Hello, Mrs. Father!
Mein turbulenter Alltag als Pfarrerin in New York
MIRIAM GROSS
Hello, Mrs. Father! Mein turbulenter Alltag als Pfarrerin in New York
Hinweis: Sämtliche Texte sind auf dem Blog www.germanpastornyc.wordpress.com von Miriam Groß im Zeitraum 2014 – 2016 veröffentlicht worden.
Copyright © Claudius Verlag, München 2016 www.claudius.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden. Umschlaggestaltung: VOGELSANGDESIGN; www.vogelsangdesign.de Umschlagfoto: © Andre Großmann, New York Fotos Umschlag innen: Freiheitsstatue: © eyetronic/Fotolia.com, Flaggen: © 123levit/Fotolia.com, Kirche: © mosasaur/Fotolia.com Pfarrerin: © Andre Großmann, New York Fotos Innenteil: © Miriam Groß, außer S. 109: © Holger Axmann Layout: Mario Moths, Marl Gesetzt aus der Palatino LT und DIN Next LT Pro Druck: Clausen & Bosse, Leck ISBN: 978-3-532-62485-2
Für meine Paten Christa und Mario, deren gelebte Träume anderen Flügel verleihen
German Pastor NYC www.germanpastornyc.wordpress.com
Der Countdown läuft
10. August 2014 Familie, Umzug, New York
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eute sind es noch genau elf Tage, bis wir umziehen. Inzwischen sind über 80 Umzugskartons gepackt. Eigentlich nicht verwunderlich bei unserer Familiengröße: Wir siedeln schließlich mit vier Kindern und zwei Katzen um. Von vielem trennen wir uns – die Kinder manchmal etwas schwerer –, aber es muss sein, uns ist ein gewisses Umzugsvolumen vorgegeben. Und da gibt es auch die Dinge, die wir nicht mehr gebrauchen können: vor allem die elektrischen Geräte, aber ebenso (endlich!) alle Kleinkindersachen. Schließlich ist unsere Jüngste jetzt fast sechs. Und irgendwie tut es gut. Eine Art Frühjahrsputz im Sommer. Es bereitet uns auf die neue Herausforderung vor, auf die wir uns alle sehr freuen: New York – eine der größten Metropolen der Welt, in der ich nun Pastorin in einer deutschen Evangelisch-Lutherischen Gemeinde sein darf. Die erste Frau in einer langen Tradition.
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Liturgische Fingernägel?
21. März 2015 Frauen, Kirche, Nagellack
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twas überrascht war ich schon, als ich von einem Image-Workshop für Pfarrpersonen erfuhr (http://www.ref.ch/dossiers/herausforderung-pfarrberuf/ ich-wuerde-als-pfarrerin-keine-roten-fingernaegel-waehlen/). In vielen großen Unternehmen, die sehr auf Äußeres setzen, wie zum Beispiel Fluggesellschaften, sind Mode- und Schminkseminare durchaus üblich. Aber im Bereich der Kirchen? Prinzipiell stimme ich dem Grundkonzept einer „würdigen“ Darstellung durch Fachpersonen durchaus zu. Doch muss es so weit gehen, dass man allein aufgrund der Farbe des gewählten Nagellacks erotische Themen zu assoziieren meint? Ist nicht Rot die Farbe des Heiligen Geistes? Liebe Kolleginnen, vielleicht sollten wir einmal umdenken und Farbe bekennen, indem nicht nur unsere Stola nebst kirchlichen Paramenten in der passenden Farbe der Kirchenjahreszeit erstrahlt, sondern auch unsere Fingernägel … Als Nagellack in liturgischen Farben böte sich an: Off-White als Christusfarbe, Lila für Passion, Rot für Pfingsten und Grün für die Trinitatiszeit.
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Das etwas andere Osterfest
28. März 2015 Familie, Ostern, Spielzeug
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ach diesem langen und harten ersten nordamerikanischen Winter freuen wir uns ungemein auf das herannahende Osterfest. Die Vorbereitungen laufen bereits auf Hochtouren. Gottesdienste müssen geplant, Termine koordiniert, Osterlämmer gebacken werden. Natürlich dürfen hierbei die Osternester unserer Kinder nicht fehlen. Neugierig blieb ich bei meinem letzten Einkauf an einem Regal voller Osterkörbe stehen. Anstatt der klassischen fand ich etwas ganz anderes vor: Körbe in vielen bunten Farben, zumeist aus Stoff und in Form der Lieblingsfigur so manchen Kindes. Was wohl schöner ist? Ein Osterkorb à la Meister Yoda oder lieber einer in Form eines rosa-weißen Osterhäschens? Noch amüsanter fand ich ein Oster-Pups-Schwein, das in einem anderen Regal als besonderes „Aktivitätenspielzeug“ zum Kauf angeboten wurde. Der im Hintergrund der Verpackung sitzende Osterhase schaute ganz verdutzt. Ob er sich vielleicht ärgert, dass er analog zum immer weiter voranschreitenden Vergessen der Auferstehung Christi am Osterfest an den Rand des Geschehens gedrängt wird?
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Jaqueline im Dauerstress
3. April 2015 Karwoche, Gottesdienst, selbst ist die Frau
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rotz des Karfreitags, den ich immer ruhig und nachdenklich mit meiner Familie begehe, hatte mich eine ungewohnte Unruhe gepackt. Daher fuhr ich früher als sonst vor etwaigen Gottesdiensten nach St. Pauls. Als ich die schweren Türen zur Kirche öffnete, strahlte mir gelassene Ruhe entgegen. Dieses Gebäude hatte schon so viel erlebt, dass das alte Gemäuer so schnell durch nichts aus der Ruhe gebracht werden konnte – auch nicht durch eine nervöse Pastorin. Ich schüttelte den Kopf und sog die herrliche Karfreitagsruhe in mich ein. Als ich die Ausschreibung von St. Pauls vor eineinhalb Jahren las, war der Begriff des gewünschten „Jack of all Trades“ (Alleskönner) noch allzu nebulös. Bei meiner Einführung sagte der Kirchenpräsident augenzwinkernd, dass die Gemeinde St. Pauls nun keinen „Jack“, sondern eine „Jaqueline“ gewählt hätte. Am heutigen Karfreitag wurde diese Erwartung auf eine unerwartete Probe gestellt. Nachdem der Gottesdienstraum vom Mesner für den Karfreitagsgottesdienst noch nicht vorbereitet worden war, machte ich mich umgehend an die Arbeit. Nahm die Blumen vom Altar, tauschte die Paramente aus und schaltete die Soundanlage an. Da sie oft nicht funktioniert, durfte eine Funktionsüberprüfung und etwaige Fehlerbehebung nicht fehlen. Jetzt musste nur noch das Licht am Ambo angemacht werden. Als ich den Schalter betätigte, tat sich nichts. Ich nahm den Stecker und versuchte, ihn in die Steckdose zu stecken. Ein großer Fun66
kenflug sprühte mir aus Schalter und Steckdose entgegen, ich fiel nach hinten, hielt meinen schwarzen, schmerzenden Daumen und setzte mich auf die unterste Altarstufe, um wieder zu Sinnen zu kommen. Doch es half nichts. Der Gottesdienst musste vorbereitet werden. Der Mesner war nicht in Sicht, und die Gottesdienstbesucher würden bald die Kirche betreten. Benommen sah ich mich um, und mein Blick fiel auf das Kreuz, das nicht verdeckt worden war. Was aber tun, wenn keine entsprechenden Tücher vorhanden waren? Beherzt zog ich meine Schuhe aus, nahm meinen schwarz-lilanen Poncho von den Schultern, stieg auf den Altar und bedeckte das Kreuz. Dann machte ich mich in Windeseile an die Vorbereitung des Abendmahltisches. Und dann endlich kam mein Mesner. Man sah ihm deutlich an, wie unangenehm ihm all dies war. Eilig half er mir bei allen weiteren Vorbereitungen. Als der Gottesdienst begann, war ich froh, nicht mehr „Jaqueline“ sein zu müssen, sondern einfach nur Pastorin einer Gemeinde, die gemeinsam den Tod Jesu bedenkt und trauert. Mit all den Generationen vor uns, die in St. Pauls seit über hundert Jahren beteten, verbunden, zog herrliche Karfreitagsruhe in den Gottesdienst und auch in mein Herz ein.
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Ein Ei-Phone rettet den Karsamstag
8. April 2015 Karwoche, Ostereier, Technik
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reudige Vorbereitungen verwandelten das trübe Karsamstagswetter in geschäftiges Treiben. Schließlich waren Osternacht mit anschließendem Frühstück, der Osterfestgottesdienst und das „Ostern im Pfarrgarten“ vorzubereiten. Unsere Kinder freuten sich vor allem auf das Eierfärben und Dekorieren. Zum Leidwesen meiner Familie sind meine Eierkochkünste nicht die besten – so manches Ei, das entweder zu weich oder zu hart aus der Schale gepellt wurde, hat einige Enttäuschung bei unseren Familienfrühstücken hervorgerufen. Um solche unerwünschten Endprodukte zu vermeiden, hatte ich mir in diesem Jahr die App „Eieruhr“ gekauft. Sie versprach exakte Ergebnisse, die auch einer nicht versierten Eierköchin wie mir erreichbar sein sollten. Nachdem wir dank eines Eiergrößenermittlers die vorliegende Eiergröße herausgefunden und mit einem automatischen Ortungsdienst die Höhenmeter festgestellt hatten, war es vor allem der sogenannte „Eierspion“, der unsere Kinder begeisterte. Er zeigte an, welche Veränderungen sich gerade im Ei abspielten. Dank Ei-Phone stand nun nichts mehr dem perfekt gekochten Osterei entgegen, und das Färben konnte beginnen …
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Die Symbolkraft der Oster-Lilien
9. April 2015 Karwoche, Ostern, Blumenschmuck
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twas verwundert war ich schon, als meine Sekretärin mich fragte, ob wir, wie in St. Pauls stets üblich, auch in diesem Jahr als Altarschmuck Oster-Lilien verwenden würden. Denn bis jetzt begegneten mir Lilien in Europa zumeist als Zeichen der Trauer bei Beerdigungen und Gedenkveranstaltungen. Nun aber sollte, wie in Übersee üblich, der neugotische Altar unserer Kirche in einem solchen Blumenschmuck an Ostern erstrahlen. Verwundert machte ich mich auf die Suche nach einer Antwort, die ich in der benachbarten episkopalen St.-Peter’s-Kirche entdeckte: Dort war für Gründonnerstag der Seitenaltar prachtvoll mit einer Fülle von Oster-Lilien geschmückt worden, dem Zeichen der Freude und Schönheit mitten im Leid, der Auferstehung durch Jesus Christus. Diese wunderbare Symbolkraft hat die Schönheit dieser schlichten japanischen Blumen in meinen Augen noch verstärkt – egal, ob sie nun Verwendung bei einem Trauerfall oder in der Kar- und Osterzeit finden.
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Hut ab, Herr Außenminister!
11. April 2015 Aprilscherz, Bundesregierung, Auslandsschulen
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enschen in den April zu schicken ist ein alter Brauch, der bereits in Grimms Deutschem Wörterbuch von 1854 als „Aprilnarr“ Erwähnung findet. Viele Jahrhunderte später wird dieser Tag immer noch mit großem Enthusiasmus zelebriert. Der erste April gehört zugegebenermaßen nicht zu meinen Lieblingstagen. Vor allem an Unterrichtstagen ist er mir wie vielen anderen Lehrkräften ein besonderer Graus. Dennoch wollte ich mich nicht lumpen lassen und bereitete einen eigenen kleinen, aber feinen Scherz vor: eine vorgetäuschte schriftliche Leistungserhebung. Mit ernsthafter Miene verkündete ich meiner Religionsklasse die Notwendigkeit einer solchen schriftlichen Arbeit, die mit Unmut, aber schließlich stoischem Ernst angegangen wurde. Nach einigen Minuten Stille und geschäftigem Schreiben schickte ich schließlich meine Schüler ausgelassen in den April. Meine Mittagspause verbrachte ich freudig grinsend damit, Facebook-Einträge verschiedenster Personen zu lesen und mich über den einen oder anderen Aprilscherz zu freuen. Doch immer mehr geriet der erste April in meinem Gedanken in den Hintergrund, und Normalität stellte sich angesichts so manch wahrer Nachricht ein. Mit Erschrecken nahm ich einen Facebook-Eintrag von Frank-Walter Steinmeier zum Thema der Auslandsschulen wahr: Umlaute (ä, ö, ü) sowie das „scharfe S“ (ß) sollten für die Schüler der Deutschen Auslandsschulen ab sofort abgeschafft 70
werden, um ihnen das Lernen zu erleichtern. Entsetzt starrte ich auf mein iPhone und berichtete einer befreundeten Lehrerin von diesem Vorhaben unserer Bundesregierung. Zunächst betrachtete sie ebenfalls verwundert den Post unseres Außenministers, doch dann erschien ein breites Grinsen auf ihrem Gesicht: „Das ist ein Aprilscherz, Miriam!“ Hut ab, lieber Herr Steinmeier! Sie haben mich kräftig in den April geschickt!
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Jesus Christ Egyptian Superstar
5. Mai 2015 Altes Testament, Pyramide, Osiris
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underbares, laufwarmes Frühlingswetter begrüßte uns auf unserem Weg zu New Yorks berühmtem Green Wood Cemetery. Viele Persönlichkeiten, unter ihnen Leonard Bernstein und Samuel Morse, haben dort ihre letzte Ruhestätte gefunden. Dies ist nicht weiter verwunderlich, da dieser Ort einen spürbaren Zauber in sich trägt. Und doch war die Errichtung des Friedhofs eine kühle, durchdachte Idee des Stadtplaners Henry Evelyn Pierrepont gewesen. Er hatte mit einigen Investoren das Land gekauft und auf dem höchsten Punkt Brooklyns einen Friedhof errichtet, der sehr schnell eine Attraktion für Ausflüge und ein beliebter Bestattungsort wurde. Nun befand ich mich auf den Spuren unserer Kirchengemeinde auf diesem verzauberten Friedhof, der voll von Symbolen war: Neben keltischen Kreuzen fanden sich im harmonischen Vielerlei eine charmante Venus und verschiedenste Zeichen der Freimauerer auf Gräbern und Denkmälern. Doch das wohl Imposanteste stellte eine Pyramide dar, die Grabstätte des christlichen Ägyptologen Albert Parson. Über dem Eingang prangt das Zeichen Osiris, des ägyptischen Gottes des Jenseits, der Wiedergeburt und des Nils. Eine Sphinx bewacht den Eingang zum Grab, wobei Jesus, als guter Hirte dargestellt, und Maria, die den kindlichen Jesus hält, die eigentlichen Beschützer dieses Grabes sind.
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Ganz selbstverständlich hat Parson die Elemente der ägyptischen Religion zur Illustration seines christlichen Glaubens verwandt. Christus war für ihn niemand anderes als die wahre Menschwerdung der Erlösung, die bereits in Ägypten ersehnt und zur Zeit des Alten Testaments vorhergesagt worden war. In gewisser Weise eine Art ersehnter ägyptischer Superstar. Daher hatte er die verschiedenen Symbole ganz selbstverständlich miteinander kombiniert. Schmunzelnd sehe ich vom Big Apple aus auf die in Deutschland geführte Diskussion, die Slenczka mit seiner Theorie zu Kirche und Altem Testament vom Zaun gebrochen hat. Das Alte Testament als Teil der Apokryphen? Ein minderes Zeugnis? Ich glaube, Albert Parson würde sich ächzend im Grab herumdrehen …
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It’s raining cats in the Parsonage
21. Mai 2015 Fallende Katzen, Hexen, Pfarrhaus
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in lieber Besuch aus meiner Gemeinde half bei all den Vorbereitungen rund um die bevorstehende Konfirmation unseres Ältesten. Nach einem langen Arbeitstag gönnten wir uns zur Belohnung ein gemütliches Glas Wein nebst einigen süßen Leckereien. Endlich konnten wir alle viere von uns strecken. Herrliche Stille war im Pfarrhaus eingezogen. Doch plötzlich hörten wir einen dumpfen Schlag. Unser Kater Otello landete mit senkrecht aufgestelltem Fell und lautem Katzengejammer neben unserer Besucherin. Er war vom ungefähr dreieinhalb Meter hohen Durchgang zum Garten und den Kinderzimmern heruntergefallen. Lautes Gelächter erfüllte das um diese Uhrzeit sonst eher ruhige Pfarrhaus. Yes, it was raining cats in the Parsonage! Es gibt verschiedene Theorien über den Ursprung der Redensart „It’s raining cats and dogs“. Einige sehen die Wurzeln in der nordischen Mythologie begründet. Dort gelten Hunde und Wölfe als Diener des Sturmgottes Odin, Katzen als Vertraute von Hexen, die angeblich fliegen können. Katzen, die versehentlich vom Hexenbesen fallen? Einleuchtender erscheint eine Rückführung auf das England des 17. bzw. 18. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit waren englische Städte von unzureichender Müll- und Abwasserentsorgung und starker Verschmutzung der Straßen geplagt. Bei starkem Regen wurden durchaus tote Tiere durch die engen und verschmutzten Gassen geschwemmt. 74
Vaterunser für die Megametropole
2. Juni 2015 Individuelle Trauungen, Hoteldach, Natur
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as in Deutschland für Pfarrerinnen und Pfarrer in den großen verfassten Kirchen nahezu undenkbar und zumeist nur freien Theologen möglich ist, wird im Big Apple, aber auch darüber hinaus, ganz selbstverständlich praktiziert: Trauungen unter freiem Himmel, an jedem möglichen und unmöglichen Ort. Es gibt durchaus Kolleginnen und Kollegen, die „Unterwassertrauungen“ oder solche unter dem Laubdach des Lieblingsbaums im Central Park gestalten. Als ich gefragt wurde, ob ich eine Trauung auf einem Hoteldach begleiten würde, war ich freudig erstaunt und nahm die Herausforderung gerne an. Wenige Wochen später präsentierte sich mir ein atemberaubender Blick, der nur noch durch die strahlenden Augen des Brautpaars bei seinem Eheversprechen übertroffen wurde. Einige Leser werden nun vielleicht skeptisch die Augenbrauen hochziehen. Muss Kirche alles mitmachen? Jeder „Mode“ nachgeben? Als wir als internationale Gottesdienstgemeinde in verschiedenen Sprachen das Vaterunser über den Dächern von New York für die Megametropole sprachen, war jede Skepsis von mir gewichen.
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Ein Mensch sieht, was vor Augen ist
8. Juni 2015 Bibel, Kunst, Toleranz
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ew York hatte am vergangenen Wochenende zum siebten Kunstfestival „Figment” auf Governors Island an der Südspitze Manhattans eingeladen. Ein lauer Wind wehte uns um die Nase, als wir die Insel, die von einem strahlenden Himmel überzogen war, nach einer kurzen Fährfahrt betraten. Nach einem kleinen Picknick erkundeten wir die verschiedenen Kunstinstallationen und Mitmach-Möglichkeiten, die die Herzen von Groß und Klein höher schlagen ließen. Ob Minigolf, Baumhaus oder interaktives Spray-Painting, für jeden war das Passende zu finden. Manch wundersame Wesen schwebten oder schritten über die grüne Wiese. Viel war für das Auge geboten. Eine verkleidete Person hatte schnell meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Nachdem ich all meinen Mut zusammengenommen hatte, um nach einem kleinen Foto zu fragen, entpuppte sich dieses „respekteinflößende“ Wesen als menschen- und kinderfreundlicher Herr, der liebevoll auf seinen Nächsten zuging. Und ob er es intendiert hatte oder nicht – er wurde mir zu einem Mahner, der still, aber bedächtig durch seine Präsenz mich an Gottes Wort erinnerte: „Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der Herr aber sieht das Herz an.“ (1 Sam 16, 7b)
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Gott legt uns eine Last auf, aber er hilft uns auch! 14. Juni 2015 Bibel, Natur, Trost
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s war ein strahlender Frühsommertag, der durch den Besuch einer sehr engen Freundin noch schöner wurde. Wir nutzten das Wetter für einen Spaziergang im nahe gelegenen „Marshlands Conservancy“, einem 147-Hektar großen Naturschutzgebiet. Durch einen dichten Wald, grüne Wiesen, aber auch karge Salzwiesen und seichte Ufer ist es ein Paradies für Vogelbeobachtungen. Das Sumpfland und die angrenzenden Salzwiesen sind eine der wenigen, die im Staat New York öffentlich zugänglich sind. Auf unserem Spaziergang konnten wir einige uns unbekannte Vögel beobachten, die aufblühende Natur aber zog schon bald all unsere Aufmerksamkeit mit strahlender Schönheit auf sich. Als wir am Ufer eine kleine Pause einlegten, fiel uns ein einsamer, schlichter Baum auf. Beim näheren Hinsehen jedoch sahen wir etwas sehr Ungewöhnliches: In seiner Mitte war ein faustgroßer Stein eingewachsen. Der Baum hatte diesen harten Fremdkörper einfach in sich aufgenommen und war daran gewachsen. Ein Vorbild für so manchen unter uns, der Schwierigkeiten erlebt oder erleben muss – und ein Trost in schweren Zeiten, denn „Gott legt uns eine Last auf, aber er hilft uns auch“. (Ps 68, 20)
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Von Krisenherden fern und nah
18. Juni 2015 Frieden, Flüchtlinge, Gewalt
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s war ein lauer Sommerabend. Das Amerikanische Business-Forum für Europa hatte zu einem besonderen Vortrag eingeladen: David Wright Miliband, ehemaliger Außenminister des Vereinigten Königreichs, informierte über seine Arbeit als Präsident des International Rescue Committee. Er sprach von einer gegenwärtigen „Dekade der Unordnung“ in unserer Welt – 16 Mio. Flüchtlinge weltweit und 30 Mio. Vertriebene innerhalb eigener Landesgrenzen ließen uns aufhorchen. Diese unglaublich hohe Zahl wurde umso mehr dadurch verstärkt, dass das vergangene Jahr 2014 ein relativ friedliches war, das keine Kriege zwischen Ländern verzeichnete, jedoch mehrere Bürgerkriege. Das von Miliband geleitete internationale Komitee versucht, in diesen Krisengebieten Hilfe zu leisten, um eine gewisse Stabilität zu erreichen. Insgesamt 22 Milliarden Dollar werden hierfür bereitgestellt. (Nur zum Vergleich: Facebook hatte den Serviceprovider WhatsApp für 19 Milliarden Dollar übernommen!) Die für uns fernen Krisenherde rückten zwar in eine gedankliche, aber dennoch ferne Nähe. Nach vielen interessanten Gesprächen verließ ich etwas nachdenklich, aber dennoch guten Mutes das Forum – meine Gedanken eilten schon in Richtung Expresszug und meiner Familie. Als ich jedoch um die Ecke bog, bot sich mir ein schockierendes Krisenszenario: Blut war auf dem sonst von mir frequentierten Bürgersteig ein stiller Zeuge. Polizei- und Rettungswagen ballten sich in der Schlucht zwischen den Hochhäusern. Mitten im bunten Trubel der pulsierenden Megame79
tropole war ein ganz unerwarteter Krisenherd aufgebrochen – nun rückte das soeben Beschriebene in greifbare emotionale Nähe. Unwillkürlich sprach ich ein stilles Gebet. Denn letztlich ist es meine innere Überzeugung, dass Gott unsere Gebete hört und uns ewige Rettung durch Christus schenkt. Bei ihm sind wir auch in schweren Zeiten geborgen – selbst wenn wir es vielleicht nicht spüren, so ist er doch für uns da.
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