat, mit dem du aufrecht und aufrichtig leben kannst und das sich nicht beugt vor der Unterdrückung, Willkür und Macht. Ich wünsche dir ein Herz, in dem viele Menschen zu Hause sind und das nicht müde wird, Liebe zu üben und Schuld zu verzeihen. Verfasser unbekannt
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