Ketzerisches Venedig Zwischen Reformation und Inquisition
Text von Cristina Gregorin Fotografien von Norbert Heyl
claudius
Inhalt
Karte von Venedig
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Vorwort
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Geschichtliche Einführung
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Die Hauptstadt
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Das geistliche Leben
18
Die politischen Ereignisse
22
Venedig, Stadt der Bücher und Leser Das 17. und 18. Jahrhundert
29 42
Die Predigt
44
Die Konventikel
53
Die Täufer
65
Die deutsche Gemeinde
67
Die Frage der Bestattungen
76
Die anglikanische Gemeinde
82
Die niederländische Gemeinde
88
Die Graubündener Gemeinde
91
Die Waldenser Gemeinde
93
Orte der Justiz
97
Subtile Beeinflussungsversuche in der Kunst und Architektur des 16. Jahrhunderts
107
Fußnoten
121
Begriffserläuterung
122
Chronologie
123
Bibliografie
126
Karte von Venedig
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Santo Stefano Platz Fondaco dei Tedeschi Corte dell’Aquila Nera Kirche San Bartolomeo Rialtobrücke Mercerie Kirche San Moisè San Fantin Platz Santi Giovanni e Paolo San Francesco della Vigna Santi Apostoli Kirche Palazzo Grimani Ruga dei Oresi San Cassiano Kirche Palazzo di Girolamo Marcello San Barnaba Kirche Corte Canal
Weitere Orte von Interesse: A B C D E
Markus-Platz Evangelisch-Lutherische Kirche Waldenser u. Methodistische Kirche Anglikanische Kirche Kunstgalerie Accademia
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Karte von Venedig
Vorwort
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enn wir heute die Geschichte der Reformation betrachten – die Begeisterung wie auch Furcht, die sie bei Einzelnen wie in kirchlichen und weltlichen Institutionen erzeugte – vergessen wir leicht, dass die katholische Konfession in Europa nicht frei diskutiert werden konnte. Weder Edelleute noch einfaches Volk durften Anmerkungen abgeben oder Kritik an den offiziellen Schriften der Kirche Roms ausüben. Mehrmals wurden kirchliche Hierarchien der Korruption und Verweichlichung beschuldigt. Die Predigten von Girolamo Savonarola über das Evangelium begeisterten in den 80er-Jahren des 15. Jahrhunderts Tausende. Aber die Anklage des Dominikanermönchs war weniger eine Glaubensfrage als vielmehr eine der Verwaltung des Glaubens durch den Menschen. Als unmittelbares Ergebnis der Verbreitung der Lutherschriften wurde außerordentlich heftig diskutiert: Die Debatte betraf Bürger verschiedenster Berufs- und Bevölkerungsschichten, fand in Klöstern, auf den Plätzen und den Märkten statt. Juristen und Ärzte, Adlige und das einfache Volk äußerten sich mit einer Freiheit der Rede, die es so zuvor noch nicht gegeben hatte. Ihre großen Fragen waren: Wie können wir die Seele retten? Reicht das Tun guter Werke aus, um Gnade zu empfangen oder ist ein aufrichtiger Glauben notwendig? Und wer soll diesen Glauben beurteilen?
Martin Luther von Lucas Cranach d.Ä., ca. 1540. Geschenk von Friedrich IV. von Dänemark bei seinem Besuch 1709 bei der Deutschen Gemeinschaft. Scuola dell’Angelo, Evangelisch-Lutherische Kirche.
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Diese Fragen überrollten die traditionellen kirchlichen Institutionen und führten zum Konzil von Trient (1545–1563). Darin wurde bestimmt, was ein guter Katholik glauben und denken solle, was verboten sei und wie man das Falsche mit allen Mitteln vernichten könne. Jede von der offiziellen katholischen Kirchenlehre abweichende Form war gleichbedeutend mit Verrat und sollte geächtet und bestraft werden. Das geeignete Werkzeug zur Unterdrückung dieser lebendigen geistigen Dogenpalast, Porta della und theologischen Debatte war das von Papst Paul III. im Juli Carta. Detail mit dem kni- 1542 eingerichtete Tribunal für Glaubenslehren im Sant’Ufficio enden Dogen Francesco in Rom. Es reorganisierte zur Reinerhaltung des katholischen Foscari vor dem MarkusGlaubens das Tribunal der Inquisition mittelalterlichen Ursprungs. In Venedig arrangierte man sich mit Roms Bestimlöwen, XV. Jh. mungen und stellte nach Errichtung des Gerichtshofs (Tribunals) jedem kirchlichen Richter auch weltliche Vertreter zur Seite: die Savi all’eresia. In den über 800 Prozessen wurden 20 bis 25 Menschen zum Tode verurteilt.1 Dieses Los ereilte jene, die sich weigerten, ihrem neuen Glauben abzuschwören oder die, nachdem sie bereits einmal abgeschworen hatten, erneut andere missionierten. Die meisten Verdächtigen entschieden sich für einen Widerruf. Sie baten um Entschuldigung für ihre Leichtgläubigkeit und verkündeten, dass sie die religiöse Lehre und die verbotenen Bücher nur aus Neugier gelesen und diskutiert hätten. Zudem wäre es ihnen nie in den Sinn gekommen, jemals die heilige Mutter Kirche zu verlassen. Viele zogen es vor, ihren Glauben im Geheimen zu leben und teilten ihn noch nicht einmal im engsten Familienkreis. Gegenüber ausländischen Gemeinden aus Nordeuropa zeigte sich die Republik mit einem gewissen Pragmatismus wesentlich toleranter. Gottesdienste waren in den Vertretungen möglich und 10
Vorwort
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offizielle Untersuchungen im Umfeld des Fondaco dei Tedeschi, dem deutschen Handelshaus, vermied man. Die Ausübung der eigenen Religion wurde auch bei staatlich anerkannten Gemeinden geduldet: Juden, Griechen und Armeniern. Dieses Buch möchte Sie an die Orte bringen, an denen die neue Botschaft des Evangeliums entstand. Eine Botschaft, die das Leben von Patriziern und Intellektuellen, Künstlern und einfachen Bürgern veränderte und aufwühlte. Es erinnert uns an die ersten mutigen Schritte zur Befreiung des Denkens von dogmatischen Verpflichtungen, die Menschen von weltlichen Institutionen wie auch von der Römischen Kirche aufgezwungen wurden.
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