Frisch, Ralf: Atheismus adieu

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R A L F F RI SC H

Atheismus adieu Warum das, was ist, nicht alles ist


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Copyright © Claudius Verlag, München 2018 www.claudius.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden. Umschlaggestaltung: Weiss Werkstatt, München Layout: Mario Moths, Marl Gesetzt aus der Palatino LT Foto Cover: © shutterstock/Olha Burli Autorenfoto: Johannes Minkus Druck: cpi – Clausen & Bosse, Leck ISBN 978-3-532-62819-5


INH ALT Einleitung 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.

Warum ist etwas und nicht nichts? Gibt es Gott? Was ist der Mensch? Sind wir nur Kรถrper oder auch Seele und Geist? Ist unser Wille frei? Was ist gut? Woher kommt das Bรถse und was wird aus ihm? Ist der Tod das Ende? Was ist Wahrheit? Was ist der Sinn des Lebens?

Anmerkungen

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Einleitung Dies ist ein Buch über die großen und letzten Fragen. Ich bin davon überzeugt, dass es letzte Antworten auf diese letzten Fragen gibt und dass wir uns nicht mit vorletzten Antworten zufriedengeben sollten. Ich glaube, dass das Ganze einen tieferen Sinn hat und dass wir diesen Sinn erkennen können. Und ich denke, dass es möglich und nötig ist, die wesentlichen Fragen des Daseins allgemeinverständlich und nachvollziehbar zu beantworten. Denn die Antworten auf Fragen, die alle Menschen unbedingt angehen, sollten alle Menschen verstehen können, die ein Buch aufschlagen, von dem sie sich eine Beantwortung dieser Fragen versprechen. Es wäre ein Jammer, wenn das Nachdenken über die Fragen, bei denen es um mehr als um Leben und Tod geht, einigen wenigen sogenannten Spezialisten und Spezialistinnen vorbehalten bliebe. Die altgriechischen Philosophen Pythagoras und Platon plädierten dafür, den Zugang zur Wissenschaft nur einer kleinen Elite einzuräumen. Für die Mehrheit der Menschen, so argumentierten sie, sei das Wissen darüber, was die Welt im Innersten zusammenhält, zu verwirrend und zu gefährlich. Man sollte sie daher bes-

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ser nicht mit den Weltbilderschütterungen des philosophischen und des naturwissenschaftlichen Denkens konfrontieren. Auch in unserer Gegenwart verstecken sich manche Naturwissenschaftler und Philosophen lieber in ihren Elfenbeintürmen. Sie scheinen kein wirkliches Interesse daran zu haben, ihre Einsichten so zu kommunizieren, dass möglichst viele möglicherweise daran interessierte Menschen sie nachvollziehen können. Das ist schade. Zwar gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse, die hochkomplex und extrem schwierig zu vermitteln sind. Aber da in den großen Menschheitsfragen das Wesen unseres Menschseins auf dem Spiel steht, sollten Menschen, die eine Antwort auf diese Fragen gefunden zu haben glauben, bereit sein, diese Antwort mit allen Menschen zu teilen, die diese Fragen umtreiben. Und genau das tue ich in diesem Buch. Ich frage auf den folgenden Seiten allerdings nicht als Biologe, Chemiker oder Physiker, wie das Universum, das Leben und das menschliche Bewusstsein entstanden sind, woher die Gesetze unseres Kosmos kommen und ob wir im All allein sind. Ich frage eigentlich auch nicht als Philosoph. Vielmehr frage ich als Theologe nach dem Sinn des Ganzen, nach dem Geheimnis des menschlichen Geistes, nach der Freiheit unseres Willens, nach dem Leben nach dem Tod, nach Gut und Böse und nach dem Schöpfer des Alls. Die Antworten, die ich gebe, werden in den Augen von Natur- und Humanwissenschaften daher bestenfalls als Metaphern für das natur- und humanwissenschaftlich Unergründbare wahrgenommen werden. „Wo das Geheimnis wohnt, herrschen die Metaphern“1, so der US-amerikanische Wissenschaftsphilosoph Stephen C. Meyer.

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Manche werden aber bereits die Fragen als falsch oder doch zumindest als sinnlos erachten, weil es ja doch zu nichts führt, sich den Kopf über Rätsel zu zerbrechen, für die es keine Lösung gibt. Zugleich sind es Fragen, die uns immer wieder überfallen – zum Beispiel dann, wenn wir in einer ruhigen Minute unseren Alltagstrott unterbrechen, zum Nachthimmel über uns aufblicken und rätseln, was es mit uns und mit unserem winzigen blauen Planeten inmitten dieses gigantischen galaxien- und sternenübersäten Universums auf sich hat. Oder dann, wenn wir, warum auch immer, spüren, dass wir den Boden unter den Füßen verlieren und dass auf einmal nichts mehr selbstverständlich ist, was wir bisher für selbstverständlich gehalten haben. Wir leben in einer Epoche, in welcher der Homo sapiens zu einem immer klareren Verständnis der Welt gelangt, in der er lebt. Wir haben in vielen Bereichen der Natur- und Humanwissenschaften ein sicheres Wissen über Zusammenhänge, die vor Zeiten völlig unselbstverständlich und rätselhaft waren. Vieles, was noch vor anderthalb Jahrhunderten undenkbar war, ist möglich und machbar. Unsere Spezies beginnt ihre Evolution allmählich selbst in die Hand zu nehmen. – Dennoch schadet es nicht, wenn wir uns gelegentlich die Augen reiben und uns klarmachen, dass wir weder uns selbst noch unseren Kosmos gemacht haben. Wir finden uns in ihm vor, erwachen in ihm zum Leben und zum Bewusstsein und haben nicht die geringste Ahnung, was diese ganze Veranstaltung soll und was da eigentlich vor sich geht. Eigentlich müssten wir Tag und Nacht verwundert um uns blicken und uns fassungslos fragen: „Was bedeutet das alles?“2 Denn: „Wir sind winzig.

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Das Universum ist riesig. Und es ist keine Gebrauchsanweisung dabei.“3 Ich habe zehn Fragen ausgewählt, deren Beantwortung eine Art Gebrauchsanweisung für das Universum und das eigene Leben darstellt. Vielleicht vermissen Sie Fragen, die Sie selbst für große und letzte Fragen halten. Und vielleicht erscheinen Ihnen manche dieser zehn letzten Fragen gar nicht als letzte Fragen, weil sie Sie vergleichsweise kalt lassen und mitnichten unbedingt angehen. Das wäre natürlich schade. Aber es liegt wohl in der Natur eines Buches, das aus der Perspektive eines einzelnen Individuums geschrieben ist, dass nicht alle sich mit ihm identifizieren können. Ich habe diejenigen Fragen gestellt und zu beantworten versucht, die für mich selbst die letzten und wesentlichen Fragen sind. Mein Buch ist ein persönliches Buch. Ich verhehle darin meine subjektive Sicht der Dinge nicht. Und es ist wie gesagt ein theologisches Buch. Es bringt die letzten Fragen so zur Sprache, dass Gott als Antwort in Frage kommt. Das vor allem unterscheidet mein Buch von den Büchern des amerikanischen Philosophen, der mich am meisten inspiriert hat: Thomas Nagel, dem ich dieses Buch nur deshalb nicht gewidmet habe, weil ich ihm persönlich nie begegnet bin. Und das unterscheidet mein Buch von jenen populärwissenschaftlichen Büchern, die auch deshalb so beliebt und so erfolgreich sind, weil in ihnen geradezu reflexartig auf alles eingedroschen wird, was nach Gott aussieht, was nach Religion riecht und was den weltbildbestimmenden Atheismus und Agnostizismus unseres säkularen Zeitalters hinterfragt. Dass es vernünftig oder gar natürlich sein soll, nicht an Gott zu glauben, halte ich selbst offen gestanden

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für eine Ideologie – also für das Gegenteil von Vernunft. Weil der Zeitgeist unserer aufgeklärten abendländischen Gegenwart jedoch auf der Seite dieser Ideologie steht und sich Religion derzeit weltweit wahrlich nicht nur mit Ruhm bekleckert, sondern vor allem im politischen Islam ihrerseits ihre ideologische Fratze zeigt, haben die notorischen Gottesleugner allerdings die besseren Karten, wenn auch nicht die besseren Argumente, wie ich in den folgenden zehn Kapiteln zeigen will. Wenn Sie trotz dieser ungeschminkten Vorbemerkung weiterlesen möchten, sich nicht in Ihren religionskritischen Gefühlen verletzt fühlen oder solche religionskritischen Gefühle gar nicht hegen, dann seien Sie herzlich willkommen in diesem Buch! Sie brauchen übrigens keine theologische oder philosophische Vorbildung, um meine Antworten auf die letzten Fragen verstehen zu können und selbstständig ins philosophische und ins theologische Nachdenken über die letzten Dinge zu geraten. Die Neugier auf das, was höher und tiefer ist als die pragmatische Alltagsvernunft und unsere meist nüchterne natur- oder humanwissenschaftliche Sicht der Welt, genügt. Aber ich will ehrlich sein: Es wird nichts schaden, bei der Lektüre dieses Buches die kleinen grauen Zellen etwas anzustrengen, um Gedankengängen zu folgen, die ich Ihnen zwar in möglichst elementarer Sprache präsentiere, die aber trotzdem ungewohnt und anspruchsvoll für Sie sein könnten, weil Sie in Ihrem Alltag und in Ihrem Beruf womöglich anders zu denken und eine andere Art von Problemen zu lösen pflegen. Ich finde jedoch, dass es nicht schaden kann, gelegentlich unbegangene, vielleicht längst überwucherte

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und vergessene Pfade des Denkens zu betreten. Und ich bin davon überzeugt, dass Menschen letzte Fragen auch deshalb stellen sollten, weil sie nur so über den Horizont ihres Tellerrandes hinausblicken und die Tiefe des Menschseins ausloten. Der Mensch ist, wie der Theologe und Religionsphilosoph Paul Tillich gesagt hat, die Frage nach sich selbst, noch ehe er irgendeine andere Frage gestellt hat.4 Und er ist – so glaube ich jedenfalls – auch die Frage nach Gott. Menschen sind in der Lage, allem, was ist und sogar dem, was nicht ist, fragend auf den Grund zu gehen. Wie Kinder ihren Eltern Löcher in den Bauch fragen, so fragen Menschen, die letzte Fragen stellen, gewissermaßen Löcher ins Sein. Wer letzte Fragen stellt, gibt sich nicht damit zufrieden, dass das, was ist, alles sein soll. Menschen, die letzte Fragen stellen, lassen ihrem Instinkt, dass die glanzvolle oder glanzlose Welt nur die Oberfläche der Dinge und dass etwas oder sogar jemand dahinter ist, freien Lauf. Und wenn sie dies tun, dann ist das keineswegs vergebliche Liebesmüh’ und illusionärer Nonsens. Denn in ihrem Denken fischen nicht einfach nichtige Wesen im undurchdringlichen Trüben des Kosmos. Vielmehr denkt in ihnen dieser Kosmos über sich selbst nach. Trotz unserer Winzigkeit und trotz unserer vermeintlichen Bedeutungslosigkeit im All sind wir fragenden und nach Antworten suchenden Geister Orte, an denen der Kosmos zu Bewusstsein kommt. „Jedes unserer Leben“, so Thomas Nagel, „ist ein Teil des langen Prozesses, in dem das Universum allmählich erwacht und sich seiner selbst bewusst wird.“5 Mit den Worten des US-amerikanischen Kosmologen Carl Sagan: Wir sind „Sternenstaub, der über die Sterne nachdenkt“6. „Um es dramatisch zu formulieren:

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es scheint, als seien Geist und Bewusstsein den Gesetzen der Natur in fundamentaler Weise eingeschrieben.“7 So der Physiker Paul Davies. Und weil ich nicht umhin kann, diese Einsichten Thomas Nagels, Carl Sagans und Paul Davies’ für kosmologisch aufschlussreich und bedeutsam zu halten, bin ich davon überzeugt, dass wir keineswegs weltfremd sind, wenn wir uns für die letzten Fragen offenhalten und über uns selbst hinausdenken. Im Gegenteil: Wir fühlen den Puls des Seins, wir kommen wirklich zu uns selbst und zur Welt und wir werden wirklich menschlich, wenn wir dies tun. Denn wir sind letztlich Transzendenzen und Grenzüberschreiter. Das macht uns groß. Das macht uns aber auch klein und mitunter sogar traurig, weil es scheint, als würden wir nie herausfinden können, was sich in den unendlichen Weiten der Raumzeit verbirgt. Außerdem ist das Transzendieren schmerzlich, weil wir nach unseren Höhenflügen immer wieder auf dem harten Boden der Tatsachen aufprallen. Die Grabinschrift des großen Astronomen Johannes Kepler auf dem Regensburger Petersfriedhof bringt dies treffend zum Ausdruck: „Die Himmel habe ich gemessen, jetzt messe ich die Schatten der Erde. Der Geist war himmlisch, des Körpers Schatten liegt hier.“ – Hören wir aber trotz unserer unendlichen Begrenztheit um Gottes Willen nicht auf, über unsere Endlichkeit hinaus zu fragen. Nur im Fragen öffnet sich die Ungeheuerlichkeit unseres Lebens und unseres Alls für uns. Nur im Fragen lichtet sich Gott. Das jedenfalls ist die Überzeugung, die diesem Buch zugrunde liegt. Es wäre schön, wenn Sie Gott und die Welt anders sehen würden als zuvor, nachdem Sie es gelesen haben. Sie

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können mein Buch in zehn Portionen zu sich nehmen, die hoffentlich nicht all zu schwer verdaulich sind. Anders als alles Kulinarische, das Sie zu sich nehmen, bleibt dieses Buch Ihnen auch dann erhalten, wenn Sie es verschlungen haben. Das ist das Wesen des geschriebenen Wortes. Es überdauert die Zeit – so, wie die Fragen, um die sich dieses Buch dreht. Seit Tausenden von Jahren denken Menschen über sie nach. Vielleicht sind diese Fragen durch die Weltbewegungen unserer weltlich-allzuweltlichen Gegenwartskultur gegenwärtig verschütteter als in der Vergangenheit unserer Spezies. Vielleicht aber auch nicht. – Doch wie auch immer: Mein Buch soll Ihnen dabei helfen, sie wieder freizulegen und die Fundamente der Welt neu in den Blick zu nehmen. Und wenn es Ihnen durch seine Lektüre zumindest ein wenig schwindlig wird und die folgenden zehn Kapitel geistesanregend in Ihnen weiter arbeiten, war die Mühe des Schreibens nicht vergebens.

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1.

WARUM IST ETWAS UND NICHT NICHTS?

Es gibt uns. Und es gibt die Welt, die uns umgibt. Wir sind als denkende und fühlende Wesen in der Lage, darüber zu staunen und uns darüber zu wundern, dass wir da sind und dass auch alles Andere, was ist, da ist. Mit diesem Staunen beginnt die Philosophie. Und mit diesem Staunen beginnt auch der Glaube, dass es zwischen Himmel und Erde mehr gibt, als es unserem sogenannten gesunden Menschenverstand scheinen will. Wer staunt, merkt, dass letztlich nichts selbstverständlich ist, was wir für selbstverständlich halten. Wer staunt, beginnt, anders zu sehen – vielleicht so, wie ein Kind, wenn es alles zum ersten Mal sieht und daher die Welt, in der es sich vorfindet, für ein Wunder hält. Nicht von ungefähr prägen sich unsere allerersten Bilder der Welt am nachhaltigsten und unauslöschlichsten in uns ein. Vielleicht ist der Satz Jesu von Nazareth, dass Menschen wieder Kinder werden müssen, um ins Himmelreich zu kommen, ebenfalls eine Einladung zu diesem staunenden Anderssehen. Denn je erwachsener wir werden, desto weniger neigen wir zum kindlichen Staunen und desto leichter geht uns der Sinn für die Unselbstverständlichkeit der Welt verloren. Wir halten den sogenannten Boden der Tat-

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sachen für das gesicherte, einzig tragfähige Fundament unserer Selbst- und Welterkenntnis. Wir neigen dazu, uns die letzten und womöglich faszinierendsten Fragen zu verkneifen, weil uns die moderne Naturwissenschaft beigebracht hat, keine letzten Fragen zu stellen. Vielleicht hat sie uns das aber ja deshalb beigebracht, weil viele Naturwissenschaftler – glücklicherweise bei weitem nicht alle – nur das für wirklich halten, was mit den Mitteln der Naturwissenschaft aufgespürt werden kann. Wenn dem so wäre, dann wären in der Tat nur solche Fragen sinnvoll, die im Rahmen des Weltbildes unserer aufgeklärten Moderne beantwortbar sind. Man müsste dann feststellen: „Worüber man nicht reden kann, davon muss man schweigen.“ Und wenn bestimmte Fragen kein Thema mehr sind, dann sind sie ja vielleicht tatsächlich gegenstandslos – oder sie werden es irgendwann. Wenn die moderne Wissenschaft, die unser Weltbild prägt, diese Fragen ausklammert, dann sind sie womöglich wirklich irrelevant und schlicht unsinnig oder gar falsch. Man könnte aber auch die umgekehrte Konsequenz ziehen und zur Einsicht gelangen, die Naturwissenschaft erschließe uns nur einen Ausschnitt oder eine Dimension der Wirklichkeit. Womöglich ist das Netz, das die Naturwissenschaft in den Ozean des Seins auswirft, ja nicht engmaschig genug, um alle Fische zu fangen, die sich in diesem Ozean tummeln. Das Bild des Netzes ließe sich sogar noch etwas weiter strapazieren. Nicht nur bestimmte Fische, sondern auch der Ozean selbst, das Netz und der, der das Netz auswirft, gehen diesem Netz nicht ins Netz. Wer aber letzte Fragen stellt, interessiert sich exakt für das, was

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Naturwissenschaftlern, die ihrem Handwerk nachgehen, ohne es zu problematisieren, durch die Maschen schlüpft, weil es für sie kein Thema ist. Anders als manche Naturwissenschaftler werden sogenannte Metaphysiker jedoch sagen: „Worüber man nicht reden kann, davon muss man sprechen. Wofür die gegenwärtige Wissenschaft der Natur keine Detektoren hat, dafür muss man Detektoren finden.“ Denn wer weiß: Vielleicht ist das, was höher und tiefer ist als die wissenschaftliche und die alltagspraktische Vernunft, nicht nur eine Wunschvorstellung einer all zu blühenden Phantasie, sondern das wirklich Wesentliche, zu dem wir Bewohner einer entzauberten modernen Welt den Zugang verloren haben – und zwar so sehr, dass wir die Existenz dieses Wesentlichen schlicht bestreiten. Ein Metaphysiker dagegen ist jemand, der die Auffassung vertritt, dass sich hinter dieser entzauberten Welt noch etwas Anderes verbirgt. Wer metaphysisch denkt, glaubt, dass das physikalisch Erfassbare nicht alles, geschweige denn das Allerwirklichste ist und dass hinter den Büchern der Physik (und der Chemie und der Biologie) noch andere Bücher im Regal der Wissenschaft stehen müssen, weil ohne diese Bücher die Natur der Welt nicht hinreichend beschrieben wäre. Wer metaphysisch denkt, nimmt sich und die Welt als etwas schlechthin Unselbstverständliches, aus sich selbst heraus Unerklärliches wahr.

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