Warkentin, Heide (Hg.): Liebe! Und tu, was du willst

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H E I D E WA R K E N T I N ( H G . )

Liebe! und tu, was du willst h

AU G U S T I N U S FĂœR JEDEN TAG


Copyright © Claudius Verlag, München 2015 www.claudius.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden. Umschlaggestaltung und Layout: Kerstin Mühl, Kreuzlingen Umschlagabbildung: © Olga_Korneeva/ iStock ˇeský Teˇšín Druck und Bindung: Finidr, s.r.o., C ISBN: 978-3-532-62475-3


I n ha lt Vorwort 7 Soviel in dir Liebe wächst … Liebe und Freundschaft

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Die Seele ernährt sich von dem, worüber sie sich freut Weisheit für jeden Tag 21 Preisen will dich der Mensch, dieser winzige Teil deiner Schöpfung Beten mit Augustinus 39 …dem ein gutes Leben vorangegangen Tod und Trauer

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Gott genießen Mit Augustinus Glauben lernen

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Wir alle gehen in Gottes Schule Aus den Predigten des Augustinus

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Zitierte Werke

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Vorwort Doch wie soll ich meinen Gott anrufen, meinen Gott und meinen Herrn? Sicherlich werde ich ihn in meine Seele rufen, wenn ich ihn anrufe. Und wo gibt es eine Stätte in mir, wohin mein Gott zu mir kommen soll? Bohemien der Spätantike, Heiliger, Großer Kirchenvater – zahlreich sind die Titel und Charakteristika, mit denen Augustinus bezeichnet wird. Was fasziniert uns heute, über anderthalb Jahrtausende nach seinem Tod, immer noch so an dem berühmten Bischof von Hippo? Wer war Augustinus überhaupt? Geboren wurde Augustinus 354 in der numidischen Provinzstadt Tagaste (dem heutigen Souk Ahras in Algerien). Seine Mutter Monika war eine fromme Christin und sollte ihr Leben lang einen starken Einfluss auf ihren Sohn haben. Nach dem Schulbesuch studierte Augustinus Rhetorik in Thagaste und arbeitete dort zunächst als Rhetoriklehrer. Schließlich gelang ihm der Sprung nach Mailand, dem Hauptsitz der Regierung des römischen 7


West­reichs, wo er in die Dienste Kaisers Valentinian II trat. Seine Aufgabe war es, die öffentlichen Ehrenreden auf den Kaiser und die herrschende Klasse zu halten. Sein berühmt gewordenes Bekehrungserlebnis, von dem im Folgenden noch die Rede sein wird, fand im Jahre 386 statt. 387 ließ er sich in der Osternacht von Bischof Ambrosius von Mailand taufen und kehrte nach Nordafrika zurück. Dort führte er zunächst ein kontemplatives Leben, wurde später Klostergründer und Bischof von Hippo (heute Annaba in Algerien). Er starb im Jahr 430 während der Belagerung Hippos durch die Vandalen. So umfasste das Leben des Heiligen die Zeit des Verfalls und den endgültigen Untergang des Römischen Reichs. Den Beginn der Völkerwanderung sollte Augustinus nicht mehr erleben. Was ist für uns so faszinierend an diesem frühchristlichen Lebenslauf? Wie so viele Menschen war Augustinus ein Sinnsucher. Begnadet mit Geist und scharfer Zunge, machte er seinerzeit eine beneidenswerte Karriere. Er hatte eine einflussreiche Stelle in Mailand und fand privates Glück: Mit seiner Lebensgefährtin (da sie aus unterschiedlichen Ständen stammten, 8


war eine Heirat ausgeschlossen) hatte er einen begabten Sohn. Aber er blieb ein Suchender, fühlte sich getrieben und rastlos und war geradezu angewidert von dem ausschweifenden Lebensstil, den er sich leisten konnte. Würde Augustinus heute leben, wäre er vielleicht einflussreicher PR-Berater, hätte eine kluge und schöne Partnerin und mehrere Kinder. Er würde abends auf seinem Balkon in Berlin-Mitte sitzen, Rotwein trinken, Käse und Oliven essen, an die charmante Assistentin denken, mit der zu Mittag gegessen hatte – und sich unendlich leer fühlen. Schmerzlich würde er sich eingestehen müssen, dass all das, was ihn glücklich macht, gleichzeitig sein Unglück ist: der Erfolg, die oberflächliche Befriedigung emotionaler, finanzieller und erotischer Bedürfnisse. Er würde sich auf die Suche machen, vielleicht im Extremsport oder im Erreichen neuer finanzieller Gratifikationen vorrübergehend Befriedigung finden. Aber lassen wir den postmodernen Sinnsucher in Ruhe und kehren zu Augustinus zurück. Für ihn gab es schließlich den großen Wendepunkt, ein spirituelles Gipfelerlebnis. Seine Bekehrung, oder, 9


wenn man so sagen will, seine Erleuchtung, fand unter einem Feigenbaum statt (auch Buddha wurde übrigens unter einem Baum erleuchtet!), als eine kindliche Stimme ihm zurief: „Nimm und lies!“ (Gemeint waren die Schriften des Apostels Paulus, die er zufällig bei sich hatte.) Eine kindliche Stimme. Nicht ein kluger Mann seiner Zeit, kein Engel als göttlicher Bote, nein, eine kindliche Stimme gab ihm einen Auftrag. Sollen wir da unwillkürlich denken, dass es die Stimme des Kindes Jesus war? Jener Jesus, der sprach: Lasset die Kinder zu mir kommen, denn ihrer ist das Himmelreich? Augustinus verstand die eigentliche Botschaft: Wende dich, neugierig und unbefangen wie ein Kind und mehr mit dem Herzen als mit dem Verstand sehend, der Heiligen Schrift zu. Dieses Erlebnis, so erzählt uns Augustinus selbst, war für ihn der Wendepunkt. Er tat, wie ihm die Kinderstimme geheißen hatte, schlug das Buch auf und begann die Stelle zu lesen, auf die sein Auge gerade gefallen war. Es war Römer 13,13-14: Lasst uns ehrbar leben wie am Tage, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Unzucht und Ausschweifung, nicht in Hader und Eifersucht; sondern zieht an den Herrn Jesus Christus und sorgt für den Leib nicht so, dass ihr den Begierden verfallt. 10


Es mag uns heute wundern, dass ausgerechnet diese Bibelverse eine so starke Wirkung auf den knapp 34jährigen hatten, aber für Augustinus öffnete dieser Bibeltext das Fenster zu einer neuen Welt. Er mag sich gefühlt haben wie das junge Gras, das sich nach einem Gewitterschauer vorsichtig wieder der Sonne entgegenreckt: „Ich lernte zitternd, mich zu freuen“, schreibt er über diesen Moment seiner neuen Schau auf Gott und sein Leben. Diese Bibelworte waren mehr als nur eine neue Orientierung für ihn. Er verstand sie als klare Ansage und wusste plötzlich, auf was er sich konzentrieren musste und was das Ziel seines Lebens war. Augustinus’ vielseitiges und äußerst umfangreiches schriftstellerisches Werk, das er in Latein verfasste, hatte prägenden Einfluss auf die Entwicklung der Römischen Kirche. Über Tausend Jahre später las der Augustinermönch Martin Luther die augustinischen Schriften und ließ sich stark von ihnen beeinflussen. Im 20. Jahrhundert haben zwei so unterschiedliche Persönlichkeiten wie die jüdische Philosophin Hannah Ahrendt und der ehemalige Papst Benedikt XVI. ihre Doktorarbeiten über den Kirchenvater geschrieben. Viele 11


Ansichten von Augustinus, wie zum Beispiel über die Erbsündenlehre oder seine fanatische Glorifizierung des asketischen Lebens, offenbaren ihn allerdings als Kind seiner Zeit und werden heute zu Recht kritisch gesehen. Dennoch: Sein Vermächtnis ist bis zur heutigen Zeit für Theologen und Laien von großer Strahlkraft. Sein berühmtestes Buch, die Confessiones (Bekenntnisse, geschrieben 397/398) gilt als eines der wichtigsten autobiografischen Werke der Weltliteratur und ist ein an Gott gerichteter Monolog, in dem der Autor eine schonungslose Selbstanalyse vornimmt. Am Beispiel seines eigenen Lebens transportiert er seine radikale Botschaft: Ohne Gott sind wir verloren und versinken ins Bodenlose. Erst durch die vollkommene Ausrichtung auf Gott werden wir innerlich heil und können uns mit uns selbst, mit Gott und anderen versöhnen. Dabei ist Gott für Augustinus immer der Gott der Liebe, derjenige, der seine ganze Schöpfung aus Liebe geschaffen hat und uns befähigt hat, zu lieben und uns lieben zu lassen. Wo auch immer Sie auf Ihrer Lebensreise gerade unterwegs sind: Ich wünsche Ihnen, dass es Ihnen 12


auf Ihrem Weg vergönnt ist, immer wieder, „Gott zu genießen“. Möge Ihnen dieses Buch, das die wichtigsten Texte, Gebete und Weisheiten von Augustinus vorstellt, eine Inspiration dabei sein. Heide Warkentin

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Soviel in dir Liebe wächst … L iebe und F reundschaft


Soviel in dir Liebe wächst, soviel wächst die Schönheit in dir. Denn die Liebe ist die Schönheit der Seele.

Liebe – und tu, was du willst. Wenn du schweigst, schweige aus Liebe. Wenn du anklagst, klage aus Liebe an. Wenn du zurechtweist, weise aus Liebe zurecht. Wenn du verschonst, verschone aus Liebe. Lass die Liebe tief in dir verwurzelt sein. Dann kann daraus nur Gutes erwachsen.

Ihr braucht die Liebe keinem Dieb wegzunehmen, ihr braucht euch keine Gedanken zu machen, sie zu kaufen: Sie kostet nichts. Haltet sie fest, umfangt sie! Es gibt nichts, was köstlicher wäre als sie.

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Mein Gewicht ist die Liebe, sie ist es, die mich bewegt, wohin auch ich mich bewege.

Ăœber allem leuchtet die Liebe, die ewig bleibt.

Ohne Liebe sind wir uns selbst zur Last. Durch die Liebe tragen wir einander.

Ohne Liebe ist der Reiche arm, den Armen macht sie reich.

Liebe ist die Zuneigung eines Liebenden und die Liebe, die dem Geliebten gegeben wird. Dabei kommt eine Trinität ins Spiel: der Liebende, der Geliebte und die Liebe selbst.

Nur auf dem Weg der Freundschaft kann man einen Menschen richtig erkennen.

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Nicht jeder, der uns schmeichelt, ist ein Freund, nicht jeder, der uns kritisiert, ein Feind.

Was vermag uns zu trĂśsten in den menschlichen Beziehungen voller Fehler und MĂźhsal auĂ&#x;er Treue und gegenseitige Zuneigung unter wirklich guten Freunden?

In allen menschlichen Dingen erscheint einem Menschen nichts liebenswert ohne einen Freund.

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Freundschaft ist … Miteinander plaudern und lachen, sich gegenseitig Gefälligkeiten erweisen, gemeinsam schöne Bücher lesen, miteinander scherzen und sich gegenseitig Achtung schenken, bisweilen Meinungsverschiedenheiten austragen, aber ohne Hass, wie man auch einmal mit sich selbst uneins ist, durch den nur selten vorkommenden Streit die sonst meist bestehende Übereinstimmung würzen, einander belehren und voneinander lernen.

In den Freunden Gott sehen Das liebt man an den Freunden, und man liebt es so, dass des Menschen Gewissen sich Vorwürfe macht, wenn er Gegenliebe nicht mit Liebe und Liebe nicht mit Gegenliebe erwidert, sondern nur sichtbare äußere Zeichen eines Wohlwollens sucht. Daher jene Trauer, wenn jemand stirbt, daher die Finsternis der Schmerzen, die Ermattung des Herzens, dessen Freude sich in Bitterkeit verwandelt hat, daher der Tod der Lebenden infolge des verlorenen Lebens der Toten.

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