Inhalt Vorneweg 7 Frauofrau – mannomann 11 Nur keine Angst 16 Man red’t ja nur, man sagt ja nix 21 Am Limit 25 Grau ist nicht meine Farbe 29 Aufs Dach gestiegen 33 Nichts – aus Liebe 36 Überraschung auf dem Friedhof 40 Immer schön Maß halten 44 Berliner Luft und Eutersaft 48 Europäisches Märchen 52 Der Rest ist für Sie 57 Ab geht die Post 61 Von Lauschbuben umzingelt 66 Auf Herz und Nieren 71 Das doppelte Lottchen 78 Knipseritis 83 Das Bild hängt schief 87 OMG (O Mein Gott) 90 Wenn ich aufwache, will ich tot sein 93 Schalom! Aber bitte für alle 100 O je du fröhliche 106 Der Kakettenkassorder 113 Zum Beispiel 1963 117 Eine endlose Geschichte 122 Mein 9. November 89 125 Scheiter heiter 128 Dankbarkeit ist Denkarbeit 132
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Aufs Dach gestiegen Wer das Kinderzimmer mit vier Brüdern teilen muss, der kann nicht viel sammeln und aufheben. Schon gar nicht als der Jüngste. Im Gegenteil: Wenn die Älteren ihre Märklin-Eisenbahn quer durchs Zimmer aufgebaut hatten, kriegte ich so manche Nacht nicht nur Angst, in die Hose zu machen. Ich durfte im Dustern ja nicht auf irgendeine Schiene oder Lok treten. Dabei hatten wir an sich eine geräumige Wohnung. Aber ein Zimmer bewohnte die Schwester meiner Mutter, auch sie Kriegerwitwe. Die Tante wuchs halt mit uns auf. Und ein kleineres Zimmer war im letzten Kriegswinter von einer Granate getroffen, also erst mal unbrauchbar und verschlossen. Durch das Loch im Fußboden konnte man direkt in die Waschküche darunter sehen. Das fand ich aufregend und geheimnisvoll! Noch geheimnisvoller war nur der Dachboden, der zu unserer Wohnung gehörte. Es war wie ein Festtag, wenn wir da mal mit hinaufdurften. Im Schummerlicht, mit Funzel oder Kerze fühlte ich mich da oben wie auf der Suche nach verborgenen Schätzen. Denn hier landete vieles, wofür in der Wohnung kein Platz war, was nur selten gebraucht wurde und was an längst vergangene Zeiten erinnerte. Zu schade, um es einfach wegzuwerfen. Alte Kleider, Möbel, Tassen, Vasen, Bücher, Bilder, Fotos. Ein Nachttopf aus Porzellan, auf dem nicht nur ich bei Notdurft gesessen habe. Ein echter Zylinder, den mein Vater zur
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Hochzeit getragen haben soll. Ein riesiger DierckeWeltatlas. Eine ausrangierte Stehlampe. Auch ein kaputter Teppichklopfer. Und mein geliebter Brummkreisel, dessen beim Drehen wechselnde Musikakkorde mich als Kleinkind schwer beeindruckt hatten und der jetzt nur noch müde zu fauchen vermochte. Und zwischen all dem aufregenden Krempel thronten die kostbaren Weihnachtskisten mit unseren Krippenfiguren, den Engeln und den damals zwölf Silberkugeln, von denen ich drei bis heute heil durchbringen konnte. Diese Schatzkisten waren das Jahr über tabu. Ein anderer Karton war randvoll mit geschnitzten Kasperlepuppen samt schwarz-rotem Teufel und giftgrünem Krokodil. Auch das bunt angestrichene Aufstelltheater mit Bühnenfenster und Vorhang wartete hier auf neues Engagement. Alles, wirklich alles, was das Kinderherz begehrte, das Fürchten lehrte und und die Seele bewegte – hier oben lebte es weiter. Auch ohne Dachboden neigen wir mit den Jahren zu einer intuitiven Umverteilung, wenn es enger wird in der Wohnung. Was nicht mehr regelmäßig gebraucht wird, wandert bei mir in die obersten Regale und Schrankfächer. Außer Reichweite, aber noch im Blick. Neulich suchte ich nach einer Bach’schen Musikkassette. Meine stattliche Sammlung ist quasi direkt unter der Decke aufgereiht, genauso wie der Rest meiner Kinder- und Schulbücher und ein Karton mit hunderten handgeschriebener Briefe meiner Mutter. Eine biografische Fundgrube. Aber ohne Stuhl oder Tritt komme ich da gar nicht ran. Das alles ist mir ein bisschen ferner gerückt. So gerne ich früher nach oben wollte auf unseren Dachboden, so wenig reizte mich der Keller unten.
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Das war wie ein Stück Unterwelt. Der Kontrast könnte größer nicht sein. Denn was hierher kam, war wirklich heruntergekommen, war verbannt, sollte möglichst nie mehr auftauchen. Vieles war einfach zwischengelagert und kam später auf den Müll. Nur bei einer Überschwemmung, die dann und wann durch den Lichtschacht schwappte und sich in die Kellerräume ergoss, da musste dann jemand runtersteigen, um den Hades trockenzulegen. Ja, und im Winter musste sich Tag für Tag jemand finden, um Anmachholz, Briketts, Koks und Eierkohlen aus dem Keller nach oben in die Wohnung zu schleppen. Wen wundert es, dass ich, kaum kräftig genug, mir genau damit meine allerersten kleinen Geldstücke verdiente.
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