Inhalt Zur Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die derzeitige Krise unseres Redens von Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verwandtschaften zwischen Ost- und Westkirche sowie fernöstlichen Vorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Meditationsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen orthodoxer und fernöstlicher Spiritualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gregor von Nyssas biblische Anleitung zur Meditation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Flug empor in die Schönheit . . . . . . . . . Die Ikonen: der Blick von der Ewigkeit her . . Die Liturgie: Feier des Handelns Gottes an uns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jungfräuliche Empfänglichkeit . . . . . . . . . . Die Botschaft des Weihnachtshochamts . . . . Das verspielte Weihnachtsfest . . . . . . . . . . . Die spirituelle Botschaft der Bilder des Weihnachtsfests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das ursprüngliche Weihnachtsfest: eine Feier des Aufleuchtens Gottes in der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jesus, das Bild des unsichtbaren Gottes . . . . Das Taborlicht: ein umwerfendes Aufblitzen Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Palmsonntag: die Wegskizze . . . . . . . . . . . . . Gethsemani: das unerhörte Gebet Jesu . . . . . 5
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Karfreitag: der unfassbare Kern und Wendepunkt des Leidensdramas . . . . . . . . . . Karsamstag: Sprachlosigkeit . . . . . . . . . . . . . . Ostersonntag: dunkle Wolke ist Taborlicht . . . Gott ist erkennbar an seinen Wirkungen . . . . Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Zur Einführung Die Mystik der orthodoxen Kirchen spannt einen weiten Bogen zwischen den beiden biblischen Bildern von der „dunklen Wolke“, in der Gott sich gewöhnlich verbirgt, und dem „Taborlicht“, in dem er selten und kurz, aber umwerfend aufblitzt. Beide Aspekte – dass Gott für uns Menschen unbegreiflich bleibt und dass er sich nur in seltenen Augenblicken offenbart – sind aus dem praktischen Bewusstsein der abendländischen Christen weithin verschwunden, sowohl der Katholiken – denen ich angehöre – als auch der Protestanten. Gott scheint ihnen so selbstverständlich geworden zu sein, dass er ihnen geradezu abhandengekommen ist. Bei den einen kreist die öffentliche Diskussion und Lehre weithin um die Organisation, die ihn verwaltet, und um die moralischen Konsequenzen, die sich aus dem Glauben an Gottes Existenz und Jesu Botschaft ergeben; bei den anderen ist Gott zum Gegenstand akademischer Diskurse geworden oder – in einer zunehmend starken Strömung – zum Freund Jesus, mit dem man von Du zu Du plaudert. Manche konzentrieren sich auf den Heiligen Geist; mit ihm lassen sich in enthusiastischem Lobpreis alle Zweifel und Fragen wegsingen. Das alles sind ziemlich platte Formen des Redens von Gott. Dem entsprechen Parallelen im 7
volksfrommen Brauchtum, in dem man seit einem Jahrtausend ausgiebig alle Hauptfeste des Christentums vorwiegend auf ihr Spiel-, Bastel-, Dekorations- und Geselligkeitspotenzial hin ausgeschöpft und die eigentlichen Inhalte und Themen ziemlich vernachlässigt hat. Kein Wunder, dass die Vorstellung von „Gott“ für viele unserer Zeitgenossen wie ein Märchen, Mythos oder kulturelles Erbe aus einer vergangenen, unaufgeklärten Zeit anmutet. Es sagt ihnen nichts mehr. Im Folgenden wird ein anderer, intensiverer, ja packenderer und vielleicht sogar erschreckenderer Zugang zum Gott des Juden- und Christentums vorgestellt. Beim Begriff oder Bild „Gott“ geht es ja nicht bloß um ein moralisches Leben und Traditionen religiösen Rituals und Brauchtums, sondern um die radikalsten Fragen und Themen der Religion: die Fragen nach dem Sinn von Leben und Tod, Leiden, Schuld, Erlösung, Vergänglichkeit und Ewigkeit. „Dunkle Wolke“ und „Taborlicht“ – das sind zwei Begegnungsformen mit Gott, die, so wird erzählt, „auf dem Berg“ stattfanden, also nicht im Alltag, sondern in einer außerordentlichen Situation, auf einer höheren Ebene. Von der Begegnung in der „dunklen Wolke“ wird in der Bibel im Buch Exodus berichtet, wie Mose „zu Gott auf den Berg hinaufstieg“ und dort oben die Stimme Gottes zu ihm sagte: „Ich werde zu dir in einer dunklen Wolke kommen“ (2. Mose 19,3.9). 8
Die Begegnung im „Taborlicht“ wird im Neuen Testament von den Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas geschildert: Jesus „nahm Petrus, Jakobus und dessen Bruder Johannes beiseite und führte sie auf einen hohen Berg. Und er wurde vor ihren Augen verwandelt; sein Gesicht leuchtete wie die Sonne und seine Kleider wurden blendend weiß wie das Licht. Da erschienen plötzlich vor ihren Augen Mose und Elija und redeten mit Jesus“ (Matthäus 17,2-3; vgl. Markus 9,2-4 und Lukas 9,28-31). Mit Mose und Elija, diesen beiden Privilegierten der „Gottesschau“ im Alten Testament, wird ausdrücklich die Brücke zwischen Taborlicht und dunkler Wolke geschlagen: Beiden war auf einem Berg – Mose auf dem Sinai (2. Mose 19,3-13), Elija auf dem Horeb (1. Könige 19,8-13) – eine geheimnisvolle Gotteserfahrung zuteilgeworden. Dunkle Wolke und Taborlicht – zwei geheimnisvolle, atemberaubende, unfassbare, nicht zu beschreibende Manifestationen Gottes – spielen, wie gesagt, in der westlichen Christenheit kaum mehr eine Rolle. Sie gleicht eher dem „Volk“, welches den „Berg“ vergessen hat, in der Ebene nach dem Gelobten Land sucht und immer wieder darauf verfällt, seine Sinn- und Existenzfragen mit „Goldenen Kälbern“ bewältigen zu wollen – mit selbsterfundenen Vorstellungen, Wegen, Praktiken, Aktionen und Bräuchen. Gertrud von le Fort verherrlichte vor knapp einem Jahrhundert mit ihren „Hymnen an die 9
Kirche“ ihre katholische Kirche und wandte sich mit den folgenden Zeilen an die Außenstehenden. Inzwischen lässt sich ihr Text auch als Weckruf an viele innerhalb der Kirchen verstehen: Wer errettet meine Seele vor den Worten der Menschen? Sie tönen aus der Ferne wie Posaunen, aber wenn sie nahe kommen, tragen sie nur Schellen. Sie drängen sich hervor mit Fahnen und Wimpeln, aber wenn der Wind aufsteht, zerflattert ihr Gepränge. Höret, ihr Lauten und Vermessnen, ihr Wetter flücht’gen des Geistes und ihr Kinder eurer Willkür: Wir sind verdurstet bei euren Quellen, wir sind verhungert bei eurer Speise, wir sind blind geworden bei euren Lampen! Ihr seid wie eine Straße, die nie ankommt, ihr seid wie lauter kleine Schritte um euch selber! Ihr seid wie ein treibendes Gewässer, immer ist in eurem Munde euer eigenes Rauschen! Ihr seid heute eurer Wahrheit Wiege, und morgen seid ihr auch ihr Grab! Wehe euch, die ihr uns mit Händen greifet: eine Seele kann man nur mit Gott fangen! Wehe euch, die ihr uns mit Bechern tränket: einer Seele soll man die Ewigkeit geben! Wehe, die ihr euer eitles Herz lehrt! 10
Im Folgenden möchte ich von der Tradition der orthodoxen Ostkirchen her die tieferen Dimensionen unserer christlichen Glaubenstradition erschließen, die der westlichen Tradition bis auf wenige Spuren weithin verloren gegangen sind. In der Theologie, Liturgie und Frömmigkeit der östlichen Kirchen sind diese Züge deutlicher erhalten geblieben. Sie zeigen, dass in ihr der Sinn für die unbegreiflichen, atemberaubenden Dimensionen Gottes lebendiger geblieben ist als in der katholischen und protestantischen Christenheit. Die orthodoxen Kirchen haben mit ihrer Glaubensverkündigung in der heutigen Zeit ihre ganz eigenen Schwierigkeiten. Sie sollen hier gar nicht rundum als die bessere, authentischere Tradition empfohlen werden. Mir geht es vielmehr darum, dass sich von den orthodoxen Kirchen einiges neu lernen lässt, was im Westen im Lauf der Jahrhunderte allzu sehr in Vergessenheit geraten ist. Die eine Tradition kann der anderen wertvolle Impulse geben. Damit könnten beide in eine reichere Fülle ihres eigenen Formats hineinwachsen. Es wird derzeit ja nicht selten darauf hingewiesen, dass der christliche Glaube einer radikalen Neuformulierung bedarf, wenn er im Lebensbewusstsein heutiger Menschen wieder Relevanz und Glaubwürdigkeit gewinnen will. Dazu gehört es, mit wacher Sensibilität neu aus den Quellen dieses Glaubens zu schöpfen und das Ergebnis so vorzustellen, dass es auch wa11
che, kritische Zeitgenossen ergreifen und bereichern kann. Da liegen ungeborgene Schätze bereit. Es lohnt sich, sie ans Licht zu bringen.
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Die derzeitige Krise unseres Redens von Gott Zu den gängigsten und auch heute noch beliebtesten Liedern gehört in den katholischen und evangelischen Gottesdiensten das Lied „Lobet den Herren, den mächtigen König der Ehren“1. Sein zweiter und dritter Vers lauten: Lobe den Herren, der alles so herrlich regieret, der dich auf Adelers Fittichen sicher geführet, der dich erhält, wie es dir selber gefällt; hast du nicht dieses verspüret? Lobe den Herren, der künstlich und fein dich bereitet, der dir Gesundheit verliehen, dich freundlich geleitet. In wieviel Not hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet! Dieses Lied hat kurz vor seinem Tod im Jahr 1680 ein junger Mann gedichtet, Joachim Neander, der zwei Jahre nach dem Ende des schrecklichen Dreißigjährigen Kriegs auf die Welt gekommen war und schon mit dreißig Jahren starb. Für ihn und seine Zeitgenossen war es offensichtlich kein Problem, von Gott zu singen, „der dich erhält, wie es dir selber gefällt“ und „der dir Gesundheit verliehen, dich freundlich geleitet“. Auch die Menschen der nachfolgenden 13
Jahrhunderte hatten keine Schwierigkeiten damit, es fröhlich zu schmettern, selbst wenn ihr tatsächliches Leben ganz anders verlief, sie also krank wurden, zahllose Schwierigkeiten und Leiden zu bestehen hatten, alle paar Jahrzehnte fürchterliche Kriege erleben, unter Krankheiten leiden und womöglich früh sterben mussten. Auf die Frage „Ist das denn wahr, was wir da singen?“ kamen sie anscheinend gar nicht. Gottes „herrliches Regieren“ musste für sie etwas völlig anderes gewesen sein als das, was wir heutige Menschen uns darunter vorstellen. Auch mit der Wahrnehmung, dass er uns „erhält, wie es uns selber gefällt“, müssen sie etwas ganz anderes im Blick gehabt haben als wir. Wir vermögen ja nur selten oder überhaupt nicht eine derart harmonische Übereinstimmung zwischen dem, was uns selber gefällt, und den Fügungen Gottes in unserem Leben zu erkennen, zumal nicht, wenn wir unter „unserem Leben“ nicht nur unser Ich, sondern die Verhältnisse in unserer Welt verstehen. Vielleicht dachten unsere Vorfahren beim Singen dieser Worte überhaupt nicht viel – genau wie viele Menschen auch heute noch –, sondern sangen sie, weil sie so schön vertraut waren und die Melodie sich so fröhlich singen ließ. Ein fröhliches Singen hebt ja – zumindest zeitweise – über manches Traurige und Belastende hinweg. Aber das ist kein Glaubenstrost, sondern ein psychologischer Trostmechanismus. Vielleicht aber war einfach der Glaubens14
horizont ganz anders: Womöglich vermochten die Menschen das Leben sub specie aeternitatis („aus dem Blickwinkel der Ewigkeit“) zu sehen, auszuhalten und zu besingen, das heißt aus einer österlichen, jenseitigen Perspektive; aus der Sicht dessen, der alles Schwere und Düstere, ja Tödliche hinter sich hat und in der Schwerelosigkeit der Erlösung und des Lichts lebt oder der jedenfalls zuversichtlich zu glauben vermag, dass darauf alles hinausläuft. Wenn man im hohen Alter auf sein Leben zurückblickt, alles Erlebte einigermaßen verarbeitet hat – auch Krisen, die einen schier umgebracht haben – und mit allem versöhnt ist, bringt man es eventuell fertig zu sagen: „Nun ist doch alles gut geworden.“ Man wird vielleicht sogar dankbar dafür, wie man – oft durch harte Bewährungsproben hindurch – geführt worden ist und sich wieder neue Horizonte oder ein neues Glück eröffnet haben. Vielleicht verklärt man im Rückblick sogar manches, was in Wirklichkeit entsetzlich und zum Verzweifeln war. Von einem solchen Endpunkt aus kann man vielleicht tatsächlich davon singen, dass der Herr alles so herrlich regiert und einen sicher geführt hat und einen erhält, wie es einem selber gefällt. Aber wer ist schon so weit? Ist nicht unsere Realität das gegenwärtige Leben? Können wir uns darüber fröhlich singend hinwegheben? Eine junge Mutter im tödlichen Endstadium ihrer Krebserkrankung oder die Verzweifelten 15
auf einem sinkenden Flüchtlingsboot im Mittelmeer oder die Christen in Syrien, die man dort derzeit ausrottet, werden kaum den „Herren, der alles so herrlich regieret“ und „der dich erhält, wie es dir immer gefällt“ besingen können. Wo ist er für die Unzähligen, die ihn am dringendsten brauchen würden? Obwohl es uns heute insgesamt unvergleichlich besser geht als dem jung verstorbenen Joachim Neander im 17. Jahrhundert, empfinden wir jedenfalls durchaus nicht, dass der Herr „alles so herrlich regieret“ und erhält. Er scheint sich eher aus unserer Welt zurückgezogen zu haben. Er lässt massenhaft Entsetzlichkeiten und grässliche Grausamkeiten zu, ohne einzugreifen. Die Vorstellung, dass er alle Menschen mit seiner gütigen Vorsehung begleite, wirkt himmelschreiend falsch. Er besorgt keine Auswege, Hilfen und Rettungen, wo Menschen gequält, vergewaltigt, missbraucht, unsäglich und endlos gepeinigt werden – obwohl es ihm doch ein Leichtes sein müsste, mithilfe diskreter Fügungen die Verhältnisse zu ändern.2 Die Standardauskunft, Gott läutere uns eben durch Prüfungen und stelle unseren Glauben durch Leiden auf die Probe, wirkt skandalös: Da wird genau genommen Gott nach dem Vorbild eines KZ-Arztes vorgestellt, der Menschen zuweilen mit einem fürchterlichen Virus impft, um zu beobachten, ob und wie sie das verarbeiten. Was für ein entsetzliches Gottesbild! Dies ist einer von mehreren Aspekten, die in 16
unserer Zeit die grundlegende Frage aufreißen, ob die gängige Rede von Gott noch stimmt. Es fragt sich, ob nicht reichlich unkritisch und unhinterfragt Gottesbilder und Gottesvorstellungen weitergegeben werden, die nicht mehr glaubwürdig, plausibel, nachvollziehbar und tragfähig sind und ob man nicht viel zu viel und zu Genaues darüber zu wissen meint, was Gott will. Tatsache ist, dass in unserer abendländischen Welt eine ungeheure Glaubenskrise ausgebrochen ist und ein lautloser Abfall namentlich von den Großkirchen im Gang ist, selbst wenn noch viele Menschen aus Gewohnheit Kirchenmitglieder bleiben. Die gleichzeitige Gegenbewegung in Afrika und Lateinamerika, wo die Zahl der Christen derart rasant ansteigt, dass sich statistisch ein global beeindruckendes Wachstum verbuchen lässt, ist nicht unbedingt ein Argument gegen die Glaubenskrise. Es gibt zu denken, dass gerade in diesen Weltregionen die politischen und Menschenrechtsverhältnisse am desolatesten sind. Paradoxerweise sind die zunehmend säkularen Gesellschaften moralisch wesentlich „christlicher“ als diejenigen mit einer überwältigenden Mehrheit von alten oder neuen Christen. Die Mentalität der Menschen in den Weltregionen, in denen die Zahl der Christen derzeit deutlich anwächst, ist wahrscheinlich noch nicht derart vom kritischen Denken der Abendländer geprägt (hinter das wir nicht zurück17
können und redlicherweise auch nicht dürfen). Vermutlich ist das als kulturelle und intellektuelle Phasenverzögerung zu betrachten, sodass auch dort früher oder später die Krise einziehen wird. Wie dem auch sei: im Abendland ist die Krise unverkennbar. Unsere Sprache von Gott und unsere Formen tragen nicht mehr und sprechen immer weniger Menschen an. Der vor 20 Jahren erschienene, für die heutige Zeit gedachte monströse „Katechismus der katholischen Kirche“ mit 2865 Glaubensthesen auf 717 Seiten enthält unglaubwürdig viel Wissen über Gott. Er ist nicht dazu angetan, wache, suchende Menschen von heute für ihn zu interessieren, geschweige von ihm fasziniert zu werden. Künstler, Dichter und Schriftsteller sind nicht selten Seismografen, die besonders früh einen Wandel der Befindlichkeit ihrer Zeitgenossen empfinden und artikulieren. Ein solcher unheimlicher Seismograf war bereits Ende des 19. Jahrhunderts der Philosoph Friedrich Nietzsche (1844–1900), der früh vorausspürte, dass in unserer Zeit Gott im Dunkel verschwinden werde. In seinem Buch von der „Fröhlichen Wissenschaft“, erschienen 1882, hatte er seinen „tollen Menschen“ ausrufen lassen: „Wohin ist Gott? Ich will es euch sagen: Wir haben ihn getötet – ihr und ich. Wir alle sind seine Mörder! Aber wie haben wir dies gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwi18
schen? Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? ... Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? ... Ich komme zu früh, ich bin noch nicht an der Zeit. Dies ungeheure Ereignis ist noch unterwegs und wandert – es ist noch nicht bis zu den Ohren der Menschen gedrungen.“3 Ein halbes Jahrhundert später war das schon recht deutlich ins Bewusstsein etlicher religiös sensibler Geister gedrungen. Der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer (1906–1945) schrieb im Juli 1944: „Gott gibt uns zu wissen, dass wir leben müssen, als solche, die mit dem Leben ohne Gott fertig werden. Der Gott, der mit uns ist, ist der Gott, der uns verlässt (Markus 15,34). Der Gott, der uns in der Welt leben lässt ohne die Arbeitshypothese Gott, ist der Gott, vor dem wir dauernd stehen. Vor und mit Gott leben wir ohne Gott. Gott lässt sich aus der Welt hinausdrängen ans Kreuz. Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt und gerade und nur so ist er bei uns und hilft uns. Es ist Matthäus 8,17 ganz deutlich, dass Christus nicht hilft kraft seiner Allmacht, sondern kraft seiner Schwachheit, seines Leidens.“4 Kurz danach beschrieb die evangelische Christin und Dichterin Marie-Luise Kaschnitz (1901–1974) die Krise unserer Sprache über 19
Gott und unserer Anrede an ihn im folgenden Gedicht ganz dramatisch: Die Sprache, die einmal ausschwang, Dich zu loben, Zieht sich zusammen, singt nicht mehr in unserem Essigmund. Es ist schon viel, wenn wir die Dinge in Gewahrsam nehmen, Einsperren in Kästen aus Glas wie Pfauenaugen Und sie betrachten am Feiertag. Irgendwo anders hinter sieben Siegeln Stehen Deine Psalmen neuerdings aufgeschrieben, Landschaft aus Logarithmen, Wälder voll Unbekannter. Wurzel der Schöpfung. Gleichung Jüngster Tag. ... Mit denen, die Dich auf die alte Weise Erkennen wollen, gehst Du unsanft um. Vor Deinen Altären lässt Du ihr Herz veröden, In Deinen schönen Tälern schlägst Du sie Mit Blindheit. Denen, die Dich zu loben versuchen, Spülst Du vor die Füße den aufgetriebenen Leichnam. Denen, die anheben von Deiner Liebe zu reden, Kehrst Du das Wort im Mund um, lässt sie heulen Wie Hunde in der Nacht.
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Du willst vielleicht gar nicht, dass von Dir die Rede sei. Einmal nährtest Du Dich von Fleisch und Blut, Einmal vom Lobspruch. Einmal vom Gesang der Räder. Aber jetzt vom Schweigen. Unsere blinden Augen sammelst Du ein Und formst daraus den Mondsee des Vergessens. Unsere gelähmten Zungen sind Dir lieber Als die tanzenden Flammen Deines Pfingst wunders, Sicherer wohnst Du als im Gotteshause Im Liebesschatten der verzagten Stirn. Das Gleiche empfand Ende der 1950er Jahre der gläubige katholische Dichter und Schriftsteller Reinhold Schneider (1903–1958). Kurz vor seinem Tod verbrachte er einen „Winter in Wien“. In seinem unter diesem Titel veröffentlichten Tagebuch schildert er seine Befindlichkeit einer immer tieferen Glaubensnot. Bei einigen Besuchen im Wiener Naturhistorischen Museum hatten ihn die in der Natur angelegten Grausamkeiten ungeheuer erschüttert, etliche Beispiele beschrieb er minutiös. Das Prinzip des einander Fressens und Gefressenwerdens ist ein elementares Lebensprinzip der Natur. Eugen Drewermann hat darauf hingewiesen, dass das grausame Prinzip der Evolution, durch Selektion und Ausmerzung der Schwächeren die Fittesten überleben und sich 21
höher entwickeln zu lassen, ins Wesen der Natur eingeschrieben ist und wir Menschen unsere Entstehung sogar diesem Mechanismus verdanken. Da erscheint die Katechismusaussage absurd, Leid und Tod seien durch „ein Urereignis zu Beginn der Geschichte des Menschen“ (das in der Bibel in die bildhafte Beschreibung von der „Ursünde“ Adams und Evas gefasst ist) in die Welt gekommen5 und dahinter habe die „verführerische widergöttliche Stimme“ eines gefallenen Engels gestanden, „der Teufel oder Satan genannt wird“6. Davor jedoch sei die Welt ein reines Paradies gewesen. Die Geschichte vom Aufstand der Engel mag als ein mythologischer Erklärungsversuch verständlich sein, um den „lieben Gott“ zu retten, aber sie reißt mehr neue Fragen auf als sie beantwortet, zum Beispiel: Woher kommt eine derart dunkle Gegenmacht, dass selbst Gott ihrer nicht Herr werden kann? Gibt es einen Gegengott, der dem guten Gott seine Spielregeln aufzwingt? Hat etwa er dieses grausame Gesetz aufgestellt, dass Gott seinen eigenen Sohn „opfern“ muss, um die Welt zu retten? Wenn Gott ohne das blutige Opfer nicht mit der Menschheit zu versöhnen gewesen wäre, dann wäre schon ein Nelson Mandela in puncto Versöhnung stärker gewesen als dieser Gott – und die Blutrache würde als plausibles Sühnesystem erscheinen.7 Kann schon ein Mensch derart versöhnlich sein, dann muss es Gott umso mehr 22
sein. Folglich wird er nicht zuerst ein Sühneopfer brauchen, gemäß der Logik der Aussage Jesu in Matthäus 7,11: „Wenn nun schon ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gebt, was gut ist [oder ihnen ohne Strafe vergebt], wieviel mehr wird euer Vater im Himmel denen Gutes geben, die ihn bitten.“ Reinhold Schneider erschütterte das Paradox, dass in der Natur aus Untergang Leben entsteht und Leben durch Vernichtung und Selbstvernichtung sich fortzeugt. Er schrieb: „Man blickt nicht ungestraft in den Kosmos, die Tiefsee, die Geschichte – und vielleicht auch nicht ungestraft in sich selbst, den Menschen.“ Zweimal heißt es in seinen Wiener Tagebüchern: „Des Vaters Antlitz hat sich ganz verdunkelt.“ Seine Zweifel trieben ihn paradoxerweise immer tiefer ins Gebet, ein paradoxes Gebet: „Beten über den Glauben hinaus, gegen den Glauben, gegen den Unglauben, gegen sich selbst ... Es gibt einen Unglauben, der in der Gnadenordnung steht. Es ist der Eingang in Jesu Christi kosmische und geschichtliche Verlassenheit, vielleicht sogar ein Anteil an ihr ... Ist diese Erfahrung aus der Verzweiflung an Kosmos und Geschichte, die Verzweiflung vor dem Kreuz, das Christentum heute?“ Was (zum Beispiel) die gläubigen Christen Marie-Luise Kaschnitz und Reinhold Schneider vor einem Dreivierteljahrhundert empfanden und formulierten, wurde nicht weiter aufgegriffen, sondern man ging wieder zur Tages23
ordnung optimistischen Glaubens und Singens über. Aber unmerklich und eher unbewusst als bewusst schlichen sich dennoch die Zweifel an der traditionellen Glaubensgewissheit ein. Sie wurden nicht ernsthaft ins Auge gefasst, sondern eher als trügerische „Versuchungen“ oder gar Sünden abgetan – und jetzt stehen wir vor dem Phänomen, dass in unserer abendländischen Gesellschaft solche Fragen schon gar nicht mehr gestellt werden. Der Glaube ist einfach weithin verdunstet; die Sprache derjenigen, die ihn aufrecht erhalten, stimmt nicht mehr und kommt nicht mehr an. Bereits vor längerer Zeit habe ich entdeckt, dass es auch in der Tradition der orthodoxen Kirchen nicht die immer noch ganz stimmige Sprache gibt, wohl aber Bilder, die hilfreicher und zutreffender sind als die Sprache.8 Bilder tauchen stärker aus dem Unbewussten, aus geheimnisvollen Tiefenwurzeln auf als Worte. „Jesu Christi kosmische und geschichtliche Verlassenheit“, von der Reinhold Schneider schrieb, findet sich zum Beispiel sehr treffend in der klassischen Weihnachtsikone der orthodoxen Tradition gefasst: Da liegt oder eher schwebt das Jesuskind, wie ein Leichnam in enge weiße Binden gewickelt, oft nicht einmal in einer sichtbaren Krippe, sondern in einem schwarzen Loch, ja Abgrund, ganz allein und verlassen. Seine Mutter Maria liegt außerhalb in einem gewissen Abstand davon auf dem Boden, vom Kind abgewandt. Sein Nährvater Josef 24
ist weit weg am unteren Bildrand hingekauert. Dies ist keine traute Heilige Familie, sondern ein trostloses, versprengtes Trio. Am nächsten stehen dem verlassenen Kind Ochs und Esel, die unmündige Kreatur.9 Diese Deutungen wollten die Maler dieser Szene womöglich gar nicht geben, aber aus dem Unbewussten des ersten Schöpfers dieser Komposition entstand diese Szene und Botschaft, die mehr und anderes sagt, als er bewusst sagen und beschreiben wollte (was ja bei echter Kunst öfter passiert). Meiner Überzeugung nach ging auch die sogenannte „Inspiration der Heiligen Schrift“ auf diesem Weg vor sich: Da diktierte nicht die Stimme Gottes oder eines Engels dem Schreiber des betreffenden Buchs einen „heiligen Text“, sondern ihm gingen Bilder und Inhalte auf, die er auf dem Papyrus oder Pergament festhielt, damit sie seine Mitmenschen und Nachfahren ebenfalls inspirieren sollten. Derlei gemalte und sprachliche Bilder finden sich in der Tradition der orthodoxen Kirchen mehr. Sie könnten uns Abendländern Dimensionen erschließen, die uns zu einem Glauben verhelfen, mit dem sich unsere heutige Sprachlosigkeit verträgt. Auch in unserer eigenen Tradition finden sich Spuren davon. Vor allem die Vorstellung, dass Gott ein Geheimnis und Rätsel in der „dunklen Wolke“ sei und bleibe und dass unvermeidlich in diese Wolke gerate, wer ihm näher zu kommen versu25
che, bringt alle einfachen Antworten zum Verstummen. Der katholische Mystiker Johannes vom Kreuz (1542–1591) sprach ebenfalls von „Nächten“ der Sinne und des Geistes, in die der Gott Suchende gerate. Er deutete sie als Läuterungsetappen des Suchers auf dem Weg zur Gotteserfahrung, richtete seine Aufmerksamkeit also auf den Menschen, der subjektiv „dunkle Wolken“ und „Nächte“ durchleben müsse. Die Aufmerksamkeit der orthodoxen Tradition dagegen richtet sich auf Gott selbst und nimmt „dunkle Wolke“ und „Nacht“ als Gottes Aufenthaltsort wahr, wie es bereits im Buch Hiob heißt: „Vom Norden naht ein Lichtglanz, um Gott her ist schreckliche Herrlichkeit. Den Allmächtigen ergründen wir nicht“ (Hiob 37,22-23). Diesem Mysterium sich anzunähern und dann ergriffen – wiederum mit Hiob – zu sagen „Ich lege meine Hand auf meinen Mund. Einmal habe ich geredet, ich tue es nicht wieder; ein zweites Mal, doch nun nicht mehr!“ (Hiob 40,5), dazu verhilft meiner Überzeugung nach die orthodoxe Tradition heute eher als die abendländische. Seit ich sie schon vor Jahrzehnten entdeckt habe, hat sie meine Aufmerksamkeit für diesen tiefgründigeren Ansatz geschärft. Seine Spuren lassen sich auch in der lateinischen Tradition entdecken. Beide Traditionen haben sich aus ein und demselben Stamm in zwei unterschiedliche Spielarten entwickelt. Bei den folgenden Ausführungen nehme ich 26
meine Leserinnen und Leser in diesen Entwicklungsprozess mit hinein: In der ersten Hälfte meines Buchs werde ich vorwiegend die orthodoxe Tradition vorstellen und sodann am konkreten Beispiel des Weihnachtsfests zeigen, welche Tiefendimensionen wir im westlichen liturgischen Brauchtum verspielt haben. In der zweiten Buchhälfte werde ich von dieser Sicht her aufzeigen, welche tiefgründigeren Inhalte und Anregungen auch – inzwischen weithin unbeachtet – in der lateinischen Tradition stecken.
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Verwandtschaften zwischen Ost- und Westkirche sowie fernöstlichen Vorstellungen Fast zwanzig Jahre lang bin ich von der theologischen und spirituellen Welt der frühen Zisterzienser geprägt worden, die bis in ihre Riten und Gebräuche hinein noch vieles von der einen großen christlichen Überlieferung des 1. Jahrtausends bewahrt haben. Aus diesem Grund wage ich es, als „Lateiner“ Einsichten der orthodoxen Theologie vorzustellen und sie mit Texten der lateinischen Tradition in Verbindung zu bringen. Ich bin kein orthodoxer Christ. Aber als geistig enger Verwandter fühle ich mich in den spirituellen Räumen der Orthodoxie fast wie daheim. So halte ich mich für befugt, einiges von meinen Aufenthalten bei der Verwandtschaft zu erzählen. Meine Besuche habe ich selten dem Leibe nach unternommen, jedoch ausgiebig über das Leben und die Bücher, die es inspirierten. Eine weitere höchst interessante, heute wieder besonders aktuelle Verwandtschaft besteht zwischen der östlichen Orthodoxie mit dem fernöstlichen Denken. Der Weltanschauung und vor allem den Meditationsmethoden aus Fernost wenden sich derzeit viele Abendländer zu, die die Erfahrung gemacht haben, dass sie in ihren Kirchen keine hilfreiche Interpretation ihres Daseins und auch keine fruchtbaren Medi28
tationsanleitungen mehr bekommen. Besonders anziehend ist zudem namentlich im Buddhismus der Umstand, dass der Buddha keine Lehre, also Dogmatik, verkünden, sondern nur zu einem praktischen Weg anleiten wollte. Auch von ihm hätte der hier bereits zitierte Spruch des Hiob stammen können: „Ich lege meine Hand auf meinen Mund. Einmal habe ich geredet, ich tue es nicht wieder; ein zweites Mal, doch nun nicht mehr!“ (Hiob 40,5). Die ursprünglich enge Nachbarschaft zwischen christlicher Orthodoxie und fernöstlichen Philosophien ist bisher noch wenig beachtet worden. Seit dem 7. Jahrhundert, als sich der Islam zwischen die beiden Nachbarn schob, sind die direkten Kontakte zwischen beiden ein Jahrtausend lang fast ganz abgebrochen. Doch in den alten Überlieferungen hat sich Gemeinsames erhalten. Das könnte im Dialog der großen spirituellen Traditionen besonders interessant sein und darauf hindeuten, dass in dieser Richtung der Ausweg aus der Sprachlosigkeit unseres heutigen Glaubens liegen könnte. Im halben Jahrtausend vor Christi Geburt bis in die ersten Jahrhunderte danach waren der Ferne und der Nahe Osten noch sozusagen eine Art einziger Schoß des Weltbilds und des philosophischen Denkens. Die griechischen Philosophen wurden davon maßgeblich geprägt. Bei den Vorsokratikern, bei Plato und Plotin findet sich im Wesentlichen das gleiche Weltbild wie bei den Taoisten, Hinduisten und Buddhisten. 29
Überall gibt es die Vorstellung von einer einheitlichen geheimnisvoll-göttlichen Ursubstanz, aus der die Welt bestehe und ihre Formen herauskristallisiert habe, um sie alle irgendwann wieder ins All-Eine zurückzuholen. „Mystik“ wird daher überall verstanden als – jetzt schon – Erfahrung des Einsseins mit allem, Rückkehr in dieses und – dereinst – Aufgehen im All-Einen. In diesem gemeinsamen geistigen Raum – sozusagen einem Erfahrungs- und Denkklima, das den gesamten Osten prägte – kannte man sich gegenseitig, auch wenn man keinen Dialog im heutigen Sinn pflegte. Den Griechen waren bereits zur Zeit Alexanders des Großen hinduistisches Gedankengut und Yoga-Praktiken bekannt. Auch nach dem Zerfall des Alexanderreiches riss der Kontakt nicht ab. Der indische König Ashoka (um 268–232) schickte im 3. Jahrhundert vor Christus buddhistische Mönche nach Griechenland und Ägypten, namentlich nach Alexandria. In der Nähe Alexandrias soll bis mindestens in die Zeit Jesu hinein sogar noch ein buddhistisches Kloster bestanden haben.10 Der Kirchenvater Klemens von Alexandria (gest. um 216) wusste noch vom lebhaften Austausch der frühen griechischen Philosophen mit indischen Brahmanen (er nannte sie Brachmanes) und schwärmte davon, wie großartig es für sie gewesen sein musste, mit ihnen Umgang pflegen und öffentlich philosophieren zu können.11 „Manche der Inder halten sich auch an 30
die Vorschriften des Buddha, den sie wegen seiner außerordentlichen Heiligkeit zu göttlichen Ehren erhoben haben.“12 Im 3. Jahrhundert lehrte in Alexandria Origenes (185–254), einer der Urväter der christlichen Mystik. Man kann in seiner Lehre einige Nachklänge fernöstlicher Vorstellungen vermuten, etwa seine Sympathie für den Gedanken der Reinkarnation und für die Apokatastis, das endgültige Heimkehren aller Guten wie Bösen in Gott. Evagrius Ponticus (345–399), der grundlegende Lehrer der spirituellen Tradition der christlichen Wüstenväter, thematisierte noch einmal ausdrücklich das antike Ideal der apatheia (Nicht-Leiden, das heißt von äußeren Einflüssen unbeeindruckt zu bleiben), das an den zentralen Punkt der Lehre Buddhas erinnert. Hippolyt von Rom (gest. 235/236) überlieferte ebenfalls Angaben über die Lebensweise der indischen Brahmanen und ihre Gottesvorstellung: „Sie sagen, Gott sei Licht, nicht ein sichtbares, wie die Sonne oder das Feuer. Vielmehr ist ihnen Gott Logos [Wort], nicht das artikulierte Wort, sondern das Wort der Erkenntnis, durch das die Weisen die Geheimnisse der Natur erkennen.“13 Im 5. Jahrhundert erwähnte Hieronymus (gest. 419/420), dass „bei den Gymnosophisten Indiens erzählt werde, den Buddha, den Fürsten ihrer Glaubenslehre, habe eine Jungfrau aus der Flanke geboren.“14 31
Von Johannes Karpathos, der im 5. oder 7. Jahrhundert lebte, ist ein „Trostbrief an die Mönche in Indien“ erhalten.15 Inhaltlich waren bei diesen Autoren die Kenntnisse über die fernöstlichen Vorstellungen und Praktiken nicht sehr präzise, aber in der Mentalität und Praxis standen sie ihnen nahe.
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