Krautz, Jochen: Bilder von Bildung

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Jochen Krautz

Bilder von Bildung Für eine Renaissance der Schule


Die Texte verwenden dort, wo Funktion oder Rolle von Personen gemeint sind, das generische Maskulinum; dort, wo stärker konkrete Personen gemeint oder adressiert sind, geschlechtsneutrale oder geschlechterdifferenzierte Bezeichnungen.

Claudius Verlag München 2022 www.claudius.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden. Zum Schutz der Umwelt verzichten wir bei diesem Buch auf das Einschweißen mit Folie Lektorat: Franziska Roosen Umschlaggestaltung: Weiss Werkstatt, München unter Verwendung von: © akg-images/André Held Gesetzt aus der Source Sans Pro Druck: FINIDR s.r.o, Český TěŠín ISBN 978-3-532-62874-4


INHALT

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Krise, Kritik und neuer Anfang The fun they had Renaissance Erziehung Pädagogik Scholé Bildung Geist Kopf, Herz, Hand Pädagogische Liebe Liebe zur Sache Geteilte Aufmerksamkeit Gemeinsam Vorstellungen bilden Klassenunterricht Klassenunterricht – reloaded Gemeinschaft Verstehen lehren Tradition Schrittweise Zeigen und Nachahmen Herausfordern Üben Anstrengen Lesen Vortrag Krisen Aufgaben Konzentration Identität Sich entwickeln Vielfalt Präsenz Digitales Etwas können, jemand werden

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Qualifikation Scheitern Verfehlungen Lebenslang lernen Schule und Eltern Bindung Helfen Konsequenz Vorbilder Hausaufgaben Lehrer sein Lehrkunst Begeistern Sinn Begaben Umkehrung Bewerten Pädagogisches Verstehen Freiheit Emanzipation Demokratie Zukunft Widersprüche Schiefe Türme Bildungsreisen Evidenz Inklusion Bildungsgerechtigkeit Fortschritt Trost Lockdown Hoffnung Literatur Quellenverzeichnis Dank


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Krise, Kritik und neuer Anfang. Eine persönliche Vorbemerkung

Als im Juli 2021 das Hochwasser aus meinem Arbeitszimmer abgeflossen war, balancierten wir mit vielen Helfern durch den Schlick und packten die klammen Bücher in Kisten. Dabei fiel mir ein Band entgegen: „Krise und neuer Anfang“ von Otto Friedrich Bollnow, einem bedeutenden Pädagogen der Nachkriegszeit. Bollnow schreibt nicht über Hochwasser und auch nicht über Corona. Das Buch handelt von der Krise der Kultur. Die Kulturkrise mache Kritik notwendig. Kritik sei aber „nicht Ablehnung um jeden Preis, sondern dem ursprünglichen Wortsinne nach der Prozeß der Prüfung und Reinigung“. Diese Prüfung und Reinigung ermöglichten gerade in der Krise eine Rückbesinnung. Damit sei aber nicht die Rückkehr zu vermeintlich besseren Zeiten gemeint, die es so idealisiert sowieso nicht gegeben habe. Nein, es gehe um die „Freilegung des verschütteten Grundes“, um die Wiederbesinnung auf den Kern und den Ursprung der Sache. Das wirke wiederbelebend. Dies seien „Vorgänge, denen im Verlauf der Gesamtgeschichte die Zeiten der Renaissance entsprechen“. Denn Renaissancen sind geistige Wiedergeburten. Nun ist weitläufiger Konsens, dass sich schulische Bildung und pädagogisches Denken in einer Krise befinden. Dass es, um diese Krise zu bewältigen, einer Wiederbesinnung auf deren tragende Gründe bedarf, ist weniger geläufig. Eben eine solche Wiederbesinnung auf die grundlegenden Prinzipien versucht dieses Buch. Das aber auf eine eigenartige Weise, die der Profession des Autors geschuldet ist: Es verbindet Kunst und Pädagogik. Es entfaltet nicht nur Gedanken, sondern versucht bildhaft zu zeigen, worum es eigentlich geht. So argumentiere ich auf Basis der langen Tradition pädagogischer Wissenschaft und Praxis mit den Mitteln von Kunst und Bildern in der Hoffnung, so den „verschütteten Grund“ der Pädagogik wieder sichtbar werden zu lassen. Von hier aus kann man ihn für die Gegenwart neu interpretieren und fruchtbar machen. Die Arbeit nach der Flut machte aber auch klar: Ein solcher Neuaufbau braucht nicht nur verjüngten Geist und ästhetische Inspiration, sondern genauso frischen Mut, zupackende Hände, gemeinschaftliches Zusammenstehen und große Ausdauer. Und so will dieses Buch nicht nur Besinnung anregen, sondern auch zum pädagogischen Anpacken ermutigen, um Schule aus der Krise heraus zu neuem Anfang zu führen. 7


Albert Anker: Die Dorfschule von 1848, um 1895/96

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The fun they had. Der Science-Fiction-Autor Isaac Asimov erzählt eine merkwürdige Geschichte: In irgendeiner Zukunft finden zwei Geschwister ein altes Buch auf dem Dachboden. Darin ist von einer Schule die Rede, in die Kinder einst gemeinsam gingen. Sie lernten in einem Raum das Gleiche und wurden von einem realen Lehrer unterrichtet. Zugleich zweifelnd an der Möglichkeit einer solchen Schule und betrübt über den eigenen Maschinenlehrer mutmaßt der Ältere aber doch, welche Freude diese Kinder wohl gehabt haben müssen! Angekommen in dieser Zukunft scheint uns selbst diese Welt schon fern: Warum sollte eine solche Schule Freude gemacht haben? Wir sehen es doch bei Albert Anker: Frontalunterricht, Disziplinierung und didaktischer Gleichschritt. Steinzeitpädagogik. Wie furchtbar! Wer aber genauer hinschaut, sieht die Freude, von Anker subtil gestaltet als gespanntes Zuhören, konzentriertes Lesen, nachdenkliches Schauen, abgelenktes Geplauder und rabaukiges Tollen. Und das trotz eines Lehrers, der sichtbar um seine Autorität ringt und mit dem Stock fuchtelt. Anker hat nicht idealisiert. Er zeigt: Unterricht ist ein eigenartiges Geschehen. Aus allem Misslingen machen die Beteiligten immer wieder auch ein Gelingen, einen menschlichen Sinn. Diese Hoffnung trägt Schule. Es ist die Hoffnung der Aufklärung, trotz alledem zu Humanität und Mündigkeit beitragen zu können, wie oft diese Hoffnung auch schon gescheitert zu sein scheint. Man mag das sanfte Licht aufgeklärten Hoffens die Schulszene umfangen sehen. Dieses Licht verleiht auch grob verputzten Schulzimmern mit Kindern aller Schichten und Herkünfte eine eigene Schönheit – ihre pädagogische Wahrheit. Von diesem überzeitlich Pädagogischen als bleibende Möglichkeit und Aufgabe der Schule sei hier die Rede.

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„Wir malen die Mona Lisa“; Klasse 4

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Renaissance. „Re-nasci“ heißt wiedergeboren werden. So sagt man, im 15. Jahrhundert wurde die Antike wiedergeboren. Ihr Geist beflügelte Kunst und Kultur neu. Auch einen Leonardo da Vinci, der die Mona Lisa malte. Hier gebären Viertklässler die Renaissance wieder. Man sieht: Das ist eine aktive Leistung, die nicht einfach ein Neuaufguss oder ein stures Weiter-so meint, sondern eine kreative Anverwandlung von Grundprinzipien in einer veränderten Zeit. Aber: Der geistige Kern bleibt dabei erhalten. So kann er Kultur, Wissenschaft und Bildung neu befruchten. Eine Renaissance der Schule wäre nötig in einer Zeit, in der ihre Grundprinzipien unter Schlagworten von „Innovation“ und „Reform“ in Vergessenheit geraten. Ein Wiedergebären ihres humanen, aufklärerischen und emanzipatorischen Sinns unter den Bedingungen der Gegenwart. Neuaneignung statt Zerfall und Vergessen. Das wäre aktives Tun. Eine Renaissance der Schule bräuchte ein bewusstes Innehalten und ruhiges Neubesinnen aller an ihr Beteiligten. Neubesinnen auf die Grundlagen von Erziehung und Bildung, von Schule und Unterricht. Dabei helfen, so wusste auch die historische Renaissance, besonders Bilder: Ihre ästhetische Argumentation führt vor Augen und zu Gemüt, worum es geht.

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