Schmauß, Maike: Weihnachtsträume

Page 1



Weihnachtsträume



Maike Schmauß

Weihnachtsträume Traumgeschichten und Meditationen für Advent und Weihnachten


Maike Schmauß, geboren 1939, hält seit vielen Jahren Gottesdienste und ist Seminarleiterin u.a. am spirituellen Zentrum St. Martin in München und im Kloster Bernried. In ihrer Arbeit verwendet sie vielfältige Ansätze wie Bibliolog, Meditation und Körperarbeit, um Menschen Impulse für ihre Spiritualität zu geben.

Copyright © Claudius Verlag, München 2017 www.claudius.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden. Umschlaggestaltung: Weiss Werkstatt, München Layout und Satz: Mario Moths, Marl Gesetzt aus der Minion und Mightype Script Umschlagfoto: © ArenaCreative/Fotolia.com Die Bibelzitate wurden entnommen aus der Lutherbibel, revidiert 2017, © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart S.142 © Rechtsnachfolge Klaus-Peter Hertzsch Druck: cpi – Ebner & Spiegel, Ulm ISBN 978-3-532-62806-5


INHALT Vorwort

9

Adventsträume Jesaja träumt – Der Geist des Herrn Jesaja träumt – Du machst groß die Freude Sacharja träumt – Dein König kommt zu Dir Ein Schriftgelehrter träumt – Voller Gnade und Wahrheit Der Evangelist Matthäus träumt – Jesus Christus – Sohn Davids Der Evangelist Lukas träumt – Erfüllt Zacharias träumt – Fürchte dich nicht! Ein Mann aus dem Volk träumt – Im Tempel Maria träumt – Mir geschehe, wie Du gesagt hast Elisabeth träumt – Da hüpft das Kind vor Freude in meinem Leibe Eine Nachbarin Elisabeths träumt – Das aufgehende Licht aus der Höhe

14 18 22 26 30 34 38 42 46 50 54


Maria träumt – Ein Zweig aus seiner Wurzel Josef träumt – Gott mit uns Der Kaiser Augustus träumt – Da machte sich auf Herodes träumt – Die Hungrigen füllt er mit Gütern Ein Schaf träumt – Ich bin der gute Hirte

58 62 66 70 74

Weihnachtsträume Ein Schriftgelehrter träumt – Es werde Licht! Ein Sterndeuter träumt – Über mir geht auf der HERR Ein Sterndeuter träumt – Jauchzet, ihr Himmel! Maria träumt – Du bist mitnichten die kleinste Ein Bewohner Bethlehems träumt – Wir sind gekommen, ihn anzubeten Das Kind in der Krippe träumt – Gnade um Gnade Ein Hirte träumt – Ehre sei Gott in der Höhe! Ein Hirte träumt – Friede auf Erden!

80 84 88 92 96 100 104 108


Ein Hirte träumt – Menschen seines Wohlgefallens Simeon träumt – Meine Augen haben deinen Heiland gesehen Hanna träumt – Vor dir freut man sich Der Eigentümer der Herberge träumt – Sie hatten sonst keinen Raum Maria träumt – Offenbar Josef träumt – Steh auf Johannes der Täufer träumt – Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen Ein Sterndeuter träumt – Auf einem anderen Weg

112 116 120

124 128 132 136 140



Vorwort „Träume – Die vergessene Sprache Gottes“ lautet der Titel eines Buches des Theologen Ulrich Kühn. In der Bibel, sowohl im Alten wie im Neuen Testament, werden Träume sehr ernst genommen als eine Möglichkeit Gottes, dem Menschen eine Botschaft zu übermitteln. Der Evangelist Matthäus erzählt, dass Josef dreimal eine Traumweisung erhält: Er soll Maria nicht verlassen – er soll mit dem Kind und ihr nach Ägypten fliehen – er kann wieder in die Heimat zurückkehren. Wir kennen die Botschaften, wir wissen, dass sie durch Träume übermittelt wurden, aber wir kennen nicht die Träume selbst. Diese Träume sind, wie jüdische Rabbiner sagen würden, „weißes Feuer“. Die jüdische Auslegung der Heiligen Schrift unterscheidet zwischen „schwarzem Feuer“ – das ist der Bibeltext, das sind die schwarzen Buchstaben, an denen man kein Jota verändern darf – und „weißem Feuer“ – das ist der weiße Raum zwischen den Schriftzeichen, also das, was nicht dasteht. In diesen Raum können wir alles hineindenken und hineinfühlen, was uns in den Sinn kommt. Dass also Josef im Traum vom Engel Gottes eine Botschaft erhielt, ist schwarzes Feuer, denn so steht es in der Bibel geschrieben. Auch der Inhalt der himmlischen Botschaft ist schwarzes Feuer: „Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir und flieh nach Ägypten.“ (Matthäusevangelium 2,13) Doch welches Traumgeschehen diese Worte deutlich macht, welche Traumbilder die Botschaft vermitteln, steht

9


nicht geschrieben – es ist weißes Feuer. Hier können wir unseren Imaginationen und Phantasien freien Lauf lassen. Bei der Interpretation des weißen Feuers gibt es kein Richtig und kein Falsch, alles ist möglich und denkbar. Die Texte dieses Advents- und Weihnachtsbüchleins wollen das weiße Feuer zum Lodern bringen. Es sind Traummeditationen, Traumlegenden – Träume, wie verschiedene Gestalten der Weihnachtsgeschichte sie gehabt haben könnten. Aber sie bleiben nah am schwarzen Feuer, denn sie enthalten immer nicht nur eine biblische Botschaft, sondern auch ein wörtliches Bibelzitat, das jeweils im Text hervorgehoben ist. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, mit den Texten dieses Buches zu arbeiten: Ich kann einen Traum lesen, ihn meditieren, imaginieren, die Traumbilder in mir aufsteigen lassen, mich von ihnen berühren lassen. Ich kann mich auch dem schwarzen Feuer zuwenden und (wieder einmal) die alten Geschichten der Bibel lesen. Oder ich bewege das Bibelwort des jeweiligen Traums im Herzen, bete es als eine Art Mantra und warte, was geschieht. Dabei muss ich keine klugen und frommen Gedanken haben. Nicht ich mache etwas mit dem Wort, das Wort macht etwas mit mir und ich lasse einfach geschehen, was geschieht. Darüber hinaus gibt es zu jedem Traumtext einen Meditationsimpuls: „Zeit für mich“. Hier werden verschiedene Möglichkeiten angeboten, sich eine kleine Auszeit zu nehmen, einzukehren bei sich, innezuhalten und sich zu besinnen. Vielleicht bietet sich in der Adventszeit ja auch

10


die Möglichkeit, eine Art persönlicher Exerzitien abzuhalten, indem man beispielsweise täglich einen Traum liest und den dazu angebotenen Impuls aufgreift. Dies ist kein Buch, das man von der ersten bis zur letzten Seite lesen muss. Man kann darin blättern, sich von einem Traum ansprechen lassen, von einer Traumgestalt, von einem Bibeltext oder einem Meditationsimpuls. Die Leerseiten laden dazu ein, sich etwas aufzuschreiben, ein „spirituelles Tagebuch“ zu führen: Was hat der Traum in mir ausgelöst? Was sagt mir die Bibelstelle? Wohin hat mich der Meditationsimpuls geführt? Was habe ich dabei erlebt oder erfahren? Wie will ich es ausdrücken? In Worten, Bildern oder Symbolen? Auch eigene Träume oder Imaginationen können hier einen Platz finden. Schreiben, gestalten und erträumen Sie sich so Ihr ganz persönliches Weihnachtsbuch! Ihre Maike Schmauß

11



Adventsträume


Jesaja träumt Ich sitze vor einer Hütte in der Sonne. Um mich herum ist es still und friedlich. Ich habe einen kleinen Knaben auf dem Schoß. Woher er kommt, warum ich ihn auf dem Schoß habe, weiß ich nicht, ich wundere mich aber auch nicht darüber. Plötzlich nehme ich ein Geräusch wahr – die Tür der Hütte öffnet sich knarrend, und mit geschmeidigem Schritt schleicht ein Löwe heraus. „Ich muss das Kind in Sicherheit bringen“, denke ich, aber ich sitze da wie gelähmt. Der Löwe nähert sich und lässt sich zu meinem Erstaunen friedlich zu meinen Füßen nieder. Der Knabe auf meinem Schoß beugt sich hinab, und da streichelt er die Mähne des Löwen! Der lässt es sich geduldig gefallen. Nicht weit von uns entfernt entdecke ich jetzt ein Schaf und zwei Lämmer. Gleichzeitig schiebt sich durch die halbgeöffnete Tür der Hütte die Gestalt eines Wolfs. Die Schafe erkennen die Gefahr nicht, nähern sich zutraulich und legen sich Seite an Seite mit dem Wolf zu dem Löwen. Jauchzend freut sich das Kind über die Tiere, zu denen sich nach und nach immer noch mehr gesellen – eine Schlange, ein Tiger, ein Skorpion… Der Junge ist mir inzwischen vom Schoß geklettert und spielt lachend mitten unter den Tieren. „Wie im Paradies“, denke ich. Hier weht nicht der Geist der Welt, hier weht der Geist des Herrn.

14


Auf ihm wird ruhen der Geist des HERRN, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des HERRN. Und Wohlgefallen wird er haben an der Furcht des HERRN. Er wird nicht richten nach dem, was seine Augen sehen, noch Urteil sprechen nach dem, was seine Ohren hören, sondern wird mit Gerechtigkeit richten die Armen und rechtes Urteil sprechen den Elenden im Lande, und er wird mit dem Stabe seines Mundes den Gewalttätigen schlagen und mit dem Odem seiner Lippen den Gottlosen töten. Gerechtigkeit wird der Gurt seiner Lenden sein und die Treue der Gurt seiner Hüften. Da wird der Wolf beim Lamm wohnen und der Panther beim Böcklein lagern. Kalb und Löwe werden miteinander grasen, und ein kleiner Knabe wird sie leiten. Kuh und Bärin werden zusammen weiden, ihre Jungen beieinanderliegen, und der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind. Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein kleines Kind wird seine Hand ausstrecken zur Höhle der Natter. Man wird weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge; denn das Land ist voll Erkenntnis des HERRN, wie Wasser das Meer bedeckt. Und es wird geschehen zu der Zeit, dass die Wurzel Isais dasteht als Zeichen für die Völker. Nach ihm werden die Völker fragen, und die Stätte, da er wohnt, wird herrlich sein. Jesaja 11,2–10

15


Zeit für mich Der Prophet beschreibt eine paradiesische Welt, ähnlich der, die er in seinem Traum erlebt hat. Diese Welt ist durchweht vom „Geist des HERRN“. In der Realität würde der Wolf das Lamm verschlingen, doch im Paradies seiner Vision lagern sie nebeneinander. Wie sähe wohl die Vision eines Friedensreiches aus, wenn wir unsere heutige Welt betrachten – die große, aber auch die eigene, kleine?

Visionsliste Wie stelle ich mir ein Friedensreich vor? Ich mache eine Liste von meinen „Visionen“. Sie können mein persönliches Umfeld betreffen oder die Welt im Großen, beispielsweise:

16


Juden, Christen und Moslems werden gemeinsam singen „Laudate omnes gentes, laudate dominum“. Menschen aller Rassen und Religionen werden an einem Tisch sitzen , Mahl halten , und es ist genug da für alle. Alle Gefängnisse und Kasernen werden umgewandelt in komfortable Wohnheime für Studenten und Senioren .

17


Maria träumt Ich befinde mich in einem kleinen, leeren Raum, einer Art Zelle. Die Wände sind kahl, es gibt nur ein winziges Fenster sehr hoch oben, so dass ich nicht hinausschauen kann. Das Einzige, was ich sehe, ist ein Stück grauer Himmel. Ich fühle mich elend, völlig verlassen, alles ist trost- und hoffnungslos. Und ich habe Angst. Ich versuche zu beten, aber ich kann nicht. Warum bin ich hier? Welches Schicksal erwartet mich? Hier kann ich nicht bleiben, diesen Ort muss ich sofort verlassen. Entsetzt stelle ich fest: Der Raum hat keine Tür. Das Fenster ist unerreichbar. Flucht ist unmöglich. Da steigen aus der Tiefe meiner Seele zwei Worte in mir auf, zwei Worte, die ich einmal gesagt habe: „Mir geschehe …“ Mir geschehe, mir geschehe, klingt es in mir. Mir geschehe, wie du gesagt hast. Mir geschehe nach deinem Wort. Mir geschehe nach deinem Willen. Mitten in dem trostlosen Raum knie ich nieder, bete nur diese beiden Worte, immer wieder: Mir geschehe, mir geschehe. Ich werde ganz ruhig, fühle mich getröstet, geborgen, sicher. Es kann mir nichts geschehen, als was du ausersehen …

46


Und im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth, zu einer Jungfrau, die vertraut war einem Mann mit Namen Josef vom Hause David; und die Jungfrau hieß Maria. Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das? Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria! Du hast Gnade bei Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben. Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben. Da sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Manne weiß? Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden. Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, ist auch schwanger mit einem Sohn, in ihrem Alter, und ist jetzt im sechsten Monat, sie, von der man sagt, dass sie unfruchtbar sei. Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich. Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. Und der Engel schied von ihr. Lukasevangelium 1,26–38

47


Zeit für mich Im Traum kniet Maria sich hin, als sie die Worte „mir geschehe“ betet. Mag sein, dass sie in der biblischen Erzählung dabei ebenfalls kniet. Denkbar wären auch andere Körperhaltungen. Wie würde ich in Haltung und Gebärde diese beiden Worte ausdrücken?

Körpergebet Ich spreche innerlich oder auch halblaut vor mich hin die beiden Worte „mir geschehe“. Dann probiere ich unterschiedliche Körperhaltungen aus, die für mich ausdrücken könnten, was ich empfinde: In einer Art Prostration auf dem Boden liegend, kniend, sitzend, stehend? Wie ist meine Kopfhaltung? Wie halte ich Arme und Hände? Wenn ich meinen Ausdruck gefunden habe, verweile ich in der Haltung, achte auf meinen Atem und verbinde das Gebetswort „mir geschehe“ mit diesem.

48


49



Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.