Der Trauerknigge

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D ER T RAUER- K NI GGE



DER

TRAUERKNIGGE


Copyright © Claudius Verlag, München 2016 www.claudius.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden. Umschlaggestaltung: VOGELSANGDESIGN; www.vogelsangdesign.de Umschlagfotos: Anzug: © hobbitfoot, Schleife: © giadophoto Konzeption und Ausführung: Ulrike Nikel Gesetzt aus der: Palatino LT Druck: Hubert & Co, Göttingen ISBN: 978-3-532-62488-3


I NHALT

Einleitende Worte 1. Abschied nehmen – aber wie? 2. Die Bestattungsart 3. Die Wahl des Bestatters 4. Die Beerdigung 5. Die Kleidungsfrage 6. Sinn und Unsinn von Ritualen 7. Mit der Trauer leben 8. Der Kondolenzbesuch 9. Zitate fßr Kondolenzkarten und Traueranzeigen Literatur aus dem Umfeld

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EI N LE ITE N DE W O RT E Man sieht die Sonne langsam untergehen und erschrickt doch, wenn es plötzlich dunkel ist. FRANZ KAFKA

Was tun wir, wenn? Wenn genau das eintritt, über das wir im Leben nicht gerne reden? Woran wir am liebsten nicht denken und wofür wir eigentlich auch nicht vorausplanen mögen? Gemeint ist der Tod. Es ist eine Binsenweisheit, dass wir alle sterben werden, und niemand wird das bestreiten. Dennoch verdrängen wir dieses Thema weitgehend aus unserem Bewusstsein. Vielleicht gilt heute noch, was der französische Aphoristiker und Moralist Jean de La Bruyère Ende des 17. Jahrhunderts treffend erkannte: „Die Gewissheit des Todes wird durch die Ungewissheit seines Eintretens gemildert.“ Oder anders formuliert: Warum soll man sich den Kopf über Dinge zerbrechen, die gerade gar nicht akut sind? Natürlich werden für alle Fälle, wobei man eher an Unfälle denkt, Testamente aufgesetzt, und mit Glück gibt es eine Patientenverfügung, weil man sich vor unnötigen Leiden und Schmerzen fürch-

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tet, und einen Organspende-Ausweis, weil das von sozialem Verantwortungsbewusstsein zeugt und man zudem im Notfall ja selbst in den Genuss einer solch lebensrettenden Spende kommen möchte. Aber das war es dann auch schon. Während wir uns bisweilen Jahre im Voraus mit der ultimativen Gestaltung von Familienfesten beschäftigen, kommt kaum jemand auf den Gedanken, sich im Vorfeld zu überlegen, wie er einmal seine letzte Reise antreten und seinen Abschied gestalten möchte, geschweige denn, das entsprechend für seine Angehörigen festzuhalten. Schade, denn die stehen dann vor einem Berg von Problemen und wissen oft erst einmal nicht, was sie tun sollen. Wir leben in einer Gesellschaft, die Jugend und Fitness vergöttert, und Alter, Krankheit und Sterben ausgrenzt. Oder auslagert. Menschen, die nicht mehr für sich alleine sorgen können, landen überwiegend in Senioren- oder Pflegeheimen, Kranke in Kliniken, Sterbende mit Glück in Hospizen. Diese Bestandsaufnahme klingt hart und ist es auch, aber die Situation lässt sich kaum anders beschreiben. Es ist der Preis, den wir für die vielen Annehmlichkeiten unserer individualisierten, mobilen und immer globaler werdenden Gesellschaft zahlen, denn die alten Strukturen wie Großfamilien, die solche Aufgaben früher übernahmen, und Nachbarschaften, die zur Not einsprangen, sind inzwischen so gut wie verschwunden. Das ist keine neue


Entwicklung, sondern eine, die bereits im 19. Jahrhundert durch Industrialisierung und Landflucht einsetzte. Jetzt haben wir offensichtlich den Gipfel erreicht und spüren die Folgen. Der familiäre Generationenvertrag funktioniert nicht mehr. Der Tod hatte früher zwangsläufig einen festen Platz im Leben der Menschen. Im Mittelalter entvölkerten Seuchen ganze Landstriche. „Der Tod ist uns so nahe, dass sein Schatten stets auf uns fällt“, hat im ausgehenden Mittelalter der Straßburger Prediger Johann Geiler von Kaysersberg richtig festgestellt. Seit Mitte des 14. Jahrhunderts war die Furcht vor der Pest, dem Schwarzen Tod, allgegenwärtig. Allein zwischen 1347 und 1352 gab es mehr als zwanzig Millionen Opfer, ein Drittel der europäischen Bevölkerung. Und zwei Jahrhunderte später verlor durch die Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges auf dem Territorium des Heiligen Römischen Reiches ebenfalls ein Drittel der Menschen das Leben, in manchen Regionen waren es sogar bis zu siebzig Prozent. Wie gingen die Menschen damals mit diesem Massensterben um? Sie gewöhnten sich daran, nahmen es fatalistisch hin oder akzeptierten es, indem sie Trost im Glauben suchten. Außerdem entwickelten sie Rituale, die ihnen halfen, damit umzugehen. Heute hat man das weitgehend verlernt, weil man es für überholt hält oder als inhaltsleere Form

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betrachtet. In vielen Ritualen verbirgt sich jedoch bei genauerem Hinsehen ein tieferer Sinn, der bis heute seine Bedeutung nicht verloren hat und beim Umgang mit Tod und Trauer durchaus hilfreich sein kann. Rituale sind letztlich Überlebensstrategien, unsere Altvorderen wussten das und hielten sich gern an folgendes Schema: Sie beklagten ihren Verlust, hielten eine festgesetzte Trauerzeit ein, in der sie festgesetzte Regeln befolgten, und nahmen anschließend wieder ihr normales Leben auf. Von dieser selbstverständlichen Gewissheit, dass man als Hinterbliebener nicht dauerhaft aus der Bahn geworfen wird, sondern dass das Leben irgendwann weitergeht, sollten wir lernen, meinen renommierte Trauerforscher und zitieren etwa George A. Bonanno, der im Zusammenhang mit Trauer von einer menschlichen Erfahrung spricht, für die „wir geschaffen sind“ und die nichts ist, „was uns überfordern soll“. Das wussten bereits auch die alten Römer. „Keinem Menschen widerfährt etwas, das er nicht seiner Natur nach ertragen könnte“, heißt es bei Kaiser Marc Aurel, der im Jahr 180 unserer Zeitrechnung starb. Bei Rainer Maria Rilke klingt es ungleich poetischer, doch die Aussage dahinter ist dieselbe: „Der Tod ist nicht über unsere Kraft, er ist der Maßstrich am Rande des Gefäßes.“ Sicherlich eine beruhigende Erkenntnis, die uns jedoch in dem Augenblick, wenn der Todesfall eintritt, kaum trösten dürfte.


Dieser Trauerknigge will Ihnen nicht vorschreiben, was man in einer solchen Situation tut, sondern er möge Ihnen Orientierungshilfen geben, was Sie tun können und was heutzutage – auch im Hinblick auf die Individualisierung unserer Gesellschaft – angemessen ist im Umgang mit dem Verstorbenen und seinen Hinterbliebenen

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1. ABSCHIED NEHMEN – ABER WIE? Wie? Wann? Und wo? Die Götter bleiben stumm. Du halte dich ans Weil und frage nicht Warum! JOHANN WOLFGANG VON GOETHE

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Irgendwann kommt der Tag, an dem man die Nachricht erhält, dass ein naher Angehöriger gestorben ist, oder an dem man es gar selbst miterlebt. Natürlich macht es einen großen Unterschied, ob es einen jungen Menschen trifft oder jemanden im biblischen Alter, ob man mit dem Ende gerechnet hat oder ob es völlig unerwartet kommt. Besonders schwer zu verkraften ist der Tod, wenn er eine große Lücke in das eigene Leben reißt wie etwa beim Verlust des Partners, einer Tochter, eines Sohnes. Da steigt der Schmerz ins Unermessliche, die Welt scheint stillzustehen. Wie kann denn alles ganz normal weitergehen, wenn für einen selbst die Welt zusammenbricht? Man kann den hellen Sonnenschein nicht ertragen und verdunkelt die Räume, man erträgt das Lachen der anderen nicht, weil man selbst nur weinen möchte. Die Bewältigung des Alltags wird zur Qual.


„Wem ein Geliebtes stirbt, dem ist es wie ein Traum,/ Die ersten Tage kommt er zu sich selber kaum./ Wie er’s ertragen soll, kann er sich selbst nicht fragen./ Und wenn er sich besinnt, so hat er’s schon ertragen“, hat Friedrich Rückert 1839 in seinem „Lehrgedicht“ Die Weisheit des Brahmanen gereimt. Gut zehn Jahre früher, aber dennoch erheblich moderner heißt es ähnlich in Heinrich Heines Buch der Lieder: „Anfangs wollt’ ich fast verzagen,/ Und ich glaubt’, ich trüg es nie,/ Und ich hab’ es doch getragen,/ Aber frag mich nur nicht: Wie?“ Der Tenor ist der gleiche: Auf grenzenlose Trauer und Nicht-begreifen-Können stellt sich irgendwann die Erkenntnis ein, dass es weitergehen muss. Und das ist auch notwendig, denn das Leben geht weiter, auch in einem Trauerhaus. Ungeachtet dessen, ob der Tod „plötzlich und unerwartet“ oder „nach langer, schwerer Krankheit“ kam, wie in den Todesanzeigen gerne formuliert wird. Neue Strukturen und alte Probleme Heutzutage findet der Tod überwiegend nicht mehr zu Hause, sondern in Krankenhäusern, Alters- und Pflegeheimen statt; bis zu achtzig Prozent sind es, wenn man den Statistiken glauben darf. Vielfach wird diese Entwicklung beklagt, Kritiker sehen darin einen Verlust an Menschenwürde und Mitmenschlichkeit, sprechen gar von einer „Entsorgung“ der

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Alten, Kranken und Sterbenden und von einer „Bürokratisierung des Sterbens“. Doch sind solche Vorwürfe wirklich berechtigt? Nein, so einfach ist es vermutlich nicht. Richtig ist, dass die meisten sich wünschen, zu Hause im Kreise ihrer Lieben den letzten Atemzug zu tun, friedlich einzuschlafen, wie man gerne sagt. Doch das ist leider nicht jedem gegeben und auch nicht für jeden möglich. Bei dem einen verhindert es die Schwere der Krankheit, die eine intensivmedizinische Betreuung erfordert, bei dem anderen fehlen einfach die Möglichkeiten für eine häusliche Pflege. Weil die Wohnbedingungen es nicht zulassen, weil die Angehörigen berufstätig sind oder in einer anderen Stadt wohnen. Das ist wie vieles andere eine Folge unserer veränderten Gesellschaft, vielleicht deren unschöne Kehrseite. Man darf das bedauern, kann es indes kaum grundlegend ändern. Und niemand, der sich als Angehöriger in einer solchen Situation befindet, sollte sich deswegen Vorwürfe machen und Schuldgefühle entwickeln. Wichtig ist, selbst unter nicht optimalen Umständen sein Bestes zu geben: nämlich das, was für den gerade Verstorbenen und für einen selbst als Angehörigen passt. Formalitäten: lästig, aber notwendig Bevor man sich mit diesen eher emotionalen Fragen befasst, steht die Erledigung einer Vielzahl von For-


malitäten an. Sofern der Tod zu Hause eingetreten ist, fängt das damit an, dass man einen Arzt rufen muss, der den Tod offiziell feststellen muss und die Todesbescheinigung ausstellt, sowie einen Bestatter, der den Verstorbenen abholt. Speziell in Deutschland sind die Vorschriften recht streng und lassen wenig Handlungsspielraum zu. Früher durfte ein Toter bis zur Beerdigung zu Hause aufgebahrt werden, heute sind in den meisten Bundesländern nur sechsunddreißig Stunden erlaubt. Ferner stehen zahlreiche Behördengänge an, allen voran die Abmeldung beim Standesamt, die innerhalb eines Tages erfolgen muss. Dafür brauchen Sie neben dem ärztlichen Totenschein den Personalausweis, die Geburts- oder Heiratsurkunde des Verstorbenen sowie gegebenenfalls Scheidungsurteile und Sterbeurkunde des Ehepartners. Erst wenn sie eine amtliche Sterbeurkunde in den Händen halten, können sie weitere Formalitäten erledigen: Bankvollmachten und Erbscheine beantragen, die Testamentseröffnung veranlassen und Versicherungen kündigen. Lebens- und Unfallversicherungen gewähren da eine Frist von gerade mal zwei Tagen. Da ist viel zu tun in sehr kurzer Zeit, zumal eventuell auch noch ein Vermieter, ein Arbeitgeber, die Rentenversicherung oder das Sozialamt informiert werden muss. Gut, wenn Sie in einer solchen Situation nicht alleine sind und Ihnen Menschen zur Seite stehen, die Ihnen einen Teil der Last abneh-

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men und durch die ersten schweren Tage helfen. Vielerorts kann auch der Bestatter beispielsweise die Abmeldung übernehmen, sich um den Termin für die Beerdigung, um die Aushebung des Grabes und dergleichen mehr kümmern. Ein Aspekt, der gerne vergessen wird, heutzutage aber große Relevanz hat: War der Verstorbene auf den sozialen Netzwerken aktiv? Sind die Passwörter für Facebook und Co. irgendwo hinterlegt? Bitte denken Sie daran, auch das „virtuelle“ Leben des Verstorbenen aufzulösen. Auch so bleibt noch genug zu tun. Die Benachrichtigung von Freunden und Verwandten, das Aufsetzen und Verschicken von Todesanzeigen, sich gedanklich mit der Trauerfeier befassen und bei einer kirchlichen Beerdigung ein Gespräch mit dem Pfarrer vereinbaren, und, und, und… Das ist zeitraubend. Und belastend. Denn niemandem fällt es leicht, das Leben eines anderen Menschen quasi abzuwickeln. Das tut weh und hinterlässt ein schales Gefühl, während man den eigentlichen Verlust noch gar nicht begreifen konnte. Doch leider: Es geht nicht anders und muss sein. Und vielleicht helfen dem einen oder anderen gerade diese notwendigen Aktivitäten, die ersten schweren Tage zu überstehen. Aufbahrung: ja oder nein? Nach den notwendigen Formalitäten fällt so mancher Hinterbliebene erst einmal in ein tiefes Loch. Das Gedankenkarussell ist in Gang gesetzt, oft


kommt jetzt die Angst vor dem Alleinsein und der Zukunft. Doch jeder Mensch ist anders, geht anders mit dem erlittenen Verlust um und stellt sich anders der neuen Situation. So muss letztlich jeder für sich versuchen, das plötzlich entstandene Vakuum zu überbrücken. Manchen hilft ihr Glaube, wer das nicht kann, hat die Möglichkeit andere Haltepunkte zu finden wie intensive Gespräche oder das gemeinsame Eintauchen in Erinnerungen. In früheren Zeiten war es eine Selbstverständlichkeit, dass Freunde und Nachbarn ins Haus kamen und sich mit der Familie um den aufgebahrten Leichnam versammelten. Man begriff den Tod nicht als individuelles Ereignis, sondern als etwas, das die ganze Gemeinschaft betraf. „Trösten ist eine Kunst des Herzens“, hat der Publizist und Schriftsteller Otto von Leixner, der 1896 eine Sammlung von Sprüchen aus dem Leben für das Leben herausgegeben hat, diese Form der Zuwendung genannt. Sie bestehe oft nur darin, „liebevoll zu schweigen und schweigend mitzuleiden“. Lange Zeit wurden sogar im großen Kreis nächtliche Totenwachen abgehalten. Diese Zusammenkünfte hatten die Funktion, zum einen dem Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen und zum anderen die Hinterbliebenen ihrer Solidarität zu versichern, was nicht unwichtig war in einer Gesellschaft ohne soziale Absicherung. Wenngleich dieser Aspekt heute glücklicher-

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weise zu vernachlässigen ist, kann gemeinsames Abschiednehmen dennoch bedeutsam sein, weil dadurch neben dem Toten auch der in seinem Schmerz isolierte Hinterbliebene Aufmerksamkeit erfährt. Wie wichtig das ist, hat sich inzwischen insbesondere bei so genannten Trauerbegleitern durchgesetzt. Nachdem es lange Zeit die Tendenz gab, den Trauernden sich selbst und seinem Schmerz zu überlassen, wird inzwischen zunehmend wieder das gemeinsame Verabschieden und Trauern propagiert und gefördert. Die „Von-Beileidsbekundungen-bitten-wir-abzusehen-Mentalität“ ist auf dem Rückzug und einer Kultur aktiven Mitleidens gewichen. Bereits Wilhelm Raabe, Autor des Hungerpastors und bekannt für die gesellschaftskritischen Ansätze seiner Werke, mahnte Ende des 19. Jahrhunderts: „Wir wollen die Liebe, welche wir den Toten mit ins Grab geben, nicht den Lebenden entziehen.“

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Schaut man die Angebotspalette der Bestatter an, so gibt es verschiedene Möglichkeiten der Aufbahrung: zu Hause, im Trauerraum des Instituts, des Krankenhauses oder des Pflegeheims, wo man inzwischen überwiegend über solche speziellen Räumlichkeiten verfügt, sowie in der Kapelle des Friedhofs. Alle Varianten gibt es entweder im offenen oder geschlossenen Sarg. Wer sich für eine Aufbahrung in der eigenen Wohnung entscheidet, muss die Sechsunddreißig-Stunden-Frist beachten und die Frage


der hygienischen Versorgung klären. Natürlich steht es den Angehörigen frei, den Verstorbenen selbst zu waschen und einzukleiden, aber auch in diesem Fall bieten die Bestatter ihre Dienste an und schicken Mitarbeiter, die das für einen erledigen, wenn man das wünscht. Ob der Abschied am geschlossenen oder offenen Sarg erfolgen soll, bleibt der individuellen Entscheidung überlassen. Eine offene Aufbahrung kommt zumeist dann infrage, wenn der Verstorbene zuhause gestorben ist und dort nicht unbedingt schon in den Sarg gelegt wird. Allerdings ist der prozentuale Anteil von Hausaufbahrungen nicht groß, und den Bestattungsportalen zufolge entscheiden sich rund neunzig Prozent der Hinterbliebenen heutzutage gegen eine offene Aufbahrung. Sie wollen den Verstorbenen lieber so in Erinnerung behalten, wie er zu Lebzeiten war. Die derzeit von Trauerforschern gern bemühte alte Sichtweise, dass man nur wirklich Abschied nehmen und den Tod begreifen kann, wenn man lange neben dem Verstorbenen sitzt und ihn berührt, also „begreift“, ist nicht jedermanns Sache. Das sollte man respektieren. Gerade hinsichtlich der sprichwörtlichen Berührungsängste Toten gegenüber sind die Unterschiede beträchtlich, und niemand sollte sich gegen seinen Willen zu einer solchen Nähe überreden lassen, wenn es ihm kein Bedürfnis ist. Bei schweren Verletzungen oder gar

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Verstümmelungen entfällt diese Frage meist, obwohl die Thanatologen, die Visagisten der Pathologie, auf diesem Sektor inzwischen wahre Wunder bewirken. Wie auch immer Sie sich entscheiden: Nehmen Sie sich in jedem Fall Zeit für den Abschied und beziehen Sie dabei andere Personen, Familie oder Freunde mit ein. Tauschen Sie Erinnerungen aus, schauen Sie Fotos oder Videos an, fassen Sie die eigene Trauer in Worte und reden Sie sich vielleicht bislang Unausgesprochenes von der Seele. All das kann der Beginn eines heilsamen Trauerprozesses sein. Und den Freunden, Verwandten und Nachbarn, die sich in diese Zeremonie des Abschiedsnehmens einbinden lassen, wird es womöglich eine neue Sicht auf den Tod und desgleichen auf das Leben eröffnen.

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Sargbeigaben: früher und heute Diese letzten Stunden des Erdendaseins können sich auch dafür anbieten, eine alte Sitte neu zu beleben und dem Verstorbenen kleine Andenken in den Sarg zu legen. Erlaubt ist dabei alles, was brennbar ist beziehungsweise zu Erde wird. Kinder etwa zeichnen gerne etwas für den verstorbenen Vater oder die Großmutter, Ehepartner wählen irgendeinen Gegenstand, an den sich schöne Erinnerungen knüpfen. Wenn ein Kind stirbt, wird ihm meist sein Lieblingskuscheltier in den Arm gelegt.


Solche Sargbeigaben sind keineswegs eine neumodische Erfindung. Man denke bloß an die kostbaren Gegenstände, die sich in den Gräbern der ägyptischen Pharaonen befanden. Selbst Essen und Getränke gab man den Toten zeitweise gemäß ihrem Glauben an ein Leben nach dem Tod auf die letzte Reise mit. Alle große Kulturen kannten diese Tradition, selbst in der Steinzeit schon, wie Funde im berühmten Stonehenge belegen. Niemand wäre auf die Idee gekommen, seine Toten ohne Beigaben zu begraben, die vielleicht im nächsten Leben nützlich sein könnten. Eindeutig nämlich verweisen die Gegenstände aus den Gräbern auch auf die Lebensumstände, die einstige Tätigkeit des Toten oder auf seinen sozialen Rang. Männer begrub man etwa mit ihren Waffen und Frauen mit ihrem Schmuck und allerlei Hausrat. Erst mit der Ausbreitung des Christentums kam diese Sitte mehr und mehr aus der Mode. Es sei denn, es handelte sich um hohe kirchliche Würdenträger – diese durften die Insignien ihrer Macht auch im Tod behalten. Die Zeiten haben sich geändert und mit ihnen die Gebräuche. Niemand außer ein paar reichen Exzentrikern würde heute Wertgegenstände und Juwelen auf dem Friedhof vergraben wissen wollen. An die Stelle der Statussymbole ist zumindest in dieser Hinsicht die symbolische Geste getreten, an die Stelle normierter Trauer der individuelle Abschied, der durch persönliche letzte Geschenke sei-

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nen besonderen Ausdruck findet. Der Umgang mit dem Tod erfordert letztlich eine ausgewogene Balance zwischen bewährten Traditionen und persönlichen Gestaltungsmöglichkeiten.

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