Der «Chinesische Traum» und die Suche nach dem Platz an der Sonne Um den chinesischen Traum besser zu verstehen, ist eine längere historische und ideologische Perspektive not wendig. Der Fokus ist dabei sowohl auf die Vergangenheit wie die Zukunft gerichtet. Ralph Weber Am 15. November 2012 wurde Xi Jinping zum Generalsekretär und zum Vorsitzenden der Militärkommission der Kommunistischen Partei gewählt. Damit besetzte er das Machtzentrum des chinesischen Parteistaats. Nur zwei Wochen später soll er zum ersten Mal den Ausdruck «chinesischer Traum» (中国梦) verwendet haben. Sechs Jahre danach hielt er in einer Ansprache fest, dass man inzwischen näher, zuversichtlicher und fähiger als je zuvor sei, das Ziel der «grossen Wiederbelebung der chinesischen Nation» (中华民族伟大复兴) zu erreichen. Das werde gelingen, fügte er hinzu, solange die mehr als 1,3 Milliarden Chinesen und Chinesinnen weiterhin ihre Träume verfolgten. Der Weg dahin würde nicht weniger als einen «neuen Langen Marsch» (新长征) erfordern. Der inzwischen von Xi wiederholt verwendete Ausdruck soll an den historischen und längst mystifizierten Rückzug der Roten Armee von 1934 / 1935 erinnern, der enorme Truppenverluste bedeutete, aber auch zahlreiche Heldengeschichten hervorbrachte und für die Persistenz und die Willenskraft der Partei zu stehen kam. Schon bei der Ankündigung der Reform- und Öffnungspolitik in den späten 70er-Jahren hatte Deng Xiaoping das gleiche Bild eines «neuen» Langen Marschs eingesetzt. Schon alleine hieraus wird ersichtlich, dass der «Chinesische Traum» entlang einer längeren historischen und auch ideologischen Perspektive zu verstehen ist. Das gilt in beide Richtungen der Zeitachse, in die Vergangenheit wie in die Zu-
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